373 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXIII. GP

 

Bericht

des Verfassungsausschusses

über die Regierungsvorlage (46 der Beilagen): Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über die Vollstreckung von Geldstrafen und Geldbußen von Verwaltungsbehörden im Rahmen der Europäischen Union (EU-Verwaltungsstrafvollstreckungsgesetz – EU-VStVG) erlassen wird und das Verwaltungsstrafgesetz 1991 und das Verwaltungsvollstreckungsgesetz 1991 geändert werden

Der Rat der Europäischen Union unterstützte auf seiner Tagung am 15. und 16. Oktober 1999 in Tampere den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung, der zum Eckstein der justiziellen Zusammenarbeit sowohl in Zivil- als auch in Strafsachen innerhalb der Union werden soll. Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung sollte für Geldstrafen oder Geldbußen von Gerichts- oder Verwaltungsbehörden gelten, um die Vollstreckung solcher Geldstrafen oder Geldbußen in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem sie verhängt worden sind, zu erleichtern.

Am 29. November 2000 nahm der Europäische Rat in Einklang mit den Schlussfolgerungen von Tampere ein Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen an, wobei er der Annahme eines Rechtsakts zur Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen oder Geldbußen Vorrang einräumte.

Der Rahmenbeschluss 2005/214/JI des Rates vom 24. Februar 2005 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen, ABl. L Nr. 76 vom 22.3.2005, S. 16 (im Folgenden: Rahmenbeschluss) erfasst auch die wegen Zuwiderhandlungen gegen die den Straßenverkehr regelnden Vorschriften verhängten Geldstrafen und Geldbußen.

Wiederin hat sich in seinem für die Abteilung Strafrecht des 16. Österreichischen Juristentages erstatteten Gutachten (Die Zukunft des Verwaltungsstrafrechts, 16. ÖJT Band III/1, 141 ff) gegen eine getrennte Umsetzung der einschlägigen Rahmenbeschlüsse im gerichtlichen Strafrecht und im Verwaltungsstrafrecht ausgesprochen; eine solche erhöhe nicht nur den legistischen Aufwand, sondern berge auch die Gefahr, dass Entscheidungen ausländischer Verwaltungsbehörden in Österreich leichter anerkannt und vollstreckt werden könnten als gerichtliche Entscheidungen in derselben Sache. Die ordentlichen Gerichte seien als Rechtshilfebehörden besser geeignet als die Bezirksverwaltungsbehörden und Bundespolizeidirektionen sowie die künftigen Verwaltungsgerichte erster Instanz.

Ungeachtet der beachtlichen Argumente Wiederins wird im Gesetzentwurf eine Übertragung der Aufgaben der Vollstreckung auf die Bezirksverwaltungsbehörden (Bezirkshauptmannschaften und Bürgermeister der Städte mit eigenem Statut) und (innerhalb ihres Wirkungsbereiches) auf die Bundespolizeidirektionen, also eine getrennte Umsetzung vorgeschlagen. Für diese Lösung spricht, dass diese Behörden regelmäßig Straf- und Vollstreckungsbehörden erster Instanz sind und bereits nach dem Vertrag zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über Amts- und Rechtshilfe in Verwaltungssachen, BGBl. Nr. 526/1990, und nach dem Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, BGBl. III Nr. 65/2005, Amts- und Rechtshilfe zu leisten haben. In einem dualen System, in dem gerichtliches Strafrecht und Verwaltungsstrafrecht nebeneinander stehen, erscheint dies, wie auch Wiederin (aaO, 138) einräumt, durchaus folgerichtig. Der legistische Aufwand für eine getrennte Umsetzung ist, wie der nur 19 Paragraphen umfassende Gesetzentwurf zeigt, vernachlässigbar, und auch die Befürchtung Wiederins, der europarechtliche Ermessensspielraum könne bei der Vollstreckung von Entscheidungen der Verwaltungsbehörden weniger stark ausgeschöpft werden als bei der Vollstreckung von Entscheidungen der Gerichte (aaO, 140), ist nicht begründet, weil mit der vorgeschlagenen Erlassung einer lex specialis zum Verwaltungsvollstreckungsgesetz 1991 (VVG), BGBl. Nr. 53, einer vollständigen Übernahme der europarechtlich zulässigen Ablehnungsgründe weder legistische Zwänge noch sonstige Hindernisse entgegen stehen.

