4711/J XXII. GP

Eingelangt am 12.09.2006
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ANFRAGE

 

 

der Abgeordneten Glawischnig-Piesczek, Freundinnen und Freunde

 

an den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft

 

betreffend falsche Prioritäten bei der Altreifenverwertung

 

Die Verwertung von Altfahrzeugen ist in Österreich über die Altfahrzeuge-Verordnung geregelt, die seit 6. November 2002 in Kraft ist und auf der EU Richtlinie 2000/53/EG basiert. Dabei ist, beginnend mit dem Kalenderjahr 2006, der Nachweis der Erreichung der vorgegebenen Verwertungsquoten von Altfahrzeugen zu erbringen: 85% Gesamtverwertung, davon 80% stoffliche Verwertung, d.h. maximal 15% Beseitigung. (Ab 2015 gilt eine verschärfte Zielvorgabe von: 95% Gesamtverwertung – 85% stoffliche Verwertung, d.h. max. 5% Beseitigung).

 

Es ist zu befürchten, dass diese Zielvorgaben deutlich verfehlt werden. Laut der Studie „Evaluierung der Maßnahmen und Ziele der österreichischen Altfahrzeugeverordnung im Hinblick auf die Umsetzung der Richtlinie 2000/53/EG“ der UV&P (Umweltmanagement-Verfahrenstechnik Neupacher & Partner GesmbH) im Auftrag des BMLFUW ergibt sich eine durchschnittliche Gesamtverwertungsquote von 79% (Bemessungsgrundlage 2004).

Zeitgleich mit dem In-Kraft-Treten der gegenständlichen Verordnung ist ein Rückgang der Altfahrzeugeverwertung bei den österreichischen Shredderbetrieben zu verzeichnen: Im Jahr 2003 wurden rund 28% weniger Altfahrzeuge – insgesamt nur noch 92.188 – einer ordnungsgemäßen Verwertung in einen österreichischen Shredder zugeführt. Im Jahr 2002 waren es noch 127.000.

(Anmerkung: wenn rund 60% aller alten Fahrzeuge in Richtung Kasachstan, Pakistan oder Afrika verschoben werden und dort absehbar früher oder später ohne Recycling in der Landschaft beseitigt werden, beträgt die Zielverfehlung über 50%, tendenziell weiter steigend).

 

Vor allem Altreifen haben das Potential, einen wichtigen Beitrag zur Quotenerfüllung bei der stofflichen Verwertung zu leisten (bei ca. 43 kg je Altfahrzeug rund 4,5%).

 

Die Situation in Österreich sieht allerdings anders aus: der thermischen Verwertung wird aufgrund von betriebswirtschaftlichen Überlegungen gegenüber der stofflichen Verwertung von Altreifen der Vorzug gegeben. Der Übernahmepreis beträgt derzeit bei der stofflichen Verwertung 70 Euro pro Tonne (Senkungspotential auf ca. 50 Euro pro Tonne bei gesteigerter Produktionskapazität), bei der thermischen Verwertung zwischen 10 bzw. 30 Euro pro Tonne.

 

Dabei ermöglicht die stoffliche Verwertung, wie sie in  Österreich in der Anlage der GVG am Standort Ohlsdorf bereits etabliert ist, beachtliche Einsparungen an Energie und Ressourcen, wie ein Vergleich der spezifischen Energieaufwendungen (bezogen auf den Primärenergieaufwand) und des Heizwertes zeigt (Datenquelle: www.EnTire-Engineering.de/2006):

 

 

kWh/kg

Herstellung der Kautschukmischung, inkl. der mechanischen Bearbeitung

25,0

Heizwert von Altreifen

9,0

Energieaufwand für die Zerkleinerung für Korngröße von ca. 0,5 bis 1,5 mm

1,2

 

Tabelle 1 – Vergleich der spezifischen Energieaufwendungen und des Heizwertes

 

Für die Herstellung einer Kautschukmischung aus Primärmaterial wird ein Energieaufwand von 25 kWh/kg benötigt. Für die Rückgewinnung der gleichen Masse aus Altreifen (als Sekundärrohstoff) wird hingegen nur ein Energieaufwand von 1,2 kWh/kg benötigt. Das bedeutet, dass damit 23,8 kWh/kg (entspricht 85,7 MJ/kg) Herstellungsenergie eingespart werden.

