4404/J XXII. GP
Eingelangt am 22.06.2006
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
DRINGLICHE ANFRAGE
der
Abgeordneten Dr. Alexander Van der Bellen, Maga. Terezija Stoisits,
Freundinnen
und Freunde
an die Bundesministerin für Inneres
betreffend Stimmenfang durch Menschenhetze
Der beginnende Wahlkampf war von
zwei einschneidenden Aussagen geprägt.
Zunächst hat Innenministerin Prokop 45
% der Muslime in Österreich als
integrationsunwillig und als Zeitbombe
bezeichnet. Nachträgliche Äußerungen der
Innenministerin vergrößerten den politischen Schaden noch mehr.
(Prokop: „Wir können natürlich niemanden hinauswerfen, der Österreicher ist").
Innenministerin
Prokop blieb jede weitere Auseinandersetzung mit dem Thema
Integration schuldig. Die sogenannte „Integrationsstudie",
aus der die Innenministerin
ihre These ableitet,
ist nicht einmal fertiggestellt und lässt laut Studienautor Prof.
Rohe diese Interpretation der Studie keineswegs zu. Trotz dieser entlarvenden
Fakten hat sich Innenministerin Prokop für ihre haltlose Pauschalverdächtigung und
Diffamierung einer Religionsgemeinschaft nicht entschuldigt, ganz im Gegenteil,
sie
hält
nachhaltig daran fest.
Überboten wurde diese
integrationsfeindliche Aussage nur noch vom Chef des
Regierungspartners, BZÖ-Vizekanzler
in spe Peter Westenthaler. Er fordert eine
30-prozentige
Reduktion der Ausländerzahl in Österreich
binnen 3 Jahren, das hieße
rund 300.000 Menschen
aus Österreich abzuschieben. Damit
nicht genug. Durch
EU-Recht garantierte, in Österreich
quotierte Familienzusammenführung
will der
BZÖ-Chef erst nach 8 Jahren (!)
zulassen. Dabei wirkt sich gerade der frühzeitige
Familiennachzug integrationsfördernd aus.
Vor allem für Kinder ist ein rascher
Spracherwerb
entscheidend. Ein gemeinsames Familienleben ist auch emotional ein
wichtiger Faktor.
Bundeskanzler Wolfgang Schüssel hat dazu bisher geschwiegen. Ihm war
dazu
lediglich die Feststellung zu entlocken,
dass beim gemeinsamen Frühstück mit dem
Regierungspartner
Peter Westenthaler über dieses Thema jedenfalls nicht
gesprochen wurde. Die zuständige
Innenministerin akzeptiert das Schweigen
Bundeskanzler Schüssels zu Westenthalers
Deportationsplänen.
Offensichtlich
sollen solche und ähnliche Vorschläge in dem
laut Innenministerin
Prokop noch vor dem Sommer stattfindenden Reformdialog der Bundesregierung
bearbeitet
werden.
Die Ära Strasser/Prokop hat Österreich
innerhalb von 4 Jahren 7 Totalreformen im
Bereich Asylgesetz, Fremdengesetz,
Niederlassungsrecht und
Staatsbürgerschaftsrecht beschert. Selbst
das eben erst in Kraft getretene
Fremdenrechtspaket wird von der Regierung
bereits als gescheitert betrachtet. Wozu
sonst der Reformdialog?
Innenministerin Prokop will weiter an der
Verschärfungsschraube drehen, obwohl Ihre
Politik schon genug angerichtet hat.
Anlässlich des
Weltflüchtlingstages am 20.06 bezeichneten Caritas und Diakonie
die
Auswirkungen des
Fremdenrechtspakets als ethischen Kollateralschaden.
Der Anstieg
der Schubhaftzahlen seit in Kraft treten des Fremdenrechtspaketes mit
1.1.2006 um ca. 25%
geht Hand in Hand mit einem Anstieg bei minderjährigen
Schubhäftlingen. 52 Minderjährige wurden laut Innenministerium in den
ersten 3
Monaten des Jahres 2006 in Schubhaft
genommen.
Zuletzt
erhob der Menschenrechtsbeirat schwere Kritik an den Haftbedingungen in
den österreichischen Schubhaftgefängnissen. Mehrere Todesfälle in
Schubgefängnissen
(Herbst 2005 in Linz, Sommer 2005 in Wien), nicht zuletzt der
Fall des misshandelten Schubhäftlings Y. Bakary haben enorme
Schwachstellen in
der
Schubhaftbetreuung, der ärztlichen
Versorgung, der bestehenden
Haftbedingungen zutage treten lassen. Innenministerin Prokop spricht von
„bedauerlichen
Einzelfällen".
