V-7 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXII. GP

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Beratungen
des Ständigen Unterausschusses des Hauptausschusses in Angelegenheiten
der Europäischen Union

 

 

 

 

 

(Auszugsweise Darstellung)

 

Freitag, 12. November 2004

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Beratungen
des Ständigen Unterausschusses des Hauptausschusses in Angelegenheiten
der Europäischen Union

(Auszugsweise Darstellung)

 

 


 

XXII. Gesetzgebungsperiode                Freitag, 12. November 2004

 

 

 

Tagesordnung

 

 

 

 

 

 

KOM (04) 2 endg.

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienst­leistungen im Binnenmarkt

(31109/EU XXII.GP)

 

 

 

 

 

 


Der ständige Unterausschuss in Angelegenheiten der Europäischen Union befasste sich am 12. November 2004 eingehend mit dem Vorschlag der Kommission zu einer Richtlinie über Dienstleistungen im Binnenmarkt. Dadurch sollen die Dienstleistungen im EU-Raum liberalisiert werden. In der Diskussion wurden die grundlegenden Auffassungsunterschiede über die Wege der Liberalisierung zwischen Opposition und Regierung deutlich. SPÖ und Grüne sprachen sich für eine schrittweise Harmonisierung der Rechtsvorschriften nach Sektoren aus, die Regierungsfraktionen von ÖVP und FPÖ unterstützten hingegen die Grundzüge des Richtlinienentwurfes, wonach für die Zulassung das Herkunftslandprinzip und für die Ausübung das Ziellandprinzip gelten sollte.

 

Der Obmann des Ausschusses, Werner Fasslabend (V), bemerkte, dass  es sich hier um ein äußerst schwieriges und komplexes Thema handle, wobei, wie auch Bundesminister Martin Bartenstein unterstrich, noch einige wesentliche Fragen zu klären und zu präzisieren seien. Grundsätzlich sehen der Minister und die Abgeordneten von ÖVP und FPÖ in dem Vorschlag eine gute Basis für weitere Verhandlungen. Die Liberalisierung der Dienstleistungen stelle die primäre Forderung im Halbzeitbericht für die Lissabon-Strategie von Wim Kok dar. Sie sei notwendig, um das Wachstum in Europa anzukurbeln, und sie werde auch für Österreichs Wirtschaft Chancen bringen, zeigten sie sich überzeugt.

 

Im Gegensatz dazu sahen SPÖ und Grüne durch die Richtlinie, wie sie jetzt vorliegt, massive Probleme auf die ArbeitnehmerInnen sowie auf die klein- und mittelständischen Betriebe zukommen. Insbesondere befürchteten sie ein Sozialdumping sowie eine Abwärtsspirale in Bezug auf Umwelt- und Verbraucherschutzstandards. Die Klein- und Mittelbetriebe werden ihrer Auffassung nach unter großen Druck kommen und daher stark gefährdet sein. Aus diesem Grund brachten beide Oppositionsfraktionen jeweils einen Antrag auf Stellungnahme ein, in denen ein Zurückziehen und eine grundlegende Überarbeitung des Richtlinienentwurfs gefordert wird. Beide Anträge auf Stellungnahme wurden jedoch von ÖVP und FPÖ mehrheitlich abgelehnt.

 

Einleitend erläuterte Bundesminister Martin Bartenstein kurz Vorgeschichte und Inhalt des Richtlinienentwurfs. Im Gegensatz zu den Zielen der Lissabon-Strategie, wonach Europa bis zum Jahr 2010 der wettbewerbsfähigste und dynamischste Wirtschaftsraum mit hoher Beschäftigung werden sollte, leide Europa derzeit an einer Wachstumsschwäche, sagte Bartenstein. Die Produktivität gegenüber den USA sei deutlich zurückgegangen, die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft im EU-Raum sei gesunken und die Zahl der arbeitslosen Menschen gestiegen. Dementsprechend sei auch die Analyse des Halbzeitberichts von Wim Kok über die Lissabon-Strategie ausgefallen.