„[A]uch in Strafsachen zuständige Gerichte“, deren Entscheidungen sich auf Entscheidungen von nicht gerichtlichen Behörden beziehen, im Sinne dieses Bundesgesetzes sind in Österreich die unabhängigen Verwaltungssenate (RV 696 d. B. XXII. GP, 3 zu Art. 3 des Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union); die gegenteilige Auffassung von Wiederin (aaO, 113 ff) vermag aus folgenden Gründen nicht zu überzeugen: Wie ein Vergleich mit anderen Sprachfassungen des Rahmenbeschlusses 2005/214/JI zeigt, verlangt dessen Art. 1 Buchstabe a Z iv) nicht, dass das „Gericht“ (Tribunal) neben seiner Zuständigkeit in Strafsachen über eine originäre Strafkompetenz verfügt, sondern nur, dass es insbesondere („in particular“, „notamment“, „in particolare“, „en particular“) in Strafsachen zuständig ist. Die Entstehungsgeschichte der Vorbildbestimmung des Art. 49. lit. a des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1990, BGBl. III Nr. 90/1997, in der eine wortgleiche Formulierung verwendet wird, legt die Deutung nahe, dass damit lediglich gesagt werden soll, dass das betreffende Gericht neben seiner Zuständigkeit in Strafsachen auch noch andere, nicht strafrechtliche Zuständigkeiten haben kann (so wie dies namentlich auf die deutschen Amtsgerichte zutrifft, die durch die Vorbildbestimmung offenbar erfasst werden sollten).

 

Der Verfassungsausschuss hat die gegenständliche Regierungsvorlage in seiner Sitzung am 28. November 2007 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich außer dem Berichterstatter die Abgeordneten Dr. Michael Spindelegger, Hannes Fazekas, Mag. Albert Steinhauser, Herbert Scheibner, Dr. Peter Fichtenbauer, Mag. Heribert Donnerbauer und Mag. Helmut Kukacka sowie die Staatssekretärin im Bundeskanzleramt Heidrun Silhavy.

 

Im Zuge der Debatte haben die Abgeordneten Dr. Peter Wittmann und Dr. Michael Spindelegger einen Abänderungsantrag eingebracht, der wie folgt begründet war:

„ Zu Art. 1 § 1 EU-VStVG samt Überschrift:

Durch die vorgeschlagene Neufassung des § 1 soll zunächst klargestellt werden, dass Entscheidungen, die in den Anwendungsbereich des Bundesgesetzes zur Durchführung der EG-Beitreibungsrichtlinie (EG-Vollstreckungsamtshilfegesetz – EG-VAHG), BGBl. Nr. 658/1994, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 132/2002, fallen, vom Anwendungsbereich des EU-VStVG ausgenommen sind.

Der Katalog des Art. 5 des Rahmenbeschlusses enthält ua. den Tatbestand des ‚Warenschmuggels’, zu dessen Ahndung nach österreichischem Recht – soweit sie nicht den Gerichten obliegt – die Finanzstrafbehörden zuständig sind. Damit fallen auch Geldstrafen in den Anwendungsbereich des Rahmenbeschlusses, die nicht wegen Verwaltungsübertretungen (im technischen Sinn des Art. VI Abs. 3 des Einführungsgesetzes zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen 1991 – EGVG, BGBl. Nr. 50) verhängt worden sind.

Für die Vollstreckung der von den Finanzstrafbehörden verhängten Geldstrafen gelten völlig andere Regeln als für die Vollstreckung der wegen Verwaltungsübertretungen verhängten Geldstrafen: Dafür zuständig sind gemäß § 172 Abs. 1 des Finanzstrafgesetzes – FinStrG, BGBl. Nr. 129/1958, die Finanzstrafbehörden erster Instanz, das sind die Zoll- und Finanzämter (und nicht die Bezirksverwaltungsbehörden bzw. Bundespolizeidirektionen); diese haben dabei, soweit das Finanzstrafgesetz nicht anderes bestimmt, in sinngemäßer Anwendung der Bundesabgabenordnung und der Abgabenexekutionsordnung vorzugehen (und nicht in Anwendung des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes 1991 – VVG, BGBl. Nr. 53).

In seiner Stellungnahme zu dem der Regierungsvorlage zugrunde liegenden Begutachtungsentwurf führt das Bundesministerium für Finanzen aus, es gehe davon aus, ‚dass der vorliegende Gesetzesentwurf auf die Vollstreckung von Strafen nach dem Finanzstrafgesetz (FinStrG) bzw. gleichartigen ausländischen fiskalischen Strafen keine Anwendung findet’. Eben dies ist jedoch angesichts der insoweit nicht differenzierenden Formulierung des § 1 EU-VStVG nicht gewährleistet.

Angesichts der weitreichenden Unterschiede zwischen den Verfahrenssystemen des FinStrG und des VVG erscheint es umgekehrt kaum zweckmäßig, die Vollstreckung der Entscheidungen in- und ausländischer Finanzstrafbehörden im Rahmen dieses Gesetzes zu regeln, würde dies doch Sonderbestimmungen erfordern, die mit dem Konzept und der Systematik des vorgeschlagenen Gesetzes kaum in Einklang zu bringen sind. Im Hinblick darauf soll die Vollstreckung von Entscheidungen (österreichischer und ausländischer) Finanz- und Zollbehörden vom Anwendungsbereich des EU-VStVG ausgenommen werden und einer gesonderten Regelung vorbehalten bleiben.

Zu Art. 1 § 5 Abs. 5 EU-VStVG:

Um der Vollstreckungsbehörde die Beurteilung der Frage zu erleichtern, ob die Vollstreckung gemäß § 5 Abs. 1 bis 3 zu verweigern ist, sieht Abs. 5 in der vorgeschlagenen Fassung vor, dass sie dem Bestraften Gelegenheit zu geben hat, sich zu den möglichen Gründen für eine Verweigerung der Vollstreckung zu äußern.

Hervorzuheben ist, dass es sich bei diesem von der Vollstreckungsbehörde durchzuführenden ‚Äußerungsverfahren’ nicht um ein eigenes ‚behördliches Verfahren’ im Sinne des Art. II Abs. 1 EGVG handelt. Die Frage der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit der Vollstreckung gemäß § 5 Abs. 1 bis 3 kann daher auch nicht Gegenstand eines eigenen bescheidmäßigen Abspruchs (etwa in Form eines Feststellungsbescheides) sein. Ob die Vollstreckung gemäß § 5 Abs. 1 bis 3 zulässig ist, ist vom Exekutionsgericht (aus Anlass der Bewilligung einer von der Vollstreckungsbehörde beantragten Exekution) zu entscheiden bzw. nur dann, wenn die Vollstreckungsbehörde die Eintreibung der Geldstrafe oder Geldbuße selbst vornimmt, von ihr selbst (in der Vollstreckungsverfügung) bzw. von der Berufungsbehörde (in der Entscheidung über eine gegen die Vollstreckungsverfügung erhobene Berufung). Wenn die Vollstreckungsbehörde zur Überzeugung gelangt, dass die Vollstreckung gemäß § 5 Abs. 1 bis 3 unzulässig ist, darf sie die gerichtliche Exekution erst gar nicht beantragen (bzw. die Vollstreckung verfügen), sondern hat die Vollstreckung sofort zu verweigern.

Nach diesem Bundesgesetz zu vollstreckende Entscheidungen sind Exekutionstitel im Sinne des § 2 Abs. 2 der Exekutionsordnung – EO, RGBl. Nr. 79/1896.

Zu Art. 1 § 18 EU-VStVG samt Überschrift, Art. 2 Z 10 § 66b Abs. 13 VStG und Art. 3 Z 6 § 13 Abs. 4 VVG:

Um den mit der Durchführung des Gesetzes befassten Behörden eine Vorbereitungszeit zu ermöglichen, soll ein bestimmtes Datum des Inkrafttretens festgelegt werden. Auch für die Kommunikation gegenüber dem Bürger ist ein bestimmtes Datum einem nicht genau vorhersehbaren Inkrafttretenstermin (BGBl-Kundmachung) vorzuziehen.

