4455/J XXII. GP

Eingelangt am 29.06.2006
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

der Abgeordneten Jarolim, Genossinnen und Genossen
an die Bundesministerin für Inneres

betreffend Zusammenführung binationaler gleichgeschlechtlicher Paare im
Fremdenrecht

Die österreichische Rechtsordnung ermöglicht verheirateten Paaren die Familienzusammenführung (§§ 46, 47 Abs. 2, 52 Z. 1, 54, 57 NAG). Gleichgeschlechtliche Familien sind davon ausgeschlossen, ist die Ehe gleichgeschlechtlichen Paaren in Österreich doch immer noch verboten.

Der Ausschluß einer Person von einem Land, in dem nahe Angehörige leben. Kann aber das Grundrecht auf Achtung des Privatlebens - Art. 8 EMRK – verletzen (EGMR: Abdulaziz et. al. vs. UK, 28.05.1985).

Unter der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) besteht daher zumindest in jenen Fällen ein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels, wenn die Verbindung zu Österreich ein wesentliches Element der Beziehung ist und die Partnerschaft nicht zumutbar woanders gelebt werden kann, etwa weil die wirtschaftliche Existenzgrundlage des österreichischen oder im Inland niedergelassenen fremden Partners - und damit diejenige der Lebensgemeinschaft - im Inland liegt (EKMR 03.05.1983 [appl. 9369/81]; schweiz. BGer 25.08.2000 [2A.493/1999]; dt. BVerwG 19.09.2000 [1 C 14.00]; OVG Münster 07.08.1996 [17 A 1093/95]; VGH Kassel 01.08.1997 [7 TZ 1535/97]; frz Conseil d'Etat 28.04.2000, Préfet des Alpes - Maritimes vs Maroussitch and Gisti).

Dies auch mit Blick darauf, dass nach Art. 14 EMRK, Art. 13 EGV und Art. 21 EU-Grundrechtecharta niemand wegen seiner sexuellen Ausrichtung diskriminiert werden darf (EGMR: Salgueiro da Silva Mouta v. Portugal, 21.12.1999, Karner vs. Austria 2003; L. & V. vs. Austria 2003, S.L. vs. Austria 2003, Woditschka & Wilfling vs. Austria 2004, Franz Ladner vs. Austria 2005; Thomas Wolfmeyer vs. Austria 2005; H.G. & G.B. vs. Austria 2005; R.H. vs. Austria 2006; Schweiz BGer 25.08.2000 [2A.493/1999, 4.c.aa]; OLG Graz 24.11.2000, 9 Bs 304/00 [16]; im Grundsätzlichen ebenso OLG Linz 20.02.2001, 7 Bs 328/00 [7f]; VfGH 10.10.2005, G 87-88/05, V 65-66/05).

Demgemäß ermöglichen auch die meisten europäischen Länder die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung auf Basis einer gefestigten gleichgeschlechtlichen Partnerschaft, und die Parlamentarische Versammlung des Europarates hat dazu aufgerufen, binationalen gleichgeschlechtlichen Paaren dieselben Aufenthaltsrechte zu gewähren wie binationalen verschiedengeschlechtlichen Paaren (Rec 1470(2000), 30.06.2000).


Auch die RL 2004/38/EG verpflichtet die Mitgliedstaaten, die Einreise und den Aufenthalt des Lebenspartners zu erleichtern, mit dem ein Unionsbürger eine ordnungsgemäß bescheinigte dauerhafte Beziehung eingegangen ist, ohne mit ihm verheiratet zu sein (Art. 3 Abs. 2).

Demgemäss sieht das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) (BGBl I 2005/100) die Erteilung einer „Niederlassungsbewilligung — Angehöriger" an nicht-eheliche Lebensgefährten vor (§ 47 Abs. 3 Z. 2, § 52 Z. 4, § 56 und § 57 NAG). So begrüssenswert diese neue Regelung ist, so sehr wirft sie erhebliche Fragen auf.

Zum einen beziehen sich diese Bestimmungen ihrem Wortlaut nach nur auf Lebenspartner von EWR-Bürgern, Schweizern und Österreichern, nicht aber auf Lebenspartner von Drittstaatsangehörigen.

