575 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXIII. GP

 

Bericht

des Ausschusses für Arbeit und Soziales

über den Antrag 337/A der Abgeordneten Mag. Birgit Schatz, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz über die Höhe des existenzsichernden Mindestlohns (Mindestlohngesetz)

Die Abgeordneten Mag. Birgit Schatz, Kolleginnen und Kollegen haben den gegenständlichen Initiativantrag am 27. September 2007 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:

Zwei bedenkenswerte europäische Trends lassen sich für den Zeitraum der letzten zwei Jahrzehnte beobachten. Zum einen bleiben Löhne hinter der Produktivitätsentwicklung zurück, so dass die Lohnquoten eine rückläufige Tendenz aufweisen (aktuelle Diskussion um das Auseinanderdriften von Lohn- und Gewinnquoten). Der zweite Trend besteht im Anstieg der Lohnspreizung, also Lohnunterschieden zwischen einzelnen Beschäftigtengruppen innerhalb und zwischen den Branchen. Dies liegt sowohl an einer überdurchschnittlich hohen Lohnentwicklung im oberen Lohnsegment (z.B. bei leitenden Angestellten, ManagerInnen usw.) als auch an einer massiven Ausdehnung des Niedriglohnsektors und des Anteils der sogenannten ‚working poor’.

Schon jetzt leben in Österreich 253 000 Menschen in Haushalten, in denen der Verdienst trotz Erwerbsarbeit nicht reicht, um die eigene Existenz – und die der Kinder – zu sichern (Statistik Austria, Österreichische Armutskonferenz).  Der Anteil der NiedriglohnempfängerInnen ist dabei bei  Frauen deutlich höher als bei Männern.  Während 40% aller unselbständig erwerbstätigen Frauen in Österreich ein Brutto-Jahreseinkommen von € 12.961 oder weniger erhalten (zitiert nach Statistik Austria: Personen Einkommen 2005) betrifft dies vergleichsweise nur 20% der Männer, die ein Jahreseinkommen von € 12.050 oder weniger haben.

Überdurchschnittlich viele NiedriglohnempfängerInnen – unter ihnen besonders viele Frauen –  befinden sich zudem in atypischen Arbeitsverhältnissen, deren Anteil an den Beschäftigten nicht zuletzt aufgrund der Deregulierung und Flexibilisierung der Arbeitsmärkte stetig im Steigen begriffen ist. Von den atypisch Beschäftigten mit ‚befristetem Vertrag’ sind 11% armutsgefährdet, von den ‚unregelmäßig Beschäftigten’ 17%, von Personen mit ‚Teilzeit weniger als 12 Stunden’ 20% und bei Menschen mit ‚35h Wochenarbeitsstunden für weniger als 1000 Euro Brutto’ sind 23% armutsgefährdet (Statistik Austria, Österreichische Armutskonferenz).

Zudem brachte in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre die Verschlechterung der Arbeitsmarktlage sowie die Öffnung und Liberalisierung bisher geschützter Märkte- insbesondere im Dienstleistungsbereich – die Löhne wenig qualifizierter Arbeitskräfte zunehmend unter Druck. Im Rahmen der Personenfreizügigkeit bilden sich in  immer mehr Branchen grenzüberschreitende europäische Arbeitsmärkte heraus, welche bestehende Lohn- und Sozialstandards insbesondere im Niedriglohnbereich –  meist durch Scheinselbstständigkeit – unterhöhlen.

Da ein wesentlicher Anteil des Niedriglohnsektors bzw. der von nicht existenzsichernden Einkommen Betroffenen sich außerhalb von Kollektivverträgen geregelten Arbeitsverhältnissen befindet (atypische Beschäftigung) bzw. indirekt von Arbeitsverhältnissen außerhalb des kollektivvertraglichen Regelungsbereiches unter Druck gesetzt wird (Lohndumping), ist die  derzeit in Österreich existierende Sozialpartnereinigung zur Durchsetzung eines Mindestlohnes auf kollektivvertraglicher Ebene nicht ausreichend, um einer Zunahme der ‚working poor’ entgegenzuwirken. Nur der Beschluss eines Gesetzes über die Höhe eines existenzsichernden Mindestlohns ist eine Möglichkeit, insbesondere niedrigste Einkommen auf ein Niveau anzuheben, das dem ‚working poor’ einen Riegel vorschiebt, das aber auch Impulse für andere Ziele – wie die Verringerung der Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern oder die Verbesserung der Qualität und Produktivität von Arbeit – stiften kann.

Zudem ist eine gesetzliche Verankerung eine klare gesellschaftliche Vorgabe. Bereits im Jahr 1997 unterstützten 645.000 Menschen mit ihrer Unterschrift unter das Frauenvolksbegehren die Forderung nach Schaffung eines gesetzlichen Mindestlohns von ATS 15.000,- (umgerechnet: 1090 Euro). Trotz der Untermauerung dieser Forderung mit Fakten, die den Zusammenhang von Geschlecht und niedrigem Arbeitseinkommen belegen, konnte sich bis heute keine Regierung zur Umsetzung der geforderten Maßnahme durchringen.

Im Regierungsübereinkommen von 2003: FPÖ und ÖVP einigten sich die Koalitionspartner auf folgendes Ziel: ‚Wir sind der Auffassung, dass jedem Arbeitnehmer und jeder Arbeitnehmerin für Vollzeitarbeit ein Mindestlohn von 1.000 € im Monat zustehen soll.’

Im aktuellen Regierungsübereinkommen 2007 zwischen SPÖ und ÖVP ist zu lesen: ‚Ein Mindestlohn in von 1000 Euro im Monat auf Vollzeitbasis soll durch die Sozialpartner im Rahmen eines Generalkollektivvertrags umgesetzt werden.’ S. 47 Forderung wird den Sozialpartner überlassen, da diese gesetzliche Festlegungen ablehnen.

Ein einheitlicher Mindestlohn und Branchenlösungen schließen einander nicht aus, sie bilden im Gegenteil eine sinnvolle Ergänzung.  Der vorliegende Antrag greift nicht in die Vertragsfreiheit der Kollektivvertragspartner ein, weil er keine Aussage über auszuhandelnde bessere Vertragskonditionen trifft. Die ausgehandelte Grundsatzvereinbarung der Sozialpartner zum Mindestlohn über Branchenkollektivverträge, und in letzter Konsequenz per Generalkollektivvertrag, zeigt warum es einen gesetzlich fixierten Mindestlohn braucht. Branchenkollektivverträge sowie Generalkollektivverträge können nicht – wie in früheren Jahrzehnten – zwischen SpitzenfunktionärInnen von Gewerkschaft und Bundeswirtschaftskammer ausgehandelt werden, da sich inzwischen dutzende kollektivvertragsfähige Organisationen auf ArbeitgeberInnenseite gebildet haben (‚freie Branchen’), die nicht Teil der Bundeswirtschaftskammer sind und sich somit auch von der erzielten Einigung der Sozialpartner zum Mindestlohn distanzieren können (AssistentInnen und HelferInnen bei ÄrztInnen, ZahnärztInnen, TierärztInnen, RechtsanwältInnen, NotarInnen, ApothekerInnen, ZivilingenieurInnen und WirtschaftstreuhänderInnen). Nach Schätzungen der Sozialpartner sind nur etwa 95% aller Beschäftigten von Branchenkollektivverträgen erfasst. Völlig unberücksichtigt bleiben jedoch neben den ‚freien Branchen’ die freien DienstnehmerInnen sowie WerkvertragnehmerInnen.

Außerdem bleibt Österreich mit seiner Mindestlohnregelung Schlusslicht bei vergleichbaren europäischen Ländern. In 20 der EU-Mitgliedstaaten gibt es bereits einen nationalen gesetzlichen Mindestlohn. Die meisten westeuropäischen Länder setzen derzeit eine Lohnuntergrenze von 8 Euro. In Luxemburg sind es sogar neun Euro. Gesetzlich fixierte Mindestlöhne wurden in den letzten Jahren nach langer Diskussion sowohl in Großbritannien als auch in Frankreich – zwei Länder mit nach Kaufkraft gemessen niedrigerem BIP/EinwohnerIn als Österreich – realisiert, ohne dass dies zu unerwünschten Nebeneffekten (wie etwa einem Inflationsauftrieb) geführt hätte.  Die Erhöhung der Löhne von ca. 2 Mio. britischen ArbeitnehmerInnen hat jedoch die Nachfrage im Konsumbereich wesentlich stimuliert. Die Höhe der gesetzlich fixierten Mindestlöhne liegt in diesen Ländern bei über 1200 Euro.

Frankreich: € 1254,-

Belgien: € 1259,-

Niederlande: € 1301,-

Luxemburg: € 1570,-

Großbritannien: € 1361,-

Die Erfahrungen aus dem Ausland aber vor allem auch aktuelle Debatten um die EU- Dienstleistungsrichtlinie machen deutlich, dass die Mindestlohnsicherung längst zu einer europaweiten Frage geworden ist. Vor dem Hintergrund eines gemeinsamen europäischen Binnenmarktes und einer zunehmend integrierten europäischen Wirtschaft ist eine europäische Mindestlohnpolitik dringend geboten. Zudem bildet die  Ausdehnung des Niedriglohnsektors und Lohndumpings auch einen Nährboden für chauvinistische, rechtspopulistische und nationalistische Kräfte. Demgegenüber muss eine progressive Politisierung der Lohnfrage gestellt werden. Lohndumping und Standortkonkurrenz würden eingeschränkt und für alle Unternehmen einer Branche fairer Wettbewerb hergestellt. Österreich kann gemeinsam mit anderen europäischen Ländern die Grundlage für eine gemeinsame europäische Mindestlohnpolitik schaffen.

Der diesem Gesetzesvorschlag zu Grunde liegende Mindestlohn in der Höhe von € 7,- brutto in der Stunde ergibt bei einer Vollzeittätigkeit im Ausmaß von 40 Wochenstunden einen Brutto-Monatslohn in der Höhe von € 1232,-. Das führt zu einem Netto-Monatslohn im Bereich von etwa € 980,-.

Um eine erfolgreiche Umsetzung des Gesetzes zu gewährleisten, bedarf es begleitend zum Mindestlohngesetz auch eines Ausbaus der gesetzlichen Maßnahmen zur Kontrolle der Löhne.“

 

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales hat den gegenständlichen Initiativantrag in seiner Sitzung am 27. Mai 2008 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich außer der Berichterstatterin Abgeordneten Mag. Birgit Schatz die Abgeordneten Werner Amon, MBA, Franz Riepl, Ing. Norbert Hofer, Karl Öllinger, Dr. Reinhold Mitterlehner und Sigisbert Dolinschek sowie der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit Dr. Martin Bartenstein.

Im Zuge der Debatte hat die Abgeordnete Mag. Birgit Schatz einen Abänderungsantrag eingebracht.

Bei der Abstimmung fand der gegenständliche Initiativantrag in der Fassung des oberwähnten Abänderungsantrages keine Mehrheit.

Als Berichterstatterin für das Plenum wurde Abgeordnete Ulrike Königsberger-Ludwig gewählt.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Ausschuss für Arbeit und Soziales somit den Antrag, der Nationalrat wolle diesen Bericht zur Kenntnis nehmen.

Wien, 2008 05 27

                     Ulrike Königsberger-Ludwig                                                     Renate Csörgits

                                 Berichterstatterin                                                                           Obfrau