Vorblatt

1. Problem:

Der Europarat hat ein Übereinkommen geschaffen, damit Kinder, die im VN-Übereinkommen verbrieften Rechte, insbesondere in den sie berührenden familienrechtlichen Verfahren, auch ausüben können. Das gegenständliche Übereinkommen stellt eine Ergänzung des VN-Übereinkommens über die Rechte des Kindes dar.

2. Ziel:

Ziel des Übereinkommens ist, die Ausübung der materiellen Kinderrechte zu erleichtern, indem es Verfahrensrechte stärkt und schafft, die von Kindern selbst oder durch andere Personen oder Stellen ausgeübt werden können. Im Mittelpunkt steht der Gedanke der Förderung von Kinderrechten.

3. Inhalt, Problemlösung:

Das Übereinkommen enthält einen Katalog von Verfahrensrechten, die von Kindern selbst oder durch andere Personen oder Stellen ausgeübt werden können. Kinder sollen in den sie berührenden familienrechtlichen Verfahren sachdienliche Auskünfte (über ihre Rechte) erhalten, müssen vom Gericht gehört werden und sind berechtigt, ihre Meinung zu äußern, die dann auch gebührend zu berücksichtigen ist.

4. Alternativen:

Keine.

5. Auswirkungen des Regelungsvorhabens:

5.1 Finanzielle Auswirkungen:

Keine.

5.2 Wirtschaftspolitische Auswirkungen:

5.2.1 Auswirkungen auf die Beschäftigung und den Wirtschaftsstandort Österreich:

Keine.

5.2.2 Auswirkungen auf die Verwaltungslasten für Unternehmen:

Keine.

5.2.3 sonstige wirtschaftspolitische Auswirkungen:

Keine.

5.3 Auswirkungen in umweltpolitischer, konsumentenschutzpolitischer sowie sozialer Hinsicht:

Durch die Ratifikation soll ein Zeichen dafür gesetzt werden, dass Kinderrechten und der wirksamen Ausübung der Kinderrechte in Österreich stets ein hoher Stellenwert beigemessen wird.

5.4 Geschlechtsspezifische Auswirkungen:

Keine.

6. Verhältnis zu Rechtsvorschriften der Europäischen Union:

Die Rechtsvorschriften der Europäischen Union werden vom vorliegenden Übereinkommen nicht berührt.

7. Besonderheiten des Normerzeugungsverfahrens:

Erfüllungsvorbehalt gemäß Art. 50 Abs. 2 Z 3 B-VG.


Erläuterungen

Allgemeiner Teil

Das Europäische Übereinkommen über die Ausübung von Kinderrechten hat gesetzändernden bzw. gesetzesergänzenden Inhalt und bedarf daher der Genehmigung des Nationalrats gemäß Art. 50 Abs. 1 Z 1 B-VG. Es hat nicht politischen Charakter. Es ist der unmittelbaren Anwendung im innerstaatlichen Rechtsbereich nicht zugänglich, sodass die Erlassung von Gesetzen gemäß Art. 50 Abs. 2 Z 3 B-VG erforderlich ist; dies ist mit dem Kindschaftsrechts-Änderungsgesetzes 2001 bereits erfolgt. Da durch das Übereinkommen keine Angelegenheiten des selbständigen Wirkungsbereiches der Länder geregelt werden, bedarf es keiner Zustimmung des Bundesrates gemäß Art. 50 Abs. 2 Z 2 B-VG.

Gemäß dem Beschluss der Bundesregierung vom 15. Juni 1999 (sh. Pkt. 12 des Beschl.Prot. Nr. 101) und der entsprechenden Ermächtigung durch den Herrn Bundespräsidenten wurde das Übereinkommen des Europarats über die Ausübung von Kinderrechten am 13. Juli 1999 unterzeichnet.

Im Februar 1997 ist bei einer Übersetzungskonferenz in Bern zwischen der Bundesrepublik Deutschland, Österreich und der Schweiz eine gemeinsame deutsche Übersetzung hergestellt worden.

Es besteht aufgrund des Art. 1 Abs. 4 die Notwendigkeit, anlässlich der Ratifikation eine Erklärung zum Anwendungsbereich abzugeben. Vorbehalte zu diesem Übereinkommen sind nicht zulässig (Art. 24).

Das Übereinkommen ist am 1. Juli 2000 objektiv in Kraft getreten; es wurde bisher von 12 Staaten ratifiziert (Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien, Lettland, Mazedonien, Polen, Slowenien, Tschechische Republik, Türkei, Ukraine und Zypern).

Der Ausgangspunkt für die Arbeiten des Europarats war das im Rahmen der Vereinten Nationen ausgearbeitete Übereinkommen über die Rechte des Kindes, BGBl. Nr. 7/1993 idF der Kundmachung BGBl. Nr. 437/1993 und des Bundesgesetzes BGBl. III Nr. 16/2003, besonders dessen Art. 4, der die Vertragsstaaten verpflichtet, alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs-, und sonstigen Maßnahmen zur Verwirklichung der in dem Übereinkommen der Vereinten Nationen anerkannten Kinderrechte zu treffen. Der Europarat ging von der zutreffenden Auffassung aus, dass es nicht genügt, Kindern materielle Rechte zu gewähren, sondern dass auch Vorkehrungen für den Gebrauch und die Durchsetzung dieser Rechte getroffen werden müssen. Das gegenständliche Übereinkommen bezweckt, derartige Möglichkeiten zu stärken, damit Kinder ihre Rechte – insbesondere in den sie berührenden familiengerichtlichen Verfahren – auch wirklich ausüben können. Das Übereinkommen ist somit eine wichtige Ergänzung des Übereinkommens über die Rechte des Kindes; es steht nicht im Widerspruch zu diesem und es gibt auch keine Überschneidungen.

In dem gegenständlichen Übereinkommen wird ausdrücklich die Bedeutung der Rolle der Eltern beim Schutz und bei der Förderung der Rechte und des Wohls von Kindern anerkannt. Im Art. 3 des Übereinkommens wird festgelegt, dass Kinder in den sie berührenden familiengerichtlichen Verfahren sachdienliche Auskünfte (über ihre Rechte) erhalten sollen und berechtigt sind, ihre Meinung zu äußern, die dann vom Gericht auch gebührend zu berücksichtigen ist. Bedeutsam ist auch, dass sich die Vertragsstaaten verpflichten, durch geeignete Stellen die Förderung und die Ausübung von Kinderrechten zu unterstützen (Art. 12); überdies sollen sie außergerichtliche Streitbelegungsmechanismen fördern, um Streitigkeiten vorzubeugen bzw. diese beizulegen (etwa Mediation – Art. 13). Wichtig ist auch die Einsetzung eines Ständigen Ausschusses, der allfällige Probleme im Zusammenhang mit der Erfüllung des Übereinkommens zu überprüfen hat und in diesem Zusammenhang auch Änderungen des Übereinkommens vorschlagen kann (Art. 16 ff.).

Die österreichische Rechtsordnung entspricht seit dem Inkrafttreten des Kindschaftsrechts-Änderungsgesetzes 2001 am 1. Juli 2001, BGBl. I Nr. 135/2000 idF BGBl. I Nr. 29/2003, den Vorgaben des Übereinkommens. Durch die Ratifikation des Übereinkommens soll ein Zeichen dafür gesetzt werden, dass Kinderrechten und der wirksamen Ausübung der Kinderrechte in Österreich stets ein hoher Stellenwert beigemessen wird.

Deshalb wurde das Vorhaben der Ratifikation des Übereinkommens auch in den Nationalen Aktionsplan für die Rechte von Kindern und Jugendlichen (NAP) aufgenommen, der von der Bundesregierung am 22. November 2004 beschlossen wurde.

Besonderer Teil

In Hinblick auf den Erläuternden Bericht des Europarats beschränken sich die folgenden Ausführungen zur Präambel und zu den einzelnen Artikeln auf wenige ausgewählte Gesichtspunkte, die zum Verständnis der vertraglichen Bestimmungen erforderlich erscheinen. Sie zeigen die Übereinstimmung des österreichischen Rechts mit den Anforderungen des Übereinkommens auf.

Zur Präambel:

In den letzten beiden Erwägungsgründen hebt die Präambel die Bedeutung der Rolle der Eltern zum Schutz und bei der Förderung der Rechte und des Wohls der Kinder hervor und macht deutlich, dass staatlichen Vorkehrungen insoweit eine zwar unverzichtbare, stets jedoch subsidiär („erforderlichenfalls“) wahrzunehmende Funktion zukommt. Die Rechte des Kindes wahrzunehmen und darüber zu entscheiden, auf welche Weise dies zum Wohl des Kindes geschehen soll, obliegt in erster Linie den Eltern. Wie bereits das VN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes, so verfolgt auch das gegenständliche Übereinkommen nicht das Ziel, Kinder und Jugendliche, die unter der Obhut ihrer Eltern stehen, im Anwendungsbereich des Übereinkommens Erwachsenen gleichzustellen. Wenn das Übereinkommen der Beschreibung der elterlichen Verantwortung nicht noch breiteren Raum gegeben hat, so beruht dies nicht auf der Zielvorstellung, das Erziehungsrecht der Eltern zu beschneiden, sondern trägt dem thematischen Gesamtzusammenhang des Übereinkommens Rechnung, das kaum den geeigneten Rahmen bildet, um Rechte der Eltern im Detail auszuformulieren.

Den einzelnen Bestimmungen des Übereinkommens liegt demnach ein Gesamtkonzept zugrunde, das die vorrangige Bedeutung der elterlichen Verantwortung anerkennt. Dies bedeutet allerdings nicht, dass staatliches Handeln von vornherein auf Fälle beschränkt werden müsste, in denen die Eltern ihre Verantwortung für das Kind vernachlässigen. Vielmehr hat beispielsweise ein Gericht im Anwendungsbereich des Artikels 3 ein Kind grundsätzlich selbst auch dann persönlich anzuhören, wenn dessen Meinung dem Gericht bereits durch die Eltern zutreffend und vollständig vermittelt worden ist. Je stärker aber staatliches Handeln die Pflege und Erziehung des Kindes berührt, desto strikter hat es sich an der Prärogative elterlicher Verantwortung für diese Aufgabe zu orientieren. So sehen die Artikel 4 und 9 die Bestellung eines besonderen Vertreters für das Kind nur unter der Voraussetzung vor, dass nach innerstaatlichem Recht die Träger der elterlichen Verantwortung wegen eines Interessenkonflikts zwischen ihnen und dem Kind von der Vertretung des Kindes ausgeschlossen sind.

Zu Art. 1 (Anwendungsbereich und Zweck des Übereinkommens):

Das Übereinkommen ist auf Kinder anzuwenden, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben.

Der Absatz 3 stellt klar, dass das Übereinkommen familienrechtliche Verfahren behandelt; als Beispiele werden die Ausübung der elterlichen Verantwortung, wie etwa das Aufenthaltsbestimmungs- und das Besuchsrecht genannt.

