155/J XXIII. GP

Eingelangt am 11.12.2006
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ANFRAGE

 

 

des Abgeordneten Rossmann, Freundinnen und Freunde

 

an den Bundeskanzler

 

betreffend die korrekte Verbuchung von Anleiheaufstockungen bei der Ermittlung des öffentlichen Defizits gemäß ESVG 95 („Maastricht-Saldo“) und die Berechnung der Zinsaufwendungen

 

Im Bericht des Staatsschuldenausschusses über die öffentlichen Finanzen 2004[1] werden die Finanzierungskosten der österreichischen Finanzschuld ausführlich dargestellt. Dort heißt es auf Seite 63:

 

„Die Finanzierungskosten der Finanzschuld können in zwei Komponenten zerlegt werden: den Zinsaufwand und den sonstigen Aufwand. Die Budgetkategorie Zinsaufwand umfasst ausschließlich jene Kosten, die sich aus der Nominalverzinsung (Kupon) der Schuldkategorien unter Berücksichtigung der derivativen Geschäfte ableiten. In der Budgetkategorie „sonstiger Aufwand“ sind die Transaktionskosten (Spesen), die Ausgaben bzw. Einnahmen bei Unter- bzw. Über-pari Emissionen (Disagio bzw. Agio) und die Kursdifferenzen von Wertpapieren infolge von Rückkäufen oder Konversionen subsumiert. Die Gesamtkosten für die bereinigte Finanzschuld im Sinne des Bundesbudgets (Zahlungsströme im Allgemeinen Budgethaushalt) ergeben sich durch die Addition dieser beiden Budgetkomponenten.

 

Im Berichtsjahr 2004 nahm die Ausgabenkomponente Zinsaufwand für die bereinigte Finanzschuld kaum zu, obwohl Nettodefizite des Bundes in den Jahren 2003 und 2004 zu verzeichnen waren (Zinsaufwand 2004: 6,36 Mrd EUR; 2003: 6,30 Mrd EUR). Diese erfreuliche Entwicklung erklärt sich primär aus dem Umstand, dass Schuldkategorien mit höherer Nominalverzinsung im Vergleich zum gegenwärtigen Zinsniveau in größerem Umfang fällig wurden. Bezieht man den sonstigen Aufwand mit ein, so unterschritt der Aufwand für die bereinigte Finanzschuld insgesamt sogar den Vergleichswert des Vorjahres leicht (2004: 6,23 Mrd EUR; 2003: 6,26 Mrd EUR). Die Ausgaben der Budgetkomponente „sonstiger Aufwand“ lagen 2004 abermals unter jenen der „sonstigen Einnahmen“.

 

Dieser in den letzten Jahren zu beobachtende Einnahmenüberhang bei der Budgetkategorie sonstiger Aufwand erklärt sich daraus, dass das Marktzinsniveau rückläufig war und EUR-Bundesanleihen häufig aufgestockt wurden, um das Gesamtemissionsvolumen zu erhöhen. Da bei Anleiheaufstockungen keine Anpassung des Nominalzinssatzes (Kupon) an das jeweilige Marktzinsniveau erfolgen kann, wird die Zinsdifferenz durch einmalige „Ausgleichszahlungen“ bzw. durch so genannte Agios oder Disagios bei der Emission ausgeglichen. Bei einem unter dem Nominalzinssatz der Anleihe liegenden Marktzinsniveau erhält der Bund eine Ausgleichszahlung (Einnahmen).[2] Im Berichtsjahr setzte sich die Ausgabenkomponente des sonstigen Aufwands aus Disagios bei Emissionen und nachträglichen Transaktionen in Höhe von 0,21 Mrd EUR und aus sonstigen Kosten (Provisionen und Entgelten, Swapkosten) in Höhe von 0,04 Mrd EUR zusammen. Bei den Einnahmen betrugen die Agios 0,31 Mrd EUR und die sonstigen Einnahmen (v. a. Swapprovisionen) 0,07 Mrd EUR. Insgesamt überschritten daher im Jahr 2004 die Beträge auf der Einnahmen- jene auf der Ausgabenseite um 0,13 Mrd EUR.“

 

Die Anleiheaufstockungen wurden auch im Jahr 2005 fortgeführt. Aus dem Bericht des Staatsschuldenausschusses über die öffentlichen Finanzen 2005 geht hervor, dass sich „...die Ausgabenkomponente des sonstigen Aufwands aus Disagios bei Emissionen und nachträglichen Transaktionen in Höhe von 228 Mio EUR und aus sonstigen Kosten (Provisionen und  Entgelten, Swapkosten) in Höhe von 57 Mio EUR...“ zusammensetzt.[3] Weiters heißt es: „Bei den Einnahmen betrugen die Agios 514 Mio EUR und die sonstigen Einnahmen (v.a. Swapprovisionen) 94 Mio EUR. Insgesamt überschritten daher im Jahr 2005 die Beträge auf der Einnahmen- jene auf der Ausgabenseite um 323 Mio EUR.“ Die überdurchschnittlichen Emissionsagios im Jahr 2005 resultierten vor allem aus der Aufstockung einer erstmals 1997 emittierten Anleihe mit einer Laufzeit von 30 Jahren und einer Nominalverzinsung von 6,25%.[4]

 

Die diese Anleiheaufstockungen als reine Geldbeschaffungsaktionen des Bundes zu qualifizieren sind, die von der Statistik Austria Maastricht-Defizit mindernd verbucht werden, wurde eine Anfrage an die Kommission gerichtet. Die schriftliche Anfrage P-2653/06 der Abgeordneten zum Europa-Parlament Eva Lichtenberger betreffend die korrekte Verbuchung von Agios und Disagios im Zusammenhang mit Anleiheaufstockungen nach dem ESVG 95 wurde von Herrn Almunia im Namen der Kommission am 17.7.2006 beantwortet.

 

Anfragebeantwortung von Herrn Almunia im Namen der Europäischen Kommission vom 17.7.2006

 

“Die Frage der Frau Abgeordneten betrifft die Verbuchung von Agios und Disagios im Zusammenhang mit Anleiheaufstockungen nach dem Europäischen System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen (ESVG) 1995. Dabei geht es um die Behandlung von „Ausgleichszahlungen“, die der Staat erhält (oder leistet), wenn er Anleihen mit einem über den Marktsätzen liegenden Kupon emittiert; dies kommt häufig vor, wenn Anleihen in Tranchen aufgelegt werden und wenn das Zinsniveau rückläufig ist.

 

Derartige Einnahmen aus Anleiheemissionen können nicht zum Einnahmenzeitpunkt als (das ESVG-Defizit verringernde) Staatseinnahmen behandelt werden, sondern müssen so verbucht werden, dass sie zeitlich gestaffelt jeweils von den Kuponzahlungen in Abzug gebracht werden, damit die aufgelaufenen Zinsen angemessen erfasst werden.

 

Rein technisch gesehen, sind diese Einnahmenbeträge im Rahmen der Meldungen der Mitgliedstaaten an die Kommission, die im Zuge des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit (VÜD) erfolgen, in Tabelle 3[5] unter der Position „Emissionen über(-)/unter pari(+)“ (Issuances above(-)/below(+) par) gegenzubuchen.

 

Entsprechend kann auch der Anleiherückkauf zu einem vom Nennwert abweichenden Wert nicht zu Ausgaben oder Einnahmen des Staates führen. In diesem Fall sind vielmehr Verbuchungen in der VÜD-Tabelle 3 unter „Rückkauf von Verbindlichkeiten über(+)/unter(-) pari“ (Redemptions of debt above(+)/below(-) par) vorzunehmen.”

 

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

 

 

ANFRAGE:

 

 

1.      Ist Ihnen das Antwortschreiben von Herrn Almunia vom 17.7.2006 auf die Anfrage P-2653/06 der Abgeordneten zum Europa-Parlament Eva Lichtenberger bekannt?

 

2.      Wurden seit diesem Zeitpunkt die dortigen Antworten bei der Berechnung des Maastricht-Defizits gemäß ESVG 95 berücksichtigt?

 

3.      Wenn nein, werden sie Eingang in die nächste budgetäre Notifikation finden?

 

4.      Wenn nein, warum nicht?

 

5.      Wie hoch ist der Finanzierungssaldo des Bundessektors bzw. des Sektors Staat gemäß ESVG 95 in den Jahren 1995 bis 2005, wenn die Verbuchung von Agios und Disagios im Zusammenhang mit Anleiheaufstockungen im Sinne der Anfragebeantwortung von Herrn Almunia erfolgt? (Wir bitten um eine übersichtliche, tabellarische Darstellung)

 

6.      Wie konkret erfolgt die Berechnung der Zinsaufwendungen des Bundes auf Accrual Basis in den Jahren 1995 bis 2005?

 

7.      Wie leiten sich in den Jahren 1995 bis 2005 die Zinsaufwendungen gemäß ESVG 95 aus den Rechnungsabschlussdaten ab?



[1] http://www.staatsschuldenausschuss.at/html/inhalt/bericht2004/bericht.pdf

[2] 2004 wurde vorrangig die zu Jahresanfang emittierte neue Bundesanleihe mit einem Nominalzinssatz von 4,3% aufgestockt, der höher als der Marktzinssatz bei den folgenden Emissionsterminen war.

[3] http://www.staatsschuldenausschuss.at/html/inhalt/bericht2005/bericht.pdf, Seite 65.

[4] Siehe Fußnote 95 des in Fußnote 3 genannten Berichts.

[5]    Diese Tabellen liegen vor unter Ziffer III.3 der Website zur Finanzstatistik des Sektors Staat, die vor kurzem von Eurostat eingerichtet wurde:

http://epp.eurostat.ec.europa.eu/portal/page?_pageid=2373,47631312,2373_58674381&_dad=portal&_schema=PORTAL