4852/J XXIII. GP
Eingelangt am 15.07.2008
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ANFRAGE
der Abgeordneten Dr Gabriela Moser, Freundinnen und Freunde
an den Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie
betreffend Gefährdungen für die Allgemeinheit durch "Vertrauenszüge" im österreichischen Schienennetz
Einer der größten Vorteile des Gütertransports – und insbesondere des Gefahrgutgütertransports – auf der Schiene neben den umwelt- und klimapolitischen Vorteilen ist die um Größenordnungen höhere Sicherheit. Die Unfallwahrscheinlichkeit je transportierter Gewichtseinheit und Kilometer ist um ein Vielfaches geringer als auf der Straße.
Umso bedauerlicher, ja verwunderlicher ist es, dass dieses zentrale Asset im Rahmen des in Teilen des ÖBB-Konzern grassierenden Sparwahns mutwillig aufs Spiel gesetzt wird.
In letzter Zeit verkehren durch EU-weite Abmachungen und Verträge von verschiedenen europäischen Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVUs) immer mehr sogenannte "Vertrauenszüge", unter anderem als Ganzzüge durch Europa. Diese Güterzüge werden im Normalfall nicht mehr auf Schäden an den Güterwaggons von fachkundigem technischem Wagenuntersuchungspersonal untersucht. Sie verkehren von einer Firma in einem EU-Land zu einer anderen Firma in einem anderen EU-Land. In Österreich werden diese "Vertrauenszüge" ab und zu von einem von den ÖBB neu geschaffenen "Technischen Überwachungsservices" kontrolliert. Diese fallweise Kontrolle ist aber nicht zwingend und eben bei weitem nicht lückenlos.
Der „Erfolg“ dieses neuen Systems – von Widerstand der österreichischen Bundesregierung gegen die entsprechenden Festlegungen ist nichts bekannt - ist, dass immer mehr schadhafte Güterwaggons über große Strecken unbemerkt durch Europa laufen. Das geht soweit, dass immer mehr Waggons mit schadhafter Bremse, herabhängenden Bremsdreiecken, Rahmenrissen an Drehgestellen und tragenden Rahmen und vielen anderen Defekten mehr durch Europa rollen. Besonders gefährlich ist dieses System bei Ganzzügen, die fast nur private Waggons haben und auch nur zwischen zwei Firmen in Europa hin und her laufen.
In einem aktuellen, besonders dramatischen Fall sind derartige Missstände Triebfahrzeugführern in einem Bahnhof im Bundesland Salzburg (Bahnhof Steindorf bei Strasswalchen) aufgefallen, die auch eine entsprechende offizielle Meldung abgaben, wodurch der Fall aktenkundig sein müsste.
In diesem Bahnhof kommt stets am Vormittag ein (Vertrauens)Zug mit der Zugnummer 47134 von Rumänien aus mit 15 vierachsigen beladenen Flüssiggaswaggons (Ladung: Propylen-Gas) an. Dieser Zug wird infolge der konkreten Gleissituation des Bahnhofs gestürzt und geht dann stets nachmittags auf die Zugnummer 45832 über, der von Steindorf über Braunau - Simbach - Burghausen mit Diesellok bespannt zum Unternehmen Wacker Chemie gefahren wird.
Bei diesen Waggons wurde von Triebfahrzeugführern und Mitarbeitern des Technischen Überwachungsservices in Steindorf folgendes gesichtet: An einem der Gaswaggons hatte die Achse so viel Spiel, dass die Außenseite des Rades die Innenseite des Drehgestellrahmens streifte und diesen, vergleichbar einem Angriff mit einer „Flex“, angeschnitten hatte – ein extrem sicherheitsgefährdender Defekt!. Wenn dieser Flüssiggaszug auf Grund dieses Defekts zB bei einer Weiche entgleist, Waggons umstürzen oder sonst wie beschädigt werden und durch Gasaustritt explodieren, hätte dies unvorstellbare Folgen. Auch wenn so ein Zug nicht gleich explodieren muss, alleine die Kosten von Evakuierungen und dergleichen sind nicht zu rechtfertigen!
Weitere Sichtungen: Bei zwei Waggons fehlte das Bremsabsperrhahngestänge zum Steuerventil (konkrete Folge: Bremse ist z.B. nach einem Bremsanstand auf der Strecke nicht mehr auszuschalten), weiters, was noch gefährlicher ist, fehlte bei weiteren zwei Waggons das Gestänge des Bremsart-Umstellers von P auf G (Bremskraft, sicherheitsrelevant!), welches zum Steuerventil führt. Ein Lösezug fehlte, zwei Steuerventile waren zu schlechter Letzt sogar mit Holzkeil unterkeilt, dadurch funktionsunfähig.
Um die potenziellen Folgen dieser Defekte zu charakterisieren: Bei verkeilten und dadurch nicht funktionierenden Steuerventilen wird in der Folge auch die Bremsberechnung falsch wiedergegeben (zu viele Bremsprozente, statt in Wirklichkeit weit weniger oder überhaupt zu wenige). Dadurch kommt der Zug im Ernstfall viel später zum Stehen als der Triebfahrzeugführer annehmen kann!
Derartige Beanstandungen werden nur erkennbar, wenn sich Personal unter den Waggon begibt, von außen sind diese fehlenden bzw. verkeilten Teile fast nicht sichtbar. Das heißt, die erforderliche Personalausstattung, Kontrolldichte und Zeit je Kontrolle ist extrem wichtig und kann entscheidend sein.
Ausnahmsweise, wahrscheinlich durch Hinweise, kam im konkret geschilderten Fall das Technische Überwachungsservice (TÜ) extra aus Salzburg und kontrollierte diesen Vertrauenszug stichprobenartig. Von den 15 Gaswaggons mussten dann nicht weniger als fünf Waggons „rot bezettelt“ werden, was bedeutet, dass diese den Bahnhof nicht mehr verlassen dürfen, außer ein solcherart „abgestellter“ Waggon wird so repariert, dass er zum Entladen und dann in die nächste Werkstätte lauffähig ist. Diese fünf Waggons wurden folgerichtig ausrangiert.
Am Nachmittag desselben Tages kam jedoch ein mobiler Wagenmeister mit dem Dienst-Pkw nach Steindorf, bezettelte die fünf Waggons auf "blaue Zettel" um (das bedeutet, der Waggon darf den Bahnhof verlassen). Danach wurden diese am Abend dem Zug mit der Nummer 45848 dazugereiht. Dass es dem Wagenmeister - wenn überhaupt! - in der zur Verfügung stehenden kurzen Zeitspanne gelingen konnte, derartige Schäden zu beheben, ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen.
Ob es Druck von Vorgesetzten gab oder gibt, bei solchen Situationen aus wirtschaftlichen Gründen Profit über Sicherheit zu stellen und entsprechend zu handeln, ist nicht im Detail belegt. Derartiges wäre aber angesichts mancher Abläufe und Praktiken, die im Konzern vielerorts, wie zB im Einflussbereich der ÖBB-Dienstleistungsgesellschaft eingerissen sind, leider keine Überraschung.
Es dürfte verstreuten Informationen und Hinweisen aus der interessierten Bevölkerung zufolge immer wieder und zunehmend auch in größerer räumlicher Streuung Probleme mit „Vertrauenszügen“ geben, so ist von entsprechenden Vorkommnissen an Grenzbahnhöfen wie zB Summerau die Rede. Dies betrifft nicht alleine die ÖBB als EVU, sondern auch vermehrt andere als auch private EVU’s, und dies nicht nur in Grenzbahnhöfen.
Leider kann angesichts solcher Vorfälle in Kombination mit den von dieser Regierung ebenfalls aufgeweichten Arbeitszeitregelungen zB beim fahrenden Personal nicht ausgeschlossen werden, dass sich die Zustände rasch an die zurecht verkehrspolitisch beklagten Sicherheits-Missstände im Straßengüterverkehr annähern. Dem muss aus Sicht der Grünen dringend und so konsequent wie nur irgend möglich gegengesteuert werden.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende
ANFRAGE: