4947/J XXIII. GP

Eingelangt am 12.09.2008
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Dringliche Anfrage

(gemäß § 93 Abs. 1 GOG)

 

 

der Abgeordneten Dr. Jarolim
und GenossInnen
an den Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit

betreffend Versagen von Wirtschaftsminister Bartenstein bei der Bekämpfung der Teuerung

Seit mehreren Monaten steigen die Preise für lebensnotwendige Güter des täglichen Bedarfs, insbesondere für Lebensmittel. Die Gründe dafür sind vielfältig: Erhöhte Nachfrage, Marktversagen und Spekulationen, aber auch innerösterreichische Preisverzerrungen. Österreich weist in einigen Bereichen über dem EU-Durchschnitt liegende Preissteigerungen auf.

In dieser Situation ist es wichtig, schnell zu handeln und zu helfen: Die hohen Lebensmittel- und Energiepreise stellen ein großes Problem für viele Menschen dar und belasten insbesondere die kleinen und mittleren Einkommen. Allein in den drei Verbrauchskategorien Nahrungsmittel, Wohnen und Verkehr hat ein Durchschnittshaushalt (Ehepaar, 2 Kinder) durch die Inflation der letzten 12 Monate Mehrkosten von über 100 Euro monatlich zu tragen. Die österreichischen Arbeitnehmer werden heuer laut WIFO-Prognose Realeinkommensverluste von durchschnittlich 0,7 % hinnehmen müssen. Die niedrigeren Einkommen sind aber von der Teuerung und der Steuerprogression noch wesentlich stärker betroffen, mit Realeinkommenseinbußen bis zu 3 %.

Preisminister Bartenstein ist in dieser Situation untätig geblieben: Trotz der steigenden Preise unterließ Minister Bartenstein jegliche Handlungen, die ihm nach dem Preisgesetz offen gestanden wären. Er verwies lediglich auf die Preiskommission, die nur beratend tätig sein kann, obwohl er selbst Preisbehörde ist und die relevanten Befugnisse ihm zukommen.

Preisexplosion im Lebensmittelhandel in Österreich

Die Preise für Lebensmittel steigen weiter. Im Juni 2008 gab es mit 3,9 % die höchste Preissteigerung seit 1993. Etwa ein Fünftel der Teuerung ging auf die Preise für Nahrungsmittel zurück, die laut Statistik Austria nach wie vor auf hohem Niveau verharren: Binnen Jahresfrist verteuerten sich die Lebensmittel um 7,4 %. Betroffen sind vor allem Grundnahrungsmittel, wie Brot, Milchprodukte und Eier.

In Österreich steigen die Lebensmittelpreise stärker an als im Durchschnitt der Euro-Zone und vor allem als in Deutschland. Es ist nicht nachvollziehbar, warum die Lebensmittelpreise bei uns über dem EU-Durchschnitt steigen. Das zeigt, dass der Österreich-Zuschlag auch hausgemacht ist. So stiegen im Jahr 2007 die Lebensmittelpreise in der Euro-Zone (EU-15) mit 2,7 % bei weitem nicht so stark an wie in Österreich mit 4,2 %. Ein ähnliches Bild zeigt auch der Vergleich im Mai 2008: Die Lebensmittelpreise in Österreich stiegen um 7,3 %, im Durchschnitt der Euro-Zonen-Länder um 6,4 %.

Österreich ist bei Lebensmitteln heute deutlich teurer als Deutschland: Für die exakt gleichen Produkte zahlt man in Österreichs Supermärkten um 21 % mehr als in Deutschland. Mehr noch: Es sind die Supermärkte des zum Teil gleichen Konzerns, die für das gleiche Produkt in Österreich mehr als in Deutschland verlangen: Das zeigt ein aktueller Preisvergleich Wien-Passau von 72 Produkten im August. Damit ist klar, dass es den „Österreich-Aufschlag" bei Lebensmitteln gibt. Eine AK-Erhebung (5. bis 20. August 2008) von 72 Produkten zeigt, dass KonsumentInnen in Wien um durchschnittlich 21 % (umsatzsteuerbereinigt) mehr zahlen müssen als in Passau. Es wurden Normalpreise (ohne Aktionen) erhoben, verglichen wurden 68 idente Produkte (gleiche Marke, Hersteller und Menge). Damit werden die Erhebungen der AK aus dem April und dem Juli 2008 bestätigt.

Der AK-Preisvergleich Wien - Passau ist ein weiterer Beleg dafür, dass sich die Unternehmen nicht in Ausflüchte retten können. Damit wird dem häufig vorgebrachten Argument entgegengetreten, dass die Preisunterschiede dort bestehen, wo es sich um österreichspezifische Produkte handelt.

Preis- und Wettbewerbsbehörden säumig

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit (BMWA), das zuständig ist für den Handel, Angelegenheiten der Preisregelung, Preisüberwachung und Preistreiberei sowie Wettbewerbsangelegenheiten, zu welcher ausdrücklich die Wettbewerbskontrolle zählt, hat bisher leider viel zu wenig unternommen, um die Inflation im Lebensmittelbereich zu drücken. Minister Bartenstein war auch säumig zu erheben, wer Verursacher des Österreich-Aufschlags bei den Lebensmittelpreisen ist. Im Juni hat die Arbeiterkammer daher einen Antrag auf Untersuchung nach dem Preisgesetz gestellt. Damit war das Wirtschaftsministerium gezwungen, die Preiskommission umgehend einzuberufen.

Laut § 5 des Preisgesetzes muss der Arbeits- und Wirtschaftsminister nun auf Antrag untersuchen lassen, ob die Preise für die im Antrag genannten Produkte und Produktgruppen bei bestimmten Unternehmen in Österreich stärker gestiegen sind als im internationalen Schnitt. Zweitens muss er untersuchen lassen, ob ungerechtfertigte Preispolitik der Grund für die Teuerungen ist.

Die Experten des Bundesministeriums für Soziales und Konsumentenschutz und der Arbeiterkammer widersprachen der Rechtsmeinung des BMWA, dass Betriebsprüfungen in diesem Stadium nach dem Preisgesetz nicht möglich seien. In den relevanten Gesetzespassagen steht, dass vom Wirtschaftsminister ein Vorprüfungsverfahren auf Antrag durchzuführen ist. Das Verfassungsdienstgutachten zum Handlungsauftrag des Wirtschaftsministers nach dem Preisgesetz stellt fest, dass Betriebsprüfungen sowohl im Vorprüfungsverfahren als auch im Verfahren vor der Preiskommission vorgenommen werden können. Die inhaltlichen wie formellen Voraussetzungen für weitere Schritte sind also gegeben. Möglich sind nach dem Gesetz ausdrücklich Betriebsprüfungen mit Einschau in die Kostenstruktur und in die Kalkulationen. Wenn ein Minister nach dem Bundesministeriengesetz ausdrücklich als Wettbewerbshüter und Preisbehörde zuständig erklärt wird, ist davon auszugehen, dass alle Schritte unternommen werden müssen, um diesem Auftrag nachzukommen.

Der Wirtschaftsminister soll deshalb unverzüglich Betriebsprüfungen einleiten - und zwar sowohl bei großen Handelsunternehmen als auch punktuell bei den restlichen Akteuren der Wertschöpfungskette, um die Ursachen des „Österreich-Aufschlags" zu eruieren und gegenzusteuern. Der Preisantrag der AK ist ausreichend detailliert und das Preisgesetz gibt dem Wirtschaftsminister genügend gesetzlichen Handelsspielraum, um sofort die Ursachen des Österreich-Aufschlags zu eruieren und Maßnahmen einzuleiten. Dass der Wirtschaftsminister seine Möglichkeiten im Interesse der KonsumentInnen nicht ausnutzt, ist einzig und allein seine politische Verantwortung.

Fehlende Wettbewerbspolitik als Ursache des Scheiterns in der Bekämpfung der Teuerung

Einige strukturelle Mängel der österreichischen Wettbewerbspolitik sind vom Wirtschaftsministerium nicht in Angriff genommen worden:

Mangelnde Ressourcen der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) und des Bundeskartellanwalts:

Die größten Defizite des Kartellrechtsvollzugs liegen darin, dass die personellen und finanziellen Ressourcen der Wettbewerbsbehörde und des Bundeskartellanwalts bei weitem nicht ausreichen, um den Markt ausreichend zu beobachten und vermutete Kartellrechtsverstöße ausreichend verfolgen zu können.

