Begutachtungsentwurf

Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern gemäß Art. 15a B-VG über eine bundesweite Bedarfsorientierte Mindestsicherung

Der Bund, vertreten durch die Bundesregierung, und die Länder Burgenland, Kärnten, Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg, Steiermark, Tirol, Vorarlberg und Wien, jeweils vertreten durch den Landeshauptmann/die Landeshauptfrau - im Folgenden Vertragsparteien genannt - kommen überein, gemäß Art. 15a B-VG die nachstehende Vereinbarung zu schließen:

1. Abschnitt

Allgemeines

Artikel 1

Ziele

Die Vertragsparteien kommen überein, auf der Grundlage der bundesstaatlichen Struktur Österreichs eine bundesweite Bedarfsorientierte Mindestsicherung zur verstärkten Bekämpfung und Vermeidung von Armut und sozialer Ausschließung zu schaffen. Die Bedarfsorientierte Mindestsicherung soll eine dauerhafte (Wieder-)Eingliederung ihrer BezieherInnen in das Erwerbsleben weitest möglich fördern.

Artikel 2

Grundsätze

(1) Die Bedarfsorientierte Mindestsicherung ist durch pauschalierte Geldleistungen zur Sicherung des Bedarfs für den Lebensunterhalt und die Unterkunft, jeweils außerhalb von stationären Einrichtungen, sowie durch die bei Krankheit, Schwangerschaft und Entbindung erforderlichen Leistungen zu gewährleisten. Dies hat im Rahmen von Rechtsansprüchen zu erfolgen, soweit in dieser Vereinbarung nicht Anderes bestimmt ist.

(2) Die Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung sind subsidiär. Soweit in dieser Vereinbarung nicht Anderes bestimmt ist, sollen die Leistungen daher wie bisher vom Fehlen einer ausreichenden Deckung des jeweiligen Bedarfes durch Leistungen Dritter oder durch eigene Mittel sowie von der Bereitschaft zum Einsatz der eigenen Arbeitskraft abhängig gemacht werden.

(3) Bei der Erbringung von Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung ist auch die jeweils erforderliche Beratung und Betreuung zur Vermeidung und Überwindung von sozialen Notlagen sowie zur nachhaltigen sozialen Stabilisierung zu gewährleisten. Bei arbeitsfähigen Personen gehören dazu auch Maßnahmen, die zu einer weitest möglichen und dauerhaften (Wieder-)Eingliederung in das Erwerbsleben erforderlich sind.

(4) Bei den Verpflichtungen aus dieser Vereinbarung handelt es sich um bundesweit zu gewährleistende Mindeststandards. Die Erbringung weitergehender Leistungen oder die Einräumung günstigerer Bedingungen bleibt jeder Vertragspartei unbenommen. Das derzeit bestehende haushaltsbezogene Leistungsniveau darf durch die in Umsetzung dieser Vereinbarung erlassenen Regelungen nicht verschlechtert werden.

Artikel 3

Erfasste Bedarfsbereiche

(1) Der Lebensunterhalt umfasst den regelmäßig wiederkehrenden Aufwand für Nahrung, Bekleidung, Körperpflege, Hausrat, Heizung und Strom sowie andere persönliche Bedürfnisse wie die angemessene soziale und kulturelle Teilhabe.

(2) Der Unterkunftsbedarf umfasst den für die Gewährleistung einer angemessenen Wohnsituation erforderlichen regelmäßig wiederkehrenden Aufwand für Miete, allgemeine Betriebskosten und Abgaben.

(3) Der Schutz bei Krankheit, Schwangerschaft und Entbindung umfasst alle Sachleistungen und Vergünstigungen, die BezieherInnen einer Ausgleichszulage aus der Pensionsversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung zukommen.

Artikel 4

Personenkreis

(1) Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung sind vorbehaltlich des Abs. 3 für alle Personen für die Dauer ihres gewöhnlichen Aufenthaltes im Inland vorzusehen, die nicht in der Lage sind, die in Art. 3 genannten Bedarfsbereiche zu decken.

(2) Personen nach Abs. 1 dürfen Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung auch im Namen der mit ihnen im gemeinsamen Haushalt lebenden, ihnen gegenüber unterhaltsberechtigten oder mit ihnen in Lebensgemeinschaft lebenden Personen geltend machen. Dadurch darf das eigenständige Antragsrecht und die Parteistellung für erwachsene Personen nicht eingeschränkt werden, es sei denn, die Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung werden nur als Annex zu einer sozialversicherungs- oder versorgungsrechtlichen Leistung erbracht, die einer anderen Person gebührt.

