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Stenographisches Protokoll

 

 

 

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38. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich

XXIII. Gesetzgebungsperiode

 

Donnerstag, 8. November 2007

 

 


Stenographisches Protokoll

38. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich

XXIII. Gesetzgebungsperiode   Donnerstag, 8. November 2007

Dauer der Sitzung

Donnerstag, 8. November 2007: 9.04 – 19.53 Uhr

*****

Tagesordnung

1. Punkt: Erklärungen des Bundeskanzlers und der Bundesministerin für europäische und internationale Angelegenheiten gemäß § 19 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Nationalrates zum EU-Reformvertrag

2. Punkt: Bericht über den Österreichischen Baukulturreport 2006, vorgelegt von der Bundesministerin für Unterricht, Kunst und Kultur sowie dem Bundesminister für Wirt­schaft und Arbeit

3. Punkt: Regierungsvorlage: Schlussdokument der Sitzung der Regierungsvertreter betreffend die Verlängerung der Erklärung über die Produktionsphase der Ariane-Träger bis Ende 2008 (gemäß § 28a GOG keine Ausschussvorberatung)

4. Punkt: Erste Lesung: Antrag der Abgeordneten Josef Bucher, Kolleginnen und Kol­legen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Wohnungsgemein­nützigkeits­gesetz geändert wird (375/A)

5. Punkt: Erste Lesung: Antrag der Abgeordneten Josef Bucher, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz und das Rechnungshofgesetz geändert werden (376/A)

6. Punkt: Erste Lesung: Antrag der Abgeordneten Josef Bucher, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz und das Rechnungshofgesetz geändert werden (377/A)

7. Punkt: Erste Lesung: Antrag der Abgeordneten Dr. Robert Aspöck, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesverfassungsgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungs­gesetz (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930, geändert wird (389/A)

8. Punkt: Erste Lesung: Antrag der Abgeordneten Dr. Robert Aspöck, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz vom 16. Juni 1948 über den Rechnungshof (Rechnungshofgesetz (R.H.G.) 1948), BGBl. Nr. 144/1948, geändert wird (390/A)


Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 2

9. Punkt: Erste Lesung: Antrag der Abgeordneten Dr. Reinhard Eugen Bösch, Kolle­ginnen und Kollegen betreffend ein Bundesverfassungsgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 geändert wird (394/A)

*****

Inhalt

Personalien

Verhinderungen .............................................................................................................. 12

Geschäftsbehandlung

Antrag der Abgeordneten Ing. Peter Westenthaler, Kolleginnen und Kollegen, dem Ausschuss für Arbeit und Soziales zur Berichterstattung über den An­trag 449/A der Abgeordneten Mag. Gertrude Aubauer, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Pflege-Übergangsgesetz geändert wird, gemäß § 43 Abs. 1 der Geschäftsordnung eine Frist bis 3. Dezember 2007 zu setzen .................. 35

Verlangen gemäß § 43 Abs. 3 der Geschäftsordnung auf Durchführung einer kurzen Debatte im Sinne des § 57a Abs. 1 GOG .......................................................................................................... 35

Redner:

Sigisbert Dolinschek .............................................................................................. ... 175

Dr. Sabine Oberhauser .......................................................................................... ... 176

Maria Grander ............................................................................................................. 177

Theresia Haidlmayr .................................................................................................... 178

Werner Neubauer ....................................................................................................... 180

Ing. Peter Westenthaler .......................................................................................... ... 180

Ablehnung des Fristsetzungsantrages ........................................................................ 182

Redezeitbeschränkung nach Beratung in der Präsidialkonferenz gemäß § 57 Abs. 3 Z. 2 der Geschäftsordnung .......................................................................................................... 36

Verlangen auf Durchführung einer namentlichen Abstimmung .................................. 116

Unterbrechung der Sitzung ........................................................................................ 117

Fragestunde (3.)

Bundeskanzleramt ....................................................................................................... 12

Hermann Krist (10/M); Maria Rauch-Kallat, Mag. Gernot Darmann, Mag. Gerald Hauser, Theresia Haidlmayr

Franz Morak (5/M); Ing. Peter Westenthaler, Harald Vilimsky, Dieter Brosz, Dr. Josef Cap

Dipl.-Ing. Dr. Wolfgang Pirklhuber (24/M); Mag. Kurt Gaßner, Jakob Auer, Ursula Haubner, Dipl.-Ing. Karlheinz Klement, MAS

Alois Gradauer (8/M); Mag. Albert Steinhauser, Mag. Heribert Donnerbauer, Herbert Scheibner


Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 3

Mag. Johann Maier (11/M); Adolfine Herta Mikesch, Ing. Peter Westenthaler, Herbert Kickl, Dieter Brosz

Peter Haubner (6/M); Sigisbert Dolinschek, Herbert Kickl, Dieter Brosz, Beate Schasching

Bundesregierung

Vertretungsschreiben ..................................................................................................... 31

Ausschüsse

Zuweisungen .................................................................  31, 205, 209, 213, 216, 219, 224

Dringliche Anfrage

der Abgeordneten Ing. Peter Westenthaler, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Inneres betreffend türkisch-kurdische Ausschreitungen in Österreich (1906/J) ...................... 132

Begründung: Ing. Peter Westenthaler ........................................................................ 136

Bundesminister Dipl.-Ing. Josef Pröll ...................................................................... 142

Debatte:

Ursula Haubner .......................................................................................................... 148

Christian Hursky ........................................................................................................ 152

Gabriele Tamandl ....................................................................................................... 153

Dr. Peter Pilz ............................................................................................................... 155

Heinz-Christian Strache ............................................................................................ 157

Mag. Gernot Darmann ........................................................................................... ... 160

Ing. Norbert Kapeller .................................................................................................. 162

Mag. Brigid Weinzinger ............................................................................................. 163

Dr. Peter Fichtenbauer ........................................................................................... ... 166

Dr. Erwin Rasinger ................................................................................................. ... 168

Harald Vilimsky ....................................................................................................... ... 169

Herbert Scheibner .................................................................................................. ... 171

Lutz Weinzinger ...................................................................................................... ... 173

Entschließungsantrag der Abgeordneten Ing. Peter Westenthaler, Kolleginnen und Kollegen betreffend Verbot türkischer und kurdischer Versammlungen – Ablehnung ........................  150, 174

Verhandlungen

1. Punkt: Erklärungen des Bundeskanzlers und der Bundesministerin für euro­päische und internationale Angelegenheiten gemäß § 19 Absatz 2 der Geschäfts­ordnung des Nationalrates zum EU-Reformvertrag         ............................................................................................................................... 36

Bundeskanzler Dr. Alfred Gusenbauer ..................................................................... 36

Bundesministerin Dr. Ursula Plassnik ...................................................................... 41

Verlangen auf Durchführung einer Debatte gemäß § 81 Abs. 1 der Geschäfts­ordnung                   36

Redner/Rednerinnen:

Dr. Josef Cap ........................................................................................................... ..... 46

Dr. Wolfgang Schüssel .......................................................................................... ..... 49


Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 4

Dr. Alexander Van der Bellen ................................................................................ ..... 51

Heinz-Christian Strache .....................................................................................  54, 111

Ing. Peter Westenthaler .......................................................................................... ..... 60

Mag. Elisabeth Grossmann ................................................................................... ..... 63

Fritz Grillitsch .......................................................................................................... ..... 64

Mag. Ulrike Lunacek ............................................................................................... ..... 65

Barbara Rosenkranz .................................................................................................... 68

Herbert Scheibner ...............................................................................................  70, 113

Mag. Andreas Schieder .......................................................................................... ..... 74

Fritz Neugebauer .................................................................................................... ..... 76

Dr. Kurt Grünewald ................................................................................................ ..... 77

Mag. Gerald Hauser ................................................................................................ ..... 79

Mag. Gernot Darmann ........................................................................................... ..... 84

Dr. Peter Wittmann ................................................................................................. ..... 85

Dr. Reinhold Mitterlehner ...................................................................................... ..... 87

Michaela Sburny ..................................................................................................... ..... 89

Harald Vilimsky ....................................................................................................... ..... 90

Sigisbert Dolinschek .............................................................................................. ..... 92

Dr. Elisabeth Hlavac ............................................................................................... ..... 94

Mag. Dr. Beatrix Karl ................................................................................................... 95

Dr. Reinhard Eugen Bösch .................................................................................... ..... 99

Walter Murauer ....................................................................................................... ... 103

Dr. Gerhard Kurzmann .......................................................................................... ... 104

Karl Donabauer ....................................................................................................... ... 106

Wolfgang Großruck ................................................................................................ ... 107

Karl Freund .............................................................................................................. ... 108

Lutz Weinzinger ...................................................................................................... ... 109

Dr. Peter Fichtenbauer ........................................................................................... ... 115

Entschließungsantrag der Abgeordneten Heinz-Christian Strache, Kollegin­nen und Kollegen betreffend Nicht-Unterzeichnung des Vertrages zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union und des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft durch den österreichischen Bundeskanzler – Ab­lehnung ..................................................................................................................  57, 115

Entschließungsantrag der Abgeordneten Mag. Ulrike Lunacek, Kolleginnen und Kollegen betreffend eine europaweite Volksbefragung zum Reformvertrag der EU – Ablehnung ...............  67, 116

Entschließungsantrag der Abgeordneten Herbert Scheibner, Kolleginnen und Kollegen betreffend Neuverhandlung eines Vertrages für Europa sowie generelle Verpflichtung der Durchführung von Volksabstimmungen über grundsätzliche Fragen der Europäischen Integration – Ablehnung       72, 116

Entschließungsantrag der Abgeordneten Mag. Gerald Hauser, Kolleginnen und Kollegen betreffend Durchführung einer nationalen Volksabstimmung in Öster­reich über die Ratifizierung des Vertrages zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union und des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft – Ablehnung (namentliche Abstimmung) ......................................  81, 116

Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Josef Cap, Dr. Wolfgang Schüssel, Kolleginnen und Kollegen betreffend Vertrag von Lissabon – politische Einigung bei der Regierungskonferenz am 18./19. Oktober 2007 – Annahme (E 41) ..............................................................  96, 118


Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 5

Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Reinhard Eugen Bösch, Kolle­gin­nen und Kollegen betreffend Nichtzustimmung zur Schengen-Erweiterung – Ablehnung ...............................  101, 118

2. Punkt: Bericht des Kulturausschusses über den Österreichischen Baukultur­report 2006 (III-56 d.B.), vorgelegt von der Bundesministerin für Unterricht, Kunst und Kultur sowie dem Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit (310 d.B.) ..................................................................................................... 118

Redner/Rednerinnen:

Mag. Christine Muttonen ....................................................................................... ... 119

Franz Morak ............................................................................................................. ... 121

Mag. Dr. Wolfgang Zinggl ...................................................................................... ... 123

Dipl.-Ing. Karlheinz Klement, MAS ....................................................................... ... 124

Veit Schalle .............................................................................................................. ... 127

Bundesministerin Dr. Claudia Schmied .............................................................. ... 129

Mag. Dr. Wolfgang Zinggl (tatsächliche Berichtigung) ............................................. 130

Mag. Ruth Becher ...................................................................................................... 130

Dr. Peter Sonnberger ............................................................................................. ... 130

Dr. Gabriela Moser ................................................................................................. ... 182

Dr. Gerhard Kurzmann .......................................................................................... ... 186

Staatssekretärin Christine Marek ......................................................................... ... 187

Gerhard Steier ......................................................................................................... ... 189

Christoph Kainz ...................................................................................................... ... 190

Mag. Christine Lapp ............................................................................................... ... 192

Franz Hörl ................................................................................................................ ... 192

Dr. Gabriela Moser (tatsächliche Berichtigung) ......................................................... 193

Mag. Andreas Schieder .......................................................................................... ... 194

Norbert Sieber ......................................................................................................... ... 195

Peter Stauber .......................................................................................................... ... 196

Entschließungsantrag der Abgeordneten Mag. Christine Muttonen, Franz Morak, Mag. Dr. Wolfgang Zinggl, Kolleginnen und Kollegen betreffend weiter­führende Maßnahmen zur Förderung der Baukultur in Österreich – Annahme (E 42) .............................................................................  120, 197

Entschließungsantrag der Abgeordneten Dipl.-Ing. Karlheinz Klement, MAS, Kolleginnen und Kollegen betreffend Koordination des österreichischen Bundes­kanzlers in Sachen Baukultur – Ablehnung            126, 197

Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Gabriela Moser, Kolleginnen und Kollegen betreffend Konsequenzen aus dem Österreichischen Baukultur­re­port 2006 in den Bereichen Bauordnung und Raumordnung – Ablehnung .................................................................................  184, 197

Kenntnisnahme des Berichtes III-56 d.B. ..................................................................... 197

3. Punkt: Regierungsvorlage: Schlussdokument der Sitzung der Regierungs­vertreter betreffend die Verlängerung der Erklärung über die Produktionsphase der Ariane-Träger bis Ende 2008 (199 d.B.) (gemäß § 28a GOG keine Aus­schuss­vorberatung) .................................................................. 197

Redner/Rednerinnen:

Johannes Zweytick ................................................................................................. ... 197

Ing. Kurt Gartlehner ................................................................................................ ... 198

Michaela Sburny ..................................................................................................... ... 199

Dipl.-Ing. Karlheinz Klement, MAS ....................................................................... ... 199

Katharina Pfeffer ..................................................................................................... ... 200

Herbert Scheibner .................................................................................................. ... 201


Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 6

Genehmigung des Staatsvertrages ............................................................................. 202

4. Punkt: Erste Lesung: Antrag der Abgeordneten Josef Bucher, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Wohnungsgemeinnützig­keits­gesetz geändert wird (375/A)                             202

Redner/Rednerinnen:

Josef Bucher ........................................................................................................... ... 202

Mag. Ruth Becher ................................................................................................... ... 203

Dr. Peter Sonnberger ............................................................................................. ... 204

Dr. Gabriela Moser ................................................................................................. ... 204

Zuweisung des Antrages 375/A an den Rechnungshofausschuss ............................. 205

5. Punkt: Erste Lesung: Antrag der Abgeordneten Josef Bucher, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz und das Rechnungshofgesetz geändert werden (376/A) .......................................................................................................................... 205

Redner/Rednerinnen:

Josef Bucher ........................................................................................................... ... 205

Gerhard Reheis ....................................................................................................... ... 206

Edeltraud Lentsch .................................................................................................. ... 206

Mag. Bruno Rossmann .......................................................................................... ... 207

Mag. Gerald Hauser ................................................................................................ ... 208

Zuweisung des Antrages 376/A an den Rechnungshofausschuss ............................. 209

6. Punkt: Erste Lesung: Antrag der Abgeordneten Josef Bucher, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz und das Rechnungshofgesetz geändert werden (377/A) .......................................................................................................................... 209

Redner/Rednerinnen:

Josef Bucher ........................................................................................................... ... 209

Dr. Günther Kräuter ............................................................................................... ... 210

Michael Praßl .............................................................................................................. 211

Mag. Bruno Rossmann ............................................................................................. 211

Johannes Zweytick .................................................................................................... 212

Zuweisung des Antrages 377/A an den Rechnungshofausschuss ............................. 213

7. Punkt: Erste Lesung: Antrag der Abgeordneten Dr. Robert Aspöck, Kollegin­nen und Kollegen betreffend ein Bundesverfassungsgesetz, mit dem das Bun­des-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930, geändert wird (389/A) .......................................................................................................................... 213

Redner/Rednerinnen:

Dr. Robert Aspöck .................................................................................................. ... 213

Ing. Erwin Kaipel ..................................................................................................... ... 214

August Wöginger .................................................................................................... ... 214

Mag. Bruno Rossmann .......................................................................................... ... 215

Josef Bucher ........................................................................................................... ... 216

Zuweisung des Antrages 389/A an den Verfassungsausschuss ................................ 216

8. Punkt: Erste Lesung: Antrag der Abgeordneten Dr. Robert Aspöck, Kollegin­nen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz vom 16. Juni 1948 über den Rechnungshof (Rechnungshofgesetz (R.H.G.) 1948), BGBl. Nr. 144/1948, geändert wird (390/A) ... 217

Redner/Rednerinnen:

Dr. Robert Aspöck .................................................................................................. ... 217

Mag. Kurt Gaßner ................................................................................................... ... 217


Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 7

Karl Freund .............................................................................................................. ... 218

Mag. Bruno Rossmann .......................................................................................... ... 218

Josef Bucher ........................................................................................................... ... 219

Zuweisung des Antrages 390/A an den Verfassungsausschuss ................................ 219

9. Punkt: Erste Lesung: Antrag der Abgeordneten Dr. Reinhard Eugen Bösch, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesverfassungsgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 geändert wird (394/A) ................................................................................................... 219

Redner/Rednerinnen:

Dr. Reinhard Eugen Bösch .................................................................................... ... 220

Dr. Peter Wittmann ................................................................................................. ... 220

Dr. Johann Georg Schelling .................................................................................. ... 221

Mag. Ulrike Lunacek ............................................................................................... ... 222

Herbert Scheibner .................................................................................................. ... 223

Zuweisung des Antrages 394/A an den Verfassungsausschuss ................................ 224

Eingebracht wurden

Regierungsvorlagen ................................................................................................... 31

301: Bundesgesetz, mit dem das Suchtmittelgesetz (SMG), das Strafgesetzbuch, die Strafprozessordnung 1975 und das Gesundheits- und Ernährungssicherheits­gesetz geändert werden (SMG-Novelle 2007)

302: Bundesgesetz, mit dem das Strafgesetzbuch, die Strafprozessord­nung 1975, das Strafvollzugsgesetz, das Bewährungshilfegesetz und das Jugend­gerichtsgesetz 1988 geändert werden

303: Berufsrechts-Änderungsgesetz 2008 – BRÄG 2008

304: Bundesgesetz, mit dem das Kriegsopferversorgungsgesetz 1957, das Opfer­fürsorgegesetz und das Heeresversorgungsgesetz geändert werden

306: Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über die Einrichtung eines Bun­desinstitutes für Bildungsforschung, Innovation und Entwicklung des österreichi­schen Schulwesens erlassen wird und das Bundes-Schulaufsichtsgesetz sowie das Schulorganisationsgesetz geändert werden (BIFIE-Gesetz 2008)

307: Bundesgesetz, mit dem das Schulorganisationsgesetz geändert wird

308: Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VG über die Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens

312: Vereinbarung zwischen dem Bund, den Ländern und den Gemeinden über eine Weiterführung der stabilitätsorientierten Budgetpolitik (Österreichischer Sta­bilitätspakt 2008)

313: Bundesgesetz, mit dem das Bankwesengesetz, das Sparkassengesetz, das Finanzmarktaufsichtsbehördengesetz, das Nationalbankgesetz 1984 und das Versicherungsaufsichtsgesetz geändert werden

314: Bundesverfassungsgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz geän­dert und ein Erstes Bundesverfassungsrechtsbereinigungsgesetz erlassen wird


Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 8

Anträge der Abgeordneten

DDr. Erwin Niederwieser, Fritz Neugebauer, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über die Ordnung von Unterricht und Erziehung in den im Schulorganisationsgesetz geregelten Schulen (Schulunterrichts­gesetz – SchUG) geändert wird (464/A)

Ing. Peter Westenthaler, Kolleginnen und Kollegen betreffend Durchführung einer Volksbefragung gem. Art. 49b B-VG über den EU-Reformvertrag (465/A)

Mag. Brigid Weinzinger, Kolleginnen und Kollegen betreffend Importverbot von Enten- und Gänsestopfleber (466/A)(E)

Rudolf Parnigoni, Kolleginnen und Kollegen betreffend Sicherheitsdienst­leistungs­gesetz zum Zweck der Qualitätssicherung, der Organisation und der Tätigkeiten privater Sicherheitsdienste (SDLG) (467/A)(E)

Ursula Haubner, Kolleginnen und Kollegen betreffend die Stärkung der Vaterbindung durch die Einführung eines „freiwilligen Vatermonats“ (468/A)(E)

Mag. Gernot Darmann, Kolleginnen und Kollegen betreffend die Errichtung einer Medizinischen Universität in Linz (469/A)(E)

Bernhard Themessl, Kolleginnen und Kollegen betreffend Reduzierung des Mehrwert­steuersatzes (470/A)(E)

Werner Neubauer, Kolleginnen und Kollegen betreffend Freistellung von Grund­nahrungsmitteln und Medikamenten von der Mehrwertsteuer (471/A)(E)

Harald Vilimsky, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (ABGB) geändert wird (472/A)

Bernhard Themessl, Kolleginnen und Kollegen betreffend EU-MWSt-Richtlinie (473/A)(E)

Barbara Rosenkranz, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 24/2007, geändert wird (474/A)

Werner Neubauer, Kolleginnen und Kollegen betreffend Schließung von Kollektiv­vertrags­lücken (475/A)(E)

Herbert Kickl, Kolleginnen und Kollegen betreffend Teilzeitlehre (476/A)(E)

Herbert Kickl, Kolleginnen und Kollegen betreffend Reduktion der Treibstoffpreise (477/A)(E)

Mag. Johann Maier, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Futtermittelgesetz geändert wird (478/A)

Ing. Norbert Hofer, Kolleginnen und Kollegen betreffend Erstellung einer Studie über ein Case Management an Österreichs Krankenhäusern und Rehabilitationsanstalten (479/A)(E)

Ing. Norbert Hofer, Kolleginnen und Kollegen betreffend die Befreiung von Betrieben vom Andienungszwang (480/A)(E)

Ing. Norbert Hofer, Kolleginnen und Kollegen betreffend die Förderung von Gene­rationen­wohnhäusern (481/A)(E)


Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 9

Dr. Josef Cap, Dr. Michael Spindelegger, Dr. Alexander Van der Bellen, Heinz-Christian Strache, Ing. Peter Westenthaler, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über die Errichtung eines Rates für Fragen der österreichischen Integrations- und Außenpolitik und das Bundesgesetz über die Errichtung eines Nationalen Sicherheitsrates geändert werden (482/A)

Fritz Grillitsch, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Marktordnungsgesetz 2007 – MOG 2007 und das Marktordnungs-Überleitungsgesetz geändert werden (483/A)

Barbara Rosenkranz, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 24/2007, geändert wird (484/A)

Petra Bayr, Franz Glaser, Kolleginnen und Kollegen betreffend Nachhaltigkeits­kriterien für die Ausstattung österreichischer Sportler/innen bei Großveranstaltun­gen 2008 (485/A)(E)

Mag. Johann Maier, Peter Haubner, Kolleginnen und Kollegen betreffend Umsetzung des „Weißbuch Sport“ (486/A)(E)

Mag. Gernot Darmann, Kolleginnen und Kollegen betreffend Sicherstellung des raschen Ausbaus der S 37 (487/A)(E)

Anfragen der Abgeordneten

Ing. Peter Westenthaler, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Inneres betreffend türkisch-kurdische Ausschreitungen in Österreich (1906/J)

Mag. Johann Maier, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Gesund­heit, Familie und Jugend betreffend „Glückspiel-Wetten: Pathologische Spielsucht in Österreich – Maßnahmen“ (1907/J)

Ing. Mag. Hubert Kuzdas, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Gesundheit, Familie und Jugend betreffend „Übernahme der Kosten für Eignungs­untersuchungen“ (1908/J)

Ing. Peter Westenthaler, Kolleginnen und Kollegen an den Bundeskanzler betreffend Reisesucht der Staatssekretäre der Retroregierung (1909/J)

Ing. Peter Westenthaler, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für euro­päische und internationale Angelegenheiten betreffend Reisesucht der Staatssekretäre der Retroregierung (1910/J)

Ing. Peter Westenthaler, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Finanzen betreffend Reisesucht der Staatssekretäre der Retroregierung (1911/J)

Ing. Peter Westenthaler, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Ver­kehr, Innovation und Technologie betreffend Reisesucht der Staatssekretäre der Retroregierung (1912/J)

Ing. Peter Westenthaler, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit betreffend Reisesucht der Staatssekretäre der Retroregierung (1913/J)

Josef Bucher, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für europäische und internationale Angelegenheiten betreffend Missstände in den österreichischen Vertre­tungen im Ausland (1914/J)


Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 10

DDr. Erwin Niederwieser, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit betreffend Schutz vor Mobbing (1915/J)

DDr. Erwin Niederwieser, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Finanzen betreffend Steuerleistungen der Agrargemeinschaften (1916/J)

DDr. Erwin Niederwieser, Dr. Sebastian Eder, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Gesundheit, Familie und Jugend betreffend „Aufnahme des Kursana Sanatoriums Wörgl in den PRIKRAF (= Privatkrankenanstalten-Finan­zierungsfonds)“ (1917/J)

Mag. Ruth Becher, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Inneres betreffend Kriminalitätsentwicklung in der Donaustadt (1918/J)

Mag. Ruth Becher, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Finanzen betreffend Gebarung des Austria Center Vienna II (1919/J)

Wolfgang Großruck, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie betreffend unerwünschte Mehrwert-SMS (1920/J)

Thomas Einwallner, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Soziales und Konsumentenschutz betreffend Finanzierung einer Personality Homepage aus Steuergeldern (1921/J)

Ing. Erwin Kaipel, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Finanzen betreffend Bundesbeschaffungs-Gesellschaft m.b.H. (BBG) (1922/J)

Dr. Andrea Eder-Gitschthaler, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Justiz betreffend die Personalknappheit am Landesgericht Salzburg (1923/J)

Laura Rudas, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Gesundheit, Familie und Jugend betreffend „Arzneimittelsicherheit für Kinder und Jugendliche in Österreich“ (1924/J)

Ursula Haubner, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Unterricht, Kunst und Kultur betreffend Kosten für die „Lehrerkampagne“ (1925/J)

Ursula Haubner, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Gesundheit, Familie und Jugend betreffend Rückforderung von Kinderbetreuungsgeld und Zuschuss zum Kinderbetreuungsgeld (1926/J)

Mag. Gernot Darmann, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Unterricht, Kunst und Kultur betreffend Klassengrößen (1927/J)

Wolfgang Zanger, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Landes­verteidigung betreffend Mobbing (1928/J)

Wolfgang Zanger, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Wissenschaft und Forschung betreffend Mobbing (1929/J)

Wolfgang Zanger, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit betreffend Mobbing (1930/J)

Wolfgang Zanger, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie betreffend Mobbing (1931/J)


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Dr. Andrea Eder-Gitschthaler, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie betreffend den Stopp der Planungsarbeiten für den Pass-Lueg-Tunnel (1932/J)

Dr. Andrea Eder-Gitschthaler, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie betreffend den Ausbau der Bahnstrecke von Bischofshofen bis Radstadt (1933/J)

Ing. Peter Westenthaler, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Justiz betreffend Folgeanfrage zur Dringlichen Anfrage betreffend keine Gnade für Kinder­schänder und gegen gefährliche vorzeitige Haftentlassungen (1934/J)

Josef Bucher, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit betreffend Finanzierung der Wirtschaftskammer Österreich durch den Bund (1935/J)

Anfragebeantwortungen

der Bundesministerin für Unterricht, Kunst und Kultur auf die Anfrage der Abgeord­neten Karl Öllinger, Kolleginnen und Kollegen (1358/AB zu 1443/J)

des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit auf die Anfrage der Abgeordneten Laura Rudas, Kolleginnen und Kollegen (1359/AB zu 1382/J)


 



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09.04.35Beginn der Sitzung: 9.04 Uhr

Vorsitzende: Präsidentin Mag. Barbara Prammer, Zweiter Präsident Dr. Michael Spindelegger, Dritte Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek.

*****

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Guten Morgen, meine Damen und Herren! Die Sitzung ist eröffnet.

Als verhindert gemeldet sind die Abgeordneten Rinner, Mag. Wurm, Gahr, Mag. Hakl, Mag. Kogler und Ing. Hofer.

09.04.56Fragestunde

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Wir gelangen zur Fragestunde.

Ich beginne jetzt – um 9.05 Uhr – mit dem Aufruf der Anfragen.

Bundeskanzleramt

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Wir kommen zur 1. Anfrage, 10/M, des Herrn Abgeordneten Krist an den Bundeskanzler. – Bitte, Herr Abgeordneter.

 


Abgeordneter Hermann Krist (SPÖ): Ein sportliches „Guten Morgen!“, Herr Bun­deskanzler! Meine Frage geht in Richtung ...

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Abgeordneter, Sie müssen die Frage ganz genau wiedergeben. – Bitte.

 


Abgeordneter Hermann Krist (fortsetzend): Das mache ich. Meine Frage lautet:

10/M

„Welche aktuellen Projekte gibt es bei der Vorbereitung EURO 2008?“

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundeskanzler, bitte.

 


Bundeskanzler Dr. Alfred Gusenbauer: Sehr geehrter Herr Abgeordneter! Die Vor­bereitungen für die Fußball-Europameisterschaft sind voll im Gang. Die Stadien sind rechtzeitig fertig geworden. Es gibt ein Nachhaltigkeitskonzept für die EURO 2008. Darüber hinaus ist es so, dass das Verkehrskonzept des Verkehrsministers fertig ist und dazu führen wird, dass wir ein Kombiticket anbieten können. Das heißt, dass Per­sonen, die die Fußball-Europameisterschaft besuchen und ein Ticket für ein Spiel haben, dieses gleichzeitig für die öffentlichen Verkehrsmittel in Österreich nützen können. Das halte ich für sehr wichtig, auch im Hinblick auf die ökologische Nach­haltigkeit dieser Fußball-Europameisterschaft.

Darüber hinausgehend setzt Österreich am Ball eine Reihe von Aktivitäten, um die Stimmung im Land zu fördern. Die sehr abwechslungsreiche Fußballmeisterschaft in der Liga schlägt sich derzeit darin nieder, dass wir im heurigen Jahr um fast 10 Prozent mehr Zuschauer in den Stadien der österreichischen Bundesliga haben. Das ist eine erfreuliche Entwicklung und zeigt, dass sich die Bevölkerung schön langsam auf diese Fußball-Europameisterschaft einstellt.


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Es ist das die drittgrößte Sportveranstaltung der Welt. In dieser Zeit werden 7 000 Journalisten in Österreich sein. Wir rechnen mit in etwa 7 Milliarden bis 9 Mil­liarden Fernsehzusehern in diesen dreieinhalb Wochen der EURO in der Schweiz und in Österreich. Österreich steht damit in diesen dreieinhalb Wochen natürlich inter­national im Schaufenster. Und ich glaube, das ist eine hervorragende Möglichkeit, Österreich in der Welt zu präsentieren und zu positionieren.

Wir hoffen natürlich, dass das Spielniveau der österreichischen Nationalmannschaft dem Niveau der organisatorischen Vorbereitung für die Fußball-Europameisterschaft, die wir, glaube ich, ganz gut im Griff haben, entspricht.

Ich sage gleich dazu, dass die Koordination aller Ministerien, aller Host Cities sehr gut funktioniert. Wir haben monatliche Besprechungen, in denen die verschiedenen Arbeitsschritte abgearbeitet werden. Darüber hinaus gibt es laufend Kontakte auch mit den Schweizer Behörden, damit wir hier simultan vorgehen.

Ich habe das gute Gefühl, dass das ein tolles Fußballfest, ein tolles Sportereignis werden wird und wir uns schon auf den Juni des nächsten Jahres gemeinsam freuen können. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Krist? – Wird nicht gewünscht.

Erste Zusatzfrage: Frau Abgeordnete Rauch-Kallat, bitte.

 


Abgeordnete Maria Rauch-Kallat (ÖVP): Herr Bundeskanzler! Im Vorfeld der Welt­meisterschaft 2006 in Deutschland hat es eine umfassende Initiative gegen den leider auch mit Großereignissen verbundenen Frauenhandel und die Zwangsprostitution gegeben. Diese Initiative wurde auch von Bundeskanzlerin Merkel unterstützt.

Meine Frage: Welche Maßnahmen sieht die Bundesregierung in diesem Bereich vor, und welche Vorbereitungen sind diesbezüglich schon getroffen?

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundeskanzler, bitte.

 


Bundeskanzler Dr. Alfred Gusenbauer: Sehr geehrte Frau Abgeordnete! Das ist ein ernstes Problem, das in Deutschland gut gelöst wurde. Wie man überhaupt sagen muss, dass die Organisation der Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland vorbildlich war, nicht nur in Bezug auf dieses Problem, sondern auch, was die gesamte Organi­sation und Stimmung betroffen hat.

Ich sage daher auch dazu, wir haben uns sehr viel von den deutschen Freunden ab­geschaut, weil man nicht etwas, was gut funktioniert hat, ein zweites Mal erfinden muss. Wir legen uns natürlich die Messlatte, es ähnlich gut zu machen wie Deutsch­land bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2006, auch in dem von Ihnen angesprochenen Bereich.

Im Rahmen der Bundesregierung hat die Frauenministerin dieses Thema auch bei unserer Sitzung im Ministerrat, in der wir uns mit der Vorbereitung der Fußball-Euro­pameisterschaft befasst haben, aufs Tapet gebracht, und die Frauenministerin wird in Zusammenarbeit mit dem Innenminister fast identische Maßnahmen setzen, wie sie vorbildlicherweise die Bundesrepublik Deutschland gesetzt hat.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Weitere Zusatzfrage? – Herr Mag. Darmann, bitte.

 


Abgeordneter Mag. Gernot Darmann (BZÖ): Guten Morgen, Herr Bundeskanzler! Wie allseits bekannt ist, schreibt die UEFA bei Großveranstaltungen wie zum Beispiel der EURO 2008 entsprechende Schutzmaßnahmen vor.


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Nun zur Frage: Ist sichergestellt, dass die von der SPÖ angeschafften Eurofighter zur Überwachung des Luftraumes auch zum Einsatz kommen werden?

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundeskanzler, bitte.

 


Bundeskanzler Dr. Alfred Gusenbauer: Sehr geehrter Herr Abgeordneter, wie Sie wissen, ist für die Sicherheit und für die Überwachung Vorsorge getroffen worden, unabhängig davon, ob es die Eurofighter in Österreich geben wird oder nicht. Zu diesem Behufe hat ja bereits Bundesminister Platter als Verteidigungsminister die Schweizer Flugzeuge geleast, die uns bis Ende August des nächsten Jahres zur Verfügung stehen werden.

Das heißt, die Überwachung des Luftraumes für dieses Großereignis ist völlig unab­hängig von der Frage der Einsatzbereitschaft der Eurofighter geklärt und gesichert.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Weitere Zusatzfrage? – Herr Abgeordneter Mag. Hauser, bitte.

 


Abgeordneter Mag. Gerald Hauser (FPÖ): Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, es hat ja in den letzten Wochen bedauerlicherweise bei Demonstrationen von Türken und Kurden gewalttätige Auseinandersetzungen in ganz Österreich gegeben, die die Bevöl­kerung in Angst und Schrecken versetzt haben.

Nun ist ja durchaus nicht ausgeschlossen, dass die Türkei auch das Finale erreicht, deswegen meine Frage: Können Sie ausschließen, dass zumindest während der EURO 2008 Demonstrationen stattfinden, weder von Türken noch von Kurden, und wie sind Sie überhaupt auf die mögliche Teilnahme der Türkei bei der Euro 2008 aus sicherheitstechnischen Gründen vorbereitet?

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundeskanzler, bitte.

 


Bundeskanzler Dr. Alfred Gusenbauer: Sehr geehrter Herr Abgeordneter, ich kann nicht ausschließen, dass sich die Türkei für die Fußball-Europameisterschaft quali­fiziert. Ich kann auch nicht ausschließen, dass sich die Türkei für weitere Runden, sei es das Viertelfinale, das Semifinale oder das Finale, qualifiziert. (Beifall bei der SPÖ.) Das ist ausschließlich eine Frage der sportlichen Leistungen, die im fairen Wettbewerb erbracht werden sollen.

Was hingegen die Sicherheitssituation betrifft, haben wir Vorsorge getroffen. Wir haben auch gesetzliche Veränderungen vorgenommen, was zum Beispiel die Gewalt in den Fußballstadien betrifft, weil das unabhängig von den derzeit stattfindenden Auseinan­dersetzungen zwischen Türken und Kurden ein allgemeines Problem ist. Wir haben ja bei einer Reihe von Meisterschaftsspielen auch in den letzten Monaten leider unschöne Szenen erlebt, die keine Werbung für den Fußball darstellen, und daher nehmen wir das Problem Gewalt in den Stadien und rund um die Stadien – völlig unabhängig davon, von wem die Gewalt ausgeht – sehr, sehr ernst.

Der Herr Innenminister hat neben der Änderung der gesetzlichen Grundlage ein Sicher­heitskonzept entwickelt. Dabei ist es vor allem wichtig, dass die unter­schied­lichen Fangruppen getrennt werden, vor allem dort, wo man unter Umständen Probleme erwarten kann. Das wird in Bezug auf alle Fangruppen gemacht, dort, wo Schwierigkeiten zu erwarten sind, egal, ob jetzt diese Probleme oder gewalttätigen Auseinandersetzungen politisch, alkoholisch oder kulturell motiviert sind, egal, was die Ursache für die Gewalt ist.

Wir werden alles unternehmen, dass es hier zu keinerlei gewalttätigen Auseinan­dersetzungen kommt und werden vor allem versuchen, schon im Vorfeld, nämlich bei der Einreise, in Kooperation mit den Teilnehmerländern sicherzustellen, dass wir jene identifizieren, die schon aus der Vergangenheit für Randale bei Sportveranstaltungen


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bekannt sind, sodass die erst gar nicht nach Österreich kommen. Und auf Basis dieses Vorgriffsverfahrens und auf Basis der Wiederaufnahme der Grenzkontrollen – Sie wissen, dass wir während der Fußball-Europameisterschaft Schengen aussetzen wer­den – versuchen wir einen Teil der Probleme bereits von Österreich fernzuhalten, und der dann verbleibende Teil der Sicherheitsherausforderungen wird, so meint der Innen­minister – und ich habe da volles Vertrauen –, von uns gut kontrolliert werden.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Weitere Zusatzfrage? – Frau Abgeordnete Haidlmayr, bitte.

 


Abgeordnete Theresia Haidlmayr (Grüne): Herr Bundeskanzler! Im Rahmen der Fußball-Europameisterschaft wird das Praterstadion teilweise barrierefrei gemacht. Das heißt, es kommen auf die Ränge barrierefrei berollbare Sitzplätze, weil das Prater­stadion andernfalls keine Austragungsstätte sein dürfte. Wir haben jedoch erfahren, dass diese barrierefreien Sitzplätze oder Rollstuhlplätze nach Ende der Europameister­schaft wieder entfernt werden sollen.

Meine Frage: Können Sie sicherstellen, dass diese Rollstuhlplätze auf den Rängen über die Europameisterschaft hinaus bestehen bleiben? (Beifall bei den Grünen.)

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundeskanzler, bitte.

 


Bundeskanzler Dr. Alfred Gusenbauer: Sehr geehrte Frau Abgeordnete, diese Infor­mation oder dieses Gerücht ist mir nicht bekannt, allerdings würde ich es für einen Schildbürgerstreich halten, wenn man nach der Europameisterschaft die barrierefreien Plätze wieder abbauen würde, ganz im Gegenteil, es ist unser Ziel, nachhaltig Sport­stätten zu schaffen, die für alle zugänglich sind, das heißt, auch barrierefrei sind.

Ich werde unverzüglich mit unserem Koordinator und dem Vertreter der Host City Kontakt aufnehmen, dass auf jeden Fall gewährleistet ist, dass die Barrierefreiheit nicht nur während der Europameisterschaft, sondern auch danach dauerhaft gegeben ist. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Wir gelangen nun zur 2. Anfrage, 5/M, des Herrn Abgeordneten Morak an den Bundeskanzler. – Bitte, Herr Abgeordneter.

 


Abgeordneter Franz Morak (ÖVP): Herr Bundeskanzler, meine Frage:

5/M

„Welche Schritte werden Sie setzen, damit die Bundesregierung möglichst rasch die im Regierungsprogramm vereinbarte unabhängige Medienbehörde umsetzen kann?“

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundeskanzler, bitte.

 


Bundeskanzler Dr. Alfred Gusenbauer: Sehr geehrter Herr Abgeordneter, wie Sie wissen, liegt die Einrichtung einer unabhängigen Medienbehörde nicht in meinem Zustän­digkeitsbereich, sondern im Verantwortungsbereich der Bundesministerin für Frauen, Medien und öffentlichen Dienst. Aber wenn Sie mich schon fragen (allgemeine Heiterkeit), möchte ich die Gelegenheit wahrnehmen und darauf hinweisen, dass wir einen Zeitplan entwickelt haben, der mit Juli dieses Jahres begonnen hat.

Es wurden auf der Arbeitsebene über den Sommer verschiedene Gespräche geführt mit den Vertretern der Telekombranche, mit den Vertretern des öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunks, den beteiligten Bundesministerien, den bestehenden Behör­den sowie den Interessenvertretungen. Das Ergebnis dieser Gespräche ist, dass jetzt einmal eine Aufgabenliste erstellt wurde, welche materiell-rechtlichen Kompetenzen in diesem Zusammenhang zu normieren sind.


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Ich glaube, dass unsere Behördenstruktur allgemein in diesem Zusammenhang gute Arbeit leistet, aber wir müssen sehen, dass in der Europäischen Union die Tendenz ganz eindeutig in Richtung unabhängige Medienbehörde geht. Daher geht es für uns darum, vor allem im Zusammenhang mit diesen europäischen Zielsetzungen auf Basis der Aufgabenliste, die mit allen Beteiligten nun erstellt wurde, zu einem vernünftigen, auf breitem Konsens beruhenden Gesetzentwurf zu kommen.

Ich gehe davon aus, dass nach Abschluss dieser ersten Gespräche und der Erar­beitung der ersten Regelungsvorschläge auch die Diskussion mit den Abgeordneten hier im Parlament geführt wird, weil es sich dabei natürlich um eine hoch sensible Angelegenheit handelt. Es geht dabei letztendlich um den Schutz der Meinungsvielfalt, das ist eines der sensibelsten Güter in einer Demokratie. Daher haben wir uns in der Bundesregierung vorgenommen, das auf einen sehr, sehr breiten Konsens zu stützen, weil eine solch unabhängige Medienbehörde letztendlich auch von der allgemeinen Akzeptanz lebt.

Ich habe den Eindruck, dass die Frau Bundesministerin diesbezüglich in ihren Ge­sprächen gut auf dem Weg ist. Die Frau Ministerin kommt ja im zweiten Teil der Fragestunde noch dran, für weitere Details steht sie Ihnen mit Sicherheit zur Verfügung, Herr Abgeordneter.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Zusatzfrage? – Herr Abgeordneter, bitte.

 


Abgeordneter Franz Morak (ÖVP): Herr Bundeskanzler! Klubobmann Cap spricht in einem gestern erschienenen Interview in der Tageszeitung „Die Presse“ von einer bereits jetzt zu stark aufgeblasenen Medienbehördenstruktur.

Welche Positionen und Kompetenzen werden Sie kürzen, und wie viele Arbeitsplätze werden Sie abbauen?

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundeskanzler, bitte.

 


Bundeskanzler Dr. Alfred Gusenbauer: Sehr geehrter Herr Abgeordneter, wie Sie wissen, ist die Regelung der Kompetenzen ausschließlich eine Frage des öster­reichischen Parlaments und der Beschlussfassung, die hier vorgenommen wird. Daher werden von mir weder Kompetenzen noch die Zahl der Arbeitsplätze gekürzt werden.

Zum Zweiten: Wenn Herr Abgeordneter Klubobmann Cap der Auffassung ist, dass die bisherige Struktur bereits zu aufgeblasen ist, dann wird er diese seine Position mit Sicherheit in die parlamentarischen Beratungen einbringen.

Ich gehe davon aus, dass die neue unabhängige Medienbehörde ja keine zusätzliche Behörde sein soll, sondern anstelle der bisherigen Behörden treten soll. Und wenn daraus irgendeine Art von Synergie entsteht, ist das erstens Ihre Beschlussfassung und soll es mir zweitens recht sein. (Beifall bei der SPÖ.)

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Weitere Zusatzfrage? – Herr Klubobmann Westenthaler, bitte.

 


Abgeordneter Ing. Peter Westenthaler (BZÖ): Zunächst einmal ist ein erfreulicher Gesinnungswandel zu erkennen. Da diese unabhängige Medienbehörde in den letzten Jahren immer an der Zustimmung der SPÖ gescheitert ist, stelle ich Ihnen jetzt die Frage – es ist das Wesen einer unabhängigen Medienbehörde, dass sie tatsächlich unabhängig ist –: Wie werden Sie sicherstellen, dass die Unabhängigkeit dieser Medienbehörde tatsächlich gegeben ist?

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundeskanzler, bitte.

 


Bundeskanzler Dr. Alfred Gusenbauer: Herr Klubobmann, die Frage der Unab­hängigkeit der Medienbehörde und deren Schutz ist das Wichtigste in diesem Zusam-


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menhang. Das ist ja auch der Grund dafür, dass wir zum Thema unabhängige Medienbehörde hier im Parlament breiten Konsens suchen werden. Ich glaube, dass dieser Wille zum Konsens gleichzeitig Grundvoraussetzung und Garantie für die Unab­hängigkeit dieser Medienbehörde ist, denn wenn zum Beispiel Sie den Eindruck haben, dass diese Unabhängigkeit nicht gegeben ist, gehe ich davon aus, dass Sie einer solchen Vorlage im Parlament die Zustimmung verweigern würden. Daher setze ich darauf, dass hier im Parlament konsensorientierte sinnvolle Diskussionen stattfinden, die zu dieser Unabhängigkeit der Behörde führen, und nicht die – von Klubobmann Josef Cap in der Vergangenheit immer wieder angesprochene – Gefahr einer Metter­nich-Behörde besteht.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Weitere Zusatzfrage? – Herr Abgeordneter Vilimsky, bitte.

 


Abgeordneter Harald Vilimsky (FPÖ): Schönen guten Morgen, Herr Bundeskanzler! Eine der kolportierten Aufgaben dieser „Geister-Medienbehörde“ – es gibt sie ja noch nicht – ergibt sich durch die Verlagerung der Gebührenfestsetzung vom Stiftungsrat hin in diese Medienbehörde. Es wird Ihrer geschätzten Aufmerksamkeit nicht entgangen sein, dass ich ein Internet-Volksbegehren gegen die ORF-Zwangsgebühren gestartet habe, wo man unter dem Titel „www.weg-mit-den-orf-gebuehren.at“ auch unterfertigen kann.

Meine Frage an Sie: Haben Sie das schon unterschrieben? Wenn nein, warum nicht?

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Bitte, Herr Bundeskanzler.

 


Bundeskanzler Dr. Alfred Gusenbauer: Sehr geehrter Herr Abgeordneter, ich finde es interessant, wenn Abgeordnete auch außerhalb des Parlaments Initiativen im Internet starten.

Was die Frage der Rundfunkgebühren betrifft, so gibt es hier eine klare gesetzliche Grundlage. Sie wissen, dass für die Festsetzung der Rundfunkgebühren der Stiftungs­rat verantwortlich ist. Das war Teil der ORF-Reform – eine Verstärkung der Unab­hängigkeit des ORF –, „Weg von der Politik“ war seinerzeit die Devise. Ich halte diesen Zustand für sinnvoll und bin der Meinung, dass die ORF-Gebühren eine wesentliche Grundlage dafür sind, einen unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu sichern.

Im Übrigen habe ich, Herr Abgeordneter, mit Interesse zur Kenntnis genommen, dass Sie all das, was es noch nicht gibt, mit der Beifügung „Geister-“ bezeichnen, was vielleicht für zukunftsorientierte Diskussionen durchaus interessant ist.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Weitere Zusatzfrage? – Herr Abgeordneter Brosz, bitte.

 


Abgeordneter Dieter Brosz (Grüne): Herr Bundeskanzler! Wir haben in Österreich die Situation, dass diverse medienrechtliche Urteile hinsichtlich der Meinungsfreiheit offen­bar nicht dem europäischen Standard entsprechen. Das zeigt sich dadurch, dass der Europäische Gerichtshof die Meinungsfreiheit wesentlich weiter auslegt und dass Urteile, die in Österreich getroffen werden, immer wieder aufgehoben werden.

Sehen Sie als Bundeskanzler die Notwendigkeit, hier die gesetzlichen Bedingungen in Österreich zu verbessern, damit dieses ständige Overrulen der österreichischen Gerichte in Zukunft nicht mehr notwendig ist?

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundeskanzler, bitte.

 


Bundeskanzler Dr. Alfred Gusenbauer: Es ist immer unangenehm, wenn der Euro­päische Gerichtshof oder überhaupt europäische Institutionen österreichische Schieds­sprüche in dieser Frage aufheben. Ich glaube, man muss das ernst nehmen. Ich habe


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es daher auch für sinnvoll erachtet, dass gerade dieser Umstand in der Diskussion über die unabhängige Medienbehörde miteinbezogen wird, denn unser Bestreben ist es natürlich, die Qualität der Meinungsvielfalt in Österreich nicht einzuschränken, son­dern zu verbessern. Genau dazu soll diese unabhängige Medienbehörde beitragen. Selbstverständlich werden wir auch die Spruchpraxis Europas in diesem Zusam­men­hang berücksichtigen.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Weitere Zusatzfrage? – Klubobmann Dr. Cap, bitte.

 


Abgeordneter Dr. Josef Cap (SPÖ): Herr Bundeskanzler, teilen Sie auch die Meinung, dass die unabhängige Medienbehörde die Unabhängigkeit des ORF nicht beschneiden soll?

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Bitte, Herr Bundeskanzler.

 


Bundeskanzler Dr. Alfred Gusenbauer: Der ORF ist eine ganz wichtige Institution zur Garantie der Meinungsvielfalt in Österreich. Er ist eine öffentlich-rechtliche Anstalt in einem breiten Meer von privatwirtschaftlich organisierten Medien in unserem Land. Für die Vielfalt der Meinungen ist die Unabhängigkeit des ORF von entscheidender Bedeutung. Letztendlich stehen die Meinungsvielfalt und die Pluralität in unserem Land in Zusammenhang mit einem unabhängigen ORF. Ich bin daher der Meinung, dass eine solch unabhängige Medienbehörde zu einer Stärkung der Unabhängigkeit des ORF und nicht zu deren Einschränkung führen soll.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Wir gelangen nun zur 3. Anfrage, 24/M, des Herrn Abgeordneten Dr. Pirklhuber. – Bitte, Herr Abgeordneter.

 


Abgeordneter Dipl.-Ing. Dr. Wolfgang Pirklhuber (Grüne): Guten Morgen! Herr Bundeskanzler, meine Frage lautet:

24/M

„Welche politischen Aktivitäten haben Sie persönlich auf europäischer Ebene bisher unternommen, um das Selbstbestimmungsrecht der Regionen auf eine gentechnikfreie Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion rechtlich abzusichern?“

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Bitte, Herr Bundeskanzler.

 


Bundeskanzler Dr. Alfred Gusenbauer: Ich halte das für eine wichtige Thematik und unterstütze die sehr restriktive Haltung der österreichischen Bundesländer in diesem Zusammenhang, die ja in Bezug auf die Handhabung gentechnisch veränderter Organismen innerhalb der Regionen gentechnikfreie Zonen benannt haben. Es gibt ja auch das Netzwerk dieser gentechnikfreien Zonen, das ich für außerordentlich wichtig halte.

Ich kann Ihnen auch versichern, dass der dafür zuständige Bundesminister Pröll ver­sucht, diese Grundgedanken, die von den österreichischen Bundesländern formuliert werden, im Rahmen der Europäischen Union abzusichern. Bei den Kontakten auf meiner Ebene versuche ich, dieses Bestreben zu unterstützen. Eine der Möglichkeiten, die sich dabei bieten wird, ist nächste Woche bei meinem Zusammentreffen mit dem französischen Präsidenten Sarkozy, weil Frankreich in dieser Frage die genau gleiche Haltung wie Österreich vertritt und wir hier gemeinsame Sache machen können.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Zusatzfrage? – Bitte, Herr Abgeordneter.

 


Abgeordneter Dipl.-Ing. Dr. Wolfgang Pirklhuber (Grüne): Herr Bundeskanzler, Sie haben die französische Position angesprochen. Präsident Sarkozy hat ja den Anbau von Gentechnikpflanzen in Frankreich gestoppt. Außerdem wissen Sie ganz konkret,


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dass vor Kurzem die österreichische Position in Bezug auf Importverbote vom Umweltministerrat auf EU-Ebene nicht unterstützt wurde.

Daher meine Frage: Welche konkreten Maßnahmen wird Österreich bis zum 21. No­vem­ber unternehmen, um zu verhindern, dass die österreichischen Gentechnik­import­verbote durch die EU-Kommission aufgehoben werden?

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Bitte, Herr Bundeskanzler.

 


Bundeskanzler Dr. Alfred Gusenbauer: Der Punkt ist, Herr Abgeordneter, dass unser Umweltminister Josef Pröll in dieser Frage eigentlich sehr erfolgreich war, weil es eine breite Unterstützung für die österreichische Position gegeben hat. Das Prob­lem war nur, dass es zwar eine Mehrheit, aber nicht die erforderliche Mehrheit gegeben hat, um das zu verhindern.

Die Mehrheit der Stimmen hat aber die österreichische Haltung unterstützt. Das ist, glaube ich, ein sehr wichtiges und gutes Zeichen. Aufbauend auf diese Mehrheit der Stimmen in den Mitgliedstaaten werden wir jetzt natürlich versuchen, den Druck auf die Kommission zu verstärken, weil wir der Meinung sind, dass etwas geschehen muss, wenn es eine so breite Meinungsäußerung gibt.

Außerdem hat sich in den letzten Jahren eine Meinungsänderung niedergeschlagen. Sie wissen selbst, dass wir als Österreicher eigentlich Pioniere in dieser Angelegenheit waren und lange Zeit allein auf weiter Flur gestanden sind. In der Zwischenzeit können wir bereits eine Mehrheit organisieren – noch keine ausreichende, aber eine Mehr­heit –, und der nächste Schritt ist, dass wir eine ausreichende Mehrheit organisieren. Ich bin guter Hoffnung, dass uns das auch aufgrund der französischen Unterstützung gelingen wird.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Weitere Zusatzfrage? – Herr Abgeordneter Gaßner, bitte.

 


Abgeordneter Mag. Kurt Gaßner (SPÖ): Herr Bundeskanzler, es ist gut für Öster­reich, Sie und Herrn Bundesminister Pröll im Zusammenhang mit der Diskussion betreffend Gentechnikfreiheit in Europa zu wissen, allerdings gibt es ein Problem: Herr Vizekanzler Molterer hat in einer Aussage gemeint, dass die Gentechnikfreiheit bei nachwachsenden Rohstoffen durchaus auch in Österreich möglich wäre. – Ist dies Konsens in der Regierung?

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Bitte, Herr Bundeskanzler.

 


Bundeskanzler Dr. Alfred Gusenbauer: Mir ist diese Aussage des Herrn Vize­kanzlers nicht bekannt. Was ich Ihnen aber mitteilen kann, Herr Abgeordneter, ist, dass es in der österreichischen Bundesregierung keinen Vorstoß zur Änderung unserer bis­herigen Gesetzeslage gibt.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Weitere Zusatzfrage? – Herr Abgeordneter Jakob Auer, bitte.

 


Abgeordneter Jakob Auer (ÖVP): Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Zur Stärkung der ländlichen Regionen in Österreich ist der kürzlich genehmigte „Grüne Pakt“ mit 3,9 Milliarden € an reinen EU-Mitteln ein wichtiges Instrument. Im Zuge der EU-Budgetverhandlungen 2005 gab es verschiedene Kürzungsvorschläge, Tatsache ist aber, dass 3,9 Milliarden möglich wurden.

Wie beurteilen Sie dieses Impulsprogramm, und welche Chancen geben Sie ihm für die Zukunft?

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundeskanzler, bitte.

 



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Bundeskanzler Dr. Alfred Gusenbauer: Herr Abgeordneter, das wird wahrscheinlich eine der Hauptauseinandersetzungsfragen bei der ab dem Jahr 2008 beginnenden Diskussion über die Finanzrevision sein. Sie wissen, dass der EU-Finanzplan an sich beschlossen ist, es aber Teil des seinerzeitigen Kompromisses war, dass bereits frühzeitig über eine Revision des Finanzplans verhandelt wird. Dabei ist mit Sicherheit damit zu rechnen, dass es Vorstöße von jenen Ländern geben wird, die nicht so stark von den Landwirtschaftszahlungen profitieren wie zum Beispiel Österreich, diese Mittel zu reduzieren.

Wir werden uns in Österreich genau überlegen müssen, wie wir uns positionieren. Zum einen gehören wir der Gruppe der Nettozahler an und sind daher klarerweise daran interessiert, dass unsere Nettozahlungen limitiert sind und sich nicht erhöhen. Anderer­seits gehören wir zur Gruppe jener Länder, die überproportional von den Landwirt­schaftsprogrammen der Europäischen Union profitieren, was natürlich Hauptangriffs­punkt der anderen sein wird.

Wir haben es hier daher mit zwei Interessen zu tun, die nicht von vornherein deckungs­gleich sind. Wir werden uns daher darauf einstellen, uns mit den Staaten, die in derselben Position sind wie wir – nämlich erstens Nettozahler und zweitens Profiteure der Landwirtschaftszahlungen –, zu einer Gruppe zusammenzuschließen und zu ver­suchen, unsere gemeinsamen Interessen bei diesen sicherlich sehr komplizierten Verhandlungen durchzusetzen.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Weitere Zusatzfrage? – Frau Abgeordnete Haubner, bitte.

 


Abgeordnete Ursula Haubner (BZÖ): Herr Bundeskanzler, über 1,2 Millionen Men­schen haben vor zehn Jahren das Gentechnik-Volksbegehren unterschrieben und damit der Gentechnik in Österreich eine klare Absage erteilt.

Meine Frage an Sie: Welche Initiativen haben Sie bisher auf europäischer Ebene gesetzt, damit besonders engagierte Bundesländer und Regionen wie zum Beispiel Oberösterreich auch in Zukunft ihre Landwirtschaft gentechnikfrei halten können?

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundeskanzler, bitte.

 


Bundeskanzler Dr. Alfred Gusenbauer: Sehr geehrte Frau Abgeordnete, schön, dass Sie das Gentechnik-Volksbegehren erwähnen. Ich war einer der 1,2 Millionen Menschen, die seinerzeit unterschrieben haben – Sie auch, nehme ich an. Es hat sich gezeigt, dass das eine gute und wichtige Initiative war, denn wie ich bereits auf die Anfrage des Herrn Abgeordneten Pirklhuber sagen durfte, ist es uns in den letzten Jahren ja gelungen, in Europa in der Frage der Gentechnik eine breite Koalition zusam­menzubekommen. Anfangs waren wir allein, und jetzt sind wir bereits die Mehr­heit.

Ich bin sehr froh darüber, dass wir in der Bundesregierung gemeinsam mit Bundes­minister Pröll diese Initiativen setzen, die ich auf Ebene der Staats- und Regierungs­chefs inhaltlich voll unterstütze. Wir haben jetzt bereits eine Mehrheit erreicht, brauchen aber eine qualifizierte Mehrheit, um tatsächlich zu neuen Beschlussfas­sungen zu kommen. Ich habe den Eindruck, dass wir nicht mehr weit davon entfernt sind.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Zusatzfrage? – Herr Abgeordneter Dipl.-Ing. Klement, bitte.

 


Abgeordneter Dipl.-Ing. Karlheinz Klement, MAS (FPÖ): Herr Bundeskanzler! Welche Initiativen hat die Bundesregierung vor zu setzen, um die breite Öffentlichkeit in Österreich über die Gefahren der grünen Gentechnik zu informieren? – Dies vor


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allem in Anbetracht der Tatsache, dass doch sehr viele Vereine, die für die Gentechnik arbeiten, Unterstützung von der öffentlichen Hand erfahren, und die Vereine, die gegen die Gentechnik arbeiten, oft leer ausgehen.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Bitte, Herr Bundeskanzler.

 


Bundeskanzler Dr. Alfred Gusenbauer: Herr Abgeordneter! Zumindest was die Sub­ventionsvergabe der Bundesregierung betrifft, kann ich das nicht nachvollziehen. Sie werden im Subventionsbericht feststellen, dass wir – ganz im Gegenteil – jene Initi­ativen sehr stark unterstützen, die in die gentechnikfreie Richtung gehen. Diese Vor­gangsweise ist auch mit den österreichischen Bundesländern akkordiert, die ja ausschließlich solche Initiativen unterstützen.

Ich glaube, dass die Informationspolitik der Bundesregierung sowie vieler anderer dazu geführt hat, dass wir in Österreich einen sehr, sehr breiten Konsens in der Bevölkerung haben, was die Nutzung von Gentechnik im landwirtschaftlichen Bereich betrifft, und dass die österreichische Bevölkerung in dieser Hinsicht wahrscheinlich zu den sen­sibelsten in ganz Europa gehört.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Wir kommen zur 4. Anfrage, 8/M, des Herrn Abgeordneten Gradauer. – Bitte, Herr Abgeordneter.

 


Abgeordneter Alois Gradauer (FPÖ): Guten Morgen, Herr Bundeskanzler! Meine Frage lautet:

8/M

„Welche Maßnahmen zur Realisierung einer tiefgreifenden Staats- und Verwal­tungsreform sind von Ihnen – insbesondere vor dem Hintergrund der Erkenntnisse des Ö-Konvents, der WKÖ und des IHS, durch eine Verwaltungsreform bis zu 3 Mil­liarden € jährlich einsparen zu können – in Aussicht genommen?“

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Bitte, Herr Bundeskanzler.

 


Bundeskanzler Dr. Alfred Gusenbauer: Sehr geehrter Herr Abgeordneter! Die öster­reichische Bundesregierung hat es sich zur Aufgabe gemacht, das wirklich breite Paket an Vorschlägen, die der Konvent erarbeitet hat, zu diskutieren und zu versuchen, dem Parlament Vorschläge über Verfassungsänderungen zu machen. Wir haben in diesem Sommer als ersten Teil das große Wahlrechtspaket beschlossen, das der österreichi­sche Nationalrat bereits beschlossen hat.

Das zweite Paket ist gestern durch den Ministerrat gegangen, nämlich das Paket, das die Verfassungsbereinigung betrifft – mit rund 1 000 Verfassungsbestimmungen, inklu­sive der Regelungen, die den neuen Asylgerichtshof betreffen. Dieses Paket wird dem Nationalrat in diesem Herbst zur Verfügung stehen, zur Beratung und zur Beschluss­fassung.

Als drittes Paket haben wir für den Beginn des nächsten Jahres die Reform der gesamten Verwaltungsgerichtsbarkeit in Aussicht genommen, das heißt auch Einfüh­rung der Landesverwaltungsgerichtshöfe, Bundesverwaltungsgericht und Ähnliches, um zu einer effizienteren Organisation der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Österreich zu kommen.

Das heißt, wir werden Schritt für Schritt versuchen, dieses große Konvolut des Verfassungskonvents abzuarbeiten und in einzelnen, sachlich determinierten Paketen dem Parlament vorzulegen. Wie gesagt, die ersten zwei Pakete sind absolviert. Sie können sich bereits auf das dritte Paket zu Beginn des nächsten Jahres freuen.

 



Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 22

Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gradauer? – Bitte.

 


Abgeordneter Alois Gradauer (FPÖ): Angesichts dieser großen Einsparungs­poten­ziale, der derzeit ausgezeichneten Konjunkturlage und der daraus resultierenden spru­delnden Steuereinnahmen frage ich: Wann, Herr Bundeskanzler, rechnen Sie als Chef dieser Bundesregierung mit einem ausgeglichenen Staatsbudget beziehungs­weise sogar mit einem Überschuss im Staatshaushalt? Denn es muss irgendwann gelingen, nach vielen, vielen 

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Abgeordneter, die Frage bitte!

 


Abgeordneter Alois Gradauer (FPÖ) (fortsetzend):  die Staatsschulden wieder zu reduzieren. – Das war die Frage, Frau Präsidentin.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Gut, pardon! – Bitte, Herr Bundeskanzler.

 


Bundeskanzler Dr. Alfred Gusenbauer: Sehr geehrter Herr Abgeordneter, wie Sie wissen, gibt es auch mehrere wichtige ökonomische Zielsetzungen. Zum einen gibt es die Zielsetzung, selbstverständlich das Budget zu konsolidieren. Die zweite Zielsetzung ist es, die Zukunftsinvestitionen zu tätigen, vor allem in Forschung und Entwicklung, in Bildung, in Infrastruktur, um nachhaltig das Wirtschaftswachstum in Österreich zu erhalten. Die dritte Zielsetzung ist mit Sicherheit die, eine Steuerreform durchzuführen, damit es zu einer Entlastung der Bürgerinnen und Bürger kommt.

Wir haben uns bei diesen drei wesentlichen Zielsetzungen dafür entschieden, die ersten beiden Ziele am Beginn und das dritte Ziel am Ende der Legislaturperiode zu erfüllen.

Sie sprechen die günstige Wirtschaftsentwicklung an, die natürlich dazu führt, dass sich der Staatshaushalt noch besser entwickelt, als das im Budget vorgesehen ist. Wie Sie sich erinnern, sind wir zu den Budgetberatungen hier ins Parlament gekommen und haben für das heurige Jahr noch mit einem Budgetdefizit von etwa 0,9 Prozent gerechnet.

Ziel war es, im Jahr 2010 das erste Mal einen Überschuss zu erreichen, der allerdings nur fiktiv wäre, weil wir ja denken, im Jahr 2010 eine Steuerentlastung im Ausmaß von etwa 3 Milliarden € durchzuführen, also 1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes.

Es kann aber durchaus sein, dass aufgrund der günstigen Wirtschaftsentwicklung, wenn sie weiter so anhält, das Nulldefizit bereits früher eintritt. Mich würde es nicht wundern, wenn das Budgetdefizit bei der Endabrechnung im heurigen Jahr nicht 0,9 Prozent beträgt, also ein Erfüllungsdefizit, sondern vielleicht sogar nur 0,5 oder 0,4 Prozent. Ich halte das für nicht ausgeschlossen.

Wir wissen es letztendlich noch nicht, aber es ist sicher deutlich besser, als wir selbst angenommen haben. Daher ist es unter Umständen möglich, dass das Nulldefizit bereits vor dem Jahr 2010 erreicht wird, was mit Sicherheit eine erfreuliche Entwick­lung ist, weil es damit den Handlungsspielraum der Politik für Maßnahmen, ganz gleich, welcher Form, wieder vergrößert, und natürlich daher auch dem Parlament die Möglichkeit für alle möglichen zusätzlichen Initiativen bietet.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Weitere Zusatzfrage? – Herr Abgeordneter Mag. Steinhauser, bitte.

 


Abgeordneter Mag. Albert Steinhauser (Grüne): Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Es gibt keine Bundesregierung der letzten Jahre, die uns nicht große Einsparungen über eine Verwaltungsreform versprochen hat; meist sind diese Einsparungspotenziale dann ausgeblieben.


Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 23

Daher meine Frage ganz konkret – Sie haben drei Vorhaben genannt, die bereits in der Umsetzungsphase sind –: Welches Einsparungspotenzial wurde durch die Wahlrechts­reform, den Asylgerichtshof und den Verwaltungsgerichtshof erzielt beziehungsweise wird erzielt?

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Bitte, Herr Bundeskanzler.

 


Bundeskanzler Dr. Alfred Gusenbauer: Herr Abgeordneter, Sie haben recht: Die Verwaltungseinsparung ist ein zähes Thema, das muss man ganz unumwunden zuge­ben. Ich sage Ihnen auch, ohne jetzt zu sehr aus dem Nähkästchen der Bundes­regierung plaudern zu wollen (Abg. Scheibner: Das wäre aber sehr interessant, Herr Bundeskanzler!) – ich sage ja auch etwas dazu, Herr Abgeordneter Scheibner –, dass das natürlich auch die spannendsten Ministerratssitzungen der Bundesregierung sind, wenn wir darauf hinweisen, dass die einzelnen Bundesminister die selbst gestellten Zielsetzungen, die wir mit ihnen vereinbart haben, auch entsprechend zu erfüllen haben. Da wird es dann meistens sehr ruhig. Daher weiß jeder, wie zäh diese Dis­kussionen sind. Aber sowohl der Vizekanzler als auch ich sind in dieser Frage sehr konsequent und bestimmt, weil wir der Meinung sind, dass wir die Effizienz unserer Verwaltung, und zwar auch auf Basis der bestehenden Gesetzeslage, weiter verbessern können.

Was dazukommt, ist, dass wahrscheinlich die größte Verwaltungseinsparung durch eine Veränderung der Kompetenzlage erfolgen kann. Wir sind in nicht sehr einfachen Verhandlungen mit den österreichischen Bundesländern, weil wir hier natürlich den Konsens mit den Bundesländern brauchen. Das sind letztendlich Materien, die die Grundfesten der Bundesverfassung betreffen. Was wir ohne Verfassungsänderungen machen können, versuchen wir derzeit, aber größere Einsparungen sind dann möglich, wenn es einen Konsens auch mit den Bundesländern gibt. Daran versuchen wir zu arbeiten, und wenn Sie uns dabei unterstützen, wird uns das sicher helfen. (Abg. Kickl: Die Summe haben Sie vergessen!)

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Weitere Zusatzfrage? – Herr Abgeordneter Mag. Donnerbauer, bitte.

 


Abgeordneter Mag. Heribert Donnerbauer (ÖVP): Sehr geehrter Herr Bundes­kanzler, es gibt noch ein spannendes Feld im Bereich der Verwaltungsreform. Im Rahmen des Finanzausgleichs, der ja vor wenigen Monaten vereinbart wurde, wurden mit den Bundesländern auch Vereinbarungen über eine Verwaltungsreform, insbeson­dere im Bereich des Pensionsrechts, getroffen.

Wie werden Sie sicherstellen, was werden Sie unternehmen, dass auch in den SPÖ-geführten Bundesländern Burgenland, Salzburg und Wien, wo dies laut Rechnungshof bisher noch nicht geschehen ist, diese Vereinbarungen auch umgesetzt werden?

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundeskanzler, bitte.

 


Bundeskanzler Dr. Alfred Gusenbauer: Sehr geehrter Herr Abgeordneter! Teil des Finanzausgleichs sind eine Reihe von Artikel-15a-Vereinbarungen und politischen Vereinbarungen zwischen der Bundesregierung und den einzelnen Bundesländern. Ein Teil betrifft auch die Durchführung der Verwaltungsreform und Veränderungen, was das Pensionssystem auf Landesebene betrifft. Die Bundesregierung wird darauf Wert legen, dass alle Bundesländer – ausnahmslos – die im Finanzausgleich getroffenen Vereinbarungen über die Durchführung von Pensionsreformen einhalten.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Eine weitere Zusatzfrage? – Herr Abgeordneter Scheibner, bitte.

 



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Abgeordneter Herbert Scheibner (BZÖ): Herr Bundeskanzler! Bis jetzt haben wir ja leider nur von der Öffentlichkeit von den Initiativen zur Verwaltungsreform erfahren, ganz im Gegensatz zu früher, wo der Verfassungskonvent ja ein öffentliches Ereignis war.

Werden Sie dafür sorgen, dass etwa im Bereich der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern endlich sinnvolle und auch international vergleichbare Strukturen eingeführt werden, sodass es nicht so wie bisher etwa neun verschiedene Bauord­nungen in Österreich gibt?

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundeskanzler, bitte.

 


Bundeskanzler Dr. Alfred Gusenbauer: Sehr geehrter Herr Abgeordneter! Wie Sie als verfassungsfirmer Abgeordneter dieses Hauses wissen, ist das keine unilaterale Entscheidung des Bundeskanzlers, sondern eine Entscheidung des Verfassungs­gesetz­gebers und, was die Kompetenzen betrifft, auch zustimmungspflichtig durch die österreichischen Bundesländer. Das heißt, hier kann es keine einseitigen Verän­derungen geben, sondern das Einzige, was es geben kann, ist ein Konsens. Es wird versucht, diesen mit den Bundesländern herzustellen. Sobald es einen Konsens mit den Bundesländern gibt, werden wir unsere Vorschläge dem Hohen Haus zur weiteren Beratung übermitteln.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Wir kommen zur 5. Anfrage, 11/M, des Herrn Abgeordneten Mag. Johann Maier an den Bundeskanzler. – Bitte, Herr Abgeordneter.

 


Abgeordneter Mag. Johann Maier (SPÖ): Guten Morgen, Herr Bundeskanzler! Wir haben in diesem Haus einstimmig das Anti-Doping-Bundesgesetz beschlossen. Die Diskussion geht weiter.

Meine konkrete Frage:

11/M

„Wie ist der aktuelle Stand der Anti-Doping-Initiativen der Bundesregierung?“

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundeskanzler, bitte.

 


Bundeskanzler Dr. Alfred Gusenbauer: Sehr geehrter Herr Abgeordneter, Sie haben darauf hingewiesen, dass der Nationalrat bereits drei Vorlagen zu diesem Thema im heurigen Jahr beschlossen hat, nämlich das Internationale Übereinkommen gegen Doping im Sport, das Bundesgesetz über die Bekämpfung von Doping im Sport und darüber hinausgehend finanzielle Vorsorgen im Rahmen einer Änderung des Bundes-Sportförderungsgesetzes.

Wir nehmen den Kampf gegen Doping außerordentlich ernst, weil Doping echtes Gift für den Sport ist, und zwar in mehrerlei Hinsicht: Es ist von der gesundheitspolitischen Position her abzulehnen, und darüber hinausgehend nimmt es dem Sport auch sehr viel an Faszination, denn wenn die Menschen den Eindruck haben, dass der Wett­bewerb nicht mit fairen Mitteln stattfindet, wird dem Spitzensport, wenn man so will, seine Grundessenz genommen. Daher ist es ganz wichtig, dass wir in Österreich in dieser Frage, was Doping betrifft, sauber sind. Die Vorfälle, die es in der Vergan­genheit gegeben hat, waren unangenehm, sind allen Beteiligten unangenehm, und es war daher sehr wichtig, dass das österreichische Parlament rasch zu gesetzlichen Veränderungen gekommen ist.

Wir haben in diesem Zusammenhang eine sehr gute Kooperation mit den Sport­organisationen in Österreich, die sich das auch zu einem gemeinsamen Thema gemacht haben. Es ist auch bei der Landessportreferentenkonferenz Anfang Septem-


Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 25

ber diese Frage diskutiert worden. Und ganz wesentlich ist, dass wir jetzt eine unabhängige Kontrolleinrichtung bekommen, nämlich die NADA, die wir im nächsten Jahr schaffen werden, damit es auch eine medizinisch effiziente Kontrolle geben kann und, wenn möglich, Dopingfälle zumindest im österreichischen Sport in Zukunft aus­geschlossen sind.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Zusatzfrage? – Bitte, Herr Abgeordneter.

 


Abgeordneter Mag. Johann Maier (SPÖ): Herr Bundeskanzler! Im Weißbuch Sport wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Personen, die Suchtmittel bezie­hungs­weise Dopingwirkstoffe verkaufen, stärker verfolgt werden sollen.

Wie steht Österreich zu diesen Vorschlägen, auf europäischer Ebene gemeinsam im Anti-Doping-Kampf tätig zu werden?

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundeskanzler, bitte.

 


Bundeskanzler Dr. Alfred Gusenbauer: Herr Abgeordneter, wir haben bisher die Linie verfolgt, dass wir für strenge Strafen sind für diejenigen, die Dopingmittel verab­reichen. Wir sind aber gegen eine Kriminalisierung der Sportler, weil bei all dem, was es heute im Sport gibt, Sportler selbst manchmal wirklich sehr schwer einschätzen können, welche Mittel erlaubt sind, welche gerade noch erlaubt sind, welche verboten sind. Als Sportfunktionär wissen Sie, in welcher sehr stark abhängigen Position Sport­ler in dieser Frage sind. Wenn ein Sportler beim Doping erwischt wird, dann ist er ohnehin für sein Leben bestraft, weil dadurch sozusagen sein Lebenssinn über Jahr­zehnte zerstört wird. Daher sind wir gegen die Kriminalisierung der Sportler, aber für eine strenge Verfolgung all jener, die für die Verabreichung von Doping verant­wortlich sind.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Weitere Zusatzfrage? – Frau Abgeordnete Mikesch, bitte.

 


Abgeordnete Adolfine Herta Mikesch (ÖVP): Herr Bundeskanzler! Mit dem Anti-Doping-Gesetz in Österreich haben wir im europäischen Vergleich eine hervorragende Regelung getroffen.

Wodurch unterscheidet sich dieses neue österreichische Gesetz von den Anti-Doping-Bestimmungen in Deutschland?

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundeskanzler, bitte.

 


Bundeskanzler Dr. Alfred Gusenbauer: Sehr verehrte Frau Abgeordnete! Die deut­schen Regelungen gehören mit zu den strengsten, unterscheiden sich aber zum Bei­spiel von den italienischen Bestimmungen dadurch, dass sie nicht in das Strafrecht eingreifen.

Wir haben uns daher bei unseren Anti-Doping-Bestimmungen eher an dem deutschen Vorbild orientiert als am italienischen, weil wir glauben, dass die italienische Gesetz­gebung in dieser Frage zu weit geht, weil sie zu einer zu starken Kriminalisierung vor allem der betroffenen Sportler führt, und das halten wir nicht für den richtigen Weg.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Weitere Zusatzfrage? – Herr Klubobmann Westenthaler, bitte.

 


Abgeordneter Ing. Peter Westenthaler (BZÖ): Ich knüpfe gleich da an. Sie haben es gerade selbst gesagt, in den einzelnen Ländern der Europäischen Union gibt es, vor allem was das Strafrecht anlangt, große Unterschiede. In Italien beispielsweise wird es sehr streng gehandhabt, in anderen Ländern weniger streng.


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Finden Sie es nicht auch für die Sportler, die den Sport ausüben sollen, unzumutbar, all diese regionalen und landesspezifischen Unterschiede zu kennen, je nachdem, wo eine Veranstaltung stattfindet? Wäre es nicht an der Zeit, auf europäischer Ebene, was das Strafrecht anlangt, eine Vereinheitlichung zu erreichen?

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundeskanzler, bitte.

 


Bundeskanzler Dr. Alfred Gusenbauer: Herr Abgeordneter, das ist eine ganz wichtige Frage. Die Vereinheitlichung gibt es nämlich auf der Ebene, dass überall gleiche Grundlagen dafür gelten, was Doping ist, weil das von den internationalen Sportverbänden festgelegt wird. Das heißt, ein Sportler, der in Österreich, in Italien oder in Frankreich antritt, weiß ganz genau, dass hier überall das Gleiche gilt. Was unterschiedlich ist, ist die Ahndung von verschiedenen Doping-Fällen, wie halt über­haupt das Strafrecht oder die strafrechtlichen Ausmaße in den einzelnen europäischen Ländern unterschiedlich sind. Das ist nicht nur beim Doping so, sondern auch in einer Reihe von anderen Fragen. Ich glaube kaum, dass wir in absehbarer Zeit zu einer Vereinheitlichung kommen.

Mir fällt auch gerade ein – weil Sie Italien angesprochen haben –, wie gefährlich in Wirklichkeit die Kriminalisierung der Sportler in diesem Zusammenhang ist. Es hat sich erst vor zwei Wochen herausgestellt, dass sich ein Urteil gegen einen spanischen Fußballspieler, der in Italien tätig war, als Fehlurteil herausgestellt hat und der betref­fende Spieler jetzt, glaube ich, vier Jahre danach, rehabilitiert wurde. – Ich frage Sie: Was hat jemand davon, wenn er als Sportler nach vier Jahren rehabilitiert wird und bis dahin strafrechtlich inkriminiert ist? Daran sieht man, was alles zerstört werden kann, wenn man zu stark in Richtung Kriminalisierung der Sportler geht. Eigentlich geht die internationale Diskussion in der Frage nicht in Richtung des italienischen Vorbildes.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Weitere Zusatzfrage? – Herr Abgeordneter Kickl, bitte.

 


Abgeordneter Herbert Kickl (FPÖ): Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Eine be­stimmte Häufung von Doping-Fällen im Radsport hat in den letzten Monaten dazu geführt, dass öffentlich-rechtliche Fernsehanstalten in der Bundesrepublik Deutschland quasi über Nacht die Berichterstattung eingestellt haben und damit – man kann dar­über diskutieren – einen Schaden oder Nichtschaden angerichtet haben.

Jetzt würde mich interessieren, wie Sie die Rolle des Österreichischen Rundfunks als öffentlich-rechtliche Anstalt im Zusammenhang mit der Übertragung von Sportereig­nissen sehen, die Doping-gefährdet/nicht Doping-gefährdet sein könnten.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundeskanzler, bitte.

 


Bundeskanzler Dr. Alfred Gusenbauer: Herr Abgeordneter, der Radsport ist ein gutes Beispiel, um zu erkennen, welches Gift Doping für den Sport ist. Das ist eine hochattraktive Sportart. Gerade die großen Tourveranstaltungen sind über Jahre mit großem Interesse und großer Begeisterung von der Sportwelt verfolgt worden, aber diese nachhaltigen Dopingfälle haben dazu geführt, dass es zu einem umfassenden Einbruch gekommen ist, was das öffentliche Interesse betrifft. Gerade die Zuschauer­zahlen sind in einzelnen Ländern rapide zurückgegangen, weil die Menschen Sport, der auf unfairer Basis stattfindet, nicht wollen.

Daher ist die Entscheidung, die zum Beispiel in Deutschland getroffen wurde, in beide Richtungen zu verstehen, nämlich erstens, dass Deutschland keinen Beitrag dazu leisten möchte, dass Doping-Sportarten promotet werden, und auf der anderen Seite ist es auch das Ergebnis eines Rückgangs des Seherinteresses in Deutschland in Bezug auf das Radfahren gewesen. Das heißt, es hat hier beide Funktionen erfüllt.


Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 27

Was den Österreichischen Rundfunk betrifft, bin ich nicht der Meinung, dass es klug ist, grundsätzlich Sportarten danach zu taxieren, ob das jetzt eine Sportart ist, in der es Dopingfälle gegeben hat oder nicht. Das würde dazu führen, nachdem es offensichtlich schon überall Doping gegeben hat, dass es bald überhaupt keine Sportübertragungen mehr gibt. Wir haben den Österreichischen Rundfunk aufgefordert, einen Beitrag in der Bewusstseinsbildung zu leisten, was unseren Kampf gegen das Doping betrifft, damit sich nicht dort, wo Doping tatsächlich auftritt, eine Art von falscher Solidarität entwickelt. Es gibt manchmal auch unterschiedliche Toleranzen. Wenn es ein eigener Sportler ist, ist man geneigt, beim Doping viel toleranter zu sein, als wenn es ein – unter Anführungszeichen – „anderer“ ist.

Ich glaube, dass uns diese Art von falsch verstandener Solidarität nicht weiterhilft, sondern wenn es Doping gibt, dann soll mit aller Konsequenz dagegen vorgegangen werden, weil es letztendlich dem Sport nicht hilft, und dabei hat das Fernsehen eine wichtige Rolle. Ich glaube, wir sollten das eher so handhaben und nicht einzelne Sportarten diskriminieren.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Weitere Zusatzfrage? – Herr Abgeordneter Brosz, bitte.

 


Abgeordneter Dieter Brosz (Grüne): Herr Bundeskanzler, nicht zuletzt Herr Abge­ordneter Maier hat in den letzten Jahren mit Recht immer wieder darauf hingewiesen, dass ein großes Gesundheitsgefährdungspotenzial im Bereich des Dopings weniger im Spitzensport vorliegt als insbesondere im Bereich der privaten Fitnesszentren und auch im Vertrieb von Nahrungsergänzungsmitteln. Er hat mit Recht darauf hinge­wiesen, dass da zu wenig Kontrollen stattfinden.

Deshalb frage ich Sie jetzt: Gibt es, seit Sie Sportminister sind, konkrete Initiativen zur Überprüfung der Nahrungsergänzungsmittel und des Bereichs der privaten Fitness­zentren, wo diese in hohem Ausmaß vertrieben werden?

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundeskanzler, bitte.

 


Bundeskanzler Dr. Alfred Gusenbauer: Sie haben recht, dass Sie auf die Verdienste des Abgeordneten Maier verweisen, der hier in den letzten Jahren eine enorme Be­wusst­seinsbildung betrieben hat.

Das Problem, das dabei besteht – um es ganz offen zu sagen –, ist, wie weit man hier in die persönlichen Rechte, in die persönlichen Gewohnheiten von Menschen eingreift. Denn der Punkt ist der: Sobald Nahrungsergänzungsmittel zugelassen sind, darf sie auch jemand erwerben, und wenn sie jemand erwerben darf, dann darf er sie auch nehmen. Das heißt, es kommt offensichtlich zu spät, wenn man sich vorstellt, man schickt ein paar Polizisten in ein Fitnesscenter, um dort zu kontrollieren, welche Nahrungsergänzungsmittel die Leute nehmen. Das, glaube ich, würde wenig helfen. Der Ansatz muss dort stattfinden, wo es um die Zulassung solcher Nahrungs­ergänzungsmittel geht. Das ist, glaube ich, der entscheidende Punkt. Denn sobald sie zugelassen sind, kann man auch nicht verbieten, dass sie jemand nimmt.