Nach Absatz 4 haben die Vertragsstaaten eine Erklärung abzugeben, in der sie die Arten der familienrechtlichen Verfahren bezeichnen, auf die das Übereinkommen anzuwenden ist. Die Staaten müssen mindestens drei Arten dieser Verfahren angeben.

Nach der vorgeschlagenen Erklärung soll das Übereinkommen für Österreich auf außerstreitige Verfahren anzuwenden sein, soweit diese die Pflege und Erziehung (Obsorge) sowie das Recht auf persönlichen Verkehr betreffen. In diesem Zusammenhang wird auch die Adoption zu nennen sein. Obsorgeregelungen als Folge der Scheidung der Kindeseltern sind auch ohne besondere Nennung umfasst, weil der § 105 AußStrG immer dann zur Anwendung kommt, wenn die personen-, nicht vermögensbezogenenTeilbereiche der Obsorge (Pflege und Erziehung) betroffen sind. Während die Erklärung der Bundesrepublik Deutschland nach Artikel 1 Absatz 4 sehr ins Detail geht (es werden 23 Verfahren betreffend die Sorge für die Person des Kindes aufgezählt), sind die Erklärungen der übrigen Vertragsstaaten in der Regel sehr allgemein gehalten (zB Obsorgeangelegenheiten, Adoptionsangelegenheiten, Scheidungsangelegenheiten, Angelegenheiten zwecks Trennung des Kindes von der Ursprungsfamilie, usw.). Diesem Muster soll auch Österreich mit einer allgemein gehaltenen Erklärung folgen.

Nach Absatz 5 können die Vertragsstaaten über den Katalog der Verfahren, den sie bei der Ratifikation angegeben haben, hinaus durch eine nachträgliche Erklärung weitere Verfahren in den Anwendungsbereich des Übereinkommens einbeziehen.

Zu Art. 2 (Begriffsbestimmungen):

Zur lit. a ist festzuhalten, dass unter dem Begriff „Justizbehörde“ nicht nur Gerichte, sondern auch  – etwa in der Schweiz und in den skandinavischen Staaten - Verwaltungsbehörden mit gerichtlichen Funktionen zu verstehen sind, weil in diesen Staaten gerichtliche Aufgaben an besondere Verwaltungsbehörden mit gerichtsähnlichem Status übertragen werden.

Der in lit. b verwendete Ausdruck „Träger elterlicher Verantwortung“ bezeichnet Eltern und andere Personen oder Stellen, die berechtigt sind, elterliche Verantwortung teilweise oder in vollem Umfang auszuüben, z.B. Pflegeeltern nach § 186a ABGB, eine „andere geeignete Person“ nach §§ 187 ff ABGB oder der Jugendwohlfahrtsträger im Fall des § 211 ABGB.

Zu Art. 3 (Recht, im Verfahren Auskunft zu erhalten und seine Meinung zu äußern):

Nach Artikel 3 muss einem Kind, das nach innerstaatlichem Recht als einsichts- und urteilsfähig angesehen wird, in gerichtlichen Verfahren ein subjektives Recht auf alle sachdienlichen Informationen sowie auf Anhörung und Berücksichtigung seiner Meinung eingeräumt werden; der Anspruch des Kindes hat sich auch darauf zu erstrecken, über die möglichen Folgen einer Entscheidung und der Berücksichtigung seiner Meinung informiert zu werden. Die Ausnahmen von der Anhörung und Meinungsäußerung des Kindes ergeben sich nicht aus dem Wortlaut des Artikels 3, wohl aber aus Nr. 32 des Erläuternden Berichts des Europarats. Danach ist die Bestimmung des Artikels 3 im Licht der für diesen Artikel maßgebenden anderen Artikel des Übereinkommens zu betrachten, beispielsweise der Artikel 6 und 10.

In Österreich wird die Befragung Minderjähriger im § 105 AußStrG geregelt. Entfallen kann die Befragung nach § 105 Absatz 2 AußStrG wegen Gefährdung des Kindeswohls oder wegen Sinnlosigkeit (wenn offenbar eine überlegte Äußerung zum Verfahrensgegenstand nicht zu erwarten ist).

Die Befragung des Kindes dient nicht nur der Gewährung rechtlichen Gehörs, sondern soll auch dazu führen, die Sicht des Kindes als Verfahrensergebnis einzubeziehen. An den Wunsch des Kindes ist das Gericht selbstverständlich nicht gebunden (was übrigens im Einklang mit Artikel 10 lit. c) steht, wonach die geäußerte Meinung des Kindes gebührend zu berücksichtigen ist).

Festzuhalten ist, dass bei der Abfassung des § 182a AußStrG (alte Fassung) durch das Kindschaftsrecht-Änderungsgesetz 2001, der Vorgängerbestimmung des § 105 AußStrG  bereits auf die Artikel 3 bis 6 des gegenständlichen Übereinkommens Bedacht genommen worden ist.

Weiters ergibt sich aus § 104 Abs. 1 zweiter Satz AußStrG, dass das Gericht nach eigenem Ermessen prüfen kann, ob eine allgemeinere Belehrung – etwa über die materiellen und formellen Rechte des verfahrensfähigen Minderjährigen und erforderlichenfalls über bestehende Beratungsangebote -  oder ob eine speziellere Anleitung oder schließlich eine konkrete Erläuterung der vom Gericht gesetzten Verfahrenshandlungen notwendig ist.

Der § 105 Abs. 2 AußStrG ist übereinkommenskonform; die Artikel 3 und 6 sehen eine Ausnahme von der Anhörung des Kindes dann vor, wenn diese dem Wohl des Kindes offensichtlich widersprechen würde.

Zu Art. 4 (Recht, die Bestellung eines besonderen Vertreters zu beantragen):

Der Absatz 1 legt das Recht des Kindes fest, in einem das Kind berührenden gerichtlichen Verfahren einen besonderen Vertreter zu beantragen, soweit nach innerstaatlichem Recht die Träger elterlicher Verantwortung wegen eines Interessenkonflikts zwischen ihnen und dem Kind von dessen Vertretung ausgeschlossen sind. Die Anforderungen, die sich daraus ergeben, erfüllt das österreichische Recht durch § 271 ABGB („Kollisionskurator“). Danach hat das Gericht einem Minderjährigen, wenn in einer bestimmten Angelegenheit seine Interessen und die Interessen seines gesetzlichen Vertreters einander widerstreiten, zur Besorgung dieser Angelegenheiten einen besonderen Kurator zu bestellen. Auch wenn diese Regelung ein Antragsrecht des Kindes nicht ausdrücklich vorsieht, so entspricht sie doch den Vorgaben des Übereinkommens:

a)     Es ist zu berücksichtigen, dass die Gewährleistung des Artikels 4 nur „vorbehaltlich des Artikels 9“ gilt. Nach Artikel 9 Absatz 1 ist in den Fällen des Artikels 4 das Gericht befugt, dem Kind einen besonderen Vertreter zu bestellen. Aus dem Vorrang des Artikels 9 folgt, dass das im Artikel 4 geregelte Antragsrecht des Kindes zurücktritt, sofern nach innerstaatlichem Recht die Bestellung eines Vertreters des Kindes durch das Gericht von Amts wegen erfolgt (siehe Nr. 39 des Erläuternden Berichts des Europarats). Wegen des im Artikel 4 Absatz 1 festgesetzten Vorrangs eines gerichtlichen Handelns von Amts wegen sieht § 271 Abs. 1 ABGB an Stelle eines – im Übereinkommen lediglich subsidiär festgelegten – Antragsrechts des Kindes hinsichtlich der Bestellung eines Kollisionskurators das Offizialprinzip vor.

b)     Die Gewährleistung eines Antragsrechts des Kindes im Artikel 4 könnte gegenüber dem im Artikel 9 vorgesehenen Tätigwerden von Amts wegen allenfalls dann wieder zum Zug kommen, wenn das Gericht keinen Kollisionskurator bestellt. Unterlässt das Gericht die Bestellung im Zusammenhang mit einem Obsorgeverfahren, so hat der über 14 Jahre alte Minderjährige aber eine eigenständige Rechtsmittelbefugnis (§ 104 Absatz 1 AußStrG); auf diesem Weg kann er sein wieder auflebendes Antragsrecht nach Artikel 4 Absatz 1 sohin ausüben. Dies gilt auch dann, wenn das Gericht einen der im § 271 Absatz 2 ABGB vorgesehenen Gründe als gegeben ansieht und meint, die Interessen des Minderjährigen könnten vom Gericht ausreichend wahrgenommen werden. Die Beschränkung der Rechtsmittelbefugnis durch das Mindestalter von 14 Jahren ist im Hinblick auf den Artikel 4 Absatz 2 unschädlich. Nach dieser Vorschrift steht es den Vertragsstaaten nämlich frei, das im Artikel 4 Absatz 1 vorgesehene Recht auf „hinreichend verständige Kinder“ zu beschränken. Hier kann also das innerstaatliche Recht eine feste Altersgrenze normieren.

c)     Die im § 271 Absatz 2 ABGB enthaltenen Beschränkungen der Verpflichtung des Gerichtes, einen Kollisionskurator zu bestellen, stehen mit Artikel 4 im Einklang, denn nach Absatz 1 beschränkt sich dessen Gewährleistung auf Fälle, in denen nach innerstaatlichem Recht die Träger der elterlichen Verantwortung wegen eines Interessenkonflikts zwischen ihnen und dem Kind von dessen Vertretung ausgeschlossen sind. Diese Formulierung gibt den Vertragsstaaten einen weiten Spielraum, die Voraussetzungen für die Bestellung eines Kollisionskurators näher zu bestimmen. Die Vorschrift des Artikels 4 gibt somit keinen Anlass, den Anwendungsbereich des Instituts des Kollisionskurators über das geltende Recht hinaus auszuweiten.

Festzuhalten ist, dass nach österreichischem Recht zur Annahme einer Interessenkollision ein objektiver Tatbestand genügt, subjektive Gründe in der Person des gesetzlichen Vertreters sind nicht erforderlich; Voraussetzung für eine Kuratorbestellung ist eine Kollision im formellen und materiellen Sinn. Ein Kollisionskurator ist dann zu bestellen, wenn auf Grund eines objektiv gegebenen Interessenwiderspruchs eine Gefährdung der Interessen des Kindes möglich ist.

Zu Art. 5 (Andere mögliche Verfahrensrechte):

Diese Bestimmung verpflichtet die Vertragstaaten zu prüfen, ob in Verfahren, die ein Kind berühren, diesem über die in den Artikeln 3 und 4 geregelten Rechte hinaus weitergehende Rechtsstellungen eingeräumt werden sollen. Dabei geht es um die Befugnisse,

-       den Beistand einer geeigneten Person eigener Wahl zu beantragen, die dem Kind hilft, seine Meinung zu äußern;

-       selbst oder mit Hilfe anderer Personen oder Stellen die Bestellung eines gesonderten Vertreters, in geeigneten Fällen eines Rechtsanwalts, zu beantragen;

-       einen Vertreter zu bestellen;

-       die Rechte eines Verfahrensbeteiligten teilweise oder in vollem Umfang auszuüben.

