882/A(E) XXIII. GP

Eingebracht am 10.07.2008
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

 

der Abgeordneten Petra Bayr, Maga Elisabeth Grossmann
Genossinnen und Genossen

betreffend dringend notwendige Maßnahmen auf europäischer und internationaler
Ebene gegen steigende Nahrungsmittel- und Treibstoffpreise

Neben dem Ausgang des Referendums in Irland wurden beim EU-Gipfel am 19. und 20. Juni
in Brüssel auch die stark gestiegenen Lebensmittelpreise thematisiert. In den
Schlussfolgerungen des Rates wurde unter anderem die Beobachtung der Lebensmittel- und
Erdölpreise in Europa und der Welt beschlossen.

Wie auch in einer Entschließung des Europäischen Parlaments [P6_TA(2008)0229] vom
22. Mai angeführt, sind nach Jahren stabiler oder fallender Grundstoffpreise die
Weltmarktpreise für Weizen in den 36 Monaten bis Februar 2008 um 181 Prozent und die
Preise für Reis seit Januar 2008 um 141 Prozent gestiegen. Insgesamt haben sich die
Lebensmittelpreise weltweit um 83 % erhöht. Der Preisindex für Nahrungsmittel, den die
Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) errechnet,
erhöhte sich im Jahr 2007 um fast 40 Prozent, verglichen mit 9 Prozent 2006. In der ersten
Hälfte des Jahres 2008 sind die Preise weiterhin drastisch gestiegen.

Besonders betroffen von den Preissteigerungen sind einkommensschwache Haushalte,
wobei nach Aussagen der FAO 60-80 Prozent der Verbraucherausgaben in
Entwicklungsländern auf Lebensmittel entfallen (Industriestaaten: 10-20 Prozent). Daher
stellt der Preisanstieg auch eine besondere Herausforderung für die
Entwicklungszusammenarbeit und die Umsetzung der Millennium Development Goals dar.
Expertinnen gehen von 862 Millionen hungernden Menschen aus. Die Zahl stieg in der
jüngeren Vergangenheit auch ohne Preissteigerungen an, nun drohen nach Berechnungen
der Weltbank mehr als 100 Millionen Menschen in den Entwicklungsländern noch stärker in
Armut zu geraten. Bereits im vergangenen Jahr ist laut FAO die Zahl der Hungernden
weltweit um rund 50 Millionen gestiegen. Das Ziel der Millennium Development Goals bis
2015 die Anzahl der hungernden Menschen zu halbieren, rückt in weite Ferne. Die Tonne
Reis kostete im Juni 2007 noch 480 Dollar, ein Jahr später über 1000 Dollar.

Mehrere Gründe sind für den starken Anstieg der Preise verantwortlich:

-   Energiepreise: Die Erdölpreise steigen ungebremst, Expertinnen rechnen damit, dass sich
die Preise mittelfristig auf 200 USD pro Barrel stabilisieren werden. Hohe Energiepreise sind
auch ein Faktor für den Anstieg der Nahrungsmittelpreise, da sie die landwirtschaftliche
Produktion (Dünger, Transport) verteuern. Langfristig können die ärmeren
Bevölkerungsschichten nur dadurch vor untragbaren Preissteigerungen im Energiebereich
bewahrt werden, indem wir die Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen überwinden und mit
einem dezentral organisierten Energiemix die Versorgungssicherheit erhöhen und die Preise
für Energie senken.

-   Größere Nachfrage in sich rasch entwickelnden Ländern wie China und Indien:

Rasches Wirtschaftswachstum hat in diesen Ländern die Kaufkraft der Konsumentinnen
gestärkt und die Nachfrage nach Lebensmitteln erhöht und zu höherwertigen Lebensmitteln
wie Fleisch oder Milchprodukten verlagert. Hierzu hat das Europäische Parlament jedoch
festgehalten, dass weltweit nicht von einem Mangel an Lebensmitteln gesprochen werden
kann und die Getreide und Reisernten 2007 sehr gut waren. Des weiteren dürften 1,01
Milliarden Tonnen der Ernte des Jahres 2007 für Ernährungszwecke verwendet worden sein,
während 760 Millionen Tonnen als Futtermittel und rund 100 Millionen Tonnen für die
Erzeugung von Agrarkraftstoffen Verwendung fanden. Nach aktuellen Schätzungen wird die
weltweite Getreideproduktion 2008 um 2,6 % auf einen Rekordwert von 2,164 Mrd. Tonnen
steigen.

