854/A(E) XXIII. GP

Eingebracht am 09.07.2008
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Entschließungsantrag

DRINGLICHER ANTRAG

 

der Abgeordneten Weinzinger, Steinhauser, Pilz, Freundinnen und Freunde

betreffend Verhinderung der missbräuchlichen Anwendung der Anti-Mafia-Paragraphen

Begründung

In einem martialisch anmutenden Großeinsatz der Polizei wurde am 21. Mai 2008 6:00 Uhr früh österreichweit gegen TierschützerInnen vorgegangen: Türen wurden eingeschlagen, maskierte Sondereinheiten stürmten die Wohnungen und bedrohten die TierschützerInnen mit Waffen. Die Büros von 4 Tierschutzvereinen wurden durch Beschlagnahmungen von Unterlagen und Computern vollkommen lahm gelegt, 10 Personen wurden festgenommen, 23 Hausdurchsuchungen wurden durchgeführt. Zwei Tage später wurde über die 10 Personen Untersuchungshaft verhängt, die bis heute anhält. Begründet wird die Untersuchungshaft mit „Verdunkelungsgefahr" und „Tatbegehungsgefahr" sowie dem Verdacht der Beteiligung an einer kriminellen Organisation gem. § 278a StGB.

1.    Rechtswidriges Polizeiliches Vorgehen

Bereits kurz nach den geschilderten Polizeimaßnahmen kam es zur Schilderung von Rechtswidrigkeiten und Unverhältnismäßigkeiten.

In darüber eingeleiteten Beschwerdeverfahren gestand die Oberstaatsanwaltschaft Wien in einer Stellungnahme vom 25.6.2008 mittlerweile ein, dass die gewaltsame Öffnung der Türen gesetzwidrig erfolgte, und dass in zumindest einem Fall die Hausdurchsuchung von vornherein unzulässig war, da keinerlei Anfangsverdacht gegen die Wohnungsinhaber bestand. Die Begründung für die Hausdurchsuchungen und die Angabe der zu suchenden Gegenstände war in den Anordnungen jeweils zu unbestimmt formuliert. Zu weiteren Vorwürfen, dass etwa gesetzwidrig die Beiziehung von Vertrauenspersonen und Rechtsbeiständen verweigert wurde oder die Bewohner der Wohnungen menschenunwürdig behandelt wurden, indem sie etwa in Unterwäsche stundenlang am Gang vor den Wohnungen stehen mussten, sowie dass in zumindest zwei Fällen gesetzwidrig DNA-Proben entnommen wurden, haben sich bisher weder die Kriminalpolizei noch die Oberstaatsanwaltschaft geäußert.

Über die anhängigen Beschwerden wurde noch nicht entschieden, es ist jedoch zu erwarten, dass weitere Instanzen zahlreiche Rechtswidrigkeiten und Verletzungen der Menschenrechte im Zuge der Polizeimaßnahmen feststellen werden.

2.    Fragwürdige Verhängung der Untersuchungshaft und diffuse Vorwürfe

Die Untersuchungshaft wurde mit den Haftgründen der Verdunkelungs- und der Tatbegehungsgefahr begründet.

 

Da bei der angeführten Polizeiaktion sämtliche Computer und Datenträger beschlagnahmt worden sind, ist nicht nachvollziehbar, worin die „Verdunkelungsgefahr" bestehen soll.

Eine Tatbegehungsgefahr konnte schon deshalb nicht begründet werden, da den Beschuldigten und ihren Rechtsvertretern nicht mitgeteilt wurde, welche konkreten Straftaten vorgeworfen würden. Auch Akteneinsicht wurde erst im Verlauf der folgenden Wochen schleppend und nur teilweise gewährt, so dass eine ordnungsgemäße Verteidigung unmöglich war. Der allgemeine Vorwurf einer „kriminellen Organisation" ist - wie unten noch zu zeigen ist - strafrechtlich nicht haltbar.

Einzeldelikte, welche in den Haftverhandlungen vom 6.6.2008 erstmalig einigen Beschuldigten vorgeworfen wurden, haben sich, wie in einer Stellungnahme der Oberstaatsanwaltschaft Wien vom 19.6.2008 bestätigt wird, großteils als unhaltbar erwiesen. Bei einer angeblichen Brandstiftung an einer Jagdhütte stellte sich etwa heraus, dass diese durch einen Ofen verursacht wurde, was von den Jägern zunächst auch der Versicherung gegenüber verschwiegen wurde. In anderen Fällen hat ein von der Polizei geführter angeblicher Belastungszeuge — über dessen Einvernahme auffallender Weise keine Niederschrift existiert - die ihm zugeschriebenen Aussagen sofort bestritten. Diesbezüglich hat ein Verteidiger bereits Strafanzeige gegen die ermittelnde Beamtin eingebracht.