Die Stichtagsregelung für die Anwendung berücksichtigt das Prinzip der nicht rückwirkenden Strafgesetze (nulla poena...) und wird voraussichtlich in gleicher Weise auch im Zuge der Umsetzung des Rahmenbeschlusses durch Deutschland berücksichtigt (so die Erklärung der dt. Justizministerin Zypries am 13.11.2007 bei der ADAC-Rechtskonferenz in Berlin).

Zu Art. 3 Z 3 § 10 Abs. 1 VVG:

Nach der vorgeschlagenen Neufassung des § 10 Abs. 1 VVG soll § 61a AVG (Hinweis auf die Möglichkeit einer Beschwerde bei den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts) auch auf letztinstanzliche Vollstreckungsverfügungen sinngemäß anzuwenden sein (so bereits zur geltenden Rechtslage vorsichtig Ringhofer, Verwaltungsverfahrensgesetze II [1992], Anm. 4 zu § 10 VVG). Infolge eines offenbaren Redaktionsversehens wurde der Wortlaut des § 10 Abs. 1 VVG dem Bundesgesetz BGBl. Nr. 199/1982 nämlich nicht angepasst (vgl. Ringhofer, Verwaltungsverfahrensgesetze I [1987], **Anm. zu § 61a AVG und Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 [1998], *Anm. zu § 61a AVG).

Nicht anzuwenden sein können dagegen – entgegen dem derzeitigen Gesetzeswortlaut – die nur für die unabhängigen Verwaltungssenate geltenden §§ 67a bis 67h AVG (vgl. bereits Ringhofer, Verwaltungsverfahrensgesetze II [1992], Anm. 1 zu § 10 VVG).“

 

Bei der Abstimmung wurde der in der Regierungsvorlage enthaltene Gesetzentwurf unter Berücksichtigung des oben erwähnten Abänderungsantrages der Abgeordneten Dr. Peter Wittmann und Dr. Michael Spindelegger mit Stimmenmehrheit angenommen.

 

Ein von den Abgeordneten Dr. Michael Spindelegger und Dr. Peter Wittmann eingebrachter Entschließungsantrag betreffend einen Bericht über die Erfahrungen auf dem Gebiet der Halter- und Lenkerauskunft von den österreichischen Behörden wurde mit Stimmenmehrheit beschlossen. Diesem Antrag war folgende Begründung beigegeben:

„Mit dem Bundesgesetz über die Vollstreckung von Geldstrafen und Geldbußen von Verwaltungsbehörden im Rahmen der Europäischen Union (EU-Verwaltungsstraf­vollstreckungsgesetz) sollen nunmehr auch österreichische Entscheidungen von Verwaltungsbehörden in anderen EU-Mitgliedsstaaten vollstreckt werden können. Dies ist bei Verkehrsübertretungen regelmäßig nur dann möglich, wenn der Halter bzw. der Lenker ermittelt werden und folglich gegen diesen ein ordnungsgemäßes Verwaltungsstrafverfahren durchgeführt werden kann. Derzeit zeigen die Erfahrungen von österreichischen Behörden, dass es hier immer wieder zu Proble­men kommt, im Gegenzug allerdings bei der Vollstreckung von Entscheidungen anderer Mitgliedsstaaten in Österreich die österreichischen Behörden aufgrund von § 86 Abs. 3 Kraftfahrgesetz verpflichtet sind, die notwendigen Auskünfte zur Ermitt­lung von Lenkern zu geben, wenn sich diese Personen wegen Übertretung von Ver­kehrsvorschriften in anderen EU-Mitgliedsstaaten strafbar gemacht haben.

Die Beschlussfassung des EU-Verwaltungsstrafvollstreckungsgesetzes soll daher dazu genutzt werden, Erfahrungen auf dem Gebiet der Halter- und Lenkerauskunft von den österreichischen Behörden einzuholen und allenfalls darauf aufbauend weitere Konsequenzen zu ziehen.“

 

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Verfassungsausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle

1.      dem angeschlossenen Gesetzentwurf die verfassungsmäßige Zustimmung erteilen;

2.      die angeschlossene Entschließung annehmen.

Wien, 2007 11 28

                                  Michael Praßl                                                               Dr. Peter Wittmann

                                   Berichterstatter                                                                           Obmann