393/A(E) XXIII. GP

Eingebracht am 10.10.2007
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

DRINGLICHER ANTRAG

der Abgeordneten Van der Bellen, Weinzinger, Freundinnen und Freunde
betreffend Bleiberecht für Integrierte

In den letzten Wochen und Monate kam es in Österreich zu Szenen, die so wohl wenige in unserem Land erwartet hatten: im Zuge von Abschiebungen wurden Familien auseinandergerissen, Kinder wurden auf dem Schulweg von der Fremdenpolizei aufgegriffen, Jugendliche drohen aus Angst vor der Abschiebung mit Selbstmord, und ganze Gemeinden, Schulklassen und Nachbarschaftsinitiativen kämpfen für ein Bleiberecht ihrer MitbürgerInnen. Die vielen tragischen Schicksale langjährig integrierter Menschen und Familien mit Kindern haben eines klar zu Tage treten lassen: Gesetzgebung und Vollzug des Fremdenrechtes in Österreich müssen dringend einer Änderung unterzogen werden.

Es ist schlimm genug, dass Österreich mit dieser Art von verweigerter Migrationspolitik wichtige Zukunftschancen verspielt. Noch wesentlich schlimmer sind allerdings die tiefgreifenden menschenrechtlichen Defizite in Österreich, die angesichts der Abschiebungen von integrierten Menschen offenkundig werden. Der Respekt vor dem Familien- und Privatleben des Einzelnen ist unbestritten eines der höchsten Güter in der Gesellschaft. Es untersteht daher auch dem besonderen Schutz der Gesetze, insbesondere des Verfassungsrechtes. Das Grundrecht auf Privat- und Familienleben ist durch Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention umfassend und im Verfassungsrang geschützt. Die Gesetzeslage in Österreich, somit auch die Fremdenrechtsgesetzgebung hat sich innerhalb dieses Rahmens zu bewegen. Menschenrechte müssen innerhalb der Rechtsordnung wirksam umgesetzt und durchgesetzt werden können. Das betrifft sowohl den einfachen Gesetzgeber als auch die Vollziehung. Daran fehlt es dem seit 2006 gültigen Fremdenrechtspaket.

Die Erteilung humanitärer Aufenthaltsgenehmigungen, wie sie im 7. Hauptstück des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes geregelt ist, erfolgt als Ermessensentscheidung des Bundesministers für Inneres. Betroffene dürfen in Österreich nur ein formloses Ersuchen an die Landesbehörden (Bezirkshauptmannschaften) richten. Die Bezirkshauptmannschaft (BH) darf ein Ersuchen aber nicht selbst bewilligen, sondern ist lediglich befugt, es an das Innenministerium zu übermitteln. Die Kompetenz der Länder geht somit über eine „Botenstellung" nicht hinaus. Nur dem Bundesminister für Inneres steht es zu, diesem Ersuchen zuzustimmen oder nicht. Im Falle der Zustimmung wird der BH die Erteilung einer humanitären Aufenthaltsgenehmigung aufgetragen. Die Betroffenen selbst haben nicht einmal das Recht auf die Weiterleitung ihres Ersuchens von der BH an das Innenministerium, schon gar kein Recht auf eine juristisch bekämpfbare und begründete Entscheidung über das Gesuch. Das BMI muss die Ablehnung des Gesuchs nicht einmal begründen. Viele BittstellerInnen erhalten nach den Erfahrungen aus der Praxis gar keine Nachricht über ihr Ansuchen.


Die Vollzugsbehörden brauchen die Ergebnisse der Gesuchsprüfung durch den Innenminister nicht abwarten und können sofort abschieben. Eine seriöse und verbindlich vorzunehmende Überprüfung, wieweit eine Abschiebung mit dem Menschenrecht auf Privat- und Familienleben in Konflikt käme, ist so nicht möglich.

Das Menschenrecht auf Privat- und Familienleben bleibt somit ein bloßer Gnadenakt des Ministers und wird nicht in einem rechtsstaatlichen Verfahren geklärt, auf das die Betroffenen ein Anrecht hätten. Im Vergleich dazu hat in Österreich jeder Schrebergartenbesitzer, der ein Gartenhäuschen errichten möchte, ein Antragsrecht, ein Recht auf einen begründeten Bescheid durch die Behörde und entsprechenden Rechtsschutz, inkl. Beschwerderecht an den Verfassungsgerichtshof. Einem Ansuchen auf Bleiberecht aus Gründen des Artikel 8 MRK hat der Gesetzgeber nicht einmal ein Antragsrecht zugebilligt. Es gibt keinen Rechtszug.

