4413/J XXII. GP

Eingelangt am 22.06.2006
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Anfrage

 

 

der Abgeordneten Dr. Matznetter

und GenossInnen

an den Bundesminister für Finanzen

betreffend die steuerliche Behandlung der im ARA-System erzielten Überschüsse beziehungsweise Gewinne

 

Das ARA-System, das die Entsorgung von Verpackungsabfällen zum Gegenstand hat, bildete infolge der darin zu vermutenden Unzukömmlichkeiten bereits mehrfach den Anlass für parlamentarische Anfragen, darunter auch an den Bundesminister für Finanzen (s 2803/AB XXII. GP und zuletzt 4196/J XXII. GP). Im Wesentlichen kann auf den in diesen Anfragen dargestellten Sachverhalt verwiesen werden, wobei hier wiederholt sei, dass das ARA-System aus der der Altstoff Recycling Austria AG (kurz ARA AG) und den so genannten Branchenrecyclinggesellschaften (kurz BRG) gebildet wird. Hervorgehoben sei außerdem, dass es hauptsächlich um die Überschüsse geht, die im Laufe der letzten Jahre eine Höhe von rund 100 Mio. Euro erreicht haben; dies, obwohl die am ARA-System beteiligten Unternehmern stets betonen, dass es sich um Non-Profit-Unternehmen handle.

 

Diese Überschüsse, wofür im Übrigen bisher nie Körperschaftsteuer gezahlt wurde, waren schon wiederholt Gegenstand von Berichten in der Presse, wobei zuletzt in der Ausgabe der Tageszeitung "Kurier" vom 9.5.2006 unter der Überschrift "Übervolle Kassen des Müllsystems ARA sorgen für Polit-Wirbel" ein solcher Bericht erschien. Darin werden mehrere Aussagen des Vorstands der ARA AG, Herrn Dkfm. Stiglitz, wiedergegeben, darunter auch die Aussage, "bei dem Überschuss handle es sich um Fremdkapital, da das Geld von der ARA in Form von Tarifsenkungen an die Kunden weitergegeben werde", und ferner die Aussage, "in den letzten Jahren sei Fortune mit der ARA gewesen und habe ihnen einen Überschuss beschert". Dass diese Aussagen nicht unbedenklich sind, wurde schon in der letzten Anfrage ausführlich dargestellt. Sie rechtfertigen aber auch die Prüfung der Frage, ob das der ARA AG widerfahrene "Fortune" nicht auch Einfluss auf deren Steuerpflicht hat.

 

Die letzte Anfrage hatte ausschließlich die Frage zum Gegenstand, ob für die Überschüsse Rückstellungen gebildet werden dürfen. Nach Einbringung der Anfrage ist aber bekannt geworden, dass die BRG – offensichtlich im Hinblick auf die Steuerpflicht, die gemäß § 9 Abs. 5 EStG idF BGBl. I 142/2000 nunmehr für Rückstellungen besteht – die Überschüsse teilweise in Form einer passiven Rechnungsabgrenzung buchen. Dies bedeutet eine wesentliche Änderung gegenüber dem der letzten Anfrage zu Grunde liegenden Sachverhalt. Außerdem spricht auch die angeführte, erst nach der letzten Anfrage erschienene Veröffentlichung in der Presse im Zusammenhang mit früheren Veröffentlichungen für ein stetiges und noch bestehendes Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit. Die unterfertigten Abgeordneten sehen sich daher zu einer weiteren Anfrage veranlasst, zumal bisher auf eine Steuerpflicht der ARA AG noch nicht Bedacht genommen wurde. Hiezu ist ergänzend zu dem Sachverhalt, der in den früheren Anfragen schon dargestellt wurde, noch auf folgendes hinzuweisen:

 

Die Unternehmen, die zur Entsorgung von Verpackungsabfällen verpflichtet sind und diese Entsorgung nicht selbst ausführen wollen oder können, schließen als so genannte Lizenzpartner mit der ARA AG  "Entpflichtungs- und Lizenzvereinbarungen" ab , in denen sie sich zur Zahlung der Kosten der Entsorgung verpflichten. Die ARA AG schließt als ihr Treuhänder "Entsorgungsverträge" mit den BRG ab, wonach diese (nur) Anspruch auf Ersatz der Entsorgungskosten haben. Vereinbart ist weiters, dass die ARA AG von den Entgelten, die sie von den Lizenzpartnern erhält, die Beträge, die zur Deckung der ihr selbst entstehenden Kosten notwendig sind, einbehalten darf und nur den Rest an die BRG weiterleiten muss.

