Stellungnahme zum
Staatsbürgerschaftsgesetz
Grundsätzlich
möchten wir als Mitgliedsorganisationen der „National Coalition – Netzwerk
Kinderrechte“ darauf hinweisen, dass aus unserer Sicht die Staatsbürgerschaft
ein Mittel zur Integration, nicht aber den Nachweis für eine geglückte
Integration darstellt. Nach unserer Auffassung kann Integration nur als
zweiseitiger Prozess verstanden werden, wobei die Staatsbürgerschaft diesen
Prozess begleiten und unterstützen soll.
Als Netzwerk
Kinderrechte haben wir den vorliegenden Entwurf nur dahingehend beurteilt,
inwieweit er die Rechte von Kindern berührt. Österreich hat die
UNO-Kinderrechtskonvention 1992 ratifiziert und sich damit zu ihrer Umsetzung
verpflichtet; zentraler Grundsatz der Konvention (Artikel 3/1) ist, „bei allen
Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob von […] Gerichten,
Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen“ - also auch beim vorliegenden
Gesetzesentwurf - „das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt ist, der vorrangig zu
berücksichtigen ist“, das heißt die Kinderrechtskonvention erfordert eine
kindsensible, differenzierende, auf die Bedürfnisse junger Menschen besonders
zugeschnittene Herangehensweise zu neuen Regelungen. Der vorliegende Entwurf
entspricht diesen Anforderungen nicht.
Zunächst werden in
der Stellungnahme jene geplanten Veränderungen aufgegriffen, die speziell
Minderjährige betreffen, im Anschluß daran sollen die allgemeinen
Erteilungsvoraussetzungen kritisch hinterfragt und deren Auswirkungen auf
Kinder analysiert werden. Durch die Anführung von Beispielen sollen die
praktischen Auswirkungen der geplanten Neuregelungen anschaulich gemacht
werden.
1) Änderungen,
die speziell Minderjährige betreffen:
Bisher ist es unter
bestimmten Voraussetzungen möglich, dass Minderjährige bereits nach vier Jahren
Aufenthalt in Österreich eingebürgert werden §10 Abs. 4 (1). Verglichen mit
anderen europäischen Ländern ist Österreich schon mit dieser Praxis bei der
Verleihung der Staatsbürgerschaft an im Land geborene Kinder von AusländerInnen
eher restriktiv.
Die meisten der alten 15 EU Staaten
berücksichtigen das Geburtslandsprinzip (ius soli)
bereits in ihren Staatsbürgerschaftsgesetzen. In
Belgien, Frankreich, den Niederlanden
und Spanien erhält die dritte Generation (im
Inland geborene Kinder ausländischer
Staatsbürger, die selbst bereits im Inland
geboren wurden) automatisch bei Geburt die
Staatsbürgerschaft. In Deutschland, Irland und
Großbritannien werden schon Angehörige
der zweiten Generation (im Inland geborene
Kinder ausländischer Staatsbürger) unter
bestimmten Bedingungen automatisch von
Geburt an Staatsbürger. In Belgien und Portugal
kann die zweite Generation unter gewissen
Umständen schon unmittelbar nach der
Geburt ohne Weiteres als Staatsbürger registriert
werden. Und in einigen Staaten gibt es
für im Inland Geborene die Möglichkeit, die
Staatsbürgerschaft per einfacher Erklärung
(Belgien, Finnland, Frankreich, Italien,
Niederlande, Großbritannien) oder automatisch
mit der Volljährigkeit (Frankreich) zu bekommen. (Waldrauch
2005)
Dem Entwurf zufolge
sollen künftig nur noch in Österreich geborene Kinder von AusländerInnen nach
frühestens 6 Jahren Zugang zur Staatsbürgerschaft haben §11a Abs. 4 (3). Alle
anderen müssen mindestens 10 Jahre darauf warten. Somit werden Kinder von
AusländerInnen, die nicht in Österreich geboren wurden, zukünftig überhaupt
nicht mehr bevorzugt behandelt.
Eine österreichische Familie nimmt ein drei Jahre
altes Mädchen aus Indien in Pflege.
Bisher: Auf Antrag erhält das Kind im Alter von sieben Jahren die
österreichische Staatsbürgerschaft.
Künftig: Die Staatsbürgerschaft kann frühestens nach 10 Jahren, also im Alter
von 13 Jahren, verliehen werden.
Schulpflichtige
Kinder müssen, so der Entwurf, das letzte Schuljahr positiv abgeschlossen
haben, um der Staatsbürgerschaft als „würdig“ erachtet zu werden.
Eine Familie mit drei Kindern stellt den Antrag auf
Einbürgerung. Während die beiden Mädchen erfolgreiche Schülerinnen sind, hat
der 13-jährige Sohn das letzte Schuljahr in Deutsch und Mathematik mit einem
„nicht genügend“ abgeschlossen.
