4706/J XXII. GP
Eingelangt am 12.09.2006
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
DRINGLICHE ANFRAGE
(gemäß § 93 Abs. 2 GOG-NR)
der Abgeordneten Dr. Alfred Gusenbauer
und GenossInnen
an die Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur
betreffend „Chaos in der Bildungspolitik"
Seit Beginn des neuen Schuljahres
werden die Mandatare der SPÖ mit einer Flut an
Beschwerden von SchülerInnen, Eltern
und LehrerInnen konfrontiert. Die Kritik richtet sich
gegen die zu hohe Anzahl von SchülerInnen in den Klassen aller
Schultypen, gegen nicht
ausreichend vorhandene Schulplätze in
den berufsbildenden mittleren und höheren Schulen
für SchülerInnen, die die Voraussetzungen dafür
hätten; gegen die viel zu hohen Kosten für
den privaten Nachhilfeunterricht - im heurigen Sommer schätzungsweise
insgesamt 50 Mio.
Euro - für SchülerInnen, die eine Wiederholungsprüfung
absolvieren müssen; gegen den Kauf
von Schulbüchern, die Eltern trotz der Schulbuch-Aktion selbst bezahlen
müssen, da sie für
einzelne Unterrichtsgegenstände nicht vorhanden sind; gegen das
Nichtverlängern von
LehrerInnen-Dienstverträgen und gegen
endlos lange Wartelisten für AbsolventInnen von
Lehramtsstudien, die dringend auf eine Anstellung warten. Einige junge
LehrerInnen wollen
eine Familie gründen, haben aber Angst, ihren Job zu verlieren!
Eine
kürzlich im Auftrag des Gallup-Instituts durchgeführte Umfrage
untermauert die Sorgen
der
Menschen über die Zukunft ihrer Kinder: 64 % der ÖsterreicherInnen
sind mit dem
Ausbildungsniveau in
den Schulen nicht zufrieden. Fast alle Eltern sind der Meinung, dass
sich das Schulsystem in den letzten Jahren verschlechtert hat. Die Ursache
für diese enorme
Unzufriedenheit liegt im radikalen Sparkurs, den die Schüssel-Regierung
seit ihrem
Amtsantritt in der Bildungspolitik gefahren ist - so betrug der Anteil des
Unterrichtsbudgets
1999 noch 2,77 % des BIP, 2006 ist der Anteil auf 2,36 % gesunken - und bei den
Schulen
katastrophale Auswirkungen zeigt: Durch
LehrerInnen-Abbau - allein in den Pflichtschulen
5.500 - und durch die Kürzung von Unterrichtsstunden kann das
ursprünglich vielfältige
Angebot im Unterricht, welches das
österreichische Schulsystem einmal kennzeichnete, nicht
mehr aufrecht erhalten werden. Insbesondere der Förderunterricht
für Lernschwache, aber
auch für Begabte und Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf
sowie die Integration
von Kindern mit nichtdeutscher Muttersprache sind betroffen. Mathematik,
Naturwissenschaften,
Sprachen, Sport und die musisch kreativen Fächer fielen dem Schüssel-
Grasser-Gehrer-Kahlschlag
ebenfalls zum Opfer.
Die Folgen für die
betroffenen SchülerInnen und Eltern: Überfüllte Klassen, viele
Kleinschulen mussten geschlossen werden -
die Chancengleichheit ist auf der Strecke
geblieben!
Viele
Studien beweisen, dass Kinder aus bildungsferneren Schichten und aus Haushalten
mit
niedrigem
Einkommen kaum mehr Chancen auf eine höhere Bildung haben. Unser
Schulsystem ist in
den Schüssel-Jahren äußerst selektiv geworden und es ist nicht
gelungen,
soziale Unterschiede im Bildungswesen zu kompensieren.
Eine Studie der
Österreichischen Raumordnungskonferenz unter dem Titel
„Räumliche
Disparitäten im österreichischen Schulsystem" macht darauf
aufmerksam, dass die
Bildungschancen ist Österreich
regional ungleich verteilt sind. Die Übertrittsquoten von der
Volksschule in die AHS-Unterstufe schwanken je nach politischem Bezirk
beträchtlich
zwischen unter 1 % bis über 70 %. Grund für die ungleichen
Bildungschancen ist die
mangelnde Verfügbarkeit von allgemein bildenden höheren Schulen nahe
dem Wohnort.
Univ.-Prof.