Das Problem – um es noch mehr zu verkomplizieren – besteht ja meistens darin, dass es nicht um einzelne Stoffe geht, die eine unter Umständen negative Wirkung her­vorrufen, sondern dass es um die Kombination von Stoffen geht, die sozusagen einen körperlichen Turboeffekt auslösen. Das Problem dabei ist, dass sich das sehr schwer einer echten staatlichen Kontrolle unterziehen lässt.

Aber ich glaube, der Ansatz muss vor allem bei der Zulassung und bei der Kenn­zeichnung verschiedener Nahrungsergänzungsmittel stattfinden. Ich halte nichts davon, in Fitnesscentern mit – um es ganz drastisch zu sagen – polizeistaatlichen Methoden vorzugehen.

 



Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 28

Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Wir kommen zur 6. Anfrage, 6/M, des Herrn Abgeordneten Peter Haubner an den Bundeskanzler. – Bitte, Herr Abgeordneter.

 


Abgeordneter Peter Haubner (ÖVP): Guten Morgen, Herr Bundeskanzler! Meine Frage lautet:

6/M

„Welche Aktivitäten sind im Hinblick auf gesundheits- und bewegungsorientierte Maßnahmen im Projekt ,Fit für Österreich‘ geplant?“

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundeskanzler, bitte.

 


Bundeskanzler Dr. Alfred Gusenbauer: Sehr geehrter Herr Abgeordneter, wie Sie wissen, ist es das gemeinsame Ziel der Sportverbände in Österreich und der Bundes­regierung, die österreichische Bevölkerung zu mehr Bewegung und mehr Sport zu motivieren. Es ist leider so, dass die Bewegungsrate der österreichischen Bevölkerung in den letzten 30 Jahren doch sehr deutlich zurückgegangen ist. Das beginnt in erster Linie bei den Kindern, in den Kindergärten und in den Schulen. Daher ist eines unserer ambitioniertesten Projekte für das nächste Jahr, eine neue Form der Kooperation von Sportvereinen und Schulen herbeizuführen. Dies soll Vereinen die Möglichkeit bieten, direkt an die Schulen zu gehen, um Kinder für eine Sportart oder für Bewegung zu begeistern, gleichzeitig eigene Nachwuchsprobleme unter Umständen zu beseitigen und drittens eine bessere Auslastung zum Beispiel auch der Trainer bei den einzelnen Sportvereinen zu gewährleisten.

Sie wissen, dass beim Kongress „Fit für Österreich“ in Saalfelden erst Ende Oktober sehr weitreichende Beratungen dazu stattgefunden haben und dass über 400 Experten in 64 Arbeitskreisen ein ganzes Aktionsprogramm erarbeitet haben, wovon ich jetzt einen Teil genannt habe. Wir müssen, auch was die Zusammenarbeit mit den Gesund­heitspolitikern und den Medizinern betrifft, verstärkt Wert auf die Bewegung legen, denn das ist auch die billigste, kostengünstigste Form der Prävention.

Wenn man sich anschaut, mit welchen Zivilisationskrankheiten wir es heute zu tun haben, die eigentlich das Resultat von mangelnder Bewegung sind, dann muss man sagen, dass gegen die tatsächlichen Epidemien, die es in Europa gibt, der Schlüssel dazu ist, eine stärkere sportliche Betätigung in den Kindergärten und in den Schulen gemeinsam mit den Vereinen zu erreichen. Wie Sie wissen, sind die drei großen Sportverbände in Österreich, Sport UNION, ASVÖ und ASKÖ, hier die Bündnispartner der österreichischen Bundesregierung, die mit uns gemeinsam das gesamte Aktions­programm „Fit für Österreich“ abzuarbeiten versuchen.

Zum Glück ist es auch so, dass sich die Einnahmen für die österreichische Sport­förderung aufgrund der Erträge, die die Lotterien erwirtschaften, außerordentlich günstig gestalten und dass es uns daher gelungen ist, auch für das nächste Jahr wieder ein gesteigertes Budget für die Sportverbände zur Verfügung zu stellen, um damit gerade diese innovativen Projekte, Schule und Vereine gemeinsam, auch finan­zieren zu können. Ich bin optimistisch, dass wir in einem Stufenplan gemeinsam erreichen werden, mehr Menschen in Österreich zu Sport und Bewegung zu moti­vieren. Das ist nicht nur sinnvolle Freizeitgestaltung, sondern eine echte Frage der Gesundheit unserer Bevölkerung.

Ich möchte diese Gelegenheit jetzt auch wahrnehmen und mich bei Ihnen als einen der Präsidenten der drei großen Sportvereine ganz persönlich für die gute Kooperation zu bedanken. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Zusatzfrage? – Bitte, Herr Abgeordneter.

 



Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 29

Abgeordneter Peter Haubner (ÖVP): Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, Sie haben es erwähnt, die Sport Union und die anderen Dachverbände leisten hervorragende Arbeit; vor allem auch die Ehrenamtlichen, und das ist unbezahlbar und verdient unse­ren höchsten Dank.

Jetzt ist es so, dass es einen großen Reformprozess im österreichischen Sport geben soll. Mich würde natürlich interessieren: Wie sieht das konkrete Ziel für diesen Reform­prozess unter Berücksichtigung der Autonomie des österreichischen Sports aus?

 



Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 30

Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundeskanzler, bitte.

 


Bundeskanzler Dr. Alfred Gusenbauer: Sehr geehrter Herr Abgeordneter, wie Sie wissen, gibt es vor allem das Bedürfnis der Sportverbände, hier zu einer Veränderung zu kommen. Wir geben sehr viel Geld für Sport in Österreich aus, aber vor allem die ehrenamtlichen Funktionäre sollen sich um den Sport kümmern und nicht um den Papierkram, um es ganz offen zu sagen. Man muss manchmal schon wirklich ein Experte in der Abwicklung dieser gesamten Förderprojekte sein. Wir wollen im Zuge des gesamten Reformprozesses, bei dem es mehrere strategische Ziele gibt, unter anderem auch eine effizientere und schlankere Abwicklung der Förderprojekte er­reichen. Ich glaube, das wäre wichtig, denn dann hätten vor allem die ehrenamtlichen Funktionäre wieder mehr Zeit für den Sport.

Uns ist es wichtig, sowohl meinem Staatssekretär für Sport als auch mir, diesen Reform­prozess nicht über die Köpfe der Vereine hinweg zu machen, sondern den autonomen Sport in Österreich zu erhalten. Ich halte nichts davon, es so zu machen wie andere, nämlich einen Staatssport zu entwickeln – das hat sich nicht bewährt –, sondern wir setzen auf die Kooperation mit den Vereinen. Wir wissen, dass wir dort Veränderungsmöglichkeiten in großem Ausmaß auf allen Seiten haben, und die werden wir in einem einjährigen Diskussionsprozess gemeinsam zu erledigen ver­suchen.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Eine weitere Zusatzfrage? – Herr Abgeordneter Dolinschek, bitte.

 


Abgeordneter Sigisbert Dolinschek (BZÖ): Herr Bundeskanzler! Bewegung und Sport als Prävention hat sich bewährt. Was ist aus sonstigen Projekten und Initiativen, die der ehemalige Staatssekretär Schweitzer ins Leben gerufen hat, wie etwa die „Sport Kids“, oder etwa aus den Liese-Prokop-Schulsport-Spielen geworden?

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundeskanzler, bitte.

 


Bundeskanzler Dr. Alfred Gusenbauer: Herr Abgeordneter, keines dieser Projekte ist eingestellt worden, alle werden weitergeführt, es gibt diese Initiativen nach wie vor. Aufbauend auf diesen Initiativen habe ich darauf hingewiesen, dass wir, gerade was den Schulsport betrifft, unsere Initiativen sogar verstärken werden, weil wir der Meinung sind, dass das für die Zukunft unserer Kinder ganz wichtig ist.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Weitere Zusatzfrage? – Herr Abgeordneter Kickl, bitte.

 


Abgeordneter Herbert Kickl (FPÖ): Herr Bundeskanzler! Im Rahmen von „Fit für Österreich“ gibt es in zwei Wiener Bezirken, wenn ich richtig informiert bin, Versuchs­modelle, wo es darum geht, dass Ärzte unter gewissen Voraussetzungen, bei Risiko­faktoren, so etwas wie „Bewegung auf Krankenschein“ verschreiben können. Jetzt würde mich interessieren, wie Sie die Rolle des Sports insgesamt in Ihren gesund­heitspolitischen Überlegungen sehen und wie Sie zu Überlegungen stehen, das Versicherungsrisiko, das etwa bei Sportunfällen besteht, auf Privatpersonen abzu­wälzen.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundeskanzler, bitte.

 


Bundeskanzler Dr. Alfred Gusenbauer: Herr Abgeordneter! Die Rolle des Sports in der Gesundheitspolitik kann gar nicht hoch genug geschätzt werden; das ist die wesentlichste Form der Prävention. Wir könnten uns viele der Zivilisationskrankheiten ersparen oder sie zumindest niedrig halten, wenn es uns gelingen würde, mehr Men­schen in Österreich zu Sport und zu Bewegung zu bringen. Man kann vielleicht sogar kalkulieren, was wir, wenn 10 Prozent mehr Menschen in Österreich Bewegung machen, auf der anderen Seite an Gesundheits- und Behandlungskosten wahrschein­lich einsparen würden. Das ist ein großes Potenzial für die Gesundheitspolitik, und daher nehmen wir das außerordentlich ernst.

Die Frage der Abwälzung von Risiken bei Sportunfällen auf Privatpersonen ist ein lang diskutiertes Thema. Ich glaube, dass eine Veränderung des Versicherungsprinzips in diesem Zusammenhang relativ wenig bringt, weil die Grenzziehung außerordentlich schwierig ist und sich die Frage stellt: Wo fängt man an? Wo hört man auf? Es gibt natürlich einige Sportarten, die bekanntermaßen risikoreicher sind als andere, aber ich würde sagen, das Hauptziel sollte sein, mehr Menschen in Österreich zum Sport zu bringen, und nicht, diese Bewegung dadurch zu beeinträchtigen, indem man gleich darüber redet, für welche Art von Sport man jetzt mehr Versicherung zahlen soll.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Eine weitere Zusatzfrage? – Herr Abgeordneter Brosz, bitte.

 


Abgeordneter Dieter Brosz (Grüne): Herr Bundeskanzler! „Fit für Österreich“ ist ja letztlich der Ausfluss der gesetzlichen Regelung der Bewegungsaktivitäten des Bun­des­kanzlers. – Steht so im Gesetz.

Ein Teil davon läuft in die Projekte direkt und ein Teil davon in das Personal, in die Verwaltung. Mich würde interessieren, wie das Verhältnis ist? Wie viel Prozent dieser Mittel werden für das Personal aufgewendet, wie viel Prozent fließen wirklich in die Projekte?

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundeskanzler, bitte.

 


Bundeskanzler Dr. Alfred Gusenbauer: Ich bin gerne bereit, Herr Abgeordneter, Ihnen die präzise Zahl beizubringen. Mein Eindruck ist, so wie ich das betrachte, dass wir eine sehr schmale Verwaltung in der Sektion Sport haben und dass ein Großteil der Mittel direkt an die Sportverbände, in die einzelnen Sportprojekte geht. Aber ich liefere Ihnen den konkreten Aufteilungsschlüssel gerne nach.

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Eine weitere Zusatzfrage? – Frau Abgeordnete Schasching, bitte.

 


Abgeordnete Beate Schasching (SPÖ): Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, Sie haben den Reformprozess angesprochen, der nun eingeleitet ist und woran der organi­sierte Vereinssport sich gerne beteiligen wird. Eine sozusagen offene Wunde in dem Bereich ist auch die Beteiligung von Frauen und die Hervorhebung von Frauen- und Mädchenprojekten, wo wir doch wissen, dass vor allem dort das Problem der gesundheitlichen Schädigungen ganz besonders groß ist und wir gemeinsame Anstren­gungen unternehmen müssen, dass sich noch mehr Mädchen in den Sport bewegen.

Daher meine konkrete Frage: Werden Sie dieses Bestreben unterstützen? Werden Sie dafür sorgen, dass es auch mehr Frauen gibt, die sich für Spitzenpositionen des österreichischen Sports zur Verfügung stellen, und welche Motivationen werden Sie diesen geben?

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Herr Bundeskanzler, bitte.

 



Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 31

Bundeskanzler Dr. Alfred Gusenbauer: Die Beteiligung der Frauen im Sport ist ganz, ganz wesentlich. Die Vorbildfunktion dabei ist ganz wichtig. Leider ist Liese Prokop viel zu früh verstorben, sie war eine echte Ikone der Sportbewegung und hat durch ihre sportlichen Leistungen und auch als Funktionärin hier viel bewegt.

Ich habe diese Woche Gelegenheit gehabt, bei der Präsentation eines Olympiabuches ehemalige Olympiasiegerinnen in erster Linie zu treffen, die auch heute noch aktiv im Sport tätig sind.

Ich halte das für ganz wichtig, dass wir vor allem ehemalige Spitzensportlerinnen dazu bewegen, dass sie sich weiter in den Dienst des Sports stellen, weil diese Vorbild­wirkung vor allem für andere Frauen ganz wesentlich ist. Ich halte das für ent­scheidend! Wir werden nur dann die Zahl der Menschen, die sich in Österreich bewegen und Sport betreiben, erhöhen können, wenn wir vor allem mehr Mädchen und Frauen dazu motivieren. (Beifall bei der SPÖ.)

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Danke. – Die 60 Minuten der Fragestunde sind abgelaufen. Somit ist die Fragestunde beendet.

Vertretung von Mitgliedern der Bundesregierung

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Ich gebe nun die Vertretung von Mitgliedern der Bundesregierung, welche sich in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union aufhalten, wie folgt bekannt:

Herr Bundesminister für Inneres Günther Platter, der heute beim Rat der Justiz- und Innenminister in Brüssel ist, wird von Herrn Bundesminister Dipl.-Ing. Josef Pröll vertreten.

10.10.59Einlauf und Zuweisungen

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Hinsichtlich der eingelangten Verhandlungs­gegen­stände und deren Zuweisungen verweise ich gemäß § 23 Abs. 4 der Geschäftsordnung auf die im Sitzungssaal verteilte Mitteilung.

Die schriftliche Mitteilung hat folgenden Wortlaut:

A) Eingelangte Verhandlungsgegenstände:

1. Anfragebeantwortungen: 1358/AB und 1359/AB;

2. Regierungsvorlagen:

Bundesgesetz, mit dem das Suchtmittelgesetz (SMG), das Strafgesetzbuch, die Straf­prozessordnung 1975 und das Gesundheits- und Ernährungssicherheitsgesetz geändert werden (SMG-Novelle 2007) (301 d.B.),

Bundesgesetz, mit dem das Strafgesetzbuch, die Strafprozessordnung 1975, das Strafvollzugsgesetz, das Bewährungshilfegesetz und das Jugendgerichtsgesetz 1988 geändert werden (302 d.B.),

Berufsrechts-Änderungsgesetz 2008 – BRÄG 2008 (303 d.B.),

Bundesgesetz, mit dem das Kriegsopferversorgungsgesetz 1957, das Opferfürsorge­gesetz und das Heeresversorgungsgesetz geändert werden (304 d.B.),

Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über die Einrichtung eines Bundesinstitutes für Bildungsforschung, Innovation und Entwicklung des österreichischen Schulwesens


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erlassen wird und das Bundes-Schulaufsichtsgesetz sowie das Schulorganisations­gesetz geändert werden (BIFIE-Gesetz 2008) (306 d.B.),

Bundesgesetz, mit dem das Schulorganisationsgesetz geändert wird (307 d.B.),

Bundesgesetz, mit dem das Bankwesengesetz, das Sparkassengesetz, das Finanz­markt­auf­sichtsbehördengesetz, das Nationalbankgesetz 1984 und das Versicherungs­auf­sichtsgesetz geändert werden (313 d.B.),

Bundesverfassungsgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz geändert und ein Erstes Bundesverfassungsrechtsbereinigungsgesetz erlassen wird (314 d.B.).

B) Zuweisungen in dieser Sitzung:

zur Vorberatung:

Ausschuss für Arbeit und Soziales:

Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über Krankenanstalten und Kuranstalten, das Ärztegesetz 1998, das Privatkrankenanstalten-Finanzierungsfondsgesetz, das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz, das Bauern-Sozialversicherungsgesetz, das Beamten-Kranken- und Unfallversiche­rungsgesetz, das Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977, das Sonderunterstützungs­gesetz, das Heeresversorgungsgesetz, das Kriegsopferversorgungsgesetz 1957 und das Familienlastenausgleichsgesetz 1967 geändert werden (Bundesgesetz zur Anpas­sung von Rechtsvorschriften an die Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VG über die Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens für die Jahre 2008 bis 2013) (297 d.B.),

Bundesgesetz, mit dem das Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977, das Arbeits­markt­politik-Finanzierungsgesetz, das Arbeitsmarktförderungsgesetz, das Arbeitsmarkt­ser­vicegesetz, das Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz, das Insolvenz-Entgeltsiche­rungs­gesetz und das Einkommensteuergesetz geändert werden (298 d.B.),

Bundesgesetz, mit dem das Betriebliche Mitarbeitervorsorgegesetz, das Einkom­mensteuergesetz 1988, das ORF-Gesetz, das Journalistengesetz, das Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, das Bankwesengesetz, das Finanzmarktaufsichtsbehörden­ge­setz, das Familienlastenausgleichsgesetz, das Landarbeitsgesetz 1984 und das Kör­per­schaftssteuergesetz 1988 geändert werden  (300 d.B.),

Antrag 447/A der Abgeordneten Renate Csörgits, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Gewerb­liche Sozialversicherungsgesetz, das Bauern-Sozialversicherungsgesetz, das Allge­meine Pensionsgesetz und das Notarversicherungsgesetz 1972 geändert werden (Sozialversicherungs-Änderungsgesetz 2007 – SVÄG 2007),

Antrag 449/A der Abgeordneten Mag. Gertrude Aubauer, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Pflege-Übergangsgesetz geändert wird,

Antrag 460/A der Abgeordneten Herbert Kickl, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977, BGBl. Nr. 609/1977 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 114/2005, geändert wird;

Budgetausschuss:

Bundesgesetz, mit dem die Begründung weiterer Vorbelastungen durch den Bundes­minister für Verkehr, Innovation und Technologie genehmigt und das Bundesfinanz­gesetz 2007 geändert wird (266 d.B.),

Budgetüberschreitungsgesetz 2007 – BÜG 2007 (267 d.B.),


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Bundesgesetz, mit dem das Bundesfinanzgesetz 2008 geändert wird (BFG-No­velle 2008) (268 d.B.);

Finanzausschuss:

Bundesgesetz, mit dem das Ausfuhrförderungsgesetz für eine österreichische Entwick­lungsbank und das Bundesgesetz über die Bewilligung des Bundesvoranschlages für das Jahr 2008 (Bundesfinanzgesetz 2008) geändert werden (262 d.B.),

Bundesgesetz, mit dem das Einkommensteuergesetz 1988, das Körperschaftsteuer­gesetz 1988 und das Bundesgesetz über Sonderregelungen zur Mittelstandsfinan­zierung auf dem Gebiet der Gebühren sowie der Verkehrsteuern hinsichtlich der Vorschriften über Mittelstandsfinanzierungsgesellschaften geändert werden – Mittel­stands­finanzierungsgesellschaften-Gesetz 2007 (MiFiG-Gesetz 2007) (269 d.B.),

Abgabensicherungsgesetz 2007 – AbgSiG 2007 (270 d.B.),

Bundesgesetz, mit dem das Bankwesengesetz, das Börsegesetz, das Versiche­rungsaufsichtsgesetz, das Wertpapieraufsichtsgesetz 2007 und das Pensionskassen­gesetz geändert werden (286 d.B.),

Bundesgesetz, mit dem ein Finanzausgleichsgesetz 2008 erlassen wird sowie das Zweck­zuschussgesetz 2001, das Katastrophenfondsgesetz 1996, das Finanzaus­gleichsgesetz 2005, das Finanz-Verfassungsgesetz 1948, das Bundesgesetz BGBl. Nr. 301/1989, das Familienlastenausgleichsgesetz 1967 und das Umweltförderungsgesetz geändert werden (289 d.B.),

Vereinbarung zwischen dem Bund, den Ländern und den Gemeinden über eine Weiterführung der stabilitätsorientierten Budgetpolitik (Österreichischer Stabilitätspakt 2008) (312 d.B.),

Antrag 455/A(E) der Abgeordneten Mag. Dr. Martin Graf, Kolleginnen und Kollegen betreffend Geldwäsche,

Antrag 456/A(E) der Abgeordneten Alois Gradauer, Kolleginnen und Kollegen betref­fend Harmonisierung des OeNB-Pensionssystems,

Antrag 458/A(E) der Abgeordneten Mag. Dr. Martin Graf, Kolleginnen und Kollegen betreffend Endsendepraxis Staatskommissäre,

Antrag 459/A(E) der Abgeordneten Bernhard Themessl, Kolleginnen und Kollegen betreffend Inflationsanpassung der österreichischen Familienleistungen;

Gesundheitsausschuss:

Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über die Festlegung von Qualitäts- und Sicherheitsstandards für die Gewinnung, Verarbeitung, Lagerung und Verteilung von menschlichen Zellen und Geweben zur Verwendung beim Menschen (Gewebesicher­heitsgesetz-GSG) erlassen wird, und das Arzneimittelgesetz, das Fortpflanzungs­medizingesetz, das Gesundheits- und Ernährungssicherheitsgesetz und das Bundes­gesetz über Krankenanstalten und Kuranstalten geändert werden (261 d.B.),

Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz betreffend Datensicherheitsmaßnahmen beim elektronischen Verkehr mit Gesundheitsdaten und Einrichtung eines Infor­mationsmanagement – Gesundheitstelematikgesetz (GTelG) geändert wird (284 d.B.),

Bundesgesetz, mit dem das Tierschutzgesetz geändert wird (291 d.B.),

Veterinärrechtsänderungsgesetz 2007 (292 d.B.),

Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VG über die Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens (308 d.B.),


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Antrag 462/A(E) der Abgeordneten Dr. Dagmar Belakowitsch-Jenewein, Kolleginnen und Kollegen betreffend Gerechtigkeit in der Spitalsfinanzierung;

Ausschuss für innere Angelegenheiten:

Bundesgesetz, mit dem das Vereinsgesetz 2002 geändert wird (263 d.B.),

Bundesgesetz, mit dem das Sicherheitspolizeigesetz, das Grenzkontrollgesetz und das Polizeikooperationsgesetz geändert werden (272 d.B.),

Antrag 448/A(E) der Abgeordneten Mag. Gernot Darmann, Kolleginnen und Kollegen betreffend Navigationsgeräte für Streifen- und Einsatzfahrzeuge der Polizei,

Antrag 451/A(E) der Abgeordneten Mag. Albert Steinhauser, Kolleginnen und Kollegen betreffend generelles Verbot „privater“ Schusswaffen;

Justizausschuss:

Strafrechtsänderungsgesetz 2008 (285 d.B.),

Exekutionsordnungs-Novelle 2008 – EO-Nov. 2008 (295 d.B.),

Strafprozessreformbegleitgesetz II (299 d.B.);

Tourismusausschuss:

Antrag 463/A(E) der Abgeordneten Mag. Melitta Trunk, Franz Hörl, Mag. Gerald Hauser, Dr. Gabriela Moser, Josef Bucher, Kolleginnen und Kollegen betreffend Ver­stärkung der touristischen Vermarktung der österreichischen Nationalparks durch die Österreich Werbung;

Umweltausschuss:

Bundesgesetz, mit dem das Umweltförderungsgesetz geändert wird (260 d.B.),

Bundesgesetz, mit dem das Altlastensanierungsgesetz geändert wird (ALSAG-Novelle 2008) (271 d.B.);

Unterrichtsausschuss:

Bundesgesetz, mit dem das Bildungsdokumentationsgesetz geändert wird (259 d.B.),

Bundesgesetz, mit dem das Schulunterrichtsgesetz geändert wird (281 d.B.),

Bundesgesetz, mit dem das Schulzeitgesetz 1985 geändert wird (282 d.B.),

Antrag 452/A(E) der Abgeordneten Dieter Brosz, Kolleginnen und Kollegen betreffend Schaffung von Kompetenzzentren für inklusive Pädagogik;

Verfassungsausschuss:

Bundesgesetz, mit dem das E-Government-Gesetz geändert wird (E-GovG-No­velle 2007) (290 d.B.),

Bundesgesetz, mit dem das Signaturgesetz, das Ziviltechnikergesetz, das Rezept­pflichtgesetz sowie die Gewerbeordnung 1994 geändert werden (293 d.B.),

Verwaltungsverfahrens- und Zustellrechtsänderungsgesetz 2007 (294 d.B.),

2. Dienstrechts-Novelle 2007 (296 d.B.);

Verkehrsausschuss:

Bundesgesetz, mit dem das Flughafen-Bodenabfertigungsgesetz geändert wird (280 d.B.),


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Bundesgesetz, mit dem das Kraftfahrgesetz 1967 geändert wird (29. KFG-Novelle) (305 d.B.),

Antrag 461/A(E) der Abgeordneten Harald Vilimsky, Kolleginnen und Kollegen betref­fend eine qualitativ hochwertige, flächendeckende und allgemein erschwingliche Versorgung mit Postdienstleistungen;

Ausschuss für Wirtschaft und Industrie:

Bundesgesetz, mit dem das Wirtschaftstreuhandberufsgesetz geändert wird (279 d.B.),

Bundesgesetz, mit dem die Gewerbeordnung 1994 geändert wird (283 d.B.),

Bundesgesetz, mit dem das Ziviltechnikergesetz 1993 geändert wird (287 d.B.),

Bundesgesetz, mit dem das Bilanzbuchhaltungsgesetz geändert wird (288 d.B.);

Wissenschaftsausschuss:

Antrag 453/A(E) der Abgeordneten Dr. Kurt Grünewald, Kolleginnen und Kollegen betreffend rasche Umsetzung und Finanzierung des Kollektivvertrags,

Antrag 454/A(E) der Abgeordneten Dr. Kurt Grünewald, Kolleginnen und Kollegen betreffend bessere Vereinbarkeit von Studium und Erwerbstätigkeit,

Antrag 457/A(E) der Abgeordneten Mag. Dr. Martin Graf, Kolleginnen und Kollegen betreffend Abschaffung der Zugangsbeschränkungen für österreichische Studierende.

*****

Ankündigung einer Dringlichen Anfrage

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Der BZÖ-Klub hat gemäß § 93 Abs. 2 der Geschäftsordnung das Verlangen gestellt, die vor Eingang in die Tagesordnung ein­gebrachte schriftliche Anfrage 1906/J der Abgeordneten Ing. Westenthaler, Kollegin­­nen und Kollegen an den Herrn Bundesminister für Inneres betreffend türkisch-kur­dische Ausschreitungen in Österreich dringlich zu behandeln.

Gemäß der Geschäftsordnung wird die Dringliche Anfrage um 15 Uhr behandelt wer­den.

Fristsetzungsantrag

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Vor Eingang in die Tagesordnung teile ich weiters mit, dass Herr Abgeordneter Ing. Westenthaler beantragt hat, dem Ausschuss für Arbeit und Soziales zur Berichterstattung über den Antrag 449/A der Abgeordneten Mag. Aubauer, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Pflege-Übergangsgesetz geändert wird, eine Frist bis 3. Dezember 2007 zu setzen.

Ferner liegt das von fünf Abgeordneten gemäß § 43 Abs. 3 der Geschäftsordnung gestellte Verlangen vor, eine kurze Debatte über diesen Fristsetzungsantrag durch­zuführen.

Da für die heutige Sitzung die dringliche Behandlung einer schriftlichen Anfrage ver­langt wurde, wird die kurze Debatte im Anschluss an diese stattfinden.

Die Abstimmung über den Fristsetzungsantrag wird nach Schluss der Debatte erfolgen.

Wir gehen in die Tagesordnung ein.


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Redezeitbeschränkung

Präsidentin Mag. Barbara Prammer: In der Präsidialkonferenz wurde Konsens über Gestaltung und Dauer der Debatten erzielt.

Es wurde eine Tagesblockzeit von 7 „Wiener Stunden“ vorgeschlagen, woraus sich fol­gende Redezeiten ergeben: SPÖ und ÖVP je 102 Minuten, Grüne und FPÖ je 77 Minuten sowie BZÖ 63 Minuten.

Diese Sitzung wird vom ORF bis 13 Uhr live übertragen.

Weiters wurde folgende Redezeitvereinbarung für die Debatten in der Zeit von 10.15 Uhr bis 13 Uhr getroffen: Regierungsmitglieder mit zweimal 18 Minuten, an­schließend eine Wortmeldung pro Fraktion mit je 9 Minuten, sodann eine Wortmeldung pro Fraktion mit je 5 Minuten, wiederum eine Wortmeldung pro Fraktion mit je 5 Minuten und schließlich eine Wortmeldung pro Fraktion mit je 4 Minuten.

Vor Beginn der vorletzten Runde wird der vorsitzführende Präsident nach Rücksprache mit den Klubvorsitzenden die allenfalls verbleibende Restzeit auf die Fraktionen gleich­mäßig verteilen.

Weiters besteht Einvernehmen, dass tatsächliche Berichtigungen erst nach Been­digung der Fernsehübertragung aufgerufen werden.

Wir kommen sogleich zur Abstimmung.

Ich bitte jene Damen und Herren, die diesem Vorschlag zustimmen, um ein dies­bezügliches Zeichen. – Das ist einstimmig angenommen.

10.13.371. Punkt

Erklärungen des Bundeskanzlers und der Bundesministerin für europäische und internationale Angelegenheiten gemäß § 19 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Nationalrates zum EU-Reformvertrag

Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Wir gelangen nun zum 1. Punkt der Tages­ordnung.

Im Anschluss an diese Erklärung wird im Sinne des § 81 der Geschäftsordnung ent­sprechend dem vorliegenden Verlangen von fünf Abgeordneten eine Debatte statt­finden.

Ich erteile nun dem Herrn Bundeskanzler zur Abgabe seiner Erklärung das Wort und verweise nochmals auf die vereinbarte Redezeit. – Bitte, Herr Bundeskanzler.

 


10.14.16

Bundeskanzler Dr. Alfred Gusenbauer: Sehr verehrte Frau Präsidentin! Frau Bun­desministerin! Meine sehr verehrten Herren und Damen Abgeordneten! Wir haben bei einem informellen Treffen der Staats- und Regierungschefs und danach bei einer Regierungskonferenz gemeinsam mit den Außenministerinnen und Außenministern der Europäischen Union den Reformvertrag von Lissabon abgeschlossen. Dieser Reformvertrag ist ein nächster Schritt in der Entwicklung der Europäischen Union, der uns außerordentlich wichtig ist. (Abgeordnete der ÖVP stellen Taferln mit der Aufschrift „WIR sind EUROPA“ auf ihre Pulte.)

Sie wissen, dass die letzten Jahre dadurch gekennzeichnet waren, dass sich die Europäische Union mit sich selbst, sprich mit der Reform ihrer Institutionen aus­einandergesetzt hat, vor allem dadurch, dass der Verfassungsvertrag nicht die erfor­derliche Ratifizierung bekommen hat. Und daher muss man sagen, dass die Euro-


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päische Union für die Bürgerinnen und Bürger in den letzten Jahren oft den Eindruck erweckt hat, dass sie sich nicht mit den Problemen der Menschen, sondern eher mit ihren eigenen Problemen auseinandersetzt.

Ich halte es daher für ganz, ganz wichtig, dass es jetzt zu einem Abschluss dieser Reformdiskussionen gekommen ist, weil damit die Europäische Union wieder in einem stärken Ausmaß auch die notwendige Energie zur Verfügung hat, sich mit den großen Fragen auseinanderzusetzen, die uns letztendlich alle in Europa bewegen. Ich werde dann gleich auf ein paar dieser großen Herausforderungen zu sprechen kommen.

Lassen Sie mich aber, bevor ich auf den Vertrag und seine Veränderungen eingehe, eines auch noch deutlich sagen, weil wir manchmal eine Europadiskussion in Öster­reich führen, die meiner Meinung nach nicht genügend wertet, was wir an diesem Europa haben: Wir müssen feststellen, dass Österreich im Zentrum dieser neuen erweiterten Europäischen Union liegt und dass das für Österreich ein unschätzbarer Vorteil ist (Abg. Rosenkranz: Die geographische Lage war immer schon so!), weil er Frieden, Stabilität und Sicherheit in einem Ausmaß garantiert, wie es noch nie zuvor in unserer Geschichte der Fall war. (Beifall bei SPÖ und ÖVP sowie bei Abgeordneten der Grünen.)

Zum Zweiten ist festzuhalten, dass unsere günstige Wirtschaftsentwicklung – und wir werden im heurigen Jahr wieder über 3 Prozent Wirtschaftswachstum haben – natür­lich in erster Linie der Erfolg unserer österreichischen Unternehmungen, der Ar­beit­­nehmer und der Initiativen vieler in unserem Land ist. Die Verwertungs­mög­lichkeiten für die Unternehmungen und für die Arbeitnehmer werden aber ganz entscheidend durch die Bedingungen geprägt, die wir in Europa vorfinden. Und wenn es ein Land gibt, das die Öffnung des früheren kommunistischen Ostens nach 1989 in einer öko­nomisch exzellenten Art und Weise bewältigt hat – nämlich zum Nutzen vor allem für seine Bürgerinnen und Bürger –, dann ist das Österreich; und das sollen wir mit aller Deutlichkeit einmal festhalten! Österreich ist der Gewinner der Erweiterung der Europäischen Union – auch wirtschaftlich. (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen. – Abg. Strache: Die Schönfärberstunde! – Abg. Ing. Westenthaler: Warum wissen das die Menschen nicht, was Sie da sagen?)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich sage auch dazu: Man kann natürlich versuchen, all diese Erfolge kleinzureden. (Abg. Heinisch-Hosek: Genau!) Aber ich sage Ihnen: Schauen Sie sich einmal in Europa um und fragen Sie die Menschen, die mit großer Hochachtung auf Österreich blicken und sagen (Abg. Strache: Dann fragen Sie doch die Österreicher, Herr Bundeskanzler! Lassen Sie doch die Öster­reicher abstimmen!), wie gut Österreich diese Erweiterung der Europäischen Union für sich genutzt hat! Und ich sage Ihnen: Wir werden uns diese historischen Erfolge von Ihnen auch nicht wegreden lassen!, um das auch gleich klarzustellen. (Beifall bei SPÖ und ÖVP. – Abg. Heinisch-Hosek: Genau! – Zwischenruf des Abg. Lutz Weinzinger.)

Ich sage auch glasklar dazu: Jede kritische Auseinandersetzung mit der Politik der Euro­päischen Union ist genauso legitim wie die kritische Auseinandersetzung mit der Politik einer Bundesregierung, einer Landesregierung oder einer anderen politischen Einrichtung. Nur: Die, die heute gegen Europa aufstehen, sollen glasklar sagen, was denn die Alternative dazu ist (Abg. Mag. Hauser: Ein gerechtes Europa! – Abg. Dr. Haimbuchner: Ein anderes Europa! Ende des Zentralismus, echte Demokratie!) und ob sie wirklich glauben, dass ein Österreich außerhalb der Europäischen Union besser dastehen würde als ein Österreich innerhalb der EU. Sie werden sich irgendwann einmal entscheiden müssen. Und ich sage Ihnen: Ein Österreich innerhalb der Europäischen Union ist bedeutend besser dran als ein Österreich außerhalb der Europäischen Union! (Beifall bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)


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Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin im Übrigen davon überzeugt, dass durch diesen Reformvertrag ... (Abg. Mag. Stadler: Volksabstimmung ...!) – Auch die Lautstärke kann die Argumente nicht ersetzen. Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen, Herr Abgeordneter! (Beifall bei SPÖ und ÖVP sowie bei Abgeordneten der Grünen.)

Ich bin im Übrigen davon überzeugt, dass der Reformvertrag von Lissabon dazu führen wird, dass die Europäische Union besser funktionieren wird, weil es erstens zu effizien­teren Entscheidungsfindungsprozessen kommt, weil darüber hinausgehend es eine klarere Kompetenzaufteilung zwischen den europäischen Institutionen und den nationalen Institutionen geben wird.

Darüber hinausgehend ist auch die Zeit der Einbahnstraße vorbei, wo Kompetenzen von den Mitgliedstaaten nur nach Europa wanderten. Jetzt besteht durch diesen Reformvertrag auch die Möglichkeit, dass Kompetenzen von der Europäischen Union wieder an die Mitgliedstaaten gehen, wenn man zur Auffassung kommt beziehungs­weise wenn man der Meinung ist, dass sich etwas nicht bewährt hat. Ich halte das für eine ganz wichtige Flexibilisierung, und die zeigt, dass man da versucht, Probleme gemeinsam zu lösen.

Darüber hinausgehend ist für mich das Kernstück dieses Reformvertrages die Grund­rechtecharta, die in langen Diskussionen entwickelt wurde und die nun Rechts­verbindlichkeit erhält. Und ich glaube, dass diese Grundrechtecharta zu einer ganz entscheidenden Verstärkung der Rechte jedes einzelnen Bürgers und jeder einzelnen Bürgerin in Europa führt. Diese Grundrechtecharta geht im Übrigen in ihrer Wirkung sogar weit über das hinaus, was in manchen nationalen Verfassungen festgehalten ist.

Ich sage daher ein klares Ja zu dieser Grundrechtecharta und zu ihrer Rechts­verbindlichkeit, weil sie die Bürgerinnen und Bürger in Europa stärkt und damit uns alle in Europa stärker machen wird. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, man soll dabei nicht verschweigen, dass es natürlich Wermutstropfen gibt, wie zum Beispiel den Wermutstropfen, dass Groß­britannien sich ein Opt-out genommen hat – ob es Polen letztendlich auch noch sein wird oder nicht, wird sich noch herausstellen (Abg. Ing. Westenthaler: Wieso haben Sie eigentlich nichts erreicht? Wieso kommen Sie mit leeren Händen?) –, weil das natürlich für die Bürgerinnen und Bürger in Großbritannien, so finde ich, keine gute Sache ist und weil man sich auch die Frage stellen muss, wie die weitere Entwicklung Europas aussieht, wenn einzelne Staaten sich von der gemeinsamen europäischen Politik immer wieder ein Opt-out nehmen. Das führt nämlich zu einer gewissen Unübersichtlichkeit in Europa und erreicht nicht das, was eigentlich das Ziel des europäischen Projekts ist.

Ich habe viel Verständnis für nationale Befindlichkeiten in diesem Zusammenhang, aber unser Ziel wird weiterhin bleiben ... (Abg. Strache: Es geht um Verfassungsrechte und Demokratie!) – Großbritannien hat im Übrigen nicht einmal eine Verfassung, sehr geehrter Herr Klubobmann! Wenn Sie schon darauf Bezug nehmen. (Abg. Strache: Aber wir! Wir haben eine Verfassung, Herr Bundeskanzler, und die sollte man die Bürger auch abstimmen lassen!)

Ich strebe an, dass wir ein Europa haben, wo es gleiches Recht für alle gibt (Abg. Dr. Haimbuchner: Was ist mit den Beneš-Dekreten?), und daher wird es das Ziel bleiben, dass diese Grundrechtecharta irgendwann einmal für alle Bürgerinnen und Bürger Europas gültig ist und nicht nur für die Bürgerinnen und Bürger in 25 Mitglied­staaten. (Beifall bei SPÖ und ÖVP. – Abg. Kickl: Sie könnten das so schön der Bevölkerung erklären und dann abstimmen lassen!)


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Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, dass es auch ein Vorzug dieses Diskussionsprozesses war, dass wir neue Herausforderungen aufgenommen haben. Die Frage des Klimaschutzes, die vor allem in den letzten Jahren sehr stark thema­tisiert wurde, wurde in die Beratungen dieses Reformvertrages aufgenommen, und wir haben uns darauf geeinigt, dass Klimaschutzpolitik in Zukunft gemeinsame euro­päische Politik sein wird.

Ich halte das auch für sinnvoll, denn ein Land alleine wird das Weltklima nicht retten können. Wir brauchen hier eine europäische und eine globale Anstrengung. Es ist daher gut und richtig, dass wir uns bei diesem Reformvertrag zu einer gemeinsamen europäischen Klimapolitik entschlossen haben, damit Europa in der Welt effizient, wirkungsvoll und vorbildhaft auftreten kann. – Auch das ist ein positives Zeichen, in welche Richtung diese Diskussionen in Europa gehen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe darauf hingewiesen, dass Europa nach Beendigung dieser langen Diskussionsphase nun wieder die Energie haben wird, sich mit den wirklich großen Fragen zu beschäftigen, die auch den Menschen unter den Nägeln brennen. Das ist die menschlichere Gestaltung der Globalisierung (Abg. Vilimsky: „Die menschliche Gestaltung der Globalisierung!“), das ist die Frage eines sozialeren Europas, das ist letztendlich die Frage, wie wir weiter die Arbeitslosigkeit in Europa bekämpfen können und reduzieren können.

Das sind natürlich Fragen, die den Menschen bedeutend wichtiger sind als die Frage, wie die Institutionen ihr Verhältnis zueinander regeln. Ich bin daher überzeugt davon, dass dann, wenn wir diese Verantwortung über eine Politik wahrnehmen, die den Men­schen klar zeigt, worin die Vorzüge des gemeinsamen europäischen Wirkens be­stehen, auch die Möglichkeit besteht, dort, wo die Menschen eine kritische Distanz zu Europa haben, diese kritische Distanz wieder zu verringern. (Abg. Rosenkranz: Die wird immer größer!) Ich bin davon überzeugt, dass wir einige der anstehenden Probleme eben nur gemeinsam in Europa lösen können. (Abg. Kickl: Erklären Sie es den Leuten, dann lassen wir es abstimmen!)

Zu glauben, ein Land wie Österreich könne die Globalisierung allein menschlich gestal­ten, ist eine schwere Illusion. Das werden wir, wenn überhaupt, nur in gemeinsamem europäischen Wirken zustande bringen. Und daher plädiere ich dafür, dass wir diesen gemeinsamen europäischen Weg gehen, der im Übrigen eine Reihe von Erfolgen gebracht hat. Wenn wir uns in Österreich heuer darüber freuen können, dass wir die Arbeitslosenrate von 5 Prozent auf 4,2 Prozent gesenkt haben, dann ist das ein schöner Erfolg! (Abg. Scheibner: Das haben aber nicht Sie gemacht!)

Im Übrigen ist das ein Erfolg, der in kleinerem oder größerem Maßstab auch in Europa stattfindet. Es ist zum Glück die Zahl der Arbeitslosen in ganz Europa zurückgegangen aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung, die wir gehabt haben, und es ist heute die Frage der massenhaften Arbeitslosigkeit, wie sie in einzelnen Staaten vorhanden war, bedeutend gelöst worden. Das heißt, wir haben natürlich unseren eigenen Anteil – die österreichischen Unternehmen, die Arbeitnehmer und auch die politischen Maßnah­men –, aber auch der politische Kurs Europas zur Reduktion der Arbeitslosigkeit war richtig und hat sich bewährt. (Abg. Mag. Hauser: Dafür haben wir die massenweise Verarmung! – Abg. Kickl: Und das alles ohne Vertrag, Herr Bundeskanzler! Ohne Vertrag!)

Diese Erfolge, die letztendlich dazu führen, dass um einige Millionen mehr Menschen in Europa heute Arbeit haben, kann man natürlich unter den Tisch zu kehren ver­suchen, wenn es einem nicht um die Anliegen der Menschen geht. Mir geht es aber darum, dass dieses Europa sicher ist, dass es in diesem Europa wirtschaftliches Wachstum gibt und dass in diesem Europa die Menschen Arbeit haben. (Abg. Lutz


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Weinzinger: Seit Jahren keine tatsächliche Lohnerhöhung!) Und genau diesen Weg werden wir mit aller Konsequenz weiterverfolgen; und dieser Reformvertrag von Lissabon wird uns dafür eine bessere Grundlage geben. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es war uns auch möglich, im Vorfeld dieses informellen Rates von Lissabon eine der Fragen in Richtung Lösung zu bringen, die Österreich ganz besonders bewegt hat, nämlich die Frage der Regelung des Zugangs zum Medizinstudium in Österreich, wo nach langen Diskussionen mit der Kommission nun der Kommissionspräsident brieflich in Aussicht gestellt hat, dass es erstens ein Moratorium von fünf Jahren geben wird und zweitens in diesen fünf Jahren eine dauerhafte Lösung gefunden wird, was den Zugang zum Medizinstudium in Österreich betrifft. (Abg. Mag. Hauser: Was tun wir nach den fünf Jahren, so wie mit dem Brenner-Transit?)

Ich glaube, das ist außerordentlich wichtig, weil damit ein wesentlicher Beitrag dazu geleistet wird, dass wir jene Ärztinnen und Ärzte in Österreich ausbilden können, die für die Aufrechterhaltung eines der besten Gesundheitssysteme der Welt auch notwen­dig sein werden. Und ich bin sehr froh, dass wir dieses Problem gemeinsam gelöst und bewältigt haben. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten der ÖVP.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Österreich versteht sich als ein aktives Mitglied dieser Europäischen Union. Wir versuchen, Beiträge zu leisten zur Lösung der Probleme, die in Europa vorhanden sind. Und die Probleme der Menschen sind nicht so unähnlich in den einzelnen Mitgliedstaaten. Die Probleme bestehen nach wie vor bei der Arbeitslosigkeit, auch wenn sich viel gebessert hat, sie bestehen darin, dass wir eine nachhaltige Wachstumsentwicklung in Europa garantieren müssen, und sie bestehen natürlich auch darin, dass viele Menschen sagen: Wenn die wirtschaftliche Entwicklung gut ist, möchte ich auch meinen gerechten Anteil daran haben!

Diese Diskussionen werden heute in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union geführt. Ich glaube, dass gerade in Österreich in den letzten Wochen bewiesen wurde, dass die Sozialpartner mit dem notwendigen Augenmaß und mit der Blickrichtung darauf, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch ihren gerechten Anteil an der Wirtschaftsentwicklung haben wollen, zu guten Lohnabschlüssen gekommen sind, die dazu führen werden, dass auch jeder Einzelne seinen Teil an der Wirtschafts­entwicklung bekommen wird. Und das halte ich für ganz wichtig, weil damit die Menschen auch sehen, dass diese gute Wirtschaftsentwicklung nicht abstrakt ist, nicht für einige andere ist, sondern dass diese gute Wirtschaftsentwicklung allen in unserem Land zugutekommt.

Daher möchte ich den Verhandlern, den Sozialpartnern zu diesen Lohnabschlüssen außer­ordentlich gratulieren. Ich glaube, das ist ein wichtiger Beitrag für den sozialen Zusammenhalt und für den wirtschaftlichen Fortschritt in unserem Land. (Beifall bei SPÖ und ÖVP. – Abg. Strache: Bei dem Lohnniveau müssen Sie aber mit den Bürgern ... – bei den Preissteigerungen!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die österreichische Bundesregierung, die Frau Außenministerin und ich haben natürlich den Auftrag des Parlaments so ver­standen, dass wir versuchen, ein Maximum dieses Verfassungsvertrags, den Sie hier im Hohen Haus mit einer großen Mehrheit ratifiziert haben, auch im neuen Reform­vertrag zu erhalten. (Abg. Vilimsky: Das haben Sie falsch verstanden! – Abg. Ing. Westenthaler: Zurück zum Start!, haben sie gesagt!) Denn klarerweise ist es so, dass die österreichische Bundesregierung zu handeln hat auf Basis der Gesetze und auf Basis der Beschlüsse des österreichischen Nationalrates; und wenn 182 von 183 Abgeordneten ja zu diesem Verfassungsvertrag gesagt haben (Zwischenruf des Abg. Mag. Hauser), dann war es unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass möglichst viel


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von diesem Verfassungsvertrag auch in den Reformvertrag von Lissabon mit einfließt, und ich bin froh, Ihnen mitteilen zu können, dass es uns gelungen ist, dass die Herz­stücke dieses Verfassungsvertrages trotz verschiedenster Diskussionen und Verän­derun­gen erhalten geblieben sind. Und das ist mir wichtig (Abg. Lutz Weinzinger: Das ist eine blanke Verhöhnung der Bevölkerung!), weil es auch der  klare Auftrag war, den sich Europa vorgenommen hat. (Abg. Rosenkranz: Wer ist „Europa“?)

Man muss nämlich immer wieder daran erinnern: Wieso wurde eigentlich über einen Verfassungsvertrag diskutiert? – Es wurde über den Verfassungsvertrag diskutiert, weil wir gesagt haben: Mit den alten Verträgen, bis hin zum Vertrag von Nizza, kann es nicht mehr weitergehen, das ist ein permanentes Gewurschtel; es muss einen großen Neuanfang geben! – Das hat zum Konvent geführt, das hat zu der Vorlage geführt, die dann in der Regierungskonferenz behandelt wurde, und das hat letztendlich zum Ver­fas­sungsvertrag geführt. Und ich halte es für wichtig, dass dieses große Reformwerk nun abgeschlossen wurde, dass damit ein besseres Funktionieren Europas in Zukunft möglich ist und dass damit die kritische Distanz zwischen den Bürgern und der Europäischen Union auch wieder verkleinert wird.

Und ich sage Ihnen: Die richtige Antwort auf die Skepsis, auf die berechtigte Skepsis vieler Bürgerinnen und Bürger, was sozusagen politische Inhalte in Europa betrifft, ist nicht, herzugehen und gegen Europa zu polemisieren, sondern ist, eine bessere Politik zu machen (Abg. Strache: Für Österreichs Souveränität und Neutralität zu stehen, das wäre unsere Aufgabe!) und darzustellen, welch unschätzbare Vorteile Österreich durch seine Stellung im Herzen Europas hat.

Wir stehen zu Österreich, wir stehen zu Europa, und wir stehen zu diesem Reform­vertrag! (Beifall und Bravorufe bei der SPÖ sowie Beifall bei Abgeordneten der ÖVP.)

10.32


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Ich danke dem Herrn Bundeskanzler für seine Ausführungen und erteile nun Frau Bundesministerin Plassnik das Wort. Ich erinnere auch noch einmal an die Redezeit. – Bitte, Frau Bundesministerin.

 


10.33.43

Bundesministerin für europäische und internationale Angelegenheiten Dr. Ursula Plassnik: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Bundeskanzler! Meine Damen und Herren! Wir stehen unmittelbar vor einem europäischen Quantensprung (Abg. Mag. Hauser: Das sieht aber die Bevölkerung nicht so!): Wo vor nicht einmal 20 Jahren der Eiserne Vorhang war, wird in sechs Wochen keine Grenzkontrolle mehr sein. Grenzzäune, Grenzbalken werden bald der Vergangenheit angehören. (Abg. Lutz Weinzinger: Wieder eine gefährliche Drohung!) Kurz vor Weihnachten erfolgt damit der nächste große Schritt, um die Geschichte der großen europäischen Teilung zu überwinden, zwischen uns und jenen Ländern, die in den Jahrzehnten des Kalten Krieges so nahe und doch in einer so fernen Welt gelegen sind. 1 250 Kilometer österreichische Grenze mit der Tschechischen Republik, mit der Slowakei, mit Ungarn und Slowenien werden demnächst so sein, wie unsere Grenzen mit Deutschland und Italien es heute schon sind. Und nichts, meine Damen und Herren, kann die epochalen Änderungen in diesem Europa besser verdeutlichen als dieses Ereignis. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Abgeordneten der SPÖ.)

Europa, das wir mitgestalten dürfen, das neue Europa, das ein Europa der Über­windung von Grenzen und Trennlinien auf friedlichem Weg durch gemeinsame Defi­nition von Zielen und durch konkrete Zusammenarbeit ist! – Erfolge lassen ja oft die Geschichte ein bisschen vergessen. Erinnern wir uns: Alois Mock und Gyula Horn haben am 27. Juni 1989 bei Klingenbach den Stacheldraht durchschnitten. Das Ende der sogenannten Ordnung im Zeichen des Kalten Krieges war damit eingeläutet, und


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österreichische Politik hatte maßgeblichen Anteil daran. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Abgeordneten der SPÖ.)

Jetzt übernehmen unsere Partner im Norden, im Osten und im Süden die Verantwor­tung für die Sicherung der gemeinsamen Außengrenzen. Und die bevorstehende Schen­gen-Erweiterung zeigt auch, dass es sich Europa nicht leichtmacht, dass insbe­sondere so weitreichende Schritte wie die Aufhebung von Grenzkontrollen verantwor­tungsvolle, beharrliche und sehr präzise Vorarbeit von allen Seiten voraussetzen. Mir ist klar, dass es sich beim Ende der Grenzkontrollen im Empfinden vieler Österreicher und Österreicherinnen um eine Umstellung (Abg. Strache: Die organisierte Kriminalität wird zum ...!) mit emotionalem Sprengstoff handelt. Risiken überdecken für manche die Chancen. Niemand springt gern ins kalte Wasser.

Wir in der Bundesregierung nehmen diese Sorgen ernst. Wir haben deswegen strikt darauf geachtet, dass alle Voraussetzungen ohne Abstriche genau eingehalten werden. Dafür danke ich in erster Linie Innenminister Günther Platter. Er hat mit allen unseren neuen Schengen-Partnern – Tschechien, der Slowakei, Ungarn und Slowe­nien – zukunftsweisende bilaterale Vereinbarungen abgeschlossen. Sie sehen unter anderem die Erarbeitung gemeinsamer Sicherheitskonzepte für die Grenzgebiete vor; einen gemischten Streifendienst für eine konsequente gemeinsame Polizeiarbeit, wenn nötig auch die österreichische Beteiligung an gemeinsamen Schwerpunktaktionen an der neuen Schengen-Außengrenze. Wir haben auch den neuen Schengen-Staaten geholfen, ihre Sicherungsmaßnahmen kräftig aufzurüsten: personell mit gründlichen Schulungen, mit neuem, modernem Gerät.

Früher hatte etwa, um ein Beispiel zu geben, die Slowakei 240 Polizeibeamte an ihrer Grenze zur Ukraine, jetzt sind dort 886 im Einsatz. Um die 100 Millionen € hat die Slowakei für ihre Schengen-Maßnahmen ausgegeben, über 50 Millionen davon stam­men aus EU-Geldern. Wir haben uns also, meine Damen und Herren, gründlich auf diesen Schritt vorbereitet. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Abgeordneten der SPÖ.)

Wir befinden uns in einer neuen Etappe des europäischen Einigungswerkes. Wir arbeiten gemeinsam an einem Raum der Freiheit und der Sicherheit für fast 500 Mil­lionen Menschen.

Wir arbeiten aber auch an neuen, modernen Grundregeln für eine Union der 27. Es geht um das Gewicht, um den Einfluss Europas als Partner im Weltdorf. (Abg. Mag. Hauser: So viel Weihrauch!) Die Gründungsverträge, auf denen die Europäische Union beruht, sind ja in ihrem Kern auf eine Gemeinschaft von sechs Ländern in den fünfziger Jahren zugeschnitten und können schon deswegen den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nicht mehr in allen Punkten gerecht werden. Wir müssen besser gerüstet sein. Deshalb der Vertrag von Lissabon, deshalb die jahrelangen Verhand­lungen, die schließlich zu dieser erneuerten Rechtsgrundlage geführt haben. Auch hier haben wir es uns nicht leichtgemacht, auch hier geschieht nichts Hals über Kopf, ganz im Gegenteil. (Abg. Mag. Hauser: Warum lassen Sie dann die Bevölkerung nicht abstimmen?)

Meine Damen und Herren! Wir haben als Österreicher unseren Beitrag zum Gelingen dieses ersten gemeinsamen Großprojekts der Union der 27 geleistet: durch konse­quente inhaltliche Arbeit, durch gezielte Impulse während unserer Präsidentschaft, um die Zukunftsdebatte wieder in Gang zu bekommen, durch das erste Vorzeichnen des Verhandlungsweges zum Reformvertrag, Stichwort: Klosterneuburger Außenminister­tref­fen. Das Ergebnis ist ein Vertragstext, der die alten Rechtsgrundlagen erneuert, wo es notwendig ist, der auch eine Reihe von zukunftsweisenden strukturellen Neuerun­gen bringt. Europa bekommt jetzt, was es braucht, um besser zu funktionieren.


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Was waren einige der spezifisch österreichischen Anliegen, die umgesetzt werden konnten? – Zunächst einmal die Schnittstelle zwischen europäischer und national­staatlicher Ebene. Erstmals wird es eine genaue Verteilung der Zuständigkeiten zwi­schen der EU und ihren Mitgliedstaaten geben – eine alte österreichische Forderung.

Außerdem wird klar festgehalten, dass die Übertragung von Kompetenzen an die Europäische Union von ihren Mitgliedstaaten auch wieder zurückgenommen werden kann. Die europäische Integration ist also nunmehr auch ausdrücklich keine Einbahn­straße. Sie lernt durch den Reformvertrag, loszulassen, wo das auch vernünftig ist. Die Mitgliedstaaten bleiben selbstverständlich auch weiterhin die Herren der Verträge.

Eine ganz konkrete Ausformung dieses neu geschärften Denkens ist der Bereich der Dienstleistungen der Gemeinden, wie etwa Wasserversorgung oder Müllabfuhr. Hier wird ganz klar die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten festgeschrieben, ihrer nationalen, lokalen, regionalen Behörden. Die Union erhebt nicht den Anspruch, mit dem Bin­nenmarkt auch jeden Winkel des wirtschaftlichen Lebens in Europa regeln zu wollen. (Abg. Mag. Hauser: Sollen sie uns das Wasser auch noch nehmen? – Ist das ein „Erfolg“?!)

Weitere strukturelle Neuerungen – auch hier haben wir uns mit Nachdruck eingesetzt – betreffen einen europäischen Demokratieschub: die Stärkung der parlamentarischen Komponente, aber auch erstmals die Möglichkeit, europäische Volksbegehren durch­zuführen – wieder eine österreichische Forderung! Auf dem Tisch bleibt übrigens der österreichische Vorschlag einer gesamteuropäischen Volksabstimmung. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Abgeordneten der SPÖ. – Abg. Kickl: Ah?)

Wie sieht die Stärkung der parlamentarischen Komponente im Übrigen genau aus? – Die klare Betonung des Subsidiaritätsprinzips, denn bisher ist es ja immer aus­schließlich um das Europäische Parlament, um seine Kompetenzen gegangen. Sie, meine Damen und Herren, die gewählten Volksvertreter, werden in Hinkunft direkt von der Kommission über Rechtssetzungsvorhaben informiert. Sie haben die Möglichkeit, Einspruch zu erheben, wenn Sie der Ansicht sind, dass ein Kommissionsvorschlag eine Materie regeln will, für die die Zuständigkeit bei den Mitgliedstaaten liegt. In der Sprache des Fußballs: Sie können der Kommission notfalls die gelbe Karte zeigen. (Abg. Ing. Westenthaler: Die ist meistens wirkungslos, die gelbe Karte!)

Eine weitere wichtige Neuerung – und wieder mit unverkennbarer rot-weiß-roter Hand­schrift –: Mit dem Reformvertrag bekommt die Europäische Union erstmals eine Rechtsgrundlage für ein Tätigwerden im Bereich des Klimaschutzes. Es ist ein weiterer Schritt in Richtung einer Nachhaltigkeitsunion, denn die Europäische Union – und das ist ein wichtiger Punkt – setzt zunehmend Standards, die zu globalen Richtungs­wei­sern werden: in der Umweltpolitik, bei den Grundrechten, beim Konsumenten­schutz. (Abg. Strache: Die Beneš-Dekrete zum Beispiel, ja!)

Eine neue eigene Rechtsgrundlage wird es auch für eine europäische Energiepolitik geben, denn nur durch ein geeintes Vorgehen kann sich Europa einerseits besser intern organisieren und andererseits besser auf den globalen Energiemärkten durch­setzen. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Abgeordneten der SPÖ.)

Ein weiteres Zukunftsthema, für das uns der Reformvertrag wirksamere Werkzeuge in die Hand gibt, ist die innere Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger. Europa braucht im Kampf gegen Terrorismus (Abg. Strache: Offene Grenzen!), organisierte Kriminalität, Schlepperei und Menschenhandel noch mehr und bessere grenzüberschreitende Zusammenarbeit. (Abg. Strache: Und daher offene Grenzen!) Genau für den Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen bringt der Reform­vertrag schnellere Verfahren (Abg. Strache: Das ist sehr unschlüssig!) ohne Blockade­möglichkeit durch einzelne Staaten.


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Meine Damen und Herren! Als Außenministerin auch einige Anmerkungen zu den Fortschritten im Bereich Außenpolitik der Union: Vor allem wird es ein Gesicht und eine Stimme nach außen geben. Es wird künftig de facto einen europäischen Außenminis­ter, eine europäische Außenministerin geben. Egal, welche Funktionsbezeichnung auf dem Papier steht: Es gibt sie endlich, die „europäische Telefonnummer“, nach der manche schon so stark verlangt haben!

Die bisherigen Funktionen des Hohen Vertreters für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die des EU-Kommissars für auswärtige Beziehungen werden zusammengelegt. Das auswärtige Handeln der Union wird gestrafft. Ein einheitliches, glaubwürdiges Auftreten der Union nach außen ist ja ein ganz besonderes Anliegen der Bürger (Abg. Scheibner: Aber wo ist denn das?), das zeigen alle Meinungs­umfragen. Das gemeinsame Handeln nach außen liegt an der Spitze der Erwartungen, und das durchaus mit einem optimistischen Unterton: Laut letztem Eurobarometer ist eine solide Mehrheit der EU-Bürger zuversichtlich, dass die Union zu einer führenden diplomatischen Kraft, einer wahren Friedensmacht in der Welt wird. Es besteht also eine deutliche Nachfrage nach europäischer Außenpolitik in Europa selbst und in der Welt.

Meine Damen und Herren! Selbstverständlich wird auch in der Zukunft noch rot-weiß-rotes Profil in der Außenpolitik sein. Wir haben als Mitglied der Europäischen Union den Wirkungsraum und auch die Wirkungsintensität für unsere Außenpolitik in einer Art und Weise erweitert, die man sich vor Kurzem noch nicht leicht vorstellen konnte. Die Mitgliedschaft ermöglicht uns ein Mitgestaltenkönnen einer gemeinsamen euro­pä­ischen Linie wie auch ihrer Umsetzung im Alltag. Sie gibt unserer Arbeit euro­päisches Gewicht.

Hier nur zwei Beispiele: Wir bieten in Wien nicht nur eine Plattform für die laufenden Kosovo-Verhandlungen mit der Troika und leisten in mannigfachen Projekten Entwicklungshilfe für diese Region, sondern wir setzen auch ganz gezielte Impulse, etwa mit der Kosovo-Frauenkonferenz Anfang dieser Woche, um die Netzwerke der Nachbarschaft enger zu knüpfen. Versöhnung durch Integration – so hat eine serbische Teilnehmerin das Erfolgsrezept des Friedensprojektes Europa am Dienstag in der Früh hier in Wien beschrieben.

Wir sind Vorreiter auch bei der Zusammenarbeit in Sicherheitsangelegenheiten, und zwar im Visabereich durch unsere gemeinsamen Zentren, etwa in Chişinău und in Podgorica. Wir arbeiten stetig daran, die EU-Perspektive für die Balkanländer glaubhaft und greifbar zu halten, gerade auch im Interesse der Jugend dieser Staaten. Und wir sind unermüdliche Dialogarbeiter, vor allem in Bezug auf das Verhältnis zum Islam und zur muslimischen Welt.

An diesem Einsatz wird sich mit dem EU-Reformvertrag nichts ändern, übrigens auch nichts an unserer österreichischen Sicherheitspolitik. Beides, das Bekenntnis zur gemeinsamen, solidarischen Außenpolitik im Rahmen der Europäischen Union und die Neutralität sind gleichermaßen Bestandteile unserer Bundesverfassung, und das bleibt auch so.

Es bleibt den neutralen und bündnisfreien Mitgliedstaaten auch in Zukunft im Einzelfall vorbehalten, über allfällige Unterstützungsleistungen selbst zu entscheiden, dem Grunde nach sowie über Art und Ausmaß. Bei Entscheidungen über militärische Fragen muss der EU-Rat jedenfalls auch weiterhin einstimmig entscheiden. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Abgeordneten der SPÖ.)

Zusätzlich konkretisiert eine neue Solidaritätsklausel im Reformvertrag die Verpflich­tung der Mitgliedstaaten, einander im Fall eines terroristischen Angriffs, einer Natur­katas­trophe oder einer von Menschen verursachten Katastrophe zu unterstützen. Wir


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begrüßen das, meine Damen und Herren. Österreich ist kein Trittbrettfahrer in Sachen Solidarität.

Dieses Hohe Haus, meine Damen und Herren, hat den Weg zum EU-Reformvertrag immer aufmerksam begleitet und aktiv mitgestaltet – der Herr Bundeskanzler hat darauf verwiesen –, schon zu Beginn, im Konvent, durch die Mitarbeit der Abgeord­neten Einem, Bösch, Lichtenberger und Mainoni, durch die vielen Europadebatten im Plenum und in den Ausschüssen, in Gremien wie dem Rat für Fragen der öster­reichischen Integrations- und Außenpolitik, vor allem auch mit der großen Euro­päischen Subsidiaritätskonferenz von St. Pölten 2006 unter dem Titel „Europa fängt zu Hause an“, veranstaltet vom österreichischen Parlament, dem österreichischen EU-Ratsvorsitz und vom Land Niederösterreich.

Unter den europäischen nationalen Parlamenten hat das österreichische zweifellos in vielem eine Vorreiterfunktion. Es hat ein spezifisches Europa-Know-how, das im parla­mentarischen Genehmigungsverfahren für den EU-Reformvertrag besonders wertvoll ist, denn die Zustimmung zum Reformvertrag wird im Einklang mit unserer Bundes­verfassung durch die gewählten Volksvertreter, durch Sie, erfolgen, meine Damen und Herren. (Abg. Mag. Hauser: Lassen Sie doch die Bevölkerung abstimmen!)

Ich bekenne mich eindeutig zu dieser arbeitsteiligen repräsentativen Demokratie, in der gewählte Volksvertreter sorgsam und umsichtig (Abg. Kickl: Wie wollen Sie denn da europaweit abstimmen lassen?), weitblickend die Anliegen der Österreicherinnen und Österreicher wahrnehmen. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Abgeordneten der SPÖ. – Abg. Strache: So steht es aber nicht in der österreichischen Verfassung! – Bei einer grundsätzlichen Änderung der Verfassung hat eine Volksabstimmung stattzufinden!)

Viele Gesetze, meine Damen und Herren, die Sie als gewählte Volksvertreter be­schließen, sind für die Bürger in diesem Land konkret weitergehender als der Vertrag von Lissabon, etwa bei der Pensionsreform, bei Steuern oder bei der Einführung der Briefwahl. (Abg. Dr. Haimbuchner: Oder der Einsatz im Tschad!) Auch hier haben Sie, meine Damen und Herren, und durch Sie das Volk das letzte Wort.

Meine Damen und Herren, es ist mir ein Anliegen, die Bürgerinnen und Bürger über den Inhalt des Vertrages umfassend zu informieren. Das ist eine gemeinsame Auf­gabe, eine Aufgabe für uns alle: die Bundesregierung, die Volksvertreter, die Experten. Ich selbst habe damit bereits begonnen: beim Tag der offenen Tür am 26. Oktober mit einer ersten leicht lesbaren Broschüre über den Reformvertrag, mit der Website des Außenministeriums. Wir werden hier weiterarbeiten. (Ruf bei der FPÖ: „EU for Dummies“!)

Meine Damen und Herren, abschließend: Europa, ein faszinierendes Projekt – ja, zweifellos! Wird das von allen so gesehen? – Nein, natürlich nicht! Der große Unter­schied zwischen Realität und Stimmungslage in diesem Land ist eine Tatsache. Unsere Aufgabe wird es sein, Fakten und Gefühl besser miteinander in Einklang zu bringen.

In der Perspektive von außen gelingt das sehr oft besser. Wir werden positiver ge­sehen von unseren Partnern als von Ihnen. Mir geht es um ein realistisches Selbstbild Österreichs im Kreis der 27, ohne Großmannssucht, aber auch ohne Ohnmachts­gefühle, ein mittelgroßes, erfolgreiches Land mit Engagement und Verantwortungs­bewusstsein. (Abg. Strache: Eine abgehobene Nomenklatura spricht da aus Ihnen!)

Meine Damen und Herren, wir dürfen uns ruhig mehr zutrauen, als wir manchmal glauben – in Österreich und in Europa! (Beifall bei der ÖVP sowie bei Abgeordneten der SPÖ. – Abg. Strache: Eine abgehobene Nomenklatura vertreten Sie!)


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Der Reformvertrag ist eine Chance für eine demokratischere und handlungsfähigere Europäische Union. (Abg. Strache: Völlig abgehoben und bürgerfern!) Mit dem Vertrag allein wird die Union nicht perfekt, wird die EU nicht zum Paradies. (Abg. Strache: Der „Plassnik-Tausender“! Der kommt wahrscheinlich auch noch!) Der neue Vertrag wird aber ein Erfolg werden, wenn auf seiner Grundlage und auf allen Ebenen die richtige Politik gemacht wird. Und genau das, meine Damen und Herren, haben wir vor! – Danke. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

10.51

Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Ich danke der Frau Außenministerin.

Zu Wort gemeldet ist als Nächster Herr Klubobmann Dr. Cap. 9 Minuten Redezeit. – Bitte, Herr Abgeordneter. (Abg. Strache: Jetzt kommt der „Gitti-Ederer-Tausender“! Der ist dabei in der Brusttasche!)

 


10.51.27

Abgeordneter Dr. Josef Cap (SPÖ): Frau Präsidentin! Hohes Haus! Es werden viele Menschen, die heute zusehen, bei diesem Thema sehr unterschiedlicher Meinung sein. (Abg. Ing. Westenthaler: Das glaube ich nicht! Ich glaube, dass die meisten einer Meinung sind!) Es gibt welche, die diesem Prozess in der Europäischen Union vorbehaltlos zustimmen, und es gibt manche, die da sehr skeptisch bis ablehnend sind.

Wir sollten uns sicherlich die Mühe machen, zu hinterfragen, warum das so ist. Das ist unsere Aufgabe. Wir werden gewählt, deswegen sind wir hier, und wir haben hier Verantwortung zu tragen. Wir sind froh, dass dieser lange Streit in der Europäischen Union jetzt ein Ende gefunden hat. Ich glaube aber, dass die Wurzel dieses Streits der Umstand war, dass zu schnell zu viele Länder in die EU aufgenommen wurden, keine klare Struktur vorhanden war, damit dann dieses Gebilde auch funktionsfähig ist. (Abg. Dr. Haimbuchner: Jetzt müsst ihr die Türkei auch noch reinbringen!)

Jetzt hat man mit diesem Reformvertrag eine Struktur gefunden, damit die Europäische Union, bei aller Kritik, die man hier natürlich auch anmerken kann, funktionieren kann, einheitlicher auftreten kann und sich in eine Richtung entwickelt, die auch die Österreicherinnen und Österreicher wollen.

Denn was ist das Bedürfnis? – Das Bedürfnis ist, dass diese Europäische Union uns nicht nur schützt, sondern dass wir in dieser Europäischen Union unter dem Motto: Gemeinsam sind wir stark! auch den Herausforderungen der Globalisierung gegen­über, der Entwicklung in China, in Russland, auch dem Auftreten der USA gegenüber, ein starker und selbstbewusster Partner sind.

Ich möchte das erweitern: Nicht nur wir Österreicherinnen und Österreicher sollen uns mehr zutrauen, nein, wir Europäerinnen und Europäer sollen uns mehr zutrauen. Wir sind nicht der Gegenstand der Weltpolitik, wir machen Weltpolitik, wir wollen gestal­ten, und wir haben einen Anspruch darauf! (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Kickl: Ha! – Abg. Ing. Westenthaler: Weiß das der Herr Bush auch, dass ihr Weltpolitik macht?)

So sehr ich dafür bin, dass man diesen Erweiterungsprozess mit den südosteuro­pä­ischen Ländern abschließt, sollte dann einmal Schluss sein, und es sollte hier versucht werden, alles zu unternehmen, damit zum Beispiel all das, was in diesem Reform­vertrag enthalten ist, die sozialen Grundrechte, die Charta, die Einklagbarkeit, um­gesetzt werden kann, kurzum, dass sich die Europäische Union ein sozialeres Gesicht geben soll, dass endlich die Bedürfnisse der Menschen stärker Berücksichtigung fin­den, deren Nicht-Berücksichtigung der Grund dafür war, dass so viele skeptisch gegenüber der Europäischen Union gewesen sind: das Bedürfnis nach sozialer Sicher­heit, nach Beschäftigung, nach Wachstum.


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Diese Punkte sind drinnen – lange genug hat es gedauert! Und damals, unter Kanzler Vranitzky, wurden die ersten Schritte gemacht, hat das überhaupt Eingang gefunden in der Europäischen Union. Aber jetzt ist es drinnen, und wir werden alles dafür tun, dass diese Europäische Union noch sozialer wird, als sie es im Moment ist! (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Strache: Noch sozialer? – Das ist eine gefährliche Drohung! – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.)

In den Händen der Populisten ist sie nicht gut aufgehoben, das möchte ich schon sagen, Herr Klubobmann Strache! Und wenn Sie dann hier sprechen, sollten Sie einmal Ihre Alternativen anführen und darlegen, wo der bessere Weg ist. Sagen Sie das, entwickeln Sie dieses Szenario heute hier! Nur dagegen aufzutreten, das ist zu wenig. Was ist die Alternative? Wie soll das dann funktionieren? (Abg. Dr. Haim­buchner: Warum wehren Sie sich so gegen die Demokratie? – Abg. Strache: Arbeit­nehmerschutzbestimmungen nach Brüssel abzutreten, das ist der falsche Weg!)

Ich sage Ihnen: Als kleines Land gegenüber den Herausforderungen aus China, aus Russland, aus den USA aufzutreten, ist weit schwieriger, als wenn man in einem großen Komplex gemeinsam auftritt. (Abg. Kickl: Die Schweiz ist noch kleiner!) Da fühlt man sich sicherer! Das müssen Sie als kleine Partei wissen, dass man sich in einer größeren Partei – das weiß nämlich ich – weit sicherer fühlt. Glauben Sie mir das! In der Größe liegt auch eine gewisse Stärke. (Abg. Strache: Schauen Sie in die Schweiz! Die Schweiz ist ein Vorbild!)

Daher sind wir so sorgfältig dahinter, dass diese Entwicklung weitergeht, auch was den Sicherheitsbereich betrifft, dass diese gegenseitige Hilfe, diese Solidarität, dieses Sicherheitsgefühl auch den Österreicherinnen und Österreichern vermittelt wird.

Aber es geht auch um etwas anderes: Es geht auch um Gelder. Wir zahlen ja einen Beitrag, es muss das Geld verwaltet werden, und es wird damit die Entwicklung in Europa beeinflusst. Es geht auch um die Sauberkeit in dieser Europäischen Union. Herbert Bösch ist Vorsitzender eines Ausschusses, der für Kontrolle zuständig ist, und er klopft da wirklich den Leuten auf die Finger und schaut darauf, dass mit den Steuergeldern verantwortungsvoll umgegangen wird. (Abg. Strache: Und die Gen­technik?!) Das soll sich für alle hier in Europa, und das soll sich auch für die Österreicherinnen und Österreicher auszahlen, und Herbert Bösch sorgt dafür. Und es ist gut und richtig, dass, wenn es da Unregelmäßigkeiten gibt, das auch aufgedeckt wird. Das ist, finde ich, ein ganz wesentlicher Aspekt.

Wir haben jetzt in dem Reformvertrag auch eine Stärkung der nationalen Parlamente, eine Stärkung des Europäischen Parlaments, etwas, was wir immer gefordert haben. Kurzum: Wenn es in der Europäischen Union eine Entwicklung gibt, die uns in den nationalen Parlamenten nicht gefällt, dann kann man ab jetzt die Rote Karte zeigen. Das ist schon mehr Demokratie! (Ironische Heiterkeit bei der FPÖ. – Abg. Strache: Wo denn?) Sie sollten eigentlich dafür sein, denn Sie sitzen gerade in einem nationalen Parlament, und was uns nicht gefällt, wird zurückverwiesen an die Europäische Kom­mission. Das ist mehr Demokratie! (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Strache: Ist ja nicht wahr!)

Wenn Sie auf die plebiszitäre Karte setzen und wie auch wir sagen, dass die Bevöl­kerung einbezogen werden soll, dann ist die Einführung der Möglichkeit, dass es in der Europäischen Union Bürgerinitiativen gibt, etwas Positives. (Abg. Kickl: Wenn Ihre Argumente so gut sind, dann lassen Sie doch darüber abstimmen! Fragen Sie doch die Bevölkerung!)

Das ist positiv – seien Sie mir nicht böse! –, denn damit muss sich die Kommission dann beschäftigen. Das ist doch der Kampf: dass wir, weil viele sagen, das sei so undurchsichtig, das sei so weit weg, irgendwo in Brüssel, irgendjemand bestimme über


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unseren Kopf hinweg, Wege suchen, damit da mehr Vertrauen entsteht, damit da Möglichkeiten gefunden werden, dass den Österreicherinnen und Österreichern klar gesagt wird, dass wir ihren Interessen in Brüssel stärker zum Durchbruch verhelfen können. Dafür brauchen wir die entsprechenden Instrumentarien. (Abg. Strache: Sie sind der Repräsentant, der über die Österreicher drüberfährt, ohne Abstimmung!)

Ich bin froh darüber, dass es die Bürgerinitiative gibt. Ich bin aber nicht froh darüber, dass es noch nicht die gesamteuropäische Volksabstimmung gibt. (Abg. Strache: Eine österreichische Volksabstimmung soll es geben!) Ich halte es nämlich für ganz entscheidend, dass es diese Volksabstimmung in ganz Europa gibt. Es ist, glaube ich, ganz, ganz wichtig, dass der Bürger mehr Identifikationsmöglichkeiten bekommt, dass er das Gefühl hat, er kann da mehr mitreden (Abg. Dr. Haimbuchner: Dazu muss er einmal gefragt werden!), damit er nicht dann eher denen Gehör schenkt, die ihm irgendetwas ins Ohr säuseln, was aber weder für ihn noch für die EU wirklich sinnvoll und von Bedeutung ist.

Ich sage Ihnen noch etwas Wichtiges im Zusammenhang damit, dass wir darum kämpfen, dass es hier Wachstum, dass es hier mehr soziale Sicherheit, dass es hier Gerechtigkeit gibt. Wir wissen, das ist bis jetzt in der Europäischen Union nicht wirklich zur vollsten Zufriedenheit umgesetzt worden. Da hat es viel Kritik gegeben. Und die Abstimmungen in Frankreich und in Holland waren ein Ausdruck dessen, dass man mit der Arbeitsplatzentwicklung, der Wachstumsentwicklung nicht zufrieden war. Viele sind der Meinung gewesen, da erfülle die EU nicht ihre Aufgabe. Diese Schutzfunktion, aber auch diese Impulsfunktion, die so wichtig ist – das wird sich jetzt ändern, ja das hat sich schon schrittweise geändert. (Abg. Dr. Haimbuchner: Der glaubt das nicht einmal selber, was er da sagt!)

Die Beschäftigungssituation hat sich schon verbessert. Es wird das in der Politik der Europäischen Union eine immer zentralere Rolle spielen, wie es dem einzelnen Bürger geht: ob er einen Arbeitsplatz hat, ob die Pensionen sicher sind, wie die soziale Situation ist und ob er mehr demokratische Möglichkeiten hat.

Das sollte man positiv bewerten – bei allem, was auch ich kritisch sehe. Wir werden in manchen Punkten durchaus auch eine gemeinsame kritische Auffassung haben. Sicherlich! Es gibt nichts Schädlicheres, als wenn man die EU schönredet. Es gibt aber nicht Verwerflicheres, als wenn man sie krankjammert. Man muss einfach den Zugang haben: Was’s wiegt, das hat’s für die Österreicherinnen und Österreicher! – Das ist das Entscheidende – und nicht, ihnen irgendwelche Dörfer vorgaukeln, irgendwelche Ziele vorgaukeln, die gar nicht erfüllbar sind und die jeder sofort durchschaut! (Abg. Strache: So wie man mit dem „Gitti-Ederer-Tausender“ dem Bürger permanent etwas Falsches vorgegaukelt hat!) – Ihre Aufregung beweist, dass Sie sich gerade jetzt ertappt fühlen.

Sparsamkeit, weniger Kommissare, weniger Abgeordnete – natürlich kann man bei der Bürokratie auch noch sparen, und natürlich kann man dort auch sagen, dass manche Verselbständigungstendenzen in der Bürokratie einzubremsen sind. (Abg. Strache: Selbstverständlich!)

Jetzt sage ich Ihnen etwas, was Sie besonders bewegen wird: Ich glaube, hier wurde ein schlechter Vertrag durch einen besseren Vertrag ersetzt, und das ist dieser Reformvertrag! Er ist keine neue Verfassung, er bewirkt keine Gesamtänderung der österreichischen Verfassung, und es ist daher die repräsentative Demokratie, das Parlament, selbstverständlich legitimiert, das hier im Haus letztendlich zu beschließen. Daher bekenne ich mich dazu, dass das hier im Hohen Haus, wenn es hier Eingang findet, ausreichend diskutiert, erörtert, bewertet wird und dass wir auch dazu berufen


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sind – ein bisschen mehr Selbstwertgefühl wäre bei Ihnen schon angebracht –, das letztendlich hier auch beschließen zu können.

Dann sollten wir uns, glaube ich, aber nicht zurücklehnen und sagen: Das war’s jetzt!, sondern dann sollten wir über die nächsten Schritte nachdenken! Denn: Es ist noch immer nicht perfekt. Es gibt noch immer vieles in der Europäischen Union zu verbes­sern und zu vertiefen. Und das sollten wir gemeinsam angehen, und zwar wirklich alle hier im Haus – das ist mein Appell an Sie –, im Interesse Österreichs! (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

11.00


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Als Nächster gelangt nun Herr Klubobmann Dr. Schüssel zu Wort. Redezeit: 9 Minuten. – Bitte. (Abg. Ing. Westenthaler: „Öster­reich ist frei!“)

 


11.00.51

Abgeordneter Dr. Wolfgang Schüssel (ÖVP): Meine Damen und Herren! Hohes Haus! Wer, wie Josef Cap, Weltpolitik machen möchte (Abg. Ing. Westenthaler: George Bush und Josef Cap!), der sollte gleich einmal damit beginnen, dass er die Erweiterung der Union um unsere Nachbarländer auch als eine wirklich historische Chance für uns begreift. Da hat mir eigentlich der Ansatz von Gusenbauer und Plassnik sehr viel besser gefallen, dass wir ja sagen zu diesem europäischen und österreichischen Traum, dass die Grenzen fallen, unsere Nachbarn dabei sind. (Präsident Dr. Spindelegger übernimmt den Vorsitz.)

Dass heute nicht nur die Grenze zwischen Nord- und Südtirol gefallen ist, dass wir dort die gleiche Währung haben – auch mit Österreich und Slowenien ist dies ja bereits der Fall –, dass dies ausgedehnt wird, dass uns das zurück ins Herz, ins Zentrum Europas bringt, das ist, finde ich, eigentlich wirklich ein Grund zur Freude und ein Grund, darauf stolz zu sein. (Beifall bei der ÖVP.)

Nun einige Sätze zu diesem Vertrag. – Ich war ja dabei, als im Dezember 2001 in Laaken beim Europäischen Rat so eine Art europäischer Traum versucht wurde. Das war ein romantischer Traum, einen Konvent einzurichten mit den hundert weisesten Köpfen, Männern und Frauen, die darüber nachdenken, sich eine europäische Verfas­sung zu geben – ich zitiere Voggenhuber: weg von diesen intransparenten Regierungs­konferenzen hinter verschlossenen Türen, volle Transparenz –, und am Ende steht ein Verfassungsvertrag, stehen europäische Symbole, eine Hymne, eine Flagge, die Währung. Dahinter steht natürlich auch eine Grundrechtecharta, die für alle verbindlich ist. Und vielleicht haben sogar manche weiter geträumt und am Ende eine europäische Regierung, eine Bundesregierung mit einer europäischen Armee gesehen.

Meine Damen und Herren, dieser Traum ist gescheitert, der ist ausgeträumt! (Abg. Strache: Der wird mit dem Reformvertrag umgesetzt!) Mit den Referenden in Frank­reich und Holland ist das nicht mehr möglich. In manchen Bereichen ist das auch gar nicht mein Ziel, aber manches davon war natürlich interessant, war faszinierend. Dieser romantische Traum ist ausgeträumt. Und was mich persönlich sogar ein bisschen kränkt, ist, dass die Symbole, die Hymne, die Flagge, weggefallen sind. Immerhin hat Beethoven in Wien die europäische Hymne komponiert. Als einzige Symbole sind die Münze und die Geldscheine übriggeblieben. Diese Monetarisierung Europas kränkt mich schon ein wenig, muss ich ganz offen sagen. Das ist schade, denn Europa ist mehr als nur das gemeinsame Geld. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Abgeordneten der SPÖ.)