 

Als eine Empfehlung von größter Priorität weise der Bericht daher die Forderung nach der Liberalisierung der Dienstleistungen aus, denn gerade in diesem Bereich stünden der Realisierung des freien Binnenmarktes noch weit reichende Hindernisse entgegen. Die Bedeutung des Dienstleistungssektors für die Wirtschaft werde klar, wenn man bedenke, dass in diesem Bereich die meisten Arbeitsplätze verankert seien und 70 % der Wirtschaftstätigkeit abgewickelt werde. Der Dienstleistungssektor mache aber nur 20 % des europäischen Handels aus und sei in nationale Märkte fragmentiert. Die Folge wären hohe Preise und ein Niveau an Dienstleistungen, das niedriger als vor 20 Jahren sei. Ziel der vorliegenden Richtlinie sei nun, die Hindernisse des freien Dienstleistungsverkehrs zu beseitigen.

 

Grundsätzlich sei der Entwurf von allen Ländern begrüßt worden, auch wenn es aus österreichischer Sicht noch einiger Klarstellungen und Änderungen bedürfe. Bartenstein machte deutlich, dass insbesondere die Wasserversorgung sowie die gesamte Daseinsvorsorge von der Richtlinie nicht betroffen sein dürfe. Auch die Entsenderichtlinie wolle man damit nicht verknüpfen und das Glücksspielmonopol heraushalten. Allgemein akzeptiert werde aber das Herkunftslandprinzip, wonach jeder auch in anderen Staaten der Union Dienstleistungen erbringen könne, die er auch zu Hause erbringe. Dabei müsse man sich aber jedenfalls an die Rechtsvorschriften des Ziellandes halten, bekräftigte Bartenstein. Der Minister rechnet mit der Verabschiedung der Richtlinie frühestens Ende 2005 oder aber auch erst während der österreichischen Präsidentschaft. Die Umsetzung werde schätzungsweise zwei Jahre in Anspruch nehmen.

 

Große Sorgen seitens der SPÖ wurden zunächst von Abgeordnetem Caspar Einem (S) artikuliert. Ziel sei offensichtlich, so Einem, die Rechtskosten der Leistungsbringer zu reduzieren und die Input-Kosten der Unternehmen zu minimieren. Das sei ein legitimer Gedankenansatz aus der Sicht der Industrie, meinte Einem, man müsse jedoch bedenken, dass in Zukunft auch Anbieter aus Ländern mit niedrigen Umwelt- und Sozialstandards in Österreich tätig würden. Der Vorschlag nehme weder darauf, noch auf das Ziel der Vollbeschäftigung, noch auf mehr sozialen Zusammenhalt, noch auf die Gesichtspunkte des Umweltschutzes Rücksicht, kritisierte Einem und wunderte sich daher über die positive Reaktion des Ministers. Auch die eingegangenen Stellungnahmen zur Richtlinie seien bis auf zwei Ausnahmen durchgängig negativ gewesen. So hätten beispielsweise sogar die oberösterreichische AK und Wirtschaftskammer die gleichen Bedenken formuliert.

 

Einem vermisste vor allem eine ernstzunehmende Evaluierung der möglichen Konsequenzen der Richtlinie und meinte, dass neben den ArbeitnehmerInnen die kleinen und mittleren Betriebe unter Druck geraten würden. Aus der Sicht der SPÖ wäre es daher notwendig, die Vollendung des Binnenmarktes schrittweise durch die Harmonisierung der Rechtsvorschriften nach Sektoren anzustreben. Darüber hinaus müssten wirksame Kontroll- und Sanktionsmechanismen geschaffen werden und keinesfalls dürften vorhandene Rechtsvorschriften in Österreich, durch die hohe Standards gewährleistet seien, ausgehöhlt werden.

 

Man müsse auch sicherstellen, dass die Dienstleister ihrer Steuerpflicht nachkommen. Eine weitere Erodierung der Finanzierung des Staates müsse auf alle Fälle verhindert werden und man brauche eine klare Trennung zum Bereich der Daseinsvorsorge. Erst wenn all diese Fragen geklärt seien, sei eine Liberalisierung sinnvoll, der Binnenmarkt selbst habe keinen Sinn per se. Aus all diesen Gründen werde im SPÖ-Antrag auf Stellungnahme verlangt, den Entwurf der Richtlinie zurückzuziehen und noch einmal zu überarbeiten.