Dr. Heinz Fassmann vom Institut für Geographie und Regionalforschung an
der
Universität Wien
fasst zusammen: „Der räumliche Wohnstandort ist neben Einkommen und
sozialer Herkunft der Eltern bzw.
persönlicher Begabung einer der drei wesentlichen Faktoren
für die Bildungschancen und er warnt davor, dass das Netz der
Standorte von höheren
Schulen angesichts sinkender SchülerInnenzahlen nicht ausgedünnt
werden darf. Generell
lasse sich sagen, dass ,in den peripheren
Gebieten Bildungsreserven liegen, die gehoben
werden könnten'. Die Unterschiede zwischen Hauptschule und
AHS-Unterstufe würden in der
weiteren Bildungskarriere im Prinzip fortdauern". (Salzburger Nachrichten,
27.6.2006)
Die zunehmend schleichende
„Privatisierung" des öffentlichen Schulwesens reduziert die
Chancen der österreichischen Kinder: Nicht nur durch ständig
steigende private Kosten für
die Nachhilfe - mittlerweile sind es insgesamt 140 Mio. Euro jährlich - müssen
die Eltern
noch zusätzlich Geld für fehlende
Schulbücher, Unterrichtsmaterialien, Nachmittagsbetreuung
und Schulveranstaltungen berappen - das sind bereits für jedes Kind
1.850 Euro jährlich!
Die nach wie vor zu
hohen Drop out- und Repetentenquoten belasten das Budget mit 300
Mio. Euro (der Staat zahlt für Schulplatz, Familienbeihilfe,
Schulbücher und
SchülerInnenfreifahrt) und die
Familien ebenso mit 300 Mio. Euro (zusätzlicher Unterhalt
und Verdienstentgang) - das sind
insgesamt 600 Mio. Euro!
Verschärft wird die Situation
dadurch, dass die Schüssel-Regierung die SchülerInnen-Beihilfe
seit sechs Jahren nicht angehoben und den BezieherInnenkreis nicht erweitert
hat.
Ganz besonders verantwortungslos war das
„Nichthandeln" der Bildungsministerin im
Zusammenhang mit dem schlechten Abschneiden Österreichs im
internationalen PISA-
Vergleich. Wenn rund 20 % der 15-Jährigen Mängel beim
Schreiben, Lesen und in
Mathematik aufweisen, hätten alle Alarmglocken im Bildungsministerium
schrillen müssen.
Zunächst wurden die PISA-Ergebnisse heruntergespielt und nicht ernst
genommen.
Schließlich wurde eine „Zukunftskommission" unter der Leitung
von Günter Haider, die
Vorschläge zur Verbesserung des Bildungssystems erarbeiten sollte,
eingesetzt. Die Experten
der Zukunftskommission haben einen umfangreichen Reformkatalog - der z.B. ein
verpflichtendes Vorschuljahr, das Recht
jedes Schülers und jeder Schülerin auf einen
Ganztagsschulplatz, den Ausbau des sprachlichen Förderunterrichts,
das Einschränken der
Klassenwiederholungen, eine Stärkung der Schulpartnerschaft und neue
Ausbildungsmodelle
für Lehr- und Erziehungsberufe,
beinhaltet - vorgelegt. Aber anstatt diese Forderungen der
Zukunftskommission ernst zu nehmen
und rasch umzusetzen, trennte sich Bildungsministerin
Elisabeth Gehrer im Streit vom Leiter der Zukunftskommission,
Günter Haider, weil ihr die
Vorschläge zu weit reichend waren. Von ÖVP-Bildungssprecher Abg.
Werner Amon wurden
sogar unwahre und ehrenrührige Behauptungen über die Arbeit des
Leiters in die Welt
gesetzt. Bis zuletzt wurde Günter
Haider vom ÖVP-Bildungssprecher heftig kritisiert. So geht
die Schüssel-ÖVP mit unabhängigen Wissenschaftern um!
Auf Druck der
SPÖ wurde schließlich die Zwei-Drittel-Erfordernis bei den
Schulgesetzen
beseitigt, die Schüssel-Regierung
verabsäumte aber die dringend notwendigen Schulreformen,
die von ihrer eigenen Zukunftskommission vorgeschlagen worden sind!
Aufhorchen
ließ hingegen ÖVP-Bildungssprecher Werner Amon, der gegenüber
der APA am
30.
August 2006 betonte, „dass die ÖVP weiter auf das ,gute
differenzierte Bildungssystem'
setzt. Dies bedeutet,
dass man die Kinder und Jugendlichen dort abholen müsse, wo sie
derzeit stehen. Künftig müsse
aber stärker danach getrachtet werden, dass die Kinder auch in
der richtigen Schule sitzen und nicht permanenter Überforderung
ausgesetzt seien. Deshalb
sollte man bereits bei der Zulassung darauf achten, ob die Kinder auch die
Reife- bzw. die
Leistungsfähigkeit haben, in eine bestimmte Schule zu gehen."