Die im Übereinkommen vorgesehene Erwägungspflicht bedeutet, dass die Vertragsstaaten die zur Erwägung gestellten Rechtsänderungen nicht ohne Begründung ablehnen dürfen. Überdies hat der im Artikel 16 des Übereinkommens vorgesehene Ständige Ausschuss die Befugnis, Auskünfte der Vertragsstaaten darüber einzuholen, ob sie den ihnen obliegenden Erwägungspflichten nachgekommen sind; mit Dreiviertelmehrheit kann der Ständige Ausschuss Empfehlungen zur Durchführung des Übereinkommens beschließen. Rechtlich bindend sind solche Empfehlungen freilich nicht. Die Vertragsstaaten bleiben im Anwendungsbereich der Erwägungspflichten frei, die zur Erörterung gestellte Ausdehnung von Verfahrensrechten des Kindes vorzunehmen oder nicht.

Für die Rechtslage in Österreich fällt hinsichtlich der Erwägungspflichten ins Gewicht, dass erst mit dem Kindschaftsrecht-Änderungsgesetz 2001 weit reichende Neuregelungen auf verfahrensrechtlichem Gebiet in Kraft getreten sind. Die Reform war das Ergebnis langjähriger, wissenschaftlich begleiteter Vorarbeiten und ausgiebiger Erörterungen in der Fachöffentlichkeit. Hinsichtlich des „Kinderbeistandes“ sollen bei einem Projektversuch an vier Bezirksgerichten weitere Erfahrungen gesammelt und ausgewertet werden. Erst danach wird zu erwägen sein, ob Kindern weitergehende Verfahrensrechte im Sinn des Artikels 5 zu gewähren sind.

In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass Minderjährige, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, im Rahmen ihrer Verfahrensfähigkeit nach § 104 Absatz 1 AußStrG an der Bestellung eines Rechtsanwalts mitwirken können. Es steht ihnen nämlich frei, einem Rechtsanwalt Vollmacht zu erteilen, während ein entgeltlicher Mandatsvertrag der Mitwirkung des gesetzlichen Vertreters bedarf. Gelingt es nicht, eine Vertretung des Minderjährigen durch einen Rechtsanwalt durch Begründung eines entgeltlichen Mandatsvertrags zu bewirken, so ist dem Minderjährigen im Interesse des umfassenden Rechtschutzes auf Antrag die Verfahrenshilfe durch Beigebung eines Vertreters zu gewähren.

Zu Art. 6 (Entscheidungsprozess):

Diese Bestimmung bildet zusammen mit den Artikeln 7 bis 9 den Teil B des Kapitels II des Übereinkommens. Diese Vorschriften legen keine Verfahrensrechte, wohl aber Pflichten des Gerichts sowie des für ein Kind bestellten besonderen Verfahrensvertreters fest.

Der Artikel 6 lit. a verpflichtet das Gericht, sich hinreichende tatsächliche Entscheidungsgrundlagen zu verschaffen, insbesondere durch Befragung der Träger elterlicher Verantwortung. Dem tragen die §§ 13 und 16 AußStrG Rechnung. Der § 16 Absatz 1 AußStrG umschreibt den für das Verfahren außer Streitsachen charakteristischen Untersuchungsgrundsatz; er sichert diesen Untersuchungsgrundsatz auch durch Parteienpflichten ab, weil er eine Wahrheits- und Vollständigkeitspflicht und eine gewisse Mitwirkungspflicht der Parteien festlegt. Nach § 13 AußStrG ist es Aufgabe des Gerichts, ohne an einzelne verfahrensleitende Anträge gebunden zu sein, das Verfahren so zu gestalten, dass die Angelegenheit erschöpfend erörtert und gründlich beurteilt wird.

In ihrer lit. b wiederholt der Artikel 6 im Wesentlichen die nach Artikel 3 dem Kind einzuräumenden subjektiven Verfahrensrechte in Form objektiver Verfahrenspflichten, die das Gericht in einem das Kind berührenden Verfahren zu beachten hat. Zur Übereinstimmung des österreichischen Rechts mit den hier genannten Anforderungen wird  auf die obigen Ausführungen zum Artikel 3 verwiesen.

An die Regelungen über die Anhörung und Meinungsäußerung des Kindes anknüpfend, verpflichtet die lit. c das Gericht, die vom Kind geäußerte Meinung gebührend zu berücksichtigen. Die gleiche Verpflichtung des Gerichts ist im österreichischen Recht nicht ausdrücklich normiert, ergibt sich aber schon daraus,  dass die Anhörung im Sinn des § 105 AußStrG nicht formalistischer Selbstzweck ist, sondern dem – von der österreichischen Lehre und Rechtsprechung allgemein anerkannten – Ziel dient, die Sicht des Kindes als Verfahrensergebnis einzubeziehen.

Zu Art. 7 (Pflicht zu zügigem Handeln):

Nach Satz 1, erster Halbsatz, hat das Gericht in einem ein Kind berührenden Verfahren zügig zu handeln und unnötige Verzögerungen zu vermeiden. Der § 13 Absatz 1 AußStrG verpflichtet das Gericht, das Verfahren so zu gestalten, dass eine möglichst kurze Verfahrensdauer gewährleistet ist.

Nach Satz 1, zweiter Halbsatz, müssen Verfahren zur Verfügung stehen, die sicherstellen, dass gerichtliche Entscheidungen schnell vollzogen werden. In dringenden Fällen ist das Gericht nach Artikel 7 Satz 2 befugt, gegebenenfalls Entscheidungen zu treffen, die sofort vollziehbar sind. Diesen Erfordernissen trägt der § 44 AußStrG Rechnung. Das Gericht kann einem Beschluss vorläufige Vollstreckbarkeit mit der Folge zuerkennen, dass die Wirkungen sofort und mit Zustellung des Beschlusses eintreten. Dies wird in einem Obsorgestreit etwa dann notwendig sein, wenn nach Auffassung des Gerichts das Abwarten der Rechtskraft dem Fürsorgezweck widersprechen würde. Diese Zuerkennung der vorläufigen Vollstreckbarkeit steht im Ermessen des Gerichts.

Zu Art. 8 (Handeln von Amts wegen):

In Verfahren, die ein Kind berühren, ist das Gericht nach dieser Bestimmung befugt, in den nach innerstaatlichem Recht bestimmten Fällen, in denen das Wohl des Kindes ernstlich gefährdet ist, von Amts wegen zu handeln. Nach österreichischem Recht werden Pflegschaftsverfahren stets vom Grundsatz des Amtsbetriebs beherrscht. In Verfahren zur Prüfung der Voraussetzungen nach § 176 ABGB (Gefährdung des Kindeswohls durch die Eltern) ist das Verfahren auch von Amts wegen einzuleiten, von wem auch immer die diesbezüglichen Anregungen kommen.

Zu Art.  9 (Bestellung eines Vertreters):

Der Absatz 1 betrifft die Möglichkeit, dem Kind im Fall eines Interessenkonflikts im Verhältnis zu den Trägern elterlicher Verantwortung einen besonderen Vertreter zu bestellen, und bildet damit die objektiv-rechtliche Entsprechung zu der im Artikel 4 angesprochenen subjektiv-rechtlichen Gewährleistung. Auf die obigen Ausführungen zum Artikel 4 wird verwiesen.

Nach Absatz 2 sollen die Vertragsstaaten die Einführung einer gerichtlichen Befugnis erwägen, in einem ein Kind berührenden Verfahren einen gesonderten Vertreter, in geeigneten Fällen einen Rechtsanwalt, zu bestellen, damit er das Kind vertritt, und zwar auch dann, wenn kein Interessenkonflikt zwischen dem Kind und den Trägern elterlicher Verantwortung besteht. Eine derartige Befugnis gibt es im österreichischen Recht nur in sehr eingeschränktem Ausmaß (s. die Ausführungen zum Artikel 5). Vor allfälligen weiteren Maßnahmen  müssen zunächst die Ergebnisse des Projektversuchs „Kinderbeistand“ abgewartet werden.

Zu Art. 10 (Aufgaben der Vertreter):

Nach Absatz 1 hat ein für das Kind bestellter Vertreter in einem das Kind berührenden Verfahren die Meinung des Kindes festzustellen und dem Gericht vorzutragen; dem als hinreichend verständig angesehenen Kind alle sachdienlichen Auskünfte zu erteilen und ihm Erläuterungen zu den möglichen Folgen einer Berücksichtigung seiner Meinung und einer Handlung des Vertreters zu geben. Angesprochen ist im Absatz 1 lediglich der nach den Bestimmungen des Übereinkommens besonders bestellte, nicht der gesetzliche Vertreter des Kindes.

Da sich der Artikel 10 Absatz 1 in Verbindung mit den Artikeln 4 und 9 auf eine Fallkonstellation bezieht, in der der Kollisionskurator zur Vertretung des Kindes in einem Verfahren ausdrücklich bestellt wird, müssen die hier genannten Anforderungen im österreichischen Recht durch den Kollisionskurator erfüllt sein.

Im Hinblick auf die selbständige familiengerichtliche Verfahrensfähigkeit von Minderjährigen, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, also von einsichts- und urteilsfähigen Kindern, ist davon auszugehen, dass der Kollisionskurator einem solchen Kind die erforderlichen sachdienlichen Auskünfte erteilt und es auch sonst anleitet und belehrt.

Dieser Aspekt wird überdies anhand der Ergebnisse des Projektversuchs „Kinderbeistand“ überdacht werden.

Zu Art. 11 (Erweiterung des Anwendungsbereichs einiger Bestimmungen):

Diese Bestimmung verpflichtet die Vertragsstaaten zu prüfen, ob die Anwendung der Bestimmungen der Artikel 3, 4 und 9 über Information, Anhörung und Vertretung des Kindes auf außergerichtliche Verfahren sowie auf Angelegenheiten, die nicht Gegenstand eines Verfahrens sind, erweitert werden kann. Hier ist auf die Ausführungen zum Artikel 5 zu verweisen. Bei Angelegenheiten, die nicht Gegenstand eines Verfahrens sind, wird dem Vorrang elterlicher Erziehungsverantwortung ganz besondere Bedeutung beizumessen sein.

Zu Art. 12 (Innerstaatliche Stellen):

Nach Absatz 1 unterstützen die Vertragsstaaten durch Stellen, die gewisse, im Absatz 2 näher umschriebene Aufgaben erfüllen, die Förderung und Ausübung von Kinderrechten. Der Begriff der Kinderrechte ist hier in einem weitergehenden Sinn zu verstehen, als in den vorangehenden, vornehmlich auf die Stellung des Kindes in gerichtlichen Verfahren abzielenden Abschnitten des Übereinkommens.

In Österreich sind in diesem Zusammenhang die unabhängigen Kinder- und Jugendanwaltschaften der Bundesländer zu nennen, die zur Förderung von Kinderrechten und zur Bewusstseinbildung in diesem Bereich ganz wesentlich beigetragen haben und nach wie vor beitragen.

Die im Absatz 2 beispielhaft aufgezählten Aufgaben brauchen nicht gleichzeitig oder mit demselben Maß an Intensität erfüllt werden (s. Nr. 61 des Erläuternden Berichts des Europarts). Diese Aufgaben können durch staatliche oder private, staatlich geförderte Stellen wahrgenommen werden (Nr. 60 und 61 des Erläuternden Berichts des Europarats).

Die Unterstützung, die der Vertragsstaat solchen privaten Stellen gewährt, kann finanzieller Art sein; sie kann aber auch darin bestehen, die Öffentlichkeit über die Arbeit dieser Stellen zu unterrichten oder Fragen, die Kinderrechte betreffen, mit diesen Stellen  zu erörtern (s. Nr. 59 des Erläuternden Berichts des Europarats).

Diesbezüglich ist wiederum auf die unabhängigen Kinder- und Jugendanwaltschaften zu verweisen. Diese sind auch in die Erfüllung des VN-Übereinkommens über die Rechte des Kindes, besonders im Zusammenhang mit der Erstellung der österreichischen Staatenberichte eingebunden; auch bei der Erfüllung des Nationalen Aktionsplans für die Rechte von Kindern und Jugendlichen (NAP) kommt ihnen sowie einschlägigen NGO Bedeutung zu.

Die im Absatz 2 lit. d genannte Aufgabe, die Meinung von Kindern einzuholen und ihnen sachdienliche Auskünfte zu geben, wird in erster Linie von den örtlichen Jugendwohlfahrtsträgern (Amt für Jugend und Familie) erfüllt. Nach § 10 des Jugendwohlfahrtsgesetzes 1989 kommt dem Jugendwohlfahrtsträger eine umfassende Beratungs- und Hilfeleistungskompetenz zu.

Festzuhalten ist, dass der Absatz 2 lit. d keine einseitige Verpflichtung begründet, allein die Kinder auf ihre Rechte hinzuweisen. Aus der Präambel des Übereinkommens ergibt sich klar, dass die vorrangige Rolle der Eltern bei der Ausübung von Kinderrechten respektiert wird. Wenn das Übereinkommen – seiner Zielsetzung entsprechend – die Aufgabe der Information und Beratung von Kindern und Jugendlichen hervorhebt, will es damit sicherstellen, dass diese Aufgabe überhaupt erfüllt wird. Dem kann aber nicht entnommen werden, diese Aufgabe sei künftig ausschließlich wahrzunehmen.

Zu Art. 13 (Vermittlung oder andere Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten):

Nach dieser Bestimmung fördern die Vertragsstaaten in von ihnen zu bestimmenden geeigneten Fällen die Schaffung von Vermittlungsmöglichkeiten oder andere Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten und deren Anwendung, um eine Einigung zu erzielen. Hier ist besonders an Familienmediation gedacht, die innerstaatlich im Zivilrechts-Mediations-Gesetz, BGBl. I Nr. 29/2003, geregelt ist. Mediation ist ein Weg, eigenverantwortlich mit Hilfe eines oder zweier fachlich ausgebildeter, neutraler Vermittler (Mediatoren) Konflikte einer selbst verantworteten Lösung durch die Beteiligten zuzuführen. Mediation setzt aber voraus, dass beide Seiten sie wollen. Am Ende einer Mediation sollte eine für beide Seiten akzeptable Vereinbarung über den Gegenstand der Diskussion (zB Obsorge und Besuchsrecht) vorliegen. Im Zug eines Verfahrens über Rechte und Ansprüche aus dem Familienrecht wird die Verwendung von Mediation als Mittel der Konfliktbewältigung auch dadurch gefördert, dass Anfang und Fortlauf der Verjährung sowie sonstiger Fristen zur Geltendmachung von Ansprüchen durch Beginn und gehörige Fortsetzung einer Mediation gehemmt werden (§ 22 Absatz 2 ZivMediatG).

Zu Art. 14 (Verfahrens- und Beratungshilfe):

Diese Bestimmung hat zum Ziel, nach Möglichkeit wirtschaftliche Hindernisse auszuräumen, die den Zugang zu dem in den Artikeln 4 und 9 vorgesehenen verfahrensrechtlichen Schutzmechanismus der Bestellung eines besonderen Vertreters für das Kind entgegenstehen könnten. Dieses Ziel können die Rechtsordnungen der Vertragsstaaten auf unterschiedliche Weise erreichen. Artikel 14 beinhaltet nicht einmal für die Fälle der Bedürftigkeit eine generelle Verpflichtung, das Kind von einer finanziellen Belastung als Folge der Bestellung eines besonderen Vertreters freizuhalten. Nur wenn die Rechtsordnung eines Vertragsstaates überhaupt finanzielle Hilfe anbietet, so darf nicht gerade für die im Übereinkommen vorgesehenen Fälle der Vertreterbestellung eine Schutzlücke bleiben.

Nach § 107 Absatz 3 AußStrG findet in Verfahren über die Obsorge und die Ausübung des Rechts auf persönlichen Verkehr ein Kostenersatz generell nicht statt.

Zu den Art. 15 bis 26:

Es wird auf den Erläuternden Bericht des Europarats verwiesen.

 

 

ANHANG

 

 

(Übersetzung)

 

 

Erläuternder Bericht des Europarats zum Europäischen Übereinkommen über die Ausübung von Kinderrechten

 

 

I. Einleitung

 

1. Die Parlamentarische Versammlung des Europarats [Mitgliedstaaten des Europarats: (vom Abdruck wurde abgesehen)] hat 1990 die Empfehlung 1121 über die Rechte von Kindern verabschiedet. Darin wurde die Notwendigkeit betont, besondere Unterstützung, Schutz und Fürsorge für Kinder vorzusehen, und darauf hingewiesen, dass die Verantwortung dafür zwar in erster Linie bei den Eltern liege, Gesellschaft und Staat aber auch Verpflichtungen hätten.

 

2. In diesem Zusammenhang begrüßte die Versammlung die Verabschiedung des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes im Jahr 1989 und empfahl dem Ministerkomitee, die Mitgliedstaaten aufzufordern, alles ihnen Mögliche zu tun, um die schnelle Ratifikation und Durchführung des Übereinkommens der Vereinten Nationen zu fördern. Die Versammlung empfahl dem Ministerkomitee ferner, unter anderem die zuständigen Leitungskomitees mit der Prüfung der Möglichkeit zu beauftragen, zur Ergänzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes eine geeignete Übereinkunft des Europarats abzufassen.

 

3. Schon 1988 haben die europäischen Justizminister auf ihrer 16. Konferenz (Lissabon, Juni 1988) in Entschließung Nr. 2 zum Vorrang des Kindeswohls im Bereich des Privatrechts dem Ministerkomitee des Europarats empfohlen, dem Europäischen Komitee für juristische Zusammenarbeit (CDCJ) die Weisung zu erteilen, das Wohl des Kindes im Rahmen seiner familienrechtlichen Aktivitäten besonders zu beachten. Die Minister vereinbarten, dass Fragen wie die Verbesserung und Beschleunigung ordentlicher Gerichtsverfahren, sofern das Wohl des Kindes auf dem Spiel steht, die Anhörung des Kindes und die geeignete Vertretung des Kindes geprüft werden sollten.

 

4. 1990 prüfte das Expertenkomitee für Familienrecht (CJ-FA), ob die Erarbeitung eines Entwurfs eines Europäischen Übereinkommens über die Ausübung von Kinderrechten zweckmäßig sei. Das CJ-FA betonte, dass jede Überschneidung mit dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vermieden werden sollte. Es wurde unterstrichen, dass die beiden Texte sich insofern ergänzten, als nach Artikel 4 des Übereinkommens der Vereinten Nationen vorgesehen sei, dass die Vertragsstaaten des Übereinkommens alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und sonstigen Maßnahmen zur Verwirklichung der in dem Übereinkommen anerkannten Rechte treffen. Es wurde die Auffassung vertreten, das Europäische Übereinkommen werde den Mitgliedstaaten des Europarats und anderen Staaten, die dem Übereinkommen der Vereinten Nationen angehören, helfen, dem genannten Artikel 4 entsprechend zu handeln.

 

5. Der Entwurf des Übereinkommens und der Erläuternde Bericht dazu wurden vom Expertenkomitee für Familienrecht (CJ-FA) in dessen 27. Sitzung vom 7. bis 10. November 1994 und vom Europäischen Komitee für juristische Zusammenarbeit (CDCJ) in dessen 63. Sitzung vom 30. Mai bis 2. Juni 1995 genehmigt.

 

6. Der Entwurf des Übereinkommens wurde sodann vom Europäischen Komitee für juristische Zusammenarbeit (CDCJ) dem Ministerkomitee zugeleitet, das den Wortlaut genehmigt und beschlossen hat, das Übereinkommen am 25. Jänner 1996 zur Unterzeichnung aufzulegen.

 

II. Bemerkungen zu den Bestimmungen des Übereinkommens

 

Allgemeine Bemerkungen

 

7. Dieses Übereinkommen erleichtert die Ausübung der materiellen Kinderrechte, indem es Verfahrensrechte stärkt und schafft, die von Kindern selbst oder durch andere Personen oder Stellen ausgeübt werden können. Im Mittelpunkt steht der Gedanke der Förderung von Kinderrechten, da der Ausdruck „Förderung“ umfassender ist als „Schutz“.

 

8. Das Übereinkommen behandelt Kinder berührende familienrechtliche Verfahren vor Justizbehörden, d.h. Gerichten oder Verwaltungsbehörden mit justitiellen Befugnissen. Es erkennt dabei aber die vorrangige Bedeutung der Rolle der Eltern an. Im Konfliktfall ist es wünschenswert, dass Familien sich zunächst selbst zu einigen versuchen, ehe sie die Angelegenheit vor eine Justizbehörde bringen. Jedoch kommt auch dem Staat eine Rolle zu, nicht nur wenn Eltern ihre Verantwortung nicht in angemessener Weise ausüben, sondern auch weil Kinder in einer Gesellschaft leben, die ihnen bestimmte Rechte gegeben hat, und sie daher berechtigt sein sollten, diese Rechte auszuüben. Im Übrigen können prozessuale Rechte auch durch andere Personen oder Stellen, wie zum Beispiel eine Jugendschutzstelle, geschützt werden.

 

9. In einigen Fällen haben Kinder bereits die Möglichkeit, ihre Rechte vor einem innerstaatlichen Gericht oder einer anderen innerstaatlichen Justizbehörde auszuüben. Sie können diese Rechte nicht nur vor diesen Behörden, sondern auch vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ausüben und nach der Europäischen Menschenrechtskonvention selbst Beschwerde gegen eine Vertragspartei dieser Menschenrechtskonvention erheben.

 

Kapitel I

Anwendungsbereich und Ziel des Europäischen Übereinkommens über die Ausübung von Kinderrechten sowie Begriffsbestimmungen

 

Artikel 1

Anwendungsbereich und Ziel des Übereinkommens

 

10. In diesem Artikel ist der Anwendungsbereich des Übereinkommens definiert, das auf alle Kinder anzuwenden ist, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben.

