333 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXIII. GP

 

Bericht

des Justizausschusses

über den Antrag 141/A der Abgeordneten Mag. Terezija Stoisits, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem die bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug im Strafgesetzbuch ausgeweitet wird

Die Abgeordneten Mag. Terezija Stoisits, Kolleginnen und Kollegen haben den gegenständlichen Initiativantrag am 7. März 2007 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:

„Status Quo: Der österreichische Strafvollzug ist in einer schweren Krise. In Österreich befanden sich mit Stichtag 28.02.2007 9.039 Menschen im Gefängnis, davon über 2.000 in Untersuchungshaft. Signifikant ist dabei der Anstieg der Häftlingszahlen in den vergangenen Jahren:  Während zwischen 1988 und 2001 die Grenze von 7.000 Häftlingen kaum wesentlich überschritten wurde, befinden sich derzeit, wie erwähnt, 9.039 Personen in Haft. Den historischen Tiefststand gab es übrigens dank gezielter Strafrechtsreformen 1989 mit 5.946 Häftlingen. Gefängnisse gelten generell bereits ab einer Auslastung von 85 bis 90 Prozent als vollbelegt. Ein Beispiel für die angespannte Haftsituation ist Österreichs größtes Gefängnis in der Wiener Josefstadt, wo in 4-Mann-Zellen 6-8 Personen untergebracht sind. Die 100%-ige Auslastung liegt bei 990 Häftlingen, tatsächlich ist die Justizanstalt Josefstadt mit 1.186 Personen überbelegt. In überfüllten Gefängnissen können jedoch Gefangenengruppen nicht mehr voneinander getrennt werden (z.B. ErsttäterInnen von kriminell Vorbelasteten oder Gruppen, zwischen welchen ethnische Spannungen bestehen). Dies ist mit erhöhtem  Stress sowohl für InsassInnen als auch BetreuerInnen verbunden, womit das Risiko von größeren Zwischenfällen ansteigt. Gleichzeitig verbessert sich das Arbeits- und Beschäftigungsangebot für die Häftlinge nicht adäquat und treten Rehabilitierungsmaßnahmen zurück. Damit wird aus dem Strafvollzug wieder ein reiner Verwahrungsvollzug.Darüber hinaus verschlechterte sich in den vergangenen Jahren das Verhältnis zwischen Häftlingen und JustizwachebeamtInnen vom langjährigen Schnitt 2:1 auf mittlerweile fast 3:1. Bei einem Personalstand von rund 3.500 (allerdings unter Einrechnung der SozialarbeiterInnen, PsychologInnen, des Pflegepersonals und der BetreuerInnen von Verwaltungsaufgaben) besteht angesichts der Häftlingszahlen ein massiver Mehrbedarf an VollzugsbeamtInnen.

Bedingte Entlassung im internationalen Vergleich: In Österreich werden nur 20 % aller Strafgefangenen bedingt entlassen. In Deutschland sind es mehr als 50%, in der Schweiz 92%. Dabei ist zu bedenken, dass Gefangene mit Freiheitsstrafen von weniger als drei Monaten und Gefangene, die eine teilbedingte Strafe verbüßen, nach geltender Gesetzeslage gar nicht bedingt entlassen werden können (siehe dazu „Derzeit geltende Rechtslage und Reformüberlegungen“).

Folgen der bedingten Entlassung: In der Öffentlichkeit ist weitgehend unbekannt, dass Bewährungshilfe und Auflagen des Gerichts (z.B. in Form von Weisungen) bei zu unbedingten Freiheitsstrafen verurteilten Personen nur bei einer bedingten Entlassung möglich sind. Das bedeutet, dass in Österreich 80% der Haftentlassenen keine Auflagen erteilt werden können und diese Personengruppe keine Unterstützung durch einen/eine BewährungshelferIn erhält. Es bleibt für diese Personen nur die Haftentlassenhilfe, die nicht verpflichtend ist. Dies ist aus spezialpräventiver Sicht mehr als bedenklich.