Manche werden sagen – und das ist ja auch jetzt durchgeklungen –, vieles ist natürlich auch in der Substanz gerettet worden und ist auch im neuen Vertrag drinnen. Aber er


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ist nicht ident, ich sage das hier sehr offen, denn es sind eben nicht nur die Symbole und der Name geändert, es ist auch der Vorrang des europäischen Rechts im Text beseitigt worden. Und der Hinweis auf die Judikatur, die Erklärung, ersetzt das nicht. Es wird noch ein ganz interessanter Diskurs werden, wenn etwa das deutsche Bun­desverfassungsgericht judiziert, wenn eine europäische Regelung im Widerspruch zum deutschen Bundesverfassungsgesetz, zum Grundgesetz steht. Das ist nicht aus­diskutiert, und das wird eine ganz interessante und spannende Sache sein.

Es ist auch ein Unterschied – und die Lesbarkeit des Vertrages hat darunter gelitten –, wenn die Säulenstruktur völlig aufgegeben wird und letztlich nur ein Vertrag da ist. Es sind die subsidiären Rechte der nationalen Parlamente aufgewertet worden, es sind zusätzliche Veränderungen beim Parlament getroffen worden.

Ich glaube daher, in Summe ist vieles ident – vielleicht 90, 95 Prozent, das mag sein –, nur: Vergessen Sie nicht, dass auch der Mensch zu 95 Prozent seiner Gene mit dem Schimpansen verwandt oder ident ist, aber den Unterschied kennen wir wohl alle. (Heiterkeit und Beifall bei der ÖVP.)

Daher: Das ist ein anderer Vertrag, zu dem wir aber durchaus ja sagen können.

In diesem Vertrag ist manches wirklich demokratischer und transparenter als früher. Das Europäische Parlament bekommt die volle Mitgesetzgebung, und das finde ich in Ordnung. Wir werden auch aufgewertet. Das heißt, die Österreicher bekommen sogar einen Sitz, ja gegenüber Nizza sogar zwei Parlamentssitze mehr. Also das ist schon auch ein Stück mehr an Mitbestimmung. Und wir sind gegenüber den zehnmal größeren Deutschen, natürlich prozentuell, deutlich besser gestellt. (Beifall bei der ÖVP.)

Es sind die nationalen Parlamente gestärkt, meine Damen und Herren. Es sind die Bürger insofern gestärkt, als ja jedes Dokument transparent und im Internet abrufbar ist. Das ist schon ein Punkt, der durchaus noch mit viel mehr Leben erfüllt werden kann, denn Europa ist nicht nur eine Bringschuld, es ist auch eine Holmöglichkeit für jeden Einzelnen, der sich um die „Res Europea“ wirklich Gedanken macht.

Die Charta der Grundrechte wird eine sehr spannende Sache sein. Ich bin nicht einmal sicher, ob das Opt-Out oder Opt-In der Briten und möglicherweise auch der Polen wirklich etwas hilft, denn in der Judikatur werden sich natürlich die Höchstgerichte in allen Ländern sehr stark an diese Charta anlehnen. Und nicht vergessen: Die Agentur, die für die europäischen Grundrechte geschaffen wurde, ist in Wien beheimatet – auch kein ganz „unerfolgreiches“ Lobbying, das wir in den letzten Jahren hier betrieben haben. (Beifall bei der ÖVP.)

Interessant wird natürlich sein, dass nicht alle Politikbereiche in Hinkunft von allen EU-Ländern gemeinsam zu bestreiten sind. Die Euro-Zone ist unterschiedlich, die Schengen-Mitgliedschaft, also die Sicherheitskooperation, der Grenzraum ist unter­schied­lich, auch die Teilhabe und die Teilnehmer an der Grundrechtscharta sind nicht ident. Bei Justiz und Inneres gibt es Opting-Out- und Opting-In-Regeln. Das kann zu einer Art Teilmitgliedschaft in wichtigen Themenbereichen führen. Und es werden sich die – Namen werden Sie von mir aber nicht hören – Länder sehr genau überlegen müssen, die diese Möglichkeiten in Anspruch nehmen, ob das nicht eine Art Mitglied­schaft zweiter Klasse wird. Sie können dann praktisch an diesen Inhalten nicht mitwirken, sie sind mit ihren Bürgern ausgeschlossen von einer Weiterentwicklung, was ich persönlich für Österreich nie als Ziel angesehen habe.

Die Institutionen werden schlagkräftiger, das wurde schon erwähnt: Die Teampräsi­dent­schaft, mehr Mehrheitsabstimmungen für jetzt immerhin 181 Politikfelder; die kleinere Kommission auf gleicher Rotation – hart erkämpft, da darf man auf keinen Fall,


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bitte, nachgeben, das ist ein Schlüsselelement, dass jedes Mitgliedsland gleichberech­tigt an den Unionsinstituten mitwirken kann; der Außenminister; der neu zu schaffende Auswärtige Dienst; neue Ziele Klimaschutz, Energie; die Solidaritätsklausel, die übri­gens nicht die militärischen Fragen berührt.

Interessant ist schon: Im alten und im neuen Vertrag bleibt unsere Situation völlig gleich geregelt. Alles, was Militärisches betrifft, bleibt Einstimmigkeit, niemand kann zu etwas gezwungen werden. Europa wird immer auf der Grundlage der UNO-Charta handeln, daher sind explizit Angriffskriege Europas für Zeit und Ewigkeit ausgeschlos­sen – was ich sehr gut und notwendig finde. Und es wird jedes Land entscheiden, wie weit es an militärischen Operationen, die ein UNO-Mandat oder ein OSZE- oder ein EU-Mandat brauchen, teilnimmt. Und das ist, glaube ich, schon ein ganz entscheiden­der Punkt, der nicht die heutige Verfassungslage in Österreich verändert.

Ein letztes Wort zu den Fragen der Mitbestimmung: Volksabstimmung, Volksbegehren. Meine Linie kennen Sie. Es war eine österreichische Idee und Initiative, das Euro­päische Volksbegehren einzuführen, und das ist immerhin mit einer Million Menschen jetzt geschaffen worden, das haben wir erreicht. (Abg. Strache: Ein Volksbegehren haben wir seit Jahrzehnten in diesem Parlament nicht gemeinsam ...!)

Noch nicht erreicht haben wir eine europäische Volksabstimmung, die übrigens von allen fünf Parteien in der letzten Legislaturperiode verlangt wurde. Wir haben uns damals gemeinsam immer für ein europaweites Referendum eingesetzt, mit doppelter Mehrheit – Mehrheit der Staaten, Mehrheit der Bevölkerungen. Und wir werden auch nicht aufgeben, diese Dinge zu verlangen, weil ich persönlich das für sehr sinnvoll halte.

Misstrauen gegenüber dem parlamentarischen Ratifikationsprozess, meine Damen und Herren, ist wirklich nicht angebracht. Wir sind befugt und gewählt (Beifall bei der ÖVP), im Namen des Volkes wichtige Entscheidungen über die österreichische Verfassung, das Sozialrecht, Pensionsrecht, Steuergesetze, Bildungsfragen – was Sie wollen – zu behandeln und zu beraten. Und es wird unsere Aufgabe sein, diesen Vertrag gründlich und ganz penibel zu untersuchen und zu diskutieren und darüber auch der öster­reichischen Öffentlichkeit Rechenschaft zu geben. Das haben wir vor.

Aber mit diesem Vertrag ist Europa jedenfalls nicht schlecht aufgestellt. Kein Para­dies – Ursula Plassnik hat recht –, aber eine Basis, für die Zukunft eine gute Politik zu machen. Und darauf werden wir uns konzentrieren. – Danke. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

11.09


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Nächster Redner ist Herr Klubobmann Dr. Van der Bellen. Redezeit ebenfalls 9 Minuten. – Bitte, Sie sind am Wort.

 


11.10.07

Abgeordneter Dr. Alexander Van der Bellen (Grüne): Herr Präsident! Wenn man über die Europäische Union redet, fallen einem natürlich zuerst einmal die Dinge ein, die einem nicht passen, aus der Sicht der Grünen Reizthemen über Jahre, Jahr­zehnte, muss man bald sagen: Transitverkehr, Euratom-Vertrag und, und, und. Das liegt auf der Hand. Aber bei Gelegenheiten wie diesen soll man sich auch daran erinnern, dass bei allem gebührenden Pathos die Europäische Union außerdem wahr­scheinlich das größte, umfassendste, ehrgeizigste (Abg. Ing. Westenthaler: Friedens­projekt!) Friedensprojekt aller Zeiten ist. (Beifall bei den Grünen sowie bei Abge­ordneten der SPÖ. – Abg. Ing. Westenthaler: Ja, immer dieselbe Leier!)

Schauen Sie einmal in eine Krisenregion, Herr Kollege Westenthaler, und reden Sie da mit den Leuten! (Abg. Strache: Die Schweizer haben keinen Krieg!) Dann werden Sie


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sehen, wie die mit Unglauben und Neid letztlich auf diese europäische Einigung schauen.

Durch diese Betonung des Friedens, des europäischen Friedens, ist Europa eine Zone der Sicherheit geworden, wie es sie nie zuvor in der europäischen Geschichte gegeben hat. (Beifall bei den Grünen sowie bei Abgeordneten der SPÖ.)

Europa ist auch ein Raum der Freiheit, und gerade junge Leute wissen das zuneh­mend zu schätzen. Als ich in Westberlin in den siebziger Jahren gearbeitet habe, musste ich mich noch anstellen, jedes Jahr, bei der Fremdenpolizei, um eine Arbeitsbewilligung und eine Aufenthaltsbewilligung zu erhalten. War kein Problem, ich habe sie bekommen, aber ich hatte kein Recht darauf. (Abg. Kickl: Stellt das irgend­jemand zur Diskussion?) Genauso gut hätte es mir verweigert werden können.

So war die Situation damals, während heute junge Leute im Prinzip den Arbeitsplatz vom Atlantik bis zum Schwarzen Meer, von Nordfinnland bis Sizilien frei auswählen können, sofern sie einen finden. (Abg. Strache: Das ist aber nicht die Frage des Reformvertrages!) Aber im Prinzip gibt es diese Freiheit. Diese Freiheit hat es in der europäischen Geschichte so noch nie gegeben. (Beifall bei den Grünen sowie bei Abgeordneten von SPÖ und ÖVP.)

Die Europäische Union ist auch die politische Antwort auf die wirtschaftliche Globali­sierung. Sehr viele von uns, auch von meinen Parteifreunden schauen mit Argwohn auf diese wirtschaftliche Globalisierung, die Macht großer, riesiger multinatio­naler Kon­zerne. Aber die Antwort darauf kann nur sein, auf politischer Ebene eine ent­sprechende Gegenmacht aufzubauen. Und das schaue ich mir an, Kollege Strache, Herr Westenthaler, welches europäische Land – egal, ob groß, ob klein, ob Österreich, ob Deutschland – gegen einen multinationalen Konzern wie Microsoft gewinnen hätte können! (Beifall bei den Grünen. – Abg. Strache: Die Schweiz lebt es hervorragend vor! Das ist ein Paradebeispiel dafür!)

Microsoft ist wegen des Missbrauchs seiner marktbeherrschenden Stellung von der Europäischen Kommission vor Gericht gebracht worden und hat dort verloren. Das verstehe ich unter einer politischen Antwort auf die wirtschaftliche Globalisierung – bravo! Keine andere Institution außerhalb der Europäischen Union wäre dazu in der Lage gewesen oder heute dazu in der Lage. Wir brauchen die Europäische Union! (Beifall bei den Grünen sowie bei Abgeordneten der SPÖ.)

Die Europäische Union muss aber ein besseres demokratisches Fundament erhalten, ja, das sagen wir seit Jahren, und sie muss handlungsfähiger werden. Und in diesen beiden zentralen Bereichen, bei allen Mängeln, die er hat, bringt der Reformvertrag wesentliche Fortschritte.

Es ist nicht alles perfekt. No na, wenn sich 27 Mitgliedsländer auf ein Kompromiss­papier einigen sollen, wird nicht alles perfekt sein. Wenn wir, die Grünen, eine euro­päische Verfassung, einen Reformvertrag geschrieben hätten, würde er naturgemäß anders ausschauen. Und ich nehme an, das gilt auch für die Fraktion der SPÖ und der ÖVP, nicht für die FPÖ und Westenthaler, weil diese ja eine europäische Einigung ablehnen. Das glaube ich schon, dass Sie gegen den Reformvertrag sind, weil Sie gegen jede Form von europäischer Integration sind. (Abg. Ing. Westenthaler: Völliger Schwachsinn! Ich habe nicht vom „Misthaufen EU“ gesprochen, das war Ihr Voggen­huber!)

Was bringt der Reformvertrag konkret? – Eine bessere demokratische Absicherung durch bedeutend mehr Rechte für das Europäische Parlament, erstmals in der Geschichte der Union, muss man fast sagen. Mit etwas Phantasie könnte man sagen, wir bekommen ein Zwei-Kammern-System mit dem Rat einerseits als Vertreter der


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Regierungen und dem Europäischen Parlament in Brüssel als zweiten Teil der Legis­lative.

Die Bedeutung der Grundrechtscharta, jetzt rechtsverbindlich, wurde schon betont – ein wesentlicher demokratiepolitischer Fortschritt.

Ein weiterer Punkt: Die EU wird handlungsfähiger durch die größere Verbreitung der Mehrstimmigkeit bei Entscheidungen des Rates und durch ein anderes Stimmgewicht innerhalb des Rates, wenn auch aufgrund der polnischen Interventionen erst in zehn Jahren, aber so ist eben europäische Politik, dass es manchmal sehr lange dauert. (Abg. Mag. Hauser: Sie bestätigen genau das, was wir sagen: Wir haben nichts mehr mitzureden!)

Noch etwas, was auch Sie interessieren wird, meine Damen und Herren von den Freiheitlichen und vom BZÖ: Ich finde noch etwas sehr gut, nämlich dass erstmals die Möglichkeit des freiwilligen Austritts aus der Union geregelt ist. Ich persönlich habe es satt, jetzt über bald zehn Jahre über diese Reformverträge und Verfassungsverträge zu diskutieren. (Abg. Kickl: Das ist ja heute für Sie ein Feiertag!) Wir ratifizieren hier im österreichischen Parlament, jedes Mal mit den Stimmen der Grünen – dann klappt es irgendwo nicht, und es kommt die nächstschwächere Version. Für diesen Prozess habe ich langsam kein Verständnis mehr.

Wenn jetzt wieder ein Land aus dem Reformprozess ausschert, dann würde ich die Kolleginnen und Kollegen dort, wo immer das sein mag, und sei es ein Gründungs­mitglied der Europäischen Union, höflich bitten, über den freiwilligen Austritt aus der Union nachzudenken und eine Art privilegierte Partnerschaft mit der Union neu zu verhandeln. (Ruf bei der FPÖ: Gilt das auch für Österreich?)

Auf der Minusseite dieses Vertrags ist natürlich auch etwas zu finden. Herr Klubob­mann Schüssel hat das Ratstreffen in Laaken angesprochen, wo alle geschwärmt haben, Sie, wir auch ein bisschen, über die neue Transparenz, die Bürgerfreund­lichkeit, die einfache Lesbarkeit eines solchen Vertrages. Dieser Vertrag ist absolut unleserlich! Sie brauchen jede Menge Experten, um sich darin zurechtzufinden. Das ist weitaus schlimmer als die 747. Novelle zum ASVG, die ja auch nur Experten ver­stehen. (Abg. Dr. Stummvoll: Das ist aber schwierig, das zu übertreffen!) Das steht auf der Minusseite.

Nicht richtig ist, was manche immer noch glauben, auch schon beim Verfassungs­vertrag geglaubt haben, nicht richtig ist, dass das ein neoliberales Pamphlet ist, mit Sicherheit nicht. (Abg. Strache: Die Industrie hat sich durchgesetzt!) Und nicht richtig ist, dass hier die österreichische Neutralität gefährdet wird. Nein. Die österreichische Neutralität war einerseits betroffen durch den Beitritt zur Europäischen Union im Jahre 1995 und andererseits durch den Vertrag von Amsterdam – aber nicht durch diesen, der in dieser Beziehung nichts Neues bringt. (Abg. Strache: Das war schon eine Teilaushöhlung, jetzt geht es um eine weitere!)

In aller Deutlichkeit, Herr Kollege Strache, sage ich Ihnen: Wer jetzt 27 nationale Volksabstimmungen fordert, der sagt nichts anderes, als dass dieser Reformvertrag scheitern soll. (Abg. Strache: Das ist das demokratische Grundrecht! Da geht es um demokratisches Grundrecht, das Sie nicht zulassen wollen!) Und das ist Ihre wahre Intention: Sie wollen auf diesem Umweg einfach den Reformvertrag umbringen, weil Sie glauben, dass die Bevölkerung Ihrer Meinung ist. Ich glaube das nicht. (Abg. Dr. Graf: Alle Macht geht vom Volk aus! – Abg. Strache: So ist das, wenn man sich eine neue Verfassung gibt! – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.)


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Ich sage nur: Mit 27 nationalen Volksabstimmungen bringen wir diesen Vertrag mit größtmöglicher Wahrscheinlichkeit um, und dafür stehen die Grünen nicht zur Verfü­gung! (Beifall bei den Grünen sowie bei Abgeordneten von SPÖ und ÖVP.)

Wenn das Volk gefragt wird, dann bitte das zuständige Volk – und das zuständige Volk in dieser Frage ist das europäische Volk. (Abg. Strache: Wir Österreicher haben darüber abzustimmen! – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.) Ja zu einer europäischen Volksabstimmung, ja zu einer europäischen Volksbefragung zu einer europäischen Frage, ja, aber nein zu diesen nationalen Kirchturmpolitiken der Vergangenheit! (Beifall bei den Grünen sowie bei Abgeordneten von SPÖ und ÖVP.)

Kurzum: Ich glaube, ein neuerliches Scheitern auch dieses Vertrages würde die euro­päische Demokratie und die Handlungsfähigkeit der Union um Jahre zurückwerfen, sie auf Jahre blockieren, und das ist ja das wahre Ziel der FPÖ und ihrer Gesinnungs­genossen. Dieser Reformvertrag verdient Zustimmung. – Danke schön. (Beifall bei Grünen, SPÖ und ÖVP.)

11.18


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Nächster Redner ist Herr Klubobmann Strache. Redezeit ebenfalls 9 Minuten. – Bitte, Herr Klubobmann. (Abg. Strache begibt sich zum Rednerpult und stellt dort eine Tafel mit der Aufschrift „EU-Volksabstimmung sichern!“ auf.)

 


11.18.49

Abgeordneter Heinz-Christian Strache (FPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Werte Außenministerin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man heute dem Herrn Bundeskanzler und der Frau Außenministerin zugehört und dabei die Augen geschlossen hat, da hätte man fast den Gedanken fassen können, es handelt sich nicht um einen österreichischen Bundeskanzler, es handelt sich nicht um eine österreichische Außenministerin, sondern um EU-Kom­missare oder EU-Propagandabeauftragte. Den Eindruck habe ich gewinnen müssen nach dem, was Sie heute hier wieder zum Besten gegeben haben. (Beifall bei der FPÖ.)

Schönfärberei, Schalmeientöne, wie wir das auch schon vormals in der Geschichte Österreichs erleben mussten, wo man uns auch in den Beitritt zur Europäischen Union hineingelogen hat; ich sage das in der Deutlichkeit. Da wurde ein „Gitti Ederer-Tausender“ hier versprochen, da wurden Unwahrheiten zum Besten gegeben.

Da wird heute auch vom Wirtschaftswachstum gesprochen, aber dabei völlig ver­schwiegen, dass es eine Armut in Österreich gibt – über eine Million Menschen sind armutsgefährdet! –, dass die Löhne in den letzten 15 Jahren durch Fehlentwicklungen gleich geblieben sind und derartige Preissteigerungen stattfinden, dass immer mehr Menschen gar nicht mehr wissen, wie sie über den Monat kommen sollen, verursacht durch den „Teuro“. Auch das war damals eine Ihrer Unwahrheiten: Nur wenn wir der Europäischen Union beitreten, wird der Schilling erhalten bleiben. Das war damals das ausgegebene Motto.

Also geschwindelt wurde von vorne bis hinten. Und genauso erleben wir es heute. Verglichen mit dem, was der Bundeskanzler heute gesagt hat, ist damals sogar noch fast ehrlich über die Vor- und Nachteile diskutiert worden. Wenn man das vergleicht, muss man das heute festhalten: Damals war man fast ehrlich. Es wird ja so getan, als ginge jetzt alles in eine optimale Richtung, als kämen goldene Zeiten, und es wird einfach nicht die Wahrheit gesagt.

Sagen wir doch die Wahrheit! Sie haben es ja heute selbst angesprochen, Herr Bundeskanzler: Fragen Sie doch die Österreicher!, haben Sie uns, der freiheitlichen


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Fraktion, zugeworfen. Ja, fragen Sie doch die Österreicher, Herr Bundeskanzler! Las­sen Sie sie abstimmen! (Beifall bei der FPÖ.)

Warum verweigern Sie dieses Grundrecht, das im Artikel 1 der österreichischen Verfas­sung festgeschrieben ist, nämlich: Das Recht geht vom Volk aus!? Warum verweigern Sie das der österreichischen Bevölkerung? Wovor haben Sie Angst, wenn alles so toll ist, wie Sie es heute hier versucht haben darzustellen? Weshalb verwei­gern Sie das? – Weil Sie wissen, dass es nicht toll ist, weil Sie wissen, dass die überwiegende Mehrheit der Österreicher von ihrem Verfassungsrecht der Volksabstim­mung Gebrauch machen will. Das ist der Grund, deshalb verweigern Sie es.

Da muss man schon festhalten, wenn Herr Klubobmann Schüssel heute hier gestan­den ist und gesagt hat, der Reformvertrag ist leider nicht genau das, was uns damals der Verfassungsvertrag als Traum vorgegeben hat: Das ist ja genau diese Täuschung, eine Namenstäuschung! Man ist hergegangen und hat das statt „Verfassung“ jetzt „Reformvertrag“ genannt. Bis auf die Europafahne und eine Hymne, die man weg­genommen hat, ist alles gleich geblieben. Das ist eine Verfassung! Das ist die größte Täuschung, die hier stattfindet! Und da muss man die Wahrheit sagen. (Beifall bei der FPÖ.)

Wenn dieser Vertrag in Kraft tritt, wird sich alles ändern: Dann wird Österreich kein souveräner Staat mehr sein, dann wird Österreich nicht mehr frei sein, dann wird Österreich seine heute vorhandene positive österreichische Verfassung nicht mehr vorfinden, denn diese positive österreichische Verfassung soll nicht nur grundlegend, sondern generell durch eine andere Verfassung, nämlich den Reformvertrag, verändert werden.

Wir sagen ja zu Österreich, wir sagen ja zu Europa, aber nein zu dieser zentralis­tischen Europäischen Union! (Beifall bei der FPÖ.) Das ist eine klare Ansage und Botschaft, weil wir ein anderes Europa wollen, ein föderales Europa, wo Länder auf Augenhöhe miteinander zusammenarbeiten, aber eben nicht alle Rechte an Brüssel abtreten. Es geht darum, dass wir unsere Wasserrechte für uns schützen, dass wir Arbeit­nehmerschutzbestimmungen in Österreich sicherstellen, dass wir nicht alle Ent­scheidungsgewalt abtreten und zu einem Bundesland der Europäischen Union ver­kommen.

Nein, wir wollen nicht haben, dass unsere Neutralität und unsere österreichische Verfas­sung zu Grabe getragen werden! (Beifall bei der FPÖ.) Die Gründerväter der Zweiten Republik würden sich im Grab umdrehen, wenn sie heute verfolgen müssten, wie Sie von Rot, Schwarz und Grün in dieser Frage vorgehen.

Da wird von Grundrechtscharta gesprochen. Na eine „tolle“ Grundrechtscharta, wo in Tschechien, in dieser Europäischen Union bitte, menschenrechtswidrige Beneš-Dekrete bis heute aufrechterhalten bleiben, bis hin zu den AVNOJ-Bestimmungen. Na eine „tolle“ Grundrechtscharta! „Toll“, wie die Grünen hier agieren und in einer Jubel­stimmung gemeinsam mit Rot und Schwarz einer europäischen Verfassung zustim­men – ohne Volksabstimmung! Das alles vor dem Hintergrund, dass die Atompolitik forciert wird, dass die Gentechnik erst vor kurzem wieder als Faktum über uns drübergerollt ist und Gentechnik in Teilbereichen für Österreich zugelassen wird.

Bitte, seien Sie doch ehrlich und geben Sie den Namen „Grüne“ als Parteinamen auf! Sie haben die bürgerlichen Grünen, die einzigen Grünen eigentlich, aus Ihrer Partei hinausgedrängt. Sie machen heute keine Umweltpolitik mehr! (Beifall bei der FPÖ.)

Sie reden von Transit, Atompolitik, von Gentechnik, aber wenn es darauf ankommt, dagegen zu sein und das auch aufzuzeigen und zu sagen, wehren wir uns dagegen,


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dann schweigen Sie sich aus! (Abg. Dr. Graf: Zustimmen tun Sie!) Das ist die Dop­pelbödigkeit, die wir heute bei Ihnen vorfinden.

„Österreich ist frei!“, hat Figl gesagt. Sie wollen Österreich in die Unfreiheit führen. Schauen Sie alle hinauf auf unseren österreichischen Bundesadler, der hier in diesem Hohen Haus hängt! Dieser Adler hat gesprengte Ketten. Sie wollen diese gesprengten Ketten, die symbolisch für Freiheit stehen, dafür, dass wir die Freiheit als Republik Österreich errungen haben, die Souveränität errungen haben, die Neutralität, die uns ans Herz gewachsen ist, nicht aufgeben, Sie wollen diese gesprengten Ketten zusam­menschmieden. Sie legen unserem Bundesadler, unserer Heimat die schweren Brüsseler Handschellen an. (Beifall bei der FPÖ.) Das ist das, was Sie vorhaben, und das verschweigen Sie!

Sie verschweigen – und darin liegt der besondere Skandal –, dass Kriegseinsätze, so wie Sie auch jetzt hurra dazu sagen, wenn österreichische Soldaten in den Tschad entsandt werden, wahrscheinlich in Zukunft auch im Irak und in anderen Regionen dieser Welt geplant sind, wo Sie jetzt schon mitspielen. Was haben denn öster­reichische Soldaten in Afghanistan verloren? Was haben die im Tschad oder in Darfur verloren? – Nichts haben die dort verloren, wenn wir unsere Neutralität ernst nehmen! Sie gehen heute schon her und versuchen, überall hier neue Fakten zu schaffen. Das müssen wir festhalten, darin liegt nämlich der besondere Skandal.

Wenn Sie sagen: europaweite Abstimmung. – Bitte, was soll denn das? (Abg. Dr. Schüs­sel: Das habt ihr auch gesagt!) Nein, das haben wir nie gesagt! (Abg. Dr. Schüssel: Natürlich!) Einen Polen, einen Tschechen, einen Deutschen, einen Franzosen können wir doch nicht in einer europaweiten Abstimmung über die Aufgabe unserer österreichischen Bundesverfassung und über die Aufgabe unserer Neutralität abstimmen lassen! Das kann und darf nur der Österreicher tun! (Beifall bei der FPÖ.)

Sie gehen her und tun so, als wären die 183 Abgeordneten hier der Souverän. Nein, sogar Professor Schachtschneider widerspricht Ihnen hier, jener Verfassungsrechtler, der in Deutschland beim Verfassungsgerichtshof in Karlsruhe den EU-Verfassungs­vertrag in Deutschland zu Fall gebracht hat, weil nämlich der deutsche Verfas­sungs­gerichtshof festgestellt hat, dass die deutsche Verfassung mit dem Verfassungsvertrag und auch mit dem Reformvertrag einfach nicht kompatibel ist. Deshalb konnte auch nicht ratifiziert werden, deshalb durfte der deutsche Bundespräsident auch nicht unterschreiben. Schachtschneider sagt selbst in einer Expertise, die wir in Auftrag gegeben haben, dass es hier um eine grundlegende Änderung unserer Verfassung, nämlich um eine Gesamtänderung der österreichischen Bundesverfassung, geht, die zwingend eine Volksabstimmung vorsieht. Und wenn Sie diese nicht sicherstellen, ist das demokratie-, staats- und verfassungswidrig, was Sie vorhaben. Das sagt der Verfassungsrechtler Universitätsprofessor Dr. Schachtschneider. Und genau darum geht es, das wollen wir sicherstellen.

Das Erbe Kreiskys, Neutralität zu leben, friedensstiftende Neutralität, internationale Vermittlung bei Krisen und Konflikten sicherzustellen, das erwarte ich mir von Ihnen, Herr Bundeskanzler. Aber Sie haben leider nichts mehr mit dem Erbe Kreiskys zu tun, Sie treten es mit Füßen. (Beifall bei der FPÖ.) Das sage ich auch in dieser Deutlichkeit, denn das, was wir heute hier erlebt haben, ist eine Schande für österreichische Volksvertreter, die eigentlich unsere Interessen vertreten sollten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es geht darum: Wollen wir unsere Hoheits­rechte bewahren, wollen wir diese schützen oder nicht? – Wir wollen sie schützen! (Präsident Dr. Spindelegger gibt das Glockenzeichen.) – Ich komme schon zum Schluss.

Deshalb stellen wir heute folgenden Antrag:


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Entschließungsantrag

der Abgeordneten Strache, Dr. Bösch, Rosenkranz, Kolleginnen und Kollegen betref­fend Nicht-Unterzeichnung des Vertrages zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union und des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft durch den österreichischen Bundeskanzler

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Der österreichische Bundeskanzler wird aufgefordert, die für den 13. Dezember 2007 in Lissabon geplante Unterzeichnung des Vertrages zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union und des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemein­schaft, kurz EU-Reformvertrag genannt, nicht vorzunehmen.“

*****

Ganz zum Schluss: Mir ist die gefährliche Freiheit lieber als die ruhige Knechtschaft! Das schreiben Sie sich in Ihr Stammbuch! (Beifall bei der FPÖ.)

11.28


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Herr Kollege Strache, Ihre Redezeit ist schon längst beendet. (Einige Abgeordnete der FPÖ entrollen ein Transparent mit der Auf­schrift: „Österreicher fragen statt Demokratie begraben! – Volksabstimmung sichern!“)

Der von Herrn Klubobmann Strache, den Abgeordneten Dr. Bösch, Rosenkranz und weiteren Abgeordneten eingebrachte Entschließungsantrag ist ausreichend unterstützt und steht mit in Verhandlung.

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Strache, Dr. Bösch, Rosenkranz und weiterer Abgeordneter betref­fend Nicht-Unterzeichnung des Vertrages zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union und des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft durch den österreichischen Bundeskanzler

eingebracht im Zuge der Debatte über die Erklärungen des Bundeskanzlers und der Bundesministerin für europäische und internationale Angelegenheiten gem. § 19 Abs. 2 GOG zum EU-Reformvertrag in der 38. Sitzung des Nationalrates am 8. November 2007

Am 13. Dezember 2007 soll im Rahmen des Europäischen Rates in Lissabon der Vertrag zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union und des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, kurz EU-Reformvertrag genannt, von den Regierungschefs der EU-Mitgliedsstaaten feierlich unterzeichnet werden, um danach in den einzelnen Mitgliedsstaaten auf nationaler Ebene ratifiziert zu werden.

Dieser EU-Reformvertrag entspricht allerdings ganz und gar nicht den Interessen der europäischen Bürger, im besonderen der Österreicher. Zum einen wird dieser Vertrag die Verfassung der Europäischen Union nicht nur, wie seine Technik es erscheinen läßt, weiterentwickeln, sondern grundlegend ändern. In der Substanz unterscheidet sich dieser Vertrag nicht von dem in Frankreich, den Niederlanden und Deutschland gescheiterten Vertrag über eine Verfassung für Europa vom 29. Oktober 2004. Ins­besondere geht dieser Vertrag (endgültig) den Schritt zum Bundesstaat Europäische Union. Zum anderen gibt es weitere zentrale Kritikpunkte, die von verschiedenen


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Verfassungsexperten geübt werden. Nicht nur, daß es eine Volksabstimmung über die Ratifizierung des Vertrages auf nationaler, österreichischer Ebene geben müßte, weil der Vertrag eine grundlegende Änderung der österreichischen Bundesverfassung bewir­ken würde, nein, die Kritik beispielsweise von Prof. Karl Albrecht Schacht­schneider geht so weit, daß dieser EU-Reformvertrag überhaupt unvereinbar mit den Grundprinzipien der österreichischen Bundesverfassung ist, zumal bedenkenswert ist, ob durch politische Staatsverträge eine Gesamtänderung der Bundesverfassung überhaupt zulässig ist. Diese Bedenken äußert der renommierte Experte für öffentliches Recht Prof. Schachtschneider auch in einem von der FPÖ in Auftrag gegebenen Gutachten, welches in sechs Punkten darlegt, warum eine Volksabstim­mung über den Reformvertrag in Österreich erforderlich ist und eine grundlegende Kritik am Vertrag darlegt:

1. Vereinfachtes Änderungsverfahren

Die Einrichtung des „vereinfachten Änderungsverfahrens“ durch Art. 33 Abs. 6 des Vertrages über die Europäische Union (EUV) ist eine „Gesamtänderung der Bundes­verfassung“ im Sinne des Art. 44 Abs. 3 B-VG, die „einer Abstimmung des gesamten Bundesvolkes zu unterziehen“ ist. Nach Art. 33 Abs. 6 EUV kann der Europäische Rat durch Beschluß nach  Anhörung des Europäischen Parlamentes und der Kommission sowie, bei institutionellen Änderungen im Währungsbereich der Europäischen Zentral­bank, auf Initiative der Regierung jedes Mitgliedstaates, des Europäischen Parlaments und der Kommission einstimmig „die Änderung aller oder eines Teils der Bestim­mungen des Dritten Teiles des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union“ beschließen. Dieser Dritte Teil umfaßt alle wichtigen Politiken der Union außer der Außen- und Sicherheitspolitik. Der Beschluß tritt zwar nach Unterabs. 2 S. 3 des Art. 33 Abs. 6 EUV „erst nach Zustimmung der Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften in Kraft“, aber der Beschluß ist kein „politischer Staatsvertrag“ im Sinne des Art. 50 B-VG, welcher der Zustimmung des Nationalrates und gegebenenfalls des Bundesrates und der Ratifikation durch den Bundespräsidenten (Art. 65 Abs. 1 B-VG) bedarf. Die Gesetzgebungsorgane Öster­reichs müssen somit an dem Verfahren nicht beteiligt werden. An diesen Änderungen wirkt für Österreich, wie dargelegt, maßgeblich nur der Bundeskanzler mit, weil der Europäische Rat einstimmig entscheiden muß. Das vereinfachte Änderungs­verfahren ist der Sache nach eine Diktaturverfassung, die kaum noch einen demo­kratischen Rest aufweist.

2. Generalermächtigung zur Mittelbeschaffung

Der Reformvertrag hat trotz des Maastricht-Urteils, das der großen Generalklausel, der Kompetenz-Kompetenz des Art. F Abs. 3 EUV (Art. 6 Abs. 4 EUV bisherige Fassung) die rechtliche Verbindlichkeit (zur Rettung des Maastricht-Vertrages) abgesprochen hat (BverfGE 89, 155 (196 f.)), in Art. 269 Abs. 1 im Vertrag über die Arbeitsweise der Union (VAU) eine fast gleichlautende Bestimmung beibehalten, diese allerdings in den Titel II des Fünften Teils, der die Finanzen der Union regelt, gestellt, also auf Mittel zur Finanzierung des Haushaltes der Union begrenzt. Jetzt aber wird ein Verfahren für die Umsetzung dieser Generalermächtigung eingeführt, das an der rechtlichen Verbind­lichkeit der Ermächtigung nicht mehr zu zweifeln erlaubt. Nach Absatz 3 Unterabsatz 1 nämlich erläßt der Rat einen Beschluß, den er einstimmig nach einem besonderen Gesetzgebungsverfahren und nach Anhörung des Europäischen Parlaments faßt, mit dem die Bestimmungen über das System der Eigenmittel der Union festgelegt werden. Dieser Beschluß kann neue Kategorien von Eigenmitteln einführen, aber auch bestehende Kategorien abschaffen. Die neuen Kategorien von Eigenmitteln können und werden auch europäische Steuern sein.


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3. Flexibilitätsklausel

Die Flexibilitätsklausel des Art. 308 Abs. 1 VAU ermöglicht es der Union, zur Verwirklichung der überaus weit gesteckten Ziele der Verträge durch Vorschriften des Rates auf Vorschlag der Kommission und nach Zustimmung des Europäischen Parla­ments „im Rahmen der in den Verträgen festgelegten Politikbereiche“ tätig zu werden, auch wenn die Verträge die dafür erforderlichen Befugnisse nicht vorsehen. Auf dieser Grundlage kann sich die Union so gut wie jede Befugnis verschaffen, ohne daß die Mitgliedstaaten dem zustimmen müssen. Letztere können lediglich ihre (kläglichen) Einwendungen aus dem Subsidiaritätsprinzip zur Geltung bringen (Absatz 2). Diese Kompetenz-Kompetenz geht deutlich über die bisherige Generalklausel des Art. 308 im Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) hinaus, welche auf die Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes beschränkt war. Lediglich Harmonisie­rungs­verbote dürfen durch die Vorschriften nicht überspielt werden (Absatz 3) und die Verwirklichung von Zielen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik darf nicht auf diesen Artikel gestützt werden (Absatz 4).

4. Bundesstaatliche Zuständigkeit

Obwohl der Reformvertrag nicht mehr wie der gescheiterte Vertrag über eine Verfas­sung für Europa von „Verfassung“ spricht, um nicht deutlich werden zu lassen, daß mit dem Integrationsschritt des Reformvertrages ein Staat verfaßt wird, macht der Reformvertrag doch den Schritt vom Staatenverbund zum Bundesstaat, zum euro­päischen Unionsstaat. Das erweist (abgesehen von den staatsmäßigen weiten Auf­gaben und Befugnissen der Union) die neue Zuständigkeitsordnung der Artikel 2 bis 6 VAU.

5. Vorrang der Unionsrechts

Zum Reformvertrag gehören die Erklärungen der Regierungskonferenz, die Bestandteil des Reformvertrages werden und die Verbindlichkeit dieses Vertrages entfalten. Diese Erklärungen sind (je nach ihrem Inhalt) authentische Klärungen der Rechtslage der Europäischen Union. Die 27. Erklärung befaßt sich mit dem Vorrang des Unionsrechts vor dem Recht der Mitgliedstaaten. Sie lautet:

„Die Konferenz weist darauf hin, dass die Verträge und das von der Union auf der Grundlage der Verträge gesetzte Recht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der EU unter den in dieser Rechtsprechung festgelegten Bedin­gungen Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten haben.“

6. Verlust der „immerwährenden Neutralität“

Der Reformvertrag entwickelt die Sicherheits- und Verteidigungsunion deutlich weiter. Zum einen schafft der Reformvertrag, wie unter Punkt 4 dargelegt, einen Bundesstaat. Dieser Bundesstaat beendet die immerwährende Neutralität Österreichs.

Aufgrund dieser rechtlichen Fakten stellen die unterfertigten Abgeordneten folgenden

Entschließungsantrag:

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Der österreichische Bundeskanzler wird aufgefordert, die für den 13. Dezember 2007 in Lissabon geplante Unterzeichnung des Vertrages zur Änderung des Vertrages über


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die Europäische Union und des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemein­schaft, kurz EU-Reformvertrag genannt, nicht vorzunehmen.“

*****

 


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Meine Damen und Herren von der freiheitlichen Fraktion! Wir haben jetzt das Transparent gesehen, und ich darf Sie bitten, dieses wieder einzurollen.

Als Nächster zu Wort gelangt Herr Klubobmann Ing. Westenthaler, ebenfalls mit einer Redezeit von 9 Minuten. – Bitte.

 


11.28.55

Abgeordneter Ing. Peter Westenthaler (BZÖ): Herr Bundeskanzler! Frau Außen­ministerin! Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin noch immer wirklich fasziniert von der heutigen Ansage des Klubobmanns der SPÖ, er mache Weltpolitik. Ich stelle mir das so vor: Josef Cap sitzt um 8 Uhr in der Früh im Büro und erwartet die Anrufe von Putin und Bush zum Morgenbriefing und gibt dann von dort die Losung aus, was zu tun ist. – Das glaubt Ihnen aber keiner! Ich glaube, es war nicht ganz ernst gemeint, und so nehme ich es auch.

Viel ernster gemeint ist aber die Rede des Herrn Bundeskanzlers gewesen. Ich habe mir die Mühe gemacht und habe mitgezählt: Sie haben in dieser Rede dreißigmal von den Menschen gesprochen. Das tun Sie so gerne. Sie sprechen von den Menschen und sagen, wie wichtig Ihnen die sind. Aber wenn es darum geht, die Menschen mit­bestimmen zu lassen, dann dürften sie Ihnen doch nicht so wichtig sein. Da sieht man, dass vieles, was Sie sagen, eben nur Lippenbekenntnisse sind.

Sie haben eine richtigen Satz gesagt, das war der einzig wirklich richtige Satz in Ihrer Rede. Sie haben nämlich gesagt: Österreich liegt im Herzen Europas! – Das ist geografisch völlig richtig. Sie haben es in Bezug auf die Europäische Union gesagt.

Aber ich sage Ihnen: Österreich liegt im Herzen Europas, aber diese jetzige Euro­päische Union ist nicht in den Herzen der Österreicher! Und das ist der Unterschied, Herr Bundeskanzler! Solange diese Europäische Union und die Bürokraten und die Mächtigen dieser Europäischen Union nicht erkennen, dass die Bürger und die Stimme der Bürger das Herz Europas sind, so lange wird diese EU kalt, herzlos und auch unnahbar für diese Menschen sein, und sie werden nicht mitmachen. – Das ist der Fehler der derzeit Mächtigen auf der Ebene der Europäischen Union! (Beifall beim BZÖ.)

Deswegen treten wir dafür ein, dass wir selbstverständlich die Bevölkerung befragen und dass die Bevölkerung auch ein Mitbestimmungsrecht bekommt, wenn es darum geht, dass Kernpunkte der österreichischen Verfassung mit einer Europäischen Verfas­sung überstülpt werden. Daher sagen wir: Wenn Sie sich schon nicht trauen, eine Volksabstimmung durchzuführen, weil es verbindlich ist und weil Sie Angst haben, dass so wie in Irland, wo es eine Volksabstimmung geben wird, derzeit nach neuesten Berichten überhaupt nur 25 Prozent für diesen Vertrag sind, dann machen Sie, Herr Bundeskanzler, doch eine Volksbefragung! Wenn Sie sich so sicher sind, dass die Österreicher zu allem Ja und Amen sagen, wie Sie das glauben, dann machen Sie doch eine Volksbefragung! Und dann wissen Sie, wie die Menschen in diesem Land über Ihre EU-Politik denken. – Das verlangen wir, Herr Bundeskanzler! (Beifall beim BZÖ.)

Wir haben daher heute schon einen Antrag eingebracht, wo wir verlangen, dass Sie die Menschen fragen: Soll der Bundesverfassungsgeber dem EU-Reformvertrag seine


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Zustimmung erteilen: ja oder nein? Ganz einfach! Es gibt das Instrument der Volks­befragung, das Sie als Regierung nutzen können. Und dass dies notwendig ist, sagen auch viele große Europäer.

Ihr seid immer im Konzert mit den großen Europäern. Euch ist es wichtig, wenn euch die großen Europäer auf die Schulter klopfen. Aber es gibt große Europäer, die, was diesen Vertrag anbelangt, sehr skeptisch sind. Dazu gehört zum Beispiel – einer, den Sie alle kennen – der frühere französische Präsident Giscard d’Estaing. Der hat gesagt: „Die Bürgerinnen und Bürger werden mit einer Mogelpackung für dumm ver­kauft.“ – Das hat er zu diesem Vertrag gesagt. Das muss man sich einmal vorstellen! Beachtlich!

Oder: Der italienische Premierminister Giuliano Amato, auch ein großer Europäer, hat gesagt: „Dieser Vertrag ist absolut unlesbar, ein typischer Brüsseler Vertrag, nichts Neues, kein Referendum notwendig.“ – Das hat er zynisch gemeint, auch als Mogel­packung.

Und ein drittes Zitat, das interessant ist: Der ehemalige EU-Kommissar, auch ein Kenner dieser Materie, Frits Bolkestein hat gesagt: „Ein Referendum über den Vertrag ist notwendig, um der Idee entgegenzutreten, dass Europa dem Volk durch die Hintertür gewaltsam aufgedrängt wird.“ – Ich betone: „Gewaltsam“!

Das ist das Problem: Es wird jetzt mit dem Reformvertrag das Türschild geändert. Es heißt nicht mehr „Verfassung“, sondern „Reformvertrag“. Aber es bleibt letztlich das­selbe drinnen, wie zum Beispiel auch Angela Merkel gesagt hat – Zitat –: „Die Sub­stanz der Verfassung ist erhalten geblieben.“

Da hat sich nichts geändert, Herr Dr. Gusenbauer, der Sie im Jahr 2005 in diesem Hohen Haus gesagt haben – vielleicht kennen Sie dieses Zitat –: Man muss die Verfas­sung völlig neu verhandeln. Dann muss im Rahmen von Referenden darüber abge­stimmt werden. Es ist ein Fehler, dass sich Europa von den wirklichen Bedürfnissen der Bürger entfernt hat. – Ende des Zitats.

Herr Dr. Gusenbauer, es hat nicht einmal eineinhalb Jahre gedauert – Sie sind seit einem Jahr Kanzler –, und schon sind Sie „weichgeklopft“ und „weichgespült“. Der europäische „Weichspülgang“ hat stattgefunden, eine „Vollwaschung“. Es ist Ihnen offensichtlich wichtiger das Schulterklopfen Ihrer europäischen Kollegen als die Meinung der österreichischen Bevölkerung. – Das ist falsch, Herr Bundeskanzler! Das ist der falsche Zugang! (Beifall beim BZÖ.)

Herr Dr. Cap, Sie sind im Jahr 2005 hier gestanden, und wissen Sie, was Sie damals gesagt haben, was damals der Schlachtruf der SPÖ war? – Kein Euro mehr ohne dramatische Reformen! Es hat keine dramatischen Reformen gegeben. Was ist jetzt: kein Euro mehr? – Wir sind auch dieser Meinung!

Bundeskanzler Gusenbauer hat selbst gesagt: Österreich ist pro Kopf der größte Nettozahler in der Europäischen Union! Ich zitiere ihn: Wir zahlen dort am meisten hinein pro Kopf! – Ja verdammt noch einmal, warum haben wir dann nicht eine Regierung, die dort auch mehr verlangt, nämlich das, was uns zusteht? Warum kommen Sie nicht heim und legen den Österreichern Lösungen auf den Tisch? (Beifall beim BZÖ.)

Warum sagen Sie dort nicht einmal: Wenn unsere Anliegen wie Gentechnik, Transit, aber auch die Zuwanderungspolitik, die plötzlich europaweit geregelt werden soll, wo wieder Österreich der Teschek ist, auf gut Wienerisch gesagt, weil wir die meiste Zuwanderung durch die „Blue Card“ bekommen, wenn die österreichischen Anliegen nicht durchgesetzt werden, dann werden wir die EU-Zahlungen einfrieren und nicht mehr so viel in die EU hineinzahlen!? Das wäre einmal eine richtige Ansage! Und Sie


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werden sehen: Sie werden ähnlich wie die Engländer, Sie werden ähnlich wie die Polen, wie die Bulgaren, wie die Rumänen auch österreichische Interessen durchset­zen können! (Beifall beim BZÖ.)

Der „Wettbewerb des gekrümmten Buckels“ auf der Europäischen Unionsebene sollte endlich ein Ende haben! Der aufrechte Gang ist nicht verboten. Der aufrechte Gang ist in der Europäischen Union dringend notwendig, und den verlangen wir auch von Ihnen.

Nun zur Grundrechtscharta: Das ist nicht lustig, sondern sehr, sehr traurig. Meine Vorfahren sind auch Sudentendeutsche, und wenn Sie jetzt die Grundrechtscharta als einen großen Wurf bezeichnen, dann ist das doch ein Hohn für alle, die unter den Beneš-Dekreten – und auf Neubestimmungen der Tschechen warten wir noch immer – bis zum heutigen Tag leiden. Dass das, was da geboren ist, überhaupt etwas mit Grundrechten zu tun hat, ist ein Skandal und eine Verhöhnung der Österreicherinnen und Österreicher, die unter den Beneš-Dekreten bis heute und auch weiterhin leiden. Wir meinen mit Grundrechten eigentlich etwas anderes. (Beifall beim BZÖ.)

Noch einmal zur Volksbefragung: Hochinteressant ist auch die Haltung der Grünen dazu. Die sind ja völlig zerrissen. Da kommt der Herr Voggenhuber her und sagt: Dieser Vertrag ist der Misthaufen der Europäischen Union! Aber auf keinen Fall, sagt er gleichzeitig, brauchen wir eine Volksabstimmung. Das heißt: Wir sollen den Misthaufen schlucken, wir sollen uns darin baden, aber es soll keine Volksabstimmung geben.

Und heute haben sich 20 zivilgesellschaftliche Organisationen – ich darf Ihnen das zitieren; das ist eine Aussendung von heute – für eine Volksabstimmung über diesen Reformvertrag ausgesprochen. Darunter sind Friedens-, Anti-Atom-, Anti-Globalisie­rungs-, Demokratie-, Datenschutz- und Gewerkschaftsbewegungen. Die kommen zum großen Teil aus Ihrem Kreis. Die vertreten Sie aber nicht mehr! Die alle haben sich heute in einer Aussendung für eine Volksbefragung über diesen Reformvertrag ausge­sprochen.

Aber Ihr Van der Bellen verabschiedet sich von diesen Menschen und sagt: Das brau­chen wir nicht, denn wir gliedern uns ein ins europäische Konzert!

Die Grünen sind schon so viel System, dass sie gar nicht mehr wissen, wie weit entfernt sie von den Bürgern sind. (Abg. Strache: Altpartei!) Sie haben sich schon verabschiedet von der Verantwortung gegenüber Ihren eigenen Menschen! (Beifall beim BZÖ.)

Wir reden nicht, wir handeln! Es wird eine Volksbefragung in diesem Land stattfinden. Und ich sage Ihnen, wo. – In Kärnten! Dort wird sie stattfinden. Das Kärntner BZÖ und Landeshauptmann Jörg Haider beginnen mit dem heutigen Tag eine Unterschriften­sammlung. 15 000 Unterschriften sind notwendig. Wetten, dass wir diese 15 000 Un­ter­schriften zustande bringen! Es wird ein Privileg, eine Auszeichnung und eine Ehre für die Kärntner Bevölkerung sein, die ich auch von dieser Stelle aus herzlich dazu einlade, sich an dieser Volksbefragung zu beteiligen. Und Sie werden dann an einem Bundesland, das es mit der direkten Demokratie, mit Mitbestimmung sehr ernst nimmt, sehen, wie die Kärntner Bevölkerung zu Ihrer EU-Politik und zu dieser Politik der „Volksverblödung“, hätte ich fast gesagt, wenn ich dafür nicht einen Ordnungsruf bekommen würde, steht. Die Kärntner werden diesen Weg vorangehen. Sie werden beispielgebend sein. Sie sind aufgerufen, dem Beispiel: Nicht reden, sondern handeln! zu folgen.

Wir sorgen dafür, dass die Menschen mitbestimmen dürfen. Wir stehen dafür und verlangen eine Volksbefragung quer durch Österreich, damit wir Ihnen die Meinung der österreichischen Bevölkerung auch präsentieren können. Sie werden sehen, 70 bis


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75 Prozent der Menschen sind gegen diese Politik einer Parteiendiktatur, gegen diese Politik der Bevormundung und letztlich gegen eine Politik, die mit Demokratie sehr, sehr wenig am Hut hat. (Beifall beim BZÖ.)

11.38


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Mag. Grossmann. 5 Minuten Redezeit. – Bitte.

 


11.38.13

Abgeordnete Mag. Elisabeth Grossmann (SPÖ): Herr Präsident! Hohes Haus! Die Grundidee der Europäischen Gemeinschaft lag darin, durch wirtschaftliche Verflech­tung Krieg und Nationalismus auf unserem leidgeprüften Kontinent zu überwinden, und dementsprechend wurden seinerzeit die Regeln gestaltet. (Abg. Strache: Deshalb gibt die SPÖ die Neutralität jetzt auf! Ganz „gescheit“!)

Nur: Der Klimawandel, die grenzüberschreitende Kriminalität, die Auswirkungen der Globalisierung, das sind die neuen Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen. Das Kapital – das wissen wir alle – arbeitet international, der rechtliche Rahmen, die Kontrolle national, und das kann auf die Dauer nicht funktionieren, wenn wir unsere sozialen Standards erhalten wollen.

Die Probleme der Gegenwart und der Zukunft machen vor den Landesgrenzen nicht halt und können mit einzelstaatlichen Gesetzen nicht mehr gelöst werden. Und auch der europäische Rechtsrahmen reicht einfach nicht mehr dafür, dass die EU das leisten kann, was sie leisten soll und was sich die Menschen auch von ihr erwarten, nämlich ein soziales, ein sicheres und ein lebenswertes Europa, damit, Herr Kollege Strache, die Ketten der Armut gesprengt werden, um Ihren Vergleich zu verwenden. (Beifall bei der SPÖ sowie des Abg. Dr. Schüssel. – Abg. Strache: Sie schaffen Armut! Leider Gottes!)

Der Reformvertrag von Lissabon entwickelt die gegenwärtigen Rechtsgrundlagen wei­ter, damit diese Aufgaben auch erfüllt werden können – nicht mehr, aber auch nicht weniger. (Abg. Kickl: Sie machen den europäischen Gedanken kaputt!) Es wird kein europäischer Bundesstaat geschaffen oder keine Vereinigten Staaten von Europa. Also, gehen Sie hier nicht mit Falschinformationen hausieren! (Abg. Strache: Sagen Sie doch den Leuten die Wahrheit: Keinerlei Bürgermitsprache! Nirgendwo! Alles Recht geht vom Europäischen Rat aus!) Die Souveränität der Mitgliedstaaten bleibt erhalten und wird zuweilen sogar ausgedehnt, indem die Kontrollrechte des Parlaments gestärkt werden und die Kompetenzen auch klarer abgegrenzt werden.

Trotzdem wird eine notwendige Handlungsfähigkeit hergestellt, damit die Union auch mit 27 Mitgliedstaaten noch in der Lage ist, Entscheidungen zu treffen, und nicht etwa ein Land aufgrund einzelstaatlicher Begehrlichkeiten mit einem Veto gesamteuro­päische Lösungen verhindern kann. Die Interessen der überstimmten Staaten werden wohl mehr als ausreichend berücksichtigt. Also hier kann wirklich kein Staat überfahren werden.

Das österreichische Parlament hat dem ursprünglichen Verfassungsvertrag, der ja sogar noch um ein Stück weiter gegangen ist, mit gutem Grund zugestimmt. Und da waren auch Ihre Parteien, meine Herren, dabei, sicherlich (Abg. Strache: Unsere Abgeordnete Rosenkranz hat dagegen gestimmt, während alle anderen Fraktionen dafür gestimmt haben!), auch wenn Sie sich jetzt von sich selbst distanzieren, meine Herren „Propagandabeauftragten“, um wieder einmal Ihren Begriff zu verwenden. (Neuerlicher Zwischenruf des Abg. Strache.) – Sie waren schon dran. Also hören Sie auf mit Ihrer unkultivierten Brüllerei!


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Es geht bei diesem Vertrag nicht um eine Gesamtänderung der Bundesverfassung, der Bauprinzipien, sondern es geht darum, ob man mit den bestehenden Verträgen weiterarbeitet oder eben, wie es der Herr Bundeskanzler treffend ausgedrückt hat, weiterwurschtelt – weil man die neuen großen Herausforderungen unserer Zeit so nicht bewältigen kann –, oder ob man sich nun neue Instrumente gibt, damit die Erwar­tungen der Menschen, vor allem auch die Grundrechte, die jetzt rechtsverbindlich sind, mit Leben erfüllt werden können.

Die Menschen erwarten sich von der EU zu Recht soziale Sicherheit, Schutz vor den negativen Auswirkungen der Globalisierung, Maßnahmen gegen den Klimawandel und sind zu Recht enttäuscht und skeptisch, wenn diese Erwartungen nicht erfüllt werden. (Abg. Strache: Diese Europäische Union bringt Globalisierung!)

Jetzt werden diese Instrumente geschaffen. Es liegt an den politischen Mehrheiten, diese auch in diesem Sinn zu nützen. Unser Entschließungsantrag, der im Anschluss noch erläutert wird, bringt das auch ganz deutlich zum Ausdruck.

Mein Appell zum Abschluss: Ergeben wir uns nicht der Angst vor Neuem, sondern gestalten wir gemeinsam unser Europa! – Danke. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

11.42


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Grillitsch. 5 Minuten Redezeit. – Bitte, Herr Kollege.

 


11.42.43

Abgeordneter Fritz Grillitsch (ÖVP): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Frau Bundesministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Diese Diskussion zeigt wieder ganz klar, wer verantwortungsvoll für die Menschen in Österreich arbeitet. (Abg. Strache: Sie lassen die Bevölkerung nicht abstimmen! Sie haben Angst vor einer Volksabstimmung!) Die Antwort liegt klar auf der Hand, Herr Strache: Sie schüren Angst, Sie schüren Neid – wir hingegen handeln verantwortungsvoll für Österreich! (Beifall bei der ÖVP.)

Ich weiß, warum das so ist, dass wir verantwortungsvoll handeln. (Abg. Strache: Sie haben Angst vor einer Volksabstimmung!) Die Bäuerinnen und Bauern in Österreich waren vor 1995 sehr kritisch gegenüber dem Beitritt zur Europäischen Union. (Abg. Strache: 30 000 Bauern sind zugrunde gegangen!) Wir haben uns aber klar dazu bekannt, dieses Europa mitzugestalten, Verantwortung zu übernehmen. Und es ist uns gelungen, meine Damen und Herren, Europa mitzugestalten, die Verantwortung mit zu übernehmen, insbesondere für den ländlichen Raum und für die bäuerlichen Familien in diesem Lande. (Abg. Strache: Fragen Sie einmal die 30 000 Bauern, die zusperren mussten!) Der Grüne Pakt ist der Beweis dafür. Der Grüne Pakt ist das Ergebnis (Abg. Strache: Die Gentechnik ist das Ergebnis!), wo wir sagen können, Europa gibt den Menschen in den ländlichen Räumen Sicherheit und Planbarkeit für die nächsten Jahre. – Das ist verantwortungsvolles Handeln für die Menschen in Österreich, Herr Strache: nicht draußen Angst und Neid schüren, sondern Verantwortung übernehmen, mitgestalten und mitprägen! (Beifall bei der ÖVP.)

Letztlich ist dieser Grüne Pakt nicht nur für die Menschen im ländlichen Raum eine entsprechende Sicherheit, sondern auch Grundlage dafür, dass die Konsumenten in Österreich auch das Recht auf sichere Lebensmittel haben, die sie auch geliefert bekommen, ein Recht auf eine umweltgerechte, eine tiergerechte Produktion. Er ist auch dazu da, die Landschaft offen zu halten. Für all das ist dieser Grüne Pakt eine entsprechende Grundlage! (Abg. Strache: Die Gentechnik ist ein umweltgefährdendes Programm!)


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Meine Damen und Herren! Europa stiftet somit Nutzen. Europa darf nicht – und das sage ich auch – ein zentralisierter Superstaat werden (Abg. Strache: Aber das ist er!), sondern die Stärke Europas liegt darin, in den Regionen die Identität aufrechtzu­erhalten, Herr Strache. Im Reformvertrag ist das kommunale Selbstverwaltungsrecht auch dezidiert festgehalten.

Ein weiterer wichtiger Punkt in diesem Reformvertrag ist meiner Meinung nach die Festschreibung einer nachhaltig sozialen Marktwirtschaft – ein Kernstück, das aus Österreich nach Europa geliefert wurde, mit einer starken Ökonomie, wo es letztlich auch möglich ist, sich die ökologische und die soziale Säule entsprechend leisten zu können.

Meine Damen und Herren! Bei den WTO-Verhandlungen haben wir gesehen, dass wir mitgestalten können. Es war Franz Fischler, der erstmals eine europäische Position, wo soziale Standards und ökologische Standards in dem Verhandlungspapier fest­gehalten waren, auf den Tisch gelegt hat. Das stellt eine wesentliche Grundlage dar, weil wir dieses Europa nicht einem Wettbewerb ausliefern wollen, wo Sklavenarbeit erlaubt ist, wie beispielsweise in Brasilien. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt, meine Damen und Herren!

In Zukunft haben wir große Herausforderungen zu bewältigen. Global denken, ich weiß schon, Herr Strache, das ist schwer für Sie! (Abg. Strache: Wie im illegalen Pflege­bereich!) Unser Motto lautet: Global denken und lokal handeln! Das gilt auch in der Klimapolitik und in der Energiepolitik. (Beifall bei der ÖVP.)

In diesen Bereichen haben wir große gesellschaftspolitische Fragen zu beantworten. Ich glaube, dass wir in Österreich da eine entsprechende Schrittmacherrolle ein­neh­men können, gerade was den Klimaschutz betrifft. Wir haben da enorme Potentiale, beispielsweise bei den erneuerbaren Energieträgern. Wir haben da die Technologie, wo wir einerseits Klima schützen, andererseits auch Arbeit schaffen. (Abg. Strache: Erklären Sie den Bauern die Gentechnik!) Wir wollen das Klima schützen und dabei Arbeit schaffen.

Wir werden damit auch eine Trendumkehr einleiten, wo wir sagen: Wir halten die Wertschöpfung in der Region, die Menschen in der Region haben wieder mehr Ein­kommen, sie investieren in der Region, und letztlich erleiden wir keinen Kaufkraft­abfluss.

Das sind Ziele mit klaren Umsetzungsmechanismen, und dafür zahlt es sich aus, zu arbeiten – im Sinne von verantwortungsvollem Handeln und nicht nur zu dem Zweck, Neid zu schüren. (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Strache: Unverantwortliche Gen­technik! – Abg. Dr. Graf: Während Ihrer Rede sind fünf bäuerliche Betriebe gestorben!)

11.46


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Mag. Lunacek. Redezeit: ebenfalls 5 Minuten. – Bitte.

 


11.47.05

Abgeordnete Mag. Ulrike Lunacek (Grüne): Herr Bundeskanzler! Frau Außen­minis­terin! Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muss zuerst auf die Rede des Herrn Strache eingehen. (Abg. Strache: Das wundert uns nicht!) Da ist mir, ich sage es ganz offen, die Galle hochgestiegen. Diese Hetze, die Sie hier betreiben, und zwar gegen alles, was außerhalb unserer Grenzen ist, fremd ist, europäisch ist, entbehrt jeder Beschreibung. Es ist Hetze, was Sie hier betreiben, Herr Strache! (Beifall bei den Grünen. – Abg. Strache: Beschäftigen Sie sich mit der Europäischen Union!)

Sie tun so, als ob Sie die besseren Österreicher wären, die besseren Heimat­ver­teidiger, wenn nicht überhaupt die besten. Die besseren Grünen sogar – da kann ich


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nur lachen! (Abg. Strache: Umweltschutz liegt uns am Herzen! Im Unterschied zu Ihnen sind wir konsequent bei der Anti-Atompolitik und konsequent bei der Gentechnik! Da schweigen Sie!) Ich sage Ihnen jetzt, was Sie tatsächlich sind: Sie sind die besten nationalistischen Populisten! Und was Sie versuchen, das ist, Begriffe wie „Heimat“ und „Freiheit“ braun einzufärben. (Beifall bei den Grünen.)

Dazu gibt es ein ganz klares Nein von uns! (Zwischenrufe bei der FPÖ.) Das ist Vergangenheit in Österreich, seit mehr als 60 Jahren, das wollen wir nicht mehr, das will hier niemand mehr. Mit Ihrer Hetze, die Sie betreiben, vergiften Sie das Klima in Österreich und tragen dazu bei, dass für Menschen, die nicht hier geboren wurden, gegen die gehetzt wird, ein Klima von Angst und Mutlosigkeit geschaffen wird. Dazu sagen wir Grünen ganz klar nein, Herr Strache. Nein, nein, nein! (Beifall bei den Grünen. – Abg. Strache: Es ist schon wichtig, Ihnen den Spiegel vorzuhalten!)

Sie wissen ganz genau, dass die Grünen von Anfang an – wir haben auch eine Geschichte dazu – die Europäische Union immer wieder kritisiert haben, und zwar aus Gründen, die wir zum Teil auch heute noch vorbringen. Wir sagen: Ja, es fehlt bisher an demokratischen Elementen! Aber ich weiß nicht, ob Sie sich den Reformvertrag genau angeschaut haben. (Abg. Strache: Im Unterschied zu Ihnen haben wir ihn gelesen!) Genau darin wird nämlich ein großer Fortschritt gemacht. Dieses Parla­ment – auch Sie, auch wenn Sie das nicht wollen – hat mit diesem Reformvertrag die Möglichkeit, auf der europäischen Ebene mehr mitzubestimmen. (Abg. Strache: Wir werden zur Verwaltung degradiert! Die Gesetzgebung spielt sich in Brüssel ab!) Wenn Sie das nicht wollen, dann stimmen Sie dagegen. Aber diejenigen in diesem Haus, die auf der europäischen Ebene mehr mitreden wollen, sollen diesem Vertrag zustimmen. (Abg. Dr. Haimbuchner: Temelín!)

Auch das Europäische Parlament bekommt mehr Rechte. (Abg. Dr. Haimbuchner: Temelín!) – Hören Sie zu schreien auf! Sie wollen mir ja gar nicht zuhören.

Auch das Europäische Parlament bekommt mehr Rechte, und das macht Sinn. Es gibt mehr Demokratie für das Europaparlament und die nationalen Parlamente, die Mög­lichkeit, dass die europäische Bevölkerung Initiativen ergreift, und die Grund­rechts­charta. Und auch die Neutralität, meine Damen und Herren, ist gesichert, um das klarzustellen.

In Artikel 4 Abs. 2 des Reformvertrages steht ganz klar, dass die nationale Sicherheit weiterhin in die alleinige Zuständigkeit der einzelnen Mitgliedstaaten fällt und dass jedes Land für sich entscheidet, welche Form des Beistands und der Solidarität es auf der Grundlage der eigenen verfassungsrechtlichen Struktur ausübt – und verfassungs­rechtliche Struktur bedeutet in Österreich Neutralität. (Beifall bei den Grünen. – Abg. Dr. Graf: Für das Protokoll: Kein Applaus von den Grünen! – Abg. Ing. Westenthaler: Frau Kollegin Lunacek, wo ist eigentlich Ihre Fraktion geblieben? Nur für die ORF-Kamera: Die Grünen sind gar nicht mehr da!)

Was die Beteiligung der Bevölkerung betrifft: Es freut mich ja immer wieder, von der Regierungsbank – von Ihnen, Frau Außenministerin, vom früheren Bundeskanzler Schüssel, aber auch vom jetzigen Bundeskanzler Gusenbauer – zu hören, wie sehr Sie eine europaweite Volksabstimmung wollen.

Herr Ex-Bundeskanzler, Herr Klubobmann Schüssel, Sie haben gesagt, es war eine österreichische Initiative, eine europaweite Volksabstimmung zu verlangen. – Sie liegen hier schlicht und einfach falsch! Im Entwurf des Konvents, in dem es eine Mehrheit von Parlamentariern gab, war die europäische Volksabstimmung enthalten; es waren Sie als Bundeskanzler und andere im Rat, die das damals gestrichen haben, weswegen sie dann im Endentwurf nicht mehr drin war. Sie waren es! Reden Sie jetzt nicht davon, dass Sie dafür sind und dafür waren! (Beifall bei den Grünen.)


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Und Initiativen von Ihrer Seite habe ich auch keine gesehen! – Das, was jetzt noch möglich ist, ist eine europaweite Volksbefragung. Wir wissen, dass einige Staaten keine Möglichkeit zu einer nationalen Volksabstimmung haben, deswegen stellen wir den Antrag, dass es eine europaweite Volksbefragung gibt – das ist auf kurze Sicht realistisch. (Abg. Strache: Wofür eine Befragung? Die Österreicher wollen eine Volksabstimmung! 75 Prozent der Österreicher wollen eine Volksabstimmung!) –:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Lunacek, Van der Bellen, Sburny, Kolleginnen und Kollegen betref­fend eine europaweite Volksbefragung zum Reformvertrag der EU

Der Nationalrat wolle beschließen:

Die Bundesregierung wird ersucht, auf europäischer Ebene eine politische Initiative zur Abhaltung einer europaweiten Volksbefragung über den EU-Reformvertrag zu setzen.

*****

Noch ein Letztes: Wissen Sie, was heute im Europaparlament auf Initiative der Grünen stattfindet? – Eine Agora-Veranstaltung mit 300 bis 500 Vertretern und Vertreterinnen der Zivilgesellschaft, um mit Exponenten der europäischen Institutionen und der Zivil­gesellschaft über die Vorteile und auch über die Kritik, die es an diesem Reformvertrag gibt, zu diskutieren. Das machen die Grünen; Sie und Sie reden nur und tun nichts. (Rufe bei der FPÖ: Agora, nicht Agora! – Abg. Strache: Agora, nicht Arigona!)

Unsere Initiativen sind diejenigen, die dazu beitragen, dass die Bevölkerung mitdis­kutiert, und das ist auch in Zukunft gefordert. – Danke. (Beifall bei den Grünen. – Abg. Ing. Westenthaler: Da ist ja unser Applaus noch lauter!)

11.52


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Der von Frau Abgeordneter Lunacek einge­brachte Entschließungsantrag ist ausreichend unterstützt und steht daher mit in Verhandlung.

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Lunacek, Van der Bellen, Sburny betreffend eine europaweite Volksbefragung zum Reformvertrag der EU

eingebracht im Zuge der Debatte über Erklärungen des Bundeskanzlers und der Bundesministerin für europäische und internationale Angelegenheiten gemäß § 19 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Nationalrats zum EU-Reformvertrag

Am 11.Mai 2005 wurde der Vertrag über eine Verfassung für Europa, die sogenannte „EU-Verfassung“, im Nationalrat mit überwältigender Mehrheit ratifiziert. Quer durch alle Fraktionen wurden die objektiven Verbesserungen gegenüber der bisherigen Rechtslage anerkannt. Nur eine Abgeordnete der FPÖ stimmte damals dagegen.

Am selben Tag fand ein Entschließungsantrag (258/UEA XXII.GP) von Abgeordneten der ÖVP und der BZÖ bezüglich einer europaweiten Volksabstimmung breite Zustim­mung im Plenum:

„Die Bundesregierung wird ersucht, weiterhin und verstärkt für die Abhaltung EU-weiter Volksabstimmungen über künftige Änderungen des Vertragswerks der Europäischen


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Union (Europäische Verfassung), die die Grundprinzipen der nationalen Verfassungen betreffen, sowie für die generelle europarechtliche Verankerung der Möglichkeit euro­paweiter Volksabstimmungen über Fragen von grundsätzlicher Bedeutung für Europa einzutreten.“

Nach nunmehr zweieinhalb Jahren und dem Scheitern des europäischen Verfas­sungsvertrages, soll am 13. Dezember der neue Reformvertrag in Lissabon offiziell unterzeichnet werden und bedarf danach in allen 27 Mitgliedsländern einer Ratifizie­rung, um wie geplant rechtzeitig vor den Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni 2009 in Kraft treten zu können.

Die Lähmung, welche die EU nach den beiden gescheiterten Referenden in Frankreich und den Niederlanden erfasste, veranschaulichte drastisch, wie das Nein von nur zwei Ländern - selbst wenn ein Großteil der Mitgliedsstaaten die Verfassung per Volks­abstimmung oder Abstimmung im Parlament ratifiziert hat - die Entwicklung Europas auf Eis legen kann.

Daraus ergibt sich in logischer Konsequenz, dass Veränderungen im Vertragssystem der Europäischen Union oder auch andere zentrale Fragen europäischer Politik einem gesamteuropäischen Souverän vorgelegt werden sollten.

Dies fordern die Grünen bereits seit Jahren. Doch obwohl - wie die vorher zitierten Pas­sagen verdeutlichen - sowohl von allen Parteien immer wieder Zustimmung signali­siert wurde und etwa auch von Seiten des Bundespräsidenten Fischer Anregungen für EU-weite Referenden zu vernehmen war (siehe Die Presse, 25.10.2005: Fischer regt EU-weite Referenden an), bleiben ambitionierte Initiativen der Regierung aus. Es ist mittlerweile klar, dass die Abhaltung von EU-weiten Referenden aus verfassungs­rechtlichen Gründen (einige EU-Staaten müssten erst ihre Verfassungen dafür ändern) im genannten Zeitraum unrealistisch ist. Eine Alternative dazu ist die Abhaltung einer europaweiten Volksbefragung.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

Die Bundesregierung wird ersucht, auf europäischer Ebene eine politische Initiative zur Abhaltung einer europaweiten Volksbefragung über den EU-Reformvertrag zu setzen.

*****

 


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Zu Wort gelangt nun Frau Abgeordnete Rosenkranz. Ihre Redezeit beträgt 5 Minuten. – Bitte. (Abg. Rosenkranz begibt sich zum Rednerpult und stellt dort eine Tafel mit der Aufschrift „EU-Volksabstimmung sichern! Infos unter 01/406 75 17 oder www.fpoe.at“ auf.)

 


11.52.34

Abgeordnete Barbara Rosenkranz (FPÖ): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Hohes Haus! Nach all den Reden, die ganz eindeutig schönfärberisch waren, fragt man sich: Warum lassen Sie eigentlich keine Volksabstimmung zu? – Wenn es so viele Vorteile gibt, dann kann es ja nur gut gehen! Mit der Rückendeckung durch die österreichische Bevölkerung kann man es ja wirklich machen!

Es kann also nur zwei Gründe dafür geben: Entweder Sie trauen sich das nicht zu und vertrauen nicht auf Ihre Überzeugungskraft – das glaube ich nicht, denn ich kenne Sie


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alle als sehr selbstbewusst –, oder Sie wissen, und das ist schon eine bittere Erkennt­nis, dass das, was Sie vorhaben, von einer großen Mehrheit der Bevölkerung nicht goutiert wird (Beifall bei der FPÖ), dass Ihre politischen Ziele nicht mehr mit dem Willen und dem politischen Wollen der Österreicher übereinstimmen, wollen es aber einfach trotzdem machen. Ich befürchte, dass das die realistische Variante ist, vor allem wenn ich mir auch die Reaktion auf die gescheiterte Verfassung anschaue.

Man würde sich denken, wenn es einen politischen Entwurf gibt und er in Volksabstim­mungen scheitert – in Holland und Frankreich –, kann es demokratischer Auffassung zufolge ja nur eine Reaktion geben: Ich habe mit meinen politischen Zielen nicht den Willen der Bevölkerung getroffen, ich muss mich korrigieren. – Allenfalls kann ich noch versuchen, einen neuen Anlauf zu nehmen und es besser zu erklären, aber grund­sätzlich muss ich mich fragen: Wo ist eine Korrektur notwendig?

Die Reaktionen waren völlig andere, allein in der Begrifflichkeit: eine „Abstimmungs­panne“. – Es kann nie eine Abstimmungspanne geben! Dem Volk wird etwas zur Abstimmung vorgelegt, und es sagt ja oder nein. Und wenn ich Demokrat bin – Sie leben ja in keinem patrimonialen System –, dann muss ich das akzeptieren. Ich kann mir nur hinterher den Vorwurf machen, dass es mir nicht gelungen ist, dem von mir für richtig Erkannten zu einer Mehrheit zu verhelfen, aber ich muss es akzeptieren.

Sie haben das nicht gemacht. Im Gegenteil, Sie haben gesagt: Unsere Aufgabe, das haben wir als Auftrag verstanden – heute hat man es beim Herrn Bundeskanzler wieder gehört –, war nun, darüber nachzudenken, wie wir den größtmöglichen Anteil aus dieser Verfassung retten können. – Überhaupt nicht! Das war nicht im Geringsten Ihre Aufgabe! (Bundeskanzler Dr. Gusenbauer: Oh ja!) – Ihre Aufgabe wäre es gewe­sen, zu korrigieren. Wenn Sie Demokrat sind, dann wäre Ihre Aufgabe gewesen, Ihre Meinungen mit denen des Volks in Einklang zu bringen, und nicht umgekehrt. (Beifall bei der FPÖ. – Abg. Strache: Der ist zu Grabe getragen worden, der ...!)

Die Frau Außenministerin hat von einer „Kluft“ zwischen der von ihr erkannten Reali­tät – sie hat Realität gesagt! – und der Stimmung gesprochen. – Das ist eine Überheb­lichkeit, die ich im Namen aller Österreicher wirklich auf das Schärfste zurückweise! (Beifall bei der FPÖ.) – Da die Vernunft und das Argument – und dort, beim Volk, die Emotion, das Nichterkennen und die Stimmung?! – Dem ist nicht so!

Es gibt gute Argumente, die uns dahin bringen, zu sagen, dass es ohne Volks­abstimmung auf keinen Fall gehen kann und dass wir von diesem Reformvertrag auch aus anderen inhaltlichen Gründen nichts halten.

Der erste ist: Irgendjemand hat auch gesagt, die Souveränität der Nationalstaaten bleibt bestehen – das ist ja überhaupt nicht der Fall! Was ist das Kennzeichen der Souveränität schlechthin? – Es ist das Recht, sich selbst Gesetze zu geben, hier in diesem Haus. Daran ist die Souveränität ganz besonders stark geknüpft.

Wie schaut es damit aus? – Das war schon bei dem vorgelegten Verfassungsvertrag unser Hauptkritikpunkt und der Grund, warum ich als Einzige in diesem Haus – und darauf bin ich stolz: dass Sie „mehrheitlich“ sagen müssen, und nicht „einstimmig“ sagen können – dagegen gestimmt habe. (Beifall bei der FPÖ.)

Der Punkt ist folgender: Wenn es einen Widerspruch zwischen einem hier gefassten Gesetz und einer EU-Richtlinie gibt, dann hat das EU-Recht Vorrang, und kein noch so gefinkelter und findiger Redner kann diesen Widerspruch wegdiskutieren.

Dieser Widerspruch ist bedeutend, denn der erste Satz unserer Bundesverfassung heißt: Das Recht geht vom Volk aus. – Der Vorrang des EU-Rechts bedeutet, das Recht wird in Brüssel gemacht. – Das heißt, eine Volksabstimmung ist zwingend notwendig. (Beifall bei der FPÖ.)


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Der zweite Punkt, der uns dazu bringt, diesen Vertrag auch inhaltlich abzulehnen, ist das sogenannte vereinfachte Änderungsverfahren; vielleicht haben Sie sich das ange­schaut. Es wird in Artikel 33 reglementiert, der besagt: Die Ratskonferenz kann einstimmig – nicht einmal wir hier in diesem Haus sind vonnöten – alle Dinge, die in diesem Vertrag geregelt sind, mit Ausnahme der Außen- und der Sicherheitspolitik für sich neu reklamieren, da braucht es keinen weiteren Beschluss des Nationalrates dazu. Das ist glatt ein Ermächtigungsgesetz: Einmal zugestanden, und beim nächsten Mal sind auch Sie hier ausgeschlossen.

Es ist kein Mehr an Sicherheit, es ist kein Mehr an Demokratie (Präsident Dr. Spin­delegger gibt das Glockenzeichen), es ist vor allem ein Weniger an Österreich und ein Weniger an Freiheit. (Beifall bei der FPÖ.)

11.57


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Scheib­ner. Auch er hat eine Redezeit von 5 Minuten. – Bitte.

 


11.57.56

Abgeordneter Herbert Scheibner (BZÖ): Danke, Herr Präsident! Ich dachte allerdings, dass das jetzt auf 6 Minuten aufgestockt worden ist.

 


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Erst ab der nächsten Runde, Herr Kollege.

 


Abgeordneter Herbert Scheibner (fortsetzend): Man kann sich irren. – Herr Bundes­kanzler! Frau Außenministerin! Meine Damen und Herren! Die Debatte war schon zu Anfang interessant, auch was Kollege Cap gesagt hat: Wir wollen gestal­ten! – Ja, man kann schon gestalten, nur muss man es auch zeigen, aber davon hat man in der Vergangenheit – auch als Sie Außenpolitik noch wirklich gestalten konnten oder gestalten hätten können – wenig gesehen.

Gerade in historisch sensiblen Zeiten, etwa während der Wende in den ehemaligen Diktaturen des Ostens, hat man wenig von diesem Gestalten gesehen. Ich erinnere daran, dass zur Zeit der Demonstrationen in der DDR der damalige Bundeskanzler der SPÖ sich noch gerne mit Erich Honecker getroffen und dort Sekt getrunken hat, oder dass man Jugoslawien, als die Freiheitsbewegungen dort schon aufgestanden waren, noch immer als einzigen Ansprechpartner für Österreich angesehen hat, oder dass Österreich eines der ersten der Gott sei Dank wenigen Länder gewesen ist, die beim Gegenputsch in Russland die Putschisten sofort als Gesprächspartner anerkannt haben.

Meine Damen und Herren von der SPÖ, das ist nicht die aktive Außenpolitik, die ich mir und, so glaube ich, die Österreicher sich von Österreich wünschen würden, und ich hoffe, dass das in Zukunft nicht unter aktiver und gestaltender Außenpolitik verstanden wird! (Beifall beim BZÖ.)

Meine Damen und Herren, was heute richtigerweise von der Frau Außenministerin gesagt worden ist: Auch die Bevölkerung wünscht sich als einen der wichtigen Punkte der Europäischen Union Gemeinsamkeit, etwa in der Außenpolitik, auch Gemeinsam­keit in der Sicherheitspolitik. Und da stimme ich den Kritikern nicht zu: Auch wir als kleines Land haben und hätten ein Interesse daran, dass es diese gemeinsame Sicherheitspolitik gibt, denn ein kleines Land allein kann all das nicht organisieren. – Wenn man die Amerikaner zu Recht kritisiert, dass sie überall auftreten – und schlecht auftreten, siehe Irak –, sie aber auf der anderen Seite keinen Gegenpol haben, dann ist die Kritik ins Leere gegangen.

Ich würde mir wünschen, dass diese Europäische Union mehr im Bereich der Außenpolitik, mehr im Bereich der gemeinsamen Sicherheitspolitik aktiv gestaltet und aktiv umsetzt, etwa auch in der Wirtschaftspolitik, im Bereich der Globalisierung als


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Gegenpol zum asiatischen Markt. Aber genau in diesen Punkten, wo es dieses auch identitätsstiftende Merkmal für die Bevölkerung gäbe, haben wir leider noch immer Defizite.

Genau in diesen Punkten ist der jetzt vorgelegte Vertrag ein Rückschritt gegenüber dem ursprünglichen Verfassungsvertrag, meine Damen und Herren, deswegen sollte man ihn jetzt nicht so loben. Herr Bundeskanzler und Herr Kollege Cap! Mich wundert es schon, dass Sie das jetzt so loben, denn Sie haben – es wurde heute schon gesagt – im Jahr 2005 gesagt, es gehört neu verhandelt, es ist alles gescheitert und man muss in eine neue Richtung gehen.

Es ist aber nicht neu verhandelt worden, es hat nur weniger Demokratie gegeben, denn der Verfassungsvertrag ist ja wenigstens noch unter Mitwirkung der nationalen Parlamente entstanden. Parlamentarier, auch österreichische Parlamentarier, haben im Konvent mitgearbeitet, und wir waren eigentlich mit dem Ergebnis, das hier abge­liefert wurde, sehr zufrieden.

Frau Kollegin Rosenkranz, Sie waren die Einzige, die nicht zugestimmt hat, aber es hat auch FPÖ-Abgeordnete gegeben, die mitverhandelt, die zugestimmt und sich über diesen Verfassungsvertrag gefreut haben, denn es hat Vorteile für Österreich gegeben. Jetzt aber verhandeln wieder nur mehr die Brüsseler Bürokraten und die Regierungs­chefs über diese Abänderungen. – Sie lachen, Herr Bundeskanzler.

Welcher österreichische Parlamentarier, sagen Sie mir das, war jetzt eingebunden in die Verhandlungen rund um den Reformvertrag? – Nennen Sie mir einen! Gab es einen? (Bundeskanzler Dr. Gusenbauer: Das gesamte Feuerwehr-Komitee des Hauses!) – Ja, das gesamte Feuerwehr-Komitee. (Abg. Ing. Westenthaler: Freiwillige Feuerwehr von Purkersdorf!) – Da kann ich Ihnen schon Folgendes sagen, denn ich war auch Mitglied im Feuerwehr-Komitee: Um 2.15 Uhr hat mich ein Anruf ereilt, es sei alles wunderbar, und wir sind davon informiert worden, dass es eine Einigung gibt. – Großartig, das ist die „Einbindung“! In Verhandlungen hätten die Abgeordneten, die nationalen Parlamente, eingebunden werden können, aber das hat man verpasst, Herr Bundeskanzler!