Zum anderen wird die Erteilung einer „Niederlassungsbewilligung - Angehöriger" an nicht-eheliche Lebenspartner davon abhängig gemacht, dass die Partnerschaft „im Herkunftsstaat" dauerhaft bestanden hat (§ 47 Abs. 3 Z. 2, § 52 Z. 4, § 56 und § 57 NAG) und dass dem fremden Lebenspartner „tatsächlich Unterhalt geleistet" wird (§ 47 Abs 3 Z. 2 NAG). Beides Anforderungen, die sich in der RL 2004/38/EG nicht finden (Art. 3 Abs. 2). Diese Richtlinie verpflichtet zur Erleichterung der Einreise und des Aufenthalts von nicht-ehelichen Lebenspartnern ohne danach zu unterscheiden, ob die Beziehung bisher in einem bestimmten Staat geführt worden ist oder ob Unterhalt geleistet wird.

Das österreichische Fremdenrecht bot auch vor dem 01.01.2006 für (gleichgeschlechtliche) Partner die Möglichkeit zur Erlangung eines Aufenthaltstitels, wenn die dafür notwendigen materiellen Voraussetzungen, wie etwa Unterhalt und Krankenversicherung auf privatrechtlichem Wege gesichert waren. In einem solchen Fall konnte eine Niederlassungsbewilligung mit dem Zweck „Privat" erteilt werden, wobei die Sicherung des Unterhalts mittels eines notariatsaktpflichtigen Unterhaltsvertrages erfolgen konnte und eine Krankenversicherung vorhanden sein musste (Anfragebeantwortung des Bundesministers für Inneres vom 27.07.2001, 2514/AB XXI.GP). Da durch die exorbitante                             Anhebung            der           Mindesteinkommensgrenze              eine

Niederlassungsbewilligung-Privat" (§ 42 Abs. 1 NAG: feste und regelmässige monatliche Einkünfte von mindestens EUR 1.480,--, ohne in Österreich zu arbeiten) nunmehr praktisch bedeutungslos ist, stellt eine „Niederlassungsbewilligung-Angehöriger" die einzige reelle Möglichkeit dar.

Die unterzeichneten Abgeordneten stellen daher folgende

 

Anfrage

1. Erlaubt das österreichische Fremdenrecht die Erteilung eines Aufenthaltstitels auf Basis einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft mit einem im Bundesgebiet niedergelassenen Drittstaatsangehörigen (der nicht Schweizer Staatsbürger ist)


(abgesehen von der unrealistischen Niederlassungsbewilligung-Privat" gem. § 42 Abs. 1 NAG)?

Wenn ja: welcher Aufenthaltstitel unter welchen Voraussetzungen?

Wenn nein: (a) warum nicht?

(b) was spricht gegen die Schaffung einer solchen Möglichkeit, zumal die RL 2003/86/EG („Familienzusammenführung") dies ausdrücklich vorsieht (Art. 4 Abs. 3)?

2.   Wenn Sie die Frage 1 mit ja beantworten: besteht auf die Erteilung des Aufenthaltstitels ein Rechtsanspruch?

Wenn nein: warum nicht?

3.   Besteht die Möglichkeit der Erteilung eines Aufenthaltstitels auf Basis einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft mit einem im Bundesgebiet niedergelassenen Drittstaatsangehörigen     (der    nicht     Schweizer     Staatsbürger    ist)     durch verfassungskonforme Interpretation des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes und Ziehung eines Analogieschlusses zu den §§ 47 Abs. 2 Z. 3, 52 Z. 4, 56 und 57 NAG (vgl. mutatis mutandis OGH 09.11.2000, 15 Os 136/00; VfGH 17.06.1997, B 592/96)?

Wenn ja: unter welchen Voraussetzungen?

Wenn nein: warum nicht?

4.   Besteht die Möglichkeit der Erteilung eines Aufenthaltstitels auf Basis einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft mit einem im Bundesgebiet niedergelassenen Drittstaatsangehörigen (der nicht Schweizer Staatsbürger ist) auf Grund der "Härteklausel" der §§ 72, 73 NAG?

Wenn ja: unter welchen Voraussetzungen?

Wenn nein: warum nicht?

5.   Wenn Sie die Fragen 1, 3 und 4 mit Nein beantworten: werden Sie eine Gesetzesänderung vorschlagen, durch die die Möglichkeit geschaffen wird, einen Aufenthaltstitel auf Basis einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft mit einem im Bundesgebiet   niedergelassenen   Drittstaatsangehörigen   (der   nicht   Schweizer Staatsbürger     ist)     zu     erlangen    (abgesehen     von    der     unrealistischen Niederlassungsbewilligung-Privat" gem. § 42 Abs. 1 NAG)?

Wenn ja: wann und welchen konkreten Inhalts?

Wenn nein: warum nicht und wie vereinbaren Sie dies mit der Europäischen

Menschenrechtskonvention?