Bisher: Da die allgemeinen Voraussetzungen für die Erteilung der
Staatsbürgerschaft vorliegen, wird die Staatsbürgerschaft an alle
Familienmitglieder verliehen.
Es ist absolut nicht
nachvollziehbar, was der Schulerfolg mit der Verleihung der Staatsbürgerschaft
zu tun haben soll. Diese Regelung ist daher aus Sicht der National Coalition
ersatzlos zu streichen.
2. Allgemeine
Erteilungsvoraussetzungen
Nahezu bei allen allgemeinen
Erteilungsvoraussetzungen kommt es durch die geplanten Neuregelungen zu
weiteren Erschwernissen für die AntragsstellerInnen. Diese wirken sich auch
massiv auf Minderjährige aus, die die österreichische Staatsbürgerschaft
erwerben wollen.
Straffälligkeit
§10 Abs.1 (2)
Bisher führt eine
Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten zur
Verweigerung der Staatsbürgerschaft, künftig soll bereits jede Verurteilung zu
einer Freiheitsstrafe der Verleihung der Staatsbürgerschaft entgegenstehen.
Im Jugendalter sind
Konflikte mit dem Gesetz – auch bei österreichischen Jugendlichen - ein
häufiges Phänomen. Schon Ladendiebstähle führen - gerade bei MigrantInnen und
AsylwerberInnen - immer wieder zur Verhängung von (bedingten) Haftstrafen.
Die Verweigerung der
Staatsbürgerschaft aus diesem Grund stellt eine Doppelbestrafung dar, und
vernachlässigt vollkommen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit.
Der Lebensunterhalt
musste auch schon bisher zum Zeitpunkt der Verleihung der Staatsbürgerschaft
gesichert sein, nun wird allerdings zur Voraussetzung, dass der Antragssteller
in den letzten Jahren weder Notstandshilfe noch Sondernotstandshilfe bezogen
haben darf. Ein Passus, der gerade in Zeiten steigender Arbeitslosigkeit den
Weg zur österreichischen Staatsbürgerschaft verwehren wird.
Beispiel III
X kommt im Alter von 8 Jahren im Rahmen des
Familiennachzugs nach Österreich. Sein Vater ist zu diesem Zeitpunkt bereits
seit 5 Jahren als Hilfsarbeiter am Bau beschäftigt, für die Staatsbürgerschaft
fehlte ihm bisher das notwendige Geld. Nun möchte er, noch bevor der Sohn
volljährig wird, die Staatsbürgerschaft für die gesamte Familie beantragen.
Bisher: Da der Vater die allgemeinen Voraussetzungen erfüllt, wird allen
Familienangehörigen die Staatsbürgerschaft übertragen.
Künftig: Da der Vater vor zwei Jahren Notstandshilfe bezogen hat, wird der
Antrag abgelehnt. Der Sohn wird in der Folge von seinem Heimatland zum
Präsenzdienst eingezogen.
Zudem war bisher im
Gesetz bezüglich des gesicherten Lebensunterhalts eine Härteregelung
vorgesehen. Die Staatsbürgerschaft musste nicht verwehrt werden, wenn die/den
AntragsstellerIn keine Schuld an ihrer/seiner sozialen Notlage traf. Dieser
Passus findet sich nun nicht mehr im vorgelegten Entwurf, dies wird künftig zur
weiteren Benachteiligung von Kindern von MigrantInnen, vor allem aus
einkommensschwachen Familien, führen.
Y wurde vor 12 Jahren in Österreich geboren. Da der
Vater immer wieder gewalttätig war, hat sich die Mutter vor drei Jahren von ihm
getrennt. Da der Vater nur unregelmäßig arbeitet, kann er nur wenig zum
Unterhalt von Y beitragen. Obwohl die Mutter einer geringfügigen Beschäftigung
nachgeht, ist die Familie in einer schwierigen finanziellen Situation.
Bisher: Y kann, aufgrund der Regelung, dass sie kein Verschulden an der Notlage
trifft, die Staatsbürgerschaft erhalten, auch dann, wenn zum gegenwärtigen Zeitpunkt
der Lebensunterhalt der Familie nicht ausreichend gesichert ist.
Künftig: Y wird die Staatsbürgerschaft verwehrt, da sie nicht über die nötige
finanzielle Absicherung verfügt. Da die Familie derzeit auch aus Mitteln der
Sozialhilfe den Lebensunterhalt bestreitet, kann sie frühestens drei Jahre nach
dem letzen Sozialhilfebezug einen Erfolg versprechenden Antrag auf Einbürgerung
stellen.
Zurück an den Start
heißt es auch für all jene, die ihren Aufenthalt in Österreich für mehr als 6
Monate unterbrochen haben, egal ob sie nun ein Familienmitglied im Heimatland
pflegen, ein Studienjahr im Ausland verbringen oder ob sie in einem anderen
Land der Europäischen Union einen Job annehmen. Für sie beginnt, nach
Beendigung der Unterbrechung, die 10-jährige Wartefrist neu zu laufen.