Dem gegenüber können mit einer thermischen Verwertung nur 9,0 kWh/kg erzielt werden (entspricht 32,4 MJ/kg).

Der energetische Nutzen beträgt somit bei der stofflichen Verwertung von Altreifen im Vergleich zur thermischen Verwertung das mehr als 2,6 fache.

 

Die hergestellten Gummigranulate und Gummimehle sind potentiell bedeutende Rohstoffe für verschiedene Gummiprodukte (Matten, Profile, Formteile, Beschichtungen), Gummiasphalt (Verlängerung der Nutzungsdauer in der Fahrbahndecke, Lärmminderung) und innovative Kunststofflegierungen.

 

Derzeit werden jährlich rund 30.000 t Altreifen pro Jahr in der Zementindustrie thermisch verwertet.

 

Noch drastischer wird die Situation der Altreifenverwertung in der Fachzeitschrift Umweltschutz (09/2004) dargestellt: mit passiver Duldung der Behörden bestehen riesige „wilde“ Altreifenlager (Bsp. Großwarerasdorf im Burgenland und Neuseiersberg in der Steiermark). Darüber hinaus werden Altreifen bzw. Altreifenschnitzel illegal zur ehemaligen Uranmine im tschechischen Mydlovary exportiert, um dort als Abdeckmaterial der strahlenden Schlammdeponie zu dienen. Diese Art der Verwertung birgt nicht zuletzt die Gefahr eines Oberflächen- als auch Schwelbrandes in sich.

 

Es ist nicht nachvollziehbar, dass die Verbrennung gegenüber dem Recycling von Altreifen bevorzugt wird, obwohl die Umsetzung der Altfahrzeugrichtlinie in Österreich ohne stoffliche Altreifenverwertung bereits ab 2006 als gescheitert zu bezeichnen ist.  Das Prinzip der Nachhaltigkeit erfordert eindeutig die mechanische Aufbereitung und werkstoffliche Verwertung von Altreifen. Zusätzlich steht die Verbrennung von Altreifen im Widerspruch zur IPPC-Richtlinie 96/61/EG: IPPC-Anlagen (z.B. Zementklinkeröfen mit mehr als 500t/Tag Produktionskapazität) sind grundsätzlich nicht mehr genehmigungsfähig. Die Verbrennung von Altreifen in unzureichend ausgestatteten Anlagen führt zwangsläufig zu Restemissionen von toxikologischem Cadmium und Cadmiumverbindungen.

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

 

 

 

ANFRAGE:

 

1.      Wird die Verbrennung von Altreifen in der Zementindustrie in einer „Positivliste“ des Umweltministers trotz gegenteiliger ökologischer und abfallwirtschaftlicher Gesetzesbestimmungen aufgenommen? Falls ja, mit welcher Begründung?

2.      Gibt es einen konkreten Plan, wie die Zielvorgaben der Altfahrzeugerichtlinie erreicht werden soll? Falls ja, bitte um konkrete Darstellung des Plans. Falls nein, warum nicht bzw. bis wann wird ein solcher Plan vorliegen?

3.      Welche konkreten Maßnahmen werden Sie vorbereiten und bis wann tatsächlich umsetzten, um die werkstoffliche Verwertung von Altreifen wirtschaftlich sicherstellen zu können (Anmerkung: Beispiele für die Sicherstellung der Finanzierung der stofflichen Altreifenverwertung liegen aus Ländern wie Frankreich und Portugal bereits vor)? Bitte um genaue Angaben.

4.      Wann werden die illegalen Altreifenlager (Neuseiersberg und Großwarersdorf) geräumt? Wie soll dies im Hinblick auf eine gesetzeskonforme werkstoffliche Verwertung finanziert werden?

5.      Welche Altreifenmengen wurden in den Jahren 2000, 2001, 2002, 2003, 2004, 2005 und 2006 (Prognose) mit Genehmigung des Umweltministeriums zu welchen Anlagen exportiert? Welche Kontrollen sind dazu mit welchen Erkenntnissen erfolgt? Bitte um genaue Angaben.

6.      Existieren Quoten der Altfahrzeugeverwertung (Gesamtverwertungsqoute und stoffliche Verwertungsquote) für die Jahre 2000, 2001, 2002, 2003,2004, 2005? Falls ja, bitte um Auflistung. Falls nein, warum nicht?