618/A(E) XXIII. GP

Eingebracht am 03.03.2008
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Ursula Haubner, Mag. Gernot Darmann

und Kollegen

betreffend Maßnahmenpaket zum Schutz von Kindern und gegen Jugendkriminalität

Nach der Opfertabelle des Bundeskriminalamtes wurden mehr als 700 Verurteilungen von Straftaten an unter Zehnjährigen innerhalb eines Jahres statistisch erfasst. Dabei waren allein knapp 200 Kinder unter sechs Jahren von Gewaltdelikten betroffen. In Wien gab es im selben Jahr genau 10.045 Meldungen über Kindesmisshandlungen an das Jugendamt, in Oberöster-reich gingen rund 5.000 Meldungen dieser Art bei den Behörden ein. Der größte Teil der Meldungen bezog sich auf Vernachlässigung und psychische Gewalt. Weiters leben nach Schätzungen österreichweit mindestens 8.000 verwahrloste Kinder.

Die insgesamt erschreckend hohe Anzahl von Vergehen und Verbrechen an Kindern muss dringender Auftrag an alle an der Verwaltung und Gesetzgebung Beteiligten sein, unsere Kinder besser zu schützen. Dies gilt erst recht, da Experten gerade bei kindlichen Opfern regelmäßig von einer erheblichen Dunkelziffer ausgehen.

Durch die mediale Berichterstattung in den vergangenen Wochen und Monaten sind wieder schreckliche Gewaltverbrechen an Kindern und Kleinkindern einer breiten Öffentlichkeit be-kannt geworden. Besonders der schockierende Fall des 17-monatigen Luca, der nach langem Martyrium qualvoll sterben musste, sowie der Vorfall in Wien, das so genannte Sex-Attentat  am 13.09.2007 an einem sechsjährigen Mädchen auf der Toilette der Volksschule Kinder-manngasse, und der fortgesetzte Missbrauch an mindestens sechs Mädchen durch einen 63-Jährigen in einem Vorarlberger Kinderdorf haben verdeutlicht, dass Kindern in unserer Ge-sellschaft ein zu geringer Wert beigemessen wird und sie zu wenig vor Rechtsbrechern ge-schützt werden. Gleichermaßen zeigt dies der Fall des Kinderschänders aus Innsbruck. Dieser hatte im vergangenen Jahr serienweise Mädchen sexuell missbraucht und war daraufhin ledig-lich zu zwei Jahren teilbedingter Haft verurteilt worden. Besondere Mahnung und Antrieb müssen die vier weiteren in der letzten Woche bekannt gewordenen Fälle von schwerer Kin-desmisshandlung in Niederösterreich, Tirol und Vorarlberg sein.

Geradezu unerträglich ist die Tatsache, dass der schlimme Zustand des kleinen Luca den Be-hörden bekannt war - immer wieder wurde der Bub in Krankenhäuser in Tirol am Wohnort der Mutter und in Niederösterreich am Wohnort des Stiefvaters mit gebrochenen Armen, Hä-matomen am ganzen Körper und sichtbaren Narben eingeliefert. Obwohl die Krankenhäuser die Behörden über den Zustand des Kindes informiert hatten, sah man bei der zuständigen Bezirkshauptmannschaft in Schwaz offenbar keinen Grund, wirksame Maßnahmen zum Schutz des Kleinkindes einzuleiten. Leider stellt dies keinen Einzelfall dar.

Nach Aussage des Obmanns des Vereins Dialog für Kinder, Günther Tews, ist das Schicksal des Buben einer unter vielen: Rund 90 Prozent der Fälle von Kindesmisshandlung mit letzt-lich tödlichem Ausgang waren dem Jugendamt vorher bekannt. Ein sträfliches Unterlassen,  das ob seiner Verantwortungslosigkeit nicht zu begreifen ist.

Wenn nicht die eigenen Eltern für das Wohlergehen ihrer Kinder sorgen können, haben Kin-  der offenbar keine verlässlichen Vertreter ihrer Interessen. Dabei brauchen gerade Kinder Zu-und Fürsprache, erst recht, wenn die Eltern hierzu nicht in der Lage sind oder die Gefahr gar von diesen ausgeht. Darüber hinaus lässt die geschätzte Zahl von 8.000 verwahrlosten Kin-dern in Österreich größte Befürchtungen aufkommen - da stellt es sich als Skandal dar, dass das entsprechende Delikt vor Gericht kaum eine Rolle spielt: Lediglich 25 Verurteilungen


wegen "Quälen oder Vernachlässigen unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen" gab es laut gerichtlicher Kriminalstatistik innerhalb eines Jahres.

Allerdings kann die hohe Zahl von verwahrlosten Kindern, die niedrige Zahl der Verurteilun-gen und die erschreckend hohe Anzahl der Fälle, in denen die Behörden schlicht untätig blei-ben, nicht besonders verwundern, da ein skandalöses Verhältnis von Personalressource und zugewiesenen Aufgaben in den Behörden der Jugendwohlfahrt herrscht: Ein Sozialarbeiter hat zwischen 80 und 100 Kinder aus schwierigen Verhältnisses mit „Erziehungsmaßnahmen“ zu betreuen. Mehr als eine Alibifunktion kann mithin ob dieser Arbeitsbelastung schlicht nicht erfüllt werden. Hier muss eine massive Aufstockung des Personalbestandes erfolgen. Kinder müssen vom Staat geschützt werden!

Nichtsdestotrotz dürfen neben den Fällen in der Presse die alltäglichen kindlichen Opfer von Straftaten nicht vergessen werden. Gerade bei den weniger spektakulären Tatbegehungen an Kindern im Alltag herrscht generell ein geringes Problembewusstsein. Damit geht die regel-mäßig von Kriminalisten angeführte hohe Dunkelziffer einher.

Insgesamt muss eine wirksame Kontrolle zum Schutz der Kinder sichergestellt sein. Da Ju-gendschutz weitgehend Ländersache ist, gibt es österreichweit keine einheitliche Vorgangs-weise bei einer Meldung an das Jugendamt. Wiens Kinderanwältin Monika Pinterits fordert im Kampf gegen Gewalt an Kindern daher zu recht eigene Kinderschutz-Teams in Spitälern und eine bessere bundesweite Vernetzung aller Jugendämter. Gewalttätige Eltern wechseln erfahrungsgemäß oft Wohnsitz und Hausarzt, damit Gewaltexzesse nicht entdeckt werden. Außerdem bleibt Gewalt gegen Kinder in der Familie bis zum 6. Lebensjahr, also dem Beginn der Schulpflicht, oft unentdeckt. Weiters darf die Verjährung von Straftaten an Kindern erst mit deren Volljährigkeit beginnen, da diese frei sein müssen in der Entscheidung eine Straf-verfolgung zu verlangen und nicht mit einer Verjährung der Delikte konfrontiert sein dürfen. Dies belegt der Fall der 54-jährigen Tirolerin, die am 14. Juni 2007 festgenommen wurde, nachdem Anfang Juni im Kellerabteil eines Innsbrucker Mehrparteienhauses drei Babyleichen entdeckt worden waren. Zwar steht für die Staatsanwaltschaft Innsbruck fest, dass die Frau strafrechtlich relevante Schuld auf sich geladen hat und dies auch nicht leugnet. Dennoch kann sie dafür wegen der viel zu kurzen Verjährungsfrist des § 79 StGB nicht mehr belangt werden. Dem kann mit einer bundesweiten Erfassung von Meldungen, die Kinder betreffen, mit einer generellen, nicht auf bestimmte Berufsgruppen oder nahe stehende Personen be-schränkte Anzeigepflicht, einer Verjährungshemmung und mit einer Untersuchungspflicht für Kinder entgegengewirkt werden.

Neben dem Schutz der Kinder vor Übergriffen darf das Kindeswohl auf der anderen Seite des Rechts nicht außer Acht gelassen werden. Übergriffe von Kindern und Jugendlichen müssen gleichfalls verhindert werden und gefährdete oder straffällige Kinder und Jugendliche best-möglich in die Gesellschaft integriert werden.

Im Laufe des vergangenen Jahres wurden exakt 33.068 Kinder und Jugendliche bei strafrecht-lich relevantem Verhalten von den Sicherheitsbehörden aufgegriffen. Im Bereich der Jugend-kriminalität ist in manchen Bundesländern ein unfassbarer Anstieg zu verzeichnen: in Salz-burg wurden gar um über ein Viertel mehr Anzeigen geschrieben, in Vorarlberg gab es ein Plus von 23 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Kurz vor Weihnachten 2007 wurden zwei sechzehn- und siebzehnjährige Burchen verhaftet. Sie sollen für 44 Einbrüche im Bezirk Mödling verantwortlich sein. Beide sind der Polizei seit vier Jahren wegen ähnlicher Vorfälle bekannt.