Wenn Sie heute etwas zur Sicherheitspolitik, etwa der Schengen-Problematik, sagen, dann würde ich mir erwarten – und das erwartet sich auch die Bevölkerung –, dass man einer Schengen-Erweiterung nur dann zustimmt, wenn die Länder, die jetzt neu zum Schengen-Raum gehören werden, auch die Sicherheitsstandards erfüllen. (Ruf: Logisch!) – Ja, logisch, aber warum ist es dann notwendig, den Bundesheereinsatz zu verlängern, wenn dem so ist? Es werden zwar an der Grenze keine Kontrollen mehr gemacht, aber das Bundesheer steht noch an der Grenze! – Also entweder gibt es die Sicherheit, dann ist das Bundesheer nicht notwendig, oder das Bundesheer ist notwendig, dann dürfen Sie aber auch der Schengen-Erweiterung nicht zustimmen.

Zu den Auslandseinsätzen: Meine Damen und Herren, ich bin grundsätzlich für Aus­landseinsätze, denn wir verfolgen damit auch eigene Interessen. Wenn man fragt: Was machen wir im Tschad, was machen wir in Afghanistan?, dann sage ich Ihnen: Die Sicherheit, die wir dort nicht gewährleisten, die kommt dann als Unsicherheit zu uns, denn das Rauschgift, das dort produziert wird, kommt zu uns, die Flüchtlinge, die sich von dort auf den Weg machen, kommen zu uns, und das müssen wir auch ent­sprechend verhindern. (Präsident Dr. Spindelegger gibt das Glockenzeichen.)

Wir wollen jedenfalls ein anderes Europa, deshalb bringe ich auch einen Ent­schließungsantrag der Abgeordneten Scheibner und Westenthaler betreffend ein Kerneuropa ein, in dem die Bevölkerung im Wege von Volksabstimmungen darüber entscheiden soll, inwieweit das eigene Land an der Integration teilnehmen soll. Alle, die


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das nicht wollen, können Module davon übernehmen, haben aber nicht die volle Mit­gliedschaft.

Das wäre unsere Idee für die Zukunft – als Alternative zum derzeitigen System der Europäischen Union. (Beifall beim BZÖ.)

12.03


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Der von Herrn Abgeordnetem Scheibner erwähnte Entschließungsantrag wird wegen seines Umfanges verteilt. Er ist aus­reichend unterstützt, wurde in den Kernpunkten erläutert und steht daher mit in Ver­handlung.

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Scheibner, Ing. Westenthaler, Kollegin und Kollegen betreffend Neu­verhandlung eines Vertrages für Europa sowie generelle Verpflichtung der Durch­führung von Volksabstimmungen über grundsätzliche Fragen der Europäischen Integration

eingebracht im Zuge der Debatte zu den Erklärungen des Bundeskanzlers und der Bundesministerin für europäische und internationale Angelegenheiten gemäß § 19 Abs. 2 GOG zum EU-Reformvertrag in der Sitzung des Nationalrates am 08.11.2007

Mit dem Scheitern der Referenden in Frankreich und den Niederlanden war es offen­sichtlich, dass der am 17. und 18. Juni 2004 politisch akkordierte und am 29. Oktober 2004 in Rom unterzeichnete Vertrag über eine Verfassung für Europa keine Chance auf Inkrafttreten haben würde. Die Ablehnung des Europäischen Verfas­sungsvertrages hat gezeigt, wie groß die Unzufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger mit der Politik dieser Europäischen Union ist.

Die Europäische Union ist für viele Bürger kompliziert, undurchschaubar und zu zentralistisch. Die, nicht nur räumliche, Distanz zwischen den Bürgern und dem Ent­scheidungszentrum ist offenkundig. Mehr Bürgernähe, erhöhte Transparenz, gelebte Subsidiarität sowie Schritte gegen das bestehende Demokratiedefizit sind ein Gebot der Stunde.

Trotz dieses negativen Stimmungsbefundes der europäischen Bevölkerung streut man nun seitens der Europäischen Union seinen Bürgern Sand in die Augen und legt ihnen neuerlich einen sich nur marginal vom ursprünglichen Verfassungsentwurf unter­scheidenden „EU-Reformvertrag“ vor. Ein Kommentar einer spanischen Tageszeitung auf den im Juni 2007 beim Europäischen Rat erzielten Kompromiss, wonach „das Übereinkommen (Anm. Reformvertrag) es der EU erlaubt einigermaßen weiter zu wurschteln“, stellt eindrucksvoll unter Beweis, dass dieser Reformvertrag nicht geeig­net ist, die wirklichen Probleme und Defizite der Europäischen Union zu lösen. „Europa ist das Herz verloren gegangen, es sind Rückschritte gemacht worden“, ist das wenig ermutigende Resümee des italienischen Ministerpräsidenten Romano Prodi gegenüber der Tageszeitung La Repubblica.

Offensichtlich und vordergründig die Zielsetzung dieses Werkes:

Um in einem neuerlichen Ratifizierungsverfahren in den Mitgliedstaaten allfällige Referenden mit unlieben Ergebnissen hintanzuhalten, „haben sich die Regierungen der EU-Staaten auf kosmetische Änderungen der Verfassung geeinigt, um sie leichter verdaubar zu machen – sprich um Referenden zu vermeiden.“ (Giscard d` Estaing am 17. Juli 2007 Pressedienst des EP) . Zugleich warnt der ehemalige französische


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Präsident in diesem Zusammenhang davor, „die Bürgerinnen und Bürger mit einer Mogelpackung für dumm zu verkaufen.“

In dieselbe Kerbe schlägt angesichts des vorliegenden Reformvertrages der ehemalige italienische Premierminister Giuliano Amato, wenn er ironisch feststellt: „Wenn bei der Regierungskonferenz auch so ein Dokument herauskommt, kann jeder Regierungschef zu seinem Parlament sagen: Seht her, das ist absolut unlesbar, ein typischer Brüsseler Vertrag, nichts Neues, kein Referendum notwendig.“ (EU-Observer 16. Juli 2007)

Im Vordergrund europäischer Politik stehen derzeit somit die Aufgaben einer Krisen­feuerwehr, die durch Korrekturen, die bestenfalls den kleinsten gemeinsamen Nenner aller Mitgliedstaaten darstellen, versucht, die eine Krise vor dem Aufkeimen der nächsten zu beenden.

Eine ernsthafte Debatte über die Zukunft der EU ist daher dringend notwendig. Dabei steht immer wieder die Option eines „Kerneuropas“ in Diskussion, wie unter anderem vom ehemaligen Kommissionspräsidenten Prodi angedacht. Bestätigt wird diese Sicht der Dinge, wenn im Il Messaggero nach dem Kompromiss über einen EU-Reform­vertrag zu lesen war, dass „eine EU der zwei Geschwindigkeiten unvermeidlich wäre.“

Nicht zuletzt bestätigte der luxemburgische Regierungschef Juncker die Richtigkeit unseres Weges, der am 6. November 2007 unter Anspielung auf das einseitige Aus­scheren Großbritanniens aus einzelnen Politiken der Europäischen Union, unmiss­verständlich erklärt, dass es um einen Kern von EU-Ländern herum Umlaufbahnen geben sollte, auf denen Länder Platz nehmen können sollten, die nicht alle Politiken voll mitgestalten wollten. „Gehe man einen solchen Entwicklungsweg nicht, werde es in der EU irgendwann einen Crash geben,“ stellt er sogar die Zukunft dieser Euro­päischen Union im Falle der Fortsetzung des derzeitigen Kurses der kleinen Korrek­turen in Frage.

Die Weiterentwicklung Europas muss von einem Ausbau von Demokratie und Bürger­rechten geprägt sein. Mehr Gemeinsamkeit in Europa darf niemals weniger Freiheit für seine Bürger bedeuten. Regelungsdichte und Bürokratie sind abzubauen, anstatt sie auf supranationale europäische Ebenen zu verlagern. Im Sinne der Verwirklichung und Umsetzung dieser Ideen ist es erforderlich, den bestehenden Rechtsbestand sowie die Strukturen und Mechanismen der Union auch generell zu überdenken und neue Formen der Integration zu entwickeln. Kosmetische Änderungen können diesen Anfor­derungen nicht gerecht werden.

Im Sinne eines Europas für und nicht gegen die Bürgerinnen und Bürger sowie im Interesse des Friedensprojektes Europa stellen die unterfertigten Abgeordneten daher nachstehenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Der Bundeskanzler sowie die Bundesministerin für europäische und internationale Angelegenheiten werden aufgefordert, sich auf Europäischer Ebene, bei den Euro­päischen Räten sowie den entsprechenden Fachministerräten für die Umsetzung nach­stehender Maßnahmen im Interesse eines auf Frieden und Wohlstand abzielenden Europas der Bürgerinnen und Bürger einzusetzen:

Neuverhandlung eines Vertrags für Europa in Hinblick auf eine vollständige institu­tionelle und (kompetenz-) rechtliche Reform der Europäischen Union mit dem Ziel der Schaffung eines Bundes Europäischer Staaten (Kerneuropa der Nettozahler) unter Teilnahme Österreichs


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In diesem Vertrag für Europa sind zum einen ein Grundwertekonsens sowie allgemeine Ziele zu verankern und zum anderen Mindeststandards für einzelne Politikbereiche festzuschreiben.

Abhängig vom Grad der Erfüllbarkeit dieser Ziele und Mindeststandards ergibt sich für die Mitgliedstaaten eine Zugehörigkeit zum Bund Europäischer Staaten, zum weiteren Kreis jener Länder mit entsprechenden Assoziationsabkommen oder zum äußersten Kreis der Länder mit besonderer Partnerschaft.

Ziel dieses Modulsystems soll es sein, die Länder Europas entsprechend ihrer Stärke einzubinden, dadurch Entscheidungen zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger Euro­pas zu beschleunigen und damit letztlich den Fortbestand des Friedensprojekts „Europa“ zu sichern.

In einem neu zu verhandelnden „Vertrag für Europa“ sind die räumlichen, finanziellen sowie kulturellen Grenzen Europas und eine davon abgeleitete Definition des Begriffs „Aufnahmefähigkeit“ der Europäischen Union als Voraussetzung für künftige Erweite­rungen festzuschreiben.

Weiters werden der Bundeskanzler sowie die Bundesministerin für europäische und internationale Angelegenheiten ersucht, sich auf Europäischer Ebene bei den Europäischen Räten sowie den entsprechenden Fachministerräten einzusetzen für:

die EU-weite zeitgleiche Durchführung nationaler Volksabstimmungen in allen Mit­glieds­staaten nicht nur betreffend den EU-Reformvertrag sondern grundsätzlich bei weitgehenden Vertiefungsschritten, wie etwa die Abgabe von Kompetenzen, Ände­rungen im Bereich der Institutionen und Organe der EU, Finanzen, Erweiterungen etc.

Diese nationalen Volksabstimmungen sind alle rechtsverbindlich - d.h. Erfordernis der mehrheitlichen Zustimmung der Wahlberechtigten in allen Mitgliedstaaten.“

*****

 


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Für die verbleibende Zeit der Fernsehüber­tragung bis 13 Uhr lege ich die Redezeiten für die nächste Runde der Fraktionsredner mit 6 Minuten und für die letzte Runde mit je 5 Minuten fest.

Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Mag. Schieder. Dementsprechend hat er 6 Minu­ten Redezeit. – Bitte.

 


12.04.13

Abgeordneter Mag. Andreas Schieder (SPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Frau Außenministerin! Hohes Haus! Der Vertrag von Lissabon, den wir heute diskutieren, ist ein Kompromiss, aber, und das ist das Wichtigste daran, er stellt eine Verbesserung gegenüber dem Vertrag dar, den wir bisher haben. Das Wichtigste am Vertrag von Lissabon ist, dass es ihn überhaupt gibt, weil er nämlich damit eine Verbesserung und die Möglichkeit schafft, europäische Politik zu machen.

Wir hatten sieben Jahre lang Stillstand in der Europäischen Union mit Selbstbeschäfti­gung, Diskussion über die vertraglichen Grundlagen, ein zähes Ringen überall in Europa. Diese sieben Jahre sind endlich vorbei, und die Europäische Union kann zu dem zurückkehren, was ihre Aufgabe ist, nämlich Politik für die Menschen in Europa zu machen. (Beifall bei der SPÖ.)

Viele europaskeptische Bürgerinnen und Bürger sind enttäuscht – nicht, weil sie Europa ablehnen, Herr Strache, sondern sie sind deshalb enttäuscht (Abg. Strache: Weil sie den Vertrag und seine Konsequenzen ablehnen), weil sie wollen, dass die


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Europäische Union funktioniert. Und die Grundlage dafür, dass sie funktioniert, legen wir auch mit dem Vertrag von Lissabon.

Beim Funktionieren geht es darum, dass die Menschen nicht die Europäische Union ablehnen – nehmen Sie das einmal zur Kenntnis! –, sondern Antworten und Lösungen auf die Probleme der Zeit wollen: Was die Leute wollen, ist ein besseres Europa. Der Vertrag von Lissabon schafft eine verbesserte Grundlage dafür. (Abg. Strache: Die Leute wollen keine Zwangsbeglückung und keine europäische ...!)

Jetzt geht es darum, den Vertrag zu nutzen und zu schauen, dass wir Wachstum und Beschäftigungspolitik in der Europäischen Union voranbringen, dass wir den euro­päischen Infrastrukturausbau voranbringen, dass wir Instrumente schaffen, um die globale Instabilität des Finanzmarktes zu bekämpfen und Stabilität für unsere Finanz­märkte zu schaffen, um dem Klimawandel zu begegnen, die Globalisierung positiv zu gestalten und um auf internationale Krisen und Bedrohungen auch gemeinsam reagieren zu können.

Es ist mit dem Vertrag von Lissabon endlich auch gelungen, den österreichischen Wunsch nach einer Stärkung der sozialen Dimension in der Europäischen Union zu verankern. Es ist nicht mehr so, dass allein dem wirtschaftlichen Interesse, dem Interesse des Marktes der entscheidende Vorrang gegeben wird, sondern dass auch die soziale Dimension und auch der Schutz der öffentlichen Dienstleistungen in diesem Vertragswerk verankert wurde. Das war ein großes Ziel Österreichs – der Bundes­regierung, aber auch vieler Länder und Gemeinden –, und es ist gut, dass es gelungen ist, das zu verankern.

Die Grundrechte-Charta wiederum gibt uns nicht nur die Möglichkeit, individuell einklagbare klassische Grund- und Menschenrechte in der Europäischen Union zu verankern, sondern auch das soziale Grundrecht ist dort europaweit festgeschrieben.

Das Wichtigste aber ist, und das sei auch den Damen und Herren von BZÖ und FPÖ gesagt, dass wir anerkennen, dass die Europäische Union eine politische Ebene ist, so wie Bezirke, Städte, Gemeinden, Länder und auch der Bund. Sie ist eine politische Ebene, die Politik macht, wo es gute Vorschläge gibt und wo es schlechte Vorschläge gibt. (Abg. Strache: Wir wollen eben keinen zentralistischen Bundesstaat europäischer Prägung!)

Es geht darum, auf dieser Ebene die Interessen Österreichs zu vertreten, und ein gutes Beispiel dafür ist die Lösung, die aufgrund des Einsatzes der österreichischen Bundesregierung und des Bundeskanzlers hinsichtlich der Uni-Zugangsbeschränkun­gen und -Zugangsfristen gefunden werden konnte.

Eines ist auch wichtig zu wissen: dass wir ohne die EU, alleine, all die Probleme, die sich heute in der Welt stellen, auch bewältigen müssten, aber kein Instrument hätten, an deren Lösung überhaupt nur zu arbeiten. (Abg. Strache: Die Schweiz bewältigt diese Probleme hervorragend!) – Die Stärkung der internationalen Dimension ist daher ein wichtiger Punkt im europäischen Vertrag.

Der Hohe Repräsentant, der EU-Außenminister, ist eine wichtige Sache, aber wichtig ist dabei auch zu sagen, dass die Entscheidung nach wie vor beim Nationalstaat bleibt, weil es ein Einstimmigkeitsprinzip gibt und daher die österreichische außenpolitische Situation und Neutralitätspolitik nicht einmal ansatzweise berührt werden, so wie das eben auch die Schweden, die Iren, die Finnen und die Malteser sehen.

Ich möchte ein Beispiel bringen, weil Sie den großen Bundeskanzler, Außenpolitiker und Internationalist Bruno Kreisky erwähnt haben: Gerade die Außenpolitik, die Öster­reich jetzt macht – auch im Tschad auf Basis eines UN-Mandats und auf Basis eines Beschlusses der EU-Außenminister –, ist ein Beispiel dafür, wie man angewandte


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Neutralitätspolitik mit der Solidarität und mit der Möglichkeit, Hilfe für die Menschen zu schaffen, kombinieren kann. Das ist die Außenpolitik im Geiste von Bruno Kreisky, und nicht das, wovon Sie hier geredet haben. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Strache: Der Kreisky würde sich im Grabe umdrehen!)

Mit dem Vertrag von Lissabon wird die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union verbessert, und das ist wichtig, denn wir wollen nicht weniger Europa, sondern wir wollen ein besseres, ein sozialeres Europa. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeord­neten der ÖVP.)

12.09


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Neuge­bauer. Seine Redezeit beträgt ebenfalls 6 Minuten. – Bitte. (Abg. Ing. Westenthaler – in Richtung des sich zum Rednerpult begebenden Abg. Neugebauer –: Gibt es eigentlich eine europäische Gesamtschule?! – Abg. Neugebauer: Nein, gibt es nicht! Wir sind für Regionen!)

 


12.09.09

Abgeordneter Fritz Neugebauer (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine ge­schätz­ten Kolleginnen! Herr Bundeskanzler! Frau Bundesministerin! Werte Kollegen! An sich dürfte man ja durchaus froh sein über das Engagement, das in der Debatte an den Tag gelegt wird, wenn sie sich nicht ausschließlich in einer Schwarz-Weiß-Malerei – das ist kein europäisches Patent – erschöpfte. Einen besonderen Clou hat gestern Herr Abgeordneter Mölzer in einer Aussendung geliefert, indem er schon auf die heutige Debatte zu sprechen kam und Folgendes meinte:

 „,Wenn alles stimmt, was behauptet wird, müßten schon bald über Österreich und über die übrigen EU-Staaten das Paradies hereinbrechen.‘“ (Abg. Strache: Das ist das, was ihr versucht, den Österreichern zu verkaufen!) „Tatsächlich sei aber das genaue Gegenteil der Fall ...“

Was ist das Gegenteil vom Paradies, Herr Kollege Strache? – Die Hölle. Sie leben in einer Hölle, aber eigentlich leben Sie gar nicht so schlecht. (Beifall bei der ÖVP.)

Wahr ist, dass diese Schwarz-Weiß-Malerei, Herr Kollege, einer viel bunteren Wirklich­keit Platz macht. Jean Monnet hat schon gesagt: Liebe Freunde! Meine Damen und Herren! Das gemeinsame Europa wird nicht an einem Tag entstehen. – Und wir haben einen ganz wichtigen Schritt in der weiteren Entwicklung gemacht: keine Verfassung, sondern eine Verbesserung des Vertragswerkes, mit klareren Zielen und hart erkämpften, ordentlichen Spielregeln. Das ist der Punkt! Das ist sicher nicht das Ende des Weges zu einem gemeinsamen starken Europa.

Ich gebe Herrn Professor Van der Bellen recht, was die Lesbarkeit des Vertragswerkes angeht. Sie haben das mit der 747. ASVG-Novelle verglichen. – Also, wir halten gerade bei der 68. Novelle. Ich wünsche Ihnen ein langes politisches Leben, dass Sie die 747. erleben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Was mir ein wenig wehtut, das ist die mangelnde Identifikation Österreichs mit der europäischen Einigung. Das ist auch eine Frage unserer Geschichte. Dass wir Österreicher unser Licht nicht unter den Scheffel stellen müssen, hat sich bei der EU-Präsidentschaft unseres Landes herausgestellt.

Auch kleine Staaten, wenn sie sich gut vorbereiten, wenn sie nicht den politischen nationalen Egoismus in den Vordergrund stellen, sondern Solidarität mit den anderen üben, können viele Dinge erreichen, wie etwa hinsichtlich der Frage der Aufnahme­fähigkeit bei der Erweiterung. Da ist zu Recht deren Geschwindigkeit kritisiert worden. (Beifall bei der ÖVP.)


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Meine Damen und Herren, die Frage der Stärkung der Regionen etwa ist ein wichtiger subsidiärer Ansatz, auch die verstärkte Absicherung von Dienstleistungen im allge­meinen Interesse. Dieses Vertragswerk sieht nach wie vor vor – verbreiten Sie da keine Ängste! –, dass Dienstleistungen von allgemeinem Interesse nationale Angele­gen­heiten sind. (Beifall bei der ÖVP.)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! All das, von dem hier die Rede ist, was alles in Brüssel geregelt werden wird, stimmt nicht. Unsere Erfahrungen mit der starken sozialen Dimension in der Marktwirtschaft haben expressis verbis Eingang in den Vertrag gefunden.

So haben die Österreicher bereits damals, wahrscheinlich auf Grund einer gewissen Faszination, ein bestimmtes Lebensmodell verfolgt. Wir werden von den osteuro­päischen Ländern übrigens viel mehr akzeptiert als Brüssel. Das weiß jeder, der ein wenig Kontakt auf der universitären Ebene, in der Wirtschaft oder auch in der inter­nationalen Gewerkschaftsbewegung hat. Die Wiederbelebung der Diskussion, diesen guten Karren wieder flottzumachen, ist ein Verdienst der österreichischen EU-Präsi­dentschaft und hat den Boden dafür bereitet, dass wir heute über ein erweitertes Vertragswerk diskutieren können. (Beifall bei der ÖVP.)

Die soziale Dimension der Union – und das ist die Aufgabe der nächsten Monate –muss gestärkt werden. Die Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit müs­sen respektiert werden. Das ist die Wachsamkeit der Politik, die wir hier zu verfolgen haben.

Ich bedanke mich bei Ihnen, liebe Frau Kollegin Grossmann, dass Sie der Union auf den Grund gegangen sind, denn kein Baum wächst ohne seine Wurzeln, und man muss sie pflegen. Die Gründungsidee ist wichtig. Ich habe einmal ein hervorragendes Referat von Hans-Dietrich Genscher gehört, der gesagt hat: Nie wieder Krieg in Europa! – Dass Kriege nicht nur praktisch unmöglich, sondern auch denkunmöglich werden, das ist das wahre Ziel dieser europäischen Einigung. (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Strache: Also wenn es so weitergeht mit dem Krieg im Nahen Osten, ... mit den Türken und Kurden!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei allen Hausaufgaben, die wir zu erledigen haben, zitiere ich Konrad Adenauer, der in den sechziger Jahren folgendes meiner Meinung nach sehr Eindrucksvolles geprägt hat:

„Die Einheit Europas war ein Traum von wenigen. Sie wurde die Hoffnung für viele. Sie ist heute eine Notwendigkeit für alle.“

Das ist in den sechziger Jahren von einem großen Staatsmann gesagt worden. Und ich glaube, dass das heute an Gültigkeit und Gestaltungsauftrag nicht verloren hat. Es gibt dazu keine Alternative! (Beifall bei der ÖVP sowie bei Abgeordneten der SPÖ.)

12.14


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Grüne­wald. Redezeit: 6 Minuten. – Bitte.

 


12.15.00

Abgeordneter Dr. Kurt Grünewald (Grüne): Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätz­ter Herr Bundeskanzler! Geschätzte Frau Außenministerin! Lassen Sie mich ein paar Worte über die Situation Österreichs und österreichischer Universitäten angesichts des EuGH-Urteils über die Diskriminierung ausländischer Studierender in Österreich verlieren.

Das Urteil wurde befristet ausgesetzt. Ich halte das für einen Erfolg, weil es eine Atempause gewährt und Chancen gibt, darüber nachzudenken.


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Man sollte aber nicht vergessen, dass die Situation trotz dieser Fristverlängerung für Österreich eine schwierige bleibt. Und man darf sich auch fragen, ob die Taktik, alles auf eine Argumentationsschiene, auf eine Karte zu setzen, wie es Bundesminister Hahn macht, der mit einem drohenden Ärztemangel in Österreich spekuliert – muss ich fast sagen –, ob das ... (Abg. Dr. Brinek: Das ist nicht richtig!) – Frau Brinek! Ich glaube, ich kenne mich bei Ärzten zumindest ähnlich gut, wenn nicht besser aus als Sie.

Man sollte alternative Lösungsmodelle anbieten, denn wenn eine Argumentation den Bach hinuntergeht, was möglich sein kann, sollte man dafür gewappnet sein. Aber entscheidend ist – und da werde ich schon sauer –, dass vielfach von einigen Parteien nunmehr nach simplen Schulterschlussparolen gerufen wird beziehungsweise in Verbindung mit dem Thema Universitäten und EU laufend Anti-EU-Reflexe gespielt werden.

Was dabei völlig übersehen wird, ist, dass ein Diskriminierungsverbot, dass die Mobi­lität von Studierenden, von jungen WissenschafterInnen und damit die Internationalität der Forschung und Ausbildung an den Universitäten ein ganz zentrales und tolles und notwendiges Ziel der EU sind, wovon auch die Nation Österreich, die Republik Österreich profitiert.

Das heißt, wir müssen eine Lösung mit der EU suchen. Eine Lösung gegen die EU gibt es nicht, das ist keine Alternative. Und wenn sich die EU als wissensbasierter Raum definiert und zu einer Wissensgesellschaft gelangen will, müssen wir unseren Beitrag dazu leisten, wie auch andere EU-Staaten. Das geht nur im Konsens über die Ziele. Und ein Ziel wäre – das stimmt mit unserer Politik sehr gut überein –, immer breiteren Schichten der Bevölkerung den Zugang zum tertiären Bildungssystem, sprich zu Universitäten und Fachhochschulen zu ermöglichen, weil die Menschen, die diese höhere Bildung dann genießen oder sich erwerben, davon profitieren und damit auch die Republik Österreich. Und da ist etwas zu tun!

Das heißt, man muss nur schauen, wie diese Budgets, die sich nach diesen Zielen richten sollten, fair verteilt und balanciert werden. Ich traue mich nicht, von einem „Lasten­ausgleich“ zwischen einzelnen Staaten zu sprechen, weil Studierende prinzipiell keine Last sein sollten. Sie sind ein Gewinn!

Wenn es aber – und darüber ist nachzudenken – so weit kommt, dass in öster­reichischen Zeitungen oder Ärztezeitungen der Annoncenteil zu 50 Prozent durch Inserate aus England, Irland, Norwegen und Deutschland okkupiert ist, die um unsere Ärzte werben, weil sie selber Defizite haben, wird man darüber fair mit diesen Staaten reden müssen und auch sollen.

Da überlege ich mir schon, ob wir uns nicht ein Modell anschauen sollten, das in den nordischen Staaten existiert, wo sich seit 1994 fünf Staaten – Finnland, Schweden, Norwegen, Island und Dänemark – zusammengeschlossen, bildungspolitische Ziele definiert haben und ein Teil ihrer Bildungsbudgets in einen gemeinsamen Fünf-Staaten-Topf eingezahlt wird, wo die Summe der jeweiligen nationalen Einzahlungen davon abhängt, wie die Nettogewichtung der Studierendenströme ist.

Exportiert man mehr Studierende in andere Länder, zahlt man auch mehr. Zum Beispiel zahlt Schweden, wenn ich es jetzt richtig im Kopf habe, 32 Prozent des Budgets, Norwegen 25 Prozent, Dänemark 20 Prozent, Finnland 15 Prozent und Island nur 1 Prozent.

Das sollte man sich anschauen. Das existiert seit 1994, läuft jeweils drei Jahre, und die zuständige Sonderberaterin des Nordischen Ministerrates, Frau Astad, nennt das ein


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Erfolgsmodell, weil dieser Vertrag alle drei Jahre ohne Frustrationen, ohne Friktionen immer glatt verlängert wurde. Das könnte man machen.

Worum ich schon ersuchen würde: Wenn die EU nicht eine EU der Regierungschefs sein soll, sollte die EU auch bei uns mehr ins Parlament und damit auch in die Opposition einfließen.

Wenn ich im Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung gerne das Gutachten über den Ärztebedarf hätte, weil es mich interessiert, weil es dazu viele Gutachten gibt – die Ärztekammer hat ja ewig geschrien, es werden zu viele ausgebildet, um ihr Klientel zu schützen und so weiter; jetzt haben sie sich wieder etwas gedreht –, dann möchte ich diese Gutachten lesen, um mitreden zu können, um mitdenken zu können, nicht nur zu dürfen. Das bekommt man nicht! Wenn das Österreichische Bundesinstitut für Gesundheitswesen dieses Gutachten mit Steuergeldern für ein Ministerium finan­ziert, es aber nicht herausrücken darf, frage ich mich schon: Warum heißt das Österreichisches Bundesinstitut? Bin ich nicht Österreich? Ist nur Hahn Österreich? Sind nur Sie Österreich? – Ich meine, Österreich sind wir alle! Da sollte man etwas tun.

Und noch etwas: Nur mit dem Bedarf an Ärzten zu argumentieren ist insofern schwie­rig, weil es eine massive Heuchelei ist. (Präsident Dr. Spindelegger gibt das Glocken­zeichen.) Der Bedarf ist da, nur finanzieren will die öffentliche Hand den Bedarf nicht. – Danke. (Beifall bei den Grünen.)

12.21


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Mag. Hauser. 6 Minuten Redezeit. – Bitte. (Abg. Mag. Hauser begibt sich zum Redner­pult und stellt dort eine Tafel mit der Aufschrift „EU-Volksabstimmung sichern! Infos unter 01/406 75 17 oder www.fpoe.at“ auf.)

 


12.21.35

Abgeordneter Mag. Gerald Hauser (FPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bun­des­kanzler! Sehr geehrte Frau Außenminister! Geschätzte Damen und Herren! Wenn man so über den Vormittag die Debatte verfolgt hat, hat man ja fast das Gefühl, die Österreicher bekommen jetzt einen Vertrag, bei dem künftig nur mehr Milch und Honig fließen. Es soll uns also künftig noch viel besser gehen, alles soll noch viel gerechter, viel genauer, viel sicherer werden. (Abg. Strache: Jetzt kommt die soziale Gerechtig­keit auf uns zu!)

Ich weiß überhaupt nicht, Herr Bundeskanzler, von welcher Wahrnehmung Sie aus­gehen. Erst gestern haben wir hier im Hohen Haus eine Debatte geführt, in der wir als Freiheitliche Partei eine Initiative eingebracht haben, etwas gegen die fortschreitende Verarmung der Bevölkerung zu tun. (Abg. Hörl: In Osttirol!) Diese Initiative wurde hier im Hohen Haus einhellig abgelehnt. Sie müssen doch wissen, dass die Kluft zwischen Arm und Reich permanent steigt (Abg. Hörl: In Osttirol!), dass es allein in Tirol laut einer ÖGB-Studie mittlerweile 95 000 Tiroler gibt, die armutsgefährdet sind – wobei die Grenze für die Armutsgefährdung bei 771 € angelegt worden ist. (Abg. Strache: Das kann er sich nicht vorstellen!) Und wissen Sie, was mich noch viel mehr schockiert, ist, dass 25 000 von diesen 95 000 trotz Arbeit armutsgefährdet sind.

Herr Bundeskanzler, wieso sagen Sie der Bevölkerung nicht, was sie tun soll, um bei diesen exorbitant gestiegenen Energiepreisen im Winter ihre Wohnungen zu heizen? – Jeder Autofahrer zahlt künftig mindestens 400 € mehr, allein für das Tanken. Dann stellen Sie sich hierher und erklären uns, dass künftig alles noch viel besser, viel sozialer und viel gerechter werden soll.

Wissen Sie, was passieren wird? – Durch die Öffnung unserer Arbeitsmärkte wird es einen zusätzlichen Druck auf unsere sozialen Töpfe geben, mit der Konsequenz, dass


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immer mehr Leistungen, die wir Österreicher für uns erarbeitet haben, umverteilt werden und immer mehr Europäer auf diese Leistungen zugreifen. Das wird zur Kon­se­quenz haben, dass die Kluft zwischen Arm und Reich größer werden wird und dass wir – vor allem in Österreich – weitere Einkommensverluste hinnehmen müssen. Der Rechnungshof hat ja nicht umsonst darauf hingewiesen, dass es seit dem Jahr 1996 überhaupt keine realen Einkommenszuwächse mehr gegeben hat.

Sie, Herr Cap, haben ja gemeint, wenn wir die Bevölkerung aufklären, dann würden wir ihr etwas vorgaukeln, etwas ins Ohr säuseln. – Darf ich Ihnen eine jüngst von mir eingebrachte parlamentarische Anfrage vorstellen? Die Beantwortung erfolgte jüngst durch Minister Bartenstein. Ich konnte es nämlich wirklich nicht glauben: Mitte Juni habe ich in der Tiroler Zeitung „Die NEUE“ in einem Beitrag von Redakteur Frank Tschoner Folgendes gelesen:

Ein Brite soll einen einzigen Tag in Tirol beschäftigt gewesen sein und dafür sechs Mo­nate Arbeitslosenversicherung aus unserem Topf bekommen haben. (Abg. Strache: Es gibt aber auch andere Fälle! Sechs Jahre Aufenthalt, zwei Jahre gearbeitet ! Das ist eine Katastrophe!)

Als ich diese Überschrift aus der „NEUEN“ gelesen habe, konnte ich das nicht glauben. Die „NEUE“-Redaktion hat beim zuständigen AMS nachgefragt. Dort hat man die Antwort bekommen, das sei alles rechtens, weil dieser Brite bereits Vordienstzeiten in England geleistet hat, jetzt nach Tirol übersiedelt ist, dort – einen einzigen Tag, bitte – angemeldet wurde, am nächsten Tag abgemeldet wurde und jetzt ein halbes Jahr die Arbeitslosenversicherung aus unserem Sozialtopf bezieht, obwohl er in unseren Sozialtopf in Wahrheit geradezu nichts eingezahlt hat. Und das soll gerecht sein? Das soll jemand verstehen? (Beifall bei der FPÖ. – Abg. Dr. Schüssel: Der steigert sich da hinein!)

Ich habe nachgefragt – eben über diese parlamentarische Anfrage beim Herrn Minister Bartenstein – und wollte wissen, ob wir Österreicher zumindest eine finanzielle Rück­vergütung bekommen. Es wäre doch normal, dass man zumindest eine Rückvergütung bekommt, wenn man nur einen Tag Leistung einbezahlt und wir die Arbeitslosen­unterstützung zu 100 Prozent aus unseren sozialen Töpfen leisten.

Wissen Sie, was in dieser Anfragebeantwortung drinnen steht? – Keinen Schilling, keinen Cent, bekommen wir zurück! Es wird möglicherweise darüber verhandelt, aber es ist noch nicht so weit. – Wissen Sie, das ist das Problem! Das fällt uns auf den Kopf. (Der Redner hält die auf das Rednerpult gestellte Tafel in die Höhe.)

Deswegen haben wir von der Freiheitlichen Partei bereits in der Vergangenheit in vier Anträgen hier im Hohen Haus eingefordert, dass dieser Reformvertrag einer Volks­abstimmung – nämlich in Österreich und ausschließlich durch die österreichische Bevölkerung – zu unterziehen ist. Das haben Sie bereits viermal abgelehnt. (Beifall bei der FPÖ.) Wir werden es heute ein fünftes Mal probieren.

Herr Präsident, ich darf den Entschließungsantrag einbringen, in Österreich eine Volks­abstimmung über diese unfaire, sozial kalte europäische Verfassung abzuhalten, und stelle Ihnen diesen Text vor:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Hauser, Strache, Dr. Bösch und weiterer Abgeordneter betref­fend Durchführung einer nationalen Volksabstimmung in Österreich über die Ratifi­zierung des Vertrages zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union und des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft


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Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die österreichische Bundesregierung wird aufgefordert, dem Nationalrat eine Regie­rungs­vorlage vorzulegen, die für die Ratifizierung des Vertrages zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union und des Vertrages zur Gründung der Euro­päischen Gemeinschaft, kurz EU-Reformvertrag genannt, in Österreich die Durch­führung einer nationalen Volksabstimmung vorsieht.“

*****

(Beifall bei der FPÖ. – Zwischenrufe der Abgeordneten Dr. Graf und Parnigoni.)

Auf gut Deutsch: Wir wollen haben, dass unser Volk über diesen Reformvertrag, der nichts anderes ist als die verkorkste europäische Verfassung, die uns Rechte und nationale Interessen nimmt, in unserem Land abstimmt.

Herr Bundeskanzler, wenn für die Bevölkerung alles besser werden soll, wieso lassen Sie darüber nicht abstimmen? – Das versteht niemand. (Beifall bei der FPÖ. – Abg. Hörl: Das hat mich jetzt schwer beeindruckt!)

12.27


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Der von Herrn Abgeordnetem Mag. Hauser ein­gebrachte Entschließungsantrag ist ausreichend unterstützt und steht daher mit in Verhandlung.

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Hauser, Strache, Dr. Bösch und weiterer Abgeordneter betref­fend Durchführung einer nationalen Volksabstimmung in Österreich über die Ratifi­zierung des Vertrages zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union und des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft

eingebracht im Zuge der Debatte über die Erklärungen des Bundeskanzlers und der Bundesministerin für europäische und internationale Angelegenheiten gem. § 19 Abs. 2 GOG zum EU-Reformvertrag in der 38. Sitzung des Nationalrates am 8. November 2007

Am 13. Dezember 2007 soll im Rahmen des Europäischen Rates in Lissabon der Vertrag zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union und des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, kurz EU-Reformvertrag genannt, von den Regierungschefs der EU-Mitgliedsstaaten feierlich unterzeichnet werden, um danach in den einzelnen Mitgliedsstaaten auf nationaler Ebene ratifiziert zu werden.

Dieser EU-Reformvertrag entspricht allerdings ganz und gar nicht den Interessen der europäischen Bürger, im besonderen der Österreicher. Zum einen wird dieser Vertrag die Verfassung der Europäischen Union nicht nur, wie seine Technik es erscheinen läßt, weiterentwickeln, sondern grundlegend ändern. In der Substanz unterscheidet sich dieser Vertrag nicht von dem in Frankreich, den Niederlanden und Deutschland gescheiterten Vertrag über eine Verfassung für Europa vom 29. Oktober 2004. Ins­besondere geht dieser Vertrag (endgültig) den Schritt zum Bundesstaat Europäische Union. Zum anderen gibt es weitere zentrale Kritikpunkte, die von verschiedenen Verfassungsexperten geübt werden. Nicht nur, daß es eine Volksabstimmung über die


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Ratifizierung des Vertrages auf nationaler, österreichischer Ebene geben müßte, weil der Vertrag eine grundlegende Änderung der österreichischen Bundesverfassung bewirken würde, nein, die Kritik beispielsweise von Prof. Karl Alb-recht Schacht­schneider geht so weit, daß dieser EU-Reformvertrag überhaupt un-vereinbar mit den Grundprinzipien der österreichischen Bundesverfassung ist, zumal bedenkenswert ist, ob durch politische Staatsverträge eine Gesamtänderung der Bundesverfassung überhaupt zulässig ist. Diese Bedenken äußert der renommierte Experte für öffent­liches Recht Prof. Schachtschneider auch in einem von der FPÖ in Auftrag gegebenen Gutachten, welches in sechs Punkten darlegt, warum eine Volksabstimmung über den Reformvertrag in Österreich erforderlich ist und eine grundlegende Kritik am Vertrag darlegt:

1. Vereinfachtes Änderungsverfahren

Die Einrichtung des „vereinfachten Änderungsverfahrens“ durch Art. 33 Abs. 6 des Vertrages über die Europäische Union (EUV) ist eine „Gesamtänderung der Bundes­verfassung“ im Sinne des Art. 44 Abs. 3 B-VG, die „einer Abstimmung des gesamten Bundesvolkes zu unterziehen“ ist. Nach Art. 33 Abs. 6 EUV kann der Europäische Rat durch Beschluß nach Anhörung des Europäischen Parlamentes und der Kommission sowie, bei institutionellen Änderungen im Währungsbereich der Europäischen Zentral­bank, auf Initiative der Regierung jedes Mitgliedstaates, des Europäischen Parlaments und der Kommission einstimmig „die Änderung aller oder eines Teils der Bestim­mungen des Dritten Teiles des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union“ beschließen. Dieser Dritte Teil umfaßt alle wichtigen Politiken der Union außer der Außen- und Sicherheitspolitik. Der Beschluß tritt zwar nach Unterabs 2 S. 3 des Art. 33 Abs. 6 EUV „erst nach Zustimmung der Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften in Kraft“, aber der Beschluß ist kein „politischer Staatsvertrag“ im Sinne des Art. 50 B-VG, welcher der Zustimmung des Nationalrates und gegebenenfalls des Bundesrates und der Ratifi-kation durch den Bundespräsidenten (Art. 65 Abs. 1 B-VG) bedarf. Die Gesetzgebungsorgane Öster­reichs müssen somit an dem Verfahren nicht beteiligt werden. An diesen Änderungen wirkt für Österreich, wie dargelegt, maßgeblich nur der Bundeskanzler mit, weil der Europäische Rat einstimmig entscheiden muß. Das vereinfachte Änderungsverfahren ist der Sache nach eine Diktaturverfassung, die kaum noch einen demokratischen Rest aufweist.

2. Generalermächtigung zur Mittelbeschaffung

Der Reformvertrag hat trotz des Maastricht-Urteils, das der großen Generalklausel, der Kompetenz-Kompetenz des Art. F Abs. 3 EUV (Art. 6 Abs. 4 EUV bisherige Fassung) die rechtliche Verbindlichkeit (zur Rettung des Maastricht-Vertrages) abgesprochen hat (BVerfGE 89, 155 (196 f.)), in Art. 269 Abs. 1 im Vertrag über die Arbeitsweise der Union (VAU) eine fast gleichlautende Bestimmung beibehalten, diese allerdings in den Titel II des Fünften Teils, der die Finanzen der Union regelt, gestellt, also auf Mittel zur Finanzierung des Haushaltes der Union begrenzt. Jetzt aber wird ein Verfahren für die Umsetzung dieser Generalermächtigung eingeführt, das an der rechtlichen Verbind­lichkeit der Ermächtigung nicht mehr zu zweifeln erlaubt. Nach Absatz 3 Unterabsatz 1 nämlich erläßt der Rat einen Beschluß, den er einstimmig nach einem besonderen Gesetzgebungsverfahren und nach Anhörung des Europäischen Parlaments faßt, mit dem die Bestimmungen über das System der Eigenmittel der Union festgelegt werden. Dieser Beschluß kann neue Kategorien von Eigenmitteln einführen, aber auch beste­hende Kategorien abschaffen. Die neuen Kategorien von Eigenmitteln können und werden auch europäische Steuern sein.


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3. Flexibilitätsklausel

Die Flexibilitätsklausel des Art. 308 Abs. 1 VAU ermöglicht es der Union, zur Verwirk-lichung der überaus weit gesteckten Ziele der Verträge durch Vorschriften des Rates auf Vorschlag der Kommission und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments „im Rahmen der in den Verträgen festgelegten Politikbereiche“ tätig zu werden, auch wenn die Verträge die dafür erforderlichen Befugnisse nicht vorsehen. Auf dieser Grund­lage kann sich die Union so gut wie jede Befugnis verschaffen, ohne daß die Mitgliedstaaten dem zustimmen müssen. Letztere können lediglich ihre (kläglichen) Einwendungen aus dem Subsidiaritätsprinzip zur Geltung bringen (Absatz 2). Diese Kompetenz-Kompetenz geht deutlich über die bisherige Generalklausel des Art. 308 im Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) hinaus, welche auf die Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes beschränkt war. Lediglich Harmonisie­rungs­verbote dürfen durch die Vorschriften nicht überspielt werden (Absatz 3) und die Verwirklichung von Zielen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik darf nicht auf diesen Artikel gestützt werden (Absatz 4).

4. Bundesstaatliche Zuständigkeit

Obwohl der Reformvertrag nicht mehr wie der gescheiterte Vertrag über eine Verfas­sung für Europa von „Verfassung“ spricht, um nicht deutlich werden zu lassen, daß mit dem Integrationsschritt des Reformvertrages ein Staat verfaßt wird, macht der Reformvertrag doch den Schritt vom Staatenverbund zum Bundesstaat, zum euro­päischen Unionsstaat. Das erweist (abgesehen von den staatsmäßigen weiten Auf­gaben und Befugnissen der Union) die neue Zuständigkeitsordnung der Artikel 2 bis 6 VAU.

5. Vorrang der Unionsrechts

Zum Reformvertrag gehören die Erklärungen der Regierungskonferenz, die Bestandteil des Reformvertrages werden und die Verbindlichkeit dieses Vertrages entfalten. Diese Erklärungen sind (je nach ihrem Inhalt) authentische Klärungen der Rechtslage der Europäischen Union. Die 27. Erklärung befaßt sich mit dem Vorrang des Unionsrechts vor dem Recht der Mitgliedstaaten. Sie lautet:

„Die Konferenz weist darauf hin, dass die Verträge und das von der Union auf der Grundlage der Verträge gesetzte Recht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der EU unter den in dieser Rechtsprechung festgelegten Bedin­gungen Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten haben.“

6. Verlust der „immerwährenden Neutralität“

Der Reformvertrag entwickelt die Sicherheits- und Verteidigungsunion deutlich weiter. Zum einen schafft der Reformvertrag, wie unter Punkt 4 dargelegt, einen Bundesstaat. Dieser Bundesstaat beendet die immerwährende Neutralität Österreichs.

Aufgrund dieser nüchternen rechtlichen Fakten stellen die unterfertigten Abgeordneten folgenden

Entschließungsantrag:

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die österreichische Bundesregierung wird aufgefordert, dem Nationalrat eine Regie­rungsvorlage vorzulegen, die für die Ratifizierung des Vertrages zur Änderung des


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Vertrages über die Europäische Union und des Vertrages zur Gründung der Euro­päischen Gemeinschaft, kurz EU-Reformvertrag genannt, in Österreich die Durch­führung einer nationalen Volksabstimmung vorsieht.“

*****

 


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Mag. Darmann. 6 Minuten Redezeit. – Bitte.

 


12.27.38

Abgeordneter Mag. Gernot Darmann (BZÖ): Herr Präsident! Geschätzte Mitglieder der Bundesregierung! Hohes Haus! Werte Zuseher vor Ort und zu Hause! Zu Beginn möchte ich einige Worte zur Erläuterung des Antrages der Kollegen Scheibner, Westenthaler, Kolleginnen und Kollegen zu einer Neukonzeptionierung eines neuen Europas, einer neuen EU, investieren, um auch den Zusehern zu Hause – denn Sie, geschätzte Kolleginnen und Kollegen, haben ja den Antrag vor sich liegen – zu erläutern, was wir mit dieser Neukonzeptionierung meinen.

Tatsache ist, dass es bisher – und in Zukunft noch verstärkt – in der Europäischen Union so ist, dass ungleiche Voraussetzungen in den einzelnen Mitgliedsländern gleich behandelt werden. Wir wissen ganz genau, dass der EU-Reformvertrag sogar vorsieht, dass das bisher bestehende Vetorecht in den Bereichen Agrarpolitik, innere Sicherheit, Justiz und Zuwanderung wegfallen wird. Die Außenministerin hat das mit den Worten oder mit der Begründung beschrieben, das sei eine feine Sache, da es ja hier dann zu einem rascheren Vorgehen, zu rascheren Prozessen kommen wird und die Blockade­möglichkeit einzelner Staaten nicht mehr gegeben sein wird. – Ich glaube, ich habe das jetzt richtig zitiert.

Ich sage, dass das ein Problem darstellt, weil dieses Vetorecht, wie es schon im Wort selbst enthalten ist, ein Recht ist, ein positives Recht, das institutionell vorgesehen ist, und nicht eine negativ besetzte Blockade durch ein einzelnes Land, weil ein Land schon einen Grund haben wird, sich zu weigern, bestimmte Beschlüsse in der Euro­päischen Union mitzutragen.

Unser System, welches wir heute mittels Antrags eingebracht haben, sieht ein Modul­system für die Europäische Union vor, welches von einem Kerneuropa – bestehend aus den Ländern, die vor allem wirtschaftlich am weitesten entwickelt sind und alle Bereiche mittragen können und wollen – ausgeht. Das heißt, die Länder können sich durch ein Instrument der direkten Demokratie, nämlich der Volksabstimmung im Land, selber dazu bekennen: Ich möchte zu 100 Prozent im engsten Kreis dieses Modul­systems drinnen sein, um alles mitzutragen.

Jedes andere Land, das wirtschaftlich nicht so weit ist, wo auch die Bevölkerung das erkennt und sagt, wir wollen nicht in allen Bereichen mitgehen, ist in einem zweiten Bereich, einem äußeren Kreis, drinnen und trägt nur bestimmte Module mit. Im letzten Bereich, einem äußersten Kreis, sind jene Mitglieder dieser künftigen, nach unserem Konzept gestalteten Europäischen Union angesiedelt, die praktisch nur noch in einer Partnerschaft für Europa vorkommen, das heißt, eben in einzelnen Bereichen Verträge mit der Europäischen Union abschließen. Somit ist auch eine unterschiedliche Gang­art, eine unterschiedliche Geschwindigkeit in der Entwicklung und eine faire Entwick­lung in der Europäischen Union gewährleistet. (Beifall beim BZÖ.)

Nun aber zu der vorhin, am Anfang dieser Debatte, gehörten rosaroten Lobeshymne – sowohl aus schwarzem als auch aus rotem Munde – auf diesen EU-Reformvertrag. (Zwischenruf der Abg. Dr. Brinek.) Ich möchte zum einen Herrn Bundeskanzler Gusenbauer ansprechen, der wortwörtlich – und ich habe sehr genau aufgepasst,


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damit Sie mir nicht wieder, wie sonst auch, von hinten hereinreden können – gesagt hat, in der Diskussion wird nicht genügend gewertet, was wir an diesem Europa haben. (Neuerlicher Zwischenruf der Abg. Dr. Brinek.) Das heißt, hier wird zu wenig auf die Bevölkerung geachtet.

Ich frage Sie: Wer soll denn das bewerten? – Nur die europäische Bevölkerung in den einzelnen Staaten kann bewerten, wie es in Europa vorangeht. Ja, wer hindert Sie aber dann auch daran, eine Volksabstimmung durchzuführen? – Wir wissen, Sie wollen das nicht, Sie trauen sich nicht drüber. In diesem Fall sind wir jetzt hier und haben einen Antrag eingebracht auf eine Volksbefragung. Die österreichische Bevölkerung soll befragt werden. Das kann einen guten Weg, einen guten Plan für die Regierung abgeben, wenn man weiß, was die Bevölkerung will, sich auch dementsprechend bei der anstehenden Unterfertigung dieses EU-Reformvertrages zu verhalten.

Weiters ist von der Bundesministerin Plassnik gesagt worden, wir haben einen Beitrag Österreichs zu diesem Vertragswerk geleistet. – Ich hoffe, dass dieser Beitrag nicht dadurch erkauft wurde, dass wir nur eine Aussetzung dieses Studienquotenverfahrens in der Europäischen Kommission erreicht haben; die gilt nämlich nur für fünf Jahre. Das heißt, eine Aussetzung eines fünfjährigen Verfahrens für einen Reformvertrag, der Österreich dann ewig anhaftet – das wäre ein schlechtes Geschäft gewesen. (Beifall beim BZÖ.)

Zum Kollegen Cap: Sie wünschen sich eine Einbindung des europäischen Volkes in eine europäische Entscheidung durch eine Volksabstimmung und haben bedauert, dass das nicht möglich ist. In Österreich haben wir diese Rechtsinstitutionen – wieso nützen wir sie nicht? – Stimmen Sie einer Volksabstimmung, einer Volksbefragung, zu! Binden wir das Volk ein!

Zum Abschluss darf ich sagen – es wurde heute auch schon angeführt –, in Kärnten haben wir schon versucht, eine Volksbefragung in einer Regierungssitzung durchzu­bringen – direkt mit den Regierungspartnern, der ÖVP und der SPÖ. Diese haben sich geweigert, das Volk mit einzubinden. (Zwischenruf des Abg. Dipl.-Ing. Klaus Hubert Auer.) – Ich weiß, Herr Kollege Auer, Sie sind damit nicht einverstanden, das ist aber Tatsache.

Nun gehen wir den direkten Weg. Ab heute gibt es eine Unterschriftenaktion für eine Volksbefragung in Kärnten. Wir werden 15 000 Unterschriften sammeln, um diese Volksbefragung zu erzwingen. Und wir laden alle Kärntner recht herzlich ein, sich an dieser Befragung zu beteiligen, ihre Meinung kundzutun und der Regierung – nämlich nicht nur in Kärnten, sondern auch auf Bundesebene – mitzugeben, wie sie sich auf europäischer Ebene zu verhalten hat. – Danke. (Beifall beim BZÖ.)

12.33


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Wittmann. 5 Minuten Redezeit. – Bitte.

 


12.33.33

Abgeordneter Dr. Peter Wittmann (SPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehr­ter Herr Bundeskanzler! Sehr geehrte Frau Außenminister! Hohes Haus! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Forderung nach einer Volksabstimmung, so wie sie hier gestellt wird, ist für mich in einem Kontext zu sehen, der nicht die Abstimmung über das, worüber man wirklich abstimmen will, in den Vordergrund stellt, sondern der so eine Pseudoabstimmung über ja oder nein zur EU beinhaltet. Das ist aber nicht die Abstimmung über ja oder nein zur EU! (Abg. Strache: Ja, eh! Verfassung: ja oder nein! – Darum geht es! Wollen wir eine österreichische Verfassung oder eine EU-Verfassung?!)


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Wissen Sie, wie die EU funktioniert? – Es gibt Verträge in der EU, die das Zusam­menleben der Staaten in der EU regeln. Diese Verträge waren Maastricht, Amsterdam, Nizza. Der jetzt gültige Vertrag ist in Nizza beschlossen worden, dieser Vertrag gilt bereits. Das heißt, den können Sie nicht mehr in Frage stellen mit dieser Volks­befragung oder Volksabstimmung (Abg. Strache: Aber geh, gar nicht!), sondern Sie können nur einen neuen Vertrag, der in Lissabon abgeschlossen wurde und der Neue­rungen bringt, nicht beschließen lassen. Das heißt, Sie würden auf einen alten Vertrag zurückfallen, der wesentlich schlechtere Regelungen beinhaltet als der neue Vertrag, der dort ausgehandelt wurde. (Abg. Strache: Nein, nein, nein!)

Sie suggerieren der Bevölkerung, dass man hier abstimmt über ja oder nein zur EU (Abg. Strache: Über den Verfassungsvertrag!), das finde ich verwerflich! Denn man stimmt nur darüber ab, ob man einen alten Vertrag mit schlechten Bestimmungen will oder einen neuen Vertrag, bei dem es Verbesserungen gibt. (Abg. Strache: Für Sie ist es „verwerflich“, Österreich abstimmen zu lassen! Das ist „verwerflich“!)

Wissen Sie, was Sie ablehnen? Wissen Sie überhaupt, was Sie ablehnen? Was steht in dem neuen Vertrag drinnen? – Schutz bei ungerechtfertigter Entlassung – als Grund­recht! Das lehnen Sie ab?! Verbot der Kinderarbeit! (Abg. Strache: Dafür brauche ich doch keinen EU-Vertrag! Das ist doch österreichisches Recht!) Das lehnen Sie ab? (Abg. Strache: Haben wir Kinderarbeit in Österreich?) – Das sind die Grund­rechte, die Sie ablehnen? Soziale Sicherheit und soziale Unterstützung – das wollen Sie ablehnen? Das wollen Sie ablehnen? (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Strache: Das ist ja absurd! Nonsens! Sie wollen den Österreichern das Recht nicht zugestehen!)

Recht auf Zugang zur Gesundheitsvorsorge! Das lehnen Sie ab mit diesem neuen Vertrag. Sie wissen ja gar nicht, was Sie ablehnen. Das steht alles nicht im alten Vertrag drinnen, aber im neuen würde das drinnen stehen. Das lehnen Sie ab! Sagen Sie das der Bevölkerung, dass Sie den Schutz auf Zugang zur Gesundheitsvorsorge ablehnen! (Neuerlicher Zwischenruf des Abg. Strache.) Sagen Sie das der Bevölke­rung, dann bin ich schon dabei.

Aber Sie stimmen nicht über ja oder nein zur EU ab. (Abg. Strache: Sagen Sie der Bevölkerung die Wahrheit!) Sie stimmen darüber ab, ob der Vertrag von Nizza mit schlechten Bestimmungen gilt oder der Vertrag von Lissabon, wo es Neuerungen und Verbesserungen gibt, wo es in Richtung soziales Europa geht, wo es darum geht, dass die nationalen Parlamente mehr Mitbestimmungsrechte bekommen, wo es darum geht, dass das Europäische Parlament mehr Mitbestimmungsrechte bekommt. – Das lehnen Sie ab in Wirklichkeit. Nur das wollen Sie nicht, es geht nicht um EU – ja oder nein, sondern es geht um den Vertrag von Nizza und um den Vertrag von Lissabon, der Neuerungen bringt. (Abg. Strache: Sind Sie das Kabarett-Programm heute, Herr Kollege? – Abg. Dr. Graf: Aber in Österreich gibt es schon eigene Gesetze! Diese Verfassung katapultiert uns ins soziale Paradies!)

Ich glaube, dass Sie der Bevölkerung hier ganz bewusst suggerieren, ein Nein zu Europa zu sagen – und das ist ganz gefährlich. Sie haben hier Ihre Verantwortung verkannt. (Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Sie sagen nicht nein zum Vertrag von Nizza und ja zum Vertrag von Lissabon – denn das würde niemand verstehen –, sondern Sie suggerieren ein ganz anderes Thema. Das halte ich für ein ganz gefährliches Spiel mit den Emotionen der Bevölkerung, weil niemand verstehen würde, dass man, wenn man hier nein sagt, auf den Vertrag von Nizza zurückfallen würde – mit ganz schlechten Bestimmungen –, der wirklich gegen eine Grund-Gesundheitsvorsorge ist (Abg. Strache: Wir haben österreichische Ge­setze!), gegen Mitbestimmungsrechte der nationalen Parlamente, gegen Mitbestim-


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mungs­rechte des Europäischen Parlaments. (Abg. Dr. Graf: Gestern hat Buchinger gesagt, alles ist gut! Diese Kritik an Buchinger ist ein Wahnsinn!)

Gerade die Freiheitlichen in ihrer Tradition der Diskussion: Ich kann mich noch erinnern, Sie waren die Ersten, die damals aufgesprungen sind auf den Zug, dass man die Neutralität abschaffen soll, und „Hurra, hinein in die NATO!“ (Abg. Strache: Sie schaffen heute die Neutralität ab! Sie schicken Soldaten in den Tschad und nach Afghanistan! Das ist die Realität!) – Das war Ihr Zugang! Jetzt sichern wir die Neutralität in diesem Vertrag! Jetzt sind Sie auf einmal die Neutralitätsverfechter. Das kann es doch nicht sein, das ist doch ein Hohn der Geschichte, was Sie da machen! (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Dr. Graf: Sie waren immer gegen Europa!)

Gerade wir waren es, die immer die Neutralität beibehalten haben, und in diesem Vertrag haben die Schweden, die Iren, die Finnen und wir uns durchgesetzt, und wir können auch weiterhin selbst bestimmen, bei welchen Einsätzen wir dabei sind. Wir können auch weiterhin selbst bestimmen, ob wir dabei sind und in welcher Art wir dabei sind. Und das ist das Kernstück der Neutralität.

Das lehnen Sie ab, denn das steht im neuen Vertrag drinnen. Aber Sie, mit Ihrer NATO-Vergangenheit – das denke ich mir schon, dass da immer eine Hintertür offen bleiben soll gegen die Neutralität. Wir, die Regierungsparteien, haben ein Bekenntnis zur Neutralität, und Sie wollen das wahrscheinlich über die Hintertür abschaffen. (Abg. Strache: Sie wollen die Neutralität abschaffen, Herr Kollege!) – Also, Sie sind wirklich ... (Zwischenruf des Abg. Dolinschek.)

Ich glaube, Sie sind gegen ein sozialeres Europa, gegen eine Weiterentwicklung Euro­pas – und das unter Vorgaukeln falscher Tatsachen. (Präsident Dr. Spindelegger gibt das Glockenzeichen.) Ich finde das verwerflich. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Parnigoni: Super-Rede!)

12.38


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Mitter­lehner. 5 Minuten Redezeit. – Bitte.

 


12.38.58

Abgeordneter Dr. Reinhold Mitterlehner (ÖVP): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Frau Außenminister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kann mich meinem Vorredner auch nur anschließen. (Abg. Dr. Graf: Dann brauchen Sie nichts mehr sagen, wenn Sie sich anschließen! Aus ist die Redezeit!) Ich finde, Sie von der Freiheitlichen Partei, Sie machen es sich (Abg. Strache: Jetzt kommt die Industrie-Lobby!) ein bisschen zu leicht. Und Sie sind meiner Meinung nach auch unehrlich. Sie sollten da jetzt nicht irgendeine Tafel herausgeben, auf der steht „EU-Volksabstim­mung sichern!“, sondern Sie sollten eine Tafel herausgeben, auf der steht „Nein zu Europa!“. Sie sollten auch nicht eine Telefonnummer bekannt geben, bei der steht „Info-Hotline“ oder etwas Ähnliches (Zwischenrufe bei der FPÖ), sondern Sie sollten ganz einfach draufschreiben: „Propaganda-Hotline“. Dann wird das dem, was Sie hier heute argumentieren, einigermaßen gerecht. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Abgeord­neten der SPÖ.)

Ich muss Ihnen auch Folgendes sagen, Herr Strache: Was mir einfach an der ganzen Argumentationslinie nicht gefällt, ist, dass Sie es sich ein bisschen zu einfach machen. Es gibt manche Probleme, es gibt auch eine schlechte Stimmung; aber die gibt es, weil Sie die tagtäglichen Lebensfälle, die auftreten und die irgendwie mit dem gesellschaft­lichen Wandel zu tun haben, alle auf die EU-Ebene abschieben. (Abg. Dr. Graf: Damit man das löst, muss die Kammer in die Verfassung eingetragen werden!) Auf der anderen Seite sind Sie, wenn es um Lösungen geht, nicht bereit, irgendetwas an


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Lösungen, an anderen Konzepten einzubringen. Daher fordern Sie von der EU etwas, was Sie selbst gar nicht einzubringen bereit sind. (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Strache: Wovon reden Sie?)

Damit möchte ich ein bisschen stärker zum Thema kommen. Mich hat es auch irritiert, muss ich ganz ehrlich sagen, dass Kollege Hauser hier herausgeht und die Tiroler Arbeitslosenversicherung als Beispiel vorbringt, um zu begründen, warum er und die ganze Partei den EU-Vertrag ablehnt. (Zwischenruf des Abg. Dr. Haimbuchner.) Das ist doch einigermaßen unstimmig, was Sie hier vorbringen. (Abg. Strache: Weil der Sozialstaat zugrunde gerichtet wird!)

Zurück aber zum eigentlichen Thema, das mir ein Anliegen ist (Abg. Strache: Weil wir den Sozialstaat erhalten wollen und ihn nicht aufgeben wollen!): Es ist heute schon mehrmals gesagt worden, dass die EU von der Grundkonzeption her die Idee hatte, durch wirtschaftliche Verflechtung Kriege zu verhindern und damit ein besseres Zusammenleben zu gewährleisten. (Abg. Strache: Deshalb nehmen wir jetzt die Türkei auf und sind mitten im nächsten Krieg drinnen!)

Ich glaube, dass zu dieser Zielsetzung mittlerweile andere Herausforderungen hinzu­gekommen sind: die Globalisierung (Abg. Dr. Graf: Sind alles nur Polizeiaktionen!), der demographische Wandel, die Migration, aber auch die Umweltproblematik. Ich glaube, dass dieser Vertrag, der hier vorliegt, doch eine ganz gewaltige Verbesserung bewirkt. Warum? – Weil hier Fortschritte genau bei der Problemlösung in diesen Bereichen erreicht werden können. Denn es ist klar, dass das eine Chance ist, und man muss Anspruch und Wirklichkeit verbinden.

In welchen Bereichen kann das geschehen? – Beispielsweise dadurch, dass die EU jetzt eine stärkere Rechtspersönlichkeit erhält und dass in der gesamten Handelspolitik ein besseres, einheitlicheres Auftreten seitens der EU ermöglicht wird. Woran wird das deutlich? – Gegenüber Drittstaaten im Bereich Dienstleistungen, bei den Direktinves­titionen, aber auch beim geistigen Eigentum. Denken Sie daran, welche Probleme wir dabei haben, geistiges Eigentum zu schützen, wenn es um Beziehungen mit China oder mit anderen Ländern geht. Nur die starke Verhandlungsmacht der EU, die durch diesen Vertrag jetzt noch besser gewährleistet wird, sichert uns hier entsprechende Spiel­regeln.

Gleiches gilt für den Bereich der WTO und der Weltbank. Denken Sie auch an die Spielregeln, was moralische Grundsätze anbelangt. Dafür besteht mit dem neuen Vertrag eine bessere Durchsetzbarkeit.

Ich habe davon gesprochen, dass wir auch Herausforderungen im Bereich der Umwelt­politik besser angehen können. Das ist richtig. (Abg. Strache: Bei der Gentechnik?) Es gibt verbesserte Kompetenzen (Abg. Strache: Gentechnik-Freigabe!), beispielsweise für die Energiepolitik, eine umfassende, nachhaltige, auf die Förderung erneuerbarer Energien ausgerichtete Energiepolitik. All das ist jetzt gewährleistet. Damit wird auch der Klimawandel bewältigbar. Und all das gewährleistet ein einheitliches Auftreten auf EU-Ebene – der Nationalstaat ist da eindeutig überfordert. (Ironische Heiterkeit bei der FPÖ.)

Daher zu einem zweiten Bereich, der für uns Österreicher wichtig ist: Wir haben bei den Kompetenzen beispielsweise auch den Tourismus als eigene EU-Kompetenz. Es soll hier die EU ergänzend tätig werden, wenn es um die Förderung der Wettbe­werbsfähigkeit geht. Das ist für unser Land ganz besonders wichtig.

Auch die Sozialpartnerschaft ist auf EU-Ebene entsprechend verankert worden. Im sozialen Dialog haben die Sozialpartner als Manager des Wandels eine entsprechende Grundlage. (Abg. Strache: Deshalb wollt ihr die Kammern in Verfassungsrang set-


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zen?) Daher verstehe ich auch nicht, mit welcher Aufgeregtheit Sie dem begegnen, dass hier in Österreich die Kammern, die auch Aufgaben des übertragenen Wirkungs­bereiches wahrnehmen, die entsprechende Absicherung haben. Im tagtäglichen Leben wird das eigentlich nichts ändern. (Abg. Strache: Weg mit der Zwangsmitgliedschaft!)

Natürlich gibt es auch Bereiche, in denen wir uns mehr Transparenz erhofft haben; das ist nicht so umgesetzt worden. Aber was erwartet die Wirtschaft im Großen und Ganzen? – Die Wirtschaft erwartet mehr Kontinuität, die Wirtschaft erwartet mehr Transparenz und mehr Klarheit, auch in der Form der Ausrichtung auf Wett­bewerbs­fähigkeit. (Abg. Dr. Graf: Die Kammer im Verfassungsrang, das ist das Wichtigste!) Das wird durch die EU gewährleistet. (Präsident Dr. Spindelegger gibt das Glocken­zeichen. – Abg. Dr. Graf: Das Wichtigste für die Wirtschaft ist die Kammer in der Verfassung!)

Daher, meine Damen und Herren, ist dieser Vertrag eine eindeutige Verbesserung! Ich verstehe nicht, was Sie daran auszusetzen haben. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Abgeordneten von SPÖ und Grünen.)

12.44


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Sburny. Redezeit: ebenfalls 5 Minuten. – Bitte, Sie sind am Wort.

 


12.44.26

Abgeordnete Michaela Sburny (Grüne): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Frau Außenministerin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Grünen haben ihre Kritik an der EU immer sehr klar formuliert. Jenseits der einzelnen Sachthemen wie der Umwelt­politik oder der Transit-Frage geht es um eine ganz grundsätzliche Frage innerhalb der EU: Ist das, was mein Vorredner gesagt hat, dass nämlich die EU auch diese große Leistung der Friedenssicherung über Wirtschaftsbeziehungen vollbringt, nicht schon überbordend? – Das heißt auf gut Deutsch: Die Wirtschaftsfragen sind komplett in den Vordergrund getreten, die Konkurrenzfragen auch. Eine neoliberale Tendenz ist in den Vordergrund getreten, soziale Fragen und demokratiepolitische Fragen bleiben auf der Strecke. Das war und ist unsere Kritik an der EU, und das ist und bleibt auch eine Kritik an der EU, was die Grünen betrifft.

Wenn allerdings Sie von den Freiheitlichen und vom BZÖ es an die Wand malen, dass die soziale Frage durch die EU irgendwie ganz furchtbar schlecht werden würde (Abg. Dr. Haimbuchner: Wir malen nicht an die Wand, sondern wir sagen die Wahrheit!), dann möchte ich darauf hinweisen (Abg. Dr. Haimbuchner: Wir brauchen keine Wand!), dass die Frage von Arm und Reich und die Kluft zwischen Arm und Reich ein Problem der Nationalstaaten ist. Wir haben dieses Problem in allen Nationalstaaten in Europa, wir haben es in Österreich. Den österreichischen nationalen Regierungen der letzten Jahre und Jahrzehnte ist es nicht gelungen, diese Schere zwischen Arm und Reich zu schließen. (Abg. Strache: Wir haben einen besseren Sozialstaat gehabt als die anderen Länder in Europa!) Im Gegenteil: Die Armen werden, relativ gesehen, ärmer, die Reichen reicher. Reden Sie sich nicht auf die EU aus! Das ist ein Problem der Nationalstaaten! (Beifall bei den Grünen.)

Auch was die Souveränität Österreichs betrifft, bringen Sie hier einiges durcheinander. (Zwischenrufe bei der FPÖ.) Sie tun jetzt so, als ob dieser Vertrag, der hier vorliegt, die Souveränität Österreichs beschneiden würde. (Abg. Strache: Das ist richtig!) Das ist falsch! Was wir an Souveränität abgegeben haben – und die Grünen haben das damals heftig diskutiert und kritisiert (Abg. Strache: Aber zugestimmt!) –, das geschah 1994. Dieser Vertrag ändert an diesem Punkt überhaupt nichts (Abg. Strache: O ja!), eher im Positiven. (Abg. Strache: Statt 60 Prozent der Gesetzgebung sind in Zukunft 100 Prozent ausgelagert!)


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Das heißt – und das haben auch meine Vorredner schon gesagt –, man muss schau­en, was der Status quo ist und was sich durch den Vertrag verändert. Der Status quo ist der Vertrag von Nizza, der in diesen demokratiepolitischen und sozialpolitischen Fragen tatsächlich ein Problem hat. (Abg. Dr. Graf: Dem Sie zugestimmt haben!) Aber wenn Sie das ändern wollen, wenn Sie der politischen Durchsetzbarkeit von Sozial­politik, von Demokratiepolitik eine Chance geben wollen, dann brauchen Sie eine Verbesserung des Nizza-Vertrages. (Abg. Strache: Dann dürfen wir unsere Kompe­tenzen nicht abtreten! Dann müssen wir Kompetenzen behalten!)

Diese Verbesserung wird im vorliegenden Vertrag von Lissabon zumindest versucht. Es ist zugegebenermaßen ein kleiner Schritt, ein sehr kleiner Schritt auch deswegen, weil der ursprüngliche Verfassungsvertrag da sehr viel mehr an Möglichkeiten gegeben hätte. Es stimmt ja, wenn Kollege Scheibner sagt, dass das, was jetzt vorliegt, weniger ist als das, was im Verfassungsvertrag im Hinblick auf die Grundrechte und auf soziale Fragen ursprünglich schon gedacht war. Aber warum? – Weil nationale und nationalis­tische Tendenzen es verhindert haben! Weil nämlich diese Volksabstimmungen auch sehr viel mit den nationalen Interessen zu tun hatten und weil dadurch verhindert wurde, dass dieser Vertrag angenommen werden konnte.

Das heißt, die Conclusio müsste ja, wenn Ihnen der derzeitige Zustand nicht passt, diese sein: eine Verbesserung, auch mit einem kleinen Schritt, und ein Schritt in die Zukunft, den dieser Vertrag mit Sicherheit bringt, aber nicht in die Vergangenheit, zurück zu einer nationalistischen Abgrenzung. (Abg. Strache: Dann lassen Sie doch die Österreicher darüber abstimmen! Warum verwehren Sie das den Österreichern?)

Ein Wort noch zu dem, was Sie unter Kultur verstehen: Wir haben dort hinten heute schon darüber gesprochen, dass das, was Sie in der Debatte an Zwischenrufen nach vorn rufen, zum Teil wirklich schon schwer erträglich ist. Einer dieser Zwischenrufe – das war einer der harmloseren – hat sich auf die Kultur bezogen. Als unser Klubob­mann Van der Bellen darüber gesprochen hat, was für ein Vorteil es ist, dass junge Leute jetzt in Europa von Nord bis Süd, von West nach Ost reisen können, Arbeit suchen können, studieren können, lautete einer der Zwischenrufe: Ja, und sie werden damit kulturell entwurzelt.

Was haben Sie da für ein Verständnis? – Ich frage mich auch, von welcher Kultur Sie denn sprechen, wenn Ihr Europa-Abgeordneter Mölzer zum Beispiel den Rechtsanwalt Schaller zu Diskussionen lädt und ihm eine Bühne bietet – jenem Rechtsanwalt Schal­ler (Abg. Strache: Wir reden einer Zeitung nicht hinein!), der ein ausgewiesener Holocaust-Leugner, ein Leugner der Konzentrationslager ist! (Präsident Dr. Spindel­egger gibt das Glockenzeichen. – Abg. Strache: Wir reden keiner Zeitung hinein!)

Das ist Ihre Kultur, und dem werden wir sicher keinen Platz geben! (Beifall bei Grünen und SPÖ. – Abg. Strache: Das ist genau der Unsinn, den Sie verzapfen!)

12.49


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Vilimsky. Ebenfalls 5 Minuten Redezeit. – Bitte, Sie sind am Wort.

 


12.49.55

Abgeordneter Harald Vilimsky (FPÖ): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Frau Außenminister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir erleben heute wirklich eine Premiere seit der Konstituierung des Nationalrates, denn hinter mir auf der Regierungsbank ist erstmals kein Platz frei zwischen einem Roten und einem Schwarzen, oder einer schwarzen Außenministerin und einem roten Bundeskanzler. Sie sind irgendwie zusammengerutscht, es gibt so etwas wie eine neue Koalitions­liaison; das ist etwas Schönes.


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Nur als dann die beiden zu sehr miteinander zu schäkern begonnen haben – natürlich politisch –, ist gleich der gestrenge Vizekanzler, „Pater Willi“, herbeigeeilt und hat den Bundeskanzler eingeklemmt. Genau das ist auch das Bild dieser Regierung: Dominanz der ÖVP, und eingeklemmt in der Mitte der Bundeskanzler! (Beifall bei der FPÖ. – Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Herr Bundeskanzler, was heute hier fabriziert wird, ist mit Sicherheit die größte Münchhausen-Show der Zweiten Republik. Sie sind es, der auf einer Kanonenkugel daherreitet (Beifall bei der FPÖ) und den Österreicherinnen und Österreichern weismachen will, dass diese EU-Politik und dieser Reformvertrag etwas Gutes sind. Aber die Kanonenkugel, auf der Sie unterwegs sind, wird die österreichische Verfas­sung ramponieren, und sie wird die österreichische Identität zerstören!

Herr Bundeskanzler, wenn Sie behaupten, Ihr Ziel wäre es, die menschliche Seite der Globalisierung ein bisschen zu pflegen, dann frage ich mich, wohin diese Sozial­demokratie eigentlich gelangt ist: eine Sozialdemokratie, die sich zur Globalisierung bekennt! Sie sind heute der Hohepriester der Neoliberalisten und der Kapitalisten – eigentlich alles andere als jemand, der mit Sozialdemokratie noch irgendetwas am Hut hat.

Der Einzige in der SPÖ, der halbwegs ehrlich ist, ist der Dr. Cap, der dort hinten parliert. Bei ihm merkt man es: Immer, wenn es ihm ungut geht – wenn gerade über die Studiengebühren geredet wird, über den Eurofighter oder, wie heute, über den Reformvertrag –, dann druckst er, dann kratzt er sich da. Da ist er wie ein kleiner Schulbub: Er merkt, dass er etwas Falsches macht, wird aber in diese Verpflichtung hineingezwängt und muss sich hier dem Abstimmungsritual unterordnen.

Aber es ist so bei der SPÖ, dass sie offensichtlich das „Champagnisieren“ im Ausland zur Kultur erhoben hat. Hier wollen Sie den Österreichern Wasser verkaufen! Das ist ein mehr als schlechtes Bild dessen, wie Ihre Politik ausschaut. (Zwischenruf des Abg. Broukal.) Der neueste Globalisierungsbericht, der Globalisierungsindex bringt es ja zum Ausdruck: Darin ist Österreich im Bereich des politischen Engagements, also wie stark jemand im Bereich der Globalisierung wirklich ist, vom 9. auf den 4. Platz nach vorn gerutscht. – Na bravo!, kann ich da nur sagen.

In Richtung Grüne – obwohl ich politisch mit Ihnen nichts am Hut habe –: Sie waren es ja, die einmal Basisdemokratie gefordert haben, die Mitbestimmung gefordert haben! Aber heute stellen Sie sich her und sagen: Nein, die Österreicherinnen und Öster­reicher sollen nicht mitstimmen dürfen. – Sie sind es, denen Ihre eigenen Jungen sagen: Sie sind eine Altpartei geworden! (Beifall bei der FPÖ.) Sie sind ein Klüngel von ein paar Etablierten, die sich im Mandat halten und niemand anderen in ihre Reihen hineinlassen.

Und Sie von der ÖVP mit Ihren Taferln „Wir sind Europa“ – genau das ist es: Das ist die Selbstaufgabe der österreichischen Identität! Sie sind heute die Partei der euro­päischen EU-Lobbyisten und haben diese Republik und die Vertretung dieser Republik längst an den Nagel gehängt. (Beifall bei der FPÖ. – Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Wenn Herr Grillitsch vom Bauernbund hier heute herausgeht und tatsächlich meint: Ja, das ist gut mit dieser Europäischen Union, und wir Dumpfen von der FPÖ könnten nicht global denken (Abg. Rädler: Das hat er nicht gesagt!), dann sage ich Ihnen eines: Wir wollen in erster Linie nicht global denken. Wir wollen patriotisch denken, und wir wollen hier in diesem Haus rot-weiß-rot denken! (Beifall bei der FPÖ. – Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Die ganze Geschichte Österreichs und Brüssels ist eine Lügengeschichte der Extra­klasse. Erinnern Sie sich zurück, wie Österreich hinein in diese Europäische Union


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gelogen wurde! Da haben Sie Ihre Politik schwarz auf weiß: „Kein Europageld! DM und Schilling bleiben“. (Der Redner hält eine Zeitung mit der entsprechenden Schlagzeile in die Höhe.)

Wir alle wissen, dass der Euro Preissteigerungen und Teuerungen im Ausmaß von bis zu hundert Prozent in manchen Segmenten gefordert hat. Danke, dass Sie damals so offensichtlich gelogen haben, denn heute gehen den Österreichern die Augen darüber auf, dass dieser Zauber, den Sie verbreiten, wieder nur auf dem Prinzip der Lüge aufgebaut ist. (Zwischenrufe bei der ÖVP. – Präsident Dr. Spindelegger gibt das Glockenzeichen.) Dieses Europa geht den Weg zum europäischen Zentralstaat, dieses Europa will den europäischen Einheitskonsumenten haben. Wir von der FPÖ vertreten ein gegenteiliges Konzept. (Beifall bei der FPÖ.)

Wenn Sie meinen, dass dieses Europa ein Friedensprojekt sei, frage ich mich: Wieso holt man dann die Türkei hinein, mit den Kurdenkonflikten? Wieso importiert man den Nahost-Konflikt in diese Europäische Union? – Das ist ein Unfriedensprojekt! (Abg. Strache: Krieg wird importiert! Man redet vom Frieden, geht aber in die andere Richtung!) Und Sie sind es, die dafür verantwortlich zeichnen, dass dieses Europa einen wirklich falschen Kurs einschlägt!

Der Herr Bundeskanzler hat einmal ... (Präsident Dr. Spindelegger gibt neuerlich das Glockenzeichen.) – Das werde ich das nächste Mal erzählen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

 


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Herr Kollege, Ihre Redezeit ist beendet. Den Schlusssatz, bitte. (Abg. Strache: Letzter Satz!)

 


Abgeordneter Harald Vilimsky (fortsetzend): Der Herr Bundeskanzler, der in der Sandkiste gelernt hat, dass er die eigene Burg etwas pflegen sollte, wäre gut beraten, darauf zu achten, dass nicht andere sie zusammentreten. Ihm das zu erklären, wurde damals verabsäumt.

12.55


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Ihre Redezeit ist beendet. (Beifall bei der FPÖ für den das Rednerpult verlassenden Abg. Vilimsky.)

Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dolinschek. 5 Minuten Redezeit. – Bitte, Sie sind am Wort.

 


12.55.34

Abgeordneter Sigisbert Dolinschek (BZÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Frau Bundesminister! Sehr geehrte Damen und Herren! Hohes Haus! Wir reden über einen Reformvertrag, der jetzt neu installiert wird: Ist das gut für Österreich? Ist das schlecht für Österreich? – Die Österreicherinnen und Österreicher haben jetzt zwölf Jahre lang Gelegenheit gehabt, wir sind zwölf Jahre Mitglied der Europäischen Union – über den Beitritt wurde abgestimmt, zwei Drittel waren dafür –, jeder kann sein Resümee ziehen: Hat er einen persönlichen Vorteil oder hat er den nicht?

Die österreichische Bevölkerung sollte auch über diesen Reformvertrag selbst befinden und darüber abstimmen! Ich glaube, das ist in der Demokratie so üblich. Das wäre nur gerecht, denn die Bevölkerung ist in solchen Fragen sehr sensibel, sie hat ein gutes Sensorium für solche Entscheidungen.

Tatsache ist, dass dieser Reformvertrag – was jetzt dessen Inhalt ist – eigentlich schlecht für Österreich ist. Er bedeutet mehr Macht für die Brüsseler Zentralisten. Die Neutralität wird de facto durch die Hintertür abgeschafft. Dazu verlieren durch das neue Stimmverhältnis innerhalb der Europäischen Union kleine Länder wie Österreich


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vermehrt an Einfluss. Dazu schafft die EU einen neuen, gemeinsamen Hohen Reprä­sen­tanten für Außen- und Sicherheitspolitik. Es wird ein neuer EU-Präsident geschaffen.

Das muss natürlich wiederum der österreichische Steuerzahler bezahlen! Das kommt den österreichischen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern ganz einfach teurer. Das ist eine Tatsache. (Zwischenrufe bei der SPÖ.) Außerdem verliert Österreich ab dem Jahr 2014 einen eigenen Kommissar. Wir verlieren unseren Kommissar, haben kein Anrecht mehr auf Kommissarposten und sind nicht mehr direkt in der Europäischen Kom­mission vertreten. Laut Reformvertrag sinkt der Stimmenanteil des österreichischen Nettozahlers auf 2,53 Prozent.

Die Neutralität – das habe ich schon gesagt – wird sozusagen durch eine Solidaritäts­klausel abgelöst und praktisch abgeschafft. Dies verpflichtet Österreich dazu, allen anderen Mitgliedstaaten Beistand zu leisten. Ich bin neugierig, wie das jetzt mit der Entsendung von österreichischen Rekruten in den Tschad sein wird. Wir werden uns auf jeden Fall dagegen aussprechen.

Geschätzte Damen und Herren! Angesichts dieser Wahrheit über den EU-Reform­vertrag hat man hier in Österreich ganz einfach Angst vorm Volk. Die EU-Verfassung wurde ja in den Niederlanden und in Frankreich abgelehnt; mit dem Reformvertrag will man diese praktisch wieder durch die Hintertür beleben. Österreich wäre damit gut beraten, dem Beispiel Kärntens zu folgen. Der Kärntner Landeshauptmann will ja eine Volksbefragung durchführen, und wenn jedes Bundesland das machen würde, dann wäre auch die Bundesregierung gefordert, auf die Länder einzugehen und eine Abstim­mung durchzuführen.