Damit ist die „konservative
Katze" wieder einmal aus dem Sack. Die ÖVP wünscht sich
Aufnahmeprüfungen für die
allgemein bildenden höheren Schulen und will uns damit in die
„pädagogische Finsternis" ihrer Alleinregierung in den
60iger Jahren des vorigen
Jahrhunderts zurück katapultieren. Geht es nach der ÖVP, soll
höhere Bildung nur einer
kleinen, ökonomisch starken Elite zugute kommen!
Die
Bildungsmisere, die die Schüssel-Regierung zu verantworten hat, setzt sich
bei den
österreichischen
Universitäten, an denen das Chaos herrscht, fort.
Die
Wissenschaftspolitik wurde in den vergangenen Jahren von StudentInnen,
UniversitätsprofessorInnen sowie von hochrangigen in- und
ausländischen Wissenschaftern
heftig kritisiert. Die Universitäten wurden ohne ausreichende finanzielle
Ausstattung in die
Autonomie entlassen. Zunächst wurde die Einführung von
Studiengebühren in Abrede
gestellt, bis sie
schließlich überfallsartig beschlossen wurden. Nahezu unglaubliche,
katastrophale Zustände prägen die
Entwicklung seit dem Jahr 2000: Total überfüllte Hörsäle;
zu wenig Seminar- und Laborplätze; Absagen von Lehrveranstaltungen;
moderne Geräte
können nicht mehr eingesetzt werden,
weil die Reparatur zu teuer ist. Jene StudentInnen,
UniversitätsprofessorInnen und RektorInnen, die die miserablen
Zustände anprangerten,
wurden „OberlehrerInnenhaft" von Bildungsministerin Gehrer
gemaßregelt.
Die Demokratie an den Hochschulen wurde abgeschafft und die Bundesvertretung
der
Österreichischen Hochschülerschaft wurde durch den Wegfall der
Direktwahl zerschlagen.
Auf das sich bereits
lange abzeichnende EuGH-Urteil, wonach ausländische Studierende,
auch wenn sie in ihrem Heimatland keinen Studienplatz bekommen, in
Österreich studieren
können, war die Schüssel-Regierung völlig unvorbereitet und
reagierte mit einem „Husch-
Pfusch"-Initiativantrag, der den
Universitäten erlaubte, Studienbeschränkungen in vielen
Fächern einzuführen. Das führte zu chaotischen,
ungerechten und unzumutbaren Zuständen
an den Universitäten bei der
Inskription. Die Auswahl erfolgte oft per Los oder durch nahezu
aussichtlose Zugangstests.
Einen neuen Höhepunkt
erreichte die unprofessionelle Wissenschaftspolitik vor kurzem bei
den Medizin-Universitäten Wien und
Innsbruck. Dort wäre es aufgrund der „Quotenregelung",
wonach 75 % der Studienplätze an
InländerInnen, 20 % an EU-StudentInnen und 5 % an
sonstige AusländerInnen gehen
müssen, zu einem schikanösen „Quotentourismus"
gekommen. Da die beiden
Medizin-Universitäten ein gemeinsames Aufhahmeverfahren
durchgeführt haben, aber die
Quoten für jeden Standort gelten, hätten rund 60 Studierende aus
Wien nach Innsbruck und 60 Studierende, die ursprünglich in
Innsbruck studieren wollten,
nach Wien übersiedeln müssen, was
mit unnötigen Kosten und Belastungen für die
Studierenden verbunden ist. Erst die Ankündigung der SPÖ,
dieses Thema bei der heutigen
Sondersitzung zu behandeln und dazu einen Antrag einzubringen, hat die
Bildungsministerin
zum Erlass einer Verordnung gezwungen, die - welch Zufall - heute schon in
Kraft treten soll.
Bildungsministerin
Gehrer hat einmal mehr dieses Problem lange Zeit ignoriert und nicht
gehandelt! Die von
ihr zu verantwortende „Quotenregelung" wird derzeit wieder einmal
von
der EU-Kommission auf ihre EU-Tauglichkeit
überprüft.
Tausende Studierende müssen
in vielen Studienrichtungen ihr Studium unfreiwillig
unterbrechen, weil es aufgrund mangelnder
Ressourcen nicht möglich ist, das Studium
fortzusetzen. So müssen trotz
der zusätzlichen 120 Plätze, die an der Medizin-Universität
Wien jetzt geschaffen wurden, nach wie vor mehr als 200 Studierende der
Human- und
Zahnmedizin ein Jahr das Studium aussetzen,
obwohl sie die entsprechende
Jahresabschlussprüfung bestanden haben. Sie müssen während
dieser Zeit weiter
Studiengebühren zahlen und verlieren aber ihre Familien- und
Studienbeihilfe. Auch da
zeigen sich die soziale Kälte und die Ignoranz der Bildungsministerin.
Aufgrund heftiger Proteste hat
schließlich die Schüssel-Regierung angekündigt, ab dem Jahr
2007 den Universitäten eine Milliarde Euro mehr zur Verfügung zu
stellen. Das ist wieder
einmal ein leeres Versprechen, da es dazu keinen Beschluss des Nationalrates
gibt und
darüber hinaus eine „Mogelpackung" darstellt. Für die
dringenden Investitionen wären schon
für 2004, 2005 und 2006 je 100 Mio. Euro notwendig gewesen, wie dies auch
von den
Rektoren gefordert worden ist. Die „Uni-Milliarde" beträgt
lediglich 500 Mio. Euro, denn die
zweiten 500 Mio. Euro fließen in längst aufgeschobene
Gebäudesanierungen. Die so eifrig
beworbenen 500 Mio. Euro decken kaum mehr
als den dringend nötigen Aufholbedarf nach
mehrjähriger Verweigerung ausreichender Budgetmittel.
Wie ernst es
der Schüssel-Regierung mit der Wissenschaftspolitik wirklich ist, zeigt
die
Entwicklung des
Budgets für die Universitäten in den letzten sechs Jahren.
Während im Jahr
1999 der Anteil des Hochschulbudgets am BIP
noch 1,22 % betrug, sind es im Jahr 2006 nur
noch 0,78 %. Besonders hart getroffen wurden die StudentInnen aus
Familien mit niedrigem
Einkommen, denn die Studienbeihilfen wurden
in diesen Jahren nicht erhöht, aber
Studiengebühren eingeführt!
Die
Bildungspolitik der Schüssel-Regierung hat zu einem Bildungsnotstand
geführt, die
Zukunftschancen unserer
Jugend wurden verspielt!
Die
unterzeichneten Abgeordneten richten daher an die Bundesministerin für
Bildung,
Wissenschaft
und Kultur nachstehende
Anfrage:
1. Warum weigern Sie sich, aktuelle,
detaillierte Daten über die KlassenschülerInnen-
Zahlen in allen
Schularten vorzulegen und die KlassenschülerInnen-Höchstzahl sofort
auf 25 zu senken, wie es SchülerInnen,
Eltern und LehrerInnen fordern?
2.
Warum
weigerten Sie sich, die Vorschläge Ihrer eigenen Zukunftskommission rasch
umzusetzen?
3.
Warum weigerten Sie sich, die Kürzungen bei den Unterrichtsstunden
zurückzunehmen?
4.
Wie vielen LehrerInnen - aufgeschlüsselt nach einzelnen Schularten
- werden heuer
ihre Verträge
nicht mehr verlängert?
5.
Warum weigerten Sie sich, zusätzliche LehrerInnen-Dienstposten
für den raschen,
flächendeckenden
Ausbau von Ganztagsschulplätzen zur Verfügung zu stellen?
6.
Warum weigerten Sie sich, zusätzlich 800 LehrerInnen-Dienstposten
für die
Sprachförderung
- wie es die Landeshauptleute gefordert haben - zur Verfügung zu
stellen?
7.
Sind Sie
dafür, wieder Aufnahmeprüfungen für die allgemein bildenden
höheren
Schulen einzuführen, wie es
ÖVP-Bildungssprecher Werner Amon gefordert hat?
8.
Warum
weigerten Sie sich, noch heuer den Universitäten die notwendigen
finanziellen
Mittel, vor allem für jene Studienrichtungen, die sie dringend brauchen
(z.B.
Medizin), zur Verfügung zu stellen?
9. Warum weigerten Sie sich, die unsozialen Studiengebühren abzuschaffen?
10.
Warum
weigerten Sie sich, die SchülerInnen- und Studienbeihilfen zu erhöhen
und
den BezieherInnenkreis auszuweiten?
In formeller Hinsicht
wird verlangt, diese Anfrage im Sinne des § 93 Abs. 2 GOG-NR
dringlich zu behandeln.