Mangelnder Zugang zum Recht für geschädigte KonsumentInnen:
Neben der staatlichen Kontrolle ist es daher entscheidend, dass wirksame Instrumente bestehen, die eingetretene Sch
äden in Folge von Kartellrechtsverstößen kompensieren können. Voraussetzung ist freilich - und daran mangelt es derzeit - dass Geschädigte Zugang zu jenen Informationen haben, die es ihnen erlauben, Rechtswidrigkeit und Kausalität des Schadens zu beweisen. Die Europäische Kommission schlägt dazu verfahrensrechtliche Verbesserungen vor, zu denen sie jüngst alle Stakeholder zur Stellungnahme aufgefordert hat. Das BMWA steht auf der Bremse und sieht kaum Handlungsbedarf.

Die Wettbewerbskommission, ein beratendes Organ des Wirtschaftsministers und der BWB, sieht das hingegen anders: In einem Gutachten der Wettbewerbskommission vom Juli 2008 wird dem BMWA ein denkbar schlechtes Zeugnis ausgestellt. Die Wettbewerbskommission stellt eine hohe Inlandskomponente bei den Preissteigerungen in den Bereichen Lebensmittel, Treibstoffe und Energie fest und erachtet es für dringend notwendig, dass die Bundeswettbewerbsbehörde als Ermittlungs- und Aufgriffsbehörde der Frage, ob die festgestellten Preissteigerungen auf wettbewerbswidrigem Verhalten (Preisabsprachen, Marktmachtmissbrauch) beruhen, durch Einsatz des ihr zur Verfügung stehenden Instrumentariums unmittelbar nachgeht".

Weitere Kritikpunkte des Gutachtens:

Ø      Die Ermittlungsbefugnisse der BWB sollen eine Stärkung in Richtung der Möglichkeiten der Europäischen Kommission und der Behörden anderer Staaten erfahren. Ebenso erfordert die Ressourcenausstattung der BWB besonderes Augenmerk.

Ø      Die Definition der Marktbeherrschung ist zu überdenken.

Aus diesem Gutachten lassen sich Handlungsanleitungen und Bedürfnisse ableiten, die das BMWA ohne Probleme umsetzen hätte können, indem es der Bundeswettbewerbsbehörde mehr Sach- und Personalressourcen zur Verfügung gestellt hätte. Stattdessen geschah lange Zeit überhaupt nichts.

Das vom BMWA im Sommerministerrat vorgelegte und nicht mit anderen Ministerien koordinierte Wettbewerbsbehördenreorganisationsgesetz weist eine Reihe von Mängeln auf:

Ø      Die Ressourcenausstattung der Bundeswettbewerbsbehörde, Kernpunkt effizienter Wettbewerbspolitik, wird im Entwurf nur am Rande ganz allgemein erwähnt, konkrete Zahlen und Planungen fehlen jedoch völlig.

Ø      Das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit will den erstinstanzlichen Vollzug des Kartellrechts der Bundeswettbewerbsbehörde übertragen – diese Maßnahme ist nicht zweckmäßig: Die österreichische Kartellgerichtsbarkeit braucht sich in Hinblick auf Fall- und Erledigungszahlen vor einem Vergleich mit ausländischen Wettbewerbsbehörden in keiner Weise zu scheuen.

Ø      Die Bundeswettbewerbsbehörde hingegen konnte den an sie gestellten Erwartungen bisher nicht entsprechen. Dies wird wohl zum größten Teil auf die völlig unzureichende Personalausstattung zurückzuführen sein. Es ist beispielsweise kein einziger Fall bekannt, in dem die Bundeswettbewerbsbehörde im Sinn der vom BMWA propagierten Raschheit eine einstweilige Verfügung gemäß § 48 Kartellgesetz 2005 beantragt hätte. Dabei wäre hervorzuheben, dass es nach dieser Bestimmung weder der Bescheinigung einer subjektiven noch einer objektiven Gefährdung - wie in der Exekutionsordnung vorgesehen - bedarf und die Bescheinigung der Voraussetzungen für die Abstellung der Zuwiderhandlung ausreicht. Ferner dürfte es der Bundeswettbewerbsbehörde bisher nicht gelungen sein, die Möglichkeit der Hausdurchsuchung in österreichischen Kartellverfahren mit wirklichem Aufklärungserfolg in Anspruch zu nehmen.

Ø      Wünschenswert ist daher eine Aufwertung des Bundeskartellanwalts und eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Bundeswettbewerbsbehörde und Bundeskartellanwalt.

Ø      Die Beibehaltung des Geldbußensystems bei Verstößen gegen das Kartellgesetz wird alleine nicht ausreichen, um eine abschreckende Wirkung auf das Management von Unternehmen auszuüben.

Ø      Das Verfahren bei der Durchsetzung von Ermittlungsbefugnissen, insbesondere bei der Hausdurchsuchung, ist nach wie vor zu schwerfällig.

Ø      Der Gedanke des „private enforcement" kommt in dem Entwurf zu kurz, es ist lediglich eine Anzeigebefugnis betroffener Unternehmer und der Kammern vorgesehen. Konsumenten haben hingegen keine Möglichkeit, unmittelbar gegen Verstöße vorzugehen.


Die unterzeichneten Abgeordneten richten daher an den Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit folgende

Anfrage:

1.                     Österreich ist bei Lebensmitteln heute deutlich teurer als Deutschland: Für die exakt gleichen Produkte zahlt man in Österreichs Supermärkten um 21 % mehr als in Deutschland. Wie erklären Sie diesen Österreich-Aufschlag bei den Lebensmittelpreisen?

2.                     Warum ist es Ihnen nicht gelungen, die Teuerung in Österreich wirkungsvoll zu bekämpfen?

3.                     Warum haben Sie die Möglichkeiten des Preisgesetzes nicht ausgeschöpft, um die Teuerung in den Griff zu bekommen?

4.                     Warum haben Sie trotz der sichtbar gewordenen Defizite des Preisgesetzes keine Verschärfung der Bestimmungen initiiert?

5.                     Gemäß § 5 des Preisgesetzes müssen Sie wegen des Preisantrags der AK jetzt untersuchen lassen, ob die Preise für die im Antrag genannten Produkte und Produktgruppen bei bestimmten Unternehmen in Österreich stärker gestiegen sind als im internationalen Schnitt. Warum sind Sie vor dem Preisantrag der AK trotz der steigenden Preise nicht mit Analysen und Maßnahmen tätig geworden?

6.                     Seit dem Preisantrag der AK haben Sie alle Mittel in der Hand, um die Preissteigerungen zu stoppen. Warum verschleppen Sie jetzt das Verfahren?

7.          Die Wettbewerbskommission stellt in ihrem Gutachten vom Juli 2008 eine hohe Inlandskomponente bei den Preissteigerungen in den Bereichen Lebensmittel, Treibstoffe und Energie fest und erachtet es für dringend notwendig, dass die Bundeswettbewerbsbehörde als Ermittlungs- und Aufgriffsbehörde der Frage, ob die festgestellten Preissteigerungen auf wettbewerbswidrigem Verhalten (Preisabsprachen, Marktmachtmissbrauch) beruhen, durch Einsatz des ihr zur Verfügung stehenden Instrumentariums unmittelbar nachgeht". Warum sind Sie nicht an die Bundeswettbewerbsbehörde herangetreten, um diese Frage untersuchen zu lassen?

8.          Warum haben Sie im Hinblick auf den unzureichenden Personal- und Ressourcenstand der Bundeswettbewerbsbehörde bisher nicht gehandelt?

9.          Um zu klären, wo die hausgemachten Gründe für die Teuerung liegen, muss die Bundeswettbewerbsbehörde Einsicht in die Geschäftsunterlagen der Unternehmen nehmen. Wann werden Sie endlich Betriebsprüfungen im Lebensmittelhandel einleiten?

In formeller Hinsicht wird verlangt, diese Anfrage im Sinne des § 93 Abs. 1 GOG dringlich zu behandeln.