Gängige Argumente gegen die bedingte Entlassung und ihre Entkräftung: Als Argument gegen die bedingte Entlassung wird immer wieder die Generalprävention angeführt: Um andere Menschen von strafbaren Handlungen abzuhalten, müssen TäterInnen ihre Strafe bis zum letzten Tag absitzen. Diese Behauptung konnte bis heute wissenschaftlich nicht nachgewiesen werden. Tatsächlich ergibt sich aus empirischen Studien, dass nicht  die Dauer der Strafe anderer Personen abschreckend wirkt, sondern die Wahrscheinlichkeit, „erwischt“ zu werden. Bedauerlicherweise glauben viele BürgerInnen, dass eine Haftstrafe durchwegs angenehme Nebenwirkungen haben kann: Klischees von Polstermöbeln und dem Luxusgut Fernsehapparat sind weit verbreitet. Tatsächlich sind JustizwachebeamtInnen in Haftanstalten unter der Woche täglich acht Stunden im Dienst. In dieser Zeit ist die Anstalt „in Betrieb“ und müssen die Häftlinge unter der Aufsicht der JustizwachebeamtInnen eine Reihe von Aufgaben erledigen: Hofspaziergang, Arbeiten, Essen, zweimal pro Woche Duschen, Besuch, medizinische Versorgung, etc.  Ein derartiges Programm für Hunderte von Gefangenen kann nur unter Einhaltung strengster Zeitpläne und Einforderung von Disziplin organisiert werden.. Dementsprechend wird den Gefangenen jeder Schritt und jeder Handgriff vorgeschrieben und ist ein selbständiges Handeln  nicht möglich. Außerhalb dieser „Betriebszeit“ und am Wochenende müssen die Gefangenen in ihren Zellen bleiben – in kleineren Anstalten sind das 2-Personen-Zellen mit gerade einmal 10 m2. Dort verbringen sie 16 Stunden täglich mit Lesen, Karten spielen, Gesprächen, Fernsehen, etc. Gefangene führen damit ein Leben, das in Grundzügen jenem eines Vorschulkindes ähnelt: Minutiös vorgegeben, ohne die Möglichkeit, Selbständigkeit zu entwickeln. Nachdem 80% der Häftlinge nicht bedingt entlassen werden, erhalten sie keine Unterstützung durch eine/n BewährungshelferIn und müssen sich sehr plötzlich ohne Betreuung in der wieder erlangten Freiheit orientieren. Nicht wenige Entlassene scheitern verständlicherweise an den Anforderungen des täglichen Lebens.

Derzeit geltende Rechtslage und Reformüberlegungen: Es besteht die grundsätzliche Möglichkeit einer bedingten Entlassung nach der Hälfte der Strafe. Nach geltendem StGB sollte im Regelfall nach zwei Drittel der Strafe eine bedingte Entlassung erfolgen. Die (meisten) Strafgerichte handhaben diese Gesetzesbestimmungen jedoch zu restriktiv und verweigern häufig die bedingte Entlassung aus generalpräventiven Gründen. Weiters ist eine bedingte Entlassung nach geltendem Recht erst nach Verbüßen von mindestens 3 Monaten möglich (§ 46 Abs. 1 und Abs. 2). In kriminalpolitischen Fachkreisen werden hiezu Diskussionen geführt, den Kreis der verhängten Freiheitsstrafen, bei denen eine bedingte Entlassung möglich ist, durch eine Verkürzung der „Mindeststrafdauer“ von 3 Monaten zu erweitern. Eine bedingte Entlassung könnte demnach bereits nach einem Monat Strafvollzug zulässig sein. Bis zum StrÄG 1987 manifestierte sich das Dogma der Schädlichkeit kurzer Freiheitsstrafen konsequent dadurch, dass eine bedingte Entlassung erst nach 6 Monaten möglich war. Die RichterInnen hätten dadurch angehalten werden sollen, möglichst keine kurzen Freiheitsstrafen zu verhängen. Mit der Einführung teilbedingter Freiheitsstrafen ab einer Strafe von über 6 Monaten verkürzte sich die Mindeststrafdauer, die für eine bedingte Entlassung erforderlich war, auf drei Monate. Die Schädlichkeit kurzer Freiheitsstrafen ist heute umstritten. Einerseits werden kurze Freiheitsstrafen von BefürworterInnen der “Strafe mit Schockwirkung“ und andererseits auch von liberalen KriminalpolitikerInnen letztere allerdings nur bei entsprechender Ausgestaltung des Kurzstrafenvollzugs (Freigang, Wochenendvollzug, „Freizeitstrafe“, etc.), befürwortet. Eine Verkürzung der derzeit geltenden Mindeststrafdauer von 3 Monaten für eine bedingte Entlassung auf einen Monat erscheint nach der großen Reform der bedingten Entlassung, wie sie in weiterer Folge noch dargestellt wird,  gekoppelt mit alternativen Formen des Kurzstrafvollzuges sinnvoll. Ohne flankierende Maßnahmen wäre zu befürchten, dass RichterInnen ermuntert würden, kurze, unbedingte Freiheitsstrafen zu verhängen, weil eine bedingte Entlassung nach einem Monat möglich wäre. Insgesamt ist eine tiefgreifende Reform der bedingten Entlassung notwendig, um die Anhaltezeit auf ein kriminalpolitisch sinnvolles Maß zu beschränken. Die Kürzungen der Ausgaben für den Strafvollzug und die ansteigenden Gefangenenzahlen, die zu unhaltbaren Zuständen in den Strafvollzugsanstalten geführt haben, erfordern jetzt Sofortmaßnahmen. Die Reform der bedingten Entlassung würde es ermöglichen, bei einer kleineren Zahl von Gefangenen die Anstalten länger offen zu halten, die Gefangenen besser zu beschäftigen und durch einen gelockerten Vollzug besser auf ein Leben nach der Entlassung vorbereiten zu können. Nicht zuletzt besteht durch eine solche Reform ein direktes Einsparungspotential von Vollzugskosten und ein indirektes (erhebliches), weil keine Gefängnisneubauten notwendig sind. Zu erwartende Mehrkosten für Bewährungshilfemaßnahmen werden damit aus ökonomischer Sicht bei weitem kompensiert.

Vorgeschlagene Maßnahmen: Überlegungen, ob die Strafe weiter vollzogen werden muss, um andere von strafbaren Handlungen abzuhalten (Generalprävention), sollen –wie in Deutschland und der Schweiz – keine Rolle mehr spielen. Nach Verbüßen von zwei Drittel der Strafe muss die bedingte Entlassung die Regel sein. Ausnahmen gibt es nur bei einer erhöhten Rückfallgefahr zu schweren Gewalttaten oder gemeingefährlichen Delikten. Da die bedingte Entlassung nichts mit einer neuerlichen Strafzumessung zu tun hat sondern die letzte Phase des Strafvollzuges bildet, sollen darüber nicht mehr die Vollzugsgerichte, sondern Strafvollzugskommissionen (StaatsanwältIn, Vollzugsbedienstete und SozialarbeiterIn der Bewährungshilfe) entscheiden. Derartig wichtige verfahrens- und organisationsrechtliche Bestimmungen bedürfen einer besonderen Vorarbeit und sollen nicht durch Initiativanträge vorbereitet werden sollen. Dementsprechend wird zugleich mit dem vorliegenden Antrag ein Entschließungsantrag zu verfahrensrechtlichen Maßnahmen eingebracht. Auch bei besonderen Risikogruppen erfolgt die bedingte Entlassung grundsätzlich spätestens nach fünf Sechstel der Strafe, damit Hilfe und Unterstützung durch die Bewährungshilfe geleistet werden kann (und die Erteilung von Auflagen ermöglicht wird). Nur ausnahmsweise und aufgrund besonders schwerwiegender Gründe kann von einer bedingten Entlassung nach fünf Sechstel der Strafe abgesehen werden.“

 

Der Justizausschuss hat den gegenständlichen Initiativantrag in seiner Sitzung am 20. September 2007 erstmals in Verhandlung genommen. An der an die Ausführungen des Berichterstatters Mag. Albert Steinhauser folgenden Debatte beteiligten sich die Abgeordneten Mag. Karin Hakl, Mag. Gernot Darmann, Dr. Peter Fichtenbauer, Dr. Peter Wittmann und Mag. Dr. Wolfgang Zinggl sowie die Bundesministerin für Justiz Dr. Maria Berger und der Ausschussobmann Abgeordneter Mag. Heribert Donnerbauer. Nach einer Vertagung wurden die Verhandlungen in der Sitzung des Justizausschusses vom 22. November 2007 wieder aufgenommen. An der Debatte beteiligten sich die Abgeordneten Anna Franz, Dr. Johannes Jarolim, Dr. Peter Fichtenbauer, Mag. Albert Steinhauser, Mag. Gisela Wurm, Mag. Dr. Wolfgang Zinggl, Barbara Riener, Mag. Gernot Darmann, Bettina Stadlbauer, Dr. Gertrude Brinek, Mag. Johann Maier, Sonja Ablinger und Mag. Karin Hakl sowie die Bundesministerin für Justiz Dr. Maria Berger.

 

Bei der Abstimmung fand der gegenständliche Initiativantrag nicht die Zustimmung der Ausschussmehrheit.

 

Als Berichterstatterin für das Plenum wurde Abgeordnete Bettina Stadlbauer gewählt.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Justizausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle diesen Bericht zur Kenntnis nehmen.

Wien, 2007 11 22

                              Bettina Stadlbauer                                                    Mag. Heribert Donnerbauer

                                 Berichterstatterin                                                                          Obmann