(3) Rechtsansprüche auf Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung sind für alle Personen vorzusehen, die zu einem dauernden Aufenthalt im Inland berechtigt sind. Dazu gehören jedenfalls

           1. österreichische Staatsangehörige;

           2. Asylberechtigte;

           3. EU-/EWR-BürgerInnen, Schweizer Staatsangehörige und deren Familienangehörige, jeweils soweit sie durch den Bezug dieser Leistungen nicht ihr Aufenthaltsrecht verlieren würden;

           4. Personen mit einem Aufenthaltstitel Daueraufenthalt (EG) oder Daueraufenthalt Familienangehörige;

           5. Personen mit einem Niederlassungsnachweis oder einer unbefristeten Niederlassungsbewilligung.

(4) Kein dauernder Aufenthalt im Sinne des Abs.  3 liegt insbesondere bei EU-/EWR-BürgerInnen und Schweizer Staatsangehörigen, jeweils in den ersten drei Monaten ihres Aufenthaltes, AsylwerberInnen sowie bei Personen vor, die auf Grund eines Reisevisums oder ohne Sichtvermerk einreisen durften (TouristInnen). Die Verpflichtungen aus der Grundversorgungsvereinbarung – Art. 15a B-VG (BGBl. I Nr. 80/2004) bleiben unberührt.

2. Abschnitt

Verpflichtungen des Bundes

Artikel 5

Ausgleichszulage und vergleichbare Leistungen

(1) Der Bund gewährleistet allen BezieherInnen einer Pension aus der gesetzlichen Pensionsversicherung eine Bedarfsorientierte Mindestsicherung in Form der Ausgleichszulage nach §§ 292 ff. ASVG unter Berücksichtigung des Art. 10 Abs. 2 und 3 Z 1 lit. a dieser Vereinbarung; die Ausgleichszulagenrichtsätze sind nach den Vorgaben des Pensionsrechts jährlich zu erhöhen. Dies gilt sinngemäß auch für alle anderen bundesrechtlichen Mindeststandards, deren Festlegung sich derzeit an der Ausgleichszulage orientiert.

(2) Die zum Ausgleichszulagenrichtsatz gebührende Erhöhung für Kinder (§ 293 Abs. 1 letzter Satz ASVG) wird an den nach Art. 10 Abs. 3 Z 2 lit. a von den Ländern zu gewährleistenden Mindeststandard abzüglich des Kinderzuschusses (§ 262 ASVG) angepasst.

Artikel 6

Arbeitslosenversicherung

Der Bund verstärkt die mindestsichernden Elemente in der Arbeitslosenversicherung durch:

           1. Erhöhung des Ausmaßes der Notstandshilfe für Personen, bei denen der tägliche Grundbetrag des vorherigen Arbeitslosengeldes 1/30 des Ausgleichszulagenrichtsatzes für Alleinstehende nicht übersteigt, durch entsprechende Abbildung der Nettoersatzrate des Arbeitslosengeldes von bis zu 60% (bei Anspruch auf Familienzuschläge: von bis zu 80%) des vorherigen Einkommens;

           2. Sicherstellung, dass auf Grund der Anrechnung von Einkommen des Ehepartners (des Lebensgefährten bzw. der Lebensgefährtin) auf den Anspruch auf Notstandshilfe kein geringerer Betrag gebührt als er nach Art. 5 dieser Vereinbarung für AusgleichszulagenbezieherInnen mit EhegattInnen und allfälligen Kindern vorgesehen ist.

Artikel 7

One-Stop-Shop

(1) Der Bund gewährleistet allen arbeitsfähigen Arbeitsuchenden einen gleichen Zugang zu den Dienstleistungen des Arbeitsmarktservice (§ 32 AMSG) und wird in seiner Arbeitsmarktpolitik in den allgemeinen Zielvorgaben (§ 59 AMSG) einen besonderen Schwerpunkt auf Maßnahmen zur Wiedereingliederung arbeitsfähiger BezieherInnen von Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung in das Erwerbsleben setzen.

(2) Der Bund gewährleistet weiters, dass das Arbeitsmarktservice

           1. allen Personen, die Leistungen des Arbeitsmarktservice in Anspruch nehmen, die erforderliche Information über die Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung anbietet,

           2. Anträge auf Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung einschließlich der für die Prüfung der Leistungsberechtigung notwendigen Unterlagen entgegennimmt,

           3. diese Anträge auf ihre Vollständigkeit überprüft und unverzüglich an die im jeweiligen Land zuständige Stelle zur Prüfung der Voraussetzungen nach dem 3. Abschnitt dieser Vereinbarung weiterleitet.