 

Dem schloss sich Abgeordneter Johann Moser (S) an, indem er bekräftigte, dass die SPÖ für einen funktionierenden Wettbewerb eintrete. Diesen könne es aber erst dann geben, wenn gleiche Voraussetzungen herrschten. Man brauche daher vor Beschluss einer solchen Richtlinie genaue Untersuchungen darüber, was man sich als zusätzliche Wachstumspotentiale erwarte, wie viele zusätzliche Arbeitsplätze die Umsetzung der Richtlinie tatsächlich bringen könne und wie die einzelnen Sektoren, vor allem die kleineren und mittleren Betriebe, betroffen seien. Moser warnte davor, irgendwelche Legenden über die positiven Auswirkungen zu bilden, und wies darauf hin, dass ein Großteil der gegenwärtigen Wachstumsschwäche durch eine Nachfragschwäche verursacht sei, weil die Leute zu wenig Geld zum Kaufen hätten. Gegen diese Nachfrageschwäche helfe die Liberalisierung der Dienstleistungen jedoch nicht.

 

Gute Gründe für eine grundlegende Überarbeitung des Konzepts sah auch Abgeordnete Elisabeth Hlavac (S). Europa brauche Wachstumsimpulse und Beschäftigung, und daher auch eine Harmonisierung. Eine Verschärfung des Wettbewerbs allein führe nicht automatisch zu Verbesserungen, meinte sie, vielmehr würde es zu einer Gefährdung der Standards für ArbeitnehmerInnen und KonsumentInnen kommen.

 

Als gravierendes Problem bezeichnete sie das Herkunftslandprinzip, vor allem im Hinblick auf den Gerichtsstandort. Es werde schwierig sein, rechtliche Bestimmungen durchzusetzen, und viele würden es sich auch nicht leisten können, das Verfahrensrisiko zu tragen. Hlavac sprach sich daher auch vehement für ein Zurückziehen des Entwurfs aus, um Zeit zu haben, genau die Auswirkungen auf ArbeitnehmerInnen, KonsumentInnen und kleinere Betriebe zu analysieren.

 

Ähnlich argumentierte Abgeordnete Marianne Hagenhofer (S), die ein Bildungs- und Qualifikationsdumping befürchtete. Die kleineren und mittleren Betriebe stellten das Rückgrat der österreichischen Wirtschaft dar und böten auch ein hohes Qualifikationsniveau, merkte sie an. Durch das Herkunftslandprinzip sei dies gefährdet, womit Hagenhofer einen Widerspruch zu den Zielen der Lissabon-Strategie aus ihrer Sicht festmachte. Ihrer Ansicht nach würde auch der Schwarzarbeit und Scheinselbständigkeit Tür und Tor geöffnet, da die international tätigen Firmen mit ihrer großen Zahl an Arbeitskräften aus Drittländern nur schwer zu kontrollieren seien. Im Hinblick auf die ohnehin steigende EU-Skepsis sollte daher der Entwurf nochmals überarbeitet und eine Harmonisierung und Kontrolle auf hohem Niveau sichergestellt werden, forderte Hagenhofer.

 

Auch die Grüne Fraktion ortete im vorliegenden Entwurf große Probleme. Es sei nicht ganz klar, sagte Abgeordnete Michaela Sburny (G), welche Dienstleistungen davon berührt würden. Es gebe zwar eine Reihe von Ausnahmen, allerdings seien diese wiederum durch das Entgeltprinzip betroffen. Nicht nachvollziehbar sei auch, ob tatsächlich nur die Zulassung nach dem Herkunftslandprinzip, die Ausübung aber nach dem Ziellandprinzip geregelt sei. Durch das Herkunftslandprinzip würden 25 Rechtsvorschriften gelten, was für die VerbraucherInnen völlig intransparent und für die Behörden nicht kontrollierbar sei. Auch Sburny befürchtete ein Sozialdumping.

 

Sie vermutete weiters, dass die Regelungskompetenz der EU mit dieser Richtlinie überschritten werde und somit der Vorschlag den Grundsatz der Subsidiarität verletze. Ebenso hielt sie den Verwaltungsaufwand für unverhältnismäßig. Sburny ging auch auf das Problem der Berufsqualifikation ein und meinte, dass die entsprechende und derzeit in Ausarbeitung befindliche Richtlinie entweder vorher beschlossen oder parallel verhandelt werden müsse. Alles in allem werde nicht mehr Rechtssicherheit geschaffen, sondern mehr Verwirrung, sagte sie. Der Antrag auf Stellungnahme der Grünen ziele daher auch auf eine sektorenweise Harmonisierung und Koordinierung der Standards einzelner Dienstleistungen auf hohem Niveau ab.

 

Auch wenn die Mitglieder der Regierungsfraktionen einräumten, dass der Richtlinienvorschlag eindeutig verbesserungswürdig sei, hielten sie ein Zurückziehen des Vorschlags für nicht angebracht.

 

Abgeordneter Roderich Regler (V) lehnte es dezidiert ab, alles nach Sektoren zu gliedern, da dies zu umständlich wäre. Er teilte auch nicht die Bedenken hinsichtlich des Lohndumpings und der Scheinselbständigkeit, gab aber zu, dass eine stärkere Liberalisierung zu einer effizienteren Kontrolle führen müsse. Das gelte auch für die Steuerleistungen. Regler unterstrich, dass die 25 verschiedenen Regelwerke nur für die Zulassung gelten sollen. Richtig sei, dass die Abgrenzung unzureichend formuliert sei, und daher eine diesbezügliche Präzisierung erfolgen müsse.

 

Dem Konsumentenschutz müsse seiner Meinung nach ebenfalls ein besonderes Augenmerk geschenkt werden, insbesondere hält er es für notwendig, im Vorfeld die Haftungsfragen zu klären. Darüber hinaus müsse die Kontrolle strenger gestaltet werden.

 

Er räumte auch ein, dass die Abgrenzungsfragen zur Daseinsvorsorge noch offen seien, und daher noch verhandelt werden müssten. Ebenso sei es aus seiner Sicht erforderlich, Abgrenzungen zu bestehenden Richtlinien zu treffen. Ein Hauptproblem würden die freien Berufe darstellen, die in Österreich stark reglementiert sind.

 

Regler erinnerte an die GATS-Verhandlungen, wo ähnliche Problemfelder geortet worden seien. Selbstverständlich seien kleinere und mittlere Betriebe einem stärkeren Wettbewerb ausgesetzt, sagte er, aber man müsse bedenken, dass die Ausübung der Dienstleistungen nach den rechtlichen Vorschriften des Ziellandes zu erfolgen habe. Die Frage des Ausbildungsniveaus sei ein alter Streitpunkt, aber bereits jetzt komme es zu einer Inländerdiskriminierung in Bezug auf die Meisterprüfung, weshalb die Nachsicht heute schon wesentlich lockerer gehandhabt werde.

 

Zusammenfassend meinte er, es sei nicht notwendig, den Richtlinienentwurf in den Papierkorb zu werfen, da dieser eine gute Grundlage für weitere Verhandlungen bilde, wo die Bedenken noch ausgeräumt werden könnten. Den Minister durch eine Stellungnahme zu binden, hielt er für nicht notwendig, da der Minister auch aufgrund dieser Diskussion wisse, wo der Schuh drücke und die Argumente bei den zukünftigen Verhandlungen entsprechend mitnehmen und vertreten werde.

 

Jede Veränderung sei mit Angst behaftet, warf der Obmann des Ausschusses, Werner Fasslabend (V), ein. Es liege aber in der Logik der Sache, nun auch im Dienstleistungssektor einen Integrationsschritt zu machen. Vor- und Nachteile werde es immer geben, an erster Stelle solle aber nicht die Angst stehen, sondern ein nüchternes und kritisches Abwägen von Chancen und Risken.

 

Die Frage des Gerichtsstandortes brachte dann nochmals Abgeordneter Franz Xaver Böhm (V) in die Diskussion ein, indem er als Beispiel österreichische Filialbetriebe in anderen EU-Staaten mit ausländischen MitarbeiterInnen ins Treffen führte. Grundsätzlich stellte er aber fest, dass österreichische Gewerbebetriebe längst ins Ausland abgewandert seien.

 

Abgeordneter Maximilian Hofmann (F) konzedierte, dass der Richtlinienentwurf gewisse Gefahren in sich berge, etwa hinsichtlich der Kontrolle sowie hinsichtlich der Abstimmung einzelner Richtlinien zueinander. Es gehe nun darum, die Bedenken zu definieren und eine Klärung herbeizuführen, zumal es unterschiedliche Interpretationen gebe. Er plichtete daher Abgeordnetem Johann Moser insofern bei, als man genauere Studien über die Konsequenzen der Richtlinie brauche. Vor allem sei es auch der Sicht Österreichs von Interesse, wie sich die Richtlinie auf Länder mit hohen Standards auswirken könnte.

 

In Bezug auf die Ausbildung sah Hofmann weniger Gefahren, da sich ausländische Unternehmungen gerade wegen des hohen Ausbildungsstandards heimischer FacharbeiterInnen oft in Österreich ansiedelten. Ein Zurückziehen des Entwurfes betrachtete er als nicht sinnvoll, denn nun finde echte Diskussion statt. Ein Zurückziehen des Entwurfes würde das Gegenteil bewirken, meinte Hofmann.

