876/A(E) XXIII. GP

Eingebracht am 10.07.2008
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ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

des Abgeordneten Pirklhuber, Lunacek, Freundinnen und Freunde

 

betreffend Kampf gegen Hunger durch globale Agrarwende

 

 

Dreißig Jahre lang sind die Lebensmittelpreise sowohl in Europa als auch weltweit real gesunken. Mit dem plötzlichen Anstieg der Weltmarktpreise für Agrarrohstoffe hat sich diese Entwicklung umgekehrt. OECD und Vereinte Nationen warnen, dass die Nahrungskrise noch längst nicht überwunden ist. Vom steilen Preisanstieg sind zahlreiche Rohstoffe wie Weizen, Mais, Reis und Milchprodukte betroffen. Die beobachteten Preisbewegungen sind auf eine komplexe Kombination struktureller und eher temporärer Faktoren zurückzuführen.

Zu den strukturellen Auslösern zählt eine ständig ansteigende Nachfrage nach Grundnahrungsmitteln und höherwertiger Nahrung in den Schwellenländern (z.B. China, Brasilien, Indien). Die starke Nachfrage nach Fleisch und Milchprodukten bewirkt, dass derzeit weltweit auf 30% der genutzten Agrarflächen Futtermittel für die Tierhaltung angebaut werden. Tendenz steigend.

Weiters wirken sich die hohen Energiepreise auf die Agrarpreise aus. Steigende Energiepreise erhöhen die Produktionskosten einer betriebsmittelintensiven Landwirtschaft, denn die Herstellung von chemisch synthetischen Stickstoffdüngern und Pestiziden ist extrem energieaufwändig.

Des Weiteren hat die Erschließung alternativer Absatzmärkte, insbesondere des Agrotreibstoffmarkts, die Nachfrage nach Agrarrohstoffen wachsen lassen. Der Europäische Rat hat sich darauf geeinigt, dass Agrartreibstoffe bis 2020 10% der Kraftstoffe im Transportsektor ausmachen sollen. Es ist daher davon auszugehen, dass infolge der überzogenen Beimischungsziele der Anbau stark zunehmen wird. Nach jüngsten Untersuchungen der Weltbank verteuert die Herstellung von Treibstoff aus Pflanzen die Nahrungsmittel um 75 %.

Für die USA ist die Herstellung von Agrosprit bereits zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor geworden. Schätzungen zufolge verwenden die USA bereits 25% ihrer heimischen Maisproduktion für die Herstellung von Bioethanol und etwa 17% der Sojabohnen für Agrodiesel. Um einer wachsenden Flächenkonkurrenz von Nahrungsmittel- und Agrotreibstoff-Produktion entgegenzuwirken, müssen daher schon heute Korrekturen in der Pflanzentreibstoff-Politik vorgenommen werden.

Der Klimawandel und darauf zurückzuführende Naturkatastrophen sowie Missernten verstärken die Misere. Unter anderem ist auch eine Zunahme von Wasserknappheit und Wüstenbildung zu erwarten. Die Politik in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern ist nicht auf die Entwicklung und Ernährung der breiten Bevölkerung ausgerichtet. Ungerechte Landverteilung und Kriege sind weitere Faktoren, die zu den Armutsgeißeln Hunger und Unterernährung beitragen.

 

Hohe Gewinnprognosen im Nahrungsmittel- und Agrospritsektor führen vermehrt zu Spekulationsgeschäften z.B. mit Getreide und Böden. Analysten führen die derzeitigen Preissteigerungen zum Teil auch auf Spekulationsgewinne zurück. Letztes Jahr waren zeitweise 84% der US-Weizenernte in der Hand von spekulativen Fonds.

 

Von Gewalt begleitete Proteste in Lateinamerika, Afrika und Asien legen Zeugnis ab von den unmittelbaren und dramatischen Auswirkungen auf die ärmsten Bevölkerungsschichten. Bei der Beurteilung der Folgen der höheren Lebensmittelpreise für die Entwicklungsländer ergibt sich ein gemischtes Bild. Am stärksten getroffen werden die Lebensmittelimporteure unter den Entwicklungsländern, d.h. fast sämtliche afrikanischen Länder, aber auch die Philippinen oder Indonesien. Laut FAO[1]werden die Aufwendungen der ärmsten Länder der Welt für Getreideeinfuhren 2007/2008 um 56% zunehmen, nachdem sie schon 2006/2007 um 37% angestiegen waren. Für arme, von Nahrungsmitteleinfuhren abhängige Länder in Afrika wird mit einem Anstieg der Getreidekosten um 74% gerechnet.

 

Die weltweiten Gewinner sind die Nettoexporteure (u.a. USA, Brasilien, Kanada) von Nahrungsmitteln, die ohnehin schon von den günstigen Handelsbedingungen (Liberalisierung der Agrarmärkte entsprechend den WTO-Bestimmungen) profitieren. Die Last der Preisinflation bei den Nahrungsmitteln tragen die Armen in den Städten, aber auch auf dem Lande. In den ländlichen Gebieten der Entwicklungsländer müssen viele Haushalte Lebensmittel hinzukaufen (KleinstbäuerInnen, LandarbeiterInnen, Haushalte ohne eigenen Landbesitz). In den Entwicklungsländern geben arme Haushalte im Durchschnitt 50-60% ihres Einkommens  für Lebensmittel und Energie aus. Die höheren Preise führen daher zu mehr Armut, Unterernährung und erhöhter Anfälligkeit für weitere externe Schocks. Nach vorläufigen Schätzungen der Weltbank könnte der Anstieg der Lebensmittelpreise rund 100 Millionen Menschen tiefer in die Armut treiben.

 

Bisher hat die Agrarpolitik der europäischen Union und Nordamerikas mit ihren Zolllinien und handelsverzerrenden Exportsubventionen dazu geführt, dass die auf den eigenen Markt ausgerichtete Landwirtschaft in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern geschwächt oder sogar zerstört wurde. Gleichzeitig hat die internationale Entwicklungspolitik verabsäumt, vorrangig die ländliche Entwicklung und bäuerliche Strukturen zu stärken.

 

Der Weltagrarrat IAASTD bestätigte in seinem am 17. April 2008 veröffentlichten Weltagrarbericht, dass die industrielle Landwirtschaft und Agrogentechnik ungeeignet sind, um das Hungerproblem zu lösen. Die Ausrichtung der Agrarpolitik auf die Steigerung der Produktion um jeden Preis habe zu gravierenden Fehlentwicklungen geführt, urteilten die ExpertInnen. Die industrielle Landwirtschaft mit einem hohen Einsatz an Chemikalien und energieaufwändigen Düngemitteln trage stark zum Verlust fruchtbarer Böden und zur Verschärfung des Klimawandels bei. Darum sei der industrielle Landbau für viele arme Länder und deren großteils kleinbäuerliche Bevölkerung nicht geeignet. Forschung sowie Handels- und Entwicklungspolitik müssten grundsätzlich neu ausgerichtet werden, fordern die AgrarexpertInnen. Höchste Priorität müsse die Förderung von Anbaumethoden haben, die den ökologischen und sozialen Bedingungen der jeweiligen Region angepasst seien.

 

Um das 1. Millenniums-Entwicklungsziel zu erreichen, nämlich den Anteil der Hungernden weltweit bis zum Jahr 2015 um die Hälfte zu reduzieren, müssen die Anstrengungen umgehend verstärkt werden.

 


Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

 

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG:

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

Die Bundesregierung wird aufgefordert, nationale Spielräume zu nutzen und sich auf EU-Ebene sowie im Rahmen internationaler Mitbestimmungsmöglichkeiten für folgende Ziele einzusetzen:

  1. Das in den Leitlinien der FAO festgeschriebene „Recht auf Nahrung“ muss bindendes Kriterium für die internationale Agrarpolitik werden. Dazu gehört das Recht auf Zugang zu Land, Wasser, Saatgut und Patenten.
  2. Die Europäische Agrarpolitik ist unverzüglich mit dem Menschenrecht auf Nahrung, den Millenniumszielen sowie den entwicklungspolitischen Zielen der Union abzustimmen.
  3. Der Agrarbereich ist in die Klimaschutz-Reduktionsziele der Europäischen Union mit einzubeziehen. Klima- und Biodiversitätschutz muss zur Bedingung bei Agrarförderungen gemacht werden.
  4. Alle handelsverzerrenden Exportsubventionen sind umgehend abzuschaffen und in die Ländliche Entwicklung umzuschichten. Zur Etablierung eines fairen Agrarhandels müssen Nachhaltigkeits- und Menschenrechtskriterien für den gesamten Agrarsektor auf internationaler Ebene entwickelt und Bestandteil der WTO-Abkommen werden.
  5. Diese Kriterien müssen unmittelbar auch für die bilateralen bzw. regionalen Handelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Partnerländern oder Staatengruppen in Übersee Gültigkeit haben.
  6. Internationale Organisationen wie die Welternährungsorganisation (FAO), sowie das Umwelt- und das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNEP und UNDP) sind aufzufordern, sich mit Nachdruck an der Entwicklung von Nachhaltigkeits- und Menschenrechtskriterien zu beteiligen.
  7. Im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit sind die kleinbäuerliche Landwirtschaft vor Ort und traditionelle Produktionsmethoden zu unterstützen. Von den Regierungen der Entwicklungsländer ist eine auf die Bedürfnisse der eigenen Bevölkerung ausgerichtete Landwirtschaftspolitik und Entwicklung des ländlichen Raumes einzufordern.
  8. Im Rahmen der internationalen Entwicklungszusammenarbeit ist darauf hinzuwirken, dass Menschen in Entwicklungsländern durch effiziente Agrarreformen Zugang zu Land, Wasser, Saatgut haben und Entwicklungsländer wieder verstärkt in die eigene ländliche Entwicklung investieren.
  9. Die Spekulationen mit Nahrungsmitteln sind einzudämmen durch eine Besteuerung der Spekulation mit Agrarrohstoffen.
  10. Im Licht der Welternährungskrise ist das 10%-Ziel für Agrarsprit, das die Europäische Kommission für 2020 anpeilt und die österreichische Bundesregierung sogar schon für das Jahr 2010 vorsieht, aufzugeben und ein Moratorium für die Verwendung von Getreide und Ölfrüchten zur Produktion von Agrartreibstoffen zu erklären. Eine Biomassestrategie, die auf konsequenter Reststoffnutzung beruht, ist zu unterstützen.

 

In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Ausschuss für Land- und Forstwirtschaft vorgeschlagen.



[1] FAO, Crop prospects and food situation, Nr. 2, April 2008