Artikel 8

Krankenversicherung

(1) Personen, die nicht als Pflichtversicherte von der gesetzlichen Krankenversicherung erfasst sind, sowie die ihnen nach Art. 4 Abs. 2 zugehörigen Personen werden für die Dauer des Bezuges von Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung nach Art. 10 oder 11 Abs. 1 in die gesetzliche Krankenversicherung einbezogen. Für sie gelten dann die gleichen Begünstigungen wie für AusgleichszulagenbezieherInnen.

(2) Der für Personen nach Abs. 1 von den Ländern zu entrichtende Krankenversicherungsbeitrag orientiert sich an der Höhe, wie sie von und für AusgleichszulagenbezieherInnen im ASVG zu entrichten ist.

(3) Können die von den Ländern zu entrichtenden Krankenversicherungsbeiträge den tatsächlichen Leistungsaufwand der Träger der Krankenversicherung nicht decken, so übernimmt der Bund die Differenz.

3. Abschnitt

Verpflichtungen der Länder

Artikel 9

Zuständigkeit der Länder

(1) Für alle Personen, bei denen Bedarfe nach Art. 3 durch Leistungen nach dem 2. Abschnitt dieser Vereinbarung nicht gedeckt sind, gewährleisten die Länder die erforderlichen Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Abschnittes.

(2) Die Verpflichtung nach Abs. 1 trifft jenes Land, in dem die Person, die Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung geltend macht, ihren Hauptwohnsitz oder in Ermangelung eines solchen ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Die Vereinbarung nach Art. 15a B-VG zwischen den Ländern über den Kostenersatz in der Sozialhilfe bleibt unberührt.

Artikel 10

Mindeststandards

(1) Die Länder gewährleisten nach Maßgabe des Art. 4 dieser Vereinbarung monatliche Geldleistungen zur Deckung des Lebensunterhaltes (Art. 3 Abs. 1) und des angemessenen Unterkunftsbedarfes (Art. 3 Abs. 2) als Mindeststandards.

(2) Ausgangswert ist der für alleinstehende AusgleichszulagenbezieherInnen monatlich vorgesehene Betrag abzüglich des davon einzubehaltenden Beitrages zur Krankenversicherung. Dieser Mindeststandard gilt für Alleinstehende und AlleinerzieherInnen.

(3) Die Mindeststandards für andere Personen betragen folgende Prozentsätze des Ausgangswertes nach Abs. 2:

           1. für erwachsene Personen, die mit anderen Erwachsenen im gemeinsamen Haushalt leben:

                a) pro Person............................................................................................................ ............................... 75%;

               b) der dritten leistungsberechtigten erwachsenen Person, wenn diese einer anderen Person im gemeinsamen Haushalt gegenüber unterhaltsberechtigt ist.................................................................. ............................... 50%;

           2. für minderjährige Personen, für die ein Anspruch auf Familienbeihilfe besteht und die mit zumindest einem Erwachsenen im gemeinsamen Haushalt leben:

                a) für das älteste, zweit- und drittälteste dieser Kinder..................................................................... 18%,

               b) ab dem viertältesten Kind.................................................................................................................. 15%.

(4) Die Mindeststandards nach Abs. 2 und 3 sind 14 Mal pro Jahr in vollem Umfang zu gewähren. Dies kann entweder durch die Erhöhung der monatlichen Mindeststandards um ein Sechstel oder durch gesonderte Zahlungen erfolgen. Die Festlegung auf einen Auszahlungsmodus kann generell oder für eine bestimmte Personengruppe vorgenommen werden.

(5) Die Mindeststandards nach Abs. 2 bis 4 werden zu Beginn eines jeden Kalenderjahres in gleichem Ausmaß erhöht wie die Ausgleichszulagenrichtsätze.

(6) Geldleistungen nach Abs. 2 bis 4 können ausnahmsweise bescheidmäßig durch Sachleistungen ersetzt werden, wenn dadurch eine den Zielen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung dienende Deckung des Lebensunterhaltes besser erreicht werden kann.

Artikel 11

Unterkunft

(1) Die Länder sollen zusätzliche Leistungen zumindest auf Grundlage des Privatrechts gewährleisten, wenn mit den Mindeststandards nach Art. 10 der angemessene Unterkunftsbedarf nicht vollständig gedeckt werden kann. Dies ist anzunehmen, wenn die angemessenen Wohnkosten das Ausmaß von 25% der jeweiligen Mindeststandards nach Art. 10 Abs. 2 und Abs. 3 sowie allfällige dazugehörige Sonderzahlungen nach Art. 10 Abs. 4 übersteigen.

(2) Leistungen zur Deckung des Unterkunftsbedarfs können an Dritte ausbezahlt werden, wenn dadurch eine drohende Delogierung verhindert werden oder sonst eine den Zielen der bedarfsorientierten Mindestsicherung dienende Deckung des Unterkunftsbedarfes besser erreicht werden kann.

Artikel 12

Zusatzleistungen

Für Sonderbedarfe, die durch die pauschalierten Leistungen nach Art. 10 und 11 nicht gedeckt sind, können die Länder zusätzliche Geld- oder Sachleistungen zumindest auf Grundlage des Privatrechts vorsehen.

Artikel 13

Berücksichtigung von Leistungen Dritter und eigenen Mitteln

(1) Bei der Bemessung von Leistungen nach den Art. 10 bis 12 sollen die zur Deckung der eigenen Bedarfe (bzw. jener der nach Art. 4 Abs. 2 zugehörigen Personen) zur Verfügung stehenden Leistungen Dritter, Einkünfte und verwertbares Vermögen berücksichtigt werden. Zu den Leistungen Dritter zählt auch jener Teil des Einkommens des unterhaltspflichtigen Angehörigen bzw. des Lebensgefährten/ der Lebensgefährtin, der den für diese Person nach Art. 10 Abs. 3 Z 1 lit. a vorgesehenen Mindeststandard übersteigt.

(2) Leistungen nach den Art. 10 bis 12 sollen davon abhängig gemacht werden, dass die diese Leistungen geltend machende Person bedarfsdeckende Ansprüche gegen Dritte verfolgt, soweit dies nicht offenbar aussichtslos oder unzumutbar ist. Eine unmittelbar erforderliche Bedarfsdeckung ist in jedem Fall zu gewährleisten. Die Ansprüche können auch zu deren Rechtsverfolgung an den zuständigen Träger übertragen werden.

(3) Folgende Einkünfte dürfen im Rahmen des Abs. 1 nicht berücksichtigt werden:

           1. Freiwillige Zuwendungen der freien Wohlfahrtspflege oder Leistungen, die von Dritten ohne rechtliche Verpflichtung erbracht werden, außer diese erreichen jeweils ein Ausmaß oder eine Dauer, dass keine Leistungen nach den Art. 10 bis 12 mehr erforderlich wären;

           2. Leistungen nach dem Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (mit Ausnahme von Zuwendungen aus dem Familienhospizkarenz-Härteausgleich), Kinderabsetzbeträge (§ 33 Abs. 4 Z 3 lit. a EStG 1988);

           3. Pflegegeld nach bundes- oder landesrechtlichen Vorschriften oder andere pflegebezogene Geldleistungen.

(4) Die Verwertung von Vermögen darf nicht verlangt werden, wenn dadurch eine Notlage erst ausgelöst, verlängert oder deren Überwindung gefährdet werden könnte. Dies ist insbesondere anzunehmen bei:

           1. Gegenständen, die zur Erwerbsausübung oder Befriedigung angemessener geistig-kultureller Bedürfnisse erforderlich sind;

           2. Gegenständen, die als angemessener Hausrat anzusehen sind;

           3. Kraftfahrzeugen, die berufsbedingt oder auf Grund besonderer Umstände (insbesondere Behinderung, unzureichende Infrastruktur) erforderlich sind;

           4. Ersparnissen bis zu einem Freibetrag in Höhe des Fünffachen des Ausgangswertes nach Art. 10 Abs. 2.

           5. sonstigen Vermögenswerten ausgenommen Immobilien, soweit sie den Freibetrag nach Z 4 nicht übersteigen und solange Leistungen nach Art. 10 bis 12 nicht länger als sechs unmittelbar aufeinander folgende Monate bezogen werden, wobei für die Sechsmonats-Frist auch frühere ununterbrochene Bezugszeiten von jeweils mindestens zwei Monaten zu berücksichtigen sind, wenn sie nicht länger als zwei Jahre vor dem neuerlichen Bezugsbeginn liegen.