Dabei war die Gesetzeslage zum humanitären Aufenthalt nicht immer derart restriktiv. Vor in Kraft treten des Fremdenrechtspakets gab es unter einer bestimmten Bedingung (wenn der Betroffene zusätzlich über einen legalen Zugang zum Arbeitsmarkt verfügt hat) die Möglichkeit, eine humanitäre Aufenthaltsgenehmigung zu beantragen. Entsprechend höher waren die Zahlen an erteilten Genehmigungen (2003: 1575; 2004: 1327; 2005: 732). Mit in Kraft treten des Fremdenrechtspakets ab 1.1.2006 wurde das Verfahren in Sachen humanitärer Aufenthalt wieder auf einen reinen Gnadenakt zurückgesetzt. Das wurde von zahlreichen ExpertInnen im Rahmen der Gesetzeswerdung kritisiert. Die Zahl der im Jahr 2006 erteilten Genehmigungen war mit 206 dann entsprechend gering. Zahlreiche ExpertInnen und NGO-VertreterInnen haben bereits im Laufe des Jahres 2006 besorgt angemerkt, dass es in Österreich praktisch aussichtslos geworden ist, ein humanitäres Aufenthaltsrecht zu erhoffen.

Österreich koppelt sich damit auch von der internationalen Entwicklung ab. Die europäische Entwicklung geht in die Richtung, Bleiberechtsverfahren zu installieren und als wichtiges migrationspolitisches Instrumentarium zu nutzen. Bleiberechts- verfahren in Spanien, Italien, aber zuletzt vor allem in Belgien, Schweden und Deutschland sind ein deutlicher Beleg dafür. Bleiberechtskonzepte, in der Fachsprache Regularisierungen genannt, werden auch von der UNO- Generalversammlung als nützliches Instrument einer Migrationspolitik bezeichnet. Natürlich können sie nur zusammen mit einer funktionierenden Asyl- und Einwanderungspolitik    bestehen.          Auch    der    Europarat    empfiehlt    seinen

Mitgliedsstaaten, sich mit der Durchführung von Regularisierungsprogrammen zu befassen (vorläufige Resolution des Ausschusses für Migration, Refugees and Population, „Regularisation programmes for irregular migrants", AS/Mig (2007)05 vom 20.7.2007).


Bleiberecht dringend erforderlich

In Österreich leben mehrere tausend Menschen, die sich hier voll integriert haben, oft weit über 5 Jahre in Österreich aufhältig sind, derzeit aber keinen gültigen Aufenthaltstitel haben. Dabei handelt es sich um folgende Gruppen:


a.  Menschen, deren Asylverfahren noch im Gange ist.

Laut parlamentarischer Anfragebeantwortung des Innenministers vom 20. 07.2007 gibt es derzeit in I. und II. Instanz 11802 Asylverfahren, die länger als 3 Jahre, davon 3135 Asylverfahren die länger als 5 Jahre dauern. Dazu kommen ca. 3000 Asylverfahren, die bei den Höchstgerichten (VfGH, VwGH) anhängig sind. Angemerkt sei, dass es immer noch Asylverfahren gibt, die sogar mehrere Jahrzehnte dauern. Der Bericht der Volksanwaltschaft aus dem Jahr 2006 weist sogar ein 22 Jahre dauerndes Asylverfahren aus. Diese Verfahren stammen noch aus einer Zeit vor Installierung des UBAS (vor 1998), als das Innenministerium selbst als Berufungsbehörde in Asylsachen zuständig war.

b.  Menschen, deren Asylverfahren nach mehr als 5 jähriger Verfahrensdauer bereits negativ beschieden wurde.

Diese Personen sind keine AsylwerberInnen mehr. Sie sind vielfach nach einem Langzeitasylverfahren weiterhin in Österreich verblieben, weil sie völlig in die Gemeinden, in die Arbeitswelt, integriert wurden. Sie stehen aktuell mangels Aufenthaltsgrundlage vor der Abschiebung. Aus dieser Personengruppe kommen die medial bekannten und tragischen Fälle der letzten Wochen und Monate.

c.  Menschen, die nicht wegen eines Asylverfahrens vor mehreren Jahren nach Österreich gekommen sind, sondern aus anderen Gründen.

Dieser erhebliche Personenkreis ist bisher noch kaum Teil der öffentlichen Debatte. Viele davon sind als EinwanderInnen legal zugewandert und haben durch eine der vielen Fallstricke der fremdenrechtlichen Bürokratie der letzten Jahrzehnte Fristen versäumt, oder neu geschaffene gesetzliche Voraussetzungen (Quotenplatz) nicht mehr erfüllt. Diese Menschen sind nach wie vor in Österreich und unsere MitbürgerInnen. Die Probleme dieser Personengruppe werden erst sichtbar, wenn mangels Aufenthaltsrecht der/die Schülerin nicht an einer Klassenreise, an einem Auslandspraktikum teilnehmen kann, oder noch gewichtiger, wenn für diese Kinder, die hier aufwachsen, mangels Aufenthaltsrecht keine Familienbeihilfen bezogen werden dürfen. Unter dieser Gruppe gibt es Menschen, die 10 und mehr Jahre in Österreich leben. Die Fremdenpolizei denkt in vielen dieser Fälle nicht einmal mehr an Abschiebung, weil ihr die Absurdität dieses Vorgehens bewusst ist. Andererseits werden an diese Familien von den zuständigen Behörden keine Aufenthalts- genehmigungen erteilt. Die Betroffenen bleiben im rechtsfreien Raum. Sie können ihr Bleiberecht nicht beantragen bzw. durchsetzen. Auch diese Fälle müssen im Wege einer Bleiberechtsregelung saniert werden.

Österreich sieht sich also einer großen Anzahl an Akutfällen gegenüber. Es ist davon auszugehen, dass in den nächsten Monaten zumindest 15.000 langjährig integrierte Menschen davon betroffen sein werden, keinen legalen Aufenthaltsstatus zu haben und von Abschiebung bedroht zu sein. Allein die praktische Vernunft verrät daher, dass die Devise der Bundesregierung „Abschieben und in einigen ausgesuchten Fällen im Gnadenwege ein humanitäres Aufenthaltsrecht gewähren" keine Lösung sein kann. Schon gar nicht ist es eine Lösung, die einer Republik, die den Menschenrechten verpflichtet ist, würdig wäre.

Die Grünen haben mit einem Initiativantrag bereits einen Vorschlag vorgelegt, der zwei Eckpunkte vorsieht:

 


1.            Eine   einmalige   Bereinigung   aktuell   länger   als   3   Jahre   anhängiger Asylverfahren.   Unbescholtene   AsylwerberInnen,   die   am   Asylverfahren ordnungsgemäß mitgewirkt haben, sollen auf ein Bleiberecht (humanitäre Aufenthaltsgenehmigung) umsteigen können.

2.            Die Festschreibung eines Antragsrechts auf Erteilung eines Bleiberechts, damit   Grundrechte,    im   speziellen   das   Grundrecht   auf   Privat-   und Familienleben, effektiv umgesetzt werden können.

Der Grüne Vorschlag würde eine sofortige und wichtige Entlastung für die Asylbehörden einerseits bringen und andererseits Betroffenen endlich ein Instrumentarium in die Hand geben, um ihr Grundrecht auf Privat- und Familienleben geltend zu machen. Der Vorschlag ist verfahrensökonomisch ausgereift. Er ist vor allem aber eines, was Gesetz und Vollzug derzeit nicht sind: menschlich.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG:

Der Nationalrat wolle beschließen:

Der Bundesminister für Inneres wird aufgefordert, dem Nationalrat eine Novelle zum Fremdenrechtspaket zuzuleiten, mit der

1.  langjährig in Österreich integrierten Menschen ein rechtstaatliches Verfahren zur Erteilung eines humanitären Bleiberechtes eingeräumt wird.

2.             Langzeitasylwerberlnnen ab einer Verfahrensdauer von 3-5 Jahren einmalig der Umstieg auf ein Bleiberecht ermöglicht wird. Diese Regelung soll nach einmaliger Anwendung außer Kraft treten.

 

In formeller Hinsicht wird die dringliche Behandlung gemäß § 74a iVm § 93 Abs. 2 GOG verlangt.