In Wahrheit handelt es sich um
gesetzliche und strukturelle Mängel.
Chronische
personelle Unterbesetzung in den Polizeianhaltezentren verschärfen die Lage
zusätzlich. AsylwerberInnen, die über einen anderen EU-Staat nach Österreich
gekommen sind, werden von Cobra-Einheiten
in Schubhaft überstellt. Nachweislich
schwer traumatisierte
und nur in ärztlicher Begleitung transportfähige
AsylwerberInnen werden abgeschoben.
Am 7.4.2006
wird der Volksschüler P. während des
Unterrichtes in einer Volksschule
in Wien 15 vor
den Augen seiner MitschülerInnen von PolizeibeamtInnen
festgenommen, mitgenommen und aufs
Kommissariat gebracht. Über ihn und seine
Mutter soll die Schubhaft verhängt werden. Der
involvierte Polizeibeamte bedauert in
einem
Interview die Situation, meinte aber gleichzeitig, „dass die Gesetze eben so
sind".
Dieses Beispiel ist
bezeichnend für die exzessive Handhabung der
Schubhaft und
damit zusammenhängende
Tabubrüche, wie das Eindringen der Polizei in Schulen,
soziale Beratungsstellen.
Innenministerin Prokop sieht sich
und ihre Partei gerne als die „wahre"
Familienpartei. Die Fakten sprechen eine andere Sprache. EhepartnerInnen von
ÖsterreicherInnen wird die
Familiengemeinschaft verwehrt, weil sie entweder als
Asylwerberln ins Land gekommen sind und den Antrag auf Familiengemeinschaft
nicht mehr in Österreich stellen dürfen, oder weil sie die für ein Ehepaar
erforderlichen monatlichen Einkünfte
von € 1056.- (netto) nicht haben. Der
Familiennachzug zu Nicht-EU-Bürgerlnnen
ist weiterhin quotiert. Die Quote wurde für
2006 von 5.460 sogar
auf 4.425 Plätze abgesenkt. Die Verhinderung
von
Familiengemeinschaft ist ein integrationspolitischer Unsinn.
Die chinesische Staatsbürgerin Z. heiratet in Wien einen österreichischen
Staatsbürger. Sie stellt daraufhin einen
Antrag auf Familiengemeinschaft mit ihrem
Ehemann in Österreich. Weil sie gemäß Fremdenrechtspaket den Antrag auf
Erteilung einer Niederlassungsbewilligung
nicht mehr in Österreich stellen
darf, wird
sie in Schubhaft genommen und abgeschoben. Frau Z. ist unbescholten, dennoch
wird sie wie
eine Schwerkriminelle behandelt. Laut Innenministerium stellt ihre
Anwesenheit in Österreich
eine „erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit"
dar.
Gleichzeitig lässt das Innenministerium zynisch verlauten,
dass einer „neuerlichen
Einreise
selbstverständlich nichts im Wege steht".
Der Ehegatte ist verzweifelt. Die
Frau Z. wird zur Zahlung der Kosten für Schubhaft und Abschiebung in Höhe von €
6.079.-
verpflichtet. Ihr Ehemann muss sie in Shanghai besuchen. Frau Z. wird nun
seit mehreren Wochen schon an der ihr
rechtmäßig zustehenden
Einreise zu ihrem
Ehemann gehindert.
Weil Innenministerin Prokop Integration als ausschließliche
Angelegenheit der
öffentlichen
Sicherheit und nicht als ressortübergreifende Querschnittsmaterie
versteht, setzt sie auch keine integrationspolitischen Akzente in den wichtigen
Bereichen Bildung und Soziales.
Das Ehepaar P stammt aus dem
Kosovo und lebt seit 2002 in Österreich. Am
20.12.2005 stellt der Bundesasylsenat nach
3 jährigem Asylverfahren fest, dass eine
Rückkehr in die Heimat Serbien eine unmenschliche
Behandlung wäre und erteilt ein
Aufenthaltsrecht.
Es ist zunächst auf 1 Jahr befristet und verlängerbar und beruht
unmittelbar auf der
Menschenrechtskonvention (subsidiärer Schutz
gem. § 8 AsylG).
Herr P findet
Arbeit als Abwäscher für € 850.- pro Monat. Fr P ist zu diesem
Zeitpunkt schwanger, der gemeinsame Sohn
kommt am 12.1.2006 zur Welt. Herr P
bemüht sich sofort um Familienbeihilfe und
Kinderbetreuungsgeld. Nach 4(!)