(5) Von der Verwertung von unbeweglichem Vermögen ist vorerst abzusehen, wenn dieses der Deckung des unmittelbaren Wohnbedarfes der Person, die Leistungen nach den Art. 10 bis 12 geltend macht, und der ihr nach Art. 4 Abs. 2 zugehörigen Personen dient. Werden Leistungen länger als sechs unmittelbar aufeinander folgende Monate bezogen, kann eine grundbücherliche Sicherstellung der Ersatzforderung vorgenommen werden, wobei für die Sechsmonats-Frist auch frühere ununterbrochene Bezugszeiten von jeweils mindestens zwei Monaten zu berücksichtigen sind, wenn sie nicht länger als zwei Jahre vor dem neuerlichen Bezugsbeginn liegen.

Artikel 14

Einsatz der Arbeitskraft

(1) Leistungen nach den Art. 10 bis 12 sollen bei arbeitsfähigen Personen, auch wenn es sich um nach Art. 4 Abs. 2 zugehörige Personen handelt, von der Bereitschaft zum Einsatz ihrer Arbeitskraft abhängig gemacht werden.

(2) Dabei ist auf die persönliche und familiäre Situation der Hilfe suchenden Person Rücksicht zu nehmen und hinsichtlich der Arbeitsfähigkeit sowie der Zumutbarkeit einer Beschäftigung grundsätzlich von denselben Kriterien wie bei der Notstandshilfe in der Arbeitslosenversicherung auszugehen.

(3)  Der Einsatz der Arbeitskraft darf nicht verlangt werden von Personen, die

           1. das Regelpensionsalter nach dem ASVG erreicht haben;

           2. Betreuungspflichten gegenüber Kindern haben, welche das dritte Lebensjahr noch nicht vollendet haben, und keiner Beschäftigung nachgehen können, weil für dieses Kind keine geeignete Betreuungsmöglichkeit besteht;

           3. pflegebedürftige Angehörige (§ 123 ASVG), welche ein Pflegegeld mindestens der Stufe 3 beziehen, überwiegend betreuen;

           4. Sterbebegleitung oder Begleitung von schwersterkrankten Kindern (§§ 14a, 14b AVRAG) leisten;

           5. in einer bereits vor Vollendung des 18. Lebensjahres begonnenen und zielstrebig verfolgten Erwerbs- oder Schulausbildung stehen.

(4) Leistungen nach den Art. 10 bis 12 können gekürzt werden, wenn trotz schriftlicher Ermahnung keine Bereitschaft zu einem zumutbaren Einsatz der Arbeitskraft besteht. Dies darf grundsätzlich nur stufenweise und maximal um bis zu 50% erfolgen, eine weitergehende Kürzung oder ein völliger Entfall ist nur ausnahmsweise und in besonderen Fällen zulässig. Die Deckung des Bedarfes der dem/der Arbeitsunwilligen nach Art. 4 Abs. 2 zugehörigen Personen darf dadurch nicht beeinträchtigt werden.

(5) Für Personen, die während des Bezuges von Leistungen nach den Art. 10 bis 12 bzw. nach einer längeren Erwerbslosigkeit oder erstmalig eine Erwerbstätigkeit aufnehmen, ist aus dem daraus erzielten Einkommen ein angemessener Freibetrag einzuräumen. Ein solcher Freibetrag ist jedenfalls nach sechsmonatigem Bezug von Leistungen nach den Art. 10 bis 12 im Ausmaß von 15% des monatlichen Nettoeinkommens vorzusehen und mindestens für die ersten 18 Monate der Erwerbstätigkeit zu gewährleisten. Der Freibetrag beträgt mindestens 7% bzw. maximal 17% des Ausgangswertes nach Art. 10 Abs. 2.

Artikel 15

Ersatz

(1) Für Leistungen nach den Art. 10 bis 12 darf von den jeweiligen BezieherInnen nur Ersatz verlangt werden, wenn sie später zu einem nicht aus eigener Erwerbstätigkeit erwirtschafteten, im Sinne des Art. 13 Abs. 4 verwertbaren Vermögen gelangt sind, oder wenn ein solches Vermögen nach Art. 13 Abs. 5 sichergestellt wurde. Insoweit kann auch von den Erben dieser Person Ersatz verlangt werden. Rückerstattungspflichten insbesondere wegen Erschleichung, bewusster Verheimlichung von Einkommen oder Vermögen oder Verletzung von Anzeigepflichten bleiben unberührt.

(2) Für Leistungen nach den Art. 10 bis 12 darf von Dritten Ersatz verlangt werden, wenn der/die jeweilige LeistungsbezieherIn für den gleichen Zeitraum dem Dritten gegenüber Ansprüche hatte, die einer zumindest teilweisen Deckung der Bedarfe nach Art. 3 Abs. 1 und 2 gedient hätten.