Geschätzte Damen und Herren! Die Neutralität ist, glaube ich, sehr stark in den Köpfen der Österreicherinnen und Österreicher verankert. Mehr Macht für den Brüsseler Zentralismus ist ganz einfach abzulehnen. Vor allem geht es um den Einfluss der größeren Länder; wir müssen auch an die kleinen Länder in Europa denken. Das ist heute schon angeschnitten worden: Wir sollten in Europa ein Zentraleuropa wählen. Wer ist Nettozahler? Wer ist in der Währungsunion? Wer ist in einer Verteidigungs­union? Wo sind die anderen Staaten? – Nach dieser Gewichtung sollten die Ent­scheidun­gen in der EU fallen. (Präsidentin Dr. Glawischnig-Piesczek übernimmt den Vorsitz.)

Die „Financial Times“, eine englische Zeitung, hat geschrieben:

Dieser Reformvertrag ist bewusst in einer Sprache geschrieben, die für den normalen Bürger völlig unverständlich ist. Die politisch gewollte Hässlichkeit ist nur eine Ver­kleidung. Der Einfluss der großen Staaten wird einfach immer größer und mächtiger. Die Gemeinschaft bekommt weitreichende Zuständigkeiten in der Innen- und in der Justizpolitik. – Zitatende.

Ich glaube, dem ist nur recht wenig hinzuzufügen.

Sehr geehrte Damen und Herren! Die Weiterentwicklung Europas muss geprägt sein vom Ausbau von Demokratie und Bürgerrechten. Es muss ein gemeinsames Europa werden und darf niemals weniger Freiheit für die Bürger bedeuten. Kosmetische Änderungen, geschätzte Damen und Herren, können diesen Anforderungen jedenfalls nicht gerecht werden. (Beifall beim BZÖ.)

13.00


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Dr. Hlavac mit 4 Minuten Redezeit. – Bitte, Frau Abgeordnete.

 



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13.00.15

Abgeordnete Dr. Elisabeth Hlavac (SPÖ): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Bundeskanzler! Frau Bundesministerin! Meine Damen und Herren! Wir sehen diesen neuen Vertrag durchaus differenziert, und wir haben durchaus auch unsere Kritik an der Europäischen Union. Es ist aber keine Frage, dass der jetzt in Lissabon verein­barte Vertrag ein Fortschritt gegenüber dem geltenden EU-Recht ist. Er ist auch nichts Neues, nichts völlig Neues, sondern eine Weiterentwicklung des bestehenden Rechts, stellt aber wirklich einen qualitativen Fortschritt dar, vor allem was die Rolle der nationalen Parlamente betrifft und die Verbindlichkeit der Grundrechtecharta. Das war ein besonders wichtiges Anliegen Österreichs, und das wurde hier jetzt erreicht, dass jede Bürgerin, jeder Bürger der EU die Möglichkeit hat, beim Europäischen Gerichtshof zu klagen, um zu ihrem/seinem Recht zu kommen.

Wichtig ist jedoch vor allem die Einfügung der sozialen Dimension. Es ist nicht mehr nur so, dass der Binnenmarkt alles ist, sondern es wurden bestimmte Ziele in den Vertrag eingearbeitet: Vollbeschäftigung, Bekämpfung sozialer Ausgrenzung, die Gleichstellung von Männern und Frauen, soziale Gerechtigkeit. Das sind ganz zentrale, wichtige Fragen, denn das ist auch das, was den Menschen in den EU-Staaten und gerade auch bei uns in Österreich Sorgen macht, dass die EU zu weit weg ist von ihren eigenen Problemen und Sorgen, dass sie sich ihrer zu wenig annimmt. Ich denke, die EU kann nur dann erfolgreich sein, wenn sie auch den Menschen wirklich konkret etwas bringt, nicht nur hehre Worte, sondern Antworten auf ihre Probleme.

Ich möchte den bereits erwähnten Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Cap, Dr. Schüssel, Kolleginnen und Kollegen betreffend den Vertrag von Lissabon – die politische Einigung bei der Regierungskonferenz am 18. und 19. Oktober 2007 einbringen.

Dieser Antrag lautet:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Josef Cap, Dr. Wolfgang Schüssel, Kolleginnen und Kollegen betreffend Vertrag von Lissabon – politische Einigung bei der Regierungskonferenz am 18./19. Oktober 2007

„Der Nationalrat begrüßt die politische Einigung über den ,Vertrag von Lissabon‘ bei der Regierungskonferenz am 18. bzw. 19. Oktober 2007 und ersucht in diesem Zusam­menhang die Bundesregierung bzw. die zuständigen Mitglieder der Bundes­regierung, die Österreicherinnen und Österreicher über den Vertrag von Lissabon umfassend zu informieren; einen breit angelegten Dialog für Europa mit der österreichischen Bevöl­kerung zu führen, um Vorschläge und Ideen ebenso zu berücksichtigen wie beste­hende Sorgen und Bedenken; sich mit Nachdruck dafür einzusetzen, dass die im Vertrag von Lissabon insbesondere in der Präambel und in den Artikeln 2, 3 und 4 EU-Vertrag genannten Werte, Ziele und Grundsätze in der konkreten Politik der EU auch tatsächlich realisiert und für die Menschen spürbar werden; und dafür einzutreten, dass in den Politiken der Europäischen Union die soziale Dimension der Union gestärkt und die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit respektiert werden.“

*****

Ich denke, gerade dieser letzte Satz ist besonders wichtig. Es geht um die soziale Dimension. Das ist der große Fortschritt dieses neuen Vertrages. Es ist natürlich nur ein Grundlagenvertrag, es werden damit nur Voraussetzungen geschaffen. Es wird dann Sache des Europäischen Parlaments, auch der nationalen Parlamente, des


Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 95

Rates, das heißt der Regierungen, sein, diese Zielvorgaben auch tatsächlich mit Inhalt zu füllen. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

13.04


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Als nächste Rednerin zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Dr. Karl mit 4 Minuten Redezeit. – Bitte, Frau Abgeordnete.

 


13.04.26

Abgeordnete Mag. Dr. Beatrix Karl (ÖVP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Hohes Haus! Es tut mir sehr leid, dass Kollege Strache jetzt nicht mehr hier ist, weil ich sehr gerne auf seinen Beitrag replizieren möchte. (Abg. Dr. Bösch: Wir sagen es ihm weiter!) Kollege Strache hat nämlich unter anderem gesagt, dass die FPÖ die Wahrheit sagt. Im selben Atemzug hat er erwähnt, dass Arbeitnehmerschutzbestimmungen in Österreich sicherzustellen sind. Das ist ein wichtiges Anliegen, da gebe ich ihm völlig recht. Um aber bei der Wahrheit zu bleiben, die er so sehr anstrebt, muss man auch dazusagen, dass sehr viele dieser Arbeitneh­merschutzbestimmungen, die wir in Österreich sicherstellen, durch europarechtliche Vorgaben bedingt sind. (Abg. Kickl: Selber wären wir da gar nicht draufgekommen!)

Lassen Sie mich dafür einige Beispiele nennen. Sagt Ihnen vielleicht die Betriebsüber­gangs­richtlinie etwas? Ja? Durch die Betriebsübergangsrichtlinie wird bewirkt, dass die Arbeitnehmer im Falle des Betriebsübergangs mit allen Rechten und Pflichten über­nommen werden müssen und zum Beispiel im Zuge eines Betriebsübergangs nicht gekündigt werden dürfen. Der Dienstzettel ist auch eine wichtige Errungenschaft. Ohne die sogenannte Nachweisrichtlinie hätten wir vielleicht bis heute noch keinen Dienst­zettel im österreichischen Recht verankert. (Abg. Dr. Fichtenbauer: Über Dienstzettel habe ich schon vor 30 Jahren beim Arbeitsgericht prozessiert!) – Ja, aber der Dienstzettel war nicht für alle Arbeitnehmer rechtlich verankert.

Oder denken Sie zum Beispiel an die Entsenderichtlinie. Sozialdumping ist immer wieder ein Schlagwort. Was besagt die Entsenderichtlinie? Die Entsenderichtlinie besagt, dass dann, wenn Arbeitnehmer aus dem EU-Ausland nach Österreich ent­sendet werden, der sogenannte harte Kern des Arbeitsrechts zur Anwendung gelangt. Das heißt, es gelangt bei diesen entsendeten EU-Ausländern etwa auch die Bestim­mung des österreichischen Mindestlohns zur Anwendung. Das ist eine ganz wichtige Maßnahme im Kampf gegen Sozialdumping. (Beifall bei der ÖVP.)

Schließlich ist auch die Mobilität der Arbeitnehmer als wichtiger Pluspunkt der Euro­päischen Union erwähnt worden. Mobilität der Arbeitnehmer bedeutet auch, dass sichergestellt werden muss, dass die mobilen Arbeitnehmer keine sozialversicherungs­rechtlichen Nachteile erleiden. Auch das wird durch europäische Rechtsakte, nämlich durch die Verordnung 1408/71, sichergestellt. Arbeitnehmer, die in mehreren Ländern erwerbstätig sind, erleiden daher zum Beispiel keinen pensionsversicherungs­recht­lichen Nachteil, weil ihre Versicherungszeiten zusammengerechnet werden. Hier sieht man auch ganz deutlich, wo die von Herrn Kollegen Dolinschek angesprochenen persönlichen Vorteile der Bürgerinnen und Bürger in der Europäischen Union liegen. Genau dort! (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Dr. Brinek: Der will das nicht hören! Er ist hinausgegangen!) Ja, offensichtlich wollen sie das nicht hören, weil sie an diesen Vorteilen anscheinend nicht interessiert sind, sondern nur an Kritik. (Abg. Dr. Brinek: So ist es!)

Einen Widerspruch orte ich auch darin, wenn Herr Kollege Strache sagt, dass Arbeit­nehmer­schutzbestimmungen in Österreich sicherzustellen sind, sich aber andererseits gegen die Europäische Grundrechtecharta ausspricht. Es ist ja vom Kollegen Wittmann schon sehr klar und deutlich angesprochen worden, welche wichtigen sozialen Grund­rechte hier verankert sind: Schutz vor ungerechtfertigter Entlassung, Recht auf Kollek-


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tiv­verhandlungen und Kollektivmaßnahmen. Hier wäre noch vieles mehr zu nennen, was ja auch schon genannt worden ist. Auch dadurch werden Arbeitnehmerschutz­rechte der Arbeitnehmer in Österreich sichergestellt. (Abg. Dr. Brinek: Das interessiert die ja nicht!) Dazu sei auch noch erwähnt, dass wir hiermit den modernsten rechts­verbindlichen Grundrechtekatalog auf der Welt haben.

Das soll alles mit dem Hinweis auf die nicht gelösten Probleme im Zusammenhang mit den Beneš-Dekreten vom Tisch gewischt werden?! Das ist nicht zum Wohle der europäischen Bürgerinnen und Bürger! (Beifall bei der ÖVP. – Zwischenruf des Abg. Dr. Haimbuchner.)

Abschließend möchte ich noch auf den Debattenbeitrag des Kollegen Grünewald eingehen, der leider auch nicht mehr anwesend ist. Er hat die Mobilität der Studieren­den erwähnt. – Das halte ich für ganz, ganz wichtig. Diese Mobilität wird in Österreich auch sichergestellt. 37 Prozent der Erstzugelassenen an österreichischen Universi­täten sind ausländische Studierende, insgesamt sind es 20,4 Prozent der in Österreich Studierenden. Wir profitieren alle von der Mobilität der Studierenden.

Gegen eines möchte ich mich allerdings verwahren. Aus den Ausführungen des Kollegen Grünewald war so ein leiser Vorwurf des Spekulierens mit dem Ärztemangel herauszuhören. Ich möchte dazu klar und deutlich sagen, und hier kann ich auch für den Herrn Wissenschaftsminister Hahn sprechen: Niemand in der ÖVP spekuliert mit einem Ärztemangel. Wir sind für eine maßvolle Weiterentwicklung der Studierenden­zahl auch im Bereich der Medizin, allerdings sehen wir auch eines: Es müssen auch die Wartezeiten im Turnusbereich abgebaut werden. (Beifall bei der ÖVP.)

Ganz wichtig ist, dass wir eine gesundheitspolitische und wissenschaftspolitische Zusam­menschau haben, denn nur so können wir zu qualifizierten Lösungen kommen. – Danke. (Beifall bei der ÖVP.)

13.09


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Zunächst gebe ich bekannt, dass der Entschließungsantrag, der von Kollegin Hlavac vorgetragen wurde, ordnungsgemäß eingebracht wurde, ausreichend unterstützt ist und daher auch mit in Verhandlung steht.

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Josef Cap, Dr. Wolfgang Schüssel, Mag. Elisabeth Grossmann, Fritz Neugebauer, Kolleginnen und Kollegen betreffend Vertrag von Lissabon – politische Einigung bei der Regierungskonferenz am 18./19. Oktober 2007

Eingebracht im Zuge der Debatte über die Erklärungen des Bundeskanzlers und der Bundesministerin für europäische und internationale Angelegenheiten (Tagesord­nungs­punkt 1 der 38. NR-Sitzung am 8. November 2007)

Am 18. und 19. Oktober 2007 fand das informelle Treffen der Staats- und Regierungs­chefs in Lissabon statt, in dessen Rahmen auch die abschließende Regierungs­konferenz zum Reformvertrag abgehalten wurde. Österreich war durch Bundeskanzler Gusenbauer und – in der Regierungskonferenz – auch durch Bundesministerin Plassnik vertreten.

Die Regierungskonferenz einigte sich auf den Reformvertrag („Vertrag von Lissabon“), der auf der geltenden Rechtsgrundlage der EU aufbaut, diese weiter entwickelt und eine Reihe von Verbesserungen bringt. Der Vertrag beinhaltet keine grundlegenden


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Änderungen des europäischen Integrationsprozesses und des bisherigen institutionel­len Gefüges der Europäischen Union, etwa in Richtung eines europäischen Bundesstaates.

Der neue Vertrag schafft die Voraussetzungen, um in der Politik der EU mit mittlerweile 27 Mitgliedstaaten und mehr Effizienz zu verwirklichen. Dabei kommt den neufor­mulierten Zielen und Grundsätzen der Union, wie sie insbesondere in der Ergänzung der Präambel zum EU-Vertrag und in den neugefassten Bestimmungen der Art. 2, Art. 3 sowie Art. 4 Z.1 und 2 dieses Vertrages vorgesehen sind, eine besondere Bedeutung zu, weil darin eine grundsätzliche Leitlinie für alle Politiken der Union zu sehen ist. Diese Bestimmungen lauten:

Die Ergänzung der Präambel zum EU-Vertrag lautet:

„Schöpfend aus dem kulturellen, religiösen und humanistischen Erbe Europas, aus dem sich die unverletzlichen und unveräußerlichen Rechte des Menschen sowie Freiheit, Demokratie, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit als universelle Werte ent­wickelt haben,“

Die neuformulierten Art. 2, 3 und 4 Z.1 und 2 EU-Vertrag lauten:

„Artikel 2

Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschen­rechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleich­heit von Frauen und Männern auszeichnet.

Artikel 3

1. Ziel der Union ist es, den Frieden, ihre Werte und das Wohlergehen ihrer Völker zu fördern.

2. Die Union bietet ihren Bürgerinnen und Bürgern einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ohne Binnengrenzen, in dem in Verbindung mit geeigneten Maßnahmen in Bezug auf die Kontrollen an den Außengrenzen, das Asyl, die Einwanderung sowie die Verhütung und Bekämpfung der Kriminalität der freie Personenverkehr gewährleistet ist.

3. Die Union errichtet einen Binnenmarkt. Sie wirkt auf die nachhaltige Entwicklung Europas auf der Grundlage eines ausgewogenen Wirtschaftswachstums und von Preisstabilität, eine in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt, sowie ein hohes Maß an Umwelt­schutz und Verbesserung der Umweltqualität hin. Sie fördert den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt.

Sie bekämpft soziale Ausgrenzung und Diskriminierungen und fördert soziale Gerech­tigkeit und sozialen Schutz, die Gleichstellung von Frauen und Männern, die Solidarität zwischen den Generationen und den Schutz der Rechte des Kindes.

Sie fördert den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt und die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten.

Sie wahrt den Reichtum ihrer kulturellen und sprachlichen Vielfalt und sorgt für den Schutz und die Entwicklung des kulturellen Erbes Europas.

4. Die Union errichtet eine Wirtschafts- und Währungsunion, deren Währung der Euro ist.


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5. In ihren Beziehungen zur übrigen Welt schützt und fördert die Union ihre Werte und Interessen und trägt zum Schutz ihrer Bürgerinnen und Bürger bei. Sie leistet einen Beitrag zu Frieden, Sicherheit, globaler nachhaltiger Entwicklung, Solidarität und gegenseitiger Achtung unter den Völkern, zu freiem und gerechtem Handel, zur Beseitigung der Armut und zum Schutz der Menschenrechte, insbesondere der Rechte des Kindes, sowie zur strikten Einhaltung und Weiterentwicklung des Völkerrechts, insbesondere zur Wahrung der Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen.

6. Die Union verfolgt ihre Ziele mit geeigneten Mitteln entsprechend den Zuständig­keiten, die ihr in den Verträgen übertragen sind.“

Artikel 4

1. Alle der Union nicht in den Verträgen übertragenen Zuständigkeiten verbleiben gemäß Artikel 5 bei den Mitgliedstaaten.

2. Die Union achtet die Gleichheit der Mitgliedstaaten vor den Verträgen und ihre jeweilige nationale Identität, die in ihren grundlegenden politischen und verfassungs­mäßigen Strukturen einschließlich der regionalen und lokalen Selbstverwaltung zum Ausdruck kommt. Sie achtet die grundlegenden Funktionen des Staates, insbesondere die Wahrung der territorialen Unversehrtheit, die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der nationalen Sicherheit. Insbesondere die nationale Sicherheit fällt weiterhin in die alleinige Zuständigkeit der einzelnen Mitgliedstaaten.“

Zu den Verbesserungen, die der Vertrag von Lissabon bringt, gehören insbesondere auch die stärkere Beteiligung des Europäischen Parlaments in der Gesetzgebung, die Stärkung der Kontrollfunktion der nationalen Parlamente, mehr Rechte für die BürgerInnen und Bürger durch die Rechtsverbindlichkeit der Grundrechtscharta und durch die rechtliche Verankerung des Instruments europäischer Bürgerinitiativen, die Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen im Rat, ein klarer Zielkatalog für die EU, eine klare Regelung der Zuständigkeiten der Union, eine verstärkte Absicherung der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse.

Der Vertrag stellt insbesondere durch den neuen „Hohen Vertreter für die Außen- und Sicherheitspolitik“ auch die institutionellen Weichen, um der EU künftig ein größeres internationales Gewicht zu geben. Auch die Zusammenarbeit im Bereich Innere Sicherheit wird weiter verstärkt.

In Bezug auf die österreichische Forderung nach einer dauerhaften Lösung der Prob­lematik des Hochschulzugangs hatte Kommissionspräsident Barroso in einem Schreiben an den Bundeskanzler eine Verwendungszusage für eine 5-jährige Aus­setzung des gegen Österreich laufenden Vertragsverletzungsverfahrens abgegeben. Ein entsprechender Beschluss der Europäischen Kommission soll in den kommenden Wochen gefasst werden. Im Europäischen Rat erklärte der Bundeskanzler, dass die 5 Jahre für eine dauerhafte Lösung genutzt werden sollen.

Nach der Einigung über den Vertrag von Lissabon müssen die EU und ihre Mitglied­staaten nun ihre Entschlossenheit beweisen, dass sie die politischen Herausfor­derungen unserer Zeit – sei es die Globalisierung, der Klimawandel, den sozialen Ausgleich und Zusammenhalt, die Schaffung von nachhaltigem Wachstum und Beschäftigung – zu meistern.

Der Reformvertrag soll „Vertrag von Lissabon“ genannt und am 13. Dezember unter­zeichnet werden. Danach werden die innerstaatlichen Ratifizierungen beginnen, um ein Inkrafttreten des Vertrages mit 1.1.2009 zu gewährleisten.

Die unterzeichneten Abgeordneten stellen daher folgenden


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Entschließungsantrag:

„Der Nationalrat begrüßt die politische Einigung über den ,Vertrag von Lissabon‘ bei der Regierungskonferenz am 18. bzw. 19. Oktober 2007 und ersucht in diesem Zusam­menhang die Bundesregierung bzw. die zuständigen Mitglieder der Bundesregierung, die Österreicherinnen und Österreicher über den Vertrag von Lissabon umfassend zu informieren; einen breit angelegten Dialog für Europa mit der österreichischen Bevöl­kerung zu führen, um Vorschläge und Ideen ebenso zu berücksichtigen wie beste­hende Sorgen und Bedenken; sich mit Nachdruck dafür einzusetzen, dass die im Vertrag von Lissabon insbesondere in der Präambel und in den Artikeln 2, 3 und 4 EU-Vertrag genannten Werte, Ziele und Grundsätze in der konkreten Politik der EU auch tatsächlich realisiert und für die Menschen spürbar werden; und dafür einzutreten, dass in den Politiken der Europäischen Union die soziale Dimension der Union gestärkt und die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit respektiert werden.“

*****

 


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Als nächstem Redner erteile ich Herrn Abgeordnetem Dr. Bosch für 5 Minuten das Wort. – Bitte. (Rufe: Bösch! – Abg. Murauer: Bosch, das ist der Kühlschrank!) – Bösch; Entschuldigung!

 


13.09.33

Abgeordneter Dr. Reinhard Eugen Bösch (FPÖ): Frau Präsidentin! Herr Staats­sekretär! Sie müssen die Stellung halten für die Bundesregierung. Ich finde das lobens­wert.

Zu Beginn meiner Ausführungen erlauben Sie mir, einen Entschließungsantrag im Namen der FPÖ einzubringen. Wir berufen uns in diesem Entschließungsantrag auf den Jahresbericht von Frontex 2006, der die Aufgriffszahlen an den Schengen-Außen­grenzen enthält. Die Aufgriffszahlen an den Schengen-Außengrenzen sind weiterhin bedeutend höher als an den EU-Außengrenzen, was unseren Innenminister nicht davon abhält, bekannt zu geben, dass er mit 1. Jänner 2008 die Schengengrenze nach Osten verschieben möchte und die Zustimmung unserer Bundesregierung dazu geben will.

Ich darf folgenden Antrag im Namen der FPÖ stellen:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Bösch, Kolleginnen und Kollegen betreffend Nichtzustimmung zur Schengen-Erweiterung

„Der Bundesminister für Inneres wird aufgefordert, der Vollanwendung des Schengener Besitzstands für die neuen EU-Mitgliedsstaaten im entsprechenden Rat der EU nicht zuzustimmen, solange die Aufgriffszahlen von illegal einreisenden Fremden an der Schengenaußengrenze Österreichs bedeutend höher sind, als jene an den EU-Außengrenzen.“

*****

Meine Damen und Herren, wir sehen darin einen wesentlichen Punkt, warum Öster­reich derzeit der Schengen-Erweiterung nicht zustimmen darf. Und gerade heute früh um 10 Uhr haben wir in der Debatte ein Beispiel dafür bekommen, wie löchrig dieses Schengen-Abkommen ist.


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Der Herr Bundeskanzler hat angekündigt, dass während der Euro 2008 die Schengen-Regelungen selbstverständlich aufgehoben werden. – Ja, was ist denn das für eine Regelung, die unsere Grenzen sichern soll, dass sie immer dann, wenn Schwierig­keiten auftreten, aufgehoben werden muss. Meine Damen und Herren! Wir sollten uns auch in diesem Bereich überlegen, wie die europäische Politik weiter vorgehen soll. (Beifall bei der FPÖ.)

Jetzt in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit zur gescheiterten Verfassung und zum neuen Reformvertrag. Meine Damen und Herren von der ÖVP und von den anderen Parteien, die hier als Vorredner die sozialrechtlichen Errungenschaften im Rahmen dieses neuen Reformvertrages angesprochen haben: Ihnen sei gesagt, dass die Republik Österreich auch ohne die Europäische Union eine hervorragende Sozial­gesetzgebung gehabt hat, Frau Kollegin Karl, und auch die Weiterentwicklung der Sozialgesetzgebung ohne die europäischen Vorgaben durchaus zuwege gebracht hätte. Davon bin ich überzeugt! (Beifall bei der FPÖ.)

Durch das Scheitern der EU-Verfassung gab es ein Zurück zum Start, und nach unse­rer Auffassung wäre es die Verpflichtung der österreichischen Bundesregierung gewesen, hier wesentliche Inhalte neu zu diskutieren und nicht jene Bereiche des Verfassungsvertrages, der gescheitert ist, möglichst hinüberzuretten in diesen neuen Reformvertrag, sondern wichtige Punkte neu zu verhandeln.

Der österreichische Transit und seine Probleme im internationalen Bereich, das ist ein Punkt, Frau Kollegin Karl, der nur auf europäischer Ebene zu lösen ist. Die Sozial­gesetzgebung, die schaffen wir selber auch, aber der internationale Transitverkehr, der ist im europäischen Konzert zu lösen. Auch der Schutz des heimischen Wassers ist durch die europäische Gesetzgebung gefährdet. Die langfristige Einführung des Verbots der Gentechnik, das ist gefährdet! Wir erleben das ja aktuell durch die Politik der Kommission und durch die Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofes.

Die Abschaffung der Beneš-Dekrete und der AVNOJ-Beschlüsse, das muss auf euro­päischer Ebene geregelt werden, und dazu sollten wir die Menschenrechtskonvention haben (Beifall bei der FPÖ) – und dazu sollten auch die Agenturen wie die in Wien bereitstehen, damit das Recht für alle europäischen Bürger gleich ist und es nicht solche gibt, die gleicher sind.

Wir müssen auf europäischer Ebene dafür sorgen, dass der österreichische Einfluss auf die Entscheidungen der Organe der Union beibehalten wird. Wir müssen auf euro­päischer Ebene dafür sorgen, dass die österreichischen Nettozahlungen reduziert werden. Wir müssen auf europäischer Ebene dafür sorgen, dass die nationalen Parlamente nicht nur eine gelbe, sondern, wenn es notwendig ist, auch eine rote Karte zeigen können, wenn die Gesetzesvorhaben und Vorschläge der Kommission nicht den nationalen Interessen entsprechen. (Beifall bei der FPÖ.)

Das sind die Punkte, die in diesem Reformvertrag fehlen, meine Damen und Herren, und deshalb wollen wir Freiheitlichen auch klar zum Ausdruck bringen, dass ein Gültig­werden dieses Verfassungsvertrages in Österreich nur mit einer österreichischen Volksa­bstimmung zum Tragen kommen kann. Wir berufen uns dabei auf die öster­reichische Bundesverfassung, in der es im Artikel 1 heißt: „Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus.“

Meine Damen und Herren, dieses Prinzip, dieses ganz einfache Prinzip unserer öster­reichischen Bundesverfassung wird durch diese Vorgehensweise Lügen gestraft. (Abg. Amon: Aber nein!) Sie hebeln die österreichische Verfassung mit dieser Vorgehens­weise hier im Nationalrat und in der Bundesregierung aus. (Beifall bei der FPÖ.)


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Wir fordern Sie auf: Stimmen Sie unserem Antrag auf eine nationale Volksabstimmung über diesen neuen Verfassungsvertrag, über diesen neuen Reformvertrag zu! (Beifall bei der FPÖ.)

13.14


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Der Entschließungsantrag vom Kollegen Bösch ist ordentlich eingebracht, ausreichend unterstützt und steht daher mit in Ver­handlung.

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Bösch, Vilimsky, Kolleginnen und Kollegen betreffend Nicht­zustimmung zur Schengen-Erweiterung

eingebracht im Zuge der Debatte über die Erklärungen des Bundeskanzlers und der Bundesministerin für europäische und internationale Angelegenheiten gem. § 19 Abs. 2 GOG zum EU-Reformvertrag in der 38. Sitzung des Nationalrates am 8. November 2007

Seit dem Jahre 1995 wird das Schengener Durchführungsübereinkommen in Belgien, Deutschland, Frankreich, Luxemburg, Niederlande, Portugal und Spanien angewendet. Seither gibt es zwischen diesen Staaten freie Fahrt über die Grenzen. Gleichzeitig wurden die Kontrollen an den Außengrenzen verstärkt. Italien und Österreich wenden die Schengener Vertragsinhalte seit 1. April 1998 vollständig an.

Nun sollen weitere Staaten, die zehn neuen EU-Mitgliedstaaten, neue Schengen-Staaten werden. Die im Jahr 2004 beigetretenen EU-Mitglieder Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Slowenien, Zypern, Malta, und die drei baltischen Staaten erwarten bald den Fall der Grenzkontrollen der Binnengrenzen zu den anderen Schengen­ländern.

Und wie sicher wird das größere Europa dann sein?

Wie dem Jahresbericht über organisierte Schlepperkriminalität des Jahres 2006, heraus­gegeben vom Bundesministerium für Inneres, zu entnehmen ist, sind unsere nord/östlichen Nachbarn Tschechien, Slowakei und Ungarn nach wie vor beliebte Ausgangsländer geschleppter Personen. Die Slowakei führt den Reigen der Grenz­übertritte mit 35 Prozent der geschleppten Personen an. Tschechien und Ungarn folgen mit jeweils 15 Prozent, womit wir 65 Prozent der nach Österreich geschleppten Personen nur drei neuen Mitgliedstaaten der Europäischen Union verdanken, welche demnächst „Schengen-Reife“ besitzen sollten und selbst auch behaupten diese zu haben!

Nun sollte man aber auch den schon bestehenden Schengenraum nicht außer Acht lassen. Immerhin kommen elf Prozent der geschleppten Personen von Italien nach Österreich. In der Kategorie der rechtswidrig eingereisten Personen konnte Italien als ausgesprochener Favorit der Grenzübertrittsländer nach Österreich festgestellt werden. Italien führt somit die Liste der Grenzübertritte rechtswidrig eingereister Per­sonen mit über 74 Prozent an, gefolgt von Deutschland mit 15 Prozent und Ungarn mit acht Prozent.

2006 wurden an den österreichischen Grenzen bzw. im Bundesgebiet 39.408 Per­sonen aufgegriffen. Über 470.000 aufrechte Aufenthaltstitel von Drittstaatsangehörigen existieren. Über 125.000 Asylanträge wurden seit 2002 gestellt, davon sind mehr als 40.000 offene Asylverfahren geblieben. Eine Netto-Zuwanderung, also ein Zuwande-


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rungs­plus, von über 50.000 Personen jedes Jahr und über 200.000 Verleihungen der österreichischen Staatsbürgerschaft innerhalb der letzten 5 Jahre muss unser Land erdulden.

Am 18. März 2007 drohte Bundesminister Platter in der Tageszeitung Kurier noch mit einem Veto gegen die Schengen-Erweiterung 2008. Er wurde zitiert: „Es kann nicht sein, dass die Grenzbalken geöffnet werden, wenn die Staaten die strengen Schengen-Standards nicht erfüllen.“

Parlamentskorrespondenz vom 24.09.2007, Nr. 659, steht unter dem Titel „EU-Unterausschuss für vertiefte Zusammenarbeit gegen den Terror“ zu lesen:

„Schließlich teilte der Innenminister mit, dass die Schengen-Erweiterung nach Beschluss im November mit 1.1.2008 stattfinden werde. Die EU-Nachbarstaaten haben große Fortschritte erzielt, wobei Platter insbesondere die intensive Arbeit der Slowakei am Erreichen der Schengen-Standards würdigte. Es sei wichtig, die EU-Außengrenze abzusichern und den Informationsaustausch sicher zu stellen. Österreich sei auf die neue Situation vorbereitet, bleibe vorsichtig und werde einen Beobachtungszeitraum einhalten, in dem die Grenzkontrolle durch eine Grenzraumkontrolle ersetzt werde. Der Umsetzung von Schengen werde eine genaue Analyse der Veränderungen vorangehen.“

Und das Frontex Annual 2006 berichtet:

„Situation at the EU external borders 2006 – a brief overview

Based on the information provided by the EU Member States, Schengen associated countries, other institutional and open sources Frontex is tasked to collect and analyse the key findings picturing the scale and trends of illegal immigration towards the external borders. In general it can be stated that the EU Member States and Schengen associated countries noted a decreasing trend of illegal entries at their external EU / Schengen borders. Contrary to this general decreasing trend, detections and apprehensions have increased at the Spanish external borders and in Greece, mainly at the Turkish land border, as reported. As in the previous years detection figures at the external Schengen land borders (mainly Austrian and German external Schengen land borders) are significantly higher than those at the EU external land borders.“ (sind die Aufgriffszahlen an den Schengenaußengrenzen (überwiegend Ö und D) bedeutend höher als jene an den EU-Außengrenzen)

Vor diesem erschütternden Hintergrund, den ernüchternden Zahlen und Fakten, kön­nen und dürfen Österreich und vor allem aber unsere höchsten nationalen politischen Würdenträger und Vertreter in der europäischen Union, mit einer Zustimmung zur endgültigen Anwendung des Schengen-Besitzstands für die neuen EU-Mitglieds­staaten, einem neuerlichen Ansturm aus dem Osten nicht Tür und Tor öffnen.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag:

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Der Bundesminister für Inneres wird aufgefordert, der Vollanwendung des Schengener Besitzstands für die neuen EU-Mitgliedstaaten im entsprechenden Rat der EU nicht zuzustimmen, solange die Aufgriffszahlen von illegal einreisenden Fremden an der


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Schengenaußengrenze Österreichs bedeutend höher sind, als jene an den EU-Außen­grenzen.“

*****

 


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Murauer. 4 Minuten wollen Sie sprechen. – Bitte.

 


13.14.58

Abgeordneter Walter Murauer (ÖVP): Frau Präsidentin! Herr Staatssekretär! Meine Damen und Herren! Natürlich geht das Recht vom Volk aus, keine Frage, aber wir dürfen doch – und ich denke auch Sie, meine Damen und Herren von den Frei­heitlichen – repräsentativ das Volk vertreten, und ich hoffe, dass Sie sich dieser Aufgabe durchaus noch bewusst sind. Ich denke, wir haben diesbezüglich durchaus Verpflichtungen. (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Kickl: Wenn Sie das machen, geht dem Volk das Recht aus! – Abg. Dr. Fichtenbauer: Keine Angst! Die Verfassung hat aber nicht nur diesen einen Artikel!)

Nun möchte ich aber auf einige mir wichtige Positionen in diesem Vertrag und der Europäischen Union eingehen, nämlich auf die Sicherheit in diesem unserem gemein­samen Europa. Und wir dürfen uns schon daran erinnern, dass dieses Europa mit dem Grundgedanken „Nie wieder Krieg!“ den Menschen Frieden und Freiheit und Demo­kratie und Rechtsstaatlichkeit sichert, und zwar allen Staaten, die Mitglieder dieser Union sind.

Auf dieser Grundlage – gerade deswegen wurde dieser Gedanke zugrunde gelegt – können wir unseren Wohlstand und haben wir unseren Wohlstand aufbauen können. Ich denke, dass es gerade für kleinere Staaten, wie Österreich einer ist, wichtig ist, in einer Gemeinschaft mit dabei zu sein, in der der Kleinere gemessen an den Größeren höhere Bedeutung zugeordnet bekommt, als ihm eigentlich nach strenger Rechnung zustehen würde.

Das heißt, wir haben uns jetzt im „Vertrag von Lissabon“ durchaus mit verschiedenen Positionen durchsetzen können und damit österreichische Interessen, aber auch die Interessen jener Staaten, die in der Größe mit Österreich vergleichbar sind, einge­bracht.

Mir erscheint es wesentlich, darauf aufmerksam zu machen, dass der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik beziehungsweise der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik entsprechender Raum gegeben und sie zu einem Schwerpunkt gemacht wurde. In dieser Sicherheitsgemeinschaft können wir erwarten, dass wir in Solidarität, in Kooperation mit den anderen Staaten gegen die internationale Kriminali­tät auftreten können. Wir alleine wären nicht in der Lage, hier entsprechende Maßnahmen zu setzen, sondern das geht nur in Gemeinsamkeit, in Zusammenarbeit gegen Schlepperei, gegen Menschenhandel, gegen mafiose Gruppen, die heute schon in der Diskussion erwähnt worden sind. Also Kooperation, Vernetzung, Solidaritäts­gemeinschaft sind hier gefragt und auch im Vertrag begründet.

Diese Solidaritätsklausel, wie das im „Lissabonner Vertrag“ heißt, ist orientiert am gemeinsamen Handeln. Es geht darum, füreinander da zu sein, alle 27 Staaten, wenn wir mit Terroranschlägen auf dem Gebiet der Europäischen Union zu rechnen haben, wenn es Naturkatastrophen gäbe oder wir von Menschen verursachte Katastrophen zu bewältigen haben.

Wenn hier des Öfteren diskutiert wurde, dass wir mehr Abstand zu Amerika brauchen, dass wir in unseren europäischen Interessen mehr Eigenständigkeit in Sachen Sicher-


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heit und Verteidigung wollen, dann muss auch gesagt werden, dass es unser öster­reichisches Sicherheitsinteresse ist, innerhalb der Union und darüber hinaus für Sicherheit, Frieden, Demokratie und Menschenrechte zu sorgen, weil internationaler Frieden und Sicherheit auch der Frieden Europas und für unser Österreich ist.

Wichtig dabei ist, dass wir uns im Hinblick auf militärische Einsätze immer am UN-Sicherheitsrat, der OSZE oder dem Europäischen Rat zu orientieren haben und wir nach dem Einstimmigkeitsprinzip verpflichtet sind. Die Neutralität Österreichs bleibt durch den „Lissabonner Vertrag“ unangetastet, meine Damen und Herren, auch wenn hier heute anderes behauptet wurde.

So meine ich, dass diese Weiterentwicklung, der „Lissabonner Vertrag“ eine Ver­besserung der Handlungsfähigkeit und auch der Subsidiarität, der Mitsprache der einzelnen Länder, der Mitsprache Österreichs gebracht hat und dass das wieder bes­ser gesichert ist. Wir wollen auf diesem Weg weiter für unser gemeinsames Europa arbeiten. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Abgeordneten der SPÖ.)

13.19


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Kurzmann. 5 Minuten freiwillige Redezeitbeschränkung. – Bitte, Sie sind am Wort.

 


13.20.01

Abgeordneter Dr. Gerhard Kurzmann (FPÖ): Frau Präsidentin! Herr Staatssekretär! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Reformvertrag, wie die neue EU-Verfassung heute schon mehrfach schönfärberisch bezeichnet worden ist, ist von zahlreichen Rednern dieses Hauses gelobt worden. Dabei haben sich die Redner von ÖVP, SPÖ und den Grünen unisono als Musterschüler von Brüssel und der EU gezeigt.

Dr. Gusenbauer hat von einem unschätzbaren Vorteil gesprochen, den die EU ge­bracht hätte. Wie die Mehrheit der Österreicherinnen und Österreicher glaube ich, dass ein österreichischer Sonderweg, ähnlich jenem der Schweiz, vielleicht besser gewesen wäre.

Frau Dr. Plassnik hat gesagt, dass wir unmittelbar vor einem Quantensprung stehen. – Meine Damen und Herren! Vielleicht sollte jemand von der ÖVP Frau Dr. Plassnik darüber aufklären, was ein Quantensprung ist. Jedenfalls das, was in diesem Vertrag steht, ist sicher kein Quantensprung. (Abg. Mag. Grossmann: Aber jetzt erklären Sie uns, was ein Quantensprung ist! – Abg. Reheis: Klären Sie uns auf!)

Es ist, auch von Dr. Schüssel, die europäische Wertegemeinschaft immer wieder be­schworen worden. – Die europäische Wertegemeinschaft, meine Damen und Herren, ist aus freiheitlicher Sicht mit Beneš-Dekreten und AVNOJ-Gesetzen nicht vereinbar. (Beifall bei der FPÖ.)

Wir können nachweisen, wir Freiheitlichen haben schon vor Jahren gesagt, dass man Länder, die solche Gesetze haben, nicht in die EU lassen darf. Dr. Schüssel hat gesagt, dass es kein Problem sein wird, das zu ändern, wenn die einmal in der Europäischen Union sind. Und was ist bis heute geschehen? – Gar nichts, meine Damen und Herren! An diesen Rechtsbrüchen hat sich überhaupt nichts geändert.

Dr. Schüssel möchte ich die alte Spruchweisheit ins Stammbuch schreiben: Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht. (Zwi­schenruf des Abg. Murauer.)

Aber es ist auch heute so: Außer penetranten und unerträglichen Lobhudeleien über diesen Vertrag haben wir bisher nur sehr, sehr wenig gehört.

Meine Damen und Herren von der rot-schwarz-grünen Einheitspartei, ich frage Sie: Wovor haben Sie eigentlich Angst? – Sie haben offensichtlich vor den Wählerinnen


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und Wählern dieses Landes Angst. Warum fürchten Sie sich vor einer Volksabstim­mung?

Wenn Ihre Argumente, die Sie heute hier so wortreich vorgebracht haben, wirklich so gut wären, wie Sie behaupten – ich glaube, die Mehrheit von Ihnen, das kann man Ihnen durchaus zugestehen, ist intelligent genug, nicht Ihrer eigenen Propaganda auf­zusitzen –, dann bräuchten Sie in Wirklichkeit keine Sorge vor dem Urteil der Wäh­lerinnen und Wähler zu haben.

Aber die Mehrheit der Österreicherinnen und Österreicher hat so wie auch ich den Ein­druck, dass eine abgehobene politische Klasse mit dem EU-Vertrag den europäischen Völkern etwas unterjubeln möchte, was diese nicht wollen. Sie wollen mit dieser Verfassung die europäischen Völker schlicht und einfach zwangsbeglücken, Sie trauen sich deshalb aber auch nicht, die Betroffenen direkt entscheiden zu lassen. (Beifall bei der FPÖ.)

Meine Damen und Herren! Das, was Dr. Schüssel gesagt hat, nämlich am Ende des Weges werde ohnedies eine gesamteuropäische Volksabstimmung stehen, ist ein reines Placebo, das er uns immer wieder gibt. Ich sehe nicht ein, warum Franzosen, warum Spanier über unsere österreichische Bundesverfassung entscheiden sollen. Das würde sich kein anderes Land gefallen lassen. Und natürlich wollen wir Öster­reicher, dass die Österreicherinnen und Österreicher über die Abschaffung unserer Bundesverfassung abstimmen und niemand anderer (Beifall bei der FPÖ) – und dass nicht in irgendeiner anonymen gesamteuropäischen Volksabstimmung irgendwelche Länder, die davon profitieren, die keine Nettozahler sind, wie wir es sind, über die Abschaffung unserer Bundesverfassung entscheiden.

Meine Damen und Herren, wir werden die Bevölkerung aufklären – das sage ich insbesondere den Zwischenrufern von der ÖVP, Kollege Amon –, wir werden die Bevölkerung aufklären über die Rolle, die Sie hier spielen. Ich bin überzeugt davon, dass Ihnen die Bevölkerung das nächste Mal die Quittung für diese doppelzüngige Politik geben wird, Sie kommen daran nicht vorbei. (Beifall bei der FPÖ.) Sie agieren abgehoben, bevölkerungsfremd und so wie Ihre EU-Kommissarin und gescheiterte Präsidentschaftskandidatin, Frau Dr. Ferrero-Waldner.

Ich hätte noch viel mehr auf Lager, möchte Ihnen das aber zum Schluss mit Absicht nicht schenken. Frau Dr. Benito Ferrero-Waldner, EU-Kommissarin (Abg. Dr. Schüs­sel: Benita!), hat in einem Radiointerview auf die Frage, warum denn die Bürger diesen EU-Reformvertrag nicht akzeptieren wollen (Abg. Dr. Schüssel: Benita – und nicht Benito!), schlicht und einfach gesagt: weil sie es nicht verstehen!

Meine Damen und Herren, so etwas von Abgehobenheit habe ich überhaupt noch nicht erlebt! Das kann doch nicht sein! Das ist doch der Ausdruck einer Geisteshaltung, wie sie vielleicht im 18. Jahrhundert von Kaunitz und dann später von Metternich vertreten worden ist. (Zwischenruf des Abg. Kößl.) Aber man kann doch nicht sagen, dass die ganze Bevölkerung zu dumm ist, um einen EU-Reformvertrag zu durchschauen! (Beifall bei der FPÖ.)

Sie lassen sich ja auch von diesen „unmündigen“ Wählerinnen und Wählern immer wieder wählen! Dafür, dass Sie gewählt werden und das Geld dieser Bürger nehmen, sind sie nicht zu schlecht, aber Sie wollen die gleichen Leute nicht entscheiden lassen, wenn es um so wesentliche Zukunftsfragen wie diesen Reformvertrag geht. – Danke. (Beifall bei der FPÖ.)

13.25


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Als Nächster zum Wort gelangt Herr Abgeordneter Donabauer mit 4 Minuten freiwilliger Redezeitbeschränkung. – Bitte.

 



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13.25.42

Abgeordneter Karl Donabauer (ÖVP): Geschätzte Frau Präsident! Herr Staats­sekre­tär! Meine Damen und Herren! Hohes Haus! Wenn Sie, Herr Dr. Kurzmann, sich heute hier anschicken, eine Aufklärungskampagne machen zu wollen, dann müssen Sie sich aber auch einer besseren Rhetorik und einer anderen Sprache bedienen. (Beifall bei der ÖVP.)

Bei Ihrer charakterlichen Spiritualität, Herr Dr. Kurzmann, haben Sie nicht das Recht, heute hier Dr. Schüssel als Lügner darzustellen! Dr. Schüssel ist ein anerkannter Staatsmann, ein großer Europäer (Abg. Dr. Kurzmann: Regen Sie sich wieder ab, Herr Kollege!) – und Sie haben einen ganz normalen, einen unterdurchschnittlichen Redebeitrag gebracht! Entschuldigen Sie sich bei Dr. Schüssel! (Beifall bei der ÖVP.)

Wenn Sie, Herr Dr. Kurzmann, mit Ihren Freunden noch immer nicht das Ziel und die große Ausrichtung von Europa erkannt haben, dann müssen Sie zuhören – es wurde heute schon so eindrucksvoll gesagt –: Stabilität, Sicherheit, Rechtsstaatlichkeit, gerade das sind die Fragen, die uns auch beschäftigen, und da kann ohne Weiteres das eine und andere besser werden; keine Frage. Aber nichts wird besser durch schlechte und durch unsachliche Beiträge.

Es ist das Wesen der Demokratie und des Parlamentarismus, dass man über alles redet, aber man muss schon wissen, welche Rolle man spielt. Eine panische Ab­neigung, eine Aversion, wie sie bei manchen erkennbar war, bringt uns nicht weiter und wird auch Ihnen nicht Applaus und nicht Zustimmung bringen, auch wenn Sie sich das für die nächsten Wahlen erwarten. (Zwischenruf des Abg. Dr. Haimbuchner.– Bleiben Sie bei der Sache! Und Sache ist, dass wir in einer veränderten Zeit leben, dass es seit 1989 ein anderes Europa gibt.

Stellen Sie sich einmal die Frage, und versuchen Sie auch, darauf eine Antwort zu geben: In welcher Rolle würde unser Land sein, wenn wir nicht Mitglied von Europa wären? (Abg. Rosenkranz: Arme, arme Schweiz!) Was denken Sie, wie wir die Phäno­mene von Migration, die Herausforderungen der Sicherheitspolitik allein bewältigen könnten? (Abg. Dr. Haimbuchner: Schauen Sie einmal die Schweiz an! – Weitere Zwischenrufe.) – Nein, ich kenne ja Ihre Beiträge, sie sind ja immer dieselben. Wir erwarten von Ihnen auch einmal klare Antworten oder Lösungen. Ich denke, das sind in Wirklichkeit die Fragen.

Europa hat uns auch – bei allen Problemen – Beschäftigung gebracht. Wir haben Exporte in allen Bereichen unserer Volkswirtschaft. Ist das nicht auch eine einmalige Sache?

Die Arbeitslosigkeit geht zurück und muss weiter zurückgeführt werden, und die Beschäftigung muss erhöht werden. Wertschöpfung, meine Damen und Herren, soll oder muss in Zukunft auf unseren Konten bleiben und darf keine transatlantische Wert­schöpfung sein. Das sind die Herausforderungen.

Eine wichtige Aufgabe Europas muss es sein, sich selbst zu stärken – wir alle werden dazu beitragen müssen –, um in der Weltwirtschaft, gerade im WTO-Bereich, ent­sprechend stark mitbestimmen zu können.

Eine Frage an Europa, auch im Rahmen dieses Reformvertrages, ist: Wie wird sich Europa morgen verhalten, wenn es darum geht, neue Begehrlichkeiten nach Europa, neue Beitritte zu diskutieren?

Ich glaube, dass Europa vorerst einmal daran denken sollte, dass wir eine Staaten­gemeinschaft von 27 sind, dass wir selbst enorm viel zu bewältigen haben, dass wir den Bürgern, den Menschen gegenüber große Pflichten haben, dass die Menschen


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auch von uns unendlich viel erwarten und dass wir vorerst daran arbeiten und erst später an eine mögliche Erweiterung denken sollen.

Sehen Sie: All das sind Fragen, die wir uns auch im Rahmen dieser Diskussion, im Zusammenhang mit diesem Reformvertrag, der keine EU-Verfassung ist, stellen kön­nen und worauf wir seriöse Antworten finden sollen. (Beifall bei der ÖVP.)

13.29

Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Abge­ordneter Großruck. 4 Minuten freiwillige Redezeitbeschränkung. – Bitte, Herr Abgeord­neter.

 


13.30.02

Abgeordneter Wolfgang Großruck (ÖVP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätz­ter Herr Staatssekretär! Meine Damen und Herren! Wenn Sie heute in der Früh ORF-Teletext geschaut haben, haben Sie unter 101 gelesen, dass heute im Nationalrat der Europatag ist, bei dem der Reformvertrag behandelt werden wird.

Im O-Text ist dann gestanden:

„Der Reformvertrag bringt unter anderem ab 2009 einen fixen, für zweieinhalb Jahre gewählten Ratspräsidenten sowie eine Verkleinerung der Kommission, durch die künftig nicht mehr alle Staaten einen Vertreter in dem Gremium haben werden.“ – Das war der ganze Text, den der ORF heute zu dieser Debatte gebracht hat.

Wenn man es auf diese Punkte reduziert, meine Damen und Herren, dann wundert einen die heutige Diskussion nicht, denn das ist genau die, die von der Freiheitlichen Partei geführt wird. Deshalb mein Appell an die Medien – keine Kritik! –: Informieren Sie die Menschen umfangreicher, intensiver. Plakativ etwas hinzustellen und den Reformvertrag auf eine Senkung der Zahl der Kommissare und auf eine Ratspräsident­schaft zu reduzieren, das ist nicht richtig. Das wäre auch viel zu wenig, darüber brauchen wir gar nicht zu diskutieren. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

In diesem Vertrag, meine Damen und Herren, steckt viel mehr drinnen. Da steckt drinnen, dass Europa demokratischer werden wird, dass die einzelnen Staaten mehr Rechte bekommen, dass Europa handlungsfähiger wird – all diese Forderungen, die wir gestellt haben, werden in diesem Vertrag, nicht nach dem Wunsch aller, aber trotzdem, weitestgehend erfüllt.

Das heißt, dieser neue Vertrag bringt Verbesserungen, wesentliche Verbesserungen, gegenüber dem jetzt bestehenden Lissabon-Vertrag. Ich glaube, dass wir einen Schritt weiter in der Entwicklung machen.

Wir werden permanent hier herinnen Diskussionen haben. Die Europäische Union, diese Staatengemeinschaft ist nicht irgendetwas Starres, sie wird sich auch in Zukunft entwickeln. Es wird auch in Zukunft darüber diskutiert werden, was gut und was schlecht ist, und das ist auch richtig so.

Nur: Reiner Populismus, wie es ihn heute gibt, nämlich dass gesagt wird, dass alles schlecht ist, dass alles, was in Österreich schlecht ist, aus der EU kommt, dass alles, was die EU macht, schlecht ist, wäre zu billig. – Sie wissen genau, meine Damen und Herren auch von der Freiheitlichen Partei, dass das nicht stimmt.

Sie wissen natürlich, dass die Europäische Union ein Friedensmodell ist, wie es in der Geschichte von Europa kein Zweites gegeben hat. (Beifall bei der ÖVP sowie des Abg. Mag. Johann Maier.) Sie wissen, dass wir 60 Jahre Frieden haben, dass wir 60 Jahre Fortschritt und Wohlstand haben. Das wissen Sie. Und nur, um die eine oder andere Stimme zu bekommen, schüren Sie Angst.


Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 108

Es ist halt leicht zu sagen: Daran, dass es euch schlecht geht, ist die Europäische Union schuld. Daran, dass du keinen Arbeitsplatz hast, ist die Europäische Union schuld. – Nein, meine Damen und Herren, so einfach kann man es sich nicht machen.

Deshalb dürfen wir auch erwarten – ich appelliere wirklich auch an die Medien –, dass Aufklärung betrieben wird, die Bevölkerung entsprechend umfangreich aufgeklärt wird.

Und genau so war es von Frau Kommissarin Benita Ferrero-Waldner gemeint, die gesagt hat, eine Volksabstimmung über etwas zu machen, das die Leute nicht verste­hen, nein, das hat sie nicht gesagt, mit dem sich niemand auseinandersetzt, ist natür­lich problematisch. Denn da braucht man nur zu fragen: Möchtest du die Europäische Union, die dich bevormundet, oder willst du frei sein? – Logisch, dass die Leute sagen, dass sie frei sein wollen.

Frau Kommissarin Benita Ferrero-Waldner hat gemeint, dass sich die Leute mit dem, was drinsteht, auseinandersetzen sollen. Die Frau Bundesministerin hat eine sehr schöne Broschüre herausgegeben, in der jeder nachlesen kann (der Redner hält eine Broschüre in die Höhe) – und dann soll er sich ein Urteil bilden.

Ich glaube, an der Europäischen Union führt kein Weg vorbei. Sie ist ein Zukunfts­projekt. Sie ist für die europäische Geschichte, für Europa das Beste, was passieren kann – bei aller Kritik, die angebracht ist.

Und als Vergleich zur heutigen Diskussion: Meine Damen und Herren, es wird bei­spielsweise im Zusammenhang mit der Schuldiskussion, die wir auch jetzt führen, niemand sagen: Schafft die Schule ab!, nur weil wir uns nicht einig sind darüber, was der bessere Weg ist. – Machen wir es einfach, treten wir aus der Schule aus, schaffen wir sie ab! – Nein, in der Vielfalt der Diskussion liegt die Chance, dass etwas Ge­scheites herauskommt. Populismus ist jedoch nicht angesagt.

Ich komme zum Schluss, meine Damen und Herren, und weil ich gerade bei der Schule war, einen Zugang mit einem Vierzeiler:

Gesamtschulischer Einheitsbrei ist das Gelbe nicht vom Ei.

Mitbestimmung ist gefragt, auch Vielfalt dabei angesagt.

Reformen, ja, doch mit Bedacht, behutsam, nicht zu schnell gemacht.

Zu schnell darf nur der Kanzler fahren – ich will mir einen Kommentar ersparen. (Heiterkeit und Beifall bei der ÖVP. – Zwischenruf des Abg. Dr. Kräuter.)

13.34


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Abgeordneter Freund. 3 Minuten freiwillige Redezeitbeschränkung. – Bitte.

 


13.35.05

Abgeordneter Karl Freund (ÖVP): Frau Präsidentin! Herr Staatssekretär! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die EU hat sich in den vergangenen Jahren gewandelt, sie ist gewachsen und muss sich nun an neue Rahmenbedingungen anpassen. Die Europäische Union muss auch mit 27 Mitgliedern beweglich und handlungsfähig sein. Ich denke, mit dem Reformvertrag können wir uns den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts stellen und diese auch bewältigen.

Aber besonders wichtig ist es, dass die Bevölkerung, die das letztlich betrifft, versteht, worum es bei dieser Überarbeitung der Verträge geht. (Abg. Strache: Dass man sie abstimmen lässt, wäre wichtig! Abstimmung! Die Österreicher mitreden lassen, das wäre wichtig!) Als gewählte Vertreter des Volkes ist es nun unsere Aufgabe, die Menschen über die Wichtigkeit des Reformvertrages zu informieren.


Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 109

Ich halte nichts von Anti-EU-Populismus, wie er von einigen hier im Hohen Haus betrieben wird. Das ist schlicht und einfach kontraproduktiv. (Abg. Strache: Volksab­stimmungen sollten Ihnen wichtig sein!) Wir brauchen eine sachliche und reale Aus­einandersetzung. (Beifall bei der ÖVP.)

Wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern immer wieder sagen, dass Österreich durch den Reformvertrag nicht an Souveränität verliert, sondern die Mitwirkung und die Kontrollrechte gestärkt werden. Es entsteht auch mehr Flexibilität, denn an die EU übertragene Kompetenzen können in Zukunft wieder zurückgenommen werden. Es wird auch erstmals festgeschrieben, wo die Zuständigkeiten der EU und der einzelnen Mitgliedstaaten liegen.

Der Reformvertrag steht für mehr Bürgerbeteiligung durch europäische Volksbegehren, mehr Rechte für das Europäische Parlament, das bedeutet mehr Mitsprache für die Volksvertreter aus den einzelnen Mitgliedstaaten.

Die Europäische Kommission wird ab 2014 verkleinert und damit handlungsfähiger.

Die Energiepolitik wird zur neuen EU-Kompetenz, mit Schwerpunkt erneuerbarer Ener­gie, was ich sehr begrüße.

Sehr geschätzte Damen und Herren! Ich bin überzeugt davon, dass unsere geschätzte Außenministerin Dr. Ursula Plassnik sowie alle anderen Minister in Brüssel hervor­ragend verhandeln und unsere Interessen gut vertreten.

Zum Beispiel Landwirtschaftsminister Josef Pröll: Grüner Pakt. Er hat 3,9 Milliarden € für die ländliche Entwicklung nach Österreich geholt (Abg. Strache: Gentechnik!), was ich als Vertreter des ländlichen Raumes und als bäuerlicher Abgeordneter ganz beson­ders begrüße. (Beifall bei der ÖVP.)

Bundesminister Pröll hat damit besser verhandelt als alle anderen Landwirtschafts­minister in Europa.

Natürlich sind die einzelnen Mitgliedstaaten mitunter verschiedener Meinung. Es ist dann notwendig, Kompromisse zu schließen, denn nur so bleibt die EU beweglich.

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich denke, es steht außer Frage, dass Österreich in den vergangenen Jahren von der EU-Mitgliedschaft stark profitiert hat. Nie zuvor war es uns möglich, so viele Waren zu exportieren. Österreich hat sich in dieser Zeit zu einem der reichsten Länder der Welt gemausert. (Unruhe im Sitzungssaal.) Unsere Wirtschaft wächst, die Arbeitslosigkeit sinkt, natürlich hängt diese Entwicklung nicht nur mit dem EU-Beitritt zusammen, hat aber mit Sicherheit damit zu tun.

 


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Entschuldigung, Herr Kollege! – Ich bitte die Abgeordneten um ein bisschen mehr Aufmerksamkeit!

 


Abgeordneter Karl Freund (fortsetzend): Wir können stolz auf unser Land sein, aber auch auf die EU, die uns mittlerweile seit mehr als 60 Jahren den Frieden gesichert hat. – Danke schön. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Abgeordneten der SPÖ.)

13.38


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Abge­ordneter Lutz Weinzinger. 4 Minuten freiwillige Redezeitbeschränkung. – Bitte, Herr Abgeordneter.

 


13.38.48

Abgeordneter Lutz Weinzinger (FPÖ): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eine hoch interessante Diskussion, nur sehr eingleisig, sehr eingleisig vom überwiegenden Teil dieses Hauses – und auf den Punkt sind wir noch nicht gekom­men. Der Punkt ist ganz klar und einfach: Was wollen wir?


Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 110

Ich bekenne mich dazu, dass ich ein begeisterter Europäer bin. (Demonstrativer Beifall bei Abgeordneten der ÖVP.) – Eindeutig, gar keine Frage.

Die Frage ist: Welch ein Europa möchte ich? Welch ein Europa wollen wir? Und welch ein Europa wollen wir unserer Bevölkerung zur Verfügung stellen? – Einen Staaten­bund oder einen Bundesstaat?

Wollen wir einen Staatenbund, in dem sich souveräne Staaten zusammenschließen und mittels Verträgen klarmachen, dass sie in der einen oder anderen Sache zusam­menarbeiten wollen, in wirtschaftlichen Belangen, in Sicherheitsbelangen? – Gar keine Frage, da kann man Verträge machen.

Oder soll die EU ein Bundesstaat werden – wenn Sie so wollen, nachdem unsere Sprache ja mehr und mehr vom Englischen dominiert wird –, „The United States of Europe“? Wollen wir das? – Wir Freiheitlichen wollen das nicht. (Beifall bei der FPÖ.) Wir meinen, dass in diesem EU-Vertrag, diesem Reformvertrag, der Weg zu diesen „United States of Europe“ gezeichnet ist – und was uns die United States of America in den letzten Jahren und Jahrzehnten antun, brauche ich Ihnen ja nicht zu schildern. Das ist der falsche Weg, darum sind wir dagegen.

Wir wollen über den neuen Vertrag, der unsere Verfassung ja tatsächlich in vielen Be­reichen aushebelt, das Volk abstimmen lassen. Das ist doch sehr einfach und klar! Sie sind doch alle Demokraten und stolz darauf. Die Sozialdemokraten haben dieses Wort sogar in ihrem Parteinamen. Warum lassen wir nicht tatsächlich das Volk abstimmen? (Abg. Dr. Mitterlehner: „Wir sind das Volk“, das kennen wir schon!) Das Volk sind unsere Bürger, und unsere Bürger sind bereit und berechtigt, abzustimmen. Das muss doch selbstverständlich sein! Ich verstehe nicht, warum Sie den Ausdruck „Wir sind das Volk“ jetzt kriminalisieren. Das war der Ausdruck der Ostdeutschen beziehungs­weise der Mitteldeutschen, als sie die Grenze weghaben wollten. (Abg. Dr. Mitter­lehner: Ein bisschen früher!) Da war das Wort „Wir sind das Volk“ – und das Volk entscheidet und nicht anders. (Abg. Strache: Also ungebildet auch noch, Herr Mitterlehner!) Lernen Sie Geschichte, wenn Sie so lieb sein würden, auch Zeit­geschichte! (Beifall bei der FPÖ. – Anhaltende Zwischenrufe bei SPÖ, ÖVP und Grünen.)

Meine Damen und Herren! Es kann doch nicht sein, dass in unserer Republik ein so entscheidender Schritt gemacht wird, ohne dass unsere Bevölkerung, unsere Staatsbürger darüber abstimmen können. Daher bleibt unsere Forderung aufrecht: Über diesen Vertrag muss es eine Volksabstimmung geben. (Beifall bei Abgeordneten der FPÖ.) Glauben Sie mir, der überwiegende Teil unserer Bürger will diese Volks­abstimmung, und zwar der weit überwiegende Teil! Nicht 52 Prozent, nicht 54 Prozent, sondern mindestens 70 bis 80 Prozent wollen diese Abstimmung. – Warum sagen Sie dann nein? Ich verstehe es nicht!

Wenn es wirklich so gut ist, was Sie uns heute stundenlang erzählt und zu erklären versucht haben, dann müssen Sie doch die Möglichkeit haben, das bekannt zu machen. Dann darf man nicht sagen, die bösen Medien seien schuld, weil sie es den Leuten nicht sagen. Das ist zu wenig. – Lassen Sie uns abstimmen! (Beifall bei der FPÖ. – Abg. Dr. Stummvoll: Wir stimmen jetzt gleich ab! Wir stimmen sogar namentlich ab!)

13.43


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Zu Wort gelangt Herr Klubobmann Strache. 5 Minuten Redezeit. – Bitte, Herr Klubobmann. (Zwischenrufe bei der SPÖ.)

 



Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 111

13.43.25

Abgeordneter Heinz-Christian Strache (FPÖ): Da jubeln die sogenannten Demo­kraten, wenn man von seinem Rederecht Gebrauch macht. Da jubeln die Demokraten, die heute hier ans Rednerpult treten und die Demokratie so sehr in den Vordergrund stellen. Sie behaupten, dass der Reformvertrag so viel an Mitsprache bringt und solch eine demokratische Bereicherung darstellt – so viel Positives!

Aber dann geht man her und sagt: Aber das Volk lassen wir nicht mitreden, darüber lassen wir nicht abstimmen, darüber lassen wir nicht entscheiden! (Abg. Mag. Kukacka: Sagen Sie einmal etwas Neues!) Da wundert man sich und fragt: Warum lassen Sie die österreichische Bevölkerung nicht abstimmen? (Abg. Grillitsch: Diese Rede haben Sie schon gehalten! – Abg. Rosenkranz – in Richtung des Abg. Grillitsch –: Sie haben ja nicht geantwortet!)

Glauben Sie eigentlich, dass die österreichische Bevölkerung nicht gescheit genug ist, das beurteilen zu können? Worauf begründen Sie Ihre Hochnäsigkeit und Abgehoben­heit, wenn Sie hier mit solchen Argumenten heraustreten? Worauf? (Beifall bei der FPÖ.)

Es ist ja ein Armutszeugnis, das hier zum Besten gegeben wurde. In Wirklichkeit wollen Sie hier nämlich die Demokratie, die Grundrechte unserer Demokratie aus­höhlen, das sage ich in dieser Offenheit. Darum geht es! Es geht um Grundrechte, um Freiheitsrechte, um demokratische Grundrechte, die in unserer österreichischen Ver­fassung festgeschrieben sind. Da kann man nicht herumturnen, so wie Sie das heute getan haben. Eigentlich ist es skandalös, wie Sie hier vorgegangen sind. (Beifall bei der FPÖ.)

Sie reden von einem Friedensprojekt Europa, das ursprünglich der Ausgangspunkt einer europäischen Idee war. – Ja, Sie haben recht! Die ursprüngliche Ausgangsidee der europäischen Idee war ein Friedensprojekt. Dieses Friedensprojekt war unter­stützenswert. Aber in den letzten Jahren haben die abgehobenen Technokraten dieses Friedensprojekt in die falsche Richtung geführt, nämlich in Richtung eines zentralis­tischen Bundesstaates, wo man glaubt, sich über alle Völker Europas hinwegsetzen zu müssen, keines der europäischen Völker in Abstimmungen befragen zu müssen, nirgendwo Bürgermitsprache vornehmen zu müssen, bis hin zur Fehlentwicklung, dass man die Türkei als europäisches Mitglied in der Europäischen Union haben will.

Wachen Sie doch bitte auf! Das entspricht nicht mehr der ursprünglichen Europa-Idee. (Beifall bei der FPÖ.) Die ursprüngliche Europa-Idee war ein föderales Europa, wo Staaten auf Augenhöhe, gleichberechtigt miteinander über Partnerschaften ge­sprochen und diese definiert haben, aber es war nicht die ursprüngliche Europa-Idee, in einem Superbundesstaat aufzugehen, wo alle Gewalt nur mehr in Brüssel und beim Europäischen Unionsrat zu Hause wäre. – Das ist es nicht!

Sie wollen mit dem Reformvertrag unsere österreichische Verfassung generell ändern. Artikel 1, demgemäß das Recht vom Volk auszugehen hat, wollen Sie ersatzlos streichen und durch ein Ermächtigungsgesetz im Reformvertrag das Recht vom Volk zum Europäischen Unionsrat verschiffen. (Abg. Parnigoni: Das ist Unsinn!) Das ist es, was Sie wollen, nur sagen Sie das nicht.

Sie reden von einem Friedensprojekt, das schon längst verlassen wurde, indem man ein nichteuropäisches Land wie die Türkei zu einem Mitglied der Europäischen Union machen will und gar nicht versteht, dass das in Richtung Krieg führen würde. Wir erleben doch die kriegerischen Auseinandersetzungen an der Grenze der Türkei, im Nordirak, wo es einen Konflikt gibt, weil die Kurden eben von ihrem Recht auf Selbst­bestimmung Gebrauch machen wollen. Es ist den 30 Millionen Kurden nicht zu


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verdenken, dass auch sie ein Anrecht auf einen eigenen Staat in dieser Welt haben und geltend machen. (Beifall bei der FPÖ. – Zwischenruf des Abg. Murauer.)

Es gibt kriegerische Konflikte im Nahen Osten, und Sie wollen diese außer­euro­päischen Länder, die mit Europa gar nichts zu tun haben – weder geographisch noch kulturell, noch historisch –, zu Mitgliedern in der Europäischen Union machen und damit – mit dem Reformvertrag – wären wir natürlich bei kriegerischen Handlungen und Auseinandersetzungen gezwungen, dort dabei zu sein, wie Sie es mit der „Solidaritätsverpflichtung“ ausgedrückt haben, Herr Klubobmann Schüssel. – Was heißt denn das? Heißt das, dass österreichische Soldaten im Falle einer kriegerischen Auseinandersetzung – so wie jetzt in der Türkei – dem jeweiligen Land zu Hilfe zu eilen haben?

Heißt das, dass wir in Zukunft Seite an Seite mit der NATO, mit den Amerikanern, weil Bush es so will, gemeinsam irgendwo im Irak oder im Iran militärisch tätig werden? – Nein, das wollen wir nicht! Wir halten unsere Neutralität hoch! Sie ist uns heilig, und eine heilige Kuh darf und soll nicht geschlachtet werden, das ist uns wichtig. (Beifall bei der FPÖ.)

Aber genau das ist es ja. Sie tun alles als Unsinn ab. Manche reden von Befragung. Also ich wundere mich, dass eine Befragung gefordert wird, denn: Warum muss ich die österreichische Bevölkerung befragen, wenn ich weiß, dass zwischen 70 und 80 Pro­zent eine Volksabstimmung fordern. (Abg. Parnigoni: Woher wissen Sie das?) – Das sind, in allen Zeitungen nachzulesen, aktuelle Umfrageergebnisse, denen zufolge 70 bis 80 Prozent der Österreicher ihr Recht auf Volksabstimmung einfordern. Da brauche ich sie nicht zu befragen, ob sie eine Volksabstimmung haben wollen oder nicht, das steht in der Verfassung. Noch einmal: Verfassung auch sicherstellen – das ist das, was Sie offenbar nicht zur Kenntnis nehmen wollen. (Zwischenruf des Abg. Dr. Mitter­lehner.)

Ich hätte mir von einem Verfassungshüter, nämlich vom Präsidenten des Verfassungs­gerichtshofes Korinek, eigentlich erwartet, dass er unsere Verfassungshoheit sicher­stellt und wie Verfassungsrechtler Professor Schachtschneider festhält, dass es ohne Volksabstimmung nicht sein kann und nicht sein darf. (Abg. Mag. Lunacek: Ist das ein österreichischer Verfassungsrechtler? Er ist ja Deutscher!) Es darf nicht sein, dass dieser Reform- und Verfassungsvertrag überhaupt in Kraft tritt! Darum geht es!

Zu all diesen Absurditäten, wenn man mit europaweiter Volksabstimmung hantiert, muss man zum Abschluss noch einmal festhalten: Sie nehmen in Österreich ja nicht einmal Volksbegehren ernst! Wenn 1 Million Menschen ein Volksbegehren gegen die Gentechnik unterschrieben haben, gehen Sie ja auch zur Tagesordnung über, schub­ladisieren es und fahren über die österreichische Bevölkerung drüber.

Dann stellt sich Herr Grillitsch heraus – als sogenannter Bauernvertreter – und will den Österreichern erklären, dass das Bauernsterben von 30 000 Bauern in den letzten Jahren für die Bauern und die bäuerliche Struktur ein unglaublicher Fortschritt war. (Abg. Grillitsch: Schuster, bleib bei deinen Leisten!) – Ein unglaublicher Fortschritt, dass wir jetzt im Gentechnikbereich von der Europäischen Union quasi zwangs­ver­pflichtet worden sind, Gentechnikprodukte zu importieren. Ja wo endet das?

Da wollen Sie uns weismachen, dass das die großen Vorteile sind? – Das sind keine Vorteile! Ich will ein gentechnikfreies Österreich, ich will ein atomfreies Österreich, ich will ein neutrales Österreich, und ich will ein sozial gerechtes Österreich, in dem unser Sozialstaat nicht aufgegeben wird. (Beifall bei der FPÖ.)

Genau das droht, denn das, was wir an sozialen Errungenschaften in Österreich heute haben und seit Jahrzehnten haben, droht jetzt mit dem Reformvertrag endgültig über


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Bord geworfen zu werden, weil wir es uns gar nicht mehr leisten können, wenn uns von Brüssel die Verordnung auferlegt wird, dass jeder Nichtstaatsbürger Anspruch auf alle sozialen Leistungen ab dem ersten Tag haben soll. Dann können wir den Sozialstaat gar nicht mehr aufrechterhalten für unsere österreichischen Staatsbürger, und das ist verantwortungslos.

Wir Freiheitlichen sind halt nur 21 Abgeordnete, aber die Österreicher wissen wenigs­tens, dass 21 Abgeordnete hier in diesem Hohen Haus ihre Interessen vertreten, und das werden wir klarmachen. (Beifall bei der FPÖ.)

Es besteht die Chance auf demokratische Veränderung in jeder Demokratie, und wenn die Volksvertreter, die heute hier sitzen und glauben, dass sie das Volk sind (Ruf bei der ÖVP: Wir sind Teil des Volkes!) ... – Sie sind ein Teil des Volkes, da gebe ich Ihnen recht, aber Sie sind nicht das Volk. (Abg. Parnigoni: Aber Sie auch nicht! – Zwischen­rufe bei der ÖVP.) Sie hätten als Volksvertreter die Interessen der Österreicher sicher­zustellen und auch die Bundesverfassung in dieser Frage mittels Volksabstimmung für Österreichs Interessen sicherzustellen. (Beifall bei der FPÖ.)

Hier haben Sie versagt, und das werden die Österreicher genau beurteilen.

Wir werden weiterhin und auch konsequent und nachhaltig in diesem Bereich gemein­sam mit den Österreichern eine Koalition für Österreich bilden. Darauf können Sie sich verlassen. (Beifall bei der FPÖ. – Zwischenruf des Abg. Dr. Mitterlehner.)

13.51


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Scheibner. – Bitte.

 


13.52.01

Abgeordneter Herbert Scheibner (BZÖ): Frau Präsidentin! Ich wollte nur noch beim Verfassungsexperten Strache nachfragen, weil ich mich jetzt nicht mehr ganz aus­kenne. (Abg. Strache: Schachtschneider sagt das!) – Entschuldigen Sie, Herr Schachtschneider ist sicherlich ein Verfassungsexperte, aber nicht Abgeordneter dieses Hauses. Wenn wir hier darüber debattieren, ob wir einem Gesetzentwurf die Zu­stimmung geben oder nicht, dann frage ich nicht Herrn Schachtschneider, sondern Sie als Abgeordneten dieses Nationalrates in einem politischen Diskurs. (Abg. Strache: Ich habe Schachtschneider zitiert!) Ich gehe davon aus, dass Sie wissen, warum Sie hier abstimmen, wo Sie zustimmen und weshalb oder etwas fragen.

Sie haben, Herr Kollege Strache, zu uns gewendet gesagt, Sie wissen nicht, warum man überhaupt noch über Volksbefragungen diskutiert, wo man doch ohnehin von Meinungsumfragen weiß, dass 80 Prozent der Österreicher gegen die EU und für eine Volksabstimmung sind. Ich bin auch der Meinung, dass man Meinungsumfragen ernst nimmt, aber wenn sie das alleinige Mittel unserer Entscheidungen hier sind, dann brauchen wir keine Politiker, sondern nur Meinungsforscher hier im Hohen Haus.

Herr Kollege Strache, ich gebe Ihnen auch die Antwort auf die Frage: Warum Volks­befragung? – Weil die Volksbefragung ... (Abg. Strache: Warum haben Sie viermal gegen Volksabstimmungen gestimmt?) – Passen Sie auf, jetzt lassen Sie mich einmal ausreden! Die Volksbefragung ist in unserer Bundesverfassung so vorgesehen. Man kann praktisch über jede Frage eine Volksbefragung durchführen. Eine sinnvolle Sache. Das wäre ein klares Signal (Abg. Strache: Warum lehnen Sie aber die Volks­abstimmung ab? – Abg. Dr. Stummvoll: Er erklärt es ja gerade!) – das sage ich Ihnen gleich – an die Bevölkerung: Wir wollen eure Meinung wissen und diese dann auch als


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Entscheidungsgrundlage hier verankert haben. Das ist in der österreichischen Bundes­verfassung so vorgesehen.

Ich kenne mich jetzt nicht genau aus, was Sie wollen, Herr Kollege Strache. Sie sagen, Sie wollen eine Volksabstimmung. Worüber? – Führen wir einen Diskurs. Worüber? (Abg. Strache: Über den Reformvertrag, das war heute Thema, Herr Abgeordneter, wenn Sie zugehört haben!) – Ja, das ist mir schon klar. Der Reformvertrag – das ist in Ordnung. So, dann zeigen Sie mir die Stelle in der österreichischen Bundesverfassung, wo steht, dass über einen Reformvertrag in der Europäischen Union eine Volks­abstimmung durchgeführt werden kann. (Abg. Vilimsky: Die Iren machen es!) Die Iren, ja, wir sind aber nicht die Iren, die haben nicht die österreichische Bundesverfassung, sondern wir sind Österreicher. Ich möchte ja nur wissen, wie das geht. Sagen Sie mir das bitte! (Beifall beim BZÖ sowie bei Abgeordneten von SPÖ und ÖVP. – Abg. Strache: Das ist ein Student, der im ersten Abschnitt steckengeblieben und nicht weitergekommen ist!)

Erstens einmal, Herr Kollege Strache, stimmt das über den ersten Abschnitt nicht, zweitens brauche ich mir das von Ihnen nicht erklären zu lassen.

Wenn Sie sich die Bundesverfassung ansehen, Herr Kollege Strache, Artikel 43, Volksabstimmungen: über einen Gesetzesbeschluss des Nationalrates. „Über einen Gesetzesbeschluss des Nationalrates“ – wo ist der Gesetzesbeschluss des National­rates, über den man eine Volksabstimmung durchführen muss? (Abg. Dr. Graf: Dann lesen Sie den Entschließungsantrag! – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Jene unter Ihnen, die schon damals, 1994, hier gewesen sind, wissen ganz genau, dass es selbst beim EU-Beitritt ein Problem war und sich die Frage gestellt hat: Wie schafft man es, über diesen EU-Vertrag, über den Beitrittsvertrag eine Volksabstim­mung durchzuführen? – Man hat damals hier im Nationalrat ein eigenes Ermäch­tigungsgesetz mit Zweidrittelmehrheit beschlossen (Zwischenruf des Abg. Strache) – das will ich ja von Ihnen wissen –, und darüber ist dann eine Volksabstimmung durch­geführt worden.

Sie haben gesagt, eine Volksabstimmung über diesen Reformvertrag. Dazu sage ich Ihnen: Über diesen Reformvertrag kann man keine Volksabstimmung durchführen. Legen Sie doch ... (Abg. Strache: Das wird Ihnen jetzt Rechtsanwalt Fichtenbauer erklären!) – Da bin ich aber sehr froh, wenn er das machen wird. Sonst wäre es wirklich interessant, wenn wir hier ein Gesetz hätten – da müssten Sie aber dem Gesetz zustimmen –, über das wir eine Volksabstimmung durchführen können. (Abg. Strache: Das überlassen wir Ihnen, zuzustimmen!) – Nein, aber ein Gesetz, das es nicht gibt, das hier nicht beschlossen worden ist, können Sie nicht zur Grundlage einer Volksabstimmung machen. Sie haben gesagt, unabhängig davon, ob man dafür ist oder dagegen, Sie wollen, dass das Volk entscheidet. Gut, aber das Volk kann nur ent­scheiden über ein Gesetz, das hier im Nationalrat beschlossen worden ist.

Wenn Sie dagegen sind, dann sind Sie auch gegen die Volksabstimmung. Das ist der Widerspruch, Herr Kollege Strache, bei der derzeitigen Verfassungslage. (Beifall bei BZÖ und ÖVP sowie bei Abgeordneten der SPÖ.)

13.56


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Als nächster Redner zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Dr. Fichtenbauer. Freiwillige Redezeitbeschränkung: 3 Minu­ten. – Bitte.

 



Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 115

13.56.37

Abgeordneter Dr. Peter Fichtenbauer (FPÖ): Wenn ein Match im Verfassungsrecht gewünscht wird, ich stehe zur Verfügung! (Allgemeine Heiterkeit und Beifall bei der FPÖ.)

Artikel 1 B-VG: Das Recht geht vom Volk aus. Artikel 20 B-VG: Demokratisches Prin­zip. Artikel 44 Abs. 2 B-VG – hören Sie alle zu –: Eine Gesamtänderung der Verfas­sung bedingt eine Volksabstimmung.

In Ihre Richtung, Kollegin Brinek: Sie sind ja Wissenschaftssprecherin, gehen Sie auf die Universität! (Zwischenrufe bei der ÖVP.) Gehen Sie zu einer Vorlesung über Verfassungsrecht: Adamovich, Korinek, Funk – sehr interessant. (Beifall bei der FPÖ.) Und dann lesen Sie, was hier drinsteht. (Abg. Mag. Kukacka: Das ist keine Gesamt­änderung!) Zum Beispiel Artikel 33: Ermächtigung zum einfachen Veränderungs­verfahren – und zwar im Rat. (Weitere Zwischenrufe bei der ÖVP. – Präsidentin Dr. Glawischnig-Piesczek gibt das Glockenzeichen.)

Artikel 19: Arten und Bereiche der Zuständigkeit der Union. – Ich wette, das haben Sie noch nicht einmal gerochen, geschweige denn durchgelesen. Da gibt es nämlich eine ausschließliche Zuständigkeit der Union für bestimmte Bereiche. Ich lese Ihnen das vor (Unruhe im Saal – Präsidentin Dr. Glawischnig-Piesczek gibt neuerlich das Glocken­zeichen):

„Übertragen die Verträge der Union für einen bestimmten Bereich eine ausschließliche Zuständigkeit, so kann nur die Union gesetzgeberisch tätig werden und verbindliche Rechtsakte erlassen“. – Wenn das keine Gesamtänderung der Verfassung ist, dann weiß ich nicht, wozu jemals dieser Gedanke geschöpft worden ist; da waren Ihre Vorgänger ebenfalls historisch tätig.

Ich sage Ihnen, was die „ausschließliche Zuständigkeit“ ist: unter anderem die gemein­same Handelspolitik. Kollege Mitterlehner, Sie können sich als Vertreter der öster­reichischen Wirtschaftspolitik abmelden. (Zwischenrufe bei der ÖVP.) Sie sind nur mehr ein Bleistift.

Wenn es darum geht, über Verfassungsbelange zu sprechen, dann lade ich Sie ein, einen Denkzusammenhang herzustellen und nicht irgendeinen Zettel herauszusuchen.

Der Kernpunkt ist, dass es um eine Gesamtänderung der Verfassung geht, weil fundamentale Staatsprinzipien, das ist unter anderen das demokratische Prinzip, aus diesem Verfassungsbestand entfernt und an eine andere Zuständigkeit übertragen werden. Das kann Ihnen jeder Assistent vom Verfassungsrechtsbereich erzählen.

Auch wenn Sie laut „Hurra!“ schreien und Taferln aufstellen: Die Wahrheit werden Sie mit den übrigens sehr schlecht designten Taferln nicht verändern können. (Heiterkeit und Beifall bei der FPÖ.)

13.59


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Zu Wort ist dazu niemand mehr gemeldet.

Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen nun zu den Abstimmungen.

Wir gelangen nunmehr zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abge­ord­neten Strache, Kolleginnen und Kollegen betreffend Nicht-Unterzeichnung des


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Vertrages zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union und des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft durch den österreichischen Bundes­kanzler.

Ich bitte jene Damen und Herren, die für den Entschließungsantrag sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist die Minderheit. Abgelehnt.

Wir gelangen nunmehr zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abge­ordneten Mag. Lunacek, Kolleginnen und Kollegen betreffend eine europaweite Volks­befragung zum Reformvertrag der EU.

Ich bitte jene Damen und Herren, die für den Entschließungsantrag sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist die Minderheit. Abgelehnt.

Wir gelangen nunmehr zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abge­ord­neten Scheibner, Kolleginnen und Kollegen betreffend Neuverhandlung eines Vertrages für Europa sowie generelle Verpflichtung der Durchführung von Volksabstim­mungen über grundsätzliche Fragen der Europäischen Integration.

Ich bitte jene Damen und Herren, die für diesen Entschließungsantrag sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist die Minderheit. Abgelehnt.

Wir gelangen weiters zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeord­neten Mag. Hauser, Kolleginnen und Kollegen betreffend Durchführung einer natio­nalen Volksabstimmung in Österreich über die Ratifizierung des Vertrages zur Ände­rung des Vertrages über die Europäische Union und des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft.

Es ist hierüber eine namentliche Abstimmung verlangt worden.