 

Auch Bundesminister Martin Bartenstein sah keinen Anlass, den Richtlinienvorschlag zurückzuziehen. Österreich wäre mit dieser Forderung isoliert und hätte keine Möglichkeit, an notwendigen Änderungen mitzuwirken, denn der Beschluss erfordere nicht Einstimmigkeit, sondern qualifizierte Mehrheit.

 

Grundsätzlich äußerte Bartenstein große Hoffnung in die Umsetzung der Richtlinie. Die österreichische Wirtschaft sei heute schon stark exportorientiert und werde durch die Liberalisierung des bedeutenden Dienstleistungssektors zusätzlich profitieren. Auch das WIFO habe bestätigt, dass seit der Öffnung 60.000 Arbeitsplätze geschaffen worden seien und bis 2010 weitere 40.000 hinzukommen könnten. Die Schaffung eines europäischen Dienstleistungsmarktes trage ein riesiges Wachstumspotential in sich, und Europa brauche Wachstum und einen funktionierenden Wettbewerb wie ein Stück Brot.

 

Zu einer grundsätzlichen Auseinandersetzung mit den Abgeordneten der SPÖ kam es, als der Wirtschafts- und Arbeitsminister darauf hinwies, dass Gewerkschaftspräsident Verzetnitsch als einer der 13 ExperInnen des Berichts von Wim Kok die Linie der Analyse sowie die darin enthaltenen Empfehlungen voll mittrage. Darin werde die Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie mit dem Herkunftslandprinzip als vordringlich empfohlen. Damit stehe er in grundlegendem Widerspruch zu den Forderungen der SPÖ nach einer sektoralen Harmonisierung. Dem widersprach Abgeordneter Caspar Einem (S) heftig und hielt fest, dass auch der ÖGB-Präsident die schrittweise Harmonisierung der Sektoren verlange. Er habe dies auch in einem Gespräch mit dem Bundeskanzler und dem ÖGB-Präsidenten nochmals geklärt. Bundesminister Bartenstein blieb dennoch bei seiner Auffassung und meinte, Präsident Verzetnitsch müsse seine Position klarstellen. Die Harmonisierung sei seiner, Bartensteins, Meinung auch deshalb ein schlechter Weg, weil sie nur zum kleinsten gemeinsamen Nenner führen würde und in ihrer Umsetzung äußerst langwierig wäre.

 

Bartenstein unterstrich auch, dass es keine gleiche Stellungnahme der Bundesarbeiterkammer und der Bundeswirtschaftskammer gebe.

 

In seiner Replik über die angesprochenen Fragen und Probleme betonte Bartenstein, die Entsenderichtlinie gewährleiste die Entlohnung nach den Vorschriften des Ziellandes. Die Gefahr der Aushöhlung des Arbeitsrechts und eines Lohn- und Qualifikationsdumpings sah er nicht, da, wie er nochmals betonte, ein Unterschied zwischen Zulassung und Ausübung gemacht werden müsse und die Zulassung nach dem Herkunftslandprinzip und die Ausübung nach dem Ziellandprinzip geregelt werde. Dennoch werde er auf eine Präzisierung der betreffenden Formulierungen dringen, sodass unumstritten sei, dass die Ausübungsvorschriften dem nationalen Recht unterworfen seien.

 

Er pflichtete all jenen bei, die sich für die Absicherung des Konsumentenschutzes ausgesprochen haben, und berichtete, dass durch die Initiative Österreichs und Frankreichs Melde- und Kontrollpflichten sowie eine Haftpflichtversicherung eingeführt würden. Zur Berufsqualifizierungsrichtlinie bemerkte der Minister, dass diese nicht die Harmonisierung, sondern die Anerkennung betreffe. Wie er Abgeordneter Sburny gegenüber bestätigte, habe Österreich zahlreiche Fragen in Zusammenhang mit dem Richtlinienentwurf an die Kommission gerichtet, die Antwort darauf erwarte er Ende 2004, Anfang 2005 und er werde diese allen Beteiligten übermitteln.