(3) Ein Ersatz für Leistungen nach Abs. 2 darf nicht verlangt werden von:

           1. Kindern, Enkelkindern oder Großeltern von (früheren) BezieherInnen von Leistungen;

           2. Eltern von Personen, welche nach Erreichen der Volljährigkeit Leistungen bezogen haben;

           3. Personen, denen (frühere) BezieherInnen von Leistungen ein Vermögen ohne adäquate Gegenleistung übertragen haben.

(4) Nicht grundbücherlich sichergestellte Ersatzpflichten nach Abs. 1 oder 2 verjähren spätestens nach drei Jahren ab dem Ende des Jahres, in dem die betreffenden Leistungen erbracht wurden.

Artikel 16

Zugang zu den Leistungen und Verfahren

(1) Die Länder gewährleisten einen den Zielsetzungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung und den Bedürfnissen ihrer AdressatInnen entsprechenden Zugang zu den Leistungen nach den Art. 10 bis 12, insbesondere durch ein Verfahrensrecht, das rasche Entscheidungen mit hoher Rechtssicherheit und effektivem Rechtsschutz ermöglicht.

(2) Vorkehrungen nach Abs. 1 betreffen insbesondere:

           1. die Schaffung eigener verfahrensrechtlicher Regelungen in den in Umsetzung dieser Vereinbarung zu erlassenden Gesetzen mit den einer Bedarfsorientierten Mindestsicherung adäquaten Abweichungen vom AVG;

           2. die Erleichterung des Zugangs zu den Leistungen, insbesondere durch

                a) Zulassung der Antragseinbringung bei allen Stellen, die dafür geeignet erscheinen,

               b) großzügige Definition des zur Antragstellung berechtigten bzw. zur Vertretung befugten Personenkreises,

                c)            ausdrückliche Verankerung von Informations- und Anleitungspflichten;

           3. die Beschleunigung des Verfahrens, insbesondere durch

                a) ausdrückliche Verankerung von Mitwirkungspflichten und der bei Nichteinhaltung möglichen Sanktionen,

               b) Verkürzung der Entscheidungspflicht (§ 73 Abs. 1 AVG) zumindest in der ersten Instanz auf höchstens drei Monate und

                c) Maßnahmen zur Gewährleistung einer effektiven Soforthilfe;

           4. die Verbesserung der Rechtssicherheit und des Rechtsschutzes, insbesondere durch

                a) verpflichtende Schriftform der Erledigungen, wobei diese in der ersten Instanz zumindest dann mit Bescheid zu erfolgen haben, wenn geringere Leistungen als die Mindeststandards nach Art. 10 zugesprochen bzw. Leistungen eingestellt oder gekürzt werden sollen, wenn einem Antrag nicht voll entsprochen werden soll oder wenn die Partei (die zu ihrer Vertretung befugte Person) einen Bescheid verlangt; Entscheidungen der Berufungsinstanz müssen immer mit schriftlichem Bescheid erfolgen;

               b) ausdrückliche Regelungen über die Einstellung oder Neubemessung der Leistungen,

                c) Ausschluss der Möglichkeit eines Berufungsverzichtes sowie der aufschiebenden Wirkung von Berufungen in Leistungsangelegenheiten.

(3) Die Länder treffen in wirtschaftlich vertretbarem Ausmaß Vorsorge für dezentrale, niederschwellige und bedarfsgerechte Beratungs- und Betreuungsangebote zur möglichst ganzheitlichen Erfassung der Problemlagen der Menschen, die Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung in Anspruch nehmen.

4. Abschnitt

Gemeinsame Bestimmungen

Artikel 17

Arbeitsfähigkeit

(1) Die Vertragsparteien treffen alle erforderlichen Vorkehrungen für eine einheitliche Feststellung und Beurteilung der Arbeitsfähigkeit (§ 8 AlVG) von Personen, die Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung geltend machen.

(2) Zu den Vorkehrungen nach Abs. 1 gehören insbesondere Verwaltungsübereinkommen zwischen den Ländern und den jeweiligen Landesorganisationen des Arbeitsmarktservice über die gegenseitige Anerkennung von Clearinggutachten in strittigen Fällen. Diese Gutachten sind den Entscheidungen über Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung für die betreffenden Personen zu Grunde zu legen. In diese Gutachten sollen neben einer arbeitsmedizinischen Abklärung insbesondere auch eine ganzheitliche Beurteilung des Status der betreffenden Person durch Perspektivenabklärung, Erhebung einer Kompetenzbilanz sowie eine Sozialanamnese einfließen.