Da dieses Verlangen von 20 Abgeordneten gestellt wurde, ist die namentliche Abstim­mung auch durchzuführen. Ich gehe daher so vor.

Die Stimmzettel, die zu benützen sind, befinden sich in den Laden der Abgeord­netenpulte und tragen den Namen des Abgeordneten oder der Abgeordneten sowie die Bezeichnung „Ja“, das sind die grauen Stimmzettel, beziehungsweise „Nein“, das sind die rosafarbenen. Für die Abstimmung können ausschließlich diese amtlichen Stimm­zettel verwendet werden.

Gemäß der Geschäftsordnung werden die Abgeordneten namentlich aufgerufen, den Stimmzettel in die bereitgestellte Urne zu werfen.

Ich ersuche jene Abgeordneten, die für den Entschließungsantrag der Abgeordneten Mag. Hauser, Kolleginnen und Kollegen stimmen, „Ja“-Stimmzettel, jene, die dagegen stimmen, „Nein“-Stimmzettel in die Urne zu werfen.

Ich bitte nunmehr die Frau Schriftführerin, Abgeordnete Hagenhofer, mit dem Namens­aufruf zu beginnen; Frau Abgeordnete Dr. Brinek wird sie später dabei ablösen. – Bitte, Frau Abgeordnete.

(Über Namensaufruf durch die Schriftführerinnen Hagenhofer und Dr. Brinek werfen die Abgeordneten die Stimmzettel in die Urne.)

 


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Die Stimmabgabe ist beendet.

Die damit beauftragten Bediensteten des Hauses werden nunmehr unter Aufsicht der Schriftführer die Stimmenzählung vornehmen. Die Sitzung wird für diesen Zweck für einige Minuten unterbrochen.


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Die Sitzung ist unterbrochen.

*****

(Die zuständigen Bediensteten nehmen die Stimmenzählung vor. – Die Sitzung wird um 14.07 Uhr unterbrochen und um 14.15 Uhr wieder aufgenommen.)

*****

 


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Ich nehme die unterbrochene Sitzung wieder auf und gebe das Abstimmungsergebnis bekannt:

Es wurden 165 Stimmen abgegeben, davon 25 „Ja“-Stimmen und 140 „Nein“-Stim­men.

Damit ist der Antrag abgelehnt.

Gemäß § 66 Abs. 8 der Geschäftsordnung werden die Namen der Abgeordneten unter Angabe ihres Abstimmungsverhaltens in das Stenographische Protokoll aufgenom­men.

Mit „Ja“ stimmten die Abgeordneten:

Aspöck;

Belakowitsch-Jenewein, Bösch, Bucher;

Darmann, Dolinschek;

Fichtenbauer;

Gradauer, Graf;

Haimbuchner, Haubner Ursula, Hauser;

Kickl, Klement, Kurzmann;

Mayerhofer;

Neubauer;

Rosenkranz;

Schalle, Strache;

Themessl;

Vilimsky;

Weinzinger Lutz, Westenthaler;

Zanger.

Mit „Nein“ stimmten die Abgeordneten:

Ablinger, Amon, Aubauer, Auer Jakob, Auer Klaus Hubert;

Bauer, Bayr, Becher, Binder-Maier, Brinek, Broukal;

Cap, Csörgits;

Dobnigg, Donabauer Karl, Durchschlag;

Eder Kurt, Eder Sebastian, Eder-Gitschthaler, Ehmann, Einwallner, Eisenschenk, Eßl;

Faul, Fazekas, Fleckl, Franz, Freund, Fuhrmann, Füller, Fürntrath;


Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 118

Gartlehner, Gaßner, Glaser, Glawischnig-Piesczek, Grander, Grillitsch, Grossmann;

Haberzettl, Hagenhofer, Haidlmayr, Hakl, Haubner Peter, Heinisch-Hosek, Heinzl, Hlavac, Höfinger, Höllerer, Hörl, Hornek, Hradecsni, Huainigg, Hursky;

Ikrath;

Jarolim;

Kainz, Kaipel, Kapeller, Karl, Keck, Kirchgatterer, Knoll, Königsberger-Ludwig, Kopf, Kößl, Krainer, Kräuter, Krist, Kukacka, Kuntzl, Kuzdas;

Lapp, Lentsch, Lohfeyer, Lunacek;

Maier Johann, Mandak, Marizzi, Mayer Elmar, Mikesch, Missethon, Mitterlehner, Morak, Moser, Muchitsch, Murauer, Muttonen;

Neugebauer Fritz, Niederwieser;

Oberhauser, Obernosterer, Öllinger;

Pack, Parnigoni, Pendl, Pfeffer, Prähauser, Prammer, Praßl, Prinz;

Rada Robert, Rädler Johann, Rasinger, Rauch-Kallat, Reheis, Riener Barbara, Riepl, Rossmann, Rudas;

Sburny, Schasching, Schatz, Schelling, Schieder Andreas, Schittenhelm, Schönpass, Schopf, Schultes, Schüssel, Sieber Norbert, Sonnberger, Spindelberger Erwin, Spindelegger Michael, Stadlbauer, Stadler Astrid, Stauber, Steibl Ridi, Steier, Steindl Konrad, Stummvoll;

Tamandl, Trunk;

Van der Bellen;

Wimmer, Wittmann, Wöginger;

Zach, Zinggl, Zwerschitz, Zweytick.

*****

 


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Wir gelangen nunmehr zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Cap, Dr. Schüssel, Kollegin­nen und Kollegen betreffend Vertrag von Lissabon – politische Einigung bei der Regierungskonferenz am 18./19. Oktober 2007.

Ich bitte jene Damen und Herren, die für den Entschließungsantrag sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist die Mehrheit. Angenommen. (E 41.)

Wir gelangen nunmehr zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abge­ord­neten Dr. Bösch, Kolleginnen und Kollegen betreffend Nichtzustimmung zur Schengen-Erweiterung.

Ich bitte jene Damen und Herren, die für den Entschließungsantrag sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist die Minderheit. Abgelehnt.

14.16.232. Punkt

Bericht des Kulturausschusses über den Österreichischen Baukulturreport 2006 (III-56 d.B.), vorgelegt von der Bundesministerin für Unterricht, Kunst und Kultur sowie dem Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit (310 d.B.)

 



Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 119

Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Damit gelangen wir zum 2. Punkt der Tagesordnung.

Auf eine mündliche Berichterstattung wurde verzichtet.

Als erste Rednerin ist Frau Abgeordnete Mag. Muttonen zu Wort gemeldet. Redezeit: 5 Minuten. – Bitte.

 


14.16.57

Abgeordnete Mag. Christine Muttonen (SPÖ): Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Meine Damen und Herren! Wir sprechen heute über Kunst und Kultur. Wir sprechen aber auch über Bildung, Umwelt, Wissenschaft, Infrastruktur, Wirtschaft, Außenpolitik, Kulturpolitik, Sozialpolitik – über all das! –, denn Baukultur ist eine Querschnittsmaterie.

Die Auseinandersetzung mit Baukultur und Architektur hat ja gewissermaßen schon Tradition hier im Hohen Haus, denn 2004 fand hier im Plenarsaal eine hochkarätig besetzte und sehr gut besuchte Enquetekommission zu Architekturpolitik und Baukultur statt. Motor dieser Veranstaltung waren hier im Parlament der Kulturausschuss und der Bautenausschuss. Ein sehr konkretes Ergebnis war nach einem gemeinsamen Entschließungsantrag die Erstellung des heute zu besprechenden Baukulturreports.

Die Publikation ist sehr umfangreich geworden und beleuchtet den Status quo der österreichischen Baukultur. Ich darf den Verfasserinnen und Verfassern auch von dieser Stelle recht herzlich danken und dazu gratulieren, dass es ihnen in relativ kurzer Zeit gelungen ist, einen derart umfassenden Bericht zu Baukultur und Architektur in Österreich zu verfassen. Dazu gehört nicht nur Fachwissen, sondern auch ent­sprechendes Engagement.

Neben statistischen Grundlagen werden im Baukulturreport 2006 auch eine Reihe von Empfehlungen formuliert, die an Bund, Länder und Gemeinden gerichtet sind. Darüber konnten wir vor zwei Tagen auch in einer Kulturausschusssitzung gemeinsam mit Mitgliedern des Bautenausschusses und den Experten der Plattform für Architektur und der Bundesimmobiliengesellschaft diskutieren.

Meine Damen und Herren, ich sehe den Baukulturreport als Basis und quasi als Startrampe für einen vertiefenden kontinuierlichen Diskurs. Dazu gehören Behand­lungen der Materie in den entsprechenden Ausschüssen sowie das Mitwirken aller betroffenen Ministerien, aber auch der Länder und Gemeinden. Zu einer engagierten Architekturpolitik gehört aus meiner Sicht auch die Notwendigkeit, bei den Menschen das Bewusstsein für Baukultur zu wecken, denn schließlich – und das muss man sich immer wieder vor Augen halten – geht es um eine qualitätsvoll bebaute Umwelt, ja letztendlich um Lebensqualität, meine Damen und Herren! (Beifall bei SPÖ und Grünen.)

Genau hier befindet sich auch die Schnittstelle zum Bildungsbereich, denn – wie der Bericht so schön formuliert – das Erkennen von Architektur will gelernt sein. Bewusst­sein für Architektur entsteht bei der Bevölkerung nicht von selbst. Es muss geweckt und gefördert werden. Und Ministerin Schmied hat dies erkannt und dankens­werter­weise bereits erste Umsetzungsschritte angekündigt. Vielen Dank dafür! (Beifall bei der SPÖ.)

Persönlich – und das wird im Bericht auch des Öfteren angeschnitten – halte ich eine stärkere Bundeskompetenz für baukulturelle Fragen für sinnvoll. Ich glaube, da sollten wir auch handeln; das ist mir ein wichtiges Anliegen.

Von großer Bedeutung wäre aber auch ein Beirat, angesiedelt im Bundeskanzleramt, sozusagen als Drehscheibe für ExpertInnen, die betroffenen Ministerien, aber auch für Länder und Gemeinden. Dafür werde ich mich einsetzen, meine Damen und Herren.


Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 120

Mein Wunsch ist aber auch, dass sich dieser Beirat mit einer Deklaration zur öster­reichischen Baukultur befasst, also einem österreichischen Bekenntnis zu qualitätsvoll bebauter Umwelt.

Ich freue mich daher, einen Entschließungsantrag einbringen zu können, den die ÖVP und die Grünen mittragen.

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Christine Muttonen, Franz Morak und Mag. Dr. Wolfgang Zinggl, Kolleginnen und Kollegen betreffend weiterführende Maßnahmen zur Förde­rung der Baukultur in Österreich

Die unterfertigten Abgeordneten stellen folgenden

Entschließungsantrag:

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird ersucht, zur Etablierung und Förderung eines österreich­weiten Baukultur-Dialogs einen Beirat für Baukultur im Bundeskanzleramt einzurichten, in dem jedenfalls die betroffenen Ressorts auf Bundesebene, aber auch die Länder und Gemeinden sowie unabhängige, externe Expertinnen und Experten vertreten sind.“

Die Bundesregierung wird ferner ersucht, „die Weiterführung des Baukulturreports in einem Fünf-Jahres-Rhythmus durch die Beauftragung eines weiteren Berichts sicher­zustellen.“

*****

Meine Damen und Herren, damit ist uns ein weiterer wichtiger Schritt zur Stärkung der Baukultur in Österreich gelungen. – Danke schön. (Beifall bei SPÖ und Grünen.)

14.22


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Der Entschließungsantrag, der soeben von Frau Abgeordneter Mag. Muttonen eingebracht worden ist, ist ausreichend unter­stützt, ordnungsgemäß eingebracht und steht daher mit in Verhandlung.

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Christine Muttonen, Franz Morak, Mag. Dr. Wolfgang Zinggl, Kolleginnen und Kollegen betreffend weiterführende Maßnahmen zur Förderung der Baukultur in Österreich

eingebracht in der 38. Sitzung des Nationalrates am 8.11.2007 im Zuge der Debatte zu Top 2.) Bericht des Kulturausschusses über den Österreichischen Baukulturreport 2006 (III-56 d.B.), vorgelegt von der Bundesministerin für Unterricht, Kunst und Kultur sowie dem Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit (310 d.B.)

Am 30.3.2004 fand im Nationalrat eine Enquete-Kommission zum Thema „Architek­turpolitik und Baukultur in Österreich“ statt. Unter Einbindung namhafter ExpertInnen wurde dabei ein Diskussionsprozess mit dem Ziel gestartet, verbesserte Rahmen-


Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 121

bedin­gungen für eine zeitgenössische Bau- und Planungskultur zur Sicherung der Lebensqualität in Österreich zu schaffen.

Als Ergebnis dieser Enquete wurde am 2.3.2005 die Entschließung Nr. 91/E (XXII GP) von allen im Nationalrat vertretenen Parteien einstimmig verabschiedet, die unter anderem die Bundesregierung auffordert, einen Bericht zur Baukultur zu beauftragen. Dieser Bericht liegt dem Nationalrat nun vor. Er liefert neben zahlreichen Fakten auch konkrete Empfehlungen und stellt damit eine gute Grundlage für eine faktenorientierte Politik dar. Unter anderem zeigt er auch die enge Verflechtung der Materie Baukultur mit ökologischen, ökonomischen, sozialen, aber auch demokratie- und bildungs­politi­schen Fragestellungen.

Um der Thematik Baukultur als Querschnittsmaterie gerecht zu werden, wies bereits die Entschließung aus dem Jahr 2005 auf die große Bedeutung eines kontinuierlichen Baukultur-Dialogs hin. Diese Forderung wird durch den Baukulturreport 2006 erneuert, wo auch eine Weiterführung des Baukulturreports zur Etablierung eines Diskurses in breiteren Bevölkerungsschichten empfohlen wird. Um neue Daten zu erheben und zu präsentieren und erste Maßnahmen erfassen zu können, scheint dabei aus heutiger Sicht ein Intervall von ca. fünf Jahren vonnöten.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag:

Der Nationalrat wolle beschließen:

Die Bundesregierung wird ersucht,

zur Etablierung und Förderung eines österreichweiten Baukultur-Dialogs einen Beirat für Baukultur im Bundeskanzleramt einzurichten, in dem jedenfalls die betroffenen Ressorts auf Bundesebene, aber auch die Länder und Gemeinden sowie unabhängige, externe Expertinnen und Experten vertreten sind.

die Weiterführung des Baukulturreports in einem Fünf-Jahres-Rhythmus durch die Beauftragung eines weiteren Berichts sicherzustellen.

*****

 


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Als nächster Redner zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Morak. 6 Minuten Redezeit. – Bitte.

 


14.22.34

Abgeordneter Franz Morak (ÖVP): Frau Präsidentin! Frau Bundesminister! Frau Staatssekretärin! Meine Damen und Herren Kollegen und Kolleginnen! Es gibt einen Spruch, der heißt: Das Bohren von harten Brettern – und damit ist immer die Politik gemeint. Glauben Sie mir: Man könnte mit diesem Ausspruch auch die Architektur meinen. Das, was wir hier heute auch im Parlament erleben, gibt möglicherweise den Architektinnen und Architekten auf der Galerie den Eindruck davon, dass es ein schwieriges, aber wichtiges Thema für diese Republik ist. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Abgeordneten der SPÖ.)

Es ist, meine Damen und Herren, Pionierarbeit, die hier geleistet wurde. Ich denke dabei an die Zeit vor zwei Jahren, als ich das erste Gespräch mit Dr. Chromy geführt habe, und daran, dass wir im Grunde auch die verschiedensten, divergierenden Interessen der Architektinnen und Architekten in diesem Bericht zusammengefasst haben und im Grunde auch diese Initiative gegründet haben. Es ist ein Pionierprojekt;


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und es ist das erste Mal, dass so ein Bericht für die Republik erstellt wurde. Bei all dem, was vorher gesagt wurde: Es ist zum ersten Mal, und ich glaube, es gibt ein Recht auf Irrtum auf der einen Seite, aber gleichzeitig auch etwas, worauf wir in Zu­kunft aufbauen können.

Meine Damen und Herren! Ich glaube, wenn wir sagen, wir beschäftigen uns mit Architektur – und das hat auch meine Vorrednerin schon gesagt –, haben wir einen sehr breiten Zugang zu diesem Thema. Es ist ein Sozialthema, es ist ein ästhetisches Thema, es ist ein Kulturthema, und, und, und. Ich glaube, in der Abdeckung all dieser Bedürfnisse und all dieser Forderungen, die die Architektinnen und Architekten an die Gesellschaft stellen, haben sie recht. Es ist das, was Zeitzeuge unserer Baukultur in der nächsten, übernächsten und in vielen verschiedenen späteren Generationen sein wird.

Ich habe im Ausschuss gesagt, dass es zum ersten Mal auch der Fall war, dass der Bautenausschuss zusammen mit dem Kulturausschuss getagt hat. Und ich habe gesagt, das ist für mich so etwas wie: Lyrik trifft auf Prosa. Und das, was wir heute hier im Parlament erlebt haben: Beide treffen auf die politische Wirklichkeit.

Deswegen, meine Damen und Herren, haben wir und Sie, Frau Bundesministerin, eine große Aufgabe vor sich, wenn wir die Behauptung aufrechterhalten, dass Baukultur ein Thema der Kultur ist. Und wenn ich von Kultur spreche, dann meine ich all das, was Sie, Frau Abgeordnete Muttonen, gesagt haben. Kulturpolitik ist Sozialpolitik, ist Baupolitik, ist Finanzpolitik, ist Schulpolitik, ist Universitätspolitik, es ist Kulturpolitik, meine Damen und Herren. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Abgeordneten der SPÖ.)

Eine kleine Kritik möchte ich allerdings schon anbringen. Wir haben davor im Kultur­ausschuss einmal darüber geredet, dass einer der großen Fehler der letzten Berichts­periode im Kulturbereich die teure Ausstellung von Architektur in China war.

Meine Damen und Herren! Was waren die Überlegungen dazu? Meiner Meinung nach haben wir in den letzten zehn Jahren gerade in der Architekturpolitik in Österreich in der Realität einen großen Fortschritt gemacht. Wir sehen überall, ob das in Vorarlberg, im Burgenland, in Niederösterreich oder in der Steiermark ist, gute Beispiele guter Architektur, im öffentlichen Bereich, aber auch im privaten Bereich.

Das, was mir besonders wichtig war in meiner Kulturpolitik in der Architektur, war, darzustellen, was in Österreich in der Architekturszene passiert. Und deswegen war es mir immer wichtig, ob wir in New York waren, in China waren, in Peking waren, in Mos­kau waren, in Berlin waren, in Paris waren, die Darstellung österreichischer maßgeb­licher Architekturleistungen in diesem Land auch für das Ausland aufzubereiten.

Und glauben Sie mir, meine Damen und Herren: Das Geld in China war gut investiert! Denn wenn ich österreichische Architekturleistungen auf der größten Baustelle des Universums zeige, dann ist das in jedem Falle nicht nur eine Visitenkarte, sondern auch eine Anregung für Bauherren in China, mit österreichischen ArchitektInnen öster­reichische Qualität dort auch zu zeigen.

In diesem Sinne, meine Damen und Herren, bin ich auf der anderen Seite nicht müßig geblieben: selbstverständlich auch bezüglich dessen, was wir seinerzeit in Krems mit den Architektinnen und Architekten in einem Symposion versprochen haben, nämlich dass wir diesen Baukulturreport nicht nur hier im Parlament diskutieren, sondern dass wir das auch selbstverständlich in die Bundesländer exportieren. Ich sage, selbstver­ständlich werden die Partner unsere Landeshauptleute sein, selbstverständlich unsere Bürgermeister und selbstverständlich alle Stellen, die mit Bauen im engeren und im weiteren Sinne zu tun haben.


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Ich habe das meinen Prölls, Sausgrubers und Van Staas geschickt. Ich erwarte mir von Ihnen, Frau Bundesministerin, dass wir das auch auf Ihrer Seite Ihren Kolleginnen und Kollegen schicken, einfach deswegen, dass wir diesen Dialog nicht nur hier im Parla­ment führen, sondern dass es auch in die Landtage kommt und auch in die Stadt­parlamente. (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Schalle: Vergessen Sie den Kärntner Landes­hauptmann nicht!)

Meine Damen und Herren! Wenn wir hier auch sehr schütter über dieses Thema diskutieren, es zeigt allen, die mit Architektur befasst sind, die leidenschaftlich Archi­tektur leben, wie schwierig dieses Thema ist, wie schwierig es ist, ein Haus zu bauen, von dem wir sagen können, es ist gute Architektur. – Ich danke Ihnen. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Abgeordneten der SPÖ.)

14.28


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Zinggl. 7 Minuten freiwillige Redezeitbeschränkung. – Bitte.

 


14.28.17

Abgeordneter Mag. Dr. Wolfgang Zinggl (Grüne): Frau Präsidentin! Frau Bundes­ministerin! Frau Staatssekretärin! Meine Damen und Herren! Dass Kulturpolitik grund­sätzlich schon Querschnittsmaterie ist und nur partiell mit Kunst zu tun hat, darauf weise ich ja jetzt schon, seitdem ich im Parlament bin, ununterbrochen hin. Und ich freue mich, dass die ÖVP das jetzt auch einmal so sieht.

Nirgendwo wird das so deutlich wie in der Baukultur. Der vorliegende Report zeigt uns ja sehr deutlich: Baukultur ist nicht nur Privatsache, da geht es nicht nur um schön­geistige, ästhetische Architektur, sondern da geht es um Straßenverläufe, da geht es um Landschaftsplanung, da geht es um Wohn- und Industriebauten, es geht um Raumordnungen – und natürlich im Sinne der Ökonomie, im Sinne des Sozialen und vor allen Dingen auch im Sinne des Ökologischen.

Und das steht sehr deutlich in diesem Baukulturreport auch drinnen, dass ein Res­sourcen- und Energieverbrauch beim Bauen wesentlich zu berücksichtigen sei. Wir haben sehr oft mit so genannten Billigstanbietern zu tun; und leider werden tatsächlich die beauftragt, anstatt dass man die Bestbieter nimmt. Das kommt uns allen letztlich irgendwann einmal teuer.

Dass es auch anders geht, das steht in dem Baukulturreport auch drinnen – das muss man sich halt genau anschauen –: dass Material und Energien präzise, sinnvoll, nach­haltig, schonend eingesetzt werden können, dass wir die Lebenszyklen der Gebäude verlängern können, dass die nicht nur 40, auch nicht nur 80 Jahre „leben“ müssen, stehen müssen, sondern auch länger existieren können. Da gibt es im Heft IV eine sehr schöne Tabelle, die uns zeigt, dass weniger als 20 Prozent von uns in Gebäuden wohnen, die älter als 80 Jahre sind. Da gibt es also noch einiges zu tun.

Das heißt, wir haben zwei Möglichkeiten: Entweder wir planen zielorientiert und nach­haltig gemeinsam, oder die Baukultur „passiert uns“ eben irgendwie, so wie die Umstände eben auf uns zukommen, mal so, mal so. Und es ist mir eigentlich über­haupt nicht verständlich, warum es bislang keine öffentliche Baukultur im Sinne des Planens gibt, dass es eigentlich in der Regierung niemanden gibt, der für diese Baukultur zuständig ist. Bis in die frühen neunziger Jahre hat es tatsächlich so etwas wie ein Bautenministerium gegeben, danach ist das in eine Sektion im Wirtschafts­ministerium rückverwandelt worden, und dann ist auch diese noch aufgelöst worden. Dann war einmal eine Zeitlang nichts, bis sich im Jahr 2004 das Parlament aufgerafft hat und sich überlegt hat: Na ja, da müssen wir doch mit einer Enquete wieder ein bisschen Sauerstoff reinblasen! – Dann hat es wiederum ein Jahr gedauert, bis der


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Baukulturreport beauftragt worden ist, und dann ist wieder ein Jahr vergangen, bis er fertig gestellt war, und dann wieder ein Jahr, bis er jetzt endlich veröffentlicht und diskutiert wird.

Ich sehe also, dass da so viel Latenzzeit dazwischen ist, wo eigentlich auch schon längst gehandelt werden hätte können! Und das zeigt sich besonders deutlich in einem Satz im Heft V des Baukulturreports, wo die Autorin davon schreibt, dass jetzt Deutsch­land auch überlegt, irgendwie so etwas wie eine Stabsstelle, eine Koordination der Baukultur einzurichten. – Das ist vor zwei Jahren geschrieben worden, und seit einem Jahr gibt es diese Stabsstelle in Deutschland schon – und bei uns passiert nichts oder sehr wenig.

Robert Temel, der Experte, der im Ausschuss war, hat uns ja auch darauf hinge­wiesen, welche Länder in Europa auf diesem Sektor schon vorbildlich vorangeschritten sind. Also vielleicht wird es bei uns jetzt langsam auch irgendetwas. Im Baukulturreport gibt es ja 24 Handlungsanleitungen, die sich an insgesamt sieben Ministerien richten, und, Frau Ministerin – da kann ich wirklich Danke sagen –, Sie sind die Einzige, die einen dieser Handlungsschritte aufgegriffen hat. Sie haben angekündigt, dass die Vermittlung in den Schulen jetzt dementsprechend eingerichtet werden soll.

Aber was ist mit den anderen Ministerien? Was ist mit Minister Bartenstein? (Abg. Dr. Sonnberger: ... vorbildlich!) – Frau Staatssekretärin Marek, Sie haben mir im Bautenausschuss gesagt, das ist Sache der Bundesministerin Schmied. Ich glaube, das ist nicht nur eine Querschnittsmaterie, sondern auch eine Verantwortung jedes einzelnen Ministers und jeder einzelnen Ministerin, die angesprochen wurden, und vor allen Dingen auch des Wirtschaftsministers, der damit wirklich fast so etwas wie eine Kindesweglegung betreibt.

Es fehlt einfach an Koordination, und ich bin froh, dass es jetzt – nachdem ich im Aus­schuss ja wiederholt darauf hingewiesen habe, dass wir doch da gemeinsam etwas machen können – zu diesem gemeinsamen Entschließungsantrag gekommen ist, dass es also tatsächlich so etwas wie einen Beirat geben wird, eine Verantwortung seitens des Bundeskanzleramts und einen Baukulturreport auch in Zukunft, also eine Kontinu­ität alle fünf Jahre. Es geht um die Verbesserung der Lebensqualität. Das hat damit zu tun, dass man der Zersiedlung entgegentritt, das hat damit zu tun, dass wir auch fiskalische Maßnahmen setzen müssen, dass wir gemeinsame Qualitätsstandards und auch eine bundesweite Bauordnung entwickeln müssen.

Ich hoffe, dass jetzt wenigstens wieder ein Schritt gesetzt wird. Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen. – Danke. (Beifall bei den Grünen.)

14.34


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Als nächster Redner gelangt Herr Ab­geordneter Dipl.-Ing. Klement zu Wort. 5 Minuten freiwillige Redezeitbeschrän­kung. – Bitte.

 


14.34.25

Abgeordneter Dipl.-Ing. Karlheinz Klement, MAS (FPÖ): Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Frau Staatssekretärin! Es ist sehr positiv, dass wir grundsätzlich diesen Baukulturreport haben, und es ist sehr positiv, dass wir auch zusammen mit dem Kulturausschuss diskutieren konnten. Das ist natürlich ein sehr großer und sehr breiter Bereich, den wir diskutieren mussten, aber gut war auch, dass wir Probleme im Bereich der Infrastruktur ganz klar beleuchtet bekommen haben und dass aufgezeigt wurde, dass es natürlich auch hier einiges zu bemängeln gibt, was nicht passt. Deswegen vermisse ich auch sehr die zuständigen Minister – Kollege Zinggl hat es angesprochen: Es gibt Zuständigkeiten im Bereich des Verkehrsministeriums, des


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Infrastrukturministeriums, des Landwirtschaftsministeriums und so weiter, das heißt, es wäre auch gut, wenn diese Minister hier anwesend wären, um die Bedeutung dieser ganzen Thematik auch zu unterstreichen. Und es ist natürlich völlig richtig, was Kollege Zinggl sagte, nämlich dass damals, als dieses Bautenministerium noch existierte, sicher eine zentrale Möglichkeit gegeben war, um diese Riesenmaterie zu beleuchten. Das fehlt uns heute, und deswegen gibt es auch diese Aufteilung und offenbar auch nicht zufriedenstellende Situationen.

Auf diese gehe ich kurz ein: Es gibt ein völliges Vakuum an siedlungspolitischer Kom­petenz in Österreich. Die Baukompetenzen sind aufgeteilt, die Österreichische Raumordnungskonferenz hat nur empfehlenden Charakter, das heißt, es gibt keine Handhabe des Bundes, um auf Fehlentwicklungen einzugehen.

Völlig kurios ist in diesem Zusammenhang, dass seit 1969 die 2 359 Gemeinden, die wir in Österreich haben, in ihrem Wirkungsbereich eine völlige Hoheit haben, das heißt, gänzlich selbst planen können, und da gibt es natürlich auch Probleme, die aufgezeigt werden müssen. Ich denke daran, dass die Gemeinden natürlich interessiert sind, über die Ausweisung von Wohnbauland eine Steigerung der Einwohnerzahl zu bekommen, um im Rahmen des Finanzausgleiches mehr Mittel zu bekommen. Ich denke auch daran, dass die Gemeinden daran interessiert sind, Unternehmen anzusiedeln, um deren Kommunalsteuer zu bekommen. Das ist an sich nichts Negatives. Wenn es aber zu kuriosen Situationen führt, dass eben Gemeinden dann untereinander konkurrieren, dann ist das sicher für die Gesamtinfrastruktur nicht förderlich.

Ein Beispiel dafür ist ja die Entwicklung im Süden Wiens, wo wir erleben müssen, dass eine Gemeinde durch die SCS Riesengewinne macht und andere Gemeinden, durch die die Autos durchfahren, wo es Umweltbelastungen gibt, in diesem Zusammenhang nur Nachteile auf sich nehmen müssen. Ich denke an die landespolitischen Eigen­bröteleien, wo wir erleben, dass der Landeshauptmann von Niederösterreich anders spricht als der steirische Landeshauptmann und im Bereich des Koralmtunnels und im Bereich des Semmering-Basistunnels völlig unterschiedliche Positionen eingenommen werden.

Das führt schlussendlich dazu, dass es überhaupt keine bundespolitische Richtlinie gibt. Keiner weiß, wohin der Weg in der Infrastruktur-, in der Verkehrspolitik, in der Baukultur, in der Bauwirtschaft gehen soll. Es kann nicht Aufgabe eines Ministeriums sein, so unkoordiniert vorzugehen. Ich bewundere Sie, Frau Bundesministerin Schmied, dass Sie hier sitzen. Sie sind die einzige Ministerin, die diese Aufgabe wahr­nimmt. Aber es muss auch möglich sein, koordinierend zwischen diesen Bereichen vorzugehen.

Ein weiterer Punkt ist der Rückzug aus der politischen Verantwortlichkeit im Bereich der Autobahnen und Schnellstraßen. Wir erleben da bei der ASFINAG eine Kom­petenz­abtretung – wir lagern aus und lagern aus. Die Kompetenzen werden vom Bund weggebracht, zahlen muss aber trotzdem der Bund. Wir sind mittlerweile bei einer extremen Verschuldung der ASFINAG im Bereich von etwa 10 Milliarden € angelangt, und das ist sicher nicht das Gelbe vom Ei.

Ich komme noch ganz kurz auf die Probleme bei der Zersiedelung Österreichs zu sprechen und möchte einige Beispiele dafür bringen. Die Ursache für diese Zersie­delung ist eine völlig falsch gesteuerte Wohnbauförderung, die ja eigentlich der Motor für diese Zersiedelung ist, und das ist natürlich auch ein Problem, das dazu führt, dass wir tagtäglich 21 Hektar an Boden verlieren. 21 Hektar täglich – man kann sich das gar nicht vorstellen –, das sind also in Summe 7 700 Hektar pro Jahr, umgerechnet eine Fläche im Ausmaß der Stadt St. Pölten. Das heißt, jedes Jahr verlieren wir durch Zersiedelung eine Fläche in der Größenordnung der Stadt St. Pölten. Und das ist ein


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Beispiel dafür, dass die Wohnbauförderung und die Planung, die politische Planung in diesem Bereich überhaupt nicht funktionieren.

Ein großer Problemkreis zeigt sich laut diesem Baukulturreport im Bereich Bedeu­tungs­verlust von Städten, Kernstädten und Dörfern. Das heißt, durch Absiedelung ist ein Riesenverlust an Infrastruktur festzustellen.

In Summe halten wir fest, dass dieser Baukulturreport eine gute Entwicklung ist, die sehr viel dazu beiträgt, Offenheit in diesen Bereich zu bringen. Die Conclusio aller­dings, die Sie daraus ziehen, mit einem Beirat, mit der Installierung einer Koordinie­rungsstelle, ist völlig falsch. Man sollte hergehen und die bereits bestehenden Verant­wortlichkeiten wahrnehmen – es gibt ja Verantwortlichkeiten im Bereich des Bundes­kanzleramtes. Das heißt, die Forderung eines Beirates, die Forderung einer Koordi­nierungsstelle geht in die falsche Richtung, weil es wiederum eine Aufblähung von Apparaten wäre, zusätzliche Stellen zu schaffen, zusätzliche Kosten zu schaffen. Das ist nicht der richtige Schluss daraus! – Der richtige Schluss wäre, das Bundes­kanzleramt für diese Aufgaben verantwortlich zu machen und möglicherweise irgendwo bei Staatssekretären einzusparen und vielleicht irgendwann wieder ein Bautenminis­terium zu schaffen, um eine zentrale Anlaufstelle für diese Riesenthematik zu haben.

Die Freiheitliche Partei bringt deshalb folgenden Antrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dipl.-Ing. Klement, Kickl, Dr. Kurzmann, Kolleginnen und Kollegen betreffend Koordination des österreichischen Bundeskanzlers in Sachen Baukultur

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Der Bundeskanzler wird aufgefordert, in Sachen Baukultur koordinierend zwischen den teilzuständigen Bundesministerien im Sinne einer modernen, zukunftsorientierten und nachhaltigen Baukultur-Politik tätig zu werden.“

*****

Ich schließe mich dem Dank an die Autoren dieses Baukulturreports an. Es ist sicher eine ausgezeichnete Leistung gewesen, die hier vollbracht worden ist, und ich hoffe, dass wir in diesem Sinne weiterarbeiten werden. Ihren Schlüssen, Frau Kollegin Muttonen, ist natürlich auch zuzustimmen, dass wir diesen Baukulturreport brauchen. Ich hoffe auch sehr, dass er in dieser Güte und in dieser Qualität in den nächsten Jahren wieder erstellt werden wird und dass wir in vier Jahren wieder einen derart guten Bericht haben werden. (Beifall bei der FPÖ.)

14.41


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Der Entschließungsantrag des Kollegen Klement ist ausreichend unterstützt, ordnungsgemäß eingebracht und steht daher mit in Verhandlung.

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten DI Klement, Kickl, Dr. Kurzmann und weiterer Abgeordneter betref­fend Koordination des österreichischen Bundeskanzlers in Sachen Baukultur


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eingebracht im Zuge der Debatte über den Baukulturreport 2006 in der 38. Sitzung des Nationalrates am 8. November 2007

Der vor drei Jahren von allen Parteien gemeinsam durch eine Entschließung in Auftrag gegeben Baukulturreport 2006 stellt eine breite Querschnittsmaterie österreichischer Baukultur dar und kommt zu mannigfaltigen Empfehlungen, bzw. erhebt verschie­dens­te Forderungen, um den Anforderungen einer modernen, zukunftsorientierten Bau­kultur einen Weg zu bereiten.

Eine der zentralen Forderungen aus diesem Baukulturreport 2006 ist die „Einrichtung einer interministeriellen Koordinationsstelle für Baukultur als Ansprechstelle für alle baukulturrelevanten Anliegen sowie als Voraussetzung für eine ressortübergreifende Architekturpolitik“, die daraus resultiert, daß – wie erwähnt – Baukultur eine breite Querschnittsmaterie durch Zuständigkeiten verschiedener Bundesministerien darstellt.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Der Bundeskanzler wird aufgefordert, in Sachen Baukultur koordinierend zwischen den teilzuständigen Bundesministerien im Sinne einer modernen, zukunftsorientierten und nachhaltigen Baukultur-Politik tätig zu werden.“

*****

 


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Als nächster Redner zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Schalle. – Bitte.

 


14.41.20

Abgeordneter Veit Schalle (BZÖ): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Frau Staatssekretärin! Meine Damen und Herren! Dem Baukulturreport, der heute das Thema ist, kann ich eigentlich sehr viel abgewinnen. Er stellt eine fundierte, umfassende Grundlage dar, auf der man aufbauen kann. Ein derartiges Werk hat es bis jetzt noch nicht gegeben, und der Report ist während der Zeit unserer Regie­rungsbeteiligung in Auftrag gegeben worden. Verwundert bin ich ein bisschen über die Wirtschaftskammer: Die hat sich hier eigentlich überhaupt nicht eingebracht. Das zeigt wieder einmal, dass ich mit meiner Ansicht recht habe, dass die für nicht viel zu gebrauchen ist. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten von BZÖ und FPÖ, Heiterkeit bei Abgeordneten der SPÖ sowie Zwischenrufe bei Abgeordneten der ÖVP.)

Die Thematik ist komplex, da es sich bei der Baukultur um eine Querschnittsmaterie handelt – das haben wir heute schon gehört –, die meiner Meinung nach schon viel früher hätte diskutiert werden können. Hier sind nicht nur Sie, sehr geehrte Frau Minister, gefordert, sondern alle Ressorts sollten den Baukulturreport bekommen, von Minister Bartenstein angefangen, aber auch Faymann und Pröll – Faymann vor allem deshalb, weil er doch das meiste Geld dafür ausgibt –, aber auch die Länder, Städte und Gemeinden gehören hier mit einbezogen.

Ich bin schon ganz neugierig, meine sehr geehrten Damen und Herren, welche Maß­nahmen die ÖVP und die SPÖ aus diesem Report und den darin formulierten Forderungen umsetzen werden. Hier gibt es eine Fülle von Punkten, die für das Land und die Bevölkerung ganz wichtig sind, wie wir ja heute schon gehört haben – ich will Sie nicht langweilen und nicht noch einmal alle Punkte aufzählen.


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Ein Punkt liegt sicher in der Zersplitterung der Kompetenzen: Baurecht, Bauordnung, Raumordnung liegen bei den Ländern. Aber bei einer Zweidrittelmehrheit müsste es doch möglich sein, das zu ändern, denn so einfache Dinge wie zum Beispiel die technische Bauordnung könnten doch wirklich in allen Bundesländern gleich sein.

Wenn wir uns die Gestaltung der Baukultur international anschauen, dann fällt auf, dass sich Länder wie beispielsweise Finnland, Holland, Dänemark viel umfangreicher mit dem Thema Baukultur befassen und diese sogar in der Verfassung festgeschrieben und verankert haben. Natürlich, wir haben kein eigenes Bautenministerium, deshalb sind wir auf europäischer Ebene auch gar nicht verankert. Wichtige Informationen werden nicht abgerufen, da sich gleichzeitig alle und niemand dafür zuständig fühlen.

Außerdem: Ein ganz wichtiger Punkt – ich habe das auch schon im Ausschuss angesprochen –, der mich nachdenklich stimmt, sind die geringen Mittel, die für Forschung und Entwicklung im Bereich des Bauens investiert werden, nämlich nur 0,2 Prozent des BIP. Da muss man in Zukunft ganz sicher mehr investieren.

Zur nachhaltigen Ökologisierung darf ich nur einen Appell an den zuständigen Bundes­minister Bartenstein richten: Er soll seine BIG beauftragen – er hat dort immerhin 5 000 Gebäude, die er umweltmäßig auf den letzten Stand der Technik bringen sollte. Dort wäre es ganz wichtig, die thermische Sanierung umzusetzen oder, wie es zum Beispiel Kärnten vorzeigt, Solarenergie und Photovoltaik einzusetzen.

Im Klimafonds gibt es, wie ich meine, genug Geld, denn bis jetzt ist noch kein einziges Projekt im Klimafonds gestartet worden – ich habe zumindest noch nichts davon gehört, außer dass es zwei Geschäftsführer und einen Sonderbeauftragten gibt, aber passiert ist eigentlich überhaupt noch nichts. Dies würde der Wirtschaft wahnsinnig viel bringen und würde auch viel CO2 einsparen.

Doch zur Kultur gehört auch die Landschaft, die wir schützen sollen – und nicht verbauen und verschandeln. Die zunehmende Zersiedelung der Landschaft, die heute auch schon angesprochen wurde, mit den hohen Infrastrukturkosten für Straße, Land, Kanal, aber auch Strom wird zunehmend ein Problem.

Was mir aber ganz besonders auffällt, wenn ich durch die Länder fahre, und speziell hier im Raum Wien: Ganz egal, von wo Sie nach Wien kommen, ob von Süden, von Westen oder von Norden: Sie fahren in eine Kulturstadt Wien – und man sieht nur hässliche Wände! Da sollte man sich wirklich an den Schweden ein Beispiel nehmen. Dort gibt es einen ästhetischen Paragraphen, der dafür sorgt, dass die Qualität für die Landschaft, für die Schiene und für die Autobahnen, und gerade was die Lärm­schutz­wände betrifft, Vorbildwirkung hat. Ich weiß schon, die fürchterlichen Lärmschutzwände bekommt man nicht weg, aber vielleicht kann man sie doch zusätzlich nutzen mit Solar- oder Photovoltaikanlagen. Das sollte man sicher prüfen.

Ziel der Baukulturpolitik muss es sein, eine zeitgemäße, qualitativ hochwertige Archi­tektur optimal zu fördern.

Abschließend: Der Kulturreport beinhaltet so viele Aufgaben, dass ich nur an die Damen und Herren Bundesminister appellieren kann, über ihre Grenzen hinaus Lösun­gen für das Land zu erarbeiten. Aber was mir ganz wichtig ist: Nicht wieder einen Ausschuss und nicht wieder einen Beauftragten einsetzen, sondern auch Maßnahmen umsetzen! – Danke. (Beifall beim BZÖ.)

14.47


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Als Nächste gelangt nun Frau Bundes­ministerin Schmied zu Wort. – Bitte, Frau Ministerin.

 



Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 129

14.47.29

Bundesministerin für Unterricht, Kunst und Kultur Dr. Claudia Schmied: Frau Präsidentin! Hohes Haus! Sehr geehrte Abgeordnete! Auch mein Dank gilt in erster Linie den 54 Autorinnen und Autoren, die den Baukulturbericht verfasst haben. Meine Anerkennung gilt auch ganz besonders Ihnen, Herr Abgeordneter Morak, der Sie diesen Bericht initiiert haben. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Abgeordneten der SPÖ.)

Ich bekenne mich zur Wichtigkeit der Baukultur, und für mich ist der Baukulturreport eine ganz wichtige Grundlage einer faktenbasierten Politik. Es geht jetzt aus meiner Sicht in erster Linie auch um das, was Sie gesagt haben, Herr Abgeordneter Schalle, nämlich um Umsetzung in jedem einzelnen Verantwortungsbereich. In diesem Sinn darf ich Sie darüber informieren, dass ich in meinem unmittelbaren Kompetenzbereich aus dem Baukulturreport schon sehr viele Anregungen gewinnen konnte und auch schon konkrete Schritte gesetzt habe.

Erstens im Bereich Architekturvermittlung, mit einem auch speziellen Ausbildungs­programm an den Pädagogischen Hochschulen, Stipendienprogrammen vor allem für junge Architekten und junge Architektinnen.

Es ist mir aber auch Architektur im Schulbau ein großes Anliegen, gerade auch im Zusammenhang mit der Tagesbetreuung, wo Schulraum auch ein ganz, ganz wesent­licher Faktor wird, wenn wir Schule verstärkt auch als Lebensraum wahrnehmen. Hier ist auch unsere Zusammenarbeit mit der BIG gefordert, um da neue Akzente zu setzen.

Ich unterstreiche es, wenn wir zu dem Schluss kommen, dass der Baukulturreport regelmäßig erscheinen soll, und auch mir erscheint hier ein Zyklus, eine Phase von fünf Jahren als sehr gut und angemessen. Seitens meines Ressorts wird es jetzt jedenfalls – und das ist auch ein neuer Impuls und Akzent – alle zwei Jahre ein Architekturjahrbuch geben, wo wir vor allem auch all die Preise, die es schon im Bereich Baukultur und Architektur gibt, dann publizieren wollen und auf diese Art und Weise auch einen wesentlichen Teil der Öffentlichkeitsarbeit leisten wollen.

Öffentlichkeitsarbeit ist ein weiteres Stichwort, wo ich ganz stark auf Ihre Mitwirkung hoffe. Die Thematik Baukultur ist eine sehr vielschichtige. Ministerien, Länder, Städte, Gemeinden, private Bauträger sind gefordert, und hier liegt es an jedem Einzelnen von uns, Verantwortung zu übernehmen, Verantwortung zu tragen, aber auch in der Öffent­lichkeitsarbeit wirksam zu sein. Und da hoffe ich ganz stark auf Ihre Unterstützung.

Die Initiative, einen Beirat im Verantwortungsbereich des Bundeskanzleramtes einzu­richten, sehe ich als eine sehr notwendige und hilfreiche Maßnahme, da es auch darum geht, aus dem Expertenbericht jetzt entsprechende Schlussfolgerungen zu ziehen, denn neben der direkten Umsetzung, die in der Verantwortung der Ressorts liegt, geht es auch darum, den Expertenbericht einer großen politischen Bewertung zu unterziehen. Wenn wir Themen wie Raumordnung oder Bauordnung ansprechen, dann geht das schon sehr stark auch in die Größenordnung eines Bauplanes der Republik, und da geht es um Verantwortungsebenen, Verantwortungsbereiche der unterschied­lichen Gebietskörperschaften. – Vielen Dank. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

14.51


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Zu einer tatsächlichen Berichtigung hat sich Herr Abgeordneter Dr. Zinggl zu Wort gemeldet. Sie kennen die gesetzlichen Bestimmungen. – Bitte, Herr Abgeordneter.

 



Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 130

14.51.33

Abgeordneter Mag. Dr. Wolfgang Zinggl (Grüne): Die Frau Ministerin hat sich bei Franz Morak dafür bedankt, dass er als Staatssekretär diesen Baukulturreport initiiert habe. – Das ist falsch!

Dieser Report wurde vom Nationalrat beschlossen, und zwar im März 2005. (Beifall bei den Grünen. – Zwischenrufe bei der ÖVP.)

14.51


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Mag. Becher. 4 Minuten freiwillige Redezeitbeschränkung. – Bitte, Frau Abgeordnete.

 


14.52.00

Abgeordnete Mag. Ruth Becher (SPÖ): Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Frau Staats­sekretärin! Ich möchte auch sehr herzlich Vertreter der Berufsfeuerwehr Graz auf der Galerie begrüßen, die unserer Debatte heute beiwohnen. (Allgemeiner Beifall.)

Im Ausschuss hat mir von Volker Dienst, der Geschäftsführer der ARGE Baukultur­report ist, ein Satz sehr gut gefallen. Er hat nämlich gesagt: Bei der Baukultur geht es darum, wie Österreich zukünftig aussehen wird, und deshalb braucht es eine enga­gierte Architekturpolitik, um sich den Herausforderungen der Zukunft stellen zu können.

Genau darum geht es, und die Voraussetzung für zukunftsorientiertes Bauen ist natürlich auch die Bereitstellung von entsprechenden Mitteln, und da meine ich die Wohnbauförderung. Das ist von einem meiner Vorredner schon erwähnt worden. Aber ich habe auch im Bericht eine sehr positive Stellungnahme zur Wohnbauförderung gefunden. Da drinnen steht, dass die Wohnbauförderung ein leistungsfähiges Instru­ment zur Umsetzung wirtschaftlicher, sozialer, ökologischer und – mit Einschränkung – auch raumordnerischer Ziele und ein nicht mehr wegzudenkender Grundpfeiler ist.

Die Experten haben das ja sehr umfassend und genau aufgearbeitet und sich für eine Beibehaltung der Wohnbauförderung ausgesprochen. Mir ist es sehr wichtig, das zu erwähnen, denn das war nicht immer so. Es steht jetzt auch im Koalitions­überein­kommen drinnen, aber es ist ja früher auch von einem Wegfallen der Wohnbau­förderung gesprochen worden.

Was wir hingegen brauchen, ist eine Aufstockung der Mittel. Und da gibt es Unter­suchungen vom Wifo, von der Arbeiterkammer, die genau sagen, dass wir für ein zukunftsorientiertes Bauen mehr an Wohnbauförderungsmitteln brauchen.

Ich mache es möglichst kurz: Hauptverantwortlich für diese Mittel ist auch der Finanz­minister. Es ist schon gesagt worden: Es ist Querschnittsmaterie, und wir brauchen mehrere Minister in dieser Diskussion. Und ich möchte meine Ausführungen mit einem Satz von Max Weber beenden, der gesagt hat: Politik ist das Bohren harter Bretter. Damit haben wir begonnen mit diesem Baukulturreport. Diese Diskussion wird nicht enden, es ist erst der Anfang, und ich denke, dass mit der Installierung dieser Exper­ten­gruppe beim Bundeskanzleramt auch eine engagierte Diskussion stattfinden wird. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten der ÖVP.)

14.54


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Dr. Sonnberger. 5 Minuten freiwillige Redezeitbeschränkung. – Bitte, Herr Abgeordneter.

 


14.54.52

Abgeordneter Dr. Peter Sonnberger (ÖVP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Staatssekretärin! Hohes Haus! Ich möchte auch mit einem Dank beginnen, und zwar


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mit dem Dank an die Autoren, an die Verantwortlichen, die den Baukulturreport erstellt haben. Es ist ein ausgezeichnetes, fundiertes Werk und gilt als Chance für einen Neu­beginn einer Architekturdiskussion in Österreich.

Da wir alle wissen, dass Papier geduldig ist: Wir müssen dieses Papier auch mit Leben erfüllen. Es ist Auftrag nicht nur für gewisse Minister, sondern für uns alle, für konkrete Umsetzungsmaßnahmen auf allen politischen Ebenen zu sorgen.

Baukultur ist eine Querschnittsmaterie und betrifft die verschiedensten politischen Belange. Für mich ist auch wichtig – und ich möchte das hier ausdrücklich klarstellen –, dass die Wohnbauförderung in den nächsten Jahren über den Finanzausgleich abge­sichert ist. 1,78 Milliarden € sind es, zwar leider nicht wertgesichert, aber hier auch ein Appell an die Länder, die Rückflüsse verstärkt wieder in den Wohnbau zu investieren.

Baukultur und Architektur hinterlassen mehr oder weniger Spuren für die nächsten Generationen. Verantwortungsträger, die über Bauten entscheiden, wie Bürgermeister und Baureferenten, sollen sich mit diesen Materien, Baukultur und Architekturqualität, verstärkt auseinandersetzen.

Es geht auch um Maßnahmen zur Stärkung des öffentlichen Bewusstseins für die Bedeutung zeitgenössischer Architektur und Baukultur. Wir haben Architekturzentren, und Ziel ist es, das Prinzip Baukultur auf allen politischen Ebenen zu verankern. Die Architekturdiskussion muss auch auf Gemeindeebene stattfinden. Es geht natürlich dabei vor allem um konkrete Maßnahmen, und ich darf hier auf zahlreiche Gestaltungs­beiräte verweisen.

Ich bin überzeugt davon, dass zum Beispiel in der Landeshauptstadt Linz die Architek­turqualität durch die Installierung eines Gestaltungsbeirates wesentlich gestiegen ist. Ich war selbst mehr als 40 Tage in diesem Gremium, und ich glaube, dass sich in der Stadt Linz das Bewusstsein für Architekturpolitik verbessert hat.

Ich darf mit einem schlagwortartigen Forderungskatalog fortsetzen:

Es geht um die Ökologisierung des Bauens. Das ist ein Gebot der Stunde im Bereich der Wohnbauförderung und im Bereich der Bauordnungen. Ökologisch bauen und quali­tativ hochwertige Architektur sind kein Widerspruch, aber hier muss man sich bemühen. Nicht die Bau- und Errichtungskosten, sondern die Lebenszykluskosten sind entscheidend.

Wichtig ist auch die Erhöhung der Bauforschungsquote. Da haben wir in Österreich mit 0,2 Prozent ein enormes Defizit; da ist Handlungsbedarf gegeben.

Wir sollen weiters die Gestaltungsbeiräte forcieren, die Architekten sozusagen als Exportchancen sehen und Architektur als Exportartikel nutzen. Ich glaube, hier gibt es sehr, sehr gute, international anerkannte Architekten.

Es geht auch um eine Verbesserung der rechtlichen und fiskalischen Bedingungen, und es geht um eine Verbesserung der Wettbewerbskultur.

Lassen Sie mich schließen mit einigen Bemerkungen zur BIG. Die Bundesimmobilien­gesellschaft hat im Jahr 2007 ein Investitionsvolumen von 200 Millionen €. Ich glaube, besonders hervorgehoben werden muss die offene Wettbewerbssituation. Die BIG veranstaltet sehr viele offene Wettbewerbe. Das trägt dazu bei, dass die Qualität gesteigert werden kann, dass im Bereich der Funktionalität, im Bereich der Ökologie, aber auch im Bereich der Ökonomie durchaus brauchbare Ergebnisse erzielt werden.

Die BIG hat auch einen Architekturbeirat geschaffen. Auch das wird zu einer Qualitäts­anhebung führen. Und der BIG ist auch die Beachtung der Lebenszykluskosten


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wichtig, denn es kann nicht sein, dass wir Gebäude auf 20, 30, 40 Jahre errichten und dann wieder wegreißen.

Wichtig ist auch, dass gleiche Bedingungen für die BIG und andere, private Bauträger gegeben sind, um die Wettbewerbsfähigkeit aufrechterhalten zu können. Und die BIG – und damit möchte ich schließen  ist ein Muster-Contractor. Energieeffizienz­maß­nahmen werden mit den Schwerpunkten Steuerung und Haustechnik gesetzt, derzeit in einem Bereich von 2,2 Millionen Quadratmetern Nutzfläche oder, anders ausgedrückt, bei 300 Objekten, wobei hier der Schwerpunkt auf Schulen und Universitäten gelegt wird. Hier kann eine Energieeinsparung von zirka 20 Prozent erzielt werden.

Es lohnt sich, dass wir diese Diskussion über Baukultur fortsetzen und möglichst ver­suchen, in der täglichen Arbeit konkrete, positive Maßnahmen für mehr Architektur­qualität zu unterstützen. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

14.59


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Ich unterbreche nunmehr die Verhand­lung über diesen Tagesordnungspunkt, damit die verlangte Behandlung einer Dring­lichen Anfrage gemäß der Geschäftsordnung um 15 Uhr stattfinden kann.

15.00.17Dringliche Anfrage

der Abgeordneten Ing. Peter Westenthaler, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Inneres betreffend türkisch-kurdische Ausschreitungen in Österreich (1906/J)

 


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Wir gelangen zur dringlichen Behand­lung der schriftlichen Anfrage 1906/J.

Da diese inzwischen allen Abgeordneten zugegangen ist, erübrigt sich eine Verlesung durch den Schriftführer.

Die Dringliche Anfrage hat folgenden Wortlaut:

Türken und Kurden tragen zunehmend ihre gewaltsamen Konflikte auch in Österreich aus. So nehmen in den letzten Monaten Straßenschlachten zwischen Türken und Kurden erschreckend zu: In jüngster Zeit kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen in St. Pölten, Salzburg, Linz, Graz und Innsbruck. In Tirol soll sogar von Schusswaffen Gebrauch gemacht worden sein. In Graz wurden unbeteiligte Passanten, darunter die FPÖ-Spitzenkandidatin für die Gemeinderatswahl, Susanne Winter, verprügelt. In Linz fuhren Türken mit zwei Autos in eine Kurdendemonstration.

Insbesondere der letzte Fall einer wahren Straßenschlacht zwischen Türken und Kurden mit 100 Beteiligten und mehreren Schwerverletzten sowie eines Brandan­schlags mit einem Molotow-Cocktail gegen ein türkisches Vereinslokal am vergan­genen Sonntag in Wiesn-Favoriten erschreckte die österreichische Bevölkerung und lässt eine zunehmende Bedrohung für die öffentliche Sicherheit erkennen. Geschäfts­leute mussten ihre Lokale zusperren und verbarrikadieren.

Die Ausschreitungen der Türken und Kurden beschränkten sich jedoch nicht bloß auf die Straße. Im Anschluss an die Auseinandersetzungen versuchte ein Unbekannter im UKH Meidling zu einem Verletzten vorzudringen. Dabei trat er die Tür zur Intensiv­station ein und schlug einen Arzt nieder. Der niedergeschlagene Arzt befindet sich nun selbst in ärztlicher Behandlung. Erst nach dem Angriff gegen den Arzt bezog die WEGA Stellung im Krankenhaus.

Nach einem Artikel des Kurier vom Dienstag dieser Woche seien die ermittelnden Polizisten im Spital von den Verletzten und den sich als Angehörige ausgebenden


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Besuchern auf Fragen nach dem Tathergang zunächst mit den Worten abgewiesen worden, „die Angelegenheit selbst regeln“ zu wollen. Eine derartige offenbar traditions­bedingte Ankündigung der Selbstjustiz müsste für die Polizei ein ernsthaftes Warn­signal darstellen.

In Österreich stehen nach diversen Schätzungen 200 000 Türken (bzw. türkisch­stämmige Österreicher) ungefähr 100 000 Kurden (bzw. kurdischstämmigen Öster­reichern) gegenüber. Die ohnehin angespannte Lage zwischen den beiden Volks­gruppen verschlechtert sich zunehmend durch den drohenden Einmarsch der Türkei in die Kurdengebiete des Nordirak und durch Gerüchte über eine schleichende Vergiftung des PKK-Führers Abdullah Öcalan mit Strontium und Chrom in türkischer Gefangen­schaft. In Österreich rüsten Vertreter beider Konfliktparteien gleichzeitig nicht nur in der verbalen Auseinandersetzung auf: Nach Aussage des Polizei-Oberst Buchegger vom Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung sei die Stimmung zwischen Türken und Kurden aufgeheizt. Es gibt auch Ankündigungen von türkischer wie von kurdischer Seite nurmehr in Gruppen auf die Straße zu gehen.

Erschreckend ist, dass selbst angesichts der massiven Gewaltakte der letzten Zeit z.B. die Wiener Integrationsstadträtin Frauenberger (SPÖ) jegliches Integrationsproblem noch gänzlich leugnet und den Kopf in den Sand steckt. Auch die Polizeiführung ver­sucht laut einigen Hinweisen von Medienberichterstattern in ihrer offiziellen Bekannt­gabe zu den Vorfällen vom Sonntag augenscheinlich zu kalmieren und das Ausmaß der Gewalttätigkeiten bewusst herunterzuspielen: Die Straßenschlacht wurde als Privat­fehde dargestellt, der Brandanschlag ganz verschwiegen.

Dabei war die sonntägliche Straßenschlacht offenbar sogar vorhersehbar. Bereits zwei Stunden vor den Ausschreitungen wurde die Polizei durch einen Passanten von entsprechenden Plänen informiert. Der Polizei konnten sogar drei Autokennzeichen Verdächtiger mitgeteilt werden. Allerdings war die Polizei nicht in der Lage, die Spur der späteren Randalierer aufzunehmen und die Schlachten auf Wiener Straßen zu verhindern. „Momentan tun wir uns ein bisserl schwer“, so der Ermittlungsleiter Michael Mimra von der Kripo Süd. Auch der Brandanschlag war zwar im Internet angekündigt, wurde von der Polizei aber nicht verhindert.

Für kommenden Samstag ist in Wien bereits die nächste „Demonstration“ angemeldet und sollte ursprünglich sogar vom Westbahnhof über die Mariahilfer Straße zur türkischen Botschaft führen. Durch die energischen Proteste des BZÖ am gestrigen Tag konnte dies jedoch verhindert werden. Die Demonstration nimmt nun eine andere Route. In Innsbruck wird am Samstag eine Demonstration von Kurden und Türken unter Beteiligung der Jungsozialisten stattfinden. In Linz wird am kommenden Sonntag eine Demonstration von ca. 8 000 Türken erwartet.

Angesichts der eskalierenden Gewalttaten im Rahmen türkischer bzw. kurdischer Versammlungen stellt sich die Frage, ob sich die Polizei mit einer Überwachung weiterer angekündigter Demonstrationen begnügen darf oder ob es nicht an der Zeit wäre zum Beispiel durch die Untersagung derartiger Versammlungen die Sicherheit der Bürger sicherzustellen und eine erhebliche Beeinträchtigung des öffentlichen Lebens zu unterbinden.

Daher richten die unterzeichnenden Abgeordneten an den Herrn Bundesminister für Inneres nachstehende

Anfrage:

1. Wie stellt sich die Straßenschlacht vom Sonntag zwischen einer kurdisch(stäm­mig)en und einer türkisch(stämmig)en Gruppe in Wien-Favoriten im Hinblick auf die


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beteiligten Personen, ihre Hintermänner und die Hintergründe der offenbar organi­sierten Ausschreitungen nach derzeitigem Wissensstand dar?

2. Wieso konnte die Straßenschlacht trotz des rechtzeitigen und konkreten Hinweises aus der Bevölkerung nicht verhindert werden?

3. In welcher Phase der Auseinandersetzung war die Polizei mit jeweils wie vielen Polizisten vor Ort? Wie war der konkrete Verlauf der Ausschreitung und des Polizei­einsatzes?

4. Wieso konnte der Brandanschlag auf das türkische Kulturzentrum „Atatürk“ in Wien trotz der Ankündigung im Internet nicht verhindert werden?

5. Gibt es weitere Hinweise auf eine vernetzte interne Koordination der Anschläge und Straßenschlachten durch die Konfliktparteien? Sind aufgrund solcher Hinweise in nächster Zeit weitere Straßenschlachten zwischen Türken und Kurden zu befürchten? Wenn es keine konkreten Hinweise gibt: Rechnen Sie aufgrund der deutlich erkenn­baren Eskalation der Lage mit weiteren Straßenschlachten wie in St. Pölten, Salzburg, Linz, Graz, Innsbruck und Wien?

6. Ist es richtig, dass die Polizeiführung versucht, die Ausmaße der Ausschreitungen bewusst herunterzuspielen? Wenn ja, warum? Wenn nein, wieso wurde die Straßen­schlacht als Privatfehde bezeichnet und der Brandanschlag auf das Kulturzentrum von der Polizei in der offiziellen Bekanntgabe gar nicht erwähnt?

7. Wieso tut sich die Polizei „momentan ein bisserl schwer“? Wieso wird die Polizei so häufig von diesen Auseinandersetzungen überrascht?

8. Besteht durch den Konflikt zwischen Türken und Kurden eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und unbeteiligte Bürger? Wenn ja, wie reagieren Sie als für die Sicherheit in Österreich verantwortlicher Innenminister konkret darauf? Wenn nein, wieso kommt es dann Ihrer Ansicht nach derzeit vermehrt zu Szenen wie in St. Pölten, Salzburg, Linz, Graz, Innsbruck und Wien?

9. Wie beurteilen Sie die mehr als blauäugige Aussage der Wiener Integrations­stadträtin Frauenberger (SPÖ), die in den Vorfällen des letzten Wochenendes „kein Integrationsproblem“ sieht?

10. Davon ausgehend, dass Sie nicht in ähnlicher Weise den Kopf in den Sand stecken wollen: Welche konkreten Integrations-Schritte werden Sie setzen, um (auch bei schon eingebürgerten Ausländern) die Einhaltung der österreichischen Rechts- und Grund­ordnung konsequent durchzusetzen und kriegsähnliche Auseinandersetzungen und Selbstjustiz wirksam zu unterbinden?

11. Welche Demonstrationen kurdischer sowie türkischer Gruppen sind für die nächsten Wochen bereits für welche konkreten Termine und Orte angemeldet bzw. mit welchen unangemeldeten Versammlungen rechnen Sie?

12. Ist es richtig, dass in Wien, Innsbruck und Linz schon am kommenden Wochen­ende wieder Großdemonstrationen von Türken oder Kurden jeweils in der Innenstadt angemeldet bzw. angekündigt sind?

13. Wenn ja, wie beurteilen Sie jeweils die Bedrohungslage und werden hier nach den jüngsten Vorkommnissen weitere gewalttätige Ausschreitungen erwartet? Wenn nein, auf welcher Grundlage wurde diese negative Gefahrenprognose erstellt und die deutlichen Hinweise auf zu erwartende Auseinandersetzungen entkräftet?

14. Wäre es im Sinne einer Beruhigung der Konfliktparteien aber auch des Schutzes un-schuldiger Bürger nicht sinnvoller, Versammlungen zu untersagen bzw. sie zumindest bei den ersten Gewaltzeichen umgehend aufzulösen?


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15. Wird die Polizei wenigstens verhindern, dass die höchstwahrscheinlich gewalt­trächtigen Demonstrationen in überfüllten Einkaufsstraßen und Zentren stattfinden? Wenn nein, wie rechtfertigen Sie die dadurch höhere Gefahr für Unbeteiligte?

16. Wie viele Polizisten werden in Linz, Innsbruck und Wien konkret zusätzlich im Ein­satz sein? Wurde die Bereitschaft der Polizei für dieses Wochenende erhöht? Wenn ja, um wie viele Polizisten? Wenn nein, warum nicht?

17. Haben Privatleute oder Händler in Wien, Innsbruck und Linz bereits um polizei­lichen Schutz für sich oder ihre Lokale gebeten? Welchen Schutz kann die Polizei konkret sicherstellen und welche Beeinträchtigung des Geschäftsverkehrs ist zu erwarten?

18. Können Sie den Wienern, Innsbruckern und Linzern – ob Passanten oder Händler – versichern, dass die öffentliche Ordnung am kommenden Wochenende und auch künftig aufrecht erhalten bleibt?

19. Herr Minister, welche regionale Brennpunkte gibt es in Österreich, an denen aufgrund der Wohnsituation eine erhöhte Gefahr für Zusammenstöße zwischen Kurden und Türken besteht, die auch für unbeteiligte Passanten und Anwohner gefährlich werden können? Wo befinden sich diese Brennpunkte und was wird zur Beseitigung der Gefährdungssituation konkret getan?

20. Wie entwickelte sich die Zahl der angemeldeten und der unangemeldeten De­monstrationen, die in irgendeiner Form den Konflikt zwischen Türken und Kurden betreffen, seit Anfang 2006? Bei wie vielen dieser Demonstrationen wurden Straftat­bestände verwirklicht?

21. Wie hoch sind bisher die Kosten für die Polizeieinsätze bei kurdischen bzw. türkischen Demonstrationen im Jahr 2007?

22. Wie hat sich die Gefährdungssituation in Österreich durch Gerüchte über eine schleichende Vergiftung des PKK-Führers Abdullah Öcalan mit Strontium und Chrom in türkischer Gefangenschaft bzw. durch den drohenden Einmarsch der Türkei im kurdisch dominierten Nordirak verändert?

23. Wie viele Kurden bzw. Türken halten sich derzeit mit welchem fremdenrechtlichen Status legal bzw. nach Ihren Schätzungen illegal in Österreich auf?

24. Welche fremdenrechtlichen Konsequenzen werden die Gewalttaten der letzten Zeit für die Täter jeweils haben?

25. Wie beurteilen Sie das Beispiel des italienischen Ministerpräsidenten Prodi, der mittels Erlass die präventive Abschiebung gewaltbereiter rumänischer Staatsbürger ermöglicht?

26. Halten Sie vor dem Hintergrund steigender Kriminalität die vorzeitige Haftentlas­sung insbesondere ausländischer Straftäter durch das Haftentlastungspaket der Justizministerin für das richtige Signal?

In formeller Hinsicht wird verlangt, diese Anfrage gemäß § 93 Abs. 2 GOG-NR dringlich zu behandeln.

*****

 


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Ich erteile Herrn Klubobmann Ing. Wes­tenthaler als erstem Fragesteller zur Begründung der Anfrage, die gemäß § 93 Abs. 5 der Geschäftsordnung 20 Minuten nicht überschreiten darf, das Wort. – Bitte, Herr Klubobmann.

 



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15.00.41

Abgeordneter Ing. Peter Westenthaler (BZÖ): Sehr geehrter Herr Bundesminister! Frau Präsidentin! Wir erachten das Thema, das wir heute dringlich behandeln wollen, als deshalb so brisant, weil es in den letzten Tagen und Wochen zu einer Entwicklung gekommen ist, die die Menschen in diesem Land, vor allem jene, die in den Städten wohnen, massiv beunruhigt und eine Bedrohungslage erzeugt. Die Menschen sind verängstigt, vor allem jene, die die offenen Konflikte zwischen Türken und Kurden in den verschiedenen Städten in Österreich miterleben mussten.

Es gibt eine Zuspitzung der Situation aufgrund des drohenden Einmarsches der Türkei in den Nordirak, um dort Kurdengebiete offensichtlich zu erobern. Nicht nur das. Dazu kommen immer wieder Gerüchte über eine angebliche Vergiftung des PKK-Führers Öcalan in seiner Gefangenschaft. Das Ganze wird zu einem hochexplosiven Cocktail, der sich nicht nur vor Ort auswirkt, sondern mittlerweile auch auf Europa über­geschwappt ist – leider auch auf unser Land übergeschwappt ist.

Wir haben in Österreich eine zunehmende Konfrontationsstellung zwischen Türken und Kurden. Den Hintergrund dazu lieferte interessanterweise heute die Statistik Austria, die den Migrationshintergrund der österreichischen Bevölkerung beleuchtet hat. Wir stehen in Österreich derzeit bei 16,3 Prozent Menschen mit Migrationshintergrund. Und interessant ist, dass genau in den Städten, in denen es jetzt so „tuscht“, der höchste Migrationsanteil ist. In Wien stehen wir derzeit bei 31,4 Prozent Ausländern; in Vorarl­berg sind es 19,5 Prozent, in Salzburg 17,8 Prozent, in Tirol 15,6 Prozent, in Ober­öster­reich 13,1 Prozent, und das geht dann so weiter. (Präsidentin Mag. Prammer übernimmt wieder den Vorsitz.)

Wenn man noch dazu weiß, dass in Österreich rund 200 000 Türken und – geschätzt – 100 000 Kurden leben, kann man sich ungefähr vorstellen, wie stark diese Konfron­tationsstellung, aufgeheizt aufgrund der Situation in der Türkei, im Irak und in den angrenzenden Ländern, für Österreich ist. Daher sind wir aufgerüttelt worden von den Auseinandersetzungen in Österreich. Diese Schlagzeilen: „Türkenkrieg in Österreich“, im „Kurier“: „Randale ohne Ende – gewalttätige Auseinandersetzungen“, bis hin zur „Kronen Zeitung“: „Blutige Massenschlägerei zwischen Kurden und Türken in Wien“, müssen uns aufrütteln, weil wir eines nicht haben wollen: Wir wollen nicht haben, dass Ausländer hier in Österreich, in den Städten, unsere Mitbürger tatsächlich gefährden, aber auch in wirtschaftlicher Hinsicht, wenn Wirtschaftstreibende ihre Geschäfte ver­bar­rikadieren und zusperren müssen. Wir wollen nicht haben, dass solche Aus­einandersetzungen, politische oder ethnische Auseinandersetzungen aus anderen Ländern – in dem Fall aus der Türkei –, auf offener Straße in Österreich ausgetragen werden! Da sind wir massiv dagegen, das lehnen wir ab, und deswegen ist es so wichtig, heute hier eine Dringliche Anfrage zu diesem Thema zu machen. (Beifall beim BZÖ.)

Ich finde es beachtenswert, dass die SPÖ darin überhaupt kein Problem sieht. Sie setzt damit ihre Haltung des Leugnens von Integrationsproblemen fort. – Ich schaue nur einmal kurz nach, nur für das Protokoll (der Redner zählt laut die im Saal anwesenden Abgeordneten der SPÖ): Ungefähr zehn SPÖ-Abgeordnete sind im Saal, wenn es um eines der wichtigsten integrationspolitischen Themen – auch der Stadt Wien, wo die SPÖ regiert, auch der Stadt Linz, wo die SPÖ regiert! – geht, wenn es um eines der wichtigsten Themen geht, um die Sicherheit der dort lebenden Menschen, die aufgrund von Straßenschlachten türkischer und kurdischer Gruppen beeinträchtigt wird. Dass Sie das nicht interessiert und dass Sie lieber in die Kantine einen trinken gehen, das halte ich für einen wirklichen Skandal, meine sehr geehrten Damen und Herren von der SPÖ! (Beifall beim BZÖ.)


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Das zeigt aber nur, wie sehr Sie dieses Problem leugnen und einfach nicht wahrhaben wollen.

Auch die Tageszeitung „Die Presse“ schreibt: „Stellvertreterkrieg in Österreich“. Weiter heißt es, dass die Spannungen zwischen Kurden und Türken auf Europa übergreifen, mit Demonstrationen und auch Gewalt in Österreich, in unseren Städten, und dass eine weitere Eskalation droht. – Das muss man wissen. Das muss man auch für die nächsten Tage und Wochen wissen, wo weitere Demonstrationen angesagt sind, Massendemonstrationen!

Ich zitiere aus der „Presse“: „Weitere Eskalation droht. Eine Verschärfung der Span­nungen befürchtet auch Ender Karadas, Sprecher der Kurden in Österreich. Die Situation zwischen Türken und Kurden sei sehr gereizt.“

Ender Karadas weiter: „Letztlich hänge aber alles von der weiteren politischen Entwicklung in der Türkei ab. ,Wenn es zu einem Einmarsch in den Nordirak kommt‘“, so Karadas wörtlich, „,kann ich mir gar nicht vorstellen, was dann in Europa passieren könnte.‘“ – Zitatende.

Das ist eine offene, unverhohlene Drohung dahin gehend, was alles hier passieren könnte, wenn es tatsächlich zu diesem Einmarsch oder zu anderen Ereignissen kommt, die eben einer der beiden Gruppen weiter aufheizt!

Daher warnen wir Sie, Herr Minister Pröll, und auch die ÖVP, vor einem Leugnen, einem Wegsehen – wie es jetzt die SPÖ zum Beispiel macht – bei diesen Problemen, und daher haben wir Ihnen heute einen umfangreichen Fragenkatalog ... (Abg. Mag. Kukacka: Wir schauen nicht weg! Wir haben das voll im Griff!) – Das glaube ich nicht, dass Sie das im Griff haben, Herr Kukacka! Wissen Sie, warum? – Die Polizei hat auch bei den Straßenschlachten in Favoriten geglaubt, sie hat es im Griff. (Bundesminister Dipl.-Ing. Pröll: Hat sie eh gehabt!) Nein, hat sie nicht, sonst hätte es nicht fünf Schwerverletzte gegeben, Herr Minister Pröll, wovon drei im Spital liegen. Dann hätte die Polizei auch die Warnungen, die zwei Stunden vor dieser Straßen­schlacht eingegangen sind, ernst genommen. Es wurde angerufen. Es hat zwei Stunden vor der Auseinandersetzung eine Warnung gegeben. Es wurden Autokenn­zeichen der Anführer durchgegeben, aber die Polizei hat das Ganze nicht ernst genommen. Das ist die Wahrheit!

Das heißt: Es wird nicht ernst genommen. Und es wurde bis gestern auch nicht ernst genommen, dass am Samstag eine Großdemonstration auf der Wiener Mariahilfer Straße hätte stattfinden sollen. Wir haben das gestern hier thematisiert, und siehe da: Am Nachmittag hat es ein Gespräch gegeben, und sie findet eben nicht auf der Mariahilfer Straße statt! – Das haben wir erreicht. Das ist ein Erfolg des BZÖ, weil wir darauf aufmerksam gemacht haben, Herr Kollege Kukacka. (Beifall beim BZÖ. – Abg. Mag. Kukacka: ... erlassen, nicht Sie!)

Ich weiß nicht, warum Sie so locker hier herinnen sitzen: Auseinandersetzungen in St. Pölten, in Salzburg, in Linz, überall Verletzte, in Graz, in Innsbruck, in Vorarlberg und zuletzt auch in Wien, eben in Favoriten – das muss Sie ja wachrütteln! Da können Sie nicht wegschauen und sagen: Das geht uns nichts an, wir haben ohnehin alles im Griff! (Abg. Mag. Kukacka: Sagen Sie etwas zur Türkei und zur EU auch?) Ich sage Ihnen dann schon, was wir machen sollten, wir haben auch Vorschläge. Es ist nicht so, dass wir nur kritisieren, wir haben auch Vorschläge.

Wegzuschauen und zu behaupten – das ist ja das Beste! –, wie die Polizeiführung das tut, die das herunterspielt und sagt: Wir wissen ja gar nicht, ob das überhaupt politisch-ethnische Auseinandersetzungen sind. Vielleicht sind ein paar B’soffene unterwegs gewesen, oder vielleicht sind es Familienfehden. – Die Beteiligten selbst aber setzen,


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wie ich Ihnen heute zitiert habe, der Kurden-Sprecher etwa, sehr wohl die Situation in der Türkei und den Kurdengebieten des Irak in Zusammenhang mit den gewalttätigen Auseinandersetzungen in den Städten. Daher haben Sie auch die Pflicht, hier im Hohen Haus darüber nachzudenken, wie wir dem begegnen können – zum Schutz unserer Bevölkerung, unserer Mitbürger. (Beifall beim BZÖ.)

Herr Kollege Kukacka, jetzt kann man es sich nicht so leicht machen. Wissen Sie, was passiert ist? – Brandanschläge zwischen türkischen Vereinslokalen! Ist es lustig, wenn Molotow-Cocktails fliegen?

Oder was sagen Sie dazu, dass einer, der an dieser Straßenschlacht in Favoriten teilgenommen hat, ins Unfallkrankenhaus Meidling eingedrungen ist, dort einen Arzt niedergeschlagen hat, die Tür zur Intensivstation mit dem Fuß eingetreten hat und dort einem der Messerstecheropfer an die Gurgel wollte? Das hat man gerade noch abwenden können. Polizei war in diesem Krankenhaus bis zu dem Zeitpunkt keine! Die war im Nachhinein dort, weil die Polizeiführung noch immer glaubt, es handelt sich hier nicht ... (Bundesminister Dipl.-Ing. Pröll: Machen Sie die Polizei nicht schlecht!)

Ich mache die Polizei nicht schlecht! Die Polizeibeamten auf der Straße müssen ja das ausbaden, was Sie tun. Aber die Polizeiführung und Sie nehmen das Problem nicht ernst, und darauf weisen wir hin, Herr Minister Pröll. Sie haben das Problem ernst zu nehmen (Beifall beim BZÖ), denn das ist eine Bedrohung für die öffentliche Sicherheit, es wurden Unbeteiligte verletzt. Ich darf durchaus dazusagen, auch eine Politikerin, nämlich die Kandidatin der FPÖ Graz; auch die wurde in Auseinandersetzungen verwickelt, wurde attackiert. Das hat es auch gegeben. Also das, was hier stattfindet, ist nicht erfunden von uns, sondern existiert.

Geschäftsleute – Ihre Klientel, wo Sie immer sagen, dass Sie sie schützen – müssen ihre Geschäfte verbarrikadieren, wenn ihnen gesagt wird, es kommt eine Demonstra­tion, zusperren! Sie können sich vorstellen, welchen wirtschaftlichen Schaden das auch mit sich bringt.

Das Amt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung sagt: Jawohl, die Stim­mung ist aufgeheizt, das muss man ernst nehmen. – Das sagt das Amt für Terroris­musbekämpfung!

Wir haben jetzt bereits weitere Ankündigungen im Internet, aber nicht nur im Internet, ganz öffentlich, auch in den Zeitungen, von weiteren Gruppenbildungen beider Seiten. Ich nehme da niemanden in Schutz, und ich diskutiere mit Ihnen auch heute nicht den Konflikt im Irak oder in der Türkei, das ist ein anderes Thema, sondern uns geht es allein um die Sicherheit der hier lebenden Menschen, die es sich nicht verdient haben, hier in Mitleidenschaft gezogen zu werden durch gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Türken und Kurden auf offener Straße in unseren Städten, meine sehr geehrten Damen und Herren. (Beifall beim BZÖ.)

Es gibt im Internet Racheaufrufe, Schlachtrufe von beiden Seiten für kommende De­monstrationen. Und dann kommt auf einmal die Wiener Integrationsstadträtin Frauenberger – auch SPÖ, die heute an der Diskussion nicht teilnimmt – und sagt, es gibt in Wien keine Integrationsprobleme. Da schlagen sich Hunderte von Türken und Kurden in Favoriten die Schädeln ein (Bundesminister Dipl.-Ing. Pröll: Geh, „Hun­derte“?!) – 100 waren es genau, sagt Ihr Innenminister (Ruf: „Hunderte!), also sind es 100; das habe ich auch gesagt –, und Sie sehen darin kein Integrationsproblem. Das ist etwas, was ich nicht verstehe, wo ich einfach nur den Kopf schütteln kann, weil es eben auch, wie gesagt, Teile der politischen und auch der Polizeiführung sind, die diesbezüglich den Kopf in den Sand stecken. Die betrifft es ja nicht, die stehen ja nicht auf der Straße. Auf der Straße, an der Front stehen die armen kleinen Polizeibeamten,


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die beworfen, die attackiert werden, die das ausbaden müssen, wo Sie wegschauen. Das ist eigentlich die Kritik, die wir an dieser Situation üben, Herr Minister Pröll.

Das heißt, wir wollen hier für Sicherheit sorgen – Sie haben auch die Verpflichtung, für Sicherheit zu sorgen. Auch interessant, das müssen Sie sich vorstellen: Der Leiter der Kripo Süd, Michael Mimra, sagt wortwörtlich auf die Frage „Was ist da los?“: Wir wissen es nicht. Momentan tun wir uns ein bissel schwer. – Das kann doch bitte nicht die Antwort einer Polizeiführung sein: Momentan tun wir uns ein bissel schwer!

Es werden weitere Brandanschläge im Internet angekündigt – es wird nichts getan. Ich bin wirklich der Meinung, dass das kommende Wochenende tatsächlich eine mögliche weitere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit mit sich bringt. Es ist in Wien eine Großdemonstration angekündigt; Gott sei Dank wurde von uns abgewendet, dass sie durch die Mariahilfer Straße geht, aber sie findet statt. Es gibt bereits auch politische Ankündigungen. Auch hier hören wir, dass Teile der Favoritner Straßenschlacht daran teilnehmen werden, um sich anzusehen, ob von der anderen Seite wer dort ist. Das ist alles hochexplosiv, Herr Minister Pröll!

Auch in Innsbruck gibt es eine Demo am Samstag. In dieser Situation – da frage ich mich schon, wie verantwortungsvoll eigentlich die SPÖ ist – der aufgeheizten Stim­mung rufen die Jungsozialisten in Innsbruck zu einer gemeinsamen Demo auf. Das muss man sich einmal vorstellen, wie sensibel die sind! Unglaublich: Da gibt es Auseinandersetzungen, eine politisch zugespitzte Situation, und die Junge SPÖ in Tirol und Innsbruck – ein Kandidat für die Landtagswahl, höre ich – ruft auf zu einer De­monstration von Kurden und Türken. Da sollen gleich alle gemeinsam hinkommen. Vielleicht meint er es ja gut, aber es ist doch völlig verantwortungslos und gegenüber der Sicherheit der Menschen einfach nicht akzeptabel, dass auch die SPÖ noch zu solchen Aktionen aufruft, wo es dann knallt, wo es dann „tuscht“ und wo die Fetzen fliegen. Das ist verantwortungslos! Pfeifen Sie Ihre Jusos in Tirol zurück! Die sollen diese Demonstration absagen, damit wäre allen gedient, und das wäre auch besser für die öffentliche Sicherheit. (Beifall beim BZÖ.)

Herr Minister! In Linz ist für Sonntag eine Demonstration angemeldet, bei der 8 000 Türken erwartet werden. 8 000! – Sie wissen, was in Linz bei der letzten der­arti­gen Demonstration passiert ist: Es ist mutwillig ein Auto in die Masse der Demonstran­ten hineingefahren worden und hat Menschen verletzt. Vielleicht ist das etwas Geringes, ist das nicht so interessant (Bundesminister Dipl.-Ing. Pröll: Nein, nein!), aber um Gottes willen, Herr Minister, wissen Sie, was passiert, wenn dort der zündende Funke überspringt, wenn man, wie es der Kurdensprecher auch ankündigt, vielleicht noch ein bisschen weiter geht im Irak, wenn sich tatsächlich die Lage politisch weiter zuspitzt?! Dann kommt es wahrscheinlich zur nächsten offenen Straßenschlacht mit verletzten Demonstranten, vielleicht auch mit verletzten Bürgern, wo dann – gnade Gott! – vielleicht nicht nur mit Messern und Molotow-Cocktails vorgegangen wird, sondern auch mit Schusswaffen, die sich bei dem einen oder anderen Demonstranten finden und auch schon sichergestellt worden sind.

