2/JPR XXII. GP

Eingelangt am 11.04.2003
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

 des Abgeordneten Dr. Jarolim

an den Präsidenten des Nationalrates

betreffend dessen problematische Rolle im Zusammenhang mit einer höchst zweifelhaften

Geschichtsumdeutung zu Gunsten des Zerstörers der österreichischen Demokratie Engelbert

Dollfuß

Am 2. April 2003 präsentierte Nationalratspräsident Dr. Andreas Khol das neue Werk des
Münchner Universitätslehrers Gottfried K. Kindermann „Österreich gegen Hitler".

Bei dieser Buchpräsentation, welche im Parlament stattfand, wurden die austrofaschistische
„Vaterländische Front" und Engelbert Dollfuß zu Widerstandskämpfern gegen Hitler
hochstilisiert und die Sozialdemokratie als Totengräber von Österreichs Eigenständigkeit
diffamiert. Der Autor des Buches unterstützte an diesem Abend auch die Geschichtslüge, dass
sich das österreichische Parlament im März 1933 „selbst ausgeschaltet" habe, während
inzwischen jeder weiß, dass das Regime Dollfuß den Wiederzusammentritt des Nationalrates
mit Waffengewalt und brutalen Polizeimitteln verhindert hat.

Bei dieser Veranstaltung hat Präsident Dr. Khol laut PK-Aussendung OTS 221 sich „namens
der Österreichischen Volkspartei und des österreichischen Nationalrates" bei Autor Gottfried
Karl Kindermann für dessen Buch bedankt.

In einem Bericht der Parlamentssendung des ORF über diese Veranstaltung, ausgestrahlt am
6. April 2003, nannte Präsident Dr. Khol die Geschichtsperiode 1933 bis 1938 „die
faszinierendste Zeit unserer Geschichte".

Folgende wesentliche Fakten blieben bei dieser Veranstaltung und vom Herrn
Parlamentspräsidenten (weitgehend) ausgeblendet:                                                                                                             > Die Rolle von Engelbert Dollfuß als Zerstörer des österreichischen Parlamentarismus
   und der österreichischen Demokratie. Erst durch die Ausschaltung des Parlaments und
   die Etablierung einer unmenschlichen Diktatur wurde der Boden dafür aufbereitet, dass
   der Nationalsozialismus 1938 in Österreich siegen konnte. Wäre die Sozialdemokratie


nicht verboten, die Demokratie nicht abgeschafft und die Arbeiterschaft nicht in die
Illegalität gezwungen worden, wäre die Geschichte der Republik Österreich wohl
anders und viel besser verlaufen.

>  Engelbert Dollfuß steht für die Wiedereinführung des Standrechtes und der Todesstrafe.
Er ist verantwortlich für die grausame Ermordung zahlreicher österreichischer Patrioten:
Zu Recht wurde ihm die Bezeichnung „Arbeitermörder" verpasst.

>  Engelbert Dollfuß hat den österreichischen Verfassungsgerichtshof ausgeschaltet,
Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes wurden zum Rücktritt veranlasst, er steht für
Verfassungsbruch.

>  Engelbert Dollfuß ist der Schöpfer der austrofaschistischen Verfassung, welche einen
antidemokratischen Charakter hatte und in der alles Recht nicht vom Volk sondern „von
Gott dem Allmächtigen" ausging.

Angesichts der Tatsache, dass im Parlament unter der Patronanz des Nationalratspräsidenten
abenteuerliche revisionistische Thesen verkündet wurden, die substantiell vom mühsam
errungenen geschichtlichen Grundkonsens der Zweiten Republik abweichen, richtet der
unterzeichnete Abgeordnete daher an den Präsidenten des Nationalrates
nachstehende

Anfrage:

1.        Halten Sie es für richtig, dass Sie dem Autor des in der Einleitung genannten Buches
im Namen des gesamten Nationalrates und nicht nur im Namen der ÖVP für dessen
revisionistische, vom Grundkonsens der Zweiten Republik abweichende Thesen
gedankt haben?

2.        Wie vereinbaren Sie Ihre Vorgangsweise mit Ihrer jüngst gemachten Ankündigung,
parteipolitische Stellungnahmen nicht im Nationalrat sondern in der ÖVP-Zentrale
abzugeben?

3.         Halten Sie es für die österreichische Demokratie und den österreichischen

Parlamentarismus für förderlich, dass Sie als Nationalratspräsident im Parlament dem
Verbreiten von Thesen, die gelinde gesagt in höchstem Maße problematisch und
geschichtsumdeutend sind, in diesem Ausmaß die Ehre geben?


4.         Wie beurteilen Sie die Ansicht des genannten Autors, wonach sich das Parlament im
Jahr 1933 „selbst ausgeschaltet" habe, während in Wirklichkeit danach die
Abgeordneten durch Polizeigewalt des Regimes Dollfuß am Wiederzusammentritt
gehindert wurden?

5.        Wie beurteilen Sie die Rolle von Engelbert Dollfuß als Zerstörer der österreichischen
Demokratie und des österreichischen Parlamentarismus?

6.         Engelbert Dollfuß wurde als Mensch ein tragisches Opfer des nationalsozialistischen
Terrors. Teilen Sie aber nicht die Auffassung, dass seine Politik - Zerstörung der
Demokratie, Illegalisierung der Arbeiterbewegung - den Boden wesentlich dafür
aufbereitet hat, dass letztendlich im Jahr 1938 in Österreich das nationalsozialistische
Terrorsystem siegen konnte?
Wenn ja, warum?
Wenn nein, warum nicht?

7.         Die Geschichtsperiode von 1933, respektive 1934 bis 1938 war gekennzeichnet durch
Diktatur, Ende der Menschenrechte und Bürgerrechte, Massenarbeitslosigkeit,
gewalttätige Unterdrückung der Arbeiterschaft, Ende sozialer und aller politischen
Rechte etc. Wie kommen Sie zu der in der Parlamentssendung des ORF vom 6. April
2003 abgegebenen Einschätzung, dass diese Periode „die faszinierendste Zeit unserer
Geschichte" sei?

8.         In der ständestaatlichen Verfassung von 1934 steht : „Im Namen Gottes, des

Allmächtigen, von dem alles Recht ausgeht, erhält das österreichische Volk für einen
christlichen, deutschen Bundesstaat aufständischer Grundlage diese Verfassung." Stellt
diese Präambel in irgendeiner Weise ein Vorbild für Ihre als Nationalratspräsident
dargestellte Idee dar, dass ein Hinweis auf Gott in die Bundesverfassung unserer
demokratischen Republik aufgenommen werden sollte?

9.         Wie beurteilen Sie die Tatsache, dass im Parlament (im ÖVP-Parlamentsklub) ein Bild
des Zerstörers der parlamentarischen Demokratie in Österreich, Engelbert Dollfuß,
offenbar zu dessen Verherrlichung, hängt?

10.      Wie beurteilen Sie im dargestellten Zusammenhang die von Ihnen gebotene

Gesamtdarstellung im Hinblick auf die hohe Verantwortung, die auf einem Präsidenten
des Nationalrates lastet?