Diesen beiden in den letzten Jahren immer häufiger auftretenden Phänomene, einerseits Ge-walt an Kindern, diese werden vermehrt Opfer familiärer Gewalt bis hin zum Mord und ande-


rerseits die Gewalt, die von Kindern und Jugendlichen ausgeht, diese treten mit immer größerer Brutalität als Straftäter hervor, muss Einhalt geboten werden.

Aus diesem Grund und wegen des skandalösen Zustandes des Kinderschutzes in Österreich und der schlicht unbegreiflichen weiteren Untätigkeit der Bundesregierung stellen die unter-zeichnenden Abgeordneten nachstehenden

Entschließungsantrag:

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere die Bundesministerin für Gesundheit, Familie und Ju-gend sowie die Bundesministerin für Justiz werden ersucht, dem Nationalrat bis zum 31. März 2008 Gesetzesentwürfe vorzulegen, die nachstehendes Maßnahmenpaket umsetzen:

1.              die Gewaltprävention muss zumindest bei bekannten Problemfällen schon vor der Ge-burt eines Kindes einsetzen; dies soll im Rahmen von Gesprächen, in denen die Kon-fliktlösungsfähigkeit der Eltern gestärkt wird, stattfinden;

2.              das Bewusstsein der Eltern für ihre Pflichten im Interesse ihrer Kinder muss geschärft und gefördert werden;

3.              bei Erziehungsnotstand müssen Eltern bei der Erfüllung ihrer Erziehungspflichten durch Erziehungsfachleute besser unterstützt werden;

4.      die Lebenssituation durch Gewalt gefährdeter Kinder muss durch eine Intensivbetreu-ung bis hin zur Herausnahmen aus der Familie so nachhaltig verbessert werden, dass eine weitere Gefährdung ausgeschlossen werden kann;

5.              in diesem Zusammenhang ist auch den Jugendwohlfahrtbehörden ein wirksameres Eingreifen insbesondere in Fällen von akuter Gefährdung von Kindern durch Gewalt zu ermöglichen;

6.    dazu ist eine bundesweite Vernetzung und Koordinierung der Landesjugendwohl-fahrtsstellen zu schaffen und eine bundesweite Vereinheitlichung der Jugendschutz-gesetzte endlich zu verwirklichen;

7.      ebenfalls muss die Jugendwohlfahrt eine bessere personelle und finanzielle Dotierung erfahren;

8.              wenn Kindern in Österreich Gewalt angetan wird, darf keiner wegsehen! So ist die Einführung einer generellen Anzeigepflicht bei begründetem Verdacht auf Gewaltta-ten an Kindern vorzusehen;

9.              um zu verhindern, dass Gewalt an Kindern zu spät, nämlich erst bei Schuleintritt, er-kannt wird, ist eine vierteljährliche verpflichtende ärztliche Untersuchung von Kin-dern in Österreich noch vor dem Schuleintrittsalter einzuführen;


10.       darüber hinaus ist die Schärfung des Sicherheitsbewusstseins der Pflichtschulpädago-gen im Rahmen ihrer Ausbildung zu berücksichtigen, damit auch diese für die Prob-lematik, Gewalt an Kinder, Gewalt von Kindern, sensibilisiert werden;


11.     die Möglichkeit ist zu schaffen, extrem gefährliche Kinder - ohne sie in Haft zu neh-men - zum Schutz der Bevölkerung kurzfristig zwangsweise anzuhalten, um sie einer intensiven Betreuung zu unterziehen;

12.     bei Straftaten durch Unmündige ist ein dem Jugendgerichtsgesetz vergleichbares In-strumentarium zur Verfügung zu stellen, insbesondere eine Ermahnung und Belehrung des Kindes und seiner Erziehungsberechtigten sowie die Möglichkeit eines außerge-richtlichen Tatausgleichs und der Vorschreibung gemeinnütziger Arbeit zu schaffen,  um Kindern deutlich zu machen, dass die Gesellschaft auch bei strafbaren Handlungen von Kindern bereit ist, das gesetzliche Wertesystem zu vermitteln und durchzusetzen;

13.     verbesserte Möglichkeiten sind zu schaffen, um straffällige Jugendliche in qualifizierten Pflegefamilien nach dem Beispiel der deutschen Sozialpädagogin Petra Peterich unterzubringen, zu sozialisieren und Verhaltensweisen zu vermitteln, die einen ver-antwortlichen zwischenmenschlichen Umgang ermöglichen sowie die Konsequenzen von Handlungsweisen aufzeigen."

In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Familiensausschuss vorgeschlagen.