Das ist wirklich eine Sache, die man sich genau anschauen soll, eine massive Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Daher verlangen wir von Innenminister Platter – Sie sind ja nicht zuständig, Herr Minister Pröll; wir sind trotzdem dankbar, dass Sie hier sind und unsere Fragen beantworten –, dass er von seinem Recht Gebrauch macht! In § 6 Versammlungsgesetz steht: „Versammlungen, deren Zweck den Strafgesetzen zuwiderläuft oder deren Abhaltung die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährdet, sind von der Behörde zu untersagen.“ – Na, bitte, wann, wenn nicht jetzt!? Zu welchem anderen Zeitpunkt sonst soll man solche zu eskalieren drohenden Auseinandersetzungen, Demonstrationen untersagen?


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Das ist gar nichts Außergewöhnliches, Herr Minister, in Österreich werden viele Demonstrationen untersagt. Es ist nicht so, dass bei uns jeder, der eine Demonstration machen will, diese auch genehmigt bekommt. Es gibt verschiedenste Untersagungs­gründe, obwohl wir das freie Demonstrationsrecht haben, aber es gibt eben auch ein Gesetz, das die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit in Österreich gewähr­leisten soll.

Daher ersuchen wir Sie ganz dringend, hier tätig zu werden. Wir, natürlich auch meine Kollegin Uschi Haubner, die als oberösterreichische Abgeordnete mit betroffen ist, weil am nächsten Wochenende auch in Linz etwas stattfindet, versuchen, Sie mit diesem Antrag dazu zu bewegen, ein solches Demonstrations- und Versammlungsverbot in diesen Fällen zu verhängen – zeitlich befristet meinetwegen, so lange, bis wir sehen, wie der Konflikt weitergeht. Darüber hinaus sind wir natürlich immer fürs Reden. Das heißt, es wäre sinnvoll, wenn sich der Innenminister mit den Kurdenvertretern, mit den Türkenvertretern, mit den Vereinsvertretern an einen Runden Tisch setzt, mit allen, die das wollen, mit denen spricht und ihnen sagt: Wir wollen in unserem Land keine kriegerischen, keine gewalttätigen Auseinandersetzungen haben! Ich glaube, dass man das im Wege eines Gesprächs an einem Runden Tisch klären kann und dass man eine solche Initiative ergreifen soll. Deswegen bringen wir auch heute einen entsprechenden Antrag ein.

Der multikulturelle Traum erlebt hier einen weiteren Dämpfer – weil die Grünen gerade so betroppezt schauen. (Abg. Öllinger: Wir haben Angst, dass Sie hyperventilieren!) Ich kann mir schon vorstellen, dass es für Sie besonders dramatisch ist, weil Sie mit Ihren multikulturellen Phantasien jetzt an eine weitere Grenze gestoßen sind, wenn hier bei uns in Österreich solche Aktionen stattfinden. (Abg. Öllinger: Passen Sie auf, dass Sie nicht an eine Grenze stoßen! Sie sind schon ziemlich nahe dran!)

Aber besonders gefällt mir, dass wir erstmals in Europa einen Systembruch haben, und da bin ich schon sehr gespannt, wie Sie den argumentieren werden. Denn bis jetzt war es immer so: Immer dann, wenn Regierungen und Politiker scharfe Maßnahmen im Fremdenrecht im Zusammenhang mit der Sicherheit der Menschen durchgesetzt haben, waren es immer böse rechte Regierungen, rechtsextremistische Regierungen, fürchterlich rechts. Jetzt aber haben wir auf einmal Italien, wo der Gottseibeiuns der Gutmenschen, immer schon gewesen, Herr Prodi von Links, sitzt – und wissen Sie, was der macht? Der schiebt bereits präventiv Rumänen ab, die sich in Italien nicht benehmen können! Das ist die Maßnahme, die er setzt!

Das heißt, jene, die zu Gewalt aufrufen oder ein gewalttätiges Potenzial haben, werden von der linken italienischen Regierung abgeschoben, mit Riesentrara natürlich, mit medialer Begleitung, aber es wird getan. Keine böse rechte, sondern eine gute linke Regierung, die das macht! Das ist hochinteressant, denn das ist erstmals ein System­bruch, dass erkannt worden ist, dass sich Länder gegen die importierte Kriminalität wehren müssen, gegen importierte Gewalt, gegen importiertes Schädeleinschlagen, gegen importiertes Wohnungsausrauben und Autostehlen.

Das ist etwas, was wir nicht wollen, und daher sagen wir: Machen wir es den Italienern nach, und schauen wir uns das sehr genau an! Dann werden wir auch eine ent­sprechende Maßnahme für jene finden, die vielleicht in den nächsten Wochen bei diesen Demonstrationen etwas vorhaben und tatsächlich zum Mittel der Gewalt oder gar zu einer Waffe greifen. Und da sagen wir ganz offen: Wer das tut, der hat in Österreich nichts verloren! Dafür ist uns unsere Sicherheit zu wichtig, und daher sollten solche Menschen von vornherein abgeschoben werden. Das ist unsere Meinung. (Beifall beim BZÖ.)


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Herr Minister Pröll, weil Sie hier sitzen: Sie sind ja auch der Chef der ÖVP-Per­spektivengruppe. Beantworten Sie mir eine Frage – wir haben sie in der Dringlichen als letzte Frage –: Was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht, der Politik Brodas bei diesem Haftentlastungspaket zuzustimmen? Gerade vor dem Hintergrund dessen, was ich Ihnen jetzt aufgezählt habe: 500 000 Verbrechen in Österreich allein in diesem Jahr, 70 Verbrechen pro Stunde, organisierte Kriminalität, Wohnungseinbrüche, Auto­dieb­stähle, Banken werden überfallen, in Wien haben wir die meisten Banküberfälle in der Geschichte, Trafiken werden ausgeraubt, Straßenschlachten von Ausländern in den Städten, Sexualstraftaten, und, und, und. Da geht die ÖVP her, die sich selbst immer Sicherheitspartei nennt, und stimmt einem Paket zu, das dafür sorgt, dass künftig noch mehr Straftäter noch früher, noch schneller und noch leichter in Freiheit gelangen können, als das bisher der Fall gewesen ist! (Zwischenruf des Abg. Rädler.)

Sie von der ÖVP sind als „Sicherheitspartei“ abgetreten! Das ist eine Perspektive, Herr Minister Pröll, die ich von Ihnen nicht erwartet habe, das sage ich auch ganz offen, denn das ist eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Wir haben schon jetzt die Situation, dass 10 Prozent der Hafteinsitzenden vorzeitig entlassen werden. Reicht es nicht, wenn auch nur einer davon rückfällig wird? Reicht es nicht, dass ein Freigänger auf der Toilette einer Schule ein neunjähriges Mädchen vergewaltigt hat? Reicht das alles nicht, um zu fragen: Warum werden jetzt Straftäter so rasch auf freien Fuß gesetzt? Warum wird ein Urteil, ein Richterspruch nur mehr zur Empfehlung? Das hat nur mehr Empfehlungscharakter, weil der Straftäter eh früher rauskommt.

Es ist doch ganz klar, dass die Polizei frustriert ist, wenn sie vier-, fünf-, sechsmal denselben Straftäter, ausländischen Drogendealer festnimmt, den sie erst vor ein paar Wochen festgenommen hat. Übrigens: Das ist jetzt bei Ausländern neu, da gibt es eine Bevorzugung: Der Ausländer darf bei Strafen bis zu drei Jahren nach der halben Zeit nach Hause gehen. Man führt ihn noch zur Grenze, dann winkt man ihm nach und sagt: Auf Wiedersehen! – Herr Minister, nach ein paar Tagen ist der wieder hier! Der geht unter einem anderen Namen, mit einem anderen Pass über die Grenze und begeht hier wieder die Verbrechen. Das ist doch blauäugig! (Zwischenbemerkung von Bundesminister Dipl.-Ing. Pröll.)

Ihr Ministerkollege – weil Sie da gerade hereinnuscheln –, Minister Platter, hat das im Begutachtungsentwurf ganz massiv kritisiert, weil es nicht durchführ- und umsetzbar ist, dass man Ausländer nach Verbüßung der halben Strafe freilässt und sagt: Bitte, kommt nicht wieder! Wenn ihr mir das versprecht, dann glauben wir das auch! – Es ist doch unglaublich, solch einer Phantasie einer gefängnislosen Gesellschaft à la Broda und Berger zuzustimmen. Das ist einer ÖVP, die sich selbst immer als Sicher­heits­partei geriert, eigentlich unwürdig.

Für die Opfer gibt es immer volle Härte, das ganze Leben lang, und für die aus­ländischen Täter gibt es jetzt nur mehr die halbe Strafe. Das ist etwas, was wir Ihnen immer vorhalten werden, wenn Sie das zulassen.

Wir sind der Meinung, Sie sollen das nicht zulassen. Wir brauchen hier eine harte Hand, und wir brauchen ein Maßnahmenpaket gegen die Gewalt der Ausländer, gegen die Bandenbildung, gegen diese Demonstrationen. Schützen Sie die österreichischen Bürger, Herr Minister Pröll und Abgeordnete von der ÖVP! (Beifall beim BZÖ. – Abg. Mag. Kukacka: Das tun wir auch!)

15.21


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Zur Beantwortung der Anfrage hat sich Herr Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft Dipl.-Ing. Pröll in Vertretung des Herrn Bundesministers für Inneres gemeldet. – Bitte, Herr Bundesminister, Sie sind am Wort.

 



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15.21.23

Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft Dipl.-Ing. Josef Pröll: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Hohes Haus! Meine sehr geehr­ten Damen und Herren! Ich darf heute unseren Innenminister Günther Platter hier vertreten, der sich beim Innenministerrat in Brüssel befindet und dort sehr wichtige Fragen wie die bevorstehende Schengen-Erweiterung, Blue Card, gemeinsame euro­päische Vorgangsweise bei Abschiebungen und andere Themen zu behandeln hat. Ich bin auch gerne hierher gekommen, um die Fragen, die im Rahmen der Dringlichen Anfrage gestellt wurden, zu beantworten.

Eingangs Folgendes, sehr geehrter Herr Abgeordneter Westenthaler: Ich bin nicht zuständig für dieses Portfolio, aber was ich auch als Staatsbürger und als Mitglied der Bundesregierung sehr wohl weiß, ist: Es ist ganz sicher der Fall, dass es dann, wenn es Unruhe gibt, wenn potenziell Gefahren drohen, nicht darauf ankommt, Emotionen zu schüren, sondern darauf, Ruhe zu bewahren, besonnen und zielgerichtet vorzugehen. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Abgeordneten von SPÖ und Grünen.) Das ist ein wichtiger Punkt, das ist, denke ich, ein Grundkonsens in der Politik.

Wesentlich ist aus unserer Sicht: Das Recht auf Versammlungsfreiheit, das Sie eigentlich im Kern hinterfragt haben, ist ein wichtiges demokratisches Grundrecht, das in der Verfassung verankert ist: Artikel 12 Staatsgrundgesetz, Artikel 11 der Euro­päischen Menschenrechtskonvention. Das ist ein Grundpfeiler unserer demokratischen Ordnung. (Abg. Ing. Westenthaler: Aber nicht zum Schädeleinschlagen!)

Es geht nicht um die Frage, ob einzelne Demonstrationen bei uns große Freude auslösen oder nicht, aber es geht sehr wohl darum, dass man Grundrechte nicht nach Lust und Laune in Geltung oder außer Geltung setzen kann. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.) Das ist ein wichtiger Punkt, meine sehr geehrten Damen und Herren, an dem wir uns orientieren sollten. (Abg. Ing. Westenthaler: Es gibt Untersagungsrechte!)

Das Recht auf Versammlungsfreiheit ist, wie gesagt, ein Recht, das in der Verfassung festgeschrieben ist. Meine sehr geehrten Damen und Herren, es geht in diesem Zusammenhang um klare Analysen der tatsächlichen Gegebenheiten und Fakten. Es werden auch, weil Sie das zitiert haben, von den zuständigen Behörden und von der Polizei stets ganz genaue Informationen eingeholt und alle Umstände in der Bewertung sensibel beurteilt.

Eine willkürliche Untersagung, die nicht tatsächlich begründet ist, wäre ein rechts­wid­riger Eingriff in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Grundrecht. Willkür erzeugt keine Sicherheit, und Willkür hat sicher in einem Rechtsstaat nichts verloren. Daher ist klar: Um eine Demonstration zu untersagen, müssen auch tatsächlich konkrete Um­stände vorliegen, die eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit befürchten lassen. Schwammige und diffuse Aussagen und Argumentationen können jedenfalls kein Grund dafür sein. (Abg. Ing. Westenthaler: Ich werde Sie am Montag daran erinnern, Herr Minister!)

Jetzt zu den Fakten. – Determiniert durch das Versammlungsgesetz und die damit zusammenhängenden verfassungsrechtlichen Grundfreiheiten können Untersagungs­gründe sein:

Erstens: wenn die Versammlung einen strafrechtswidrigen Zweck verfolgt oder diesem dienen soll. Beispiele: An der Versammlung sollen ausschließlich oder vorwiegend Vermummte oder Bewaffnete teilnehmen. Oder es handelt sich um eine Gegen­demonstration, die mit dem Zweck veranstaltet wird, eine andere Versammlung zu stören. Oder es geht um die Verbreitung von nationalsozialistischem Gedankengut.


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Zweitens: wenn die Versammlung die öffentliche Sicherheit gefährdet. Beispiele dafür: Wenn für den geplanten Versammlungsort und zur geplanten Zeit bereits vorher eine Versammlung angemeldet und nicht untersagt wurde. Die bloße Befürchtung einer Gegendemonstration reicht jedenfalls nicht aus. In diesen Fällen muss die Behörde mit geeigneten Mitteln die Versammlung schützen. Nur wenn dies trotz angemessener Anstrengung nicht möglich ist und erscheint, ist die geplante Versammlung zur Verhinderung einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit zu untersagen.

Weiters kommt eine Untersagung dann in Betracht, wenn der Veranstalter öffentliche Ruhestörung zu provozieren geradezu beabsichtigt. Wenn die Prognose der Behörde aufgrund von Tatsachen über den zu erwartenden Verlauf der Versammlung ergibt, dass die Versammlung die öffentliche Sicherheit gefährdet, wird ebenfalls mit einer Untersagung vorzugehen sein.

Daher – und das ist ein wichtiger Punkt –: Es wird von den zuständigen Behörden, im Wesentlichen von den Bundespolizeidirektionen, genau, sensibel und detailliert beobachtet und geprüft, ob tatsächlich Gründe für eine Untersagung vorliegen – vor der Demonstration und auch noch während der Demonstration. Gibt es konkrete Anhaltspunkte, dann wird sie auch untersagt werden.

Es sei auch gesagt, weil so ein Unterschleif in Ihren Ausführungen mit dabei war: Es wird sicher keine Toleranz für jene geben, die tatsächlich Gewalttaten begehen und das Recht auf Demonstration für sich zu einem Recht auf Gewalt und Unruhestiftung auslegen. Hier werden wir konsequent handeln und auch durchgreifen. (Beifall bei der ÖVP.)

Wenn eine Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit gegeben ist, werden natürlich auch fremdenpolizeiliche Maßnahmen gesetzt.

Jetzt zu den aktuellen Erkenntnissen und Geschehnissen. Die aktuellen Erkenntnisse zu der von einem österreichischen Verein angemeldeten Versammlung ergeben bisher keine Anhaltspunkte, die eine Versagung der Demo rechtfertigen. Aber die Lage wird ständig analysiert, jede neue Erkenntnis und jeder neue Anhaltspunkt fließen in die Beurteilung mit ein.

Es ist ein Gerücht, dass Sie mit Interventionen die Marschroute geändert und für die Neufestlegung derselben gesorgt hätten, sondern: In den Gesprächen mit den Veran­staltern der Demonstration wurde eine neue Demonstrationsmarschroute in Wien festgelegt. Sie sollten sich dieses Fähnchen nicht auf Ihren Hut stecken. (Abg. Ing. Westenthaler: Die war aber schon genehmigt! – Abg. Öllinger: Wenn er das Fähnchen nicht kriegt, dann bleibt ihm ja überhaupt nichts! – Ein Fähnchen für das BZÖ, bitte!) Da sehen Sie, wie die Behörden tatsächlich handeln, um mit den verfassungsrechtlichen Gegebenheiten das Beste zur Sicherstellung der Ordnung zu organisieren, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Die Polizei ist gewappnet! Machen Sie die Polizei, die Polizistinnen und Polizisten vor Ort nicht schlecht, sie sind Profis im Umgang mit solchen Situationen! (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

Die Aufgabe, die ich und die wir sehen, ist nicht, Misstrauen zu schüren, sondern gerade den Polizistinnen und Polizisten Vertrauen entgegenzubringen, damit sie die Kraft entwickeln, ihre Arbeit sorgfältig und angemessen zu erledigen.

Ich komme jetzt zu den von Ihnen gestellten konkreten Fragen und darf an dieser Stelle die hier anwesenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie die Spitzenbeamten des Innenministeriums begrüßen, die mir bei der Beantwortung der Fragen sehr hilfreich waren.


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Zur Frage 1:

Bei der konkreten Auseinandersetzung zwischen Kurden und Türken ist bisher kein Hintergrund erkennbar, der eine vordergründige politische Motivation erkennen lässt. Fest steht, dass beide Gruppen über einen längeren Zeitraum dasselbe Lokal im 10. Wiener Gemeindebezirk frequentierten, ohne dass bis dato Konflikte bekannt wurden.

Zur Frage 2:

Den Behörden lagen nur vage Hinweise vor, und es war daher ein präventives Ein­schreiten nicht möglich.

Zur Frage 3:

Im Verlauf des Polizeieinsatzes waren fünf Polizeistreifen vor Ort, um die öffentliche Ordnung und Ruhe wieder herzustellen, was schlussendlich auch gelungen ist.

Zur Frage 4:

Die Bundespolizeidirektion Wien war mit dem betreffenden Verein in Verbindung, es wurden adäquate Präventivmaßnahmen gesetzt. Nach dem derzeitigen Ermittlungs­stand kann nicht eindeutig auf einen Brandanschlag geschlossen werden. (Abg. Ing. Westenthaler: Da hat sich einer eine Zigarette angezündet, oder was? Es ist so ein Brandloch in der Auslage!)

Zur Frage 5:

Herr Abgeordneter Westenthaler, es gibt keine konkreten Hinweise auf Anschläge oder Straßenschlachten. Aufgrund der derzeitigen Lage können die Sicherheitsbehörden mögliche Konfrontationen aufgrund gegenseitiger Provokationen nicht ausschließen.

Zur Frage 6:

Die vorliegenden Fakten und Hinweise wurden neutral bewertet. Zum Brandanschlag gibt es derzeit keinerlei Hinweise auf die Täterschaft, und es kann daher diesbezüglich keine seriöse Zuordnung erfolgen.

Zur Frage 7:

Die Polizei tat das, was sie immer tut, nämlich auf die entsprechenden Umstände zu reagieren.

Zur Frage 8:

Der jahrelange Konflikt zwischen Türken und Kurden spiegelt sich in ganz Europa wider, so auch in Österreich. Die Sicherheitsbehörden reagieren mit den ihnen zur Verfügung stehenden präventiven Mitteln.

Zur Frage 9:

Meinungen und Ansichten sind nicht Gegenstand des parlamentarischen Interpella­tions­rechtes. (Abg. Ing. Westenthaler: Aber sie könnten eine haben!)

Zur Frage 10:

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass Integration eine Querschnittsmaterie ist, für die alle Gebietskörperschaften in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich verantwortlich sind.

Im Rahmen der Aktivitäten des Bundesministeriums für Inneres werden sowohl im Bereich der Integration von Asylberechtigten als auch im Bereich der Integration von Migranten zahlreiche konkrete Schritte gesetzt. Stellvertretend für alle Projekte seien hier folgende besonders hervorgehoben:


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Das Bundesministerium für Inneres unterstützt seit vielen Jahren spezielle Deutsch­kursprojekte insbesondere für Frauen und hat in den letzten Jahren Lern- und Aufgabenhilfe-Projekte an Volksschulen in sechs Bundesländern für Kinder, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, initiiert.

In Integrationswohnhäusern des Österreichischen Integrationsfonds werden Asyl­berechtigte während des ersten Jahres nach Anerkennung professionell betreut. Teil des Integrationsprogramms ist der verpflichtende Besuch eines Deutschkurses, in welchem auch Normen und Werte der österreichischen Gesellschaft vermittelt werden.

Im Rahmen der mobilen Betreuung werden Asylberechtigte durch den Österreichi­schen Integrationsfonds während eines Zeitraums von drei Jahren vor Ort in ihrem Wohnumfeld betreut, wobei vor allem die Einbindung der Mehrheitsgesellschaft einen wesentlichen Bestandteil darstellt. Zusätzlich zum standardisierten Betreuungsangebot werden Integrationsprojekte mit dem Fokus auf die Zielgruppen Jugendliche – Freizeit­gestaltung, Sportprojekte –, Frauen – Wissensvermittlung im Hinblick auf Rechte und Stellung der Frau in Österreich – und Männer – Gewaltprävention – durchgeführt.

Für die Zukunft sind insbesondere der Ausbau der mobilen Betreuung und eine ver­stärkte Öffentlichkeitsarbeit geplant. Weitere konkrete Anknüpfungspunkte werden sich aus der bis Mitte 2008 von der Integrationsplattform der Bundesregierung – diese wird den Schlüsselfaktor auf diesem zukünftigen Weg darstellen – zu erstellenden Inte­grationsstrategie für Österreich ergeben.

Zu den Fragen 11 und 12:

Für die nächsten Wochen liegen nach den mir vorliegenden Informationen bereits fol­gen­de Anmeldungen oder Ankündigungen für Versammlungen beziehungsweise De­monstrationen kurdischer sowie türkischer Gruppen auf:

Wien:

10.11.2007 von zirka 13 Uhr bis zirka 16 Uhr; laut den Verhandlungen, die geführt wurden, jetzt mit einer geänderten Streckenführung vom Herbert-von-Karajan-Platz über die Ringstraße, Schwarzenbergplatz zur Prinz-Eugen-Straße, wo im Bereich Prinz-Eugen-Straße/Plösslgasse die Abschlusskundgebung stattfinden soll.

Linz:

11.11.2007 von zirka 13 Uhr bis zirka 15.30 Uhr; vom Blumauer Platz über die Landstraße bis zum Hauptplatz, wo die Abschlusskundgebung stattfinden soll.

Innsbruck:

10.11.2007 von zirka 10 Uhr bis zirka 11 Uhr; vom Landestheatervorplatz über Rennweg, Universitätsstraße, Angerzellgasse, Museumstraße, Bruneckerstraße, Süd­tiroler Platz, Salurner Straße, Maria-Theresien-Straße, Burggraben, Museumstraße, Angerzellgasse, Universitätsstraße, Rennweg zurück zum Landestheatervorplatz, wo die Abschlusskundgebung stattfinden soll.

Zur Frage 13:

Die Sicherheitsbehörden reagieren entsprechend den Erfahrungen und Vorkomm­nissen der letzten Wochen. Grundsätzlich liegen derzeit keine Hinweise auf geplante gewalttätige Auseinandersetzungen vor. (Abg. Ing. Westenthaler: Ich schicke sie Ihnen dann!)

Zur Frage 14:

Das Versammlungsrecht ist ein wesentliches Grundrecht und steht in Österreich im Verfassungsrang.


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Im Fall von Anzeichen hin zur Gewalt sind die Behördenleiter in der Lage, Versamm­lungen zu untersagen oder auch aufzulösen.

Die Beurteilung und Entscheidung darüber, ob diese Voraussetzungen gegeben sind, kann nur im Einzelfall nach dem jeweils aktuellen Wissensstand beziehungsweise nach dem Verlauf der Veranstaltung durch die Versammlungsbehörde vor Ort erfolgen. Bei Gewalttätigkeiten erfolgte eine Auflösung unter Berücksichtigung von sicherheitstak­tischen Überlegungen.

Zur Frage 15:

Die zuständigen Behörden werden im Rahmen einer Gefährdungseinschätzung ange­meldete Kundgebungen innerhalb der verfassungsrechtlichen und einfachgesetzlichen Rahmenbedingungen bewerten, an andere Orte verlegen, aber auch gegebenenfalls untersagen. (Abg. Ing. Westenthaler: Jetzt geht es doch!)

Zur Frage 16:

Der Polizeieinsatz wird nach Vorliegen der Anmeldung und einer Gefährdungsein­schätzung vom jeweiligen Behördenleiter veranlasst. Der Kräfteeinsatz wird vor, während und nach der Versammlung adäquat angepasst.

Zur Frage 17:

Es gibt derzeit keine diesbezüglichen Informationen. Den Sicherheitsbehörden obliegt es, auf Informationen bis unmittelbar vor der Versammlung auch entsprechend zu reagieren.

Zur Frage 18:

Die Sicherheitsbehörden werden im verfassungsrechtlichen und einfachgesetzlichen Rahmen alle Maßnahmen treffen, um die Sicherheit aller Bürger entsprechend zu gewährleisten.

Zur Frage 19:

Die Gefährdungseinschätzung ergibt sich aus dem Versammlungsablauf und nicht aus der Wohnsituation.

Zur Frage 20:

Diesbezüglich werden keine gesonderten Statistiken geführt. Es finden jedoch laufend kurdische Kundgebungen statt, die sich unter anderem mit den Haftbedingungen Öcalans auseinandersetzen. Seit 26. Oktober 2007 begannen türkische und kurdische Kundgebungen, die die derzeitige Situation in der Region zum Inhalt haben.

Zur Frage 21:

Die konkreten Kosten für Polizeieinsätze bei kurdischen beziehungsweise türkischen Demonstrationen im Jahr 2007 könnten nur mit hohem Verwaltungsaufwand fest­ge­stellt und können jedenfalls nicht ad hoc beziffert werden. Sie werden aber zur Gänze aus dem Regelbudget bestritten.

Zur Frage 22:

Die Gefährdungseinschätzung wird in höchstem Maße von der Entwicklung in der Region vor Ort abhängen.

Zur Frage 23:

Zu Kurden können mangels statistischer Erfassung dieser Ethnie keine eigenständigen Angaben gemacht werden. Die in der Folge angeführten Daten beziehen sich daher zur Gänze auf Staatsangehörige der Türkei:


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Gesamtzahl der aufrechten Aufenthaltstitel mit 30.9.2007: 95 454;

Gesamtzahl der 2007 bis dato erteilten Visa mit Stand 30.9.2007: 10 726.

Zur Frage 24:

Bei legal – mit Aufenthalts- beziehungsweise Niederlassungsbewilligung – in Öster­reich aufhältigen Fremden ist in jedem angezeigten Einzelfall nach den Bestimmungen des § 60 FPG durch die jeweils zuständigen Fremdenpolizeibehörden zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes nach den Bestimmungen des § 60 FPG gegeben sind.

§ 60 FPG bestimmt, dass gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden kann, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet oder anderen im Artikel 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.

Ist eine dieser Voraussetzungen gegeben, so werden die entsprechenden aufent­haltsbeendenden Maßnahmen, nämlich Verhängung eines Aufenthaltsverbotes, ein­geleitet. Für den Fall, dass keine Bereitschaft zur freiwilligen Ausreise gegeben ist, besteht sodann die Möglichkeit einer zwangsweisen Außerlandesbringung, Verhän­gung der Schubhaft beziehungsweise des gelinderen Mittels, §§ 76 und 77 FPG.

Bei aufgegriffenen illegal aufhältigen Fremden werden ebenfalls die entsprechenden aufenthaltsbeendenden Maßnahmen zur Außerlandesbringung, Verhängung von Schub­haft und Aufenthaltsverbot, durch die zuständigen Fremdenpolizeibehörden eingeleitet und ebenfalls, falls keine Bereitschaft zu einer freiwilligen Rückkehr besteht, die entsprechenden fremdenpolizeilichen Zwangsmaßnahmen zur Außerlandesbrin­gung verfügt.

Zur Frage 25:

Meinungen sind nicht Gegenstand des Interpellationsrechtes. (Abg. Ing. Westenthaler: So ein Format haben Sie schon, dass Sie auch Meinungen sagen!)

Zur Frage 26:

Es ist zu bemerken, dass die Zahl der angezeigten Delikte seit dem Frühsommer 2007 rückläufig ist. Darüber hinaus hat sich die Regierung am gestrigen Tag über das Haft­entlastungspaket geeinigt und wird dieses dem Nationalrat zur weiteren parlamen­tarischen Behandlung zuleiten.

Soviel zur Beantwortung der Fragen. (Abg. Öllinger: Sie machen das besser als der Platter!) Sie sehen, die Exekutive ist bestens gerüstet für die kommenden Ereignisse und Demonstrationen und wird mit großer Nachsicht zwischen den rechtlichen Rah­menbedingungen und den Notwendigkeiten wie immer hervorragend und präzise agieren. Sie können sich auf die Polizistinnen und Polizisten in unserem Land ver­lassen, Herr Abgeordneter! (Beifall bei ÖVP und SPÖ. – Abg. Ing. Westenthaler: Dass du dich keine Meinung sagen traust, das hätte ich mir nicht gedacht! – Bundesminister Dipl.-Ing. Pröll: Frag mich etwas über den Klimaschutz!)

15.39


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Wir gehen nun in die Debatte ein.

Ich mache darauf aufmerksam, dass gemäß der Geschäftsordnung kein Redner/keine Rednerin länger als 10 Minuten sprechen darf, wobei jedem Klub eine Gesamtredezeit von 25 Minuten zukommt.

Als Erste zu Wort gelangt Frau Abgeordnete Ursula Haubner. Gewünschte Redezeit: 7 Minuten. – Bitte.

 



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15.40.06

Abgeordnete Ursula Haubner (BZÖ): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Bundes­mi­nister! Ich bedanke mich für die Beantwortung unserer Fragen. Aber ich muss sagen: Es ist etwas verwunderlich – und wir haben es schon aus dem Plenum gehört –, dass Sie keine politische Meinung haben, denn ich denke, gerade ein Minister, der sich in einem anderen Zusammenhang als Lebensminister bezeichnet, sollte zu diesem lebenswichtigen Thema auch eine politische Meinung haben. Darüber hätte ich mich gefreut. (Beifall beim BZÖ. – Bundesminister Dipl.-Ing. Pröll: Dann haben Sie am Anfang nicht zugehört, was meine Meinung ist!) – O ja, ich habe sehr genau zugehört, Herr Minister!

Ich glaube, wenn ich hier herausgehe und zu diesem Thema spreche, dann weiß jeder, dass es nicht darum geht, Emotionen zu schüren, sondern darum, Fakten aufzuzeigen, und zwar Fakten, die zeigen, dass wir im wahrsten Sinne des Wortes hier ein Sicherheitsproblem haben, das die Menschen, das die Bevölkerung absolut berührt. Dieses kann nicht an einem Einzelfall aufgehängt werden, denn es sind nämlich nicht Einzelfälle, was da passiert, wie beispielsweise bei dem gefährlichen und bedauer­lichen Vorfall in Wien-Favoriten am Sonntag, wo einige Bürger wirklich zum Handkuss gekommen sind, sondern es hat sich in den letzten Tagen und Wochen gezeigt, dass es quer durchs Land Fälle gibt, wo immer wieder Konflikte aufflammen.

Ich denke da zum Beispiel an den Vorfall vom 21. Oktober in Bregenz, wo es Verbal­attacken von Türken gegen Kurdendemonstrationen gab und wo nur durch ein mas­sives Aufgebot der Polizei Ausschreitungen verhindert werden konnten.

Der Vorfall in Graz ist schon angeführt worden, wo unbeteiligte Passantinnen und Passanten zum Handkuss gekommen sind.

Ich erinnere auch an den Vorfall in Innsbruck, wo es zu Massenschlägereien zwischen Kurden und Türken gekommen ist. Und auch in Salzburg gab es einen ähnlichen Vorfall.

Und es gibt die Ankündigung – und das haben auch Sie in Ihrer Beantwortung, Herr Bundesminister, gesagt ... (Bundesminister Dipl.-Ing. Pröll: Ich habe meine Meinung ausgedrückt!) Für die nächsten Tage erwarten wir Großdemonstrationen.

Eines möchte ich auch hier für das BZÖ festhalten: Es zweifelt niemand daran, dass die Polizei vor Ort beste Arbeit leistet. Und dafür möchte ich mich auch bedanken (Beifall beim BZÖ sowie bei Abgeordneten von ÖVP und FPÖ), denn diese Leute halten den Kopf für uns alle hin, für unsere Sicherheit. Das hat sich in der Ver­gangenheit immer schon gezeigt. Aber es geht darum, dass wir hier im Parlament als Volksvertreter, die wir hier auch Gesetze beschließen, die der Sicherheit dienen, nicht nur eine Meinung haben, sondern dann, wenn Gefahr im Verzug ist, auf dem Boden der Gesetze auch Möglichkeiten schaffen, wie wir da präventiv etwas machen können, wie wir da entsprechend vorbeugen können. (Abg. Parnigoni: Und was ist das?)

Als Oberösterreicherin möchte ich sagen: Glauben Sie mir, Herr Bundesminister, wenn kommenden Sonntag in Linz eine Demonstration von 8 000 türkischen Teilnehmern und Teilnehmerinnen erwartet wird (Bundesminister Dipl.-Ing. Pröll: 4 000!), dann ist das keine Kleinigkeit. Sie werden Linz kennen. Linz ist zwar eine sehr schöne Stadt, aber wenn ich daran denke, dass der Demonstrationszug, der um 13 Uhr beginnt und vom Blumauer Platz über die Landstraße zum Hauptplatz geht ... (Abg. Ing. Westen­thaler: Da wird es tuschen! Die Verantwortung dafür tragen ab sofort Sie, Herr Bundesminister! – Bundesminister Dipl.-Ing. Pröll: Ich nehme sie gerne wahr!)

Polizei-Oberst Werner Buchegger vom Landesamt für Verfassungsschutz und Terroris­musbekämpfung hat schon gesagt, dass die Stimmung bei den Türken und bei den mit


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der PKK sympathisierenden Kurden sehr aufgeheizt ist. Der Verfassungsschutz hat sich insgesamt eingeschaltet. Und es wird unabhängig von der Bedrohungslage zu massiven Verkehrsbehinderungen in der Linzer Innenstadt kommen. Ab Mittag fahren keine Straßenbahnen mehr. Zur gleichen Zeit werden auch die Querverbindungen über die Landstraße gesperrt.

Da frage ich mich: Wie kommt man als Bürgerin beziehungsweise Bürger dieser Stadt eigentlich dazu, eine gefährliche Demonstration letztendlich zur Kenntnis nehmen zu müssen?

Wenn Sie sagen, das alles sei nicht politisch motiviert, dann muss ich Ihnen, Herr Bun­desminister, sagen: Da gibt es aber Aussagen, dass es sehr wohl politisch motiviert ist. (Zwischenbemerkung von Bundesminister Dipl.-Ing. Pröll.) Wenn das Motto dabei heißt: „Frieden in der Heimat“, dann ist das sehr wohl politisch motiviert, vor allem wenn man an die Konflikte im Nordirak denkt. (Anhaltende Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Und ich stelle hier im Hohen Haus die Frage: Wollen wir in Zukunft, dass auch in Österreich Stellvertreterkriege geführt werden, bei welchen unsere Bevölkerung wirklich stark in Mitleidenschaft gezogen wird und unbescholtene Bürgerinnen und Bürger mit Leib und Leben bedroht werden? (Abg. Öllinger: Geh, bitte!)

Wir vom BZÖ wollen das nicht! Daher ist es ein Gebot der Stunde, auch hier in diesem Parlament dafür zu sorgen, dass die Sicherheit nicht gefährdet wird, dass das öffentliche Leben nicht beeinträchtigt wird, dass man, wenn man die Handhabe dazu hat – und die hat man hier –, Versammlungen und Demonstrationen, die von Gewalt dominiert sind, verbietet.

Ich gebe Ihnen recht – und darüber brauchen wir gar nicht zu diskutieren –, Österreich als ein demokratischer Staat hat Grundrechte, und eines der Grundrechte ist die Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit. (Abg. Kainz: Wie hätten wir es denn gerne?) Aber für die Demonstrations- und Versammlungsfreiheit gibt es Spielregeln, und diese Spielregeln müssen von allen eingehalten werden: von unseren Bürgerinnen und Bürgern und von den Gästen, die bei uns sind.

Wenn es aber zu gewalttätigen Konflikten kommt, wenn es Bedrohungen gibt, wenn Radikalismen zum Vorschein kommen, wenn das Demonstrations- und Versamm­lungsrecht missbraucht wird, dann darf es keine Toleranz geben und dann muss es klare Grenzen geben! (Beifall beim BZÖ. – Abg. Kainz: Das ist doch logisch! Dafür haben wir die Polizei! – Bundesminister Dipl.-Ing. Pröll: Das war meine Ansage!)

Daher werden wir jetzt, bevor wieder so etwas passiert wie in Wien, einen ent­sprechenden Antrag einbringen.

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Ing. Westenthaler, Ursula Haubner und Kollegen betreffend Verbot türkischer und kurdischer Versammlungen

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Der Bundesminister für Inneres wird ersucht,

1. bis zur Entspannung der türkisch-kurdischen Konflikte, mindestens jedoch bis zum 31.1.2008, sämtliche türkischen und kurdischen Versammlungen zu untersagen und


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2. ehestmöglich einen Runden Tisch mit den maßgeblichen Vertretern beider Gruppen einzurichten, um auf eine friedliche Lösung des türkisch-kurdischen Konflikts in Öster­reich einzuwirken.“

*****

Meine sehr geehrten Damen und Herren, heute hat hier im Plenum im Rahmen der EU-Debatte der Herr Bundeskanzler unter anderem gesagt: Europa muss sicher sein! – Ja, ich sage auch: Europa muss sicher sein! Aber zuerst muss Österreich sicher sein. Daher dürfen wir diese versteckten Drohungen und ständigen Angriffe gegen die öffentliche Ordnung nicht einfach hinnehmen, sondern müssen schauen, dass Österreich weiterhin sicher bleibt. – Danke. (Beifall beim BZÖ.)

15.47


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Der soeben von Frau Abgeordneter Haubner eingebrachte Entschließungsantrag ist ordnungsgemäß eingebracht, ausreichend unter­stützt und steht daher mit in Verhandlung.

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Ing. Westenthaler, Ursula Haubner und Kollegen, eingebracht im Zuge der dringlichen Debatte zu dem dringlichen Antrag betreffend türkisch-kurdische Ausschreitungen in Österreich, betreffend Verbot türkischer und kurdischer Versamm­lungen

Türken und Kurden tragen zunehmend ihre gewaltsamen Konflikte auch in Österreich aus. So nehmen in den letzten Monaten Straßenschlachten zwischen Türken und Kurden erschreckend zu: In jüngster Zeit kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen in St. Pölten, Salzburg, Linz, Graz und Innsbruck. In Tirol soll sogar von Schusswaffen Gebrauch gemacht worden sein. In Graz wurden unbeteiligte Passanten, darunter die FPÖ-Spitzenkandidatin für die Gemeinderatswahl, Susanne Winter, verprügelt. In Linz fuhren Türken mit zwei Autos in eine Kurdendemonstration.

Insbesondere der letzte Fall einer wahren Straßenschlacht zwischen Türken und Kurden mit 100 Beteiligten und mehreren Schwerverletzten sowie eines Brand­anschlags mit einem Molotow-Cocktail gegen ein türkisches Vereinslokal am vergan­genen Sonntag in Wien-Favoriten erschreckte die österreichische Bevölkerung und lässt eine zunehmende Bedrohung für die öffentliche Sicherheit erkennen. Geschäfts­leute mussten ihre Lokale zusperren und verbarrikadieren.

Die Ausschreitungen der Türken und Kurden beschränkten sich jedoch nicht bloß auf die Straße. Im Anschluss an die Auseinandersetzungen versuchte ein Unbekannter im UKH Meidling zu einem Verletzten vorzudringen. Dabei trat er die Tür zur Intensiv­station ein und schlug einen Arzt nieder. Der niedergeschlagene Arzt befindet sich nun selbst in ärztlicher Behandlung. Erst nach dem Angriff gegen den Arzt bezog die WEGA Stellung im Krankenhaus.

Nach einem Artikel des Kurier vom Dienstag dieser Woche seien die ermittelnden Polizisten im Spital von den Verletzten und den sich als Angehörige ausgebenden Besuchern auf Fragen nach dem Tathergang zunächst mit den Worten abgewiesen worden, „die Angelegenheit selbst regeln“ zu wollen. Eine derartige offenbar traditions­bedingte Ankündigung der Selbstjustiz müsste für die Polizei ein ernsthaftes Warn­signal darstellen.


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In Österreich stehen nach diversen Schätzungen 200.000 Türken (bzw. türkisch­stämmige Österreicher) ungefähr 100.000 Kurden (bzw. kurdischstämmigen Öster­reichern) gegenüber. Die ohnehin angespannte Lage zwischen den beiden Volks­gruppen verschlechtert sich zunehmend durch den drohenden Einmarsch der Türkei in die Kurdengebiete des Nordirak und durch Gerüchte über eine schleichende Vergiftung des PKK-Führers Abdullah Öcalan mit Strontium und Chrom in türkischer Gefan­genschaft. In Österreich rüsten Vertreter beider Konfliktparteien gleichzeitig nicht nur in der verbalen Auseinandersetzung auf: Nach Aussage des Polizei-Oberst Buchegger vom Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung sei die Stimmung zwischen Türken und Kurden aufgeheizt. Es gibt auch Ankündigungen von türkischer wie von kurdischer Seite, nur mehr in Gruppen auf die Straße zu gehen.

Erschreckend ist, dass selbst angesichts der massiven Gewaltakte der letzten Zeit z.B. die Wiener Integrationsstadträtin Frauenberger (SPÖ) jegliches Integrationsproblem noch gänzlich leugnet und den Kopf in den Sand steckt. Auch die Polizeiführung ver­sucht laut einigen Hinweisen von Medienberichterstattern in ihrer offiziellen Be­kannt­gabe zu den Vorfällen vom Sonntag augenscheinlich zu kalmieren und das Ausmaß der Gewalttätigkeiten bewusst herunterzuspielen: Die Straßenschlacht wurde als Privatfehde dargestellt, der Brandanschlag ganz verschwiegen.

Dabei war die sonntägliche Straßenschlacht offenbar sogar vorhersehbar. Bereits zwei Stunden vor den Ausschreitungen wurde die Polizei durch einen Passanten von entsprechenden Plänen informiert. Der Polizei konnten sogar drei Autokennzeichen Verdächtiger mitgeteilt werden. Allerdings war die Polizei nicht in der Lage, die Spur der späteren Randalierer aufzunehmen und die Schlachten auf Wiener Straßen zu verhindern. „Momentan tun wir uns ein bisserl schwer“, so der Ermittlungsleiter Michael Mimra von der Kripo Süd. Auch der Brandanschlag war zwar im Internet angekündigt, wurde von der Polizei aber nicht verhindert.

Für kommenden Samstag ist in Wien bereits die nächste „Demonstration“ angemeldet und sollte ursprünglich sogar vom Westbahnhof über die Mariahilfer Straße zur türkischen Botschaft führen. Durch die energischen Proteste des BZÖ am gestrigen Tag konnte dies jedoch verhindert werden. Die Demonstration nimmt nun eine andere Route. In Innsbruck wird am Samstag eine Demonstration von Kurden und Türken unter Beteiligung der Jungsozialisten stattfinden. In Linz wird am kommenden Sonntag eine Demonstration von ca. 8 000 Türken erwartet.

Angesichts der eskalierenden Gewalttaten im Rahmen türkischer bzw. kurdischer Ver­sammlungen müssen derartiger Versammlungen verboten werden, um die Sicherheit der Bürger sicherzustellen und eine erhebliche Beeinträchtigung des öffentlichen Lebens zu unterbinden. Dies gilt erst recht, da Ender Karadas, Sprecher der Kurden in Österreich, erklärte, letztlich hänge alles von der weiteren politischen Entwicklung in der Türkei ab: „Wenn es zu einem Einmarsch in den Nordirak kommt, kann ich mir gar nicht vorstellen, was dann in Europa passieren könnte.“ Diese versteckte Drohung und der fortgesetzte Angriff gegen die öffentliche Ordnung Österreichs ist nicht hinzu­nehmen. Österreich muss wieder sicherer werden!

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher nachstehenden

Entschließungsantrag:

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Der Bundesminister für Inneres wird ersucht,


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1. bis zur Entspannung der türkisch-kurdischen Konflikte, mindestens jedoch bis zum 31.01.2008, sämtliche türkischen und kurdischen Versammlungen zu untersagen und

2. ehestmöglich einen runden Tisch mit den maßgeblichen Vertretern beider Gruppen einzurichten, um auf eine friedliche Lösung des türkisch-kurdischen Konflikts in Öster­reich einzuwirken.“

*****

 


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Abgeord­neter Hursky. 10 Minuten gewünschte Redezeit. – Bitte.

 


15.48.05

Abgeordneter Christian Hursky (SPÖ): Hohes Haus! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Zunächst einmal möchte ich für meinen Teil festhalten, dass ich gegen jede Form von Gewalt bin (Abg. Mag. Kukacka: Auch gegen die Selbstverteidigung?) und dass jeder in Österreich entsprechend den Gesetzen behan­delt werden soll.

Als Grund für die Dringliche Anfrage wird wieder einmal versucht, ein Thema zu dem zu machen, was es in Wahrheit eigentlich nicht ist, wie zum Beispiel die Auseinan­dersetzung in Favoriten zwischen zwei Volksgruppen, was es im Endeffekt nicht war.

Was ist in Favoriten wirklich geschehen? Was ist dort wirklich passiert? – Wenn das BZÖ besser recherchiert hätte, dann hätte es das auch gewusst, denn einfache Anrufe bei Polizeioffizieren genügen, die geben sehr bereitwillig Auskunft darüber, was dort wirklich geschehen ist. (Abg. Ing. Westenthaler: Die roten Polizeioffiziere?) – Nicht die roten Polizeioffiziere! Da gibt es zu wenig rote Polizeioffiziere, leider. (Abg. Ing. Westenthaler: In Wien gibt es genug!) Dafür haben ja Sie, Herr Westenthaler, unter anderen auch gesorgt. (Beifall bei der SPÖ.)

Also was ist tatsächlich in Favoriten passiert? – Jugendliche haben im Fernsehen ein Fußballmatch geschaut, und dann haben zwei Personen einander ein SMS mit beleidigenden Aussagen geschickt. Daraufhin haben sich beide schlicht und einfach jeweils ihre Anhängerschaft organisiert, und die haben dann auf offener Straße Aus­einandersetzungen gehabt. (Abg. Ing. Westenthaler: Das glauben Sie wirklich? Wegen eines Fußballmatches?! – Abg. Dr. Haimbuchner: Geh, bitte!)

Das, was dann dabei passiert ist, Herr Westenthaler, war schlicht und einfach so, dass auf beiden Seiten Türken und Kurden waren. Das ist so, wie wenn Klagenfurter und Villacher miteinander gegen Klagenfurter und Villacher eine Rauferei machen. So war das! (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Ing. Westenthaler: Glauben Sie wirklich, was Sie da sagen?)

Herr Kollege Westenthaler, solche Auseinandersetzungen hat es schon vor 50 Jahren gegeben! (Abg. Ing. Westenthaler: Glauben Sie das, was Sie da sagen?! – Weitere Zwischenrufe beim BZÖ.) Sie als Simmeringer – er ist ja kein Simmeringer, ist wahr, er kommt ja von woanders – müssten das in Wahrheit ja ganz genau aus den Erzäh­lungen der Älteren kennen, die heute im Alter meines Vaters sind, irgendwo so zwischen 66 und 70, wie sich das früher abgespielt hat. Da gab es das ganz genauso, nur dass man vielleicht keine SMS gehabt hat! Da sind die Auseinandersetzungen auch so gewesen, dass die Laaerberger zur Hasenleiten hinuntermarschiert sind oder dass die Wienerberger nach Meidling marschiert sind und dass es dort Auseinan­dersetzungen gegeben hat. Das war es schlicht und einfach! (Abg. Ing. Westen­thaler – dem Redner die Kopie einer Zeitungsseite mit der Schlagzeile „Türkenkrieg in Österreich“ zeigend –: Schauen Sie einmal!) – Ja, wenn Sie alles glauben, was in der


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Zeitung steht! Das bleibt Ihnen völlig unbenommen; ich glaube das, was mir Leute sagen, die tatsächlich über diese Dinge Bescheid wissen. (Beifall bei der SPÖ.)

Der Ort der Auseinandersetzung ist seit 100 Jahren bekannt dafür, dass es dort leider immer wieder Schwierigkeiten gibt. (Abg. Ing. Westenthaler: Wo kommt denn der her? Ist das die Jungfernrede?)

Aber wo liegen die wirklichen oder eigentlichen Probleme? – Da gebe ich Ihnen schon durchaus recht, wenn Sie heute sagen, das ist ein Sicherheitspolizei-Problem. In Favoriten arbeiten fleißige, engagierte Polizisten, die sehr mannigfaltig tätig sind, die auch bei Charity-Aktionen dabei sind, die wirklich eine sehr gute Arbeit leisten, aber – als Sechzehnjähriger, als ich mit dem Moped gefahren bin, hätte ich mir nicht gedacht, dass ich das jemals sagen muss – es gibt einfach zu wenige Polizisten! (Oh-Rufe bei BZÖ und FPÖ.) – Heute wird in Wahrheit keiner mehr erwischt, das ist es. Es gibt zu wenige Polizisten für präventive Einsätze. (Abg. Ing. Westenthaler: Das ist aber der Häupl! Der Häupl ist Bürgermeister in Wien, oder?!)

Herr Kollege Westenthaler, Sie beziehungsweise Ihre Vorgänger sind mit in der Regie­rung gesessen, Sie alle miteinander haben diese Geschichten mit zu verantworten – und das sollten Sie sich eigentlich mit auf Ihre schlechten Federn schreiben, die Sie in dem Fall tragen.

Aber der letzte Schildbürgerstreich, der in dem Zusammenhang in Favoriten ge­sche­hen ist, war, dass der Favoritner Polizei 8 000 Überstunden für die Monate Oktober bis Dezember gekürzt wurden. Meine Damen und Herren, das entspricht in etwa 50 Mann weniger für die Zeit, und man kann sich vorstellen, was das in der Zeit bedeutet: Das bedeutet weniger Präsenz in der Fußgängerzone vor Weihnachten und das bedeutet auch, dass in der Nacht zwei Polizeiinspektionen nicht mehr die Möglichkeit haben, Funkwagen auszuschicken.

Das sind die wahren Probleme, und, Herr Minister, da bitte ich Sie, das Ihrem Kollegen Platter mitzugeben, der in der Asylrechtsdebatte hier gestanden ist und gesagt hat: Ich, Platter, stehe für Recht und Ordnung! (Abg. Ing. Westenthaler: Er sitzt eh da!)

Als Favoritner Abgeordneter stehe ich hier für die Sicherheit der Favoritner Bevöl­kerung, und ich fordere diese Sicherheit in dem Fall auch ein. Und ich bitte Herrn Minister Platter, die entsprechenden Maßnahmen dafür zu treffen und genügend Per­sonal dafür zur Verfügung zu stellen. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten der ÖVP.)

15.52


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Tamandl. Freiwillige Redezeitbeschränkung: 8 Minuten. – Bitte.

 


15.53.09

Abgeordnete Gabriele Tamandl (ÖVP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Herr Kollege Hursky, ich glaube, es wäre gescheiter gewesen, Sie wären im Wiener Landtag geblieben, denn die Rede, die Sie hier gehalten haben, glauben Sie wohl selbst nicht! Da haben Sie jetzt wirklich das Thema verfehlt. (Abg. Ing. Wes­tenthaler: Das ist völlig richtig!)

Aber – jetzt in Richtung des Kollegen Westenthaler – betreffend den Sachverhalt, den Herr Kollege Hursky geschildert hat, sage ich einmal, dass die Wahrheit in der Mitte liegen wird, weil wenn ich Ihnen so zuhöre, dann meine ich, Sie hören das Gras wach­sen. Sie machen eine Vorverurteilung, Sie schließen sich den Horrormeldungen in der Presse an wie „Ein Funke genügt“ und „Attentat nach Kurdenschlacht“ und „Straßen­schlacht: Türken gegen Kurden“ und „Der Türken-Krieg in Favoriten“. (Abg. Ing. Westenthaler – wieder die Kopie einer Zeitungsseite mit der Überschrift „Türken-


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krieg in Österreich“ in die Höhe haltend –: In Österreich! Österreich ist größer als Simmering!)

Herr Kollege Westenthaler, ich weiß, Sie sind ein Favoritner, das ist Ihnen ein Herzens­anliegen, aber wenn Sie sich hier herausstellen und hier ... (Abg. Parnigoni: Er ist Simmeringer!) – Ja, aus Simmering, macht ja nichts. – Nein, er ist Favoritner, bitte! Er ist Favoritner! (Abg. Ing. Westenthaler: Wissen Sie, dass drei Menschen auf der Intensivstation liegen? Drei Schwerverletzte auf der Intensivstation! Ist Ihnen das wurscht?)

Herr Kollege Westenthaler, Sie richten heute eine Dringliche Anfrage an den Herrn Innenminister und wollen allen Ernstes Demonstrationen verbieten, wo es überhaupt keine Anhaltspunkte gibt, dass es zu Ausschreitungen kommen wird. Es hat schon ein Gründervater der Vereinigten Staaten gesagt: Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren.

Wir haben in der Verfassung viele Rechte verankert, wie beispielsweise das Wahlrecht, die Pressefreiheit oder die Demonstrations- und Versammlungsfreiheit. (Anhaltende Zwischenrufe beim BZÖ.) – Ich glaube, Sie können mir zuhören, Herr Kollege Westenthaler, ich habe Ihnen auch zugehört. (Präsidentin Mag. Prammer gibt das Glockenzeichen.) – Wir wollen nicht, dass das demokratische Recht der Versamm­lungs- und Demonstrationsfreiheit aufgeweicht wird! (Abg. Ing. Westenthaler: ... öffentliche Sicherheit gefährden!)

Wir haben natürlich auch Verständnis für die Anliegen dieser Menschen! Frau Kollegin Haubner – jetzt ist sie hinausgegangen – hat natürlich wieder Äpfel mit Birnen vermischt: Erstens einmal sind die Veranstalter der beiden Demonstrationen von Wien und Linz nicht ident. Der Verein ATIB in Linz hat die Demonstration in der Linzer Innenstadt angemeldet, und da ist nicht von 10 000 oder von 8 000 Leuten die Rede, sondern von 3 000 bis 4 000 Personen, und der Veranstalter in Wien ist ein anderer.

Herr Kollege Westenthaler, Sie stellen sich hier heraus und sagen, Sie haben gestern thematisiert, dass das nicht auf der Mariahilfer Straße stattfinden darf, und heute ist das schon anders. – Also Sie können den zuständigen Beamten und Hofrat Nevoral, der seine Professionalität auch schon bei den Opernballdemonstrationen bewiesen hat, durchaus vertrauen, dass sie eine friedliche Lösung mit den Initiatoren gefunden haben, was die neue Route betrifft.

Man sieht an der jetzigen Lösung und auch an den Initiatoren, dass sich diese sehr wohl eine friedliche Demonstration wünschen. (Beifall des Abg. Dr. Stummvoll.) Die Ausschreitungen finden ja immer erst nach Auflösung der Demonstration statt, des­wegen kann man doch jetzt nicht das Recht auf Demonstration in den Schmutz ziehen! (Abg. Ing. Westenthaler: Das tut mir leid! Das habe ich nicht gewusst, dass sie erst nach der Demonstration ...!) Nein, das kann man nicht, und darum sage ich Ihnen: Wenn Sie sich hier herstellen und das fordern, dann ist das der falsche Weg!

Einen Punkt Ihrer Dringlichen Anfrage, das muss ich sagen, kann ich bestätigen: Das ist das Vorgehen und das Herunterspielen der Frau Stadträtin Frauenberger. Das muss ich sagen, das stimmt, weil die Stadt Wien in den vergangenen Jahrzehnten in der Inte­grationspolitik einige Male versagt hat; das sieht man beispielsweise bei der Besie­delungspolitik.

Aber auch hier muss ich Ihnen sagen: Das hat mit Demonstrationsfreiheit nichts zu tun, das hat mit der Rauferei in Favoriten nichts zu tun, die sich vor einem Klub abgespielt hat, in dem die Leute dort alle wochen- und monatelang friedlich Mitglieder waren. Und deswegen, weil sich da zwei in die Haare kriegen, sie offene Rechnungen begleichen, sie sich der Anwesenden „bedienen“ und es zu einer Schlägerei kommt, muss man


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keine Demonstration verbieten, und deswegen ist auch die Demonstrationsfreiheit nicht in Frage zu stellen. Das ist mit uns nicht möglich! (Abg. Ing. Westenthaler: Drei im Spital!)

Wir wissen, dass der Herr Innenminister das schafft! Er hat auch genügend Polizei zur Verfügung, weil es in Wien jetzt mehr Planstellen gibt, als es sie noch unter roten Innenministern gegeben hat. (Zwischenruf bei der SPÖ.) Das ist eine Sache, die immer wieder kommt. Jetzt sind Sie in der Regierung, und trotzdem sagen Sie es immer wieder – das muss man wirklich einmal in Frage stellen.

Herr Kollege Westenthaler, Sie haben heute vorgelesen, wann man eine De­monstra­tion untersagen kann. – Da müssen schon konkrete Umstände vorliegen, und die gibt es in diesem Fall nicht. Willkürliche Untersagungen, die nicht tatsächlich begründet sind, sind gefährlicher und bedrohen die freie Republik, das wissen Sie ganz genau, und darum machen wir das nicht!

Wir vertrauen den Sicherheitswachebeamten, wir vertrauen unserem Innenminister und wir vertrauen ganz einfach den verantwortlichen Beamten, die schon bei vielen Demonstrationen gezeigt haben, dass sie es können. Das ist unsere Politik, und die werden wir auch weiter machen. (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Ing. Westenthaler: Ich rufe Sie am Montag an!)

15.59


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Pilz. 10 Minuten freiwillige Redezeitbeschränkung. – Bitte.

 


15.59.18

Abgeordneter Dr. Peter Pilz (Grüne): Meine Damen und Herren! Aus Sicht des grünen Klubs ist zur dringlichen Blamage des BZÖ Folgendes festzustellen (Abg. Ing. Westenthaler: Das hättet ihr gerne!):

Erstens: Herr Abgeordneter Westenthaler hat in diesem Haus einen sachdienlichen Hinweis geliefert – und das war vielleicht das einzig Substanzielle am Beitrag des BZÖ –, und ich ersuche die Organe der Sicherheitsexekutive und des Innenminis­te­riums, diesem Hinweis des Abgeordneten Westenthaler nachzugehen. (Abg. Ing. Wes­tenthaler: Euch ist das alles wurscht!)

Um das zu begründen: In der Antwort des Innenministers beziehungsweise seiner Vertretung hat es wörtlich geheißen, es gebe derzeit keine Hinweise auf geplante Gewalttätigkeiten. – Herr Abgeordneter Westenthaler hat aber erklärt: Auch hier hören wir, dass ein Teil der Schläger von den Favoritner Straßenschlachten bei den nächsten Demonstrationen teilnehmen wird. (Abg. Ing. Westenthaler: Das steht alles in der Zeitung! Das kann man alles nachlesen!)

Das heißt, Herr Abgeordneter Westenthaler hat Informationen über geplante Gewalt­taten, über die das Bundesministerium für Inneres nicht verfügt. (Abg. Ing. Westen­thaler: Deswegen habe ich es heute gesagt!) Es muss also direkte Informationen des Abgeordneten Westenthaler durch gewaltbereite Demonstranten, durch Personen, die das Demonstrationsrecht für möglicherweise kriminelle Akte missbrauchen wollen, geben, und es ist durchaus im Sinne von Rechtsstaatlichkeit und Sicherheit, dass diese Angaben des Abgeordneten Westenthaler überprüft werden, und auch fest­gestellt wird, welcher Art seine Kontakte zu den Gewalttätern sind. (Beifall bei den Grünen sowie des Abg. Dr. Cap. – Abg. Ing. Westenthaler: Ja! Sehr konstruktiv!)

Zum Zweiten – und damit sind zumindest wir von Seiten der grünen Fraktion bereits weg von der Behandlung der Anfrage des BZÖ – halte ich es für sehr vernünftig, und ich wäre froh, wenn das öfter passieren würde, dass es in Grundrechtsfragen wie bei der Frage, ob die Versammlungsfreiheit grundsätzlich weiter gelten soll oder ob es


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generelle Einschränkungsmöglichkeiten geben soll, hier im Haus eindeutig eine gemein­same Meinung, zumindest von SPÖ, ÖVP und den Grünen, gegeben hat und gibt.

Sie müssen sich nur vorstellen, was passieren würde, wenn der BZÖ-Vorschlag, ein ge­nerelles Versammlungsverbot bis zum 1. Jänner 2008 zu verhängen (Abg. Ing. Westenthaler: 31. Jänner!), vom Innenministerium ernsthaft geprüft würde. Das wäre erstens ein glatter Bruch der österreichischen Bundesverfassung durch den Innenminister – ich gehe fest davon aus, dass es nicht dazu kommen wird – und zweitens auch sicherheitspolizeilich etwas sehr Gefährliches. (Abg. Ing. Westenthaler: Wissen Sie, wie viele Demonstranten ... in Österreich?) – Stellen Sie sich vor, wenn die große Mehrheit der friedlichen Kurdinnen und Kurden und Türkinnen und Türken in Österreich nicht mehr die Möglichkeit zu friedlichen Versammlungen und Kundgebun­gen hat, wie die sicherheitspolizeilichen Auswirkungen dieser verfassungswidrigen Maßnahme aussehen würden. – So viel zur Selbstdarstellung von sieben Abgeord­neten als Sicherheitspartei.

Das Problem dahinter ist – und ich bin Herrn Abgeordnetem Hursky dankbar dafür, dass er das aus Favoritner Nähe geschildert hat –: Der sicherheitspolizeiliche Bereich betrifft offensichtlich Fragen des Zusammenhangs von Fußball und bestimmten Gewalttätigkeiten. Das ist eine Frage, die man nicht lösen kann, der man aber mit wesentlich mehr und besser ausgebildeten Beamten besser begegnen kann.

Aber es stimmt schon – und darauf weisen auch die Berichte des Verfassungsschutzes immer deutlicher hin –, wir bekommen ein politisches Problem aus der Türkei, und das betrifft nicht nur Kurdinnen und Kurden und Türkinnen und Türken, sondern das wird immer mehr zu einem gemeinsamen Problem der europäischen Sicherheit. Wenn es zu einem Einmarsch türkischer Truppen im Nordirak kommt und wenn die Türkei terroristische Akte der PKK zum Vorwand nimmt, um ein politisches Gemeinwesen der Kurden im Nordirak, das der türkischen Regierung aus prinzipiellen Gründen nicht passt, anzugreifen und zu zerstören, dann wird das zu einer nachhaltigen Desta­bilisierung in der Region führen.

Die Europäische Union hat hier eine sehr große Verpflichtung. Es muss von Seiten der Europäischen Union, aber auch von Seiten der österreichischen Bundesregierung und hier insbesondere der Außenministerin möglich sein, der türkischen Regierung unmiss­verständlich klarzumachen, dass jeder militärische Angriff türkischer Truppen auf den Nordirak zu sofortigen europäischen Konsequenzen politischer Natur führen wird. (Beifall bei den Grünen. – Abg. Strache: Was wären die Konsequenzen? Welche?) – Das ist eine ganz entscheidende Frage, dass es hier von Anfang an ausreichende Klarheit gibt!

Das ist Sicherheitspolitik, Herr Umweltminister! Das wäre Sicherheitspolitik im Inter­esse Österreichs und auch Europas: hier zu einer klaren, scharfen, unmiss­verständ­lichen und mit Sanktionen verbundenen Haltung gegenüber der türkischen Regierung zu kommen.

Es nützt nichts, wenn man Konflikte in Wien erfindet und aufbläst, um dann verfas­sungswidrige Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Es gibt Möglichkeiten, durch eine intelligente Außenpolitik, eine intelligente und konsequente Polizeipolitik (Bundes­minister Dipl.-Ing. Pröll: Die wir betreiben!) und, wie Kollegin Weinzinger später hier noch schildern wird, auch eine intelligente Integrationspolitik wesentlich mehr Sicherheit zu schaffen als durch diese dringlichen Blamagen und diesen dringlichen Unfug des BZÖ.

Der Trost für uns alle lautet: All das hat sein Ablaufdatum. Es spricht vieles dafür, dass wir uns nach den nächsten Nationalratswahlen mit derartigem dringlichen Unfug nicht


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mehr beschäftigen müssen. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen. – Abg. Ing. Wes­tenthaler: Das habt ihr das letzte Mal auch schon geglaubt!)

16.05


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Nächster Redner ist Herr Klubobmann Strache. 8 Minuten freiwillige Redezeitbeschränkung. – Bitte.

 


16.05.43

Abgeordneter Heinz-Christian Strache (FPÖ): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe heute einiges gehört: Herr Abgeordneter Hursky ist herausgekommen und hat die Schlägerei – die Massenschlägerei mit 100 Beteiligten, das war ja auch im Polizeibericht zu lesen – so heruntergespielt, als ob das mit einem Fußballspiel etwas zu tun gehabt hätte. – Da kann man sich nur wundern! Da kann man sich wirklich nur wundern! Wahrscheinlich war es ein Fußballspiel zwischen dem FC Galatasaray und dem FC Kurdistan.

Das ist ja nicht lustig, wie Sie da versuchen, diesen Vorfall verharmlosend und belustigend herunterzuspielen, da geht es um eine importierte Problematik, die wir heute in Österreich wahrnehmen müssen (Abg. Ing. Westenthaler: Eine folkloristische Geschichte!), ein Problem – wie auch Herr Abgeordneter Pilz zu Recht festgehalten hat, und da sind wir ausnahmsweise einmal in einem Punkt einer Meinung –, das sich eben im Bereich der Türkei, des Nordiraks und auch umliegender Länder im Nahen Osten entfaltet, weil es in der Region ein 30-Millionen-Volk gibt, das bis heute kein Recht auf Selbstbestimmung, kein Recht auf einen Staat hat und dieses Recht für sich natürlich einfordert, bisher allerdings vergeblich.

Und dann geht die Türkei in der Region her und marschiert dort ein beziehungsweise führt Bombardements durch und lebt militärische Aggression vor. – Wo ist da die Europäische Union, und wo sind die Konsequenzen? Das ist jetzt die Frage, die auch Herr Abgeordneter Pilz angesprochen hat.

Da müsste man jetzt konsequenterweise hergehen und sagen: Wenn so vorgegangen wird, wie die Türkei das macht, dann haben die Beitrittsverhandlungen sofort einge­stellt zu werden. – Das wäre konsequent, anstatt zuzusehen! (Beifall bei der FPÖ.)

Darüber hinaus haben wir Fehlentwicklungen – und da sind wir jetzt nicht mehr einer Meinung, Herr Abgeordneter Pilz und ich, da wird es dann den Aufschrei geben –: Durch eine verfehlte Zuwanderungspolitik in den letzten Jahrzehnten haben wir Probleme aus unterschiedlichsten Regionen dieser Welt nach Österreich importiert. Wir haben durch eine falsche Massenzuwanderung türkische und kurdische Entwick­lungen auch in Österreich wahrnehmen müssen, durch die feststeht, dass Ihre Inte­grationspolitik gescheitert ist, Ihr multikultureller Traum und Ihre Fantasterei real zerbrochen ist, weil wir wahrnehmen müssen – ob in Innsbruck, in Salzburg, in St. Pölten, in Wien oder in Graz –, dass Tausende Türken mit türkischen Fahnen marschieren. Wo ist denn da Ihre Integration? Was haben überhaupt türkische Fahnen im österreichischen Straßenbild verloren? Wo sind die rot-weiß-roten Fahnen? Wo ist die gelebte Integration? (Beifall bei der FPÖ.)

Nichts dergleichen hat stattgefunden, sondern Parallelgesellschaften sind entstanden – Parallelgesellschaften, die gar nicht bereit sind, sich mit unserer Kultur zu identifizieren! Die können und wollen mit unserer Kultur gar nichts zu tun haben! Die können genauso wenig mit unserer rot-weiß-roten Fahne etwas anfangen, weil wir es verab­säumt haben, klarzumachen, was wir von jenen, die bei uns leben wollen, erwarten und einfordern. – Da haben Sie eben leider Gottes zugesehen und diese Parallel­gesellschaften teilweise auch noch mit von österreichischen Steuerzahlern bezahlten


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Förderungen unterstützt, indem Vereine dabei gefördert worden sind, sich nicht zu integrieren, sondern ihre Parallelgesellschaften hier zu implantieren.

Das erleben wir ja beim Verein ATIB genauso, und da muss man dem Vertreter des Herrn Innenministers, nämlich Minister Pröll, zum Vorwurf machen, dass er heute schon auch Realitätsverweigerung betrieben hat. Es wurde Realitätsverweigerung betrieben, denn da kann man nicht einfach sagen, dass es kein Problem zwischen Kurden und Türken in Österreich gibt und dass keine Gewalt zu erwarten ist.

Wir haben mehrere Orte in Österreich gesehen, wo Gewalt gelebt wurde: In Innsbruck gab es eine Massenschlägerei mit Schwerverletzten, in Favoriten in Wien gab es Schwerverletzte – sechs Personen, die mit Messern verletzt worden sind –, in Graz wurde unsere Spitzenkandidatin, Frau Dr. Susanne Winter, attackiert, als der De­monstrationszug dort vorbeimarschiert ist. Dann ist man mit 20 Demonstranten auf sie losgegangen und hat sie samt ihren Begleitern attackiert, geschlagen, getreten. Es kam zu Verletzungen, wo es auch Anzeigen gegeben hat. (Abg. Ing. Westenthaler: Das ist alles kein Problem!) – Das alles nehmen Sie nicht zur Kenntnis oder wollen es nicht zur Kenntnis nehmen. (Abg. Ing. Westenthaler: Das ist alles kein Problem! Das war nur ein Fußballmatch!) – Das dann auf ein Fußballmatch herunterzuspielen ist wirklich unglaublich, und das kann man so einfach nicht stehen lassen.

Der Multikultitraum ist ausgeträumt; wir müssen diese Entwicklungen sehr ernst neh­men. Da nützt es nichts, wenn sich die feinen Herrschaften der Bundesregierung die feinen Häppchen in diversen Salons gönnen oder im ersten Bezirk in Restaurants gehen und dann dort beim Griechen eine funktionierende Multikulturalität feststellen. (Zwischenruf des Abg. Mag. Kukacka.)

Gehen Sie in die Bezirke und in die betroffenen Bereiche, wo die Wohnbevölkerungen andere Entwicklungen wahrnehmen! Nehmen Sie dort die Sorgen und Fehlentwick­lungen ernst und beginnen Sie, hier eine andere Politik sicherzustellen!

Wir haben seit Jahrzehnten davor gewarnt, dass bei dieser verfehlten und falschen Zuwanderungspolitik und Massenzuwanderung natürlich zu erwarten ist, dass es auch zu ethnischen Konflikten kommen wird. Das, was wir in den Vorstädten von Paris und in anderen europäischen Ländern erlebt haben, sind genau Vorboten gewisser Entwick­lungen, die wir jetzt auch in Österreich wahrnehmen, wo es auch diese Konflikte auf unseren Straßen gibt.

Ich muss nur schon auch zum BZÖ ein paar Dinge kritisch anmerken. Natürlich waren jene Herrschaften, die heute im BZÖ sitzen, auch jene Herrschaften, die in der vormaligen Regierung für diese Massenzuwanderung weiter verantwortlich waren. Denn 30 000 bis 50 000 Zuwanderer netto pro Jahr – 300 000 Zuwanderer allein in der Regierungsverantwortung der letzten Bundesregierung! – sind ein Beleg für eine falsche Politik. Sich dann herzustellen und so zu tun, als hätten Sie damit nichts zu tun gehabt, ist mehr als eigenartig. (Ruf bei der SPÖ: Da haben Sie leider recht!) Bis hin zu den explodierenden Zahlen bei Asylwerbern und anderen Problemen.

Ich glaube, dass jetzt Handlungsbedarf gegeben ist – und es gibt Gesetze. Das muss ich auch festhalten: Versammlungsverbote brauchen wir nicht in Österreich, das ist einmal klar. Es gibt eine Versammlungsfreiheit, und die ist ein Grundrecht, und das haben wir sicherzustellen. Aber die bestehenden Gesetze anzuwenden wäre not­wendig. § 6: Versammlungen, deren Zweck den Strafgesetzen zuwiderläuft oder deren Abhaltung die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährdet, sind von der Behörde zu untersagen. (Zwischenruf der Abg. Tamandl.) Das ist aber kein Versamm­lungsverbot. (Abg. Ing. Westenthaler: Was ist das dann?)


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Der zweite Punkt, nämlich § 8, besagt – und das haben ja wir als erste Partei vor Tagen aufgezeigt und öffentlich gemacht und auch den Innenminister aufgefordert, gerade den § 8 zur Anwendung zu bringen –: Ausländer dürfen weder als Veranstalter noch als Ordner oder Leiter einer Versammlung zur Verhandlung öffentlicher Angele­genheiten auftreten.

Und was ist der Verein ATIB? Natürlich ein ausländischer Verein, natürlich ein Verein, der ausländische Interessen in Österreich vertritt. Der hat keine politische De­mons­tration abzuhalten! Da muss man bitte die Gesetze dementsprechend ernst nehmen und umsetzen. Das ist es, worum es geht. (Beifall bei der FPÖ. – Zwischenrufe der Abgeordneten Tamandl und Mag. Kukacka.)

Es gibt eine Handhabe, der Innenminister könnte tätig werden, aber der Herr Innenminister tut sich schwer, Gesetze umzusetzen. Genauso, wie wir das leider Gottes auch vom Asylbereich wissen, wo er sich genauso erpressen lässt. (Abg. Mag. Kukacka: Das ist absurd! Das ist eine Rechtsverdrehung!) Da tut er sich auch schwer, weil er verbal oftmals ein paar Dinge zum Besten gibt, und wenn man dann schaut, was setzt er um von dem, was er sagt, ist genau das Gegenteil der Fall. Das muss man schon kritisch anmerken.

Die Massenschlägereien der letzten Tage dürfen eben keine Fortsetzung finden. Es sind weitere Demonstrationen geplant, bei denen damit zu rechnen ist – wenn man nicht verblendet ist –, dass es natürlich auch wieder zu Gewalttätigkeiten kommen kann, und da sind alle Beteiligten, aber natürlich auch die Österreicher gefährdet.

Da sage ich schon einmal ein paar Schlussworte auch zum Thema Exekutive: Selbst­verständlich sind wir der Exekutive zu Dank verpflichtet. Die leistet Großartiges! (Beifall bei der FPÖ sowie bei Abgeordneten des BZÖ.) Aber Sie haben in Ihrem Regierungs­programm einen weiteren Abbau von Planposten festgeschrieben, nämlich über 400 Planposten, die Sie abbauen wollen, im Regierungsprogramm definiert, obwohl wir heute schon 3 500 Exekutivbeamte in Österreich zu wenig haben und mehr bräuchten.

Und das machen Sie gerade vor einem Großereignis, der Fußball-Europameister­schaft 2008. Da will man einsparen. Und die Kollegen, die Exekutivbeamten, sollen dann mit unzureichenden Plänen, die bis heute nicht vorhanden sind, mit zu wenig Ausrüstung auskommen – mit nicht ausreichenden Helmen, wenigen Flammenoveralls, Sicherheitshandschuhen et cetera. An allen Ecken und Enden fehlt es, und es gibt keine Konzepte. (Abg. Mag. Kukacka: Stimmt ja gar nicht!) Die schicken Sie dann vor, die sollen dann immer Ihre falsche Politik da draußen zurechtrücken und -bügeln. Das kann nicht funktionieren!

Die brauchen dementsprechende Unterstützung. Mehr Exekutivbeamte sind auszu­bilden, ausreichend Ausrüstung ist notwendig – und vor allen Dingen ein Innenminister, der einmal mutig ist und im Sinne der Gesetze solche Sachen untersagt und verbietet, damit dementsprechend vorgegangen werden kann. (Beifall bei der FPÖ sowie bei Abgeordneten des BZÖ.) Das brauchen unsere Exekutivbeamten und nicht leere Worte und keinen warmen Händedruck, sondern konkrete Taten. Das ist notwendig, und das brauchen wir, damit da nicht eine weitere Zuspitzung folgt. Und da ist es in manchen Bereichen fünf nach zwölf.

Wenn es ethnische Konflikte quer durch Österreich in allen möglichen Städten gibt – und das sind ethnische Konflikte! –, dann müssen wir das ernst nehmen. Dann kann man nicht so hergehen wie Sie, Herr Minister Pröll, und das einfach wegwischen, im multikulturellen Wolkenkuckucksheim weiterleben und glauben, dass dann, wenn man sich gegenseitig türkischen Honig und Pistazien vom Naschmarkt übermittelt, wieder alles gut ist. (Heiterkeit von Bundesminister Dipl.-Ing. Pröll.) So wird das nicht funk-


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tionieren, und so kann das auch nicht funktionieren. (Präsidentin Mag. Prammer gibt das Glockenzeichen.)

Ich komme schon zum Schlusssatz: Es braucht einen energischen Kurswechsel, und wir müssen auch den Innenminister auffordern, den Gesetzen entsprechend solche Sachen zu untersagen. (Beifall bei der FPÖ.)

16.16


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Mag. Darmann. 5 Minuten Redezeit. – Bitte, Herr Abgeordneter.

 


16.16.10

Abgeordneter Mag. Gernot Darmann (BZÖ): Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuseher und Zuse­herinnen! Mir ist durchaus bewusst, Herr Bundesminister Pröll, dass Sie heute hier einiges auszustehen haben, was natürlich nicht in Ihren Verantwortungsbereich fällt. (Zwischenbemerkung von Bundesminister Dipl.-Ing. Pröll. – Abg. Ing. Westenthaler: Ohne Meinung sitzt es sich leicht auf der Regierungsbank!)

Es waren sehr wohl Worte, die Sie gefunden haben – und ich glaube nicht, dass das unbedingt von Innenminister Platter vorbereitet war –, als Sie gesagt haben, es soll besonnen und zielgerichtet vorgegangen werden. (Bundesminister Dipl.-Ing. Pröll: So ist es!) Das kann ich natürlich voll und ganz unterstützen, keine Frage. Aber wer verbietet es uns Volksvertretern, die wir für die Gesetzgebung zuständig sind, die Augen offen zu halten und für die Bevölkerung einzutreten (Bundesminister Dipl.-Ing. Pröll: Das sagt ja keiner!) und die Anliegen der Bevölkerung auch hier herinnen aufzuzeigen, wenn es um die Einhaltung und Erhaltung der öffentlichen Sicherheit geht? – Das verbietet uns keiner, vielmehr sind wir von unserem Mandat her dazu verpflichtet, solche Sachen zusätzlich aufzuzeigen und gerecht darauf zu reagieren.

Es ist auch so – und das stimmt natürlich auch –, dass es das verfassungsgesetzlich gewährleistete Grundrecht der Versammlungsfreiheit, der Demonstrationsfreiheit gibt, keine Frage. Aber wenn man sich die niedergeschriebenen Vorschriften diesbezüglich anschaut, wird man sehen, dass es wortwörtlich formuliert ist, dass dieses Versamm­lungsrecht auch eingeengt werden kann, nämlich nach Erfüllung gewisser Voraus­setzungen, und das wurde heute schon mehrfach angeführt, dass diese Vorausset­zung ... (Abg. Dr. Cap – auf das Sakko des Redners weisend –: Was ist das? – Abg. Heinisch-Hosek: Das ist der Lindwurm! – Abg. Krainer: Aber die Krawatte passt farblich nicht dazu! Das sieht so nach Uniform aus! – Zwischenruf des Abg. Ing. Westenthaler.) – Ich weiß, Sie sind immer mein Modeberater, Herr Kollege Cap; das schauen wir uns nachher an, ich werde Ihnen das dann sagen, auch den Laden.

Auf jeden Fall ist es so, dass eine Voraussetzung zur Einengung dieses Verfassungs­rechtes die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit ist. Und wenn es Herrn Kollegen Cap nicht interessiert und er lieber über Mode redet, dann soll er vielleicht draußen irgendein Magazin lesen, aber wir reden hier jetzt über die innere Sicherheit. Vielleicht passen Sie ein bisschen auf! (Abg. Dr. Cap: War nur eine Frage!) Diese Gefährdung der öffentlichen Sicherheit – Herr Bundesminister, Sie haben es in einem Beispiel angeführt, das Sie vermutlich einem Kommentar entnommen haben – ist dann gege­ben, wenn man bei einer Gegendemonstration von einer Gefahr ausgehen kann. (Bundesminister Dipl.-Ing. Pröll: Ja!)

Tatsache ist auch – ich vermute, das wird auch in dem Kommentar gestanden sein –, dass es wichtig für das Verbieten einer Demonstration ist, ein Gefährdungspotential zu erkennen, das ein solches Ausmaß erreicht, dass man sagt, die Beschneidung eines Grundrechtes ist gerechtfertigt. (Bundesminister Dipl.-Ing. Pröll: Was im konkreten Fall


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nicht der Fall ist!) – Sie nicken. Sie sagen, Sie gehen von einer Gegendemonstration ohne Gefährdungspotential aus. Aber wir meinen, es muss sehr wohl auf Grund der Straßenschlacht, die vor kurzem in Wien stattgefunden hat, davon ausgegangen werden, dass hier ein Gefährdungspotential für die öffentliche Sicherheit – nämlich ein wesentliches Gefährdungspotential – vorliegt, über das man nicht so leichtfertig hinweggehen kann.

Wenn Sie gesagt haben, die Gefahreneinschätzung wird vom jeweiligen Behördenleiter vorgenommen, dann, muss ich sagen, tun mir unsere Polizistinnen und Polizisten auf der Straße leid, denn die machen ihre Arbeit wirklich korrekt, wirklich sehr gut. Aber sie müssen dafür den Kopf hinhalten, wenn vorweg diese Gefahreneinschätzung falsch gemacht wird. (Zwischenbemerkung von Bundesminister Dipl.-Ing. Pröll.) Wo ist denn dann der Behördenleiter, der im Büro sitzt, der jetzt diese Gefahreneinschätzung für die nächsten Demonstrationen in Wien, in Innsbruck, in Linz macht und die Polizisten dort mitten in die Demonstration hineinjagt?

Nach den derzeitigen Informationen, nach dem, was hier vorgefallen ist, sind hier wirklich Ausschreitungen zu erwarten. Und da kann Kollege Hursky, der mittlerweile zurückgekehrt ist, noch so viele Späße machen mit SMS-Schicken und der Behaup­tung, ein Fußballspiel ist der Grund für eine Massenschlägerei, wo 100 Leute auf­einander losgehen, sich prügeln, niederstechen. Ja, Entschuldigung! Das ist eine so tiefe Art der Realitätsverweigerung, die da von Ihnen geleistet wird! (Zwischenruf des Abg. Hursky.)

Selbst Sie von der SPÖ müssen erkennen, dass eine solche Gewaltbereitschaft bei einer so großen Zahl von Personen (Abg. Heinisch-Hosek: Passen Sie auf! Passen Sie auf Ihre Argumente auf!) – das kann ich auch Ihnen sagen, Frau Kollegin – sicherlich damit zusammenhängen wird, dass es an der irakischen Grenze Vorfälle gibt, die in den Personen wühlen. – Keine Sorge, ich passe schon auf meine Argumente auf, Sie sollten auf Ihre Argumente aufpassen! (Abg. Mag. Muttonen: Die Zeit ist gleich aus!)

Weiters darf ich anführen, dass Herr Kollege Strache es nicht hat lassen können, das BZÖ da mit einzubauen und zu sagen, dass es durch uns jetzt mehr Asylzuzug gibt. Wer hat denn das Fremdenrechtspaket 2005 umgesetzt, das mit 1. Jänner 2006 in Kraft getreten ist? Wir wissen ganz genau, dass die Asylanträge seit dieser Zeit um über 40 Prozent zurückgegangen sind. Das ist die Realität – und nichts anderes. (Beifall beim BZÖ.)

Tatsache ist – und damit möchte ich auch zum Schluss kommen –, dass es im Sinne der Sicherheit aller, nämlich nicht nur der österreichischen Bevölkerung, die vor Ort lebt, wo solche Demonstrationen abgehalten werden, sondern auch im Sinne der Sicherheit der Demonstranten, die dort sind, wo es dann mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder zu gewalttätigen Vorfällen, zu gewalttätigen Exzessen kommen wird, ein vor­läufiges Demonstrationsverbot geben sollte, solange hier wirklich offensichtlich ein gewaltiges Gefährdungspotenzial vorhanden ist. (Abg. Öllinger: Dann müssen wir alle BZÖ-Veranstaltungen verbieten! Jede BZÖ-Veranstaltung wird gewalttätig!) Das ist die Grundlage unseres Antrages, und ich bitte, diesen auch zu unterstützen. – Danke. (Beifall beim BZÖ.)