 

11. In diesem Zusammenhang ist in Erinnerung zu rufen, dass das Ministerkomitee in seiner Entschließung (72) 29 über die Herabsetzung des Alters für die volle Geschäftsfähigkeit den Staaten 1972 empfohlen hat, das Volljährigkeitsalter, wenn sie es für zweckmäßig halten, auf 18 Jahre festzusetzen. Inzwischen ist das Volljährigkeitsalter in praktisch allen Mitgliedstaaten des Europarats auf 18 Jahre festgesetzt worden.

 

12. Sind Kinder voll oder für bestimmte Zwecke geschäftsfähig, obwohl sie das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (z.B. aufgrund einer Eheschließung oder Volljährigkeitserklärung), so kann ihnen, wenn sie von einem in dem Übereinkommen erwähnten Verfahren betroffen sind, durch Gewährung von Auskunft und Beistand in Gerichtsverfahren dennoch nach dem Übereinkommen geholfen werden.

 

13. In einigen wenigen Ländern liegt das Volljährigkeitsalter über 18 Jahren. Wenngleich das Übereinkommen nur auf Kinder unter 18 Jahren anzuwenden ist, können die Bestimmungen des Übereinkommens 18jährigen oder älteren Personen, die das Volljährigkeitsalter noch nicht erreicht haben, noch so lange zugute kommen, bis sie das Volljährigkeitsalter erreicht haben.

 

14. Nach Absatz 2 dieses Artikels ist es das Ziel des Übereinkommens, zum Wohl von Kindern deren Rechte zu fördern, ihnen prozessuale Rechte zu gewähren und die Ausübung dieser Rechte zu erleichtern, indem Kindern in sie berührenden Verfahren vor einer Justizbehörde selbst Auskunft erteilt und gestattet wird, ihre Meinung zu äußern. Die Meinung von Kindern kann auf unterschiedliche Weise und von verschiedenen Personen festgestellt und dem Gericht vorgetragen werden. Das innerstaatliche Recht entscheidet, ob ein Kind, gleichviel ob es in dem Verfahren Partei ist oder nicht, förmlich vertreten oder förmlich beteiligt sein sollte. Meinungen von Kindern sollten nach Möglichkeit immer vorgetragen werden. In bestimmten Fällen kann dies durch andere Personen oder Stellen geschehen, zum Beispiel bei kleinen Kindern durch einen Mitarbeiter der sozialen Dienste in Form eines Berichts.

 

15. Absatz 3 stellt klar, dass das Übereinkommen familienrechtliche Verfahren behandelt. Jedoch steht es den Staaten frei, es auf andere Verfahren anzuwenden, wenn sie dies wünschen. In dem Absatz werden beispielhaft für familienrechtliche Verfahren besonders Verfahren genannt, welche die Ausübung elterlicher Verantwortung, wie etwa das Aufenthaltsbestimmungs- und Besuchsrecht, zum Gegenstand haben. Aufenthalt und Besuchsrecht werden wegen ihrer großen Bedeutung im Leben eines Kindes genannt.

 

16. Nach Absatz 4 haben die Staaten eine Erklärung abzugeben, in welcher sie die Arten von familienrechtlichen Verfahren bezeichnen, auf die das Übereinkommen anzuwenden ist. Die Staaten müssen mindestens drei Arten dieser Verfahren angeben.

 

17. Gegenstände von Verfahren, welche die Staaten als familienrechtliche Verfahren angeben können, sind zum Beispiel:

 

– Personensorge

– Aufenthalt

– Besuchsrecht

– Fragen der Abstammung

– Ehelichkeit (Erklärung, Anfechtung)

– Adoption

– Vormundschaft

– Verwaltung des Kindesvermögens

– Unterbringung zur Pflege

– Entzug oder Beschränkung der elterlichen Verantwortung

– Schutz der Kinder vor grausamer und entwürdigender Behandlung

– ärztliche Behandlung.

 

Die Staaten können auch andere Arten von familienrechtlichen Verfahren angeben, da die obige Liste nicht erschöpfend ist. Es ist sicherlich wünschenswert, dass die Staaten, soweit möglich, mehr als drei Arten von familienrechtlichen Verfahren angeben, auf die das Übereinkommen anzuwenden ist.

 

18. Für die Zwecke des Übereinkommens ist es nicht erforderlich, dass diese Verfahren als Hauptverfahren geführt werden. Folgesachen, wie zum Beispiel Angelegenheiten der Personensorge, des Aufenthalts oder des Besuchsrechts im Rahmen der Scheidung oder Trennung der Eltern eines Kindes, fallen gleichfalls unter das Übereinkommen.

 

19. Die Staaten können später eine weitere Erklärung abgeben, um die Liste der familienrechtlichen Verfahren, auf die das Übereinkommen in ihrem Staat anzuwenden ist, zu ergänzen (Artikel 1 Absatz 5). Ferner können sie gegebenenfalls weitere Erklärungen zu den Artikeln 5, 9, 10 und 11 abgeben, um den Europarat über jede Erweiterung des Anwendungsbereichs dieser Artikel zu unterrichten.

 

20. Nach Absatz 6 dieses Artikels können die Vertragsparteien Regeln anwenden, die für Kinder günstiger sind als die in dem Übereinkommen enthaltenen Regeln. Mit anderen Worten legt der Text einen Mindeststandard fest, welchen die Staaten einzuhalten haben, doch können sie bei der Förderung der Ausübung von Kinderrechten weitergehen.

 

21. Auch in der Empfehlung (72) 29 wird den Regierungen empfohlen „zu prüfen, ob es ratsam ist, bestimmten Minderjährigen die Fähigkeit zu verleihen, Geschäfte des täglichen Lebens vorzunehmen und selbständig in anderen geeigneten Bereichen zu handeln“. Dies gilt insbesondere für Staaten, in denen das Volljährigkeitsalter noch über 18 Jahren liegt.

 

22. Die Pflichten der Träger elterlicher Verantwortung, die nicht Vertreter im Sinn des Übereinkommens sind (d.h. nicht dazu bestellt sind, im Namen des Kindes gegenüber einer Justizbehörde Handlungen vorzunehmen), werden in dem Übereinkommen nicht unmittelbar behandelt. Aber auch wenn diese Personen nicht zu Vertretern bestellt sind, sollten sie, wenn ihre Kinder von Verfahren betroffen sind, helfen, indem sie

 

– das Kind in einer seinem Verständnis angemessenen Weise anhören,

– dem Kind alle sachdienlichen Auskünfte erteilen, um es zu befähigen, seine Meinung zu äußern,

– Erklärungen zu den möglichen Folgen der Meinung des Kindes, falls ihr gefolgt würde, und jeder Entscheidung der Justizbehörde geben,

– die von dem Kind geäußerte Meinung in angemessener Weise berücksichtigen.

 

Artikel 2

Begriffsbestimmungen

 

a) J u s t i z b e h ö r d e

 

23. Mit der Definition des Begriffs „Justizbehörde“ wird zusätzlich zu den Gerichten und der Staatsanwaltschaft in den Staaten, in denen diese justitielle Zuständigkeiten in Zivilsachen wahrnimmt, jede Verwaltungsbehörde mit justitiellen Befugnissen in familienrechtlichen Verfahren erfasst. Verwaltungsbehörden werden einbezogen, weil die Befugnisse, die Gerichten zukommen, in manchen Staaten bei bestimmten Arten von familienrechtlichen Verfahren auch von Verwaltungsbehörden ausgeübt werden.

 

b) T r ä g e r e l t e r l i c h e r   V e r a n t w o r t u n g

 

24. Der Ausdruck „Träger elterlicher Verantwortung“ bezieht sich nicht nur auf Eltern, die berechtigt sind, elterliche Verantwortung teilweise oder in vollem Umfang auszuüben, sondern auch auf andere Personen oder SteIlen einschließlich kommunaler Behörden, die berechtigt sind, elterliche Verantwortung teilweise oder in vollem Umfang auszuüben. Pflegeeltern und Einrichtungen, in denen Kinder untergebracht sind, könnten daher, soweit es angebracht erscheint, von dieser Definition erfasst werden. Es ist darauf hinzuweisen, dass in der Empfehlung Nr. R (84) 4 des Ministerkomitees über die elterliche Verantwortung diese Verantwortung als „die Gesamtheit von Rechten und Pflichten“ definiert wird, „die darauf gerichtet sind, das geistige und materielle Wohl des Kindes zu gewährleisten, insbesondere durch die Sorge für die Person des Kindes, die Pflege persönlicher Beziehungen zu ihm und die Sicherstellung seiner Erziehung, seines Unterhalts, seiner gesetzlichen Vertretung und der Verwaltung seines Vermögens“. Der Erläuternde Bericht (Nr. 6) zu dieser Empfehlung führt aus, dass der Ausdruck „elterliche Verantwortung“ den „modernen Begriff, nach dem Eltern gleichberechtigt und nach Beratung mit ihren Kindern die Aufgabe haben, ihre Kinder zu erziehen, gesetzlich zu vertreten, zu unterhalten usw., umschreibt. Bei der Wahrnehmung dieser Aufgaben üben sie Befugnisse aus, um zum Wohl des Kindes Pflichten zu erfüllen, und nicht aufgrund einer Gewalt, die ihnen zu ihrem eigenen Wohl übertragen ist.“

 

c) V e r t r e t e r

 

25. Nach dem Übereinkommen bezieht sich der Ausdruck „Vertreter“ nicht nur auf eine einzelne Person, wie zum Beispiel einen Rechtsanwalt, der eigens bestellt worden ist, Kinder vor einer Justizbehörde zu vertreten, sondern auch auf eine dazu bestellte Stelle, wie eine Einrichtung des Jugendschutzes.

 

26. Die Träger elterlicher Verantwortung können auch als Vertreter eines Kindes im Sinn von Artikel 2 angesehen werden, wenn sie eigens bestellt worden sind, es vor der Justizbehörde zu vertreten. Folgerichtig haben sie in solchen Fällen den Bestimmungen des Artikels 10 über die Pflicht der Vertreter, dem Kind Auskunft zu erteilen, bestimmte Angelegenheiten zu erklären und seine Meinung festzustellen, nachzukommen.

 

27. Sind die Träger elterlicher Verantwortung nicht eigens bestellt worden, so sind sie nicht „Vertreter“ im Sinn des Übereinkommens. Um jedoch sicherzustellen, dass ein Kind auch in diesen Fällen Auskunft erhält und seine Meinung berücksichtigt wird, hat die Justizbehörde nach Artikel 6 Buchstabe b die Aufgabe, sich zu vergewissern, ob das Kind alle sachdienlichen Auskünfte erhalten hat.

 

d)  S a c h d i e n l i c h e   A u s k ü n f t e

 

28. In dem Übereinkommen wird der Ausdruck „sachdienliche Auskünfte“ verwendet, um klarzustellen, dass nicht alle Auskünfte unbedingt an Kinder weitergegeben werden müssen, da manche Auskünfte dem Wohl der Kinder unabhängig von deren Alter und Verständnisfähigkeit abträglich sein könnten. Darüber hinaus müssen Auskünfte, nachdem entschieden worden ist, sie (z.B. je nach den Umständen schriftlich oder mündlich) an Kinder weiterzugeben, sowohl ihrer Form als auch ihrem Inhalt nach dem Alter und dem Verständnis der Kinder angepasst werden.

 

Kapitel II

 

Verfahrensrechtliche Maßnahmen zur Förderung der Ausübung von Kinderrechten

 

29. Zusätzlich zu den Verfahrensrechten der Kinder nach Kapitel II Teil A werden in den Teilen B und C die Aufgaben der Behörden und der Vertreter bei der Sicherung dieser Rechte beschrieben. Der Aufbau des Kapitels II beruht somit auf der wechselseitigen Ergänzung und dem Gleichgewicht zwischen den Rechten auf der einen und den Pflichten und Verantwortlichkeiten auf der anderen Seite.

 

A. V e r f a h r e n s r e c h t e   e i n e s   K i n d e s

 

Artikel 3

Recht, in Verfahren Auskunft zu erhalten und seine Meinung zu äußern

 

30. Nach diesem Artikel sind Kinder, die nach innerstaatlichem Recht als hinreichend verständig angesehen werden, berechtigt, sachdienliche Auskünfte zu verlangen, angehört zu werden und ihre Meinung zu äußern sowie über die möglichen Folgen einer Berücksichtigung ihrer Meinung oder einer Entscheidung unterrichtet zu werden. Diese Rechte sind nicht unbedingt in der zeitlichen Reihenfolge, in der sie ausgeübt werden sollten, oder nach dem Grad ihrer Bedeutung aufgeführt.

 

31. Artikel 3 sieht die Ausübung einer Reihe von Verfahrensrechten vor, die Kindern gewährt werden sollten, es sei denn, ein Kind wird in Bezug auf eines oder mehrere dieser Rechte nicht als hinreichend verständig angesehen. Die Ausübung eines dieser Verfahrensrechte schließt die Ausübung der anderen von diesem Übereinkommen garantierten Rechte nicht aus; so kann es beispielsweise, auch wenn ein Kind Auskünfte nicht verlangt, dennoch erforderlich sein, dem Kind Auskünfte zu erteilen und es auf die möglichen Folgen seiner Meinung, falls ihr gefolgt würde, oder einer Entscheidung hinzuweisen.

 

32. Die Bestimmungen des Artikels 3 sind im Licht der für diesen Artikel maßgeblichen anderen Artikel des Übereinkommens, beispielsweise der Artikel 6 und 10, zu betrachten.

 

33. Dieser Text stellt somit einen Fortschritt in der Anerkennung von Kinderrechten in Kinder berührenden familienrechtlichen Verfahren dar. Kinder sind nicht mehr nur Gegenstand solcher Verfahren; sie können sich auch daran beteiligen. Auch wenn sie nicht die Stellung von Verfahrensparteien erhalten, haben sie doch eine Reihe von Rechten, die sie ausüben können. Das Recht, sachdienliche Auskünfte zu verlangen, und das Recht, angehört zu werden, geben dem betroffenen Kind dabei eine wirksame Möglichkeit, seine Meinung zu äußern. Besonders wichtig ist, dass Kinder alle sachdienlichen Auskünfte erhalten, ehe in Angelegenheiten von großer Bedeutung, wie zum Beispiel der ihres Aufenthalts, Entscheidungen getroffen werden.

 

34. Die Frage des Rechtes von Kindern, in sie berührenden Verfahren Auskünfte zu erhalten und ihre Meinung zu äußern, ist bereits in einer Reihe anderer völkerrechtlicher Übereinkünfte behandelt worden. [Grundsatz 3 der Empfehlung Nr. R (84) 4 des Ministerkomitees des Europarats über die elterliche Verantwortung sieht vor: „Hat die zuständige Behörde eine Entscheidung über die Zuerkennung oder Ausübung elterlicher Verantwortung zu treffen, die wesentliche Interessen des Kindes berührt, so soll es angehört werden, wenn es seine Entwicklung in dieser Angelegenheit zulässt.“ Grundsatz 7 der Empfehlung Nr. R (87) 6 über die Pflegefamilien sieht vor, dass vor einer Entscheidung der zuständigen Behörde über die Übertragung bestimmter elterlicher Verantwortlichkeiten auf Pflegeeltern „das Kind … angehört werden (soll), wenn es seine Entwicklung in dieser Angelegenheit zulässt“. In der Entschließung (77) 33 des Ministerkomitees des Europarats über die Unterbringung von Kindern wird den Regierungen der Mitgliedstaaten empfohlen, die Beteiligung von Kindern an der Durchführung ihrer Unterbringung zu fördern und ihnen Gelegenheit zu geben, ihre Lage ihrem wachsenden Verständnis entsprechend zu erörtern.]

 

35. Artikel 3 des Übereinkommens gibt dem Kind nicht das Recht, einer vorgesehenen Entscheidung zuzustimmen oder gegen sie ein Veto einzulegen, denn er gilt für viele verschiedene Verfahrensarten, und es wäre nicht immer zum Wohl eines Kindes, ihm bei bestimmten Entscheidungen ein solches Recht zu geben. Es steht den Staaten aber frei, nach Artikel 1 Absatz 6 günstigere Regeln vorzusehen und Kindern in bestimmten Fällen, wie zum Beispiel bei der Adoption, das Recht einzuräumen, einer vorgesehenen Entscheidung zuzustimmen oder ein Veto gegen sie einzulegen. [Artikel 9 des Europäischen Übereinkommens über die Adoption von Kindern sieht vor, dass die zuständige Behörde die Adoption erst nach sachdienlichen Ermittlungen über den Annehmenden, das Kind und seine Familie aussprechen darf. Dieser Artikel sieht ferner vor, dass die Ermittlungen sich, je nach den Umständen des Einzelfalls, unter anderem auf die Einstellung des Kindes zu der vorgesehenen Adoption zu erstrecken haben.]

 

36. Es bleibt den Staaten überlassen, die Beurteilungskriterien dafür zu bestimmen, ob Kinder fähig sind, ihre eigene Meinung zu bilden und zu äußern, und es steht ihnen selbstverständlich frei, das Alter der Kinder zu einem dieser Kriterien zu machen. Ist nach innerstaatlichem Recht nicht ein bestimmtes Alter vorgesehen, ab welchem Kinder als hinreichend verständig angesehen werden, so bestimmt die Justiz- oder Verwaltungsbehörde je nach Art des Falls den erforderlichen Grad des Verständnisses bei Kindern, um sie als fähig anzusehen, ihre eigene Meinung zu bilden und zu äußern.

 

37. Im Sinn des Übereinkommens umfasst das innerstaatliche Recht nicht nur förmliche Gesetze, sonstige Vorschriften und die Rechtsprechung, sondern auch völkerrechtliche Übereinkünfte, wenn sie Teil der innerstaatlichen Rechtsordnung sind.

 

Artikel 4

Recht, die Bestellung eines besonderen Vertreters zu beantragen

 

38. Besteht zwischen einem Kind und den Trägern elterlicher Verantwortung ein Interessenkonflikt, so können die Träger elterlicher Verantwortung nach innerstaatlichem Recht von der Vertretung des Kindes ausgeschlossen werden. Die Umstände, unter denen ein Interessenkonflikt als gegeben angesehen wird, bestimmen sich nach dem innerstaatlichen Recht.

 

39. In einem solchem Fall kann das Recht, die Bestellung eines besonderen Vertreters zu beantragen, von dem Kind persönlich oder durch andere Personen oder Stellen ausgeübt werden. Die Staaten können dieses Recht jedoch auf Kinder beschränken, die sie als hinreichend verständig ansehen. Das Recht, nach diesem Artikel die Bestellung eines besonderen Vertreters zu beantragen, ist insoweit von Artikel 9 abhängig, als die Justizbehörde gegebenenfalls bereits einen besonderen Vertreter bestellt hat oder selbst bestellen will (z.B. wenn nach innerstaatlichem Recht die Bestellung eines Vertreters durch eine Justizbehörde im Fall eines Interessenkonflikts von Amts wegen vorgeschrieben ist).

 

40. Dieser Artikel findet auf familienrechtliche Verfahren vor den Justizbehörden einer Vertragspartei Anwendung. Diese Verfahren sind bereits von der Vertragspartei nach Artikel 1 Absatz 4 als eine Art von familienrechtlichen Sachen bezeichnet worden. Dieser Artikel wird auf Verfahren angewendet, in denen das Kind nach innerstaatlichem Recht vertreten sein muss. Eine solche Bestellung kann für einen bestimmten Zeitraum oder für begrenzte Zwecke erfolgen.

 

Artikel 5

Andere mögliche Verfahrensrechte

 

41. Im Gegensatz zu Artikel 4 sind die Staaten nach diesem Artikel nicht verpflichtet, Kindern bestimmte Rechte zu geben. Sie haben aber zu erwägen, ob es zweckmäßig ist, ihnen weitere Verfahrensrechte zu gewähren. Der Ständige Ausschuss kann überprüfen, ob diese Verpflichtung zur Erwägung erfüllt worden ist (siehe Artikel 16). Wenn die Staaten weitere Verfahrensrechte gewähren, sollten sie dies dem Generalsekretär des Europarats notifizieren (siehe Artikel 1 Absatz 5).

 

42. Weitere Verfahrensrechte für Kinder umfassen das Recht auf Beistand durch eine ausgewählte Person oder auf Vertretung durch einen gesonderten Vertreter, der nur das Kind vertritt. Das Recht, ihren Vertreter selbst zu bestellen, oder das Recht, die Rechte von Verfahrensparteien ganz oder teilweise auszuüben, könnten weitere Möglichkeiten sein. Auch wenn ein Kind das Recht hat, einen Vertreter zu wählen, ist die Justizbehörde nicht verpflichtet, eine ungeeignete Person als Vertreter des Kindes zuzulassen.

 

B. A u f g a b e n   d e r   J u s t i z b e h ö r d e n

 

Artikel 6

Entscheidungsprozess

 

43. Nach Buchstabe a dieses Artikels hat eine Justizbehörde in einem ein Kind berührenden Verfahren sicherzustellen, dass sie, bevor sie eine Entscheidung trifft, über hinreichende Informationen verfügt. Das Kriterium ist: Liegen der Justizbehörde hinreichende Informationen vor, um eine Entscheidung zum Wohl des Kindes zu treffen? Auskünfte sollten zum Beispiel von dem Kind, den Trägern elterlicher Verantwortung, dem Vertreter des Kindes oder von jeder anderen Person oder Stelle eingeholt werden, von der angenommen werden kann, dass sie mit der in Frage stehenden Angelegenheit vertraut ist.

 

44. Die Justizbehörde hat ferner sicherzustellen, dass hinreichend verständige Kinder alle sachdienlichen Auskünfte erhalten haben. Dies kann insbesondere dann wichtig sein, wenn das Kind keinen Vertreter hat, dem die Pflichten nach Artikel 10 obliegen, und die Justizbehörde Grund zu der Annahme hat, dass die Träger elterlicher Verantwortung dem Kind keine Auskünfte erteilt haben. Hat das Kind keine Auskünfte erhalten, so sollte gegebenenfalls die Justizbehörde dem Kind Auskunft erteilen oder auf andere Weise veranlassen, dass das Kind Auskunft erhält.

 

45. Die Justizbehörde ist auch verpflichtet, das Kind anzuhören, soweit dies nicht mit dem Kindeswohl offensichtlich unvereinbar ist. Die Justizbehörde entscheidet, ob es dem Wohl des Kindes dient, persönlich angehört zu werden. Die Justizbehörde stellt die Meinung des Kindes, soweit möglich, selbst fest, indem sie das Kind persönlich anhört. Aber die Justizbehörde kann beispielsweise auch beschließen, andere Personen (z.B. einen Mitarbeiter des Jugendamts) oder geeignete Stellen zu beauftragen, die Meinung des Kindes festzustellen und der Justizbehörde mitzuteilen.

 

46. Wenngleich das Kind erforderlichenfalls unter vier Augen angehört wird, so bedeutet dies nicht, dass die Anhörung unbedingt auch vertraulich ist. Die Verfahrensbeteiligten können also Zugang zu maßgeblichen Teilen dieser Informationen haben, wenn dies nach innerstaatlichem Recht vorgesehen ist.

 

47. Das Kind sollte in einer seinem Verständnis angemessenen Weise angehört werden. Wie ein Kind anzuhören ist, hängt davon ab, inwieweit das Kind fähig ist, das Verfahren zu verstehen.

 

Artikel 7

Pflicht zu zügigem Handeln

 

48. Die den Justizbehörden obliegende Pflicht, zügig zu handeln, um unnötige Verzögerungen zu vermeiden, erklärt sich daraus, dass solche Verzögerungen dem Wohlergehen der Kinder abträglich und deshalb mit ihrem Wohl unvereinbar sein könnten.

 

49. Manchmal können die Justizbehörden nicht so zügig handeln wie sie möchten, weil sie beispielsweise keine ausreichenden Informationen erhalten haben, um eine endgültige Entscheidung zum Wohl des Kindes zu treffen. In solchen Fällen könnte es angebracht sein, vorläufige Maßnahmen anzuordnen.

 

50. Auch die Empfehlung Nr. R (91) 9 des Ministerkomitees des Europarats über Sofortmaßnahmen in Familiensachen enthält Grundsätze für die Mitgliedstaaten, in denen Maßnahmen genannt werden, die getroffen werden sollen, um sicherzustellen, dass den Gerichten und anderen zuständigen Behörden, die mit Familiensachen befasst sind, wirksame Sofortmaßnahmen zum Schutz von Kindern und anderen Personen zur Verfügung stehen, die des besonderen Schutzes und der besonderen Unterstützung bedürfen und deren Wohl ernsthaft gefährdet ist. Diese Empfehlung sieht ferner vor, dass Gerichte und andere zuständige Behörden in Fällen, in denen eine internationale Zusammenarbeit zwischen den Gerichten oder anderen zuständigen Behörden erforderlich ist und in denen die Rückgabe eines Kindes verlangt wird, „möglichst innerhalb von sechs Wochen nach Eingang des vollständigen Antrags bei der ersuchten Behörde eine Entscheidung treffen“ sollten (Grundsatz 4 Absatz 6).

 

Artikel 8

Handeln von Amts wegen

 

51. Dieser Artikel ermächtigt die Justizbehörde, ohne einen förmlichen Antrag erhalten zu haben, von Amts wegen tätig zu werden, wenn das Wohlergehen eines Kindes ernsthaft gefährdet ist [Grundsatz 4 der Empfehlung Nr. R (84) 4 über die elterliche Verantwortlichkeit sieht Folgendes vor: „Üben Personen die ihnen zustehende elterliche Verantwortung in einer Weise aus, die die wesentlichen Interessen des Kindes gefährdet, so soll die zuständige Behörde von Amts wegen oder auf Antrag geeignete Maßnahmen treffen.“]. Soweit ein derartiges Tätigwerden geeignet ist, einen Eingriff in das Familienleben darzustellen, muss es sich eng auf die durch innerstaatliches Recht bestimmten Fälle beschränken.

 

Artikel 9

Bestellung eines Vertreters

 

52. Artikel 9 Absatz 1 ermächtigt die Justizbehörde, für Kinder ungeachtet ihrer Verständnisfähigkeit einen besonderen Vertreter zu bestellen, wenn zwischen einem Kind und den Trägern elterlicher Verantwortung ein Interessenkonflikt besteht. Diese Ermächtigung kann in Verfahren ausgeübt werden, in denen das Kind nach innerstaatlichem Recht nicht von den Trägern elterlicher Verantwortung vertreten werden kann. Dazu auch Artikel 4, der dem Kind vorbehaltlich Artikel 9 das Recht gibt, einen besonderen Vertreter zu beantragen.

 

53. Nach Absatz 2 dieses Artikels sind die Vertragsparteien des Übereinkommens ferner

verpflichtet, die Möglichkeit zu erwägen, den Justizbehörden die Befugnis zu erteilen, für das Verfahren einen gesonderten Vertreter für das Kind, d.h. gesondert von dem Vertreter der Träger elterlicher Verantwortung, auch dann zu bestellen, wenn kein Interessenkonflikt zwischen dem Kind und den Trägern elterlicher Verantwortung besteht. Der gesonderte Vertreter nach Absatz 2 ist nicht dasselbe wie der besondere Vertreter nach Absatz 1. Ein Träger elterlicher Verantwortung kann auch Vertreter sein, sofern er bzw. sie bestellt worden ist, das Kind vor der Justizbehörde zu vertreten.

 

C. A u f g a b e n   d e r   V e r t r e t e r

 

Artikel 10

 

54. Die Aufgaben der Vertreter sind in Artikel 10 Absatz 1 aufgeführt. Es ist nach innerstaatlichem Recht zu entscheiden, ob die nach den Artikeln 4 und 9 bestellten Vertreter weitere Aufgaben haben sollten. Dieser Absatz spiegelt die drei in Artikel 3 genannten Rechte wider. Artikel 10 soll sicherstellen, dass der Vertreter eines Kindes das Kind in geeigneter Weise vertritt, insbesondere indem er dem Kind Auskunft erteilt und Erklärungen gibt, die Meinung des Kindes feststellt und sie der Justizbehörde vorträgt. Der Vertreter kann zum Beispiel ein Rechtsanwalt oder eine andere Person sein, die bestellt worden ist, ein Kind vor einer Justizbehörde zu vertreten (vgl. Artikel 2 Buchstabe c und die Bemerkungen dazu in diesem Erläuternden Bericht).

 

55. Diesen Verpflichtungen ist nachzukommen, soweit dies nicht mit dem Kindeswohl offensichtlich unvereinbar ist. Dies kann auch unmöglich sein, beispielsweise wenn das Kind sehr jung ist. Es steht den Kindern allerdings frei, die Meinungsäußerung zu verweigern. „Die Meinung des Kindes festzustellen“ bedeutet nicht stets nur, mit dem Kind zu sprechen und es zu bitten, seine Meinung mündlich zu äußern, sondern es umfasst auch die „Beobachtung“ des Kindes durch einen Vertreter oder etwa auch durch einen medizinischen Sachverständigen. Es steht den Kindern allerdings frei, die Meinungsäußerung zu verweigern. Darüber hinaus können die Vertreter ihre eigene Meinung zum Kindeswohl äußern.

 

56. In vielen Fällen und in vielen Rechtsordnungen sieht das innerstaatliche Recht vor, dass die Träger elterlicher Verantwortung berechtigt sind, Kinder in Verfahren vor den Justizbehörden zu vertreten. In diesen Fällen können die Träger elterlicher Verantwortung das Kind vertreten, ohne dazu jedoch eigens bestellt worden zu sein. Sie sind als Vertreter in diesen Fällen nicht nach dem Übereinkommen durch die Pflichten gebunden, die den Vertretern im Sinne des Artikels 2 Buchstabe c obliegen. Die Vertragsparteien des Übereinkommens sind jedoch verpflichtet, die Möglichkeit zu erwägen, die Pflichten der Vertreter nach Absatz 1 auf die Träger elterlicher Verantwortung auch dann zu erstrecken, wenn sie nicht eigens als Vertreter bestellt worden sind.

 

D. Erweiterung des Anwendungsbereichs einiger Bestimmungen

 

Artikel 11

 

57. Artikel 11 verpflichtet die Staaten, eine Erweiterung der Bestimmungen der Artikel 3, 4 und 9 auf Verfahren vor anderen Stellen, wie etwa Verfahren vor einer Verwaltungsbehörde ohne justitielle Aufgaben, sowie auf Fragen, die ein Kind berühren, ohne mit einem Verfahren im Zusammenhang zu stehen, in Erwägung zu ziehen. Als Beispiel für Letzteres lässt sich die Veräußerung eines dem Kinde oder seinen Eltern gehörenden Vermögensgegenstandes anführen. Auch wenn es den Staaten freisteht, in diese Richtung voranzuschreiten oder nicht oder bei der Ausübung dieser Rechte noch günstigere Regelungen zur Anwendung zu bringen, sind sie mit anderen Worten doch gehalten, die Möglichkeit einer derartigen Erweiterung ins Auge zu fassen.

 

58. Der aufgrund des Übereinkommens errichtete Ständige Ausschuss kann gemäß Artikel 16, der die Prüfung der mit der Umsetzung des Übereinkommens zusammenhängenden Fragen vorsieht, überprüfen, ob die Vertragsparteien dieser Verpflichtung tatsächlich nachgekommen sind.

 

E. I n n e r s t a a t l i c h e    S t e l l e n

 

Artikel 12

 

59. Der durch diesen Artikel vermittelte Grundgedanke ist, dass es in jedem Staat ein System zur Förderung der Ausübung von Kinderrechten geben sollte. Ein Staat kann die betreffenden Stellen zum Beispiel durch Information über deren Bestehen, durch Gesprächskontakte mit ihnen oder auch durch finanzielle Hilfen unterstützen.

 

60. Es steht jedem Staat frei, in Anbetracht seiner jeweiligen Besonderheiten die geeignete Vorgehensweise zu wählen. Die für die Handhabung dieses Instrumentariums zuständigen Stellen können staatlich oder privat sein und untereinander sowohl auf innerstaatlicher als auch internationaler Ebene zusammenarbeiten (vgl. auch Artikel 16). Es können zum Beispiel vorhandene Stellen eingesetzt werden, oder es kann auch zweckmäßig sein, zu diesem Zweck eine besondere Stelle, wie das Büro eines Ombudsmanns, einzurichten.