A ist im Alter von 13 Jahren nach Österreich
gekommen. Nachdem er die Matura erfolgreich bestanden hat, beginnt er ein
Studium, das dritte Studienjahr verbringt er in London. Nach Beendigung des
Studiums findet er sofort eine Arbeitsstelle und beantragt sogleich die
österreichische Staatsbürgerschaft.
Bisher: Kein Hindernis steht der Erteilung der Staatsbürgerschaft im Wege.
Künftig: Aufgrund der Unterbrechung des Aufenthalts vor zwei Jahren beginnt die
Wartezeit neu zu laufen. A muss nun mindestens weitere 8 Jahre warten.
Bisher war die
Erteilung der Staatsbürgerschaft daran geknüpft, dass die/der AntragsstellerIn
seit mindestens zehn Jahren ihren/seinen Hauptwohnsitz in Österreich hat.
Zukünftig muss ein/e StaatsbürgerschaftswerberIn seit mindestens 10 Jahren
legal aufhältig und davon zumindest 5 Jahre niedergelassen sein. Auch für
Kinder kommt es durch diese Änderung zu einer massiven Verschlechterung.
In der Vergangenheit
kam es immer wieder vor, dass Eltern es verabsäumt haben, zeitgerecht um die
Verlängerung des Aufenthaltstitels der Kinder anzusuchen. Durch den verspäteten
Verlängerungsantrag kam es kurzfristig zur Unterbrechung des rechtmäßigen
Aufenthalts.
C ist 15 Jahre und seit 10 Jahren in Österreich. Vor
drei Jahren hat der Vater vergessen, rechtzeitig um die Verlängerung der
Niederlassungsbewilligung anzusuchen. Dadurch war der rechtmäßige Aufenthalt
für drei Monate unterbrochen.
Bisher: Der Hauptwohnsitz von C ist seit 10 Jahren in Österreich, die
Staatsbürgerschaft kann daher verliehen werden.
Künftig: Da der rechtmäßige Aufenthalt unterbrochen war, beginnt die 10-jährige
Frist neu zu laufen. Somit kann der Jugendliche frühestens in 7 Jahren damit
rechnen, die österreichische Staatsbürgerschaft zu erhalten. Daraus ergibt sich
eine Gesamtwartefrist von 17 Jahren.
Die Kumulierung der
spezifischen Veränderungen und die erschwerten allgemeinen Voraussetzungen
werden dazu führen, dass selbst von klein auf in Österreich aufgewachsen
Personen, die eindeutig ihr zentrales Lebensinteresse in Österreich haben,
immer häufiger von den Rechten und Pflichten der Staatsbürgerschaft
ausgeschlossen bleiben.
X ist mit seiner Familie im Alter von vier Jahren
nach Österreich gekommen, er hat fünf Geschwister, die teilweise in Österreich
geboren wurden. Nach 10 Jahren Aufenthalt stellt die Familie den Antrag auf Staatsbürgerschaft.
X wird als einzigem Familienmitglied die Staatsbürgerschaft verwehrt, da er
gemeinsam mit Freunden mehrere Ladendiebstähle begangen hat und aufgrund dieser
Delikte zu einer bedingten Haftstrafe von einem Monat verurteilt wurde. Mit 18
Jahren bekommt er von seinem Heimatland die Einberufung zum Militär. Da er sich
in einer Lehrausbildung befindet, kann er den Beginn des Militärdienstes um
zwei Jahre hinausschieben. In der Folge unterbricht er dann den Aufenthalt in
Österreich für 12 Monate, um seiner Pflicht als Staatsbürger nachzukommt. Nach
seiner Rückkehr muss er nun mindesten zehn weitere Jahre warten, um die Chance
auf die Staatsbürgerschaft zu erhalten. Er wird dann 31 Jahre alt sein, 26
Jahre davon wird er in Österreich verbracht haben. Ob er die Staatsbürgerschaft
nun tatsächlich erhalten wird, hängt allerdings davon ab, ob er die allgemeinen
Voraussetzungen erfüllt.
Mitgliedsorganisationen
der National Coalition sind die Österreichische Bundesjugendvertretung, die
Österreichische Kinderfreunde / Rote Falken, das Ludwig Boltzmann Institut für
Menschenrechte, das Kinderbüro Graz, SOS‑Kinderdorf Österreich, die Katholische
Jungschar Österreichs, das Österreichisches Komitee für UNICEF, alle Kinder‑
und Jugendanwaltschaften der Länder, Pro Juventute, Akzente Salzburg, die
Pfadfinder und Pfadfinderinnen Osterreich, das Kuratorium Kinderstimme und die
Asylkoordination Österreich.
Rückfragehinweis:
Mag. Elisabeth
Schaffelhofer-Garcia Marquez, Katholische Jungschar Österreichs
elisabeth.schaffelhofer@kath.jungschar.at
Mobil:
0676/88011-1000