-   Spekulationen mit Nahrungsmitteln und Rohstoffen: Es ist davon auszugehen, dass die
Nahrungsmittelkrise auch Folge zunehmender Spekulation mit Nahrungsmittelrohstoffen
einschließlich Rohstoff-Hedgefonds ist. Die Zahl der gehandelten Kontrakte hierzu ist an den
Terminbörsen in der letzten Zeit massiv gestiegen; seit 2005 haben sich die kurzfristigen
Spekulationen verdreifacht. Auch das WIFO stellte in einer Studie fest, dass das langfristige
Überschießen von Aktienkursen, Wechselkursen und Rohstoffpreisen (insbesondere Rohöl)
in hohem Maße Folge kurzfristiger Spekulationen ist. Als geeignet scheinende Maßnahme
liegt hierzu von Seiten der österreichischen Bundesregierung bereits ein Vorschlag für eine
europaweit wirksame Spekulationssteuer vor.

-   Preispolitik der Einzelhandelsketten und Lebensmittelkonzerne: Da die Rohstoffkosten
bei vielen Lebensmittelerzeugnissen einen relativ geringen Bestandteil des Gesamtpreises

ausmachen, gilt es die Diskrepanzen zwischen den Ab-Hof-Preisen und den von den großen
Einzelhandelsketten verlangten Preisen näher zu untersuchen.

Acht global tätige Lebensmittelkonzerne kontrollieren über 80 Prozent des
Weltnahrungsmittelhandels und arbeiten alleine nach dem Prinzip der Gewinnmaximierung.
Liberalisierungen und Privatisierungen im Agrarbereich haben die Zahl derer, die keinen
Zugang zu sauberem Wasser und Nahrung haben, noch weiter erhöht.

Politik von Weltbank, Internationaler Währungsfonds (IWF) und
Welthandelsorganisation:
Wie das Europäische Parlament feststellt, haben diese
Organisationen in den letzten Jahrzehnten eine Liberalisierung des Handels in den
Entwicklungsländern durchgesetzt, um ein „dominantes Modell einer großmaßstäblichen,
exportorientierten Landwirtschaft auf Kosten einer nachhaltigen lokalen
Lebensmittelproduktion und lokaler Lebensmittelmärkte zu etablieren." Diese vom
Währungsfonds verfolgte Agrarpolitik, die sich rein an Exporten orientiert und somit die
Ernährung der eigenen Bevölkerung vernachlässigt, ist offensichtlich gescheitert.

Nahrungsmittelimporte von subventioniert hergestellten Produkten aus dem Norden tragen
dazu bei, die Lebensmittelmärkte im Süden zu ruinieren, da die Konkurrenz zu den stark
subventionierten Nahrungsmittel übermächtig ist.

Agrokraftstoffe: Ebenfalls für den Preisanstieg bei Nahrungsmitteln verantwortlich
gemacht wird die Umstellung auf Agrokraftstoffe. Ein vertraulicher Bericht der Weltbank geht
davon aus, dass die Produktion von agrarischen Treibstoffen die Preise für Lebensmittel
deutlich mehr verteuert, als bisher angenommen. Demnach hat die Herstellung von
Treibstoff aus Pflanzen Nahrungsmittel weltweit um bis zu 75 Prozent verteuert. Während
innerhalb der EU jedoch nur 2-3 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche für diese Art der
Erzeugung genutzt werden, scheint sich vor allem die verstärkte Produktion für Kraftstoffe in
den USA und anderen Ländern negativ auf die Preise und die Verfügbarkeit von
Nahrungsmitteln auszuwirken. Ungefähr 30 Prozent der amerikanischen Maisernte wird laut
dem International Food Policy Research Institute im Jahr 2008 in Ethanol umgewandelt
werden, was wohl abermals zu Preissteigerungen und Versorgungsengpässen in Mexiko
führen wird. Weltweit wandern etwa fünf Prozent des Getreides in den Tank. Damit ist
offensichtlich, dass die bisherige Herstellung agrarischer Treibstoffe weder sozial noch
ökologisch nachhaltig ist und auch menschenrechtlichen Kriterien massiv widerspricht. Die
Gier nach agrarischen Treibstoffen hat dazu geführt, dass sich die Lebensmittelpreise an
den Kursen des Erdöls orientieren, Nahrungsmittel für unreflektierte Mobilität verbrannt
werden, Wasserreserven erschöpft sind, Bodenpreise in die Höhe steigen, Subsistenzbauern

von ihrem Land vertrieben werden und Urwälder für den Bedarf an neuen Ackerflächen
abgeholzt werden.