 

61. Absatz 2 enthält eine nicht erschöpfende Liste von Aufgaben, die im Rahmen des innerstaatlichen Systems zur Förderung der Ausübung von Kinderrechten zu erfüllen sind. Die Aufgaben der innerstaatlichen Stellen brauchen nicht gleichzeitig oder mit demselben Maß an Intensität durchgeführt zu werden. Diese Stellen könnten zum Beispiel den Einsatz von Schlichtungs- oder anderen Verfahren zur Streitbeilegung, wie sie in Artikel 13 beschrieben sind, fördern. Dabei kommt es nicht so sehr darauf an, ob die Aufgaben von einer oder mehreren staatlichen oder privaten Stellen wahrgenommen werden. Wenn es aber keine Stelle gibt, die diese Aufgaben erfüllt, so sollten Maßnahmen getroffen werden, um entweder sicherzustellen, dass eine staatliche Stelle die Verantwortung dafür trägt, oder um eine private Stelle zu unterstützen, die diese Aufgaben erfüllen möchte. Ein Staat kann eine private Stelle nicht zwingen, diese Aufgaben zu erfüllen.

 

62. Durch Absatz 2 Buchstabe a und b soll die rechtliche Stellung von Kindern durch Vorschläge und Stellungnahmen zur Stärkung der Rechtsvorschriften über die Ausübung von Kinderrechten verbessert werden. Solche Vorschläge können zum Beispiel darauf gerichtet sein, innerstaatliche Rechtsvorschriften mit völkerrechtlichen Übereinkünften in Einklang zu bringen. Sie können gegebenenfalls durch Umfragen unter Kindern, insbesondere solchen mit bestimmten Bedürfnissen, angeregt werden. Die Buchstaben a und b behandeln nicht die Frage, ob innerstaatliche Stellen Vorschläge unmittelbar in das Parlament einbringen können. Es ist gegebenenfalls Sache des innerstaatlichen Rechts, diese Stellen mit solchen Befugnissen auszustatten.

 

63. Buchstabe c macht es den betreffenden Stellen zur Aufgabe, Auskünfte zu geben. Diese Auskünfte werden als allgemein bezeichnet, um darauf hinzuweisen, dass diese Stellen nicht verpflichtet sind, in Einzelfällen Rat zu erteilen.

 

64. Buchstabe d stellt sicher, dass die innerstaatlichen Stellen Maßnahmen treffen, um die Meinungen von Kindern festzustellen und ihnen sachdienliche Auskünfte zu geben.

 

F.  S o n s t i g e   A n g e l e g e n h e i t e n

 

Artikel 13

Vermittlung oder andere Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten

 

65. In geeigneten, nach innerstaatlichem Recht zu bestimmenden Fällen kann es notwendig sein, die gütliche Beilegung von Streitigkeiten über die Ausübung von Kinderrechten zu fördern. Eine Schlichtung sollte ohne jegliches Eingreifen einer Justizbehörde vor und während des Verfahrens möglich sein oder auch danach, falls es bei der Vollstreckung der von der Justizbehörde getroffenen Entscheidung zu einem Konflikt kommt. Die anderen in diesem Artikel genannten Verfahren sind informelle Verfahren zur Streitbeilegung, die es den betreffenden Personen ermöglichen, sich auf dem Verhandlungsweg zu einigen.

 

66. Einigungen, die durch Schlichtung oder andere Verfahren zur Streitbeilegung zustande kommen, sollten sich nicht gegen das Kindeswohl richten. Richten sich diese Einigungen gegen das Kindeswohl, so kann die in Artikel 2 Buchstabe a genannte Justizbehörde tätig werden und eine Entscheidung treffen.

 

67. Es ist, wie im Übereinkommen und in Nummer 8 dieses Berichts zum Ausdruck kommt, klar, dass es im Konfliktfall wünschenswert ist, dass die Familien sich zu einigen versuchen, ehe sie die Angelegenheit vor eine Justizbehörde bringen.

 

Artikel 14

Verfahrens- und Beratungshilfe

 

68. Dieser Artikel soll Kindern ermöglichen, vorbehaltlich der Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts Verfahrens- oder Beratungshilfe in Anspruch zu nehmen, wenn für sie ein gesetzlicher Vertreter bestellt worden ist (Artikel 4 und 9); auf diese Weise soll in vielen Fällen die Frage vermieden werden, wer gegebenenfalls die Kosten für den Vertreter zu tragen hat. Dies hindert die Staaten nicht, die Kosten der Verfahrens- oder Beratungshilfe in geeigneten Fällen von den Eltern zurückzuverlangen, wenn ihr innerstaatliches Recht dies vorsieht.

 

Artikel 15

Verhältnis zu anderen internationalen Übereinkünften

 

69. In diesem Artikel ist der Grundsatz niedergelegt, dass das Europäische Übereinkommen die Anwendung anderer völkerrechtlicher Übereinkünfte auf dem Gebiet der Familie und der Kinder, durch welche die Vertragsparteien des Übereinkommens gebunden sind, nicht ausschließt. Dieses Übereinkommen steht daher zum Beispiel der Anwendung eines Übereinkommens zur Rückführung eines widerrechtlich verbrachten oder zurückgehaltenen Kindes oder der Anwendung eines Übereinkommens zur Gestaltung oder Durchführung des Besuchsrechts eines Kindes nicht entgegen.

 

Kapitel III

Ständiger Ausschuss

 

Artikel 16, 17 und 18

Einsetzung und Aufgaben des Ständigen Ausschusses/Zusammensetzung/Tagungen

 

70. Es wurde davon ausgegangen, dass es leichter sein würde, die Ziele des Übereinkommens zu erreichen und es anzupassen, wenn die Vertreter der Vertragsparteien die Möglichkeit hätten, regelmäßig zusammenzutreffen, um die Anwendung des Übereinkommens zu beurteilen und Maßnahmen vorzuschlagen, die sie als geeignet ansehen, seine Wirkungsweise zu verbessern.

 

71. Um die größtmögliche Beteiligung an der Diskussion sicherzustellen und in Anbetracht des Wunsches, das Übereinkommen für den Beitritt möglichst vieler Staaten zu öffnen, wurde es ferner für erforderlich angesehen, unter bestimmten Bedingungen Nichtmitgliedstaaten des Europarats oder gegebenenfalls nationale oder internationale nichtstaatliche Stellen (z. B. Ombudsleute) zur Teilnahme an den Beratungen einzuladen.

 

72. Die wesentlichen Verfahrensregeln betreffend die Arbeitsweise des Ständigen Ausschusses sind im Übereinkommen niedergelegt und werden durch seine Verfahrensordnung ergänzt.

 

73. Der Ständige Ausschuss hat die Aufgabe, die durch das Übereinkommen aufkommenden Probleme zu verfolgen.

 

74. In diesem Zusammenhang kann er Stellungnahmen zu allen sachdienlichen Fragen betreffend die Auslegung oder die Durchführung des Übereinkommens abgeben.

 

75. Mit der erforderlichen Mehrheit (d.h. einer Dreiviertelmehrheit der abgegebenen Stimmen) kann der Ständige Ausschuss Empfehlungen zur Durchführung des Übereinkommens annehmen. Diese Empfehlungen haben zwar keine unmittelbare rechtliche Wirkung, werden aber beträchtlichen moralischen Einfluss ausüben.

 

76. Der Ständige Ausschuss kann darüber hinaus von den Vertragsparteien Auskünfte einholen, um zu prüfen, ob sie ihren Verpflichtungen gemäß Artikel 5, 9 Absatz 2, Artikel 10 Absatz 2 und Artikel 11 zur Prüfung der Frage nachgekommen sind, ob es zweckmäßig ist, die Bestimmungen dieser Artikel auf Verfahren vor anderen Stellen oder auf andere Angelegenheiten zu erstrecken, oder ob weitere Verfahrensrechte gewährt werden sollten. Die Vertragsparteien können den Ständigen Ausschuss gegebenenfalls auch von der Anwendung von Regeln unterrichten, die nach Artikel 1 Absatz 6 für die Förderung und Ausübung von Kinderrechten günstiger sind.

 

77. Der Ständige Ausschuss hat ferner die Aufgabe, dem Ministerkomitee des Europarats die Einladung bestimmter Staaten zu dem Übereinkommen (Artikel 22 Absatz 1) oder Änderungen zu dem Übereinkommen (Artikel 20 Absatz 1) vorzuschlagen.

 

Artikel 19

Berichte des Ständigen Ausschusses

 

78. Die Berichte des Ständigen Ausschusses an das Ministerkomitee können weitere Auskünfte enthalten, um die Staaten bei der Anwendung der Bestimmungen des Übereinkommens zu unterstützen (z.B. Fragen in Bezug auf die Auslegung des Übereinkommens).

 

Kapitel IV

Änderungen des Übereinkommens

 

Artikel 20

 

79. Änderungen zu den Artikeln des Übereinkommens können von den Vertragsparteien oder vom Ständigen Ausschuss vorgeschlagen werden. Sie werden allen Mitgliedstaaten des Europarats, jedem Unterzeichner, jeder Vertragspartei und jedem zur Unterzeichnung dieses Übereinkommens oder zum Beitritt dazu eingeladenen Staat oder der dazu eingeladenen Europäischen Gemeinschaft übermittelt.

 

80. Der Ständige Ausschuss hat jede vorgeschlagene Änderung zu prüfen und mit der erforderlichen Mehrheit zu beschließen, dem Ministerkomitee den Wortlaut vorzulegen. Nach der Genehmigung durch das Ministerkomitee werden die Änderungen den Vertragsparteien zur Annahme zugeleitet.

 

Kapitel V

Schlussbestimmungen

 

Artikel 21

Unterzeichnung, Ratifikation und Inkrafttreten

 

81. Das Übereinkommen liegt für die Mitgliedstaaten des Europarats sowie für den Heiligen Stuhl, der an seiner Ausarbeitung beteiligt war, zur Unterzeichnung auf.

 

Artikel 22

Nichtmitgliedstaaten und die Europäische Gemeinschaft

 

82. Das Ministerkomitee kann von sich aus oder auf Vorschlag des Ständigen Ausschusses und nach Konsultierung der Vertragsparteien jeden anderen Nichtmitgliedstaat oder die Europäische Gemeinschaft einladen, dem Übereinkommen beizutreten.

 

Artikel 23

Räumlicher Geltungsbereich

 

83. Diese Bestimmung gilt im Wesentlichen für überseeische Hoheitsgebiete, da es mit dem Geist des Übereinkommens nicht vereinbar wäre, wenn eine Vertragspartei Teile ihres Mutterlands von der Anwendung dieses Übereinkommens ausschlösse.

 

Artikel 24

Vorbehalte

 

84. Nach Artikel 24 sind Vorbehalte zu dem Übereinkommen nicht zulässig. Dies bedeutet, dass die Vertragsparteien durch alle Bestimmungen des Wortlauts gebunden sind und die Anwendung einzelner Bestimmungen nicht ausschließen dürfen.