Monaten und
zahlreichen Vorsprachen bei den Behörden kommt ein negativer
Bescheid vom Finanzamt. Begründung: „ Es besteht kein Recht auf diese
Leistungen, weil keine Niederlassung im
Sinne des Niederlassungs - und
Aufenthaltsgesetzes vorliegt." Ein Anspruch besteht nur, wenn die
Familie ein
spezielles Aufenthaltsrecht
(Niederlassungsbewilligung) hätte.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende
ANFRAGE:
1.
Wie begründen Sie sachlich Ihre Aussage, wonach 45%
der in Österreich
lebenden Muslime (das sind rund 160.000
Menschen) nicht integrationswillig
seien?
2.
Wann werden Sie sich für diese pauschale Diffamierung einer
Bevölkerungsgruppe
entschuldigen?
3.
Welche konkreten Maßnahmen wollen Sie
gegenüber den Ihrer Ansicht nach
nicht
integrationswilligen Muslimen in Österreich
ergreifen?
4.
Wann wird der Gesamttext der von Ihnen in Auftrag gegebenen Studie
„Perspektiven
und Herausforderungen in der Integration muslimischer
MitbürgerInnen in Österreich" veröffentlicht?
5. Wie viel hat die Erstellung der Studie gekostet?
6.
Ihr
Regierungspartner BZÖ fordert die Abschiebung von rund
300.000
AusländerInnen aus
Österreich
innerhalb der kommenden 3 Jahre. Wie
stehen Sie zum
Schweigen Bundeskanzler Schüssels
zu diesem
ungeheuerlichen Vorschlag Westenthalers,
der medial weit über unsere
Grenzen hinaus
Beachtung gefunden hat?
7.
Ihr
Regierungspartner BZÖ fordert weitere Restriktionen
beim
Familiennachzug:"Der Familiennachzug
soll erst nach 8 Jahren möglich sein".
In welcher Weise
gedenken Sie, diese Forderung umzusetzen?
8.
Ihr Regierungspartner BZÖ fordert die Abschiebung von AusländerInnen,
die
mehr als 12 Monate
arbeitslos sind. In welcher Weise gedenken Sie, die
Bestimmungen zur Aufenthaltsbeendigung bei
Arbeitslosigkeit bzw. fehlender
Unterhaltsmittel zu ändern?
9.
Wie hoch war der sog. „Rucksack" bei
den Familienzusammenführungen zum
Zeitpunkt 31.12.2005?
10.
Warum setzen Sie die Empfehlungen des Menschenrechtsbeirates zur
Verbesserung der
Schubhaftbedingungen nicht lückenlos
um?
11 .Wie viele minderjährige Kinder wurden seit in Kraft treten des
Fremdenrechtspaketes
am 1.1.2006 bis zum heutigen Tag in Schubhaft
genommen?
12.
Welche Gesamtdauer nach Tagen gerechnet ergibt das für die unter
Frage
12 ermittelte Zahl an minderjährigen Schubhäftlingen?
13.
Was werden Sie zu unternehmen, damit fremdenpolizeiliche Festnahmen von
Schulkindern während des Unterrichts in Zukunft
unterbleiben?
14.
Wie hoch waren die für die Schubhaftbetreuung ausgegebenen
Mittel
beginnend mit 2004
bis zu den veranschlagten Mitteln für
2006?
15. Wann werden die Mittel für die Schubhaftbetreuung erhöht?
16.
Mit welcher politischen Begründung wird Menschen mit sog. kleinem
Asyl in
Österreich
(subsidiär Schutzberechtigte gem. § 8 AsylG)
die Familienbeihilfe
und das Kinderbetreuungsgeld verwehrt?
17.
Werden Sie
weiterhin ausländische EhepartnerInnen von österreichischen
StaatsbürgerInnen
durch Abschiebung an der Familiengemeinschaft hindern?
18.
Wann werden
Sie dem Nationalrat eine Initiative vorschlagen, wonach
Anträge auf
Erteilung einer Niederlassungsbewilligung mit dem Zweck einer
Familiengemeinschaft
mit ÖsterreicherInnen generell auch in Österreich
gestellt werden können?
19.
Das neue Staatsbürgerschaftsgesetzes ist am 22.03.2006 in
Kraft getreten.
Wie
viele Menschen haben seither auf Basis dieses Gesetzes die
Staatsbürgerschaft bis zum heutigen Tag erhalten?
In formeller Hinsicht wird die
dringliche Behandlung dieser Anfrage unter Verweis auf § 93
Abs.2 GOG verlangt.