 

Diese vertraglichen Vereinbarungen werden in den Buchhaltungen der beteiligten Unternehmen in der Form umgesetzt, dass die Lizenzpartner zunächst monatlich oder jährlich eine Gutschriftsrechnung im Sinn des § 11 Abs. 7 UStG über die Beträge ausstellen, die sie ihrer Meinung nach zu zahlen haben, und die entsprechenden Beträge als Aufwendungen und damit zur Gänze Gewinn vermindernd buchen. Die ARA AG behält von den ihr auf diese Weise bekannt gegebenen Beträgen 4,5 % für den Ersatz ihrer Kosten ein, stellt ihrerseits den BRG Gutschriftsrechnungen in der Höhe der verbleibenden Beträge aus und verbucht sie in ihren Jahresabschlüssen zur Gänze und damit Gewinn vermindernd als Aufwendungen – dies ungeachtet des Umstands, dass ihr bekannt ist, dass die BRG nur Anspruch auf Ersatz ihrer Kosten haben und diese, wie die angehäuften Überschüsse eindeutig zeigen, in der Regel geringer als die den BRG gutgeschriebenen Beträge sind. Die BRG wiederum buchen die ihnen von der ARA AG gutgeschriebenen Beträge nicht zur Gänze als Erträge, sondern bildeten früher hiefür Rückstellungen und grenzen sie nunmehr in Form einer passiven Rechnungsabgrenzung ab. In der Praxis führen die dargestellten Buchungsvorgänge dazu, dass für die entstandenen Überschüsse von niemandem Einkommens- oder Körperschaftssteuer gezahlt wird, was nicht sachgerecht sein kann und wodurch dem Staat offensichtlich erhebliche Einnahmen entgehen.

 

Die an dem ARA-System beteiligten Unternehmen berufen sich zur Rechtfertigung ihrer Buchungen auf eine in den Entsorgungsverträgen enthaltene Regelung, wonach die „Gewinne“ (Überschüsse) eines bestimmten Jahres in die "laufende" Tarifkalkulation (d.i. nach der Praxis in die Tarifkalkulation für drei oder fünf folgende Jahre) einzubeziehen sind. Es muss aber bezweifelt werden, ob es eine solche Regelung tatsächlich rechtfertigen kann, dass für die Überschüsse keine Steuer bezahlt werden muss. Kann es sachgerecht sein, dass die Steuerpflicht dadurch umgangen wird, dass ein Unternehmer mit einem anderen, der Leistungen zu erbringen hat, vereinbart, dieser müsse den über seine Kosten hinausgehenden Betrag, auf den er allein Anspruch hat, einem Dritten (hier den Lizenzpartnern) zuwenden? Der Fall liegt doch nicht anders, wie wenn die Vereinbarung dahin geht, dass die Überschüsse einem karitativen Zweck zugeführt werden sollen. Es ist eindeutig, dass in diesem Fall der Unternehmer, auf dessen Zahlungen die Überschüsse zurückgehen, die für karitative Zwecke bestimmten Beträge nicht Gewinn mindernd geltend machen kann. Es kann dieses Ziel aber sicher nicht dadurch erreicht werden, dass der andere Unternehmer diesbezüglich eine Zahlungspflicht übernimmt. Vergleichbar ist ferner auch der Fall, dass der zur Leistung verpflichtete Unternehmer (also etwa eine Reparaturwerkstätte) die seinen Entgeltanspruch übersteigenden, vom Auftraggeber bereits bezahlten Beträge behalten darf und im Gegenzug in den folgenden Jahren noch die vereinbarte Leistung (also die Reparaturarbeiten) ausführen muss. In diesem Fall würde es doch sicher dem Erfordernis der periodengerechten Abgrenzung (dem Periodisierungsprinzip) widersprechen, dass dieser Unternehmer auf der Passivseite eine Abgrenzung vornimmt, während der andere Unternehmer die von ihm bezahlten Beträge zur Gänze als Aufwendungen bucht.

Wäre all dies zulässig, wäre es wohl praktisch jedem Unternehmer möglich, durch Abschluss einer entsprechenden Vereinbarung mit einem anderen Unternehmer die Bezahlung von Steuern zu vermeiden.

 

Die Vorgangsweise der ARA AG kann auch nicht mit dem imparitätischen Realisationsprinzip gerechtfertigt werden, weil dieses Prinzip nicht zum Tragen kommt, wenn, wie hier, die Höhe der den BRG zu zahlenden Entsorgungskosten und daher die Aufwendungen der ARA AG bei der Erstellung des Jahresabschlusses genau bekannt sind. Es ist daher eine aktive Rechnungsabgrenzung in ihrer Bilanz erforderlich, soweit die Zahlungen an die BRG deren Kosten übersteigen, zumal die entsprechenden Ausgaben zur Deckung der Kosten der Folgejahre dienen und wirtschaftlich daher zweifelsfrei zu den Folgejahren gehören. Für diesen Fall ergibt sich aber aus Rz 2395 der EStR 2000, dass ein (hier aktiver) Rechnungsabgrenzungsposten zu bilden ist. Die ARA AG könnte eine Steuerpflicht nur dadurch vermeiden, dass sie die Überschüsse den Lizenzpartnern zurückzahlt. Diese Variante, die von der ARA AG allerdings abgelehnt wird, hätte zur Folge, dass die Lizenzpartner die Rückzahlungen auf der Aktivseite buchen müssten, was in vielen Fällen bei ihnen zu einer Steuerpflicht und damit zur Vermeidung des derzeitigen, im Interesse des Staates abzulehnenden Ergebnisses führen würde, dass niemand für die – noch dazu enormen – Überschüsse Steuer zahlt.

 

In Erwägung zu ziehen ist auch, dass die Zustellung einer Gutschriftsrechnung, gegen die nicht gemäß § 11 Abs. 7 letzter Satz UStG Widerspruch erhoben wurde, zur Folge hat, dass der die Gutschrifts­rechnung ausstellende Unternehmer zwar die gutgeschriebenen Beträge zur Gänze als Aufwendungen buchen darf, dass sie aber der Empfänger der Gutschriftsrechnung zur Gänze als Erträgnisse buchen muss und sie weder als Rückstellung noch in Form einer passiver Rechnungsabgrenzung vermindern darf, kann es doch nicht sachgerecht sein, dass ein Unternehmer passiv abgrenzt, sein Vertragspartner aber die geschuldeten Beträge zur Gänze als Aufwendungen berücksichtigt.

 

Abschließend ist noch darauf  hinzuweisen, dass die Beantwortung der dargestellten steuerrechtlichen Fragen nicht bloß die Unternehmen des ARA-Systems betrifft, sondern von allgemeiner Bedeutung ist, zumal die von der ARA AG gehandhabte steuerliche Behandlung der Aufwendungen Beispielwirkung in der Richtung haben könnte, dass auch andere Unternehmen hierdurch Steuerzahlungen zu vermeiden trachten. Die weitreichenden volkswirtschaftlichen Nachteile, die damit verbunden wären, müssen nicht weiter dargestellt werden. Wegen der allgemeinen Bedeutung der Fragen kommt auch die Verletzung des Steuergeheimnisses nicht in Betracht.

 

Die unterzeichneten Abgeordneten richten daher an den Bundesminister für Finanzen nachstehende

 

Anfrage:

 

1.                  Ist es zulässig, dass ein Unternehmer Zahlungen zur Gänze als Aufwendungen, der Empfänger dieser Zahlungen sie aber nicht zur Gänze als Erträgnisse bucht, sondern sie passiv abgrenzt? Ist dies vor allem auch dann zulässig, wenn dem ersten Unternehmer bekannt und für ihn jedenfalls genau feststellbar ist, dass die von ihm bezahlten Beträge über den Anspruch des anderen Unternehmers hinausgehen? Darf also davon ausgegangen werden, dass der erste Unternehmer entgegen der Vorschrift der Rz 2395 der EStR 2000 nicht eine Gegenbuchung auf der Aktivseite vornehmen muss, wenn der andere Unternehmer passiv abgrenzt?

 

2.                  Hat die Zustellung einer unwidersprochen gebliebenen Gutschriftsrechnung nicht zur Folge, dass der Empfänger die gutgeschriebenen Beträge zur Gänze als Erträgnisse buchen muss und hiefür keine passive Abgrenzung vornehmen darf?

 

3.                  Wäre bei Verneinung der ersten Frage nicht eine Steuerpflicht der ARA AG und bei Bejahung der zweiten Frage eine Steuerpflicht der BRG anzunehmen? Was gedenken Sie in diesen Fällen zu tun, um die Einhaltung der steuerrechtlichen Vorschriften sicherzustellen?