(3) In Umsetzung des Art. 2 Abs. 3 und insbesondere zur besseren Abstimmung der Maßnahmen nach Art. 7 Abs. 1 und Art. 16 Abs. 3 sollen die Landesorganisationen des Arbeitsmarktservice und das jeweilige Land Übereinkommen über gemeinsame Maßnahmen und Projekte treffen, um die Arbeitsfähigkeit und Vermittelbarkeit von arbeitsuchenden BezieherInnen einer Leistung der bedarfsorientierten Mindestsicherung zu steigern.

Artikel 18

Datenverwendung und Statistik

(1) Die Vertragsparteien kommen überein, in ihre jeweiligen Gesetze die Verpflichtung aufzunehmen, dass die Sozialversicherungsträger, der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger, die Geschäftsstellen des Arbeitsmarktservice, die Finanzbehörden sowie die Bezirksverwaltungsbehörden und Landesregierungen einander die zur Feststellung der Voraussetzungen und der Höhe einer Leistung der Bedarfsorientierten Mindestsicherung sowie für Kostenerstattungs- und Rückersatzverfahren erforderlichen Daten unter Einhaltung der Anforderungen des Datenschutzgesetzes 2000 elektronisch zur Verfügung zu stellen haben. Der Bund verpflichtet sich weiters, den Ländern zur Feststellung von Ansprüchen und zur Überprüfung der Angaben der Anspruchswerber und Anspruchsberechtigten eine Möglichkeit zu Verknüpfungsabfragen im Zentralen Melderegister nach dem Kriterium Wohnsitz zu eröffnen.

(2) Die Vertragsparteien verpflichten sich, in ihre jeweiligen Gesetze eine Ermächtigung im Sinne des § 7 Datenschutzgesetz 2000 aufzunehmen.

(3) Die Länder verpflichten sich, dem Bund alle statistischen Daten über die BezieherInnen von landesrechtlichen Leistungen zur Bedarfsorientierten Mindestsicherung zur Verfügung zu stellen, wie sie in der Anlage und in dem dort vorgesehenen Zeitplan festgelegt sind.

(4) Der Bund verpflichtet sich, auf Grundlage der von den Ländern nach Abs. 3, den Trägern der gesetzlichen Kranken- bzw. Pensionsversicherung und dem Arbeitsmarktservice zu übermittelnden Daten eine jährliche Gesamtstatistik für Maßnahmen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung zu erstellen.

Artikel 19

Arbeitskreis für Bedarfsorientierte Mindestsicherung

(1) Die Vertragsparteien kommen überein, einen ständigen Arbeitskreis für Bedarfsorientierte Mindestsicherung einzurichten.

(2) Aufgabe des Arbeitskreises für Bedarfsorientierte Mindestsicherung ist es, insbesondere

           1. Empfehlungen über gemeinsame Ziele und Grundsätze für die Bedarfsorientierte Mindestsicherung abzugeben,

           2. Vorschläge für die Weiterentwicklung der Leistungen und Maßnahmen zur Bedarfsorientierten Mindestsicherung zu erstatten,

           3. zumindest jedes zweite Jahr einen gemeinsamen Bericht über die Situation der bundesweiten Bedarfsorientierten Mindestsicherung zu erstellen,

           4. sonstige Empfehlungen auszuarbeiten und Erfahrungen auszutauschen, die von bundesweiter Bedeutung sind oder die eine gemeinsame Vorgangsweise erforderlich erscheinen lassen.

(3) Dem Arbeitskreis für Bedarfsorientierte Mindestsicherung gehören an:

           1. ein/e VertreterIn des Bundesministeriums für Soziales und Konsumentenschutz als Vorsitzende/r,

           2. vier weitere VertreterInnen des Bundes, die vom Bundesminister für Soziales und Konsumentenschutz im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit zu bestellen sind,

           3. ein/e VertreterIn jedes Landes,

           4. je ein/e VertreterIn des Österreichischen Städtebundes und des Österreichischen Gemeindebundes,

           5. ein/e VertreterIn des Arbeitsmarktservice Österreich,

           6. ein/e VertreterIn des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger,

           7. vier von der Österreichischen Armutskonferenz nominierten VertreterInnen,

           8. zwei vom Bundesminister für Soziales und Konsumentenschutz zu bestellende einschlägig ausgewiesene ExpertInnen – nach Möglichkeit mit akademischer Lehrbefugnis – aus dem Bereich der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften bzw. der Rechtswissenschaften,

           9. ein/e VertreterIn der Bundesanstalt Statistik Austria.