16.21


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Ing. Kapeller. 6 Minuten Redezeit. – Bitte. (Abg. Öllinger: Jede BZÖ-Veranstaltung im Wirtshaus ist gefährlicher! – Gegenruf des Abg. Ing. Westenthaler.)

 



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16.21.57

Abgeordneter Ing. Norbert Kapeller (ÖVP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Minister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte einleitend versuchen, emotions­los so manches ins rechte Licht zu rücken, nämlich anhand des Behördenauftrages der BPD Linz anlässlich der bevorstehenden und angemeldeten Demonstration am kom­menden Sonntag, und möchte Folgendes sagen: Angstmache ist hier genauso wenig angebracht wie fahrlässige Unterschätzung des Gefahrenpotenzials, denn beides kann in Wahrheit unser aller Sicherheit gefährden. (Beifall bei der ÖVP.)

Ich denke, dass gerade die Behördenleitungen, die Darstellungen durch die Landes­ämter für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung Grund geben zu der An­nahme, dass eine Unterschätzung des Gefahrenpotenzials nicht passieren wird.

Ich möchte zu den Ausführungen des Kollegen Darmann Folgendes sagen: Wenn Sie meinen, dass eine Gefahrenprognose gegeben ist, die das Untersagen dieser Demonstration zulässt, so kann ich nur antworten, dass es derzeit aus Sicht der oberösterreichischen Polizei keine Hinweise darauf gibt, die das Untersagen recht­fertigen würden. Daher, denke ich, steht das demokratische Recht auf Demonstration über der Einschränkung. (Abg. Strache: Steckt kein ausländischer Verein dahinter? Das sind alles österreichische Staatsbürger? – Abg. Ing. Westenthaler: Ich rufe Sie dann am Montag an! Geben Sie mir Ihre Telefonnummer!)

Ich möchte Ihnen nur eines sagen: Alle Verantwortungsträger in der Polizei, vom Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung beginnend bis zu den Behördenleitern, Herr Westenthaler, wissen um die Gefahrenpotenziale, analysieren und werden auch dementsprechende Handlungen setzen und Polizeieinsätze leiten und planen, dass die Sicherheit in Oberösterreich, in Linz, und in Österreich auch bei solchen Demonstrationen gewährleistet ist. (Beifall bei der ÖVP.)

Und ich glaube, schon auch eines sagen zu müssen: Nicht jede Demonstration bedeutet gleich ein sicherheitspolizeiliches Problem. Angemeldete, abgesprochene, geplante Demonstrationen, die von der Polizei begleitet werden, stellen in Wahrheit nicht das Gefahrenpotenzial dar. Hier gibt es eine Hundertschaft, Einsatzzüge, die das Ganze begleiten und die Gefahr für Eigentum, die Gefahr für Mensch, Leib und Leben hintanhalten können.

Das Problempotenzial besteht bei Demonstrationen meist dann, wenn es zur Auf­lösung der Demonstration kommt, also zur rechtmäßigen Auflösung am Ende der Demonstration. Dann gehen zehn Personen dahin, fünf dorthin, manche steigen in die Straßenbahn ein, manche fahren mit Fahrzeugen, Autos weg. Diese Kleingruppen sind dann nicht mehr überwachbar, auch nicht mehr kontrollierbar, und dann kommt es oft dazu – auch im Windschatten solcher Demonstrationen –, dass Familienfehden, persönliche Konflikte von Türkischstämmigen, von Kurden, ganz egal, von wem, dann dort, im Windschatten dieser Demonstration, gewalttätig ausgetragen werden. (Zwi­schen­ruf des Abg. Mag. Darmann.) Aber das sind kleine Gruppierungen und daher für die Polizei kalkulierbar. (Abg. Ing. Westenthaler: Das ist ein völlig neuer Begriff: „im Windschatten einer Demonstration“! Was ist das?)

Herr Westenthaler, die Problemstellung ist nicht die angemeldete Demonstration, sondern die spontanen Gewalttaten, die nie kalkulierbar sind. Die Polizei, meine Kol­legen, auch Polizeiführer haben nie eine Hundertschaft irgendwo in Städten zusam­mengezogen, um dann plötzlich reagieren zu können, wenn spontan Gewalttaten auftreten, so wie eben auch in Wien. Und ich glaube, das darf nicht aufgewogen werden. (Abg. Ing. Westenthaler: Was ist der „Windschatten einer Demonstration“? – Gegenruf des Abg. Öllinger.)


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Aufbauend auf diese Prognosen, wo nicht einzelne Polizeiführer nach Gutdünken entscheiden, sondern ihre Entscheidungen aufbauen auf die fundierte Arbeit von Kolle­gen, die tagtäglich im Einsatz sind und diese Gruppierungen auch beobachten, auf­bauend auf diese Gefahrenprognose wird derzeit diese Demonstration in Linz nicht untersagt, weil es keinen Hinweis gibt.

Und wenn Frau Kollegin Haubner sagt, dass die Straßenbahnen nicht fahren können und die Querverbindungen der Landstraße gesperrt werden müssen, dann sage ich ihr, das wäre auch bei jeder anderen Demonstration so. (Abg. Murauer: Das war bei den Donnerstagsdemonstrationen auch so!) – Es ist immer und überall so. (Zwischenrufe der Abgeordneten Strache und Ing. Westenthaler.)

Ich möchte schon eines auch noch anmerken. Herr Strache, ich möchte Sie wirklich an Folgendes erinnern: Wenn Sie in Ihrer Rede gemeint haben, was eigentlich türkische Fahnen im österreichischen Straßenbild zu suchen hätten, dann sind Sie aber mit den demokratiepolitischen Grundsätzen nicht wesentlich besser als die Türkei. (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Strache: Ausländische politische Aktivitäten sind in Österreich verboten! § 8! Ausländische politische Aktivitäten sind verboten!)

Wenn Sie behaupten, der Verein ATIB und die Anmelder dieser Demonstration sind Ausländer (Abg. Strache: Ausländische politische Aktivitäten!), und daher könnte man sie auf Grund dieser Ausländerklausel verbieten, dann sage ich Ihnen eines: In Linz ist der Verein ATIB ein österreichisch gemeldeter Verein, und in Linz sind die Führungs­personen, wie etwa der Schriftführer von ATIB, der diese Demonstration angemeldet hat, natürlich österreichische Staatsbürger. Also fällt der Untersagungsgrund ganz einfach weg. (Abg. Strache: Es sind nicht nur österreichische Staatsbürger, es sind auch Nicht-Staatsbürger!) – Nicht nur, aber es steht nicht „nur österreichische Staats­bürger“ im Gesetz drinnen, sondern: die Anmelder, die Ordner müssen Österreicher sein. (Zwischenruf des Abg. Dr. Haimbuchner.) Aber das wird man dann auch vor Ort bei der Demonstration weiter im Auge behalten und überprüfen.

Ich denke, angemeldete Demonstrationen – egal, von wem – hält eine österreichisch gelebte Demokratie aus, und das ist nichts anderes. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und Grünen. – Abg. Strache: Das ist Ihre Integration: ein türkisches Fahnenmeer in Öster­reich!)

Herr Strache, Herr Westenthaler, aber auch geschätzter Kollege von der SPÖ! Ich bin der Meinung, Angstmache ist hier nicht angebracht, aber fahrlässige Unterschätzung des Gefahrenpotenzials genauso wenig. Und ich weiß eines: Die österreichische Polizei, meine Kolleginnen und Kollegen unter der Führung unseres Ministers Platter wissen den Weg der demokratischen Mitte zu gehen. – Danke schön. (Beifall und Bravoruf bei der ÖVP. – Abg. Strache: Der Weg des Gartenschlauchs!)

16.28


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Mag. Weinzinger. 10 Minuten Redezeit. – Bitte.

 


16.28.22

Abgeordnete Mag. Brigid Weinzinger (Grüne): Frau Präsidentin! Herr Minister! Hohes Haus! Herr Minister, ich habe mit großem Interesse und, ich gestehe, mit großer Freude Ihre Ausführungen zum Grundrecht der Demonstrations- und Versammlungs­freiheit verfolgt. Ich hoffe eindringlich, dass Sie da dieselbe Position vertreten, wie Innenminister Platter sie vertreten würde (Bundesminister Dipl.-Ing. Pröll: Gehen Sie davon aus!), und ich werde in einem völlig anderen Zusammenhang, auf den ich jetzt nicht eingehe, noch eindeutig darauf zurückkommen und Sie und hoffentlich auch Minister Platter beim Wort nehmen.


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Es war auch ganz spannend – auch das habe ich wohlwollend vermerkt –, dass es auch von ÖVP-Seite hieß, für jene Erscheinungen, die so im Nachspann einer ange­meldeten Demonstration auftreten, kann man dann nicht die Demonstration haftbar machen und in Zukunft verbieten. Darauf werde ich gerne noch zurückkommen, aber ich teile hier Ihre Meinung ausnahmsweise voll und ganz. (Abg. Ing. Westenthaler: Da haben Sie irgendetwas falsch gemacht!)

Das BZÖ aber wollte über Randale reden. – Okay, reden wir nicht über milieubedingte Unmutsäußerungen, reden wir über Randale! Ich habe mir Pressemeldungen über Randale herausgesucht. Da gibt es einmal eine vom 8. November, also heute, in diesem Fall die „Vorarlberger Tageszeitung“: Es gab Randale im Vorfeld des Cham­pions-League-Spiels FC Barcelona – Glasgow Rangers mit drei Verletzten.

Wollen Sie jetzt, weil es da in einem Fall Randale gab, hergehen und sagen, in Zukunft müssen Spiele dieser beiden Fußballmannschaften ohne Publikum stattfinden (Abg. Ing. Westenthaler: Aber das ist ja etwas ganz anderes! Schottland und Spanien, sind die im Krieg? Marschieren die Spanier in Schottland ein?) und alle Fußballfans sind potenzielle Randalierer? Ist es das, was Sie machen wollen? (Beifall bei den Grünen. – Abg. Mag. Darmann: Das ist ein schwindliger Vergleich!)

Ich weiß schon, das ist unangenehm, Herr Klubobmann Westenthaler, aber Sie werden es aushalten. – Ich habe Ihnen auch zuhören müssen. (Abg. Ing. Westenthaler: Das ist ja nicht vergleichbar! Sind die Spanier vor dem Einmarsch nach Schottland, oder was?)

Zweite Meldung, gestern, ORF Tirol: Gemeinden reagieren auf Randale. Die Gemein­den Seefeld und Absam haben sich genötigt gesehen, in einem Lokal die Sperrstunde vorzuverlegen und ein Jugendzentrum zu schließen, nachdem es regelmäßig Randale von Jugendlichen gegeben hatte. – Wollen Sie daraus jetzt schließen, dass man die Gemeinden Seefeld und Absam unter Quarantäne stellen soll? Wollen Sie daraus schließen, dass Jugendliche in Tirol generell gewaltbereit sind? Oder was wäre Ihre Schlussfolgerung daraus?

Schließlich gibt es die Meldung, auf die Sie sich bezogen haben, über die „Randale“ – wie es heißt – zwischen türkischen und kurdischen – ich nehme einmal an; das steht nicht extra da – Männern, und daraus schlussfolgern Sie auf einmal, dass all jene 16,irgendetwas Prozent Menschen in Österreich, die einen Migrationshintergrund haben, sozusagen unter Generalverdacht zu stellen sind, dass sie potentiell randalieren. – Das ist eine bestechende Logik, wie Sie wirklich nur beim BZÖ und bei der ehemaligen Gesinnungsgemeinschaft FPÖ vorkommt.

Ich halte das für eine unglaubliche Frechheit und weise das für dieses Haus aufs Schärfste zurück, dass man jeden Menschen in Österreich, der einen Migrations­hintergrund hat, unter Kriminalitätsverdacht stellt! (Beifall bei den Grünen sowie bei Abgeordneten der SPÖ.)

Was ich wirklich traurig finde, ist, dass es sich bei diesem Phänomen der Kriminalisie­rung von ausländischen – oder ehemals ausländischen und inzwischen eingebür­gerten – Mitbürgerinnen und Mitbürgern leider nicht um ein Phänomen von BZÖ und FPÖ handelt, wo man sagt: Okay, gut, das ist die bekannte Position, man soll das auch nicht mit übergebührlicher Aufmerksamkeit bedenken! (Abg. Öllinger: Die können es nicht besser!)

Das Problem ist, dass das inzwischen bis in die Regierung Schule gemacht hat. – Man braucht sich nur anzusehen, wie Innenminister Platter höchstselbst in Fällen, in denen Familien von Abschiebung bedroht sind, in denen sich Gemeinden, Klassenkameraden in der Schule, Nachbarinnen und Nachbarn einsetzen, dann immer wieder damit


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argumentiert, dass sich irgendjemand von denen strafbar gemacht hätte, das heißt, wieder den Zusammenhang zwischen Ausländer oder Ausländerin, Asylwerber oder AsyIwerberin und Kriminalität herstellt.

Zuletzt passierte das beim Fall der Familie Zogaj, wo sogar ein Kommentar der „Kronen Zeitung“ – und die ist bekanntlich in dieser Frage nicht gerade auf der grünen Linie – darauf hingewiesen hat, dass der inkriminierte Tatbestand – nach einer Wirts­hausdiskussion ein kleiner Raufhandel – mehr als Zeichen der gelungenen Integration zu werten sei, denn als sonst irgendetwas. – Das sagt die „Kronen Zeitung“, bitte, nicht ich.

Daraus machen Sie sehr gerne einen allgemeinen Vorwurf gegenüber konkreten Familien und Asylwerberinnen und Asylwerbern und weiten das dann in der politischen Debatte ganz generell auf Asylwerber aus. (Abg. Neubauer: Das ist ja nicht wahr!)

Herr Minister! Es tut mir leid, dass Sie da eine Verwandtschaftsbeziehung haben, auf die ich jetzt nicht rekurrieren will (Abg. Dr. Haimbuchner: Jetzt geht es in die Sippen­haftung!), aber gerade Landeshauptmann Pröll hat da eine besondere Verantwortung zu tragen, weil er sich da noch weiter vorgewagt hat als die Bundesregierung bislang.

Die Forderung, dass Asylwerberinnen und Asylwerber ganz generell einen Strafregis­ter­auszug veröffentlichen sollen, ist an rechtsstaatlicher Missachtung von Grund­rechten wirklich kaum noch zu überbieten. Kein Mensch verlangt das von Öster­reicherinnen und Österreichern – mit gutem Grund! Warum sollte man das auch machen? Es gibt in bestimmten einzelnen Fällen ein Einsichtrecht, das auch wahrge­nommen werden soll, aber als Landeshauptmann eine Forderung in den Raum zu stellen, die bedeutet, dass Asylwerberinnen und Asylwerber unter dem Generalver­dacht der Kriminalität stehen, kann man nur aufs Schärfste zurückweisen. (Beifall bei den Grünen.)

Damit kein Zweifel besteht: Ich glaube, in diesem Haus ist Folgendes klar: Kriminalität muss dort entschieden bekämpft werden, wo sie auftritt. Da ist es völlig gleichgültig, ob ein Brandsatz gegen ein Lokal türkischer oder kurdischer Zuordnung fällt, gegen eine Moschee, wie es ja in Deutschland vorgekommen ist, oder gegen einen jüdischen Tempel. – Überall dort ist mit aller Entschiedenheit nicht nur dem Tatbestand auf den Grund zu gehen, sondern in meinen Augen auch den politischen Zusammenhängen dahinter, die dazu führen.

Ich glaube, man muss gerade in diesen Zeiten deutlich vor politischer Brandstiftung – im übertragenen Sinne – warnen. Es kann nicht angehen, dass Pauschalisierung und Hetze dazu führen, dass eine Stimmung noch sehr viel mehr aufgeheizt wird, als sie es sowieso schon ist. Das ist ein Vorwurf, den sich BZÖ und FPÖ in der Regel gefallen lassen müssen.

Sie tragen dazu bei, durchaus vernünftig regelbare ... (Abg. Scheibner: Das kennen wir jetzt schon! Abg. Ing. Westenthaler: Die alte Leier!) – Ja, Herr Ex-Minister Scheibner, Sie kennen das schon. (Abg. Scheibner: Das kennen wir jetzt schon seit 15 Jahren!) – Ich warte trotzdem noch auf Ihre Einsicht. Und da warte ich vermutlich noch lange. (Beifall bei den Grünen.)

Ich halte es trotzdem, auch wenn es den Herrn Scheibner langweilt (Abg. Scheibner: Ärgern tut es mich noch immer!) – was glauben Sie, wie es mir manchmal geht, wenn ich Ihnen zuhöre! –, für nicht legitim, dass Sie politische Konflikte auch noch zusätzlich aufheizen, und ich verweise nur auf das, was sich rund um die Demonstration gegen eine geplante Moschee in Wien abgespielt hat – unter federführender Beteiligung von FPÖ-Funktionären und -Funktionärinnen. (Abg. Dr. Graf: Die ÖVP war auch dabei!)


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Ich hätte im Übrigen die Demo trotzdem zugelassen – logischerweise. Das, was ich nur unterschreiben kann, sind die Bekenntnisse, die es hier in seltener Klarheit und Ein­mütigkeit von beiden Regierungsparteien gab – die Bekenntnisse zu Demonstrations­freiheit als Grundrecht, zur Versammlungsfreiheit als Grundrecht und dazu, dass da nicht eingegriffen werden darf. Ich würde mir diese Klarheit als generelles Prinzip bei Ihnen wünschen und hoffe, dass wir das in Zukunft daher verändert sehen werden.

Jetzt aber noch eine Anmerkung, weil auch das Stichwort Paris gefallen ist – einmal abgesehen von diesem Missverständnis, dass es in Paris und bei den Unruhen in den Vororten um ethnische Konflikte gegangen wäre. (Abg. Binder-Maier: Soziale Prob­leme!) Das ist ja genau der Trugschluss, dem Sie immer wieder aufsitzen, wobei ich das ja eher für Absicht halte als für ein Versehen.

Paris und die Unruhen dort haben ganz deutlich gezeigt: Überall dort, wo vor allem Jugendliche unter sozialer Verwahrlosung und Armut leiden, wo sie keine Perspektiven für ihre Zukunft sehen, wo sie keinen Anschluss an die Gesellschaft finden, von der sie den Eindruck haben, sie wolle sie gar nicht, sie lehne sie ab, sie hätten dort keinen Platz, überall dort steigt die Gewaltbereitschaft, überall dort entlädt sich diese Frus­tration, dieser Zorn – gerade bei Jugendlichen – sehr viel leichter als in anderen Weltregionen, wo Integration tatsächlich besser gelebt und gelungen ist.

In Österreich sind wir zum Glück noch nicht so weit, wie es in den Pariser Vororten zu sehen war, aber ob wir noch weit davon entfernt sind, wenn es so weitergeht, wie es derzeit läuft, weiß ich nicht. Daher kann man nur dringend daran appellieren, Integration als vorbeugende Sicherheitsmaßnahme ernst zu nehmen, denn soziale Sicherheit ist die Vorbedingung, damit es sonstige Sicherheit in einer Gesellschaft geben kann. (Beifall bei den Grünen.)

Hören wir endlich auf, Ausländerinnen und Ausländer unter den Generalverdacht der Kriminalität zu stellen, so wie auch ich noch nicht einmal beim BZÖ bereit wäre, einen Generalverdacht zu erheben, dass man dort gerne missliebige Pressesprecher von Ministerinnen, die einem früher angehört haben, verprügelt. (Beifall bei den Grünen.)

16.37


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Als Nächster gelangt Herr Abgeordneter Dr. Fich­tenbauer zu Wort. 6 Minuten gewünschte Redezeit. – Bitte.

 


16.38.03

Abgeordneter Dr. Peter Fichtenbauer (FPÖ): Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Hohes Haus! Es ist wahrscheinlich schwer nachvollziehbar – beson­ders für die doch in beeindruckender Zahl vorhandene junge Zuseherschar –, wie man über eigentlich selbstverständliche Dinge eine so verwirrendes Herumgerede insze­nieren kann (Abg. Öllinger: Das ist richtig!), dass man zum Schluss als unbedarfter Zuschauer bei Gott nicht mehr weiß, woher sich da ein Fluidum in manche Gedan­kensphären hineinschleicht, das mit dem Anlass nichts zu tun hat.

Der Anlass ist kein Fußballspiel, lieber Herr Kollege aus Favoriten, sondern der Anlass ist das, was alle Menschen, die das sehen konnten und wollten, im Fernsehen ge­sehen und in der Zeitung gelesen haben, nämlich dass zwei rivalisierende Gruppen – eine türkische Gruppe und eine kurdische Gruppe, die sich auch völlig offen zu diesem Phänomen und zu ihrem Konfliktpotential bekannt haben (Abg. Öllinger: Das ist aber immer so, sonst prügelt man sich ja nicht!) – öffentlich zum Teil mit Waffengewalt aufeinander losgegangen sind, eine Schlägerei inszeniert haben, Messer eingesetzt haben, und Faktum ist, dass dieser Umstand eine Störung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ist.


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Ich kann nicht verstehen, wer das in diesem Haus bestreiten möchte! Ja, wo sind wir denn? Sind wir eine Verbrecherunterstützungspartie? Ich weiß nicht, was soll denn das heißen? (Abg. Öllinger: Was regen Sie sich denn auf? Abg. Ing. Kapeller: Herr Doktor!) Jetzt muss man sich hier darum streiten, dass es legitim ist, darüber zu reflektieren, dass die Sicherheitsbehörden, die zuständig sind, diesen Ausbreitungen gegebenenfalls Einhalt gebieten. – Das kann doch nicht wahr sein! (Beifall bei der FPÖ. – Abg. Öllinger: „Reflektieren“ ist vielleicht das falsche Wort! Abg. Ing. Kapel­ler: Das tun wir ja auch!) – Moment!

Es ist davon geredet worden, dass das Versammlungsrecht ein Grundrecht sei. Ja bitte, wer wird denn jetzt über Selbstverständlichkeiten zu streiten beginnen? (Abg. Öllinger: Sie!) Jawohl, das ist ein Grundrecht, und das ist gar nicht mit komischem Gekicher zu quittieren. Sie sollten aber dazulernen, dass die Grundrechte in Österreich unter Gesetzesvorbehalt stehen. (Abg. Ing. Kapeller: Bravo!) Schauen Sie sich nächstes Mal den Präsidenten Korinek an, wenn er im Fernsehen spricht! – Der hat das der Bevölkerung erzählt. (Beifall bei der FPÖ.)

Der Einschränkungstatbestand ist gemäß der einfachen Gesetzeslage zu prüfen. Wir verweisen hier daher auf das Versammlungsrecht. Ich kann es nicht mehr hören, dass wie „Om mani padme hum“ einhergebetet wird, die Polizisten tun ihren Dienst. – Ja selbstverständlich, was sollen sie denn sonst machen, wenn sie eingesetzt sind?! (Abg. Öllinger: Ja, aber wie?)

Die Polizisten verrichten ihren Dienst ordentlich. Die Freiheitliche Partei ist zum Beispiel immer und jederzeit hinter den Organen der öffentlichen Sicherheit gestanden und wird das weiterhin tun, denn die sind natürlich das letzte und schwächste Glied der Organisationskette und müssen den sprichwörtlichen Kopf für das hinhalten, was die Obrigkeit gegebenenfalls an klaren Befehlen unterlässt. – Das ist es nämlich, das berühmte „Im-Regen-stehen-Lassen“.

Mein Appell zielt in erster Linie darauf ab – und der Minister ist das oberste Organ der Verwaltung in der Organisationszuständigkeit betreffend die Polizeibehörden –, dass die Beamten nicht im Regen stehen gelassen werden. Als gewählter Volksvertreter nehme ich für mich als Inhaber des Grundmandates Wien-Süd – das ist die betroffene Region, wo bekannterweise nicht mit Messern Fußball gespielt wird – das Recht in Anspruch, dass dort Ordnung und Sicherheit gewahrt werden.

Es ist überhaupt ein eigentümliches Phänomen, dass es anständige und unanständige Demonstrationen beziehungsweise Demonstrationsziele gibt. Am 1. Mai 2007 hat in Innsbruck eine Demonstration gegen die SPÖ-Regierung und gegen Faschismus stattgefunden, mit zirka 1 500 Teilnehmern. Es sind Transparente getragen worden, mit Hinweisen auf Mao, Stalin, Lenin – und Abdullah Öcalan. – Das ist bekannterweise der inhaftierte Vorsitzende der PKK. Da definiert sich die politische Zugehörigkeit auch klar.

Darunter ist auch ein Plakat mit der Aufschrift „Tod und Hass der FPÖ“ getragen worden. – Wahrscheinlich brandet jetzt gleich der Applaus der grünen Freunde auf. (Abg. Mag. Brigid Weinzinger: Entschuldigung, aber das nehmen Sie jetzt zurück!) – Ja, das nehme ich gerne zurück. Das war überspitzt, nehmen Sie es mir nicht übel, wenn ich das daran messe, aber Sie haben keinen Anlass zur Empörung. (Abg. Dr. Haimbuchner: Da muss man sich nicht empören!)

Kollege Hauser hat das zur Strafanzeige gebracht. Es wurde natürlich erwartungs­gemäß zurückgelegt. Wir haben eine Anfrage bei der Bundesministerin eingebracht, und in der Antwort heißt es, das Vorliegen des Tatbestandsmerkmales ist zu ver­neinen, weil der unmittelbare Anlass zur Verwirklichung des Sachverhaltes nicht erkennbar war. – Freilich, wir müssen warten, bis wirklich jemand umgebracht wird.


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Dann ist der Tatbestand wirklich erfüllt. – Das kann doch nicht wahr sein! (Abg. Dr. Haim­buchner: Ein Skandal ist das!)

Ich bitte daher darum, dass es sine ira et studio und bei aller Achtung verschiedener politischer Positionen ein gemeinsames, unstrittiges Fundament gibt – das muss es geben! –, dass die öffentliche Ordnung und Sicherheit, von wem auch immer sie durch Zusammenrottung und durch welchen Maßnahmenkatalog auch immer gestört wäre, herzustellen ist und solche gefährlichen Versammlungen zu unterbinden sind, und zwar unter Berufung auf das Grundrecht, das unter Gesetzesvorbehalt steht, und zwar unter dem Versammlungsgesetzes-Vorbehalt, und dazu sind die öffentlichen Behörden da. Das ist ein sehr, sehr billiges Verlangen, und das stelle ich als Volksvertreter. – Danke schön. (Beifall bei der FPÖ. Bundesminister Dipl.-Ing. Pröll: Das werden sie erfüllen!)

16.44


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Nun gelangt Herr Abgeordneter Dr. Rasinger zu Wort. 6 Minuten gewünschte Redezeit. – Bitte.

 


16.44.40

Abgeordneter Dr. Erwin Rasinger (ÖVP): Sehr geehrter Herr Minister! Ich habe jetzt über zwei Stunden hindurch versucht, als Nicht-Jurist irgendwo in der Diskussion einen Faden zu finden, worum es da eigentlich gehen sollte. (Abg. Dr. Graf: Bei den Demonstrationen gibt es immer Verletzte!  So, das ist es!)

Der Rechtsanwalt Kollege Fichtenbauer hat mich eher noch ein bisschen verwirrt, denn zu dem Fundament, das er anspricht, gehört schon noch ein zweiter Stein, nämlich die Versammlungsfreiheit. – Das kann man nicht so einfach wegwischen.

Ich werde es mir nicht so leichtmachen wie die Grünen – auf die werde ich noch eingehen. Fordern kann man alles – jeder kann fordern –, aber umsetzen muss es ja letztendlich die Behörde, und die muss sich nach dem Gesetz richten, das wiederum – da sind wir uns alle einig – vom Verfassungsgerichtshof interpretiert wird. Dieser setzt sehr strenge Maßstäbe, denn sonst würden nach Willkür sehr viele Demonstrationen – viel mehr als jetzt – verboten, wahrscheinlich sogar rund um Fußball-Matches. (Abg. Ing. Westenthaler: Es wird eh verboten! Es werden ja Demonstrationen verboten!)

Der Verfassungsrichter fordert schlicht und einfach konkrete, objektiv festgestellte Um­stände, weshalb die öffentliche Sicherheit und das Wohl gefährdet seien. Ich bin kein Jurist, aber dieser Bereich ist relativ eng. Ich möchte nur Folgendes sagen: Die Situation ist heikel. – Das ist keine Frage. Ich glaube, da muss man blind sein oder absichtlich wegschauen wie die SPÖ oder die Frau Stadträtin Frauenberger, die sagt: Alles leiwand, das gibt es nicht!, und so weiter. (Abg. Ing. Westenthaler: Der Minister sagt, es ist alles in Ordnung!)

Ich meine aber, die Behörde ist – und das ist der entscheidende Punkt! – nach Ab­wägung aller Vor- und Nachteile zu der Entscheidung gekommen, die Demonstration zu erlauben und eine andere Routenführung zu verlangen.

Entscheidend ist natürlich auch, wie sich die Situation zum Beispiel im Nordirak entwickeln wird. (Abg. Scheibner: Aber das kann ja nicht uns interessieren!)

Ich glaube, das sollte nicht so abgehandelt werden, wie es der Kollege Pilz gemacht hat, der jetzt wieder einmal weg ist. Er macht alles lächerlich, indem er sagt, das sei alles Unfug, die EU solle da irgendetwas im Irak machen, der Konflikt sei erfunden. Erzählen Sie das einmal den Leuten in Favoriten, dass der Konflikt erfunden ist! Die Situation ist heikel.


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Interessanterweise hat die Frau Kollegin Weinzinger etwas ganz anderes gesagt als der Kollege Pilz, weil sie ja etwas anderes insinuiert hat. Sie hat gesagt, die ohnehin heikle Situation werde noch verschärft. – Das haben Sie gesagt. Ich habe versucht, Ihnen richtig zuzuhören. Sie haben aber noch etwas anderes hineinverpackt. Sie haben gesagt: Aha, sehr interessant, die ÖVP setzt sich da für die Versammlungs­freiheit ein! – Natürlich setzen wir uns dafür ein!

Kollegin Weinzinger, Sie haben gemeint, Sie werden die ÖVP und die anderen Par­teien darauf aufmerksam machen, dass es dann auch unter dem Titel Ver­samm­lungsfreiheit stehen wird, wenn am Rande einer Demo etwas passiert. – Na das wollen wir nicht, dass von eins bis drei eine Versammlung stattfindet, und dann nach drei gibt es den Wickel! (Abg. Mag. Brigid Weinzinger: Ihr Kollege Kapeller!) Also so geht es nicht! (Abg. Ing. Westenthaler: Der Kapeller hat aber von „Windschatten“ ge­sprochen!) – Im Windschatten einer Demo. Das können wir sicher nicht akzeptieren, dass es dann zu Gewalt kommt, und alle schauen weg. (Abg. Ing. Westenthaler: Das war der Kollege!)

Auch das, was Sie gesagt haben, dass es da im Haus einen Generalverdacht gegen Migranten gibt, sollte man, glaube ich, schon zurückweisen. – Da übertreiben Sie mächtig! Die Grünen müssen sich da einmal einig werden, was sie wollen. Segelt Ihr die Linie vom Pilz, der sagt, alles sei lächerlich, die EU solle es richten, oder segelt Ihr ihre Linie, die sagt, man solle nicht alle kriminalisieren?

Die Polizei in Wien hat schon sehr viele Demos erlaubt, sie hat sehr viele Demos begleitet und ist eigentlich immer sehr erfahren und sehr angemessen mit Demos umgegangen. Sie ist vorbereitet. Wie ich höre, werden sehr viele Beamte eingesetzt.

Man muss aber sagen: Es kann sein, dass diese Situation im Nordirak noch heikler wird und noch mehr eskaliert. Das können wir heute nicht wissen, aber zum heutigen Stand ist die Polizei der Meinung, dass sie das auf Grund des Verfassungsrechts nicht untersagen kann.

Wir von der ÖVP sind natürlich für die Einhaltung der Versammlungsfreiheit, weil es ein Verfassungsgut ist, aber wir erteilen jeglicher Provokation – vor allem gewaltsamer Provokation – eine entschiedene Absage. Das eine darf das andere nicht erlauben. (Beifall bei der ÖVP.)

16.49


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Nun gelangt Herr Abgeordneter Vilimsky zu Wort. 6 Minuten Wunschredezeit. Restredezeit insgesamt 9 Minuten. – Bitte.

 


16.49.29

Abgeordneter Harald Vilimsky (FPÖ): Frau Präsident! Herr Landwirtschaftsminister! Ich freue mich auf die kompetente Vertretung des Herrn Innenministers. (Abg. Ing. Kapeller: Die ist gewährleistet!) Meine Damen und Herren, wir sind heute wieder mit einer Debatte des BZÖ beschäftigt, und irgendwie kommt es mir so vor, als hätte es in den vergangenen Jahren überhaupt keine Demonstrationen in Wien gegeben.

Die Mariahilfer Straße war phasenweise wöchentlich mit Demonstrationen konfrontiert, wobei vom Westbahnhof aus die ganze Mariahilfer Straße hinunter ein Zug statt­gefunden hat, die Kaufleute malträtiert waren und es Umsatzeinbußen von ganz gewaltiger Art und Weise gegeben hat. Das alles hat Sie überhaupt nicht interessiert! –Das muss man auch einmal in aller Deutlichkeit sagen. (Zwischenrufe beim BZÖ.)

Man muss auch in aller Deutlichkeit sagen, dass Sie mitverantwortlich dafür waren, dass 300 000 Zuwanderer ins Land geholten wurden und jetzt – na klar! – die Inte­grationsdefizite da sind, die nicht bewältigbar sind. Als wir parteiintern gestritten und gesagt haben: Kauft doch nicht die Eurofighter um 2 Milliarden € und spart gleichzeitig


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die Polizei- und die Planstellen ein!, war euch das völlig egal. Ihr habt die Eurofighter gekauft und die Zahl der Planstellen bei der Exekutive reduziert, und heute kommen die Krokodilstränen. – Das ist nicht nur schäbig, das ist auch lächerlich! (Zwischenruf des Abg. Murauer.)

Aber ich möchte einmal zu dieser Kurden-Problematik prinzipiell etwas sagen. Wo sind denn die Gutmenschen der SPÖ und der Grünen, wenn es darum geht, dass das größte Volk dieses Erdballs keinen eigenen Staat hat, auf vier Staaten aufgeteilt ist und von diesen vier Staaten in miserabler Art und Weise behandelt wird? – Da wäre einmal eine europäische Staatengemeinschaft ... (Abg. Krainer: Fünf Staaten!) – Wenn man den Teil der ehemaligen UdSSR dazuzählt; ich weiß, ja. (Abg. Krainer: Die UdSSR gibt es schon länger nicht mehr!)

Es ist aus Ihrer Sicht nichts gekommen, was die Kurden-Problematik vor Ort auch nur ein bisschen entspannen könnte. Es ist ja klar, dass man da nichts tut: Die Türkei soll in die Europäische Union geholt werden, daher macht man eben den Kniefall vor der Türkei und verschweigt sich hier. (Abg. Scheibner: Wer soll denn das machen?)

Faktum ist: Die Integration hat versagt, weil zu viele gekommen sind, die Sie ins Land hereingeholt haben, und es Defizite in der Integrationspolitik gibt.

Zu den gesetzlichen Grundlagen und der Versammlungsfreiheit muss man schon eines sagen: Artikel 12 Staatsgrundgesetz sieht sehr wohl vor, dass bei der Versammlungs­freiheit eine Interessensabwägung stattzufinden hat, auf der einen Seite der Demons­trationsteilnehmer und auf der anderen Seite der betroffenen Anrainer und auch Geschäftsleute. Es ist keine Verhältnismäßigkeit, hier Demonstrationszüge zuzulassen, die massive Umsatzeinbrüche bei Geschäftsleuten nach sich ziehen. Aus meiner Sicht dürfte eine Demonstration dieser Art niemals in einem dicht verbauten Gebiet stattfinden.

Aber wenn Sie so sehr für die Versammlungsfreiheit sind: Machen wir die Probe aufs Exempel! Ich mache folgende Wette: Ich melde für 1. Mai des kommenden Jahres eine Demonstration an ... (Zwischenrufe bei ÖVP und Grünen.) Jetzt hören Sie einmal zu und schreien Sie nicht. (Abg. Ing. Kapeller: Herr Kollege, Burschenschafter-Versamm­lungen werden auch geschützt!) – Ich melde für 1. Mai eine Demonstration auf dem Rathausplatz für mehr soziale Gerechtigkeit an. Ich bin gespannt, ob ich für uns die Möglichkeit erhalte, am 1. Mai, wenn der Rathausplatz der SPÖ gehört, dort demons­trieren zu dürfen. (Zwischenrufe bei SPÖ und ÖVP.) Das darf ich sicher nicht; ich gehe jede Wette mit Ihnen ein.

Aber die Kaufleute sind Ihnen völlig egal! Die können Umsatzeinbußen der ganz großen Sorte haben, und es kümmert Sie nicht. Oder wenn irgendwo der ÖVP-Bun­des­parteivorstand tagt, und ich melde eine Demonstration vor den Räumlichkeiten der ÖVP an (Abg. Krainer: Wird genehmigt!) – ich bin überzeugt davon, dass die Demonstration keine Genehmigung findet. (Abg. Ing. Kapeller: Die Burschenschafter-Demonstration in Linz wurde nicht untersagt ...!) Das ist genau die Verlogenheit, mit der Sie heute hier argumentieren! (Beifall bei der FPÖ.)

Ich persönlich stelle mir die Frage – und die ist zu diskutieren –, ob Demonstrationen, die ihrem Inhalt nach weder die österreichische noch die europäische Zuständigkeit irgendwo berühren, überhaupt im dicht verbauten Gebiet stattfinden und genehmigt werden dürfen. Es gibt die grüne Wiese, es gibt im Stadtaußenbereich durchaus genügend Möglichkeiten, sich zu artikulieren, sodass nicht eine Demonstration nach der anderen zuzulassen ist, von denen man ja im Vorfeld schon weiß, dass das öffentliche Wohl und die öffentliche Sicherheit massiv gefährdet sind, Massen­schlägereien evident sind und es nur eine Frage der Zeit ist, bis es das nächste Mal wieder hochkommt. Dann werden wir wieder hier sitzen und diskutieren! Das ist eine


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Politik, die mit Sicherheit keine richtige ist und die schon von vornherein in eine falsche Richtung geht.

Wir fordern erstens einmal ein Demonstrationsverbot für Demonstrationen dieses Aus­maßes im dicht verbauten Gebiet. (Abg. Öllinger: Was?) Wir fordern weiters ... (Abg. Ing. Kapeller: 4 000 Leute dürfen nicht mehr zusammenkommen?) – Hören Sie zu, oder kommen Sie nachher heraus.

Wir fordern weiters den rigorosen Vollzug des Versammlungsgesetzes, das dem Innenminister sehr wohl die Möglichkeit gäbe, diese Demonstration im Vorfeld zu untersagen. (Abg. Ing. Kapeller: Wie viele Teilnehmer sind Ihnen recht? Zwei, drei, vier?)

Das Dritte ist, dass Sie endlich aufhören mit Ihrer verfehlten Politik der Zuwanderung und endlich einmal die Integrationsdefizite beseitigen, die Sie verursacht haben. Dann kann man über Weiteres reden. – Danke sehr. (Beifall bei der FPÖ.)

16.54


Präsidentin Mag. Barbara Prammer: Als Nächster gelangt Herr Abgeordneter Scheib­ner zu Wort. 5 Minuten gewünschte Redezeit. – Bitte.

 


16.55.00

Abgeordneter Herbert Scheibner (BZÖ): Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Es ist immer wieder lustig, sich die Pflichtübung der BZÖ-Beschimpfung von Herrn Vilimsky anzuhören, selbst jetzt bei diesem Thema, obwohl ich zuerst von einem Abgeordneten von Ihnen eigentlich gehört habe: Wieso bekämpfen wir uns da immer irgendwie gegenseitig in der Opposition? (Bundesminister Dipl.-Ing. Pröll: Das macht ja ...!) – Ja, dazu kommen wir noch ein anderes Mal.

Ich meine, diesen Frust oder diesen inneren Ärger sollte man einmal ein bisschen ablegen, Kollege Vilimsky! Aber ich weiß schon, das ist ein altes Motto: Wenn man zuerst, auch innerparteilich, auf einer anderen Seite gewesen ist, muss man dann besonders radikal gegen diejenigen zu Felde ziehen, bei denen man vorher gewesen ist. Soll sein, soll sein! (Zwischenruf des Abg. Vilimsky.) Na, da haben wir wieder den richtigen Nerv getroffen. (Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Aber zu dieser einen Geschichte, wir hätten 300 000 Ausländer hereingebracht – nur noch einmal als Wiederholung –: Immerhin wart ihr alle lange Zeit in dieser Regie­rungs­periode auch noch sehr zufrieden, dass man in der Regierung gewesen ist, und zweitens waren ein Großteil dieser „Zugewanderten“ – unter Anführungszeichen –deutsche Staatsbürger. Ich wundere mich jedes Mal wieder darüber, dass gerade ihr euch so dagegen wehrt, dass deutsche Staatsbürger nach Österreich kommen dürfen. Ich sage, ich habe gar nichts dagegen, denn das ist ja ein gutes Signal, dass es den Deutschen mittlerweile in Österreich besser als in ihrem eigenen Land geht. Darauf sind wir als Österreicher durchaus stolz. Aber da brauche ich mich jetzt nicht groß gegen die Einwanderung auszusprechen.

Jedenfalls sind diese Probleme mit radikalen Türken nicht in den letzten fünf oder acht Jahren entstanden, sondern die Wurzeln dieser Probleme sind fünfzehn, zwanzig Jahre alt und noch älter. Sie gehen darauf zurück, dass man damals, in den achtziger Jahren, die Türen geöffnet hat und, ohne die Möglichkeiten der Integration zu be­achten, ganz einfach eine Zuwanderung gepflegt hat, aus welchen Gründen auch immer, die zu diesen heutigen Problemen geführt hat.

Wir sehen auch, dass wir gerade bei den Türken – und ist jetzt nicht irgendwie xenophob – diese Schwierigkeiten haben, weil bei ihnen auch noch ein gerüttelt Maß an Nationalismus dazukommt. Deshalb ist ja dort die Integration so schwierig, weil auch der Türke der zweiten und dritten Generation von sich sagt: Ich bin und bleibe


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Türke, egal wo ich bin!, und dieser sich ganz einfach viel schwerer tut, wenn es darum geht, sich hier in die Gesellschaft zu integrieren, als vielleicht Angehörige anderer Nationalitäten.

Es gibt natürlich ein Versammlungsrecht, und deshalb kann ich es auch nicht befürworten, dass man Demonstrationen und Versammlungen grundsätzlich verbietet, ob jetzt mehr dabei sind oder nicht. Ich glaube, auch FPÖ-Abgeordnete waren es, die in ihrer Studentenzeit an Großdemonstrationen der Studenten teilgenommen haben. Ja, warum nicht! Das ist das Recht, in aller Ruhe seine Meinung auch auf der Straße kundzutun – selbstverständlich! (Abg. Dr. Graf: War immer so!) Martin, auch du hast sicherlich schon an der einen oder anderen Demonstration teilgenommen. Das ist das Recht, keine Frage.

Aber wenn jemand dieses Demonstrations- und Versammlungsrecht missbraucht, um hier das Strafrecht zu brechen, um unsere Gesetze zu brechen, um die Ruhe, Sicher­heit und Ordnung in diesem Land zu stören, dann kann man wirklich sagen: Da ist die Grenze dieses Rechts auf Versammlung und auf Demonstration erreicht.

Frau Kollegin Weinzinger, dann gleich taxfrei zu sagen: Das ist Hetze, das ist Generalverdacht für alle!, das ist wieder die typische Verharmlosung und das typische Wegschieben in der ganzen Problematik, so wie ich auch Ihnen, Herr Bundesminister, und den Vertretern der SPÖ dieses Verharmlosen vorwerfen muss. Wenn man dann hört, das war ja ein Konflikt im Fußballerbereich (Bundesminister Dipl.-Ing. Pröll: Das habe ich nie gesagt!) – nein, nicht Sie, aber die SPÖ-Abgeordnete; Sie haben gesagt, es hat keinen politischen Hintergrund gegeben –, dann ist das, glaube ich, Verharm­losung.

Denn: Da braucht man nicht BZÖ-Blätter oder FPÖ-Blätter zu lesen, sondern nur die „Presse“, worin der Kurdenführer davor warnt, dass es weitere Eskalationen gibt. Er sagt dann weiters, dass, wenn der Konflikt im Nordirak wirklich zu einer kriegerischen Auseinandersetzung ausbricht, er gar nicht wissen wolle, was sich in Europa noch abspielen wird.

Ich möchte das schon wissen, weil mich als Außenpolitiker dieser Konflikt natürlich interessiert – aber nicht hier in Europa! Dieser Konflikt soll, wenn es unbedingt sein muss, dort ausgetragen werden, wo er hingehört, nämlich dort, wo die Probleme sind, aber nicht hier in Europa; und wenn hier jemand einen Stellvertreterkrieg führen will, dann ohne uns! Dann kann man nur sagen: Mit aller Kraft auch unserer Gesetze werden wir das zu verhindern wissen; da gibt es kein Versammlungsrecht! (Beifall beim BZÖ.)

Da muss ich sagen: Es gab auch wirklich einen interessanten Unterschied. Weil Herr Vilimsky noch gesagt hat, man solle etwas tun, um das Kurdenproblem zu lösen, frage ich in Anlehnung an die Europa-Debatte heute in der Früh: Wer soll denn das tun? Die Amerikaner? – Nein, das wollen wir nicht. Die EU? – Nein, das wollt ihr auch nicht, denn mit der EU geht es ja wieder um die Neutralität, und da soll man sich nicht einmischen. (Präsident Dr. Spindelegger übernimmt den Vorsitz.)

Auch das ist ein Beispiel dafür: Wenn man nicht genug internationale Ressourcen hat, um Konflikte zu regeln und zu lösen, dann kommen die Konflikte zu uns. – Das wollen wir aber wohl verhindern!

Ich erinnere mich da an den Krieg auf dem Balkan. Auch damals gab es hier in Österreich und auch in Deutschland Gruppen, die auf beiden Seiten gewesen sind. Aber die haben nicht hier demonstriert, die haben nicht hier gewalttätige Auseinan­dersetzungen gehabt, sondern die sind dann – wir kennen das – mit Bussen zum Wochenende in die Konfliktregion gefahren und haben versucht, dort das eine oder


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andere zu machen. Das war auch nicht sehr nett, aber wenigstens haben sie den Konflikt nicht hierher nach Österreich, nicht nach Europa getragen.

Das erwarten wir auch von Ihnen (in Richtung Bundesminister Dipl.-Ing. Pröll) – jetzt nicht im Konkreten von Ihnen, aber von Ihnen als Regierungsvertreter und auch von den Regierungsparteien –, dass man nicht verharmlost, dass man natürlich auch nicht verallgemeinert, aber dass man ein klares Signal setzt, dass wir hier in Österreich keine Stellvertreterkriege zulassen werden und alles dafür tun, um das auch in Zukunft zu verhindern. (Beifall beim BZÖ.)

Das Gesetz und die Rechtsordnung geben dafür hinreichende Handhabe. Das heißt, wenn ein Missbrauch dieses Rechts erfolgt, so muss dieser abgestellt werden. Dann muss es natürlich auch das Demonstrationsverbot geben, dann muss es das Ver­sammlungsverbot geben, und dann muss auch klar sein, dass dann, wenn hier jemand straffällig wird, auch abgeschoben werden kann. Dann kann er dorthin abgeschoben werden, wo er ja anscheinend diese Zustände irgendwie korrigieren möchte. Aber jedenfalls hat das hier in Österreich nichts verloren.

Ich hoffe, dass Sie – und hoffentlich nicht erst dann, wenn es zu spät ist – auch auf diese Linie eingehen werden und dass man solche gewalttätige Demonstrationen wirklich im Keim erstickt und verhindert. (Beifall beim BZÖ.)

17.02


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Weinzinger. 4 Minuten Redezeit; das ist auch die Restredezeit Ihrer Fraktion. – Bitte, Herr Kollege.

 


17.02.22

Abgeordneter Lutz Weinzinger (FPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundes­minister! Ich bin sehr froh darüber, dass die Anfragebeantwortung vom Herrn Bundes­minister für Landwirtschaft durchgeführt wurde, weil sonst Bundesminister Platter wieder so scharf „hineingefahren“ wäre. Gott sei Dank ist das etwas friedlicher abgegangen; ich danke Ihnen dafür. (Heiterkeit bei der FPÖ.)

Meine Damen und Herren, nach diesen Diskussionen, die ich heute miterlebt habe, nehme ich zur Kenntnis: Es gibt bei uns offensichtlich kein Problem zwischen Türken und Kurden. (Abg. Ing. Westenthaler: Alles super!) Was heißt denn da überhaupt „Kurden“? – Das sind die „Bergtürken“, wie uns die Türken immer weismachen wollen! Nur: Wer Karl May gelesen hat, weiß, dass das etwas anderes ist.

Ich nehme also zur Kenntnis, dass es hier keine Auseinandersetzungen gibt. Ich nehme zur Kenntnis, dass es, wenn es Auseinandersetzungen gibt, um Fußballspiele und um Wirtshausraufereien geht, und zwar von integrierten Damen und Herren. Was das Integrieren betrifft, nehme ich auch zur Kenntnis, was meine charmante Vorred­nerin und Namenskollegin mir gesagt hat: Integration ist wichtig und funktioniert bei uns!

Selbstverständlich, sie muss ja funktionieren, daher kann der Artikel vom 26. Oktober 2007 aus der „Wiener Zeitung“ absolut nicht stimmen, in dem einige aktuelle Zitate aus dem Islam-Unterricht in unseren Schulen drinstehen:

Der Koran verbietet Muslimen, mit Christen oder Juden befreundet zu sein. – Ein schöner Weg zur Integration!

Der Islam verbietet Frauen das Händeschütteln mit Männern. – Schöne Angelegenheit, wenn wir für die Frauenrechte sind!

Die Bemühungen um einen Dialog zwischen den Religionen und um Integration sind nicht vereinbar mit dem Islam, denn das wirkliche Ziel dieser Bemühungen ist die


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Assimilation. – Diesen Thesen wurde nicht widersprochen, in keiner Weise, meine Damen und Herren. So schaut es nämlich tatsächlich aus! (Ruf bei der FPÖ: Das ist die Wahrheit!)

Wenn aber alles andere nicht stimmt und wir das ja nur am Rande und offensichtlich völlig falsch wahrnehmen, dann freue ich mich doch über eines: dass sich das Hohe Haus hier geschlossen auf das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit und Demons­trations­freiheit eingeschworen hat. Ich freue mich darüber!

Ich bitte die Damen von den Grünen, jetzt kurz die Ohren zuzuhalten, damit sie nicht in Ohnmacht fallen: Ich bin Burschenschafter, und zwar überzeugter. (Beifall und Bravorufe bei der FPÖ.) Die Burschenschaft trifft sich seit Jahren und Jahrzehnten jeden Mittwoch vor der Universität auf der Rampe zum so genannten „Bummel“. Seit einigen Wochen und Monaten werden diese Veranstaltungen aber schon schwerstens von gewaltbereiten Damen und Herren jüngeren Alters gestört. Es gab auch bereits Verletzungen. Die Polizei kommt, und sie schützt uns. Sie schützt uns dahin gehend und damit, dass sie sagt: Geht ihr nach Hause, weil es sonst Auseinandersetzungen gibt! – Das ist die Versammlungsfreiheit, wie man sie Rechtsgerichteten gegenüber zu verstehen gibt!

Da gibt es auch eine weitere Geschichte, die ich Ihnen noch ganz kurz erzählen muss. Voriges Jahr im August habe ich mit einigen anderen Burschenschaftern in Braunau (Abg. Brosz: Braunau, so ein Zufall!) des 200. Todestages von Palm gedacht, der dort von napoleonischen Truppen nach einem kriegsgerichtlichen und illegalen Verfahren erschossen wurde, weil er für die Pressefreiheit eingetreten war. Wir demonstrierten dort eigentlich gar nicht, sondern wir wollten nur seiner gedenken. (Zwischenrufe bei den Grünen.)

Es musste als Demonstration angemeldet werden; das haben wir getan. Anschließend wurden wir aber schon ordentlich bewacht! Wir waren etwa 200 Frauen und Männer, jüngere und ältere. Eine Hundertschaft Polizisten wurde abgestellt, um uns zu schützen – tatsächlich, um zu verhindern, dass wir in irgendeiner Form auftreten können. – Das ist die Demonstrationsfreiheit gegenüber rechtsgerichteten Gruppierun­gen! (Zwischenruf des Abg. Rädler.)

Kommen wir zurück nach Wien! „Tausend Jahre Österreich! – das darf man ja noch ... (Präsident Dr. Spindelegger gibt das Glockenzeichen.) – Mein Schlusssatz: „Tausend Jahre Österreich“, von der FPÖ angemeldeter Festzug am Ring. Eine Gegendemons­tration wurde von wild gewordenen Linken angemeldet. Was ist geschehen? – Unser Demonstrationszug wurde abgesagt und verboten, und wir durften uns drinnen im Schweizerhof versammeln. (Oh-Rufe bei der FPÖ.) – Das ist die Demonstrations- und Versammlungsfreiheit!

Ich habe heute mit großer Begeisterung zur Kenntnis genommen, dass sich das in Zukunft ändern wird. (Abg. Krainer: Was ist das für ein Schlusssatz?) – Danke. (Beifall bei der FPÖ.)

17.07


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Zu Wort ist dazu niemand mehr gemeldet.

Die Debatte ist geschlossen.

Ich bitte alle Damen und Herren, ihre Plätze einzunehmen, damit wir zur Abstimmung kommen können.

Wir gelangen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Ing. Westenthaler, Kolleginnen und Kollegen betreffend Verbot türkischer und kur­discher Versammlungen.


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Ich bitte jene Damen und Herren, die für diesen Entschließungsantrag sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist die Minderheit. Daher abgelehnt.

17.07.53Kurze Debatte über einen Fristsetzungsantrag

 


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Wir kommen nunmehr zur Durchführung einer kurzen Debatte.

Diese betrifft den Antrag des Herrn Abgeordneten Ing. Westenthaler, Kolleginnen und Kollegen, dem Ausschuss für Arbeit und Soziales zur Berichterstattung über den Antrag 449/A der Abgeordneten Mag. Aubauer, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Pflege-Übergangsgesetz geändert wird, eine Frist bis 3. Dezember 2007 zu setzen.

Nach Schluss dieser Debatte wird die Abstimmung über den gegenständlichen Frist­setzungsantrag stattfinden.

Wir gehen in die Debatte ein.

Ich mache darauf aufmerksam, dass gemäß § 57a Abs. 1 der Geschäftsordnung kein Redner länger als 5 Minuten sprechen darf, wobei der Erstredner zur Begründung über eine Redezeit von 10 Minuten verfügt. Stellungnahmen von Mitgliedern der Bundes­regierung oder zu Wort gemeldeten Staatssekretären sollen nicht länger als 10 Minu­ten dauern.

Das Wort erhält zunächst der Antragsteller, Herr Abgeordneter Dolinschek. 10 Minuten maximale Redezeit. – Bitte.

 


17.08.52

Abgeordneter Sigisbert Dolinschek (BZÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Hohes Haus! Völlig überraschend hat die ÖVP gestern im Parlament einen Antrag zur Verlängerung der Pflegeamnestie eingebracht, die ja mit Ende dieses Jahres auslaufen soll. Dieser beinhaltet sozusagen eine Verlängerung bis Ende des nächsten Jahres. Auf jeden Fall schaut es so aus, dass die Bundesregierung in diesem Zusammenhang, was die Pflege betrifft, uneinig ist, nichts weiterbringt und auf der Stelle tritt.

Auf der einen Seite macht die SPÖ die ÖVP dafür verantwortlich, dass wegen dieser Amnestie das Fördermodell der SPÖ bisher praktisch nicht angenommen worden ist. Es ist tatsächlich so, dass dieses Fördermodell nicht angenommen worden ist. Dieses Fördermodell ist meiner Meinung nach auch nicht ausgereift, es greift nicht, es wird nicht in Anspruch genommen.

Auf der anderen Seite ist natürlich illegale Pflege nicht standesgemäß. Da könnte man ja gleich hergehen und sagen: Na ja, wenn jemand keine Arbeit findet, soll er eben schwarz arbeiten. – So kann es ja auch nicht sein. Auf jeden Fall sollten hier Nägel mit Köpfen gemacht werden.

Wir haben, als wir die Verantwortung getragen haben, im Wesentlichen daran gear­beitet, dass bei der Pflege von Pflegebedürftigen – und die werden ja in den nächsten Jahren immer mehr werden, deren Zahl wird sich in den nächsten 40 Jahren geradezu verdoppeln – richtig gehandelt wird. Es muss allen klar sein, dass wir in Zukunft mehr Geld für die Pflege in die Hand nehmen werden müssen. Das ist ganz klar. (Abg. Mandak: Es geht nicht nur um Geld!)

Frau Kollegin, wir müssen ganz einfach mehr Geld in die Hand nehmen für die Pflege­bedürftigen in Österreich. Es müssen mehr Modelle angeboten werden. Wir haben das für die Sozialbetreuungsberufe über eine Artikel-15a-Vereinbarung mit den Ländern so


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koordiniert, dass die Ausbildung, die in einem Bundesland stattfindet, auch im anderen anerkannt wird. Es gibt verschiedene Ausbildungsstufen, vom Diplom-Altenpfleger über die Altenpflege bis hin zur Haus- und Heimhilfe und so weiter und so fort. Und es ist unserer Meinung nach unbedingt notwendig, dass man diese Tätigkeit auch selb­ständig durchführen kann. Zu 80 Prozent sind es Frauen, die in der Pflege tätig sind, Bekannte, Familienangehörige und so weiter. Diese Tätigkeiten sollten in der nächsten Zeit forciert unterstützt werden.

Auf jeden Fall können wir einer Verlängerung der Legalisierung von illegalen Aus­ländern, die hier tätig sind, nicht zustimmen. Es stellt auch keine Lösung dar. Ich glaube, dass Schluss sein muss mit der Verunsicherung der Bevölkerung, die ja praktisch total verunsichert ist, nicht weiß, wie das weitergehen wird. Vor allem sollte man das Pflegegeld einmal erhöhen. Wir haben es im Jahre 2005 um 2 Prozent erhöht mit Wirkung ab 1. Jänner 2006. Es steht auch eine Valorisierung dieses Pflegegeldes an, auch das sollte durchgeführt werden. Bevor man Illegale legalisiert, sollte es so sein, dass wir Österreicher ausbilden, anstatt Ausländer für diesen Bereich zu impor­tieren.

Deswegen haben wir auch diesen Fristsetzungsantrag eingebracht, damit das bis zum 3. Dezember im Hohen Haus behandelt wird und wir noch vor Weihnachten hier im Plenum einen Beschluss für die österreichischen Pflegebedürftigen durchbringen, damit das auf legaler Basis passiert und nicht so wie bisher zum Teil auf illegaler Basis. (Beifall beim BZÖ.)

17.12


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Ich mache darauf aufmerksam, dass die Rede­zeit der nunmehr zu Wort gemeldeten Abgeordneten 5 Minuten beträgt. – Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Dr. Oberhauser. – Bitte, Frau Kollegin.

 


17.13.15

Abgeordnete Dr. Sabine Oberhauser (SPÖ): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Mitte dieses Jahres haben sich Vizekanzler Molterer, Minister Bartenstein und Minister Buchinger nach langen Verhandlungen auf ein Modell der Betreuung zu Hause geeinigt. Es wurden klare, rechtlich abgesicherte Regelungen geschaffen, die sowohl den Beschäftigten, aber auch den zu Betreuenden Sicherheit bieten. Umso erstaunlicher war es für uns deshalb, dass es gerade die ÖVP ist, die sich mit dem Einbringen des Antrages auf Verlängerung der Amnestieregelung zu jener öster­reichischen Partei mausert, die offensichtlich der Schwarzarbeit und Ausbeutung in diesem Bereich Tür und Tor offenhalten will.

In Österreich gibt es viele Menschen, die im Rahmen des zweiten Bildungsweges die Ausbildung zur Betreuung zu Hause machen. Und genau diesen Menschen versucht die ÖVP nunmehr den Weg zum legalen, sozial abgesicherten Arbeitsmarkt zu ver­wehren.

In den Koalitionsgesprächen war es uns völlig klar, dass es eine der Hauptaufgaben dieser neuen Bundesregierung sein muss, der Schwarzarbeit und Ausbeutung im Bereich der Betreuung zu Hause den Kampf anzusagen. Das wurde von der neuen Bundesregierung erledigt. (Abg. Öllinger: Mit dem Gesetz?) Und plötzlich soll alles anders sein? – Für uns SozialdemokratInnen ist das unverständlich.

Noch verwunderlicher ist es, dass das BZÖ nun mit einem Fristsetzungsantrag kommt. Um das Erinnerungsvermögen vielleicht ein bisschen aufzufrischen: Es war die dama­lige Sozialministerin Haubner, in deren Verantwortungsbereich es gefallen ist, dass bei der blühenden Schwarzarbeit und Ausbeutung im Betreuungsbereich zu Hause die Augen erst gar nicht aufgemacht wurden und der Kopf im Sand gehalten wurde.


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Dieses reflexartige Einbringen von Fristsetzungsanträgen ist meiner Einschätzung nach so ein bisschen ein Überbleibsel der alten Bundesregierung: Ich weiß nicht, wohin ich will, aber Hauptsache, ich bin schneller dort! – Das ist sicherlich nicht die Linie, die die Regierung unter Bundeskanzler Dr. Alfred Gusenbauer weiter verfolgen wird. (Beifall bei der SPÖ.)

Dass wir SozialdemokratInnen hinter unserem Sozialminister Buchinger stehen, brauche ich hier nicht extra zu erwähnen. Mir tut nur Minister Bartenstein leid, dessen Klub offensichtlich nicht hinter ihm und vor allem nicht hinter seiner Arbeit steht. Da es aber offensichtlich noch Unklarheiten über dieses Modell gibt, sehen es auch wir als nötig an, noch einmal im Sozialausschuss darüber zu diskutieren, denn wir vergessen auch nicht, dass die Betroffenen Sorge haben, dass sie sich legale Pflege nicht leisten können. Die Höhe der Förderungen wurde im Rahmen des Finanzausgleichs fest­gelegt. Vizekanzler Molterer hat damals einen Erhöhungsantrag von Buchinger abge­lehnt.

Daher auch mein Appell von hier an die Länder, sie mögen die im FAG politisch ein­stimmig beschlossene Artikel-15a-Vereinbarung zur 24-Stunden-Betreuung in den Ländern umsetzen. Oder ist es so, dass das Wort des ÖVP-Vorsitzenden vielleicht auch hier nicht mehr gilt? – Reden wir noch einmal darüber, aber sicherlich nicht nach der Methode: Speed kills!

Wir SozialdemokratInnen sind gegen die Verlängerung dieses ungesetzlichen Zustan­des. Wir möchten festhalten, dass in einem Sozial- und Rechtsstaat eine Amnestie nur eine kurzfristige Übergangsregelung sein kann, und wir warnen davor, Menschen in trügerischer Sicherheit zu wiegen. Verlängerung der Amnestie schließt nämlich zivilrechtliche Klagen nicht aus.

Sozialminister Buchinger wird in den nächsten Tagen alle PflegegeldbezieherInnen anschreiben und auch Hausbesuche durch qualifizierte Pflegekräfte anbieten. Das soll dazu dienen, den Betroffenen Ängste und Unsicherheiten zu nehmen.

Für mich bleibt nur mehr die Frage: Wem nützt eine Verlängerung der Amnestie­regelung? – Sie nützt jenen, die sich durch die Vermittlung von BetreuerInnen be­reichern. Sie nützt jenen, die hilfsbedürftige Menschen weiterhin verunsichern wollen. Und sie nützt jenen, die keine Qualitätssicherung in der Betreuung wollen, und vor allem auch jenen Menschen, die der Sozialversicherung Geld entziehen, indem sie BetreuerInnen nicht anmelden. Und all diesen Menschen will die ÖVP offensichtlich unter Adjutanz des BZÖ Vorschub leisten. (Abg. Scheibner: Na geh!) Dies sicherlich nicht mit Zustimmung der SPÖ! (Beifall bei der SPÖ.)

17.17


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Grander. 5 Minuten maximale Redezeit. – Bitte, Frau Kollegin.

 


17.17.21

Abgeordnete Maria Grander (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Abgeordnetem Dolinschek möchte ich sagen, dass er auch als Staats­sekretär in diesem Bereich tätig war, und es wären da viele Inputs bereits in den letzten sechs Jahren möglich gewesen.

Kollegin Oberhauser möchte ich ganz kurz sagen, dass uns rückgemeldet wird, dass Menschen und Organisationen, im Speziellen Rotes Kreuz, Caritas et cetera, den derzeitigen Anforderungen bis dato nicht entsprechen können. Daher ist es notwendig, diesen Antrag einzubringen. (Abg. Öllinger: Es gibt auch zu wenig Geld!) – Das wissen wir. Geld ist auch im Finanzausgleich bereitgestellt worden. (Abg. Öllinger: Nein! Das ist zu wenig!) Doch, doch! Es ist eine Entwicklung. Ich habe einen Betrieb


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13 Jahre lang als Pflegedirektorin geführt, habe Personalabbau von 25 Planstellen erlebt, Reorganisationen. Das braucht einfach eine gewisse Zeit. Das geht nicht in drei Monaten. Ich meine, man kann es in drei Monaten machen, aber es ist schwieriger.

Meine Kollegin Gertrude Aubauer hat gestern den Antrag auf Verlängerung der Amnestieregelung eingebracht. Sie können auch heute in den Medien verfolgen, dass die Seniorenvertreter der ÖVP und SPÖ, also Andreas Khol und Karl Blecha, klar diese neuerliche Verlängerung fordern, auch unser ehemaliger Abgeordneter Feurstein. Dr. Khol sagt klar: Da muss noch einiges gefeilt werden, und dazu braucht es die Verlängerung.

Herrn Blecha reicht der Informationsstand der Bevölkerung in Sachen Pflege nicht, und er sagt klar: „Daher verlängern wir die Amnestie lieber noch um das eine Jahr, bevor wir ein Chaos schaffen.“

Weiters sagt Gottfried Feurstein: „Der gestrige Antrag war ein wichtiges Signal an die Betroffenen.“

Die Amnestieregelung soll also bis Ende 2008 verlängert werden, um eine praktikable, finanzierbare und endgültige Lösung zum Wohle der betreuungs- und pflegebedürf­tigen Menschen und ihrer Angehörigen in unserem Land fertigzustellen, um weiter­arbeiten zu können. Die Betroffenen wünschen sich mehr bedarfs- und bedürfnis­orientierte Flexibilität der Betreuungsorganisationen, sodass der Mensch im Mittelpunkt steht, weiters die Wahlmöglichkeit hinsichtlich der Leistungen, wofür es auch Anbieter geben muss.

Daher werden wir mit unserem Koalitionspartner in Ruhe reden und das besprechen. Die Verlängerung der Amnestieregelung ist einfach notwendig, wie es schon ange­klungen ist. Sicherheit schaffen, Verunsicherung vermeiden können wir nur, indem wir endgültige und umsetzbare Lösungen anbieten, also Inhalte statt Fristen. Und daher werden wir dem Antrag des BZÖ nicht zustimmen. – Danke. (Beifall bei der ÖVP.)

17.20


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Haidl­mayr. Für Sie, Frau Kollegin, gilt eine maximale Redezeit von 5 Minuten. (Abg. Öllinger – in Richtung der sich zum Rednerpult begebenden Abg. Haidlmayr –: Lass die Begrüßungen weg!)

 


17.21.05

Abgeordnete Theresia Haidlmayr (Grüne): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Angesichts der Rede der Kollegin von der ÖVP bleibt mir wirklich fast die Luft weg. (Zwischenrufe bei der ÖVP.) Gestern hat Frau Aubauer einen Antrag eingebracht, dass die Amnestie verlängert werden soll. – Wir haben heute, wenn das alle genau wissen wollen, den 8. November. Mit 31. Dezember läuft die Amnestie­regelung aus. Jetzt gibt es heute den Antrag, den Fristsetzungsantrag, dass bis 3. Dezember eine Lösung herbeigeführt werden muss, um eben auch im Jahre 2008 zumindest noch diese Amnestieregelung gelten zu lassen. Jetzt kommt aber die Kollegin von der ÖVP und sagt: Wir stimmen dem nicht zu.

Den Antrag, dass wir eine Verlängerung der Amnestieregelung brauchen, haben wir bereits am 6. Juni im Zuge der Debatte um das Pflegegeldgesetz, bei dessen Ände­rung eingebracht. Damals wurde das abgelehnt. Jetzt, fünf, sechs Monate später kommt die ÖVP drauf, dass man eigentlich etwas tun müsste.

Heute, am 8. November, ist niederösterreichische Landtagssitzung, und in dieser Land­tagssitzung gibt es einen Dringlichkeitsantrag, der von der ÖVP eingebracht worden ist, in dem sie fordert, dass diese Amnestieregelung verlängert werden muss. – Andererseits gibt es den Beschluss bei den Finanzausgleichsverhandlungen, der dann


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im Ministerrat beschlossen worden ist, dass die Amnestie für diese 24-Stunden-Betreuung mit Jahresende zu Ende ist und es eine ordentliche Finanzierung gibt.

Da soll noch irgendein Mensch, der diese Hilfe und Pflege braucht und der nicht hier sitzt und der diese Papiere nicht in der Hand hat – ich will niemanden neidisch machen, denn man findet da ohnehin auch nichts heraus –, auch nur irgendetwas wissen! Der kann es nicht wissen, weil das einfach nicht möglich ist, weil nämlich die zuständigen Herrschaften der ÖVP selbst nicht wissen, was sie wollen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn einer hier glaubt, wenn auch nur ir­gendjemand hier im Saal ist, der glaubt, dass man, wenn man jetzt die Förder­richtlinien ändert, das Chaos, das herrscht, bereinigt, so wirft sich derjenige nur ungeschminkt in das nächste Chaos hinein! Ich sage das jetzt einmal so. Es geht nicht nur darum, die Förderrichtlinien zu ändern, sondern wenn man heute die Situation von hilfs-, pflege- und assistenzbedürftigen Menschen ändern will, dann darf man nicht nur ein kleines Rädchen drehen und glauben, dass daraufhin plötzlich alles Sonnenschein ist und alles gelöst ist. So ist es nicht!

Wir brauchen eine Gesamtlösung dieser Situation, mit der klargestellt werden muss: a) dass es bedürfnisgerechte Finanzierungen geben muss, nicht Richtlinien mit ein paar hundert Euro Zuschuss, b) dass es Finanzierungen für Hilfe, für Pflege, für Betreuung und für persönliche Assistenz geben muss und c) dass zusätzlich auch Angebote geschaffen werden müssen, die die Betroffenen dann auch in Anspruch nehmen können.

Diese – einen Moment, wie hat sie der Herr Minister genannt?; „Altenkindergärten“ oder so ähnlich hat er gesagt; dann hat er gesagt, nein, dieser Begriff trifft es ohnehin nicht, aber er weiß keinen besseren. (Abg. Öllinger: Seniorengärten!) „Senioren­gärten“! Also ich habe jetzt zu Hause einen „Seniorengarten“, muss ich sagen, weil es Herbst ist (Heiterkeit der Rednerin), und nächstes Jahr pflanze ich ihn wieder frisch an. Dann habe ich wieder einen „Jugendgarten“. (Allgemeine Heiterkeit.)

Ich meine, wenn man sich bei so einem Thema, bei dem es um die sehr ernsthafte Situation von behinderten und pflegebedürftigen Menschen geht, auf so eine Ebene herablässt, da kann ich nur lachen, weil ich einfach einen gewissen Humor habe. (Abg. Steibl: Sie wissen nicht, wie es Senioren wirklich geht!) Ich sage Ihnen aber ganz ehrlich, dass das bedrohlich ist, und für viele ältere Menschen ist die Situation bedroh­lich, weil sie heute nicht wissen, wie es weitergehen soll, was morgen sein wird. (Abg. Steibl: Sie haben keine Ahnung, wie es den alten Leuten geht!) Die wissen morgen nicht, was am 1. Jänner sein wird, und die haben vorgestern nicht gewusst, was eigentlich jetzt ab 1. Juli gilt, weil das die Leute nicht wissen können, weil Sie, meine Damen und Herren von ÖVP und SPÖ, das nämlich auch nicht wissen. Und wie sollen es dann die anderen wissen?

Also: Schluss dieser Debatte! Lassen wir die Amnestieregelung zumindest bis 31. De­zember 2008 gelten, und nutzen wir die Zeit (Präsident Dr. Spindelegger gibt das Glockenzeichen), um wirklich ein umfassendes Paket sicherzustellen (Abg. Steibl: Die Redezeit ist vorbei!), damit die Menschen, die Hilfe, Pflege, Betreuung oder persön­liche Assistenz brauchen, dann unter Umständen mit 1. Jänner 2009 wirklich ein Ange­bot bekommen, mit dem sie auch gut leben können, und nicht mehr Angst haben müssen. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen. – Abg. Steibl: Die erzählt hier so einen Quargel!)

17.26


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Neubauer. Ebenfalls maximal 5 Minuten Redezeit. – Bitte.

 



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17.26.52

Abgeordneter Werner Neubauer (FPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist mehr als ein Jahr her, als hier in diesem Haus – da war ich noch nicht in diesem Haus als Abgeordneter angelobt – eine von der ehemaligen Landeshauptfrau Klasnic geführte Kommission getagt hat, in die alle, die in Österreich mit Pflege zu tun haben, auch tatsächlich eingebunden waren, um ihre Vorschläge, ihre Konzepte einzubringen, um nach den Erfahrungen der Vergangenheit im Bereich der Pflege auch wirkliche Fortschritte erzielen zu können.

Diese Kommission hat hervorragend gearbeitet, diese Kommission hat hervorragende Vorschläge ausgearbeitet, die auf dem Tisch liegen, und obwohl sie seit über einem Jahr auf dem Tisch liegen und es eine große Koalition gibt, fragen sich die Menschen, warum in diesem Land beim Thema Pflege dennoch nichts weitergeht.

Es ist so, dass das IFES-Institut eine Umfrage gemacht hat, was der Wunsch der Bevölkerung ist, wie das Thema Pflege angegangen werden soll. Es ist eine ganz eindeutige Richtung erkennbar, nämlich dass sich 86 Prozent der Befragten für die so genannten Seniorengärten ausgesprochen haben, 48 Prozent wollen eine Betreuung durch Familienangehörige und immerhin noch 43 Prozent der Befragten wollen mobile Dienste für Betreuung zu Hause. (Der Redner zeigt eine Graphik.) – Sie können diese Umfrage jederzeit auch nachlesen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Sie haben leider dieses eine Jahr trotz dieser Lösungsvorschläge – die wir, wie Sie uns gestern vorgeworfen haben, nicht eingebracht hätten – nicht genutzt. Sie haben dafür Sorge getragen, dass das Thema Pflege mittlerweile in Österreich zu einem echten Reizwort für die betroffenen Menschen geworden ist und dass eines passiert ist, nämlich dass durch Ihr Zögern und Zaudern und durch den Streit in der großen Koalition leider auch die Rechtsunsicherheit zugenommen hat. Das zeigt schon ein bisschen die Ohnmacht, die diese Regierung bestimmt.

Wir haben auch in diesem Bereich der Pflege unseren Beitrag geliefert mit Vor­schlägen, die wir eingebracht haben und die im Ausschuss zur Begutachtung liegen. Ich hoffe in diesem Zusammenhang, dass auch diese Vorschläge entsprechend gewür­digt und respektiert werden, denn Klubobmann Cap hat ja auch zugesagt, dass, wenn gute Vorschläge kommen, er natürlich auch diese in seine Erwägungen einbeziehen möchte. Ich ersuche deshalb wirklich, diesen Bereich der Pflege endlich ernst zu nehmen, weil es um Menschen geht und diese wirklich sehr belastet werden, wenn hier keine Entscheidung fällt.

Der Antrag des BZÖ wird deshalb unsere Unterstützung finden. Ich ersuche aber den­noch auch – hoffentlich nicht umsonst – den Bundesminister, wirklich endlich mit seinen Kollegen von der Regierungspartei entsprechende Gespräche zu führen, auch die Möglichkeit zu nützen, die entsprechenden Vorschläge, die die Kommission vor einem Jahr ausgearbeitet hat, in die Gespräche mit einzubeziehen und daraus für die Bevölkerung die richtigen Schlüsse zu ziehen. (Beifall bei FPÖ und BZÖ.)

17.30


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Als Nächster gelangt Herr Klubobmann Ing. Wes­tenthaler zu Wort. 5 Minuten Redezeit. – Bitte, Herr Klubobmann. (Abg. Öllinger: Muss das sein?! – Abg. Ing. Westenthaler – auf dem Weg zum Rednerpult –: Auch wenn es wehtut, Herr Öllinger, das muss sein! Muss ich mich öfters melden, wenn Ihnen das wehtut, das wäre das Gescheiteste!)

 


17.30.49

Abgeordneter Ing. Peter Westenthaler (BZÖ): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist heute keine ganz gewöhnliche Fristsetzungsdebatte, son­dern eigentlich so ähnlich wie ein Elchtest für diese Seite des Hauses (in Richtung


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ÖVP), die ja gestern keck, fromm und etwas frech einen Antrag auf eigene Faust, vorbei am koalitionsfreien Raum hier in diesem Haus eingebracht hat. Das war recht interessant. Es geht dabei um die Verlängerung der Pflegeamnestie – gegen die wir sind; ich sage das gleich dazu, ich halte das inhaltlich für nicht richtig. Aber noch viel schlechter ist, wenn die pflegenden Menschen und ihre Angehörigen keine Rechts­sicherheit haben und durch diesen Pflegemurks, den diese beiden Regierungsfrak­tionen hier seit Wochen und Monaten veranstalten, nicht wissen, wo es langgeht.

Daher haben wir heute hier die Initiative ergriffen und haben einen Fristsetzungsantrag eingebracht, weil – ich erinnere daran – 24 Stunden vorher hier in diesem Hohen Haus die ÖVP tatsächlich einen Antrag eingebracht hat, die Pflegeamnestie zu verlängern. (Abg. Grander: Ein Jahr!)

Und wissen Sie, wie die ÖVP das begründet hat? – Die von mir äußerst geschätzte Frau Abgeordnete Aubauer, Ihre Seniorensprecherin, hat gesagt – ich zitiere wörtlich aus der Meldung –: „... ,Daher fordert die ÖVP eine Verlängerung der Amnestie­regelung‘, sieht Aubauer ,akuten Handlungsbedarf. Am 31. Dezember ist es zu spät‘.“

Also haben wir uns gedacht, Frau Kollegin Aubauer, die ich – noch einmal – sehr schätze, helfen wir, und der ÖVP auch: Wir bringen einen Fristsetzungsantrag ein, und ihr könnt heute beschließen, dass bis zum 3. Dezember die Sache über die Bühne ist. Das ist ja eigentlich etwas Tolles. (Beifall beim BZÖ.)

Ich freue mich schon sehr auf die Begeisterung, mit welcher Frau Kollegin Aubauer ... – Ich sehe an sich ganz gut, aber ich kann sie jetzt bei dieser Debatte nicht sehen. Vielleicht ist sie auch bei der Abstimmung nicht hier. Aber auch die andere Vertreterin, die hier gesprochen hat, sehe ich nicht. Ich habe mich schon so darüber gefreut, dass ihr jetzt zustimmen werdet, und dann lese ich auf einmal heute wieder eine Aussendung, wieder von Frau Aubauer, wieder von der Frau Seniorensprecherin, mit dem Titel: „Aubauer: Verhandlungen über Amnestieverlängerung ohne Zeitdruck!“ – Das ist wirklich ein Treppenwitz der Geschichte.

Gestern: „akuter Handlungsbedarf“ – heute, 24 Stunden später: Kein Zeitdruck! Alles überhaupt kein Problem! Wir werden das in den nächsten Wochen und Monaten noch besprechen! – Auf der Strecke bleiben wieder die Pflegenden und ihre Angehörigen.

Das, was Sie hier machen, ist ein doppelter Murks, ein Murks zum Quadrat, Kolle­ginnen und Kollegen von der ÖVP! Sie bleiben ja nicht einmal 24 Stunden lang bei Ihrer Meinung, sondern ändern sie sofort. Ein Slalom ist eine gerade Linie gegenüber Ihrer Vorgangsweise, das muss ich wirklich sagen. (Beifall beim BZÖ.)

Dabei haben Sie ja recht, Herr Kollege Amon – er ist auch nicht hier, auch interessant. Kollege Amon, einer der größten Kritiker des Herrn Buchinger, hat etwa gesagt: „Buchinger soll sich vom Sozialismusminister wieder in die Rolle des Sozialministers begeben.“ – Wunderbar. Und: Von der Phrasenrederei solle Buchinger zurück zur Arbeit kommen. – Zitat Amon.

Oder: Frau Abgeordnete Steibl – Sie ist wenigstens hier, das ist schön, im Gegensatz zu Aubauer und Amon ist Steibl im Raum –: „Buchinger soll der sozialen Kälte den Rücken kehren und sich nicht noch weiter in das soziale Abseits begeben, als er es jetzt schon ist.“

Herr Kollege Bartenstein schießt überhaupt den Vogel ab. Kollege Bartenstein sagt, dass das Buchinger-Modell schlecht ist; gleichzeitig ist er aber gegen die Verlängerung der Pflegeamnestie.

ÖVP, was wollt ihr jetzt eigentlich? – Gestern für Pflegeamnestie, heute stimmt ihr gegen den Fristsetzungsantrag: auf einmal keine Eile. – Da hat die ÖVP ein bisschen


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kalte Füße bekommen. (Abg. Steibl: Aber Sie wissen ja selbst, welche Spielchen da gespielt werden!) Und ein zuständiger Minister sagt überhaupt: Keine Pflegeamnestie, und von Buchinger ist überhaupt das Modell schlecht. – Aber wie das Modell aussehen sollte, sagt niemand, nämlich dass man endlich einmal den pflegenden Menschen hilft, indem man zum Beispiel das Pflegegeld um 10 Prozent erhöht und es jedes Jahr valorisiert, wie das zuletzt die Regierung aus BZÖ und ÖVP getan hat. Das hat die derzeitige Regierung noch nicht zustande gebracht. (Beifall beim BZÖ. – Zwischenruf des Abg. Öllinger.)

Ihr habt das Pflegegeld reell gekürzt, das wird durch die Inflation reell gekürzt. (Abg. Öllinger: Ihr auch!) – Soziale Wärme: Nullanzeige. Keine. (Abg. Öllinger: Einmal eine Erhöhung um 2 Prozent!)

Noch etwas, mit Verlaub: Die 7 000 € Vermögensobergrenze für dieses Pflegegeld sind wirklich eine Gemeinheit, eine kalte Enteignung jener Menschen, die sich ihr gan­zes Leben hindurch vielleicht ein bisschen etwas erspart haben und dann in die Situation kommen, ein Pflegefall zu sein – oder, umgekehrt, junger Menschen, die sich sagen, ich bin ein Pflegefall, ich bin behindert, ich darf aber gar nicht mehr als 7 000 € haben. Das ist unsozial! (Abg. Mandak: Sie haben es in sieben Jahren um 2 Prozent erhöht! – Zwischenruf des Abg. Öllinger.)

Das Ganze ist ein Murks, von oben bis unten, von beiden Parteien, aber heute, liebe ÖVP, ganz besonders von euch, die ihr innerhalb von 24 Stunden eine Sitzpirouette macht, dass einem schwindlig wird.

Stimmt der Fristsetzung zu, dann seid ihr glaubwürdig, dann nimmt man euch auch ernst! Andernfalls seid ihr im Bereich der Pflege – genauso wie in der Sicherheits­politik – völlig abgetreten. (Beifall beim BZÖ.)

17.35


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Zum Wort ist dazu niemand mehr gemeldet. Die Debatte ist geschlossen.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Antrag der Abgeordneten Ing. Westen­thaler, Kolleginnen und Kollegen, dem Ausschuss für Arbeit und Soziales zur Bericht­erstattung über den Antrag 449/A betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Pflege-Übergangsgesetz geändert wird, eine Frist bis 3. Dezember 2007 zu setzen.

Ich bitte jene Damen und Herren, die für diesen Fristsetzungsantrag sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist die Minderheit. Abgelehnt.

17.36.10Fortsetzung der Tagesordnung

 


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Ich nehme die Verhandlungen über Punkt 2 der Tagesordnung wieder auf.

Zu Wort gemeldet ist als Nächste Frau Abgeordnete Dr. Moser. 5 Minuten freiwillige Redezeitbeschränkung. – Bitte, Frau Kollegin.

 


17.36.26

Abgeordnete Dr. Gabriela Moser (Grüne): Sehr geehrter Herr Präsident! Leere Regierungsbