V-1 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXII. GP

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Beratungen des
Ständigen Unterausschusses des
Hauptausschusses
in Angelegenheiten
der Europäischen Union

 

 

 

(Auszugsweise Darstellung)

 

Mittwoch, 30. April 2003

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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Beratungen des Ständigen
Unterausschusses des
Hauptausschusses
in Angelegenheiten
der Europäischen Union

(Auszugsweise Darstellung)

XXII. Gesetzgebungsperiode                 Mittwoch, 30. April 2003

Tagesordnung

 

COM KOM (03) 128 endg.


Kommission Follow-up-Mitteilung
Grünbuch zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften und zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft

(6922/EU XXII. GP)

Beginn der Sitzung: 14.02 Uhr

Obmann Dr. Werner Fasslabend eröffnet die Sitzung, begrüßt die Anwesenden, insbe­son­dere Bundesminister Dr. Böhmdorfer und dessen Mitarbeiter, Leitenden Staatsanwalt Dr. Felsenstein und Oberstaatsanwalt Dr. Benner, und fragt, ob gegen die Tagesordnung Einwendungen erhoben werden. – Dies ist nicht der Fall.

 

COM KOM (03) 128 endg.


Kommission Follow-up-Mitteilung
Grünbuch zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften und zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft

(6922/EU XXII. GP)

Abgeordneter Dr. Caspar Einem (SPÖ) stellt einleitend fest, die SPÖ-Fraktion wolle in dieser Sitzung mit Bundesminister Dr. Böhmdorfer über die Frage der Einführung einer Euro­päischen Staatsanwaltschaft nicht nur deshalb sprechen, weil dieser Vorschlag von der Euro­päischen Kommission im vorliegenden Grünbuch sowie vom Europäischen Parlament unter­breitet wurde, sondern auch wegen der Beschäftigung mit dieser Frage im Rahmen des Euro­päischen Verfassungskonvents. Auch in Kontakten mit anderen Ländern, insbesondere mit den Beitrittskandidatenländern, habe sich deutlich der Wunsch gezeigt, zumindest in einer einge­schränkten Form die Institutionen der Europäischen Staatsanwaltschaft schon jetzt ernsthaft ins Auge zu fassen und einzuführen. In den entsprechenden Diskussionen stünden derzeit zwei Auf­fassungen einander gegenüber, nämlich entweder die Europäische Staatsanwaltschaft sofort einzuführen oder aber die Möglichkeit dazu in der künftigen europäischen Verfassung zu verankern und diese Institution erst später – entweder mit Einstimmigkeit oder mit „super­qualifizierter“ Mehrheit – zu realisieren.

Die Delikte gegen die finanziellen Interessen der Europäischen Union hätten inzwischen ein erschreckend hohes Ausmaß angenommen und seien tendenziell im Steigen begriffen, sowohl von der Anzahl der Delikte her als auch in den Schadensbeträgen. Überdies sei der Eindruck entstanden, es würden in den Beitrittskandidatenländern zwar Anstrengungen unter­nommen werden, um das dortige Justiz- und Polizeisystem auf einen Standard zu bringen, der einem hohen europäischen Standard entspreche, doch seien diese Bemühungen nicht durch­wegs erfolgreich gewesen. Eine „traurige Wahrheit“ sei es außerdem, dass beträchtliche Pro­bleme mit der korrekten Abwicklung europäischer Subventionen nicht nur in Kandidatenländern, sondern auch in manchen heutigen Mitgliedstaaten vorzufinden seien.

Aus diesen Gründen trete nun die SPÖ-Fraktion dafür ein, eine Europäische Staatsanwaltschaft so einzuführen, dass zumindest eine subsidiäre Möglichkeit der Anklageerhebung in all jenen Fällen bestünde, in denen es erstens um Delikte gegen die finanziellen Interessen der Europäischen Union gehe und in denen zweitens die besondere Konstellation bestehe, dass die zur Verfolgung berufene und zuständige nationale Staatsanwaltschaft, aus welchen Gründen auch immer, nicht oder nicht effizient genug tätig werde.

Es komme der SPÖ-Fraktion also keineswegs darauf an, aus Jux und Tollerei eine neue euro­päische Institution zu schaffen, sondern es müsse Gewähr dafür geleistet werden, dass Delikte gegen die finanziellen Interessen der Europäischen Union und damit auch gegen die Interessen der Steuerzahler, der Bürger und Bürgerinnen der Union jedenfalls verfolgt und entsprechend geahndet werden. Dabei gelte es die hohen, auch in Österreich gültigen Rechts­schutz­standards zu wahren. Es gelte sicherzustellen, dass nicht mit den Möglichkeiten eines Staates die Strafverfolgung verhindert werden könnte, insbesondere dann, wenn hohe und höchste staatliche Funktionäre an Delikten gegen die finanziellen Interessen der Union beteiligt seien.

In diesem Sinn bringt Abgeordneter Dr. Einem einen Antrag auf Stellungnahme gemäß Artikel 23e Abs. 2 B-VG der Abgeordneten Dr. Caspar Einem, Dr. Evelin Lichtenberger, Mag. Jo­hann Maier und KollegInnen betreffend Europäische Staatsanwaltschaft ein. Darin werde der Bundesminister für Justiz ersucht, sich im Rahmen der Europäischen Union unter Wahrung der vorhandenen Rechtsschutzstandards für die Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft einzusetzen, um dadurch sicherzustellen, dass Straftaten gegen die finanziellen Interessen der Union jedenfalls subsidiär verfolgt und entsprechend geahndet werden können.

Abgeordneter Dr. Einem bringt seine Erwartung zum Ausdruck, dass dieser Antrag in der Sache den Intentionen des Bundesministers für Justiz nicht wirklich widersprechen könne, wenngleich bekannt sei, dass die Position der Bundesregierung und insbesondere von Bundesminister Dr. Böhmdorfer derzeit auf eine ablehnende Haltung gegenüber diesem Schritt hinauslaufe. Es müsste jedoch mit Argumenten möglich sein, eine Veränderung dieser Position zu bewirken, insbesondere deshalb, weil nun eine subsidiäre Lösung angestrebt werde.

Obmann Dr. Werner Fasslabend stellt fest, dass der von Abgeordnetem Dr. Einem erläuterte Antrag eingebracht wurde und mit zur Diskussion stehe.

Abgeordnete Dr. Evelin Lichtenberger (Grüne) betont, ihre Vorstellung von einer Euro­päischen Staatsanwaltschaft sei mit dem entsprechenden Präsidiumsvorschlag des Euro­päischen Verfassungskonvents derzeit nicht vereinbar; eine Ausdehnung des vorge­sehenen Zuständigkeitsbereichs einer solchen Staatsanwaltschaft etwa bis hinein in das Fami­lien­recht lehne sie ab.

Die Intention der Grünen bestehe in diesem Zusammenhang vielmehr darin, sich einem Pro­blem zu widmen, das sich in der Debatte über die Europäische Union immer wieder gezeigt habe, nämlich dem Akzeptanzdefizit infolge von Korruption, Subventionsmissbrauch und Verstößen gegen die finanziellen Interessen der Europäischen Union. Unter Hinweis auf ihre Mitarbeit in jener Arbeitsgruppe im Europäischen Verfassungskonvent, die sich mit der Ein­führung einer Europäischen Staatsanwaltschaft befasst habe, definiert Abgeordnete Dr. Lichtenberger es als Aufgabe diese Institution, sich auf die Verfolgung der angesprochenen Verstöße gegen die Interessen der Union und damit gegen die Interessen der Steuer­zahle­rinnen und Steuerzahler zu konzentrieren.

Als problematisch erwiesen habe sich die große Unterschiedlichkeit der in den EU-Mit­glied­staaten geltenden Rechtssysteme, die sich zum Beispiel auch in den verschiedenen Formen von Verfahren und Vorverfahren zeige. Ohne klare und genau festgelegte „Spielregeln“ etwa im Hinblick darauf, welches Gericht jeweils tätig zu werden hat, könnte mit der Einführung einer Europäischen Staatsanwaltschaft die Gefahr eines „foreign shopping“ verbunden sein, einer Beliebigkeit, eines Dumpings von Beschuldigtenrechten. Trotzdem sei es dringend geboten, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Einführung einer Europäischen Staats­an­waltschaft, und zwar bezogen auf die finanziellen Interessen der Europäischen Union, möglich wird.

Es sei ein unhaltbarer und nicht zu rechtfertigender Zustand, dass nur sehr wenige Delikte, die vom Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung, OLAF, aufgezeigt werden, auch zu einer Straf­verfolgung führen. Eine Änderung dieses Zustandes lasse sich wegen der Unterschiedlichkeit der Rechtssysteme in den Mitgliedstaaten mit keinem anderen Modell als jenem einer Europäischen Staatsanwaltschaft herbeiführen. Es sei nicht möglich, ein anderes System zu finden, mit dem in gleicher Weise die Voraussetzungen für die Verfolgung dieser Wirt­schaftskriminalität in den Mitgliedstaaten implementiert werden könnten. In Ergänzung zu dieser Institution werde es notwendig sein, in weiterer Folge auch einen „public defender“, ein „Mittel­ding“ zwischen Anwalt und Ombudsmann, einzusetzen.

Abgeordnete Dr. Lichtenberger warnt davor, dass das System der gegenseitigen Anerkennung als eines der Grundprinzipien in der justiziellen Zusammenarbeit letztlich zu einer Art Ver­steinerung der Systeme führen könnte, wodurch die Perspektive einer Europäischen Staats­anwaltschaft verloren gehen könnte. Daher sei es jetzt erforderlich, die Möglichkeit der Schaf­fung dieser Staatsanwaltschaft nicht von vornherein abzulehnen, sondern sie auch als wichtiges Signal für eine Weiterentwicklung in diesem Rechtsbereich vorsehen zu lassen, allerdings in den skizzierten, engen Grenzen.

Abgeordnete Mag. Dr. Maria Theresia Fekter (ÖVP) stellt fest, der Gedanke bereite ihr Unbehagen, dass ein Europäischer Staatsanwalt, dessen Tätigkeit auf der Philosophie und den Rechtsgrundsätzen der Europäischen Union beruhen würde, in Österreich aktiv werden könnte. Die Vorgaben der EU würden immer wieder dann größere Probleme hervorrufen, wenn die unterschiedlichen nationalen Rechtsgrundsätze miteinander in Widerspruch gerieten. So bestehe beispielsweise in Österreich das Legalitätsprinzip, wonach im Fall eines festge­stellten Deliktes nach dem Gesetz Anklage erhoben werden muss, demgegenüber habe in den meisten anderen europäischen Ländern das Opportunitätsprinzip Gültigkeit, wodurch keine entsprechende Klarheit gegeben sei.

Ferner sei Österreich fast allen europäischen Ländern in der strafrechtlichen Entwicklung weit voraus, beispielsweise durch Einrichtungen wie die Diversion. Daher bestünde etwa die Gefahr, dass nach Einführung einer Europäischen Staatsanwaltschaft ein Delikt, das in Österreich in den Bereich der Diversion gehören würde, auf europäischer Ebene eine Anklage nach sich ziehen könnte. Auf diese Weise könnte die gute Form der strafrechtlichen Ahndung in Österreich – worüber in den politischen Fraktionen offensichtlich Konsens bestehe – unterlaufen werden.

Ein zweites großes Problem der Einführung dieser Staatsanwaltschaft ergäbe sich im Zusam­menhang mit dem Subsidiaritätsprinzip. Im Gegensatz zur Ansicht von Abgeordnetem Dr. Einem könne gesagt werden, dass die österreichische Staatsanwaltschaft keine Schwächen derart aufweise, dass ein Anlass zur Abgabe eines Teils der österreichischen Souveränität an die Europäische Union bestünde. Es sei angebracht, der österreichischen Staatsanwaltschaft zu vertrauen, dass es auch im Fall von Korruptionsdelikten zur Anklage kommt.

Ginge es vor allem um die Verfolgung von Delikten in anderen Ländern, so liefe dies darauf hinaus, eine massive Verschlechterung der Rechtslage in Österreich in Kauf zu nehmen, um woanders vielleicht eine Verbesserung zu erreichen. Bei einem solchen Schritt wäre jedoch die Verhältnismäßigkeit nicht gegeben. Den in einem Zwischenruf geäußerten Vorwurf von Abgeordneter Dr. Lichtenberger, dies sei im Umweltbereich bisher nicht so gesehen worden, stellt Abgeordnete Dr. Fekter in Abrede; Österreich habe im Umweltbereich stets massiv darauf gedrungen, die hohen österreichischen Standards zu halten und deren Nivellierung auf eine niedrigere Ebene zu verhindern. Dafür habe Österreich in seinem EU-Vertrag gezielt eine Ausnahme erreicht. Österreich sei in jeder Hinsicht bestrebt, seine eigenen hohen Standards beizubehalten.

Für die von Abgeordnetem Dr. Einem in seinem Antrag geforderte Möglichkeit, durch ein subsidiäres Anklagerecht sicherzustellen, dass Straftaten gegen die finanziellen Interessen der Europäischen Union in jedem Fall verfolgt werden könnten, bedürfe es keineswegs einer Europäischen Staatsanwaltschaft. Bereits jetzt seien subsidiäre Anklagerechte zum Beispiel im Finanzstrafverfahren vorhanden. Die Europäische Union verfüge schon jetzt über die Position eines besonderen Privatbeteiligten. Ein subsidiäres Anklagerecht könnte auch in anderen Staaten geschaffen werden, sodass dafür ebenfalls nicht die Einführung einer Europäischen Staatsanwaltschaft erforderlich wäre.

Dem Grünbuch zufolge wäre ein Europäischer Staatsanwalt niemandem gegenüber wirk­lich verantwortlich. Hingegen bestehe in Österreich eine hohe Verantwortlichkeit der mit einem Anklagemonopol ausgestatteten Behörde, auch wenn hier unterschiedliche Auffas­sungen über Verbesserungsmöglichkeiten betreffend das Weisungsrecht, die eventuelle Ein­führung eines Bundesstaatsanwaltes oder eine parlamentarische Kontrolle des Anklage­monopols vorzufinden seien. Die fehlende Klarstellung hinsichtlich der Verantwortlichkeit eines Europäischen Staatsanwaltes stelle einen weiteren Mangel dieses Vorschlags dar.

Abgeordnete Dr. Fekter wendet überdies ein, es widerspreche ihrem Wertekatalog, für die effiziente Verfolgung finanzieller Delikte mit hohem Aufwand eine neue Institution einzuführen und damit diese Tätigkeit zum Beispiel gegenüber der Verfolgung von Kindes­missbrauchs­delikten oder Gewaltdelikten zu privilegieren, welche dann gleichsam Delikte zweiter Klasse gegenüber den finanziellen Delikten wären. Es entstünde so der Eindruck, dass die Euro­päische Union für andere Delikte nicht so viel übrig hätte.

Aus all diesen Gründen könne die ÖVP den von Abgeordnetem Dr. Einem eingebrachten An­trag nicht unterstützen. Ein Konsens ließe sich möglicherweise in Bezug auf die von Ab­geordnetem Dr. Einem und von Abgeordneter Dr. Lichtenberger genannten Ziele finden, aber eine Europäische Staatsanwaltschaft wäre, gemessen am österreichischen nationalen Interes­se, kein geeignetes Mittel zur Erreichung dieser Ziele. Dem Vorschlag im Grünbuch mangle es an einem entsprechenden Verfahren, an den Grundsätzen, an einer Festlegung des Geltungsbereichs, und der bereits von Abgeordneter Dr. Lichtenberger kritisierte Präsidiums­entwurf des Europäischen Verfassungskonvents sei auch aus ÖVP-Sicht viel zu weitgehend. Nicht einmal als eine ferne Vision könne derzeit der Vorschlag zur Einführung einer Euro­päischen Staatsanwaltschaft unterstützt werden.

Abgeordneter Dr. Reinhard Eugen Bösch (Freiheitliche) bestätigt die Darstellung von Abge­ordneter Dr. Lichtenberger, dass der Vorschlag des Präsidiums des Europäischen Verfassungs­konvents in Bezug auf die Europäische Staatsanwaltschaft keinen subsidiären Anklageerheber vorsehe, sondern eine Behörde, die von sich aus im gesamten Bereich der Europäischen Union tätig werden könnte – zwar zunächst nur in den angesprochenen Finanzangelegenheiten, doch könne nicht ausgeschlossen werden, dass eine solche Behörde im Lauf der Jahre auch in anderen Bereichen tätig werden könnte, wodurch es zu einer Aushöhlung wichtiger Bereiche der nationalen Souveränität kommen könnte. Daher habe die österreichische Bundes­regie­rung gegen diesen Vorschlag des Präsidiums im Verfas­sungs­konvent zu Recht Einspruch erho­ben. Ablehnend geäußert hätten sich auch Dänemark, Frank­reich, Irland, Finnland und Groß­britannien.

Auf europäischer Ebene seien bereits wichtige Institutionen wie Europol und Eurojust ein­geführt worden, deren Bestehen im Europäischen Verfassungskonvent bekräftigt werde und die mit neuen Funktionen ausgestattet werden sollten. Diese bereits vorhandenen Möglichkeiten zur Zusammenarbeit sollten nicht durch die Einführung eines Europäischen Staatsanwaltes konterkariert werden.

Wie bereits von Abgeordneter Dr. Fekter festgestellt, lasse sich die im vorliegenden Opposi­tionsantrag geforderte subsidiäre Anklage auch auf der Ebene der nationalen Gesetzgebung verwirklichen. Was die angesprochenen rechtsstaatlichen Mängel in Beitrittskandidatenländern betrifft, die bisher der Verfolgung solcher Delikte entgegengestanden seien, hält Abgeordneter Dr. Bösch es für erforderlich, dass die Union und insbesondere die Europäische Kommission von den neu beitretenden Staaten auf nationaler Ebene die Einrichtung einer subsidiären Ankla­gemöglichkeit verlangt. Darüber hinaus sei es Aufgabe der Kommission, den Subven­tions­missbrauch und die Verstöße gegen die finanziellen Interessen der Union bereits an der Quelle zu verhindern. Letztlich sei auch die Verfolgung allfälliger Straftatbestände in diesem Bereich weiterhin auf nationaler Ebene zu belassen.

Aus den genannten Gründen werde der von Abgeordnetem Dr. Einem eingebrachte Antrag von Seiten der Freiheitlichen nicht unterstützt.

Bundesminister für Justiz Dr. Dieter Böhmdorfer stellt fest, es bestehe im Ständigen Unterausschuss Konsens darüber, dass die Subventionen der Europäischen Union korrekt verwendet werden müssen. Er erinnert daran, wie Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg inner­halb weniger Jahre eine funktionierende, demokratisch strukturierte Verwaltung zu schaf­fen vermochte, die auch als Voraussetzung der exakten Abrechnung über die Förderungsmittel aus dem Marshall-Plan notwendig war.

Was den von Abgeordnetem Dr. Einem erwähnten rechtsstaatliche Rückstand in mehreren Beitrittskandidatenländern betrifft, verweist Bundesminister Dr. Böhmdorfer auf die Ausgabe des „Kurier“ vom 10. Oktober 2002, worin darüber berichtet wurde, dass entsprechend dem dama­ligen Fortschrittsbericht der Europäischen Kommission in sechs von zehn EU-Kandida­ten­ländern Korruption herrsche. Damals habe das Justizministerium versucht, die Unterlagen dieses Fortschrittsberichtes beizuschaffen, doch seien in der Kommission die „Schotten dicht“ gewesen.

Als weiteres Beispiel aus der EU-Praxis erwähnt Bundesminister Dr. Böhmdorfer die Vor­gangsweise der Europäischen Union im Zusammenhang mit der Untersuchung der als „Lom­bard-Club“ bekannt gewordenen Absprache unter österreichischen Banken. Damals seien von Brüsseler EU-Behörden über Nacht Hausdurchsuchungen in Österreich angeordnet und durchgeführt worden. Die österreichischen Gerichte hätten damals einzig und allein die Mög­lichkeit gehabt, die Angemessenheit dieser Maßnahme zu prüfen. Informationen von EU-Seite seien dazu nicht ergangen.

Der rechtsstaatliche Rückstand in einigen Beitrittskandidatenländern sei bisher von der Euro­päischen Union bedauerlicherweise negiert worden. Nunmehr werde dieser Rückstand zum Anlass für die Einführung neuer Vorkehrungen in der EU zur Verhinderung des Missbrauch von Subventionsmitteln.

Würde eine Europäische Staatsanwaltschaft eingeführt werden, so wäre diese eine supra­nationale Behörde, die nicht nur hohe Kosten verursachen, sondern künftig im Fall eines Vorgehens in Österreich bei österreichischen Gerichten Hausdurchsuchungen beantragen oder Haftbefehle bewirken würde. So genannten abgeordneten Europäischen Staatsanwälten würden Anweisungen erteilt werden, überdies würden von der Europäischen Staatsanwaltschaft auch Anweisungen an die nationalen Polizeibehörden ergehen.

Weder im Grünbuch noch in Gesprächen mit EU-Stellen sei davon die Rede gewesen, wem die Persönlichkeiten, die all diese Anweisungen erteilen würden, verantwortlich wären. Ein solcher Zustand stünde in krassem Gegensatz zu den vielen Diskussionen in Österreich über das Weisungsrecht, wobei die Verantwortlichkeit des Justizministers gegenüber Parlament, Strafgericht, Zivilgericht, Verfassungsgericht und Massenmedien noch immer nicht für aus­reichend erachtet werde. Im Gegensatz dazu sei ungeklärt, wem gegenüber EU-Behörden verantwortlich wären, die in Österreich Hausdurchsuchungen durchführen und die gege­benenfalls die Bereitstellung von Unterlagen verweigern. An solchen Beispielen lasse sich er­kennen, was Österreich im Fall der Einführung einer Europäischen Staatsanwaltschaft ins Haus stünde.

Eine Begrenzung derart, wie sie von Abgeordneter Dr. Lichtenberger angesprochen wurde, nämlich zum Beispiel durch Ausschluss einer Zuständigkeit für den Familienrechtsbereich, werde sich nicht durchführen lassen. Österreich sei der Europäischen Union 1995 in der Überzeugung beigetreten, das Einstimmigkeitsprinzip werde kleine Mitgliedstaaten vor Unge­rechtigkeiten schützen, doch nun stehe Österreich eine ganz andere Entwicklung bevor. Der Übergang zum Mehrheitsprinzip stelle gerade im Strafrecht, mit dem die Bevölkerung beson­ders verwachsen sei, eine „furchtbare“ Entwicklung dar.

Verfassungsrechtliche Normen stünden zur Bevölkerung in einer abstrakten Entfernung – statt der Gleichheit, die dort herrschen sollte, gebe es in Wirklichkeit zahlreiche Verfas­sungs­be­stimmungen, die weit über die Gleichheit hinausgingen –, sehr wohl aber wäre soziale Irritation die Folge, und zwar im gesamten Staatsgefüge, würde im Strafrecht mit Mehrheit agiert werden und würde man in diesem Bereich einen nicht österreichischen Ankläger tätig werden lassen, der niemandem verantwortlich wäre. Allein schon die Umgestaltung des Weisungsrechts in Österreich würde zu einem Teilumbau der Verfassung führen. Mit dem Europäischen Staatsanwalt käme eine Instanz ins Spiel, die Weisungen gäbe, selbst aber gar nicht bekannt wäre.

Bundesminister Dr. Böhmdorfer fügt hinzu, er wolle die Konsequenzen des geplanten Schrittes möglichst genau vor Augen führen, weil er auch das gemeinsame Ziel der ordentlichen Subventionsverwaltung unterstütze. Österreich brauche hier nicht „gläubig“ zur Europäischen Union aufzuschauen und schon gar nicht einen Souveränitätsverlust in Kauf zu nehmen, sondern es reiche aus, der EU in Bezug auf ihre Subventionen eine Privatbeteiligtenposition im österreichischen Strafverfahren einzuräumen, wie dies bereits von Abgeordneter Dr. Fekter dargelegt wurde. Die Europäische Union möge sich – und zwar auf eigene Kosten, wobei die Mittelverwendung durch Österreich zu kontrollieren wäre – den bei österreichischen Gerichten anhängigen Strafverfahren, in denen es um Subventionen geht, als Privatbeteiligte an­schließen. Dort könne die Europäische Kommission auch Beweisanträge stellen. Die EU solle ihre Rechtsmittel ebenso ergreifen wie jeder Österreicher und wie die österreichischen Abga­benbehörden, dann werde sie in Österreich zu ihrem Recht kommen.

Nicht einzusehen wäre es jedoch, würde Österreich daran mitarbeiten, dass auch auf seine Kosten eine supranationale Behörde nur deshalb eingerichtet wird, weil in einigen Staaten der Rechtsstaat bedauerlicherweise noch nicht verwirklicht sei.

Abgeordneter Mag. Johann Maier (SPÖ) sieht den Grund dafür, dass jetzt über eine Europäische Staatsanwaltschaft diskutiert wird, nicht in einer fehlenden Rechtsstaatlichkeit in den Beitrittskandidatenländern. Der Grund liege vielmehr in den enormen Defiziten im Zu­sammenhang mit der von Bundesminister Dr. Böhmdorfer angesprochenen ordentlichen Sub­ventionsverwaltung von EU-Mitgliedstaaten, zu denen auch Österreich gehöre.

Abgeordneter Mag. Maier verweist auf zwei vorliegende Beantwortungen von Anfragen, die er zu dem im Oktober 2002 publizierten dritten Jahresbericht des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung, OLAF, gestellt hatte. Er habe gefragt, was mit den OLAF-Berichten an das zuständige Finanzministerium geschehe, wie viele Rückforderungsansprüche gestellt und wie viele Strafverfahren durchgeführt worden seien. Generell lasse sich zu diesen Beant­wor­tungen feststellen, dass damit das Interpellationsrecht ad absurdum geführt werde, weil die Fra­gen nicht hätten beantwortet werden können. Daher könne auch nicht kontrolliert werden, was tatsächlich mit Akten geschehe, die den zuständigen Behörden von der EU zur Verfügung gestellt werden.

Einer der davon Betroffenen sei auch Bundesminister Dr. Böhmdorfer. In seiner Anfrage­be­antwortung habe er geschrieben, er wisse nicht, welche Akte an das Finanzministerium weiter­ge­geben worden seien. Was dann mit den Akten im Finanzministerium geschehe, lasse sich nicht überprüfen, weil sich der Bundesminister für Finanzen in seiner Beantwortung auf den Datenschutz und auf eine mangelnde EDV-Kompatibilität berufen habe. In anderen Fällen habe sich das Finanzministerium aber gerühmt, über die beste EDV-Anlage zu verfügen.