Hier muss der Produktion von Nahrungsmitteln Priorität vor Erzeugung von Agrokraftstoffen
eingeräumt werden und die Verwendung und Erzeugung von agrarischer Energie der
zweiten Generation, für die landwirtschaftliche Abfallstoffe und keine landwirtschaftlichen
Primärerzeugnisse verarbeitet werden, stärker gefördert werden. Auf EU-Ebene wurde
bereits ein Verzicht auf den Ausbau der Nutzung von Biokraftstoff angedeutet. Im
Verkehrsbereich soll es zu einer stärkeren Nutzung von Wasserstoff- und Elektroautos
kommen.

Von Seiten der Europäischen Union wurden bereits erste Maßnahmen gegen den
Preisanstieg gesetzt bzw. liegen derzeit weitere Vorschläge vor. Durch den Beschluss der
Landwirtschaftsminister der Europäischen Union wurden Flächenstilllegungsverpflichtungen
für 2008 ausgesetzt, was zur Erhöhung des Angebots führen wird. Das Abrücken von der
EU-Vorgabe den Anteil von Agrokraftstoffen am Gesamtverbrauch bis 2020 auf 10 Prozent
zu erhöhen, wird derzeit diskutiert.

Auch aus österreichischer Perspektive scheint ein weitergehendes Einschreiten der
Europäischen Union notwendig, um vor allem Personen mit geringerem Einkommen zu
entlasten. Einer Umfrage zufolge ist bisher die Mehrheit der Österreicherinnen (91 Prozent)
mit dem Engagement der EU gegen die steigenden Lebensmittel- und Energiepreise weniger
oder gar nicht zufrieden.


Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag
Der Nationalrat möge beschließen:

Die Bundesregierung wird ersucht, einen Maßnahmenkatalog zu entwickeln und sich für
dessen Umsetzung innerhalb der Europäischen Union einzusetzen. Dieser
Maßnahmenkatalog hat dabei auf jeden Fall folgende Punkte zu beinhalten:

Spekulationen

- Einführung einer europaweiten Spekulationssteuer auf alle kurzfristigen Spekulationen

- Überprüfung von weitergehenden Maßnahmen vor allem gegen preistreibende
Nahrungsmittelspekulationen

Agrokraftstoffe

-  Aussetzung des Beimischungsziels von 20 Prozent in Österreich und ebenso des 10-
Prozent-Zieles in der EU

-  Keine Produktion agrarischer Treibstoffe aus pflanzlichen Rohstoffen nach den
Herstellungs-Methoden der 1. Generation

-  Mehr Investitionen in die Forschung agrarischer Treibstoffe der 2. und 3. Generation

-  Schaffung eines global verbindlichen Nachhaltigkeits-Zertifikates für agrarische Treibstoffe

Energiepolitik

-  Rascher Umstieg von fossilen auf erneuerbare Energien

-  Spürbare Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz auf allen Ebenen und
dementsprechende Förderungen vor allem in den Sektoren Haushalt, Verkehr und Industrie

-  Forcierung der Forschung zu alternativen Antriebstechnologien

-  Umsetzung der EU-Wegekostenrichtlinie zur Internalisierung externer Kosten

-  Konsequentes Energie-Preismonitoring

-  Atomkraft ist keine nachhaltige Alternative


Entwicklungszusammenarbeit

-  Aufstockung der Katastrophenhilfe, um die ärgsten Folgen der Nahrungsmittelkrise
kurzfristig zu verhindern

-  Sensibel abgestimmter Übergang von der Katastrophenhilfe zu einer nachhaltigen
Entwicklungszusammenarbeit, der möglichst rasch erfolgen muss

-  Entwicklungspolitik muss darauf abzielen, dass kleinbäuerliche Strukturen für die
Nahrungsmittelproduktion für die Menschen im eigenen Land gefördert werden

-  Verstärkte Investitionen in die Subsistenzlandwirtschaft, dementsprechend sind auch die
Programme von Weltbank und Währungsfonds zu adaptieren

-  Das Drängen auf Liberalisierungen in der Daseinsvorsorge ist politisch zu stoppen

-  Förderung des ländlichen Raumes durch Bewässerungsanlagen, Transportwege und
moderne Landwirtschaft

-  Abschaffung der Agrarexportsubventionen

-   Land- und Bodenreformen zugunsten der kleinbäuerlichen Produzentinnen und
Produzenten

-   Die Mittel für den neu einzurichtenden Klimafonds, aus dem Anpassungskosten des
Klimawandels in den Ländern des Südens gefördert werden sollen, darf nicht aus dem
Europäischen Entwicklungsfonds gezahlt werden

In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Wirtschaftsausschuss vorgeschlagen.