6.   Werden Sie Initiativen zur Umsetzung des Aufrufs der Parlamentarischen Versammlung   des   Europarates,   binationalen   gleichgeschlechtlichen   Paaren dieselben        Aufenthaltsrechte        zu        gewähren        wie        binationalen verschiedengeschlechtlichen (Rec 1470(20()()), 30.06.2000), setzen, sodass auch nicht-eheliche Lebenspartner von Drittstaatsangehörigen einen Aufenthaltstitel auf


Grundlage   ihrer   Lebensgemeinschaft  erhalten  können   (abgesehen   von   der unrealistischen Niederlassungsbewilligung-Privat" gem. § 42 Abs. 1 NAG)?

Wenn ja: wann welche konkret?

Wenn nein: warum nicht?

7.       Kommt es bei der Bestimmung des Herkunftsstaates (§§ 47 Abs. 2 Z. 3, 52 Z. 4, 56 und 57 NAG) auf den Herkunftsstaat des Zusammenführenden oder auf den Herkunftsstaat des Angehörigen an? Bitte geben Sie eine Begründung, zumal das Gesetz dies nicht festlegt.

8.       Was ist der Herkunftsstaat (§§ 47 Abs. 2 Z. 3,  52 Z. 4, 56 und 57 NAG) und wie wird er bestimmt ?

9.       Teilen Sie die Ansicht, dass „Herkunftsstaat" (§§ 47 Abs. 2 Z. 3,  52 Z. 4, 56 und 57 NAG) nicht (nur) das Land ist, dessen Staatsbürgerschaft, ein Antragsteller innehat oder in dem er aufgewachsen ist, sondern (auch) das Land, von dem her er aktuell den Aufenthaltstitel auf Grund der Partnerschaft beantragt, wo er derzeit (zum Zeitpunkt der Antragstellung) aktuell wohnt, seinen Lebensmittelpunkt hat, von dem er nach Österreich herkommt?

 

10.       Wenn Sie die Frage 9. mit Nein beantworten: wie vereinbaren Sie dies mit dem üblichen Verständnis des Wortes „Herkunft", das sich von „Herkommen" ableitet?

11.       Wenn Sie die Frage 9. mit Nein beantworten: wie vereinbaren Sie dies damit, dass Art. 8 (5) lit. e RL 2004/38/EG den Begriff „Herkunftsland" als aliud dem Begriff „Ursprungsland" gegenüberstellt?

12.       Wenn Sie die Frage 9. mit Nein beantworten: wie vereinbaren Sie dies mit den anderen Sprachfassungen der RL 2004/38/EG: „country from which they have come" (Art. 3 Abs. 2 lit. a), „country, from which they are arriving" (Art. 8 Abs. 5 lit. e) und „pays de provenance" (frz., im Gegensatz zu pays d'origine") und „het land van herkomst" (nl; im Gegensatz zu „oorsprong")?

13.    Wenn  Sie  nur  das  Herkunftsland  des  Angehörigen  gelten  lassen  und "Herkunftsland"  auf das  Land  beschränken,  dessen  Staatsangehörigkeit der Fremde hat bzw. wo er aufgewachsen ist (Fragen 7. bis 9.): wie begründen Sie die Verweigerung der Möglichkeit des Aufenthalts für all jene Lebenspartner, die nicht in dem Land leben, dessen Staatsangehörigkeit sie haben oder in dem sie aufgewachsen sind? So etwa einem Chinesen, der mit einem Österreicher in Deutschland eine Lebenspartnerschaft führt und seinem österreichischen Partner nach Österreich folgen möchte. Im Gegensatz zu einem Chinesen, der mit einem Österreicher in China eine Lebenspartnerschaft führt und seinem österreichischen Partner nach Österreich folgen möchte.

Wie vereinbaren Sie eine solch absurde Differenzierung mit dem Recht auf Gleichbehandlung österreichischer Staatsbürger untereinander (solchen mit fremden Lebenspartnern, die im Land ihrer Staatsangehörigkeit oder ihrer Kindheit leben und solchen mit fremden Lebenspartnern, die dies nicht tun) sowie des Rechts auf Gleichbehandlung Fremder untereinander (einerseits fremder    Lebenspartner    von    Österreichern,    die    im    Land    ihrer

Staatsangehörigkeit oder ihrer Kindheit leben und anderseits solchen, die dies nicht tun)?

14.  Wenn Sie die Frage 9. mit Nein beantworten: welchen Aufenthaltstitel können Lebenspartner (von Österreichern, Schweizern und EWR-Bürgern) auf Grundlage der (gleichgeschlechtlichen) Partnerschaft erlangen, um mit ihrem Lebenspartner dauerhaft in Österreich leben zu können, wenn sie ihre Beziehung bisher nicht in dem Land gelebt haben, dessen Staatsangehörigkeit sie haben oder in dem sie aufgewachsen sind? Welche Voraussetzungen und Bedingungen sind dafür zu erfüllen?

15.   Wenn Sie die Frage 9. mit Nein beantworten: wie rechtfertigen Sie den Rückschritt gegenüber der Rechtslage vor dem 01.01.2006, die (gleichgeschlechtlichen) Lebenspartnern zumindest die Erlangung einer „Niederlassungsbewilligung-Privat" unter realistischen Bedingungen ermöglichte?

16.  Wenn Sie die Frage 9. mit Ja beantworten: teilen Sie die Ansicht, dass für jene Fremden, die ihren Lebenspartner zu einem Zeitpunkt kennenlernen, zu dem sie bereits in Österreich leben (zB als Studierende), der „Herkunftsstaat" (§§ 47 Abs. 2 Z. 3,   52 Z. 4, 56 und 57 NAG) Österreich ist, weil sie (soweit es den aktuell beantragten Aufenthaltstitel auf Grundlage der Partnerschaft betrifft) (nicht aus einem anderen Land sondern) aus Österreich „herkommen"?

17.        Wenn Sie die Frage 16. mit Nein beantworten: welchen Aufenthaltstitel (abgesehen von der unrealistischen Niederlassungsbewilligung-Privat" gem. § 42 Abs.     1    NAG)    kann    ein    fremder    Studierender    auf    Grundlage    der (gleichgeschlechtlichen) Partnerschaft erlangen, um mit seinem österreichischen Lebenspartner   dauerhaft   in   Österreich   leben   zu  können,   wenn   er   seinen österreichischen Lebenspartner zu einem Zeitpunkt kennenlernt, zu dem er (der Studierende)    bereits    in    Österreich    lebt?    Welche    Voraussetzungen   und Bedingungen sind dafür zu erfüllen?

18.        Wenn Sie die Frage 16. mit Nein beantworten: wie rechtfertigen Sie den Rückschritt     gegenüber     der     Rechtslage     vor     dem     01.01.2006,     die (gleichgeschlechtlichen) Lebenspartnern in solchen Situationen zumindest die Erlangung     einer     „Niederlassungsbewilligung-Privat"     unter     realistischen Bedingungen ermöglichte?

19.        Wenn Sie die Frage 16. mit Nein beantworten, so bedeutet dies, dass einem fremden Lebenspartner (eines Österreichers), der noch im Ausland lebt, die Möglichkeit  offen   steht,   auf Grundlage   der  Partnerschaft   nach   Österreich einzuwandern, einem fremden Lebenspartner (eines Österreichers), der bereits in Österreich lebt (zB als Studierender), es jedoch verwehrt wäre, auf Grundlage der Partnerschaft in Österreich zu bleiben. Wie rechtfertigen Sie es, einen Fremden, der noch keinerlei Bezug zu Österreich hat,  gegenüber einem Fremden zu bevorzugen, der in Österreich bereits aufhältig und (auf Grund seiner hier gelebten dauerhaften Partnerschaft) sozial integriert ist?

 

20.   Wie vereinbaren Sie die Anforderungen „im Herkunftsstaat" (§ 47 Abs. 3 Z. 2, § 52 Z. 4, § 56 und § 57 NAG) und der „tatsächlichen Unterhaltsleistung" (§ 47 Abs 3 Z. 2 NAG) mit der RL 2004/38/EG, in der sich solche Einschränkungen

nicht finden (Art. 3 Abs. 2), weshalb diese Richtlinie zur Erleichterung der Einreise und des Aufenthalts von nicht-ehelichen Lebenspartnern verpflichtet, ohne danach zu unterscheiden, ob die Beziehung bisher in einem bestimmten Staat geführt worden ist oder ob Unterhalt geleistet wird?

21. Welchen Aufenthaltstitel können Lebenspartner (von Österreichern, Schweizern und EWR-Bürgern, die ihr Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen haben; 2. Hauptstück NAG) auf Grundlage der (gleichgeschlechtlichen) Partnerschaft erlangen, um mit ihrem Lebenspartner dauerhaft in Österreich leben zu können, wenn ihnen nicht Unterhalt geleistet wird (etwa weil sie selbst über genügend Mittel verfügen, wenn auch nicht ausreichend für eine Niederlassungsbewilligung gem. § 42 Abs. 1 NAG)?