 

Bezugnehmend auf die Äußerung der Abgeordneten Hlavac, sagte Bartenstein, dass der Gerichtsstand grundsätzlich in die Verantwortlichkeit des Herkunftslandes falle, dennoch blieben hier noch einige Fragen offen. Die Bedenken von Abgeordneter Sburny wegen Verletzung des Subsidiaritätsprinzips teilte er nicht, da die Union die Kernaufgabe habe, den Binnenmarkt umzusetzen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Folgender Antrag auf Stellungnahme der SPÖ wurde mit den Stimmen von ÖVP und FPÖ abgelehnt und blieb somit in der Minderheit:

                                              

 

 

ANTRAG AUF STELLUNGNAHME

 

gemäß Art. 23e Abs. 2 B-VG

 

 

 

der Abgeordneten Dr. Einem und GenossInnen

 

betreffend Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt

 

 

 

 

Am 25. Februar 2004 legte die Europäische Kommission mit dem Dokument 2004/0001 (COD) einen Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt vor. Diese Richtlinie bedarf zu ihrer Beschlussfassung der qualifizierten Mehrheit im Rat und einer Mehrheit im Europäischen Parlament.

 

Gegenstand der Richtlinie ist der Versuch, die Erbringung von Dienstleistungen innerhalb der Europäischen Union grenzüberschreitend zu liberalisieren, allenfalls bestehende Hindernisse, die der Erbringung von grenzüberschreitenden Dienstleistungen im Wege stehen, zu beseitigen und dadurch den Binnenmarkt ein Stück weiter zu realisieren. Der Vorschlag versucht dieses Ziel durch Verankerung des Herkunftslandprinzips zu erreichen. Ziel ist offenkundig, sowohl die Rechtskosten der Leistungserbringer zu reduzieren (sie müssen künftig nur noch die im Sitzland geltenden Regeln beachten), als auch auf der Empfängerseite die so genannten Input-Kosten der innerhalb der EU tätigen Unternehmen auf diese Weise zu reduzieren und dadurch Europas Wirtschaft wettbewerbsfähiger zu machen. Deshalb beruft sich die Kommission auch in der zusammenfassenden Erläuterung zu dem gegenständlichen Vorhaben auf die Zielsetzungen, die der Europäische Rat im Jahr 2000 in der so genannten „Lissabon-Strategie“ festgelegt hat.

 

Dieser Berufung wird der vorliegende Vorschlag der Kommission allerdings nicht gerecht. Denn die Europäische Union hat sich mit der im März 2000 beschlossenen „Lissabon-Strategie“ das Ziel gesetzt, innerhalb von zehn Jahren zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu werden. Die „Lissabon-Strategie“, die zu einem dauerhaften Wirtschaftswachstum, zu mehr Beschäftigung („Vollbeschäftigung“) und besseren Arbeitsplätzen und zu mehr sozialem Zusammenhalt führen sollte, enthält drei zentrale Zielsetzungen: die Vorbereitung des Übergangs zu einer wissensbasierten Wirtschaft, mehr Wachstum durch geeigneten makroökonomischen Policy-mix und die Modernisierung des europäischen Gesellschaftsmodells. Mit dem Gipfel von Göteborg 2001 wurde das Projekt durch eine umweltpolitische Dimension ergänzt. Die Lissabon-Strategie ist auf eine effiziente Verschränkung der Wirtschafts-, Umwelt-, Beschäftigungs- und Sozialpolitik gerichtet, die den gemeinsamen Werten der Solidarität und der nachhaltigen Entwicklung verpflichtet sein soll. Der Vorschlag der Kommission nimmt weder auf das Ziel Vollbeschäftigung, bessere Arbeitsplätze, mehr sozialen Zusammenhalt zu erreichen, noch auf den Gesichtspunkt des Umweltschutzes entsprechend der „Lissabon-Strategie“ Rücksicht. Der Vorschlag zielt vielmehr darauf ab, die von ihm erfassten Dienstleistungen zu liberalisieren und die dadurch bewirkten Folgewirkungen ihrerseits ihre Wirkung unabhängig davon entfalten zu lassen, ob die Wirkung in der Vernichtung von Unternehmen – vor allem im Bereich kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) – oder von Arbeitsplätzen – vor allem in den Ländern mit hohem Niveau an sozialem oder Konsumentenschutz und hohem Lohnniveau –  oder darin besteht, dass durch die schrankenlose Einführung des Herkunftsland-Prinzips eine weit reichende Rechtsunsicherheit auf Seiten der Leistungsempfänger bzw. der Empfängerländer entsteht. Der Vorschlag ist daher in dieser Form nicht in Deckung mit den ausdrücklichen Zielen der „Lissabon-Strategie“. Es verwundert daher nicht, dass  etwa die Arbeiterkammern und Wirtschaftskammern übereinstimmend und nachdrücklich fordern, „diese neue EU-Richtlinie zurückzunehmen. Stattdessen sollen Maßnahmen zur Koordinierung und Harmonisierung der Standards auf hohem Niveau gesetzt werden.“