Nach Ansicht von Abgeordnetem Mag. Maier sind die Probleme nicht auf die Beitrittsländer zurückzuführen. Aus den Berichten von OLAF und UCLAF gehe hervor, dass die Ursachen einerseits im Zoll- und Handelsbereich – wie sich an den Diskussionen über die so genannte Fleisch-Mafia gezeigt habe – und zum Zweiten im Landwirtschaftsbereich lägen. Der Bericht des Europäischen Rechnungshofes mit der Kritik an den einzelnen Förderbereichen und die Stellungnahme der Europäischen Kommission hätten gezeigt, dass es in vielen Mitgliedstaaten, und zwar auch in Österreich, im Fall von Subventionsdelikten nicht immer zu Verfahren komme, dass es zur Blockierung von Verfahren komme und dass, wie sich auf Grund der mangelnden Information durch den Finanzminister vermuten lasse, Rückforderungsansprüche nicht gestellt worden seien.

Im Rechnungshofbericht werden sehr klar die grenzüberschreitenden Problembereiche be­schrieben. Die SPÖ-Fraktion sei der Ansicht, dass gerade auf Grund dieser grenzüber­schrei­tenden Tätigkeit sowie wegen offener Zuständigkeitsfragen viele Strafverfahren und Zivilver­fahren betreffend Rückforderungen unterbleiben würden. Auf Seite 28 dieses Berichts wer­de beispielsweise der klassische Karussellbetrug beschrieben. Auch im Zusammenhang mit landwirtschaftlichen Förderungen werde dargestellt, wie organisierte kriminelle Handlungen vor sich gingen.

In dem erwähnten dritten OLAF-Jahresbericht habe man genau nachlesen können, wo die Probleme liegen. Abgeordneter Mag. Maier zitiert daraus: „In dem Netz der zahlreichen natio­nalen Untersuchungs- und Justizbehörden in den verschiedenen Rechtssystemen gibt es je­doch viele Stellen, in denen die Kette der Maßnahmen gegen grenzüberschreitend tätige Krimi­nelle Gefahr läuft, unterbrochen zu werden.“ Und weiters: „Zwar ließen sich über OLAF Miss­stände aufklären, aber es passiert danach nichts. Schwierigkeiten bereiten auch die Mitglied­staaten, in denen die meisten Gelder verschwinden.“ Dies betreffe also nicht irgendwelche Bei­trittskandidatenländer. Fortsetzend zitiert Abgeordneter Mag. Maier: „Wir haben keine Kon­trollbefugnis, wie die Länder Betrugsfälle behandeln. Oft verschleppten Behörden Rechtshilfe­ersuchen, weisen die Kontrollinstanzen gegen Betrug Lücken auf, behauptet Dietmut Theato, Chefin des EU-Haushaltskontrollausschusses.“

Es bestehe daher Bedarf nach einer Europäischen Staatsanwaltschaft. Aus den Anfrage­beantwortungen gehe hervor, dass derzeit nicht nachvollziehbar sei, wie Betrügereien zu Lasten der finanziellen Interessen der Europäischen Union in Österreich behandelt worden seien, wie viele Verfahren geführt worden seien und was an Geldmitteln tatsächlich zurück­geholt werde.

Das Problem bestehe nicht in der von Bundesminister Dr. Böhmdorfer angesprochenen Sub­ventionsverwaltung – im Rechnungshofbericht werde den in Österreich verantwortlichen Stellen ein exzellentes Zeugnis ausgestellt –, sondern es bestehe in der Frage, welcher Verfahren sich der Staat bediene, damit eine entsprechende Verfolgung und Rückforderung sichergestellt werde. In der geltenden Strafprozessordnung sei nicht vorgesehen, dass sich die Europäische Union einem Strafverfahren als Privatbeteiligte anschließen könnte. Abgeordneter Mag. Maier verweist auf einen SPÖ-Entschließungsantrag zur Reform der StPO, der auf eine Ver­besserung der Position der Privatbeteiligten abziele.

Abgeordnete Dr. Evelin Lichtenberger (Grüne) appelliert an Bundesminister Dr. Böhmdorfer, er möge, obwohl ein dezidierter Gegner einer Europäischen Staatsanwaltschaft, diesem Vor­schlag nicht von vornherein ablehnend gegenüberstehen, sondern sich um die Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen bemühen. Der Druck, diesen Schritt zu setzen, werde sich mit weiteren Betrugsfällen erhöhen, und dann werde es darauf ankommen, eine gute Form für dieses Institution zu finden. Dabei werde es auch auf die Wahrung der Rechte der Be­schuldigten ankommen.

Die Frage der rechtlichen Lage in den Beitrittskandidatenländern sei zwar ein Anlass dieser Diskussion gewesen, aber auch in den heutigen Mitgliedstaaten seien bereits große Un­zulänglichkeiten im Bereich Subventionen aufgetreten, die sich vor allem grenzüber­schreitend tätige Wirtschaftskriminelle zunutze gemacht hätten. Den in Form eines Zwi­schen­rufs vorgebrachten Hinweis von Abgeordneter Dr. Fekter auf die Gründung von Eurojust be­antwortet Abgeordnete Dr. Lichtenberger damit, dass Eurojust eine Basis für eine Weiter­entwicklung bilden könne.

Österreich täte gut daran, sich auch im Sinn des Schutzes seiner Rechtsstandards in den bereits laufenden Prozess einzubringen und darauf hinzuwirken, dass die hohen öster­reichischen Standards nach Möglichkeit in allen EU-Mitgliedstaaten gültig werden. Daher wäre es wünschenswert, würde Bundesminister Dr. Böhmdorfer eine Position einnehmen, wonach Österreich möglichst weitgehend die Rahmenbedingungen für eine Europäische Staatsan­waltschaft zu definieren und die Weiterentwicklung mitzugestalten versuchen würde.

Abgeordnete Dr. Lichtenberger erinnert an die sich jetzt öfters zeigenden ungünstigen Folgen der von Österreich in seinen einstigen Beitrittsverhandlungen ausgehandelten Übergangsfristen bei der Übernahme des europäischen Rechts ins nationale Recht. Würde es jetzt ver­absäumt werden, an dieser Diskussion entsprechend mitzuwirken, dann drohe die Gefahr, dass Österreich in weiterer Folge gezwungen sein könnte, eine Art „halbseidene“ Europäische Staats­anwaltschaft hinzunehmen, die nur in geringem Maße den eigenen Standards ent­spräche.

Abgeordneter Ing. Hermann Schultes (ÖVP) hebt das Ziel der Europäischen Union hervor, zum größten Wirtschaftsraum der Welt zu werden. Daher sei die Durchsetzung der Interessen aller europäischen Wirtschaftstreibenden in allen jetzigen und künftigen EU-Mitgliedstaaten ein gemeinsames und umfassendes Ziel. Es wäre jedoch nicht verständlich, würde man versuchen, die Vorkehrungen dafür zu schaffen, dass die Europäische Kommission ihre Interessen in privi­legierte Weise durchsetzen könnte. Vielmehr müsse ein gut funktionierender Wirtschaftsraum in allen Punkten auf Treu und Glauben, Ehrlichkeit und Redlichkeit aufbauen, und was dafür notwendig sei, müsse eingefordert werden können. So sei auch von der Europäischen Kom­mission Respekt vor der Eigenrechtlichkeit der Mitgliedstaaten einzufordern.

Es stelle ein gemeinsames Interesse dar, die Rechtssicherheit in allen Fragen wirtschaftlicher Abläufe zu vertiefen. Aber es bestehe kein Grund dazu, aus irgendwelchen Förderinteressen ein besonderes Rechtsprivileg der Europäischen Kommission zu schaffen. Schon allzu oft habe die Europäische Kommission durch Rechtsakte besonderer Art das Vorkommen von Förder­betrug, Importbetrug und dergleichen erst ermöglicht. Eine kürzlich durchgeführte OLAF-Inter­vention im Zuckerbereich – wobei die Untersuchungen auf österreichische Anregung hin in Gang gekommen seien – hätte man sich ersparen können, wenn die Kommission rechtzeitig auf fachkundige Vertreter aus diesem Sektor gehört hätte. Abgeordneter Ing. Schultes fügt hinzu, die Europäische Kommission selbst stelle einen Bereich dar, in dem ein Europäischer Staats­anwalt tätig zu werden hätte, weil sie in einigen Punkten grob fahrlässig gehandelt habe.

Es wäre daher angebracht, weiterhin den Weg der Stärkung des nationalen Rechtes in euro­päischer Harmonie zu gehen statt eine Europäische Staatsanwaltschaft einzuführen.

Abgeordneter Peter Schieder (SPÖ) erachtet es für zulässig, die Frage zu stellen: Mit welchem Recht will jemand die Korruption in Mitgliedstaaten untersuchen, wenn es ihm nicht einmal gelungen ist, die Korruption in seinen höchsten Reihen entsprechend zu bekämpfen? Daraus könne jedoch nur die Schlussfolgerung gezogen werden, dass eben beides bekämpft werden müsse. Die Nicht-Ahndung des einen Deliktes bewirke kein Recht auf die Entstehung des anderen.

Die Argumente von Bundesminister Dr. Böhmdorfer wiederum würden zu sehr Bezug nehmen auf die denkbar weitreichendsten Kompetenzen, die einer Europäischen Staatsanwaltschaft eines Tages eventuell eingeräumt werden könnten, doch seien solche Kompetenzen nicht einmal im Grünbuch zur Gänze vorgesehen, und der Antrag der SPÖ-Fraktion sehe eine noch restriktivere Vorgangsweise vor.

Die Argumentation von Bundesminister Dr. Böhmdorfer habe so geklungen – obwohl er ebenso gut wisse, dass dem nicht so sei –, als ob es um eine Übertragung von nationalen Rechten auf die EU-Ebene ginge. (Bundesminister Dr. Böhmdorfer: Ich sehe es auch so!) Im Grünbuch könne aber nachgelesen werden, dass in vielen Fragen noch keine Entscheidung gefallen sei, nicht einmal in der Frage, ob es sich dabei um ein kumuliertes oder ein ausschließliches Mandat handeln würde. Eine Reihe von Staaten sei für ein kumuliertes Mandat eingetreten.

In der Frage, ob diese Maßnahme auf ein Ablösen der nationalen Strukturen hinauslaufe oder auf eine Ergänzung dort, wo die nationalen Strukturen nicht funktionieren würden, trete die SPÖ-Fraktion im letzteren Sinn für eine Europäische Staatsanwaltschaft ein. Das Problem bestehe in diesem Zusammenhang weniger darin, welch unterschiedliches Ausmaß die Kor­ruption in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten habe, sondern vielmehr in dem Sachverhalt, dass dort, wo durch Betrügereien an der Union eine Verbesserung des Lebensstandards in einzelnen Regionen herbeigeführt werde, eine Neigung dazu bestehe, diese Verbrechen gegenüber der Gemeinschaft als Kavaliersdelikt anzusehen. Gleichzeitig könne bei zuständigen Persönlich­keiten in solchen Ländern eine Mentalreservation vorkommen, die sie daran hindere, ihre Wähler auf die Anklagebank zu zerren.

Aus diesen Gründen werde eine kumulierte Lösung gefunden werden müssen. Dort, wo die Anklagen im Lande selbst funktionieren, solle sich die Europäische Union nicht einmischen, wohl aber bedürfe es eines ergänzenden Rechtes, um dort, wo Anklagen nicht erhoben werden, dennoch durch die Europäische Staatsanwaltschaft die Möglichkeit vorzusehen, ein Verfahren einzuleiten. Es bleibe ja auch dort den nationalen Gerichten überlassen, nach eigener Ge­setzeslage und Erfahrung zu urteilen, es komme nur darauf an, die Sache überhaupt vor ein Gericht zu bringen und Erhebungen einzuleiten.

Die Europäische Staatsanwaltschaft hätte daher – wie im SPÖ-Antrag vorgesehen – subsidiär eine eingeschränkte Rolle zu spielen, ihr Wirkungsbereich wäre auf einen bestimmten, kleinen Teil der Delikte beschränkt. Ihr fiele daher keineswegs eine ausschließliche Rolle zu, die etwa dazu führen könnte, dass sie eines Tages vielleicht die gesamte Korruption zu untersuchen hätte.

Abgeordneter Schieder merkt an, er wundere sich angesichts der im SPÖ-Antrag vorgesehenen restriktiven Vorkehrungen über die von Bundesminister Dr. Böhmdorfer geäußerte Ablehnung.

Abgeordneter Dr. Caspar Einem (SPÖ) äußert sich enttäuscht über die Qualität der Ant­worten an die Opposition. Abgeordnete Dr. Fekter habe in ihrer Besorgnis um die nationalen Interessen Österreichs und die hiesigen Rechtsstandards den Gedanken vermissen lassen, dass Österreich als Nettozahler der Europäischen Union durch den Subventionsbetrug besonders stark geschädigt werde. Einen Zwischenruf von Abgeordneter Dr. Fekter, ob er dies über die Rechtsstaatlichkeit stelle, beantwortet Abgeordneter Dr. Einem mit dem Hinweis darauf, dass auch die Verfolgung von Straftaten im nationalen Interesse stehe und der Rechts­staatlichkeit diene.

Die SPÖ-Fraktion bezwecke mit ihrem Antrag keineswegs eine Privilegierung der Straf­ver­folgung wegen Delikten gegen die finanziellen Interessen der Europäischen Union, aber man müsse die Strafverfolgung auch dort ermöglichen, wo nationalstaatliche Institutionen in Delikte verwickelt sein könnten und diese Institutionen zugleich die Möglichkeit hätten, die Strafverfolgung hintanzuhalten. Es müsse vermieden werden, dass Regierungsstellen von Staaten selbst mit in Subventionsbetrug verwoben wären und dieselbe Regierung über den Justizminister den Staatsanwalt an der Strafverfolgung hindern könnte. Auch in Fällen solcher Delikte müsse eine Verfolgung durchgeführt werden, wenn auch nicht unbedingt eine Anklage erfolgen. Angesichts von Betrugsfällen großen Stils treffe im Übrigen der Einwand mit der Bezugnahme auf die Diversion nicht zu.

Die Argumentation von Abgeordnetem Ing. Schultes habe ebenfalls den Gedanken außer Acht gelassen, dass die Finanzierung der von der Europäischen Kommission vergebenen Sub­ventionen letztlich von Nettozahlern wie Österreich getragen werden muss. Daher seien seine Ausführungen über eine Privilegierung der Kommission nicht sehr durchdacht gewesen. Wenn im Zuge des Subventionsbetrugs die Europäische Kommission betrogen werde, dann seien letztlich Nettozahler wie Österreich die Betrogenen.

Die Argumentation, dass die Frage der subsidiären Anklageerhebung auch nationalstaatlich regelbar wäre, indem etwa der Europäischen Kommission die Möglichkeit eingeräumt werden könnte, sich einem Verfahren als Privatbeteiligte anzuschließen und gegebenenfalls auch einen Subsidiärantrag zu stellen, falls der Staatsanwalt die Angelegenheit nicht verfolgen würde, sei zwar gut und schön, berücksichtige aber nicht den Sachverhalt, dass die materiell-rechtliche Situation in den heutigen und künftigen Mitgliedstaaten noch nicht zur Gänze aus­reichend und die Anklageerhebung nicht immer der jeweiligen Sachlage angemessen sei. In dieser Lage gelte es die richtigen Schritte zu setzen. Eine europäische materiell-rechtliche Regelung habe die SPÖ-Fraktion deshalb nicht vorgeschlagen, weil sie diese Frage zumindest zum jetzigen Zeitpunkt für zu sensibel halte, wohl aber trete sie für eine Europäische Staatsanwaltschaft mit einem sehr engen Aufgabenfeld ein.

Künftige Verbesserungen in den Staaten, von denen heute vermutet werde, dass die Straf­verfolgung in Fällen von Subventionsdelikten noch nicht ausreiche, würden unter anderem auch davon abhängen, dass ein zusätzliches Instrument zur Ausübung eines entsprechenden Drucks vorhanden wäre. Die Existenz einer Europäischen Staatsanwaltschaft und die Gefahr, dass diese statt der nationalen Behörde dort eigenständig tätig werden könnte, stelle ein Druckmittel dar, das hochgradig wirksam zu sein verspreche.

Die Fragen von Bundesminister Dr. Böhmdorfer, wer dieser Staatsanwaltschaft Weisungen erteilen könnte und wem gegenüber sie verantwortlich wäre, seien berechtigt, doch seien im Rahmen des Europäischen Verfassungskonvents bereits Bestrebungen im Gange, die Fragen sowohl der Rechtsstaatlichkeit als auch der demokratischen Kontrolle auf der Ebene der Europäischen Union in einer Weise neu zu regeln, dass Fragen dieser Art nicht offen blieben. Der Verfassungskonvent habe unter anderem den Zweck, die heute vorhandenen Mängel in Bezug auf demokratische Verantwortlichkeit von Organen oder rechtsstaatliche Stan­dards zu beheben und Regelungen zu finden, die etwa auch den in Österreich geltenden Standards entsprechen könnten. Aus diesem Blickwinkel ergebe sich kein Argument gegen die Einführung einer Europäischen Staatsanwaltschaft.

Abgeordneter Dr. Werner Fasslabend (ÖVP) erläutert, dass auf der einen Seite versucht werde, in derzeit zu kritisierenden Bereichen Verbesserungen herbeizuführen, dass dem aber auf der anderen Seite eine Reihe von Gründen entgegenstehe, betreffend etwa Bereiche wie Rechtspositivismus, Legalitätsprinzip und Subsidiaritätsprinzip. In einer Abwägung dieser Positionen lasse sich feststellen, dass es zwar nicht ratsam wäre, die Einführung einer Europäischen Staatsanwaltschaft prinzipiell auszuschließen, dass aber gegenwärtig die Zeit dafür eindeutig noch nicht reif sei. Diese Schlussfolgerung lasse sich auch aus den von den Oppositionsabgeordneten vorgebrachten Bedenken ziehen. Wegen der Fülle von unbeant­worteten Fragen sollte man derzeit von der Einführung einer Europäischen Staatsanwalt­schaft Abstand nehmen.

Abgeordneter Mag. Johann Maier (SPÖ) erinnert an die Diskussionen im Justizausschuss im Jahr 2002 über die Maßnahmen der Europäischen Union zur Terrorbekämpfung und ins­be­sondere über das Europäische Auslieferungsübereinkommen. Es wäre wünschenswert gewe­sen, dass in diese Diskussionen Fragen der Rechtsstaatlichkeit und der Verfahrensgarantien zum Beispiel von Abgeordneter Dr. Fekter in ähnlicher Weise wie in der jetzigen Sitzung diskutiert worden wären. Gerade bei der Umsetzung des Europäischen Auslieferungs­über­einkommens würden derzeit noch enorme Rechtsdefizite bestehen, vor allem im Hinblick auf die Rechtsschutzgarantien.

Es werde notwendig sein, für den Fall, dass es zur eingeschränkten Tätigkeit eines Euro­päischen Staatsanwaltes käme, auch entsprechende Rechtsschutzgarantien und die Rechts­staatlichkeit abzusichern. Aber die Initiative zur Einführung einer Europäischen Staats­anwaltschaft sei nicht von der SPÖ und den Grünen ausgegangen, sondern vom Betrugsbe­kämpfungsamt OLAF und von der Europäischen Kommission, weil dort die Unzulänglichkeiten in den Mitgliedstaaten erkannt worden seien, weil auch der Rechnungshof diese Unzuläng­lichkeiten in seinen Berichten immer wieder klar dargelegt habe und weil jetzt überdies Probleme im Zusammenhang mit den Beitrittskandidaten zu befürchten seien.

Das Argument, dass die Europäische Kommission subsidiär tätig werden solle, werde nicht ausreichend sein. Aus den Anfragebeantwortungen sei unter anderem hervorgegangen, dass derzeit der Bundesminister für Justiz keine Kenntnis davon habe, welche Akte von OLAF zum Bundesminister für Finanzen gelangen würden und was dann bei der zuständigen Behörde tatsächlich geschehe. Noch ausständig seien entsprechende Anfragebeantwortungen aus dem Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft sowie aus dem Bundesministerium für soziale Sicherheit und Generationen.

Abgeordneter Mag. Maier hebt hervor, dass es um die Kontrolle der Verwendung von öster­reichischem Geld gehe, nicht nur im Inland, sondern auch in anderen Mitgliedstaaten. Beson­ders angesichts der bestehenden unterschiedlichen rechtlichen Standards müsse sicherge­stellt werden, dass es zu einer adäquaten Strafverfolgung kommt. Nach Meinung der SPÖ-Fraktion sollte dies durch einen Europäischen Staatsanwalt geschehen.

Bundesminister für Justiz Dr. Dieter Böhmdorfer äußert sich überrascht über die Kritik von Abgeordnetem Dr. Einem an der Qualität der Antworten von Seiten der Regierungsfraktionen und erklärt sich bereit, zu einer Diskussion über diese Fragen in den SPÖ-Klub zu kommen, unter der Voraussetzung, dass diese Diskussion in akademischer Form und frei von Polemik vor sich gehen könnte – anders als in einer kürzlich abgehaltenen Enquete über den öster­reichischen Jugendgerichtshof.

Materiell sei die Frage geklärt, das materielle Recht sei bereits vereinheitlicht, allerdings mangle es an der Verwirklichung der Rechtsstaatlichkeit. Zwar seien in allen Ländern formal „wunderschöne“ Gesetze geschaffen worden, aber immer wieder fehle es an der Durch­setz­barkeit. Den europäischen Behörden müsse gesagt werden, dass auch für sie selbst gelte, was sie im Zusammenhang mit der Umsetzung der Basel-II-Eigenkapitalvereinbarung von den Banken fordern würden. So, wie die Banken die Kreditnehmer besser prüfen sollten, sollte auch die Europäische Kommission ihre Kreditnehmer besser prüfen, und so sollte die Kom­mission die Rechtsstaatlichkeit zur Voraussetzung der Entgegennahme eines Kredites machen.

Auf diese Weise würde der Entwicklungsprozess in den betroffenen Ländern stark beschleunigt werden. Jede Tagung in osteuropäischen Ländern habe derzeit als Generalthema die Terrorbekämpfung und Korruptionsbekämpfung, aber in keiner Tagung lasse sich ein Diskus­sionspunkt „Fortschritte im Vergleich zur letzten Tagung“ finden. Es sei höchste Zeit, vom Diskutieren zur Tat zu schreiten, insbesondere in diesen Ländern.

Bundesminister Dr. Böhmdorfer hält fest, es sei von den Oppositionsfraktionen nicht darauf eingegangen worden, was dagegen spreche, der Europäischen Kommission das Recht zu geben, in Österreich auf strafrechtlicher Ebene mitzuarbeiten und zum Beispiel Anträge zu stellen. Die zynische Antwort, dass dies von der alten Strafprozessordnung her nicht zu machen wäre, sei in zweifacher Hinsicht unrichtig. Erstens habe nach § 200 des Finanzstrafgesetzes die Abgabenbehörde als Privatbeteiligte dieselben Rechte wie der Staatsanwalt. Dieselben Rechte wie der Abgabenbehörde würden auch der Europäischen Union eingeräumt werden, damit sie in Bezug auf die Subventionen tätig werden könnte.

Einen Zwischenruf von Abgeordnetem Schieder, dass dies eine ausreichende Lösung zwar für Österreich, nicht aber für drei bis vier andere der bestehenden EU-Mitgliedstaaten wäre, beantwortet Bundesminister Dr. Böhmdorfer mit der Frage, warum Österreich für Problem­lösungen ständig den Preis der Qualität seiner Vorausentwicklung in den Bereichen Rechts­staat und Umwelt zahlen sollte. Auch im Umweltschutz sei Österreich vielen anderen Mitglied­staaten voraus und weise einen Vorsprung gegenüber dem EU-Niveau auf.

Käme es nun zur Einführung einer Europäischen Staatsanwaltschaft, dann müsste Österreich alle Einrichtungen, die diese in Österreich benötigen würde, bezahlen, vom Dolmetscher über die Büros bis hin zu den Befugnissen, da Österreich auch mit einem Souveränitätsverlust zu bezahlen hätte, weil in weiterer Folge Weisungen an österreichische Behörden ergehen würden. Statt eine solche Maßnahme zu unterstützen, sollte Österreich in den europäischen Instanzen auf Rechtsstaatlichkeit dringen. Österreich sollte sich zumindest trauen, gegen­über der europäischen Ebene den Wunsch nach Auskünften auszusprechen. Bundesminister Dr. Böhmdorfer nennt als ein negatives Beispiel, dass ihm die Mitnahme von österreichischen Abgeordneten in Ratssitzungen nicht gestattet wurde. Es sollte daher in Österreich ein Grundkonsens darüber geschaffen werden, dass die österreichischen Wünsche nachdrücklich geäußert werden, weil sonst der österreichische Minister in der Europäischen Union weiterhin darunter zu leiden hätte, dass Österreich sich dort nicht artikuliert.

Der Rechtsstaat stelle eine Entwicklung hin zu einem nie erreichten Ziel dar, und auf diesem Weg sollte Österreich nicht gezwungen sein, Rückschritte zu machen, um das Niveau von anderen zu erreichen. Daher sollte Österreich nicht an der Finanzierung einer Behörde mitwirken, die nicht gebraucht werde, weil man hier die Korruption im Griff habe.

Die in einem Zwischenruf gestellte Frage von Abgeordnetem Schieder, ob die Kosten für eine Europäische Staatsanwaltschaft die Europäische Union übernehmen sollte, beantwortet Bundesminister Dr. Böhmdorfer mit einem Zitat von Frank Stronach: Der Staat kann nur her­geben, was er vorher den Bürgern wegnimmt.

Obmann Dr. Werner Fasslabend schließt die Debatte und lässt die Abstimmung über den Antrag auf Stellungnahme gemäß Artikel 23e Abs. 2 B-VG der Abgeordneten Dr. Einem, Dr. Lichtenberger, Mag. Maier und KollegInnen betreffend Europäische Staatsanwaltschaft vornehmen.

Der Antrag bleibt in der Minderheit und ist damit abgelehnt.

Obmann Dr. Fasslabend stellt fest, dass die Tagesordnung erschöpft ist, und schließt die Sitzung.

Schluss der Sitzung: 15.17 Uhr

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