Die verbleibenden Einzelvorwürfe wie etwa das Klopfen auf ein Autodach, das Ausstreuen von Papierschnitzeln, eine Tierbefreiung von Schweinen und einige geringwertige Sachbeschädigungen (Beschädigung von Plakatständern, Einwurf einer Fensterscheibe) können eine Untersuchungshaft unter keinen Umständen rechtfertigen.

Dennoch wurde zuletzt am 7.7.2008 die Untersuchungshaft mit fadenscheinigen Begründungen neuerlich verlängert. Das Oberlandesgericht Wien hat über die anhängigen Haftbeschwerden bis heute nicht entschieden.

3.  Missbräuchliche Anwendung des § 278a StGB - „Kriminelle Organisation“

Der Tatbestand des § 278a StGB wurde für die Bekämpfung mafiaähnlicher Verbindungen geschaffen. Intention der Schaffung des § 278a StGB war also die Bekämpfung schwerer organisierter Kriminalität, gedacht wurde an Organisationen wie beispielsweise die sizilianische Mafia, die kalabrische N'drangheta oder die chinesischen Triaden (vgl Kienapfel, JBI 1995, 613). Nun wird er zur Kriminalisierung der Tierschutzbewegung missbraucht.

 

Der Tatbestand „Kriminelle Organisation" wird offenbar nur deswegen herangezogen, da keine konkreten Tatnachweise vorliegen. Für alle ungeklärten Fälle, die mit Tierschutz zusammenhängen könnten, wird eine kriminelle Organisation verantwortlich gemacht.

 

Nicht nur Amnesty International zeigte sich aufgrund der angeblich vorliegenden Beweislage irritiert darüber, dass hier das Gesamtdelikt der Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation verfolgt wurde und nicht entsprechende Strafverfahren wegen Sachbeschädigung, Nötigung oder gefährlicher Drohung eingeleitet wurden.

Offensichtlich wurde auf den „Mafiaparagrafen“ zurückgegriffen, da es trotz ausgiebiger, ja sogar ausufernder Ermittlungen unter Heranziehung modernster technischer Ermittlungsmethoden durch mehrere Jahre hindurch der Polizei nicht gelang, eine Reihe schwerer Sachbeschädigungen gegen Bekleidungsgeschäfte aufzuklären. Anscheinend wurde diese Bestimmung genau in jenem Moment herangezogen, als dies zur Erlangung der gerichtlichen Bewilligung noch weitergehender Ermittlungsmethoden gefordert war.

Im Ergebnis konnten jedoch gegen die jetzt Beschuldigten trotz dieser weitreichenden Ermittlungsmethoden keine Beweise einer Beteiligung an den untersuchten schweren Sachbeschädigungen gefunden werden. Statt dessen wurde die Tätigkeit legaler Vereine überwacht, die Teilnahme an legalen Demonstrationen dokumentiert, die Telekommunikation einer Vielzahl von Tierschützern abgehört, die verfassungsrechtlich geschützte Abgabe von freien Meinungsäußerungen zu Tierschutzfragen im Internet erforscht, und aus all diesen Mosaiksteinen die Behauptung konstruiert, die Beschuldigten seien „militante Tierrechtler" und alleine aufgrund dieses Umstandes der angeblichen kriminellen Organisation zugehörig und deshalb für sämtliche ungeklärten Straftaten mit möglichem Zusammenhang zur Tierschutzszene verantwortlich.

Diese ausufernde Interpretation durch die ermittelnden Polizeibeamten wurde von Staatsanwaltschaft und Untersuchungsrichtern bestätigt, ohne dass erkennbar eine eingehende rechtliche Prüfung erfolgt wäre, welche die irrige Auslegung des § 278a StGB zu Tage bringen hätte müssen.

Tatsächlich  kann  der  Tatbestand  des  §  278a  StGB  bei  richtiger  rechtlicher

Auslegung nämlich nicht erfüllt sein:

-         Die im Gesetz geforderte „unternehmensähnliche Organisation" liegt in der von der Staatsanwaltschaft beschriebenen losen Vernetzung nicht vor.

-         Nur   durch    Zusammenrechnung    zweier   nachweislich    unabhängiger Personengruppen   konnte  die  geforderte  Mindestzahl  von   Mitgliedern erreicht werden.

-         Die angebliche Organisation strebt keine Bereicherung an, und auch ein „erheblicher Einfluss auf Politik und Wirtschaft besteht" nicht.

-         Das vom Gesetzgeber einschränkend gedachte Tatbestandsmerkmal einer besonderen Abschirmung gegen Strafverfolgungsmaßnahmen wurde in sein   Gegenteil   verkehrt,   indem   die   bloße   Verwendung   von   E-Mail Verschlüsselung wie sie allgemein üblich ist und etwa von Banken ihren Kunden vorgeschrieben wird als Beweis für das Vorliegen einer kriminellen Organisation angesehen wurde.