(4) Der Arbeitskreis für Bedarfsorientierte Mindestsicherung wird zumindest einmal jährlich jeweils alternierend vom Bundesministerium für Soziales und Konsumentenschutz und den Ländern einberufen. Die Kosten werden von den entsendenden Stellen getragen.

(5) Die Geschäfte des Arbeitskreises für Bedarfsorientierte Mindestsicherung führt das Bundesministerium für Soziales und Konsumentenschutz.

(6) Der Arbeitskreis für Bedarfsorientierte Mindestsicherung kann zu den Sitzungen Sachverständige und Auskunftspersonen, insbesondere aus dem Bereich der Wissenschaft und Forschung beiziehen.

5. Abschnitt

Finanzierung

Artikel 20

Aufteilung zwischen Bund und Ländern

(1) Jede Vertragspartei trägt den Aufwand für die in ihren jeweiligen Aufgabenbereich fallenden Leistungen selbst, soweit in dieser Vereinbarung oder finanzausgleichsrechtlich nicht Anderes bestimmt ist.

(2) Die Beiträge für die nach Art. 8 dieser Vereinbarung in die gesetzliche Krankenversicherung einbezogenen Personen werden vom jeweils zuständigen Land (Art. 9 Abs. 2) bzw. dem dort zuständigen Träger der Bedarfsorientierten Mindestsicherung getragen und an die jeweils zuständige Gebietskrankenkasse entrichtet.

Artikel 21

Begrenzung der Kosten für die Länder

Die Nettozusatzkosten der Länder (einschließlich der nach den jeweiligen landesrechtlichen Vorschriften davon auf die Gemeinden entfallenden Anteile) werden für die Jahre 2009 und 2010 mit jeweils 50 Millionen € gedeckelt.

6. Abschnitt

Schlussbestimmungen

Artikel 22

Inkrafttreten, Umsetzung, Geltungsdauer

(1) Diese Vereinbarung tritt mit dem auf

           1. das Einlangen der Mitteilung aller Vertragsparteien beim Bundeskanzleramt, dass die nach den Landesverfassungen erforderlichen Voraussetzungen für das Inkrafttreten erfüllt sind, und

           2. die Erfüllung der nach der Bundesverfassung erforderlichen Voraussetzungen für das Inkrafttreten

folgenden Monatsersten in Kraft.

(2) Das Bundeskanzleramt hat die Vertragsparteien über die Mitteilungen nach Abs. 1 unverzüglich in Kenntnis zu setzen.

(3) Die Vertragsparteien verpflichten sich, die zur Umsetzung dieser Vereinbarung erforderlichen Regelungen spätestens am 1. Juli 2009 in Geltung zu setzen.

(4) Diese Vereinbarung gilt vorläufig bis 31. Dezember 2010. Im Jahr 2010 ist eine gemeinsame Evaluierung der Umsetzung dieser Vereinbarung und der daraus im Jahr 2009 entstandenen Aufwendungen durch die Vertragsparteien vorzunehmen. Überschreiten die Nettozusatzkosten der Länder nicht die Begrenzung nach Art. 21, verlängert sich die Vereinbarung automatisch bis zum 31. Dezember 2011. Dies gilt sinngemäß auch für die Aufwendungen in den Jahren 2011 und 2012, so dass sich diese Vereinbarung gegebenenfalls automatisch bis 31. Dezember 2012 bzw. 31. Dezember 2013 verlängert.

(5) Ergibt die Evaluierung nach Abs. 4, dass die Nettozusatzkosten der Länder nach Art. 21 überschritten werden, sind zwischen Bund, Ländern und Gemeinden über die künftige Kostentragung erneut Verhandlungen zu führen. Gleiches gilt, wenn die jährlichen Nettozusatzkosten in einem einzelnen Land mehr als 30 Millionen € betragen.

(6) Die Vertragsparteien werden rechtzeitig vor einem Auslaufen der Vereinbarung nach Abs. 4 Verhandlungen über die zukünftige Gestaltung der bundesweiten Bedarfsorientierten Mindestsicherung aufnehmen.

Artikel 23

Abänderung

Eine Abänderung dieser Vereinbarung ist nur schriftlich im Einvernehmen aller Vertragsparteien möglich.

Artikel 24

Hinterlegung

Diese Vereinbarung wird in einer Urschrift ausgefertigt. Die Urschrift wird beim Bundeskanzleramt hinterlegt. Dieses hat allen Vertragsparteien, der Verbindungsstelle der Bundesländer sowie dem Österreichischen Gemeindebund und dem Österreichischen Städtebund beglaubigte Abschriften der Vereinbarung zu übermitteln.