 

Mit dem vorliegenden Antrag soll sichergestellt werden, dass die Zielsetzung der Vollendung des Binnenmarktes zum Wohle der in der EU lebenden und arbeitenden Menschen verfolgt und realisiert wird. Dabei reicht die einseitige Konzentration auf Absenkung der Kosten für erbringende und empfangende Unternehmen nicht aus. Es bedarf einer umfassenden Sicht und Abschätzung der Wirkungen. Dies gilt auch in Hinblick auf die andernfalls zu befürchtenden Wirkungen für Akzeptanz europäischer Politik bei den zu erwartenden Verlierern der vorgeschlagenen Maßnahmen (Arbeitnehmer, KMU u.a.). In dieser Hinsicht ist aber im Lichte der feststellbaren Zunahme von EU-Skepsis und Enttäuschung besondere Sensibilität erforderlich.

 

Im Hinblick auf die Beratungen und Entscheidungen im Rat betreffend den Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt stellen die unterfertigten Abgeordneten daher folgenden

 

 

Antrag auf Stellungnahme

gemäß Art. 23e Abs. 2 B-VG

 

Der ständige Unterausschuss in Angelegenheiten der Europäischen Union wolle beschließen:

 

Der zuständige Bundesminister wird aufgefordert, sich im Rat dafür einzusetzen

1.         dass der vorliegende Entwurf der Kommission  für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt zurückgezogen und das Konzept grundlegend überarbeitet wird.

 

2.         dass die weitere Vorgangsweise bei der Vollendung des Binnenmarktes im Bereich der Erbringung von Dienstleistungen folgenden Gesichtspunkten Rechnung trägt:

 

-           Vollendung des Binnenmarktes schrittweise durch Harmonisierung der Rechtsvorschriften nach Sektoren, wie dies auch bisher mit einigem Erfolg geschehen ist;

-           Sicherstellung von rasch wirksamen Kontroll- und Sanktionsmechanismen, die gewährleisten, dass der Schutz der rechtlich geschützten Interessen der Bürgerinnen und Bürger (Arbeitnehmerschutz; Konsumentenschutz; Umweltschutz; Gesundheitsschutz; Schutz vor Kriminalität usw.) auch weiterhin gewährleistet bleibt,

-           Abschätzung der positiven und negativen Wirkungen und deren Verteilung bei entsprechenden Liberalisierungsmaßnahmen, insbesondere für die Arbeitsplätze und für KMU,

-           Ausschluss jeglicher Wirkung der Liberalisierungsrichtlinien auf die arbeits- und sozialrechtlichen Normen,

-           vollständige Aufrechterhaltung der Bestimmungen der Entsenderichtlinie für die im Zusammenhang mit der Erbringung grenzüberschreitender Dienstleistungen entsendeten Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer,

-           Sicherstellung, dass die außerhalb des Herkunftslandes tätigen Dienstleister ihrer Steuerpflicht entweder im Erbringerland oder im Herkunftsland nachweislich nachkommen,

-           klare Trennung der Dienstleistungsliberalisierung von den Regeln über die Erbringung von Leistungen der Daseinsvorsorge, die in einer eigenständigen gesetzlichen Regelung im Sinne des Entwurfs zum Europäischen Verfassungsvertrag unter Berücksichtigung des Primats der Mitgliedstaaten bei ihrer Regelung und Erbringung geregelt werden soll und erst dann und unter Berücksichtigung dieser Bedingungen

-           Liberalisierung der grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen in den harmonisierten Sektoren.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das gegenständliche Vorhaben ist durch Bundesgesetz oder Bundesverfassungsgesetz umzusetzen oder auf die Erlassung eines unmittelbar anwendbaren Rechtsaktes gerichtet, der Angelegenheiten betrifft, die durch Bundesgesetz oder Bundesverfassungsgesetz umzusetzen wären.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Folgender Antrag auf Stellungnahme der Grünen wurde von ÖVP, FPÖ und SPÖ abgelehnt und blieb somit in der Minderheit:

 

 

 

ANTRAG AUF STELLUNGNAHME

 

gemäß Art. 23e Abs. 2 B-VG

 

 

 

der Abgeordneten Michaela Sburny

 

betreffend eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt

 

eingebracht im Zuge der Sitzung des EU-Unterausschusses am 12. November 04.

 

 

 

Die Europäische Kommission hat einen Vorschlag für eine Rahmenrichtlinie über Dienstleistungen im Binnenmarkt vorgelegt. Ziel der Richtlinie ist es, für grenzüberschreitend tätige Dienstleistungsunternehmen in der EU Hindernisse zu beseitigen, sowohl bei der Niederlassung in anderen Mitgliedstaaten als auch bei grenzüberschreitender Leistungserbringung ohne Niederlassung.

 

Der Anwendungsbereich der Richtlinie umfasst – von einigen Ausnahmen abgesehen – sämtliche Dienstleistungstätigkeiten. Das heißt es wären weitgehend alle gewerblichen, handwerklichen, kaufmännischen und freiberuflichen Tätigkeiten erfasst. Es ist weiter zu befürchten, dass selbst die grundsätzlich vom Geltungsbereich ausgenommenen Leistungen der Daseinsvorsorge, wie Gesundheit, Bildung, Wasserver- und –entsorgung über das „Entgeltprinzip“ doch miterfasst werden würden. 

 

Kern des Vorschlages ist das Herkunftslandprinzip bei der Erbringung von Dienstleistungen.

Für Dienstleistungserbringer würde nur noch die Rechtslage ihres Herkunftslandes und nicht mehr die Rechtslage des Landes,  in dem die Dienstleistungen erbracht werden gelten: Das betrifft sämtliche Regelungen, die für die Aufnahme und Ausübung von Dienstleistungen gelten, unter anderem Gewerberecht, Verbraucherrecht, Arbeitsrecht und Umweltrecht. Gerade in diesen Bereichen hat Österreich vergleichsweise hohe Standards vorzuweisen.

 

Mit der Richtlinie würde der Standortwettbewerb, ähnlich dem Wettlauf um die niedrigste Unternehmenssteuer, weiter verschärft. Folge wäre, bei derzeit völlig unterschiedlichen nationalen Rechtslagen, eine Abwärtsspirale hin zu den niedrigsten Sozial-, Umwelt- und Verbraucherschutzstandards sowie Berufsbildungs- und Ausbildungsvorschriften und einem noch höheren Druck auf  Klein- und Mittelunternehmen. Dieser Richtlinienentwurf gewährleistet keine Rechtssicherheit – so wie von der EU-Kommission versprochen – sondern bewirkt vielmehr massive rechtliche Unsicherheit.

 

Der Richtlinienvorschlag verletzt auch den Grundsatz der Subsidiarität. Neue Regelungen auf nationaler Ebene müssten bereits im Entwurfstadium der Kommission gemeldet werden  und von dieser genehmigt werden. Dieser Verlust von Kontrolle durch die nationalen Parlamente und des Europäischen Parlaments bedeutet einen massiven Demokratieverlust.

 

Der Dienstleistungssektor trägt rund 70 Prozent zum BIP bei. Das macht deutlich, welche weitreichenden Folgen eine Annahme dieses Vorschlags für das Wirtschaftsleben und den Arbeitsmarkt, sowohl in einzelnen Mitgliedstaaten als auch im gesamteuropäischen Kontext, hätte.

 

 

Daher stellt die unterfertigte Abgeordnete folgenden

 

 

Antrag

auf Stellungnahme gemäß Art 23e Abs 2 B-VG

 

 

Der ständige Unterausschuss in Angelegenheiten der Europäischen Union wolle beschließen:

 

Die zuständigen Mitglieder der Bundesregierung werden aufgefordert, bei den Verhandlungen des Rates auf allen Ebenen den vorliegenden Vorschlag der Kommission betreffend eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt abzulehnen.

Die zuständigen Mitglieder der Bundesregierung sollen sich für eine sektorenweise Harmonisierung und Koordinierung der Standards einzelner Dienstleistungen auf hohem Niveau sowie für eine ernsthafte Stärkung der Behördenzusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten einsetzen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Diese Vorhaben sind durch Bundesgesetz oder Bundesverfassungsgesetz umzusetzen bzw. auf die Erlassung eines unmittelbar anwendbaren Rechtsaktes gerichtet, der durch Bundesgesetz oder Bundesverfassungsgesetz umzusetzen wäre.