 

-         Schließlich wäre die Ausrichtung der Organisation auf die geplante Begehung „schwerwiegender Straftaten" gefordert. Es würden zwar einige der von der Polizei nicht aufgeklärten Sachbeschädigungen dieses Kriterium erfüllen, die den in Haft sitzenden Beschuldigten mittlerweile nur noch vorgeworfenen Delikte erfüllen diese Voraussetzung jedoch jedenfalls nicht.

 

4.  Reformbedarf

Zunächst wird im gegenständlichen Fall durch geeignete Maßnahmen der verantwortlichen Minister dafür Sorge zu tragen sein, dass die unhaltbare Inhaftierung der Beschuldigten so rasch als möglich beendet wird, und über allfällige verbleibende Vorwürfe ein faires Strafverfahren nach rechtsstaatlichen Grundsätzen durchgeführt wird.

Darüber hinaus zeigt sich jedoch an dieser Sache, dass § 278a StGB in seiner derzeitigen Formulierung zu „überschießenden" Gesetzesanwendungen führen kann. Damit ist die legale und für die Gesellschaft nützliche und bedeutsame Arbeit aller ehrenamtlichen Vereine, seien es Umweltschutzvereine, Anti-Atomkraft- Volksbegehren usw. bedroht, wenn nur irgendwo in ihren Randbereichen die Möglichkeit besteht, dass „schwarze Schafe" Straftaten begehen. Folgt man dieser Argumentation konsequent, dann könnten etwa auch Fußball-Fanclubs und Freiwillige Feuerwehren kriminelle Organisationen darstellen, wenn es etwa bei von ihnen organisierten Veranstaltungen zu Schlägereien oder Sachbeschädigungen kommt.

Es werden daher dieser Paragraf und verwandte Strafbestimmungen legistisch zu überarbeiten und zu sanieren sein, damit ein Missbrauch wie im gegenständlichen Fall zukünftig verhindert wird.

Darüber hinaus wird aufgrund der vorgefallenen Rechtsverletzungen und Unverhältnismäßigkeiten bei den gegenständlichen Hausdurchsuchungen und vorangegangenen Überwachungsmaßnahmen streng nachzuprüfen sein, wie die Polizeibehörden und Gerichte mit den ihnen eingeräumten Ermittlungsinstrumenten umgehen. Insbesondere angesichts der gestärkten Position der Staatsanwaltschaften im Vorverfahren seit Inkrafttreten der StPO-Reform mit 1. Jänner 2008 wurde die richterliche Kontrolle des Einsatzes dieser Ermittlungsmethoden eingeschränkt, und es wird diese Maßnahme durch entsprechende Evaluierungsmaßnahmen zu hinterfragen sein. Darüber hinaus muss offensichtlich die Schulung der Exekutivkräfte, aber auch von Gerichtsorganen hinsichtlich der Einhaltung der menschenrechtlich geschützten Verfahrensgarantien verbessert werden.

Schließlich wird durch entsprechende personelle Ausstattung dafür zu sorgen sein, dass Beschwerdeverfahren betreffend Haftprüfungen und die Verletzung subjektiver Rechte durch polizeiliche und gerichtliche Maßnahmen rasch und auf höchstem qualitativem Standard durchgeführt werden.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden


 

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG:

Der Nationalrat wolle beschließen:

Die Bundesregierung wird aufgefordert, sich dafür einzusetzen, dass

1.                                der   §   278a   StGB   und   verwandte   Strafbestimmungen   dahingehend reformiert    werden,     dass    eine    missbräuchliche    Anwendung     auf Nichtregierungsorganisationen künftig ausgeschlossen ist;

2.                                polizeiliche     und     gerichtliche     Ermittlungsmaßnahmen,     welche     in verfassungsrechtlich geschützte Rechte Einzelner eingreifen, tatsächlich nur  im   Falle  unbedingter  Erforderlichkeit  unter strenger  Prüfung   der Verhältnismäßigkeit bei gleichzeitiger penibler Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und mit ausführlicher, inhaltlich durchdachter Begründung beschlossen   werden   und   zum    Einsatz   kommen,    und    möge   dies insbesondere durch geeignete Schulungsmaßnahmen und organisatorische Vorkehrungen sicherstellen;

3.                                Beschwerdeverfahren    in    Haftprüfungssachen    und    hinsichtlich    der Verletzung    subjektiver    Rechte    durch    polizeiliche    und    gerichtliche Maßnahmen rasch und auf höchstem qualitativem Standard durchgeführt werden;

4.               eine      Evaluierung      der      Wahrnehmung      der      Befugnisse      der Staatsanwaltschaften aufgrund der Strafprozessreform in angemessener Frist durchgeführt werde.

In formeller Hinsicht wird die dringliche Behandlung gemäß § 74a iVm § 93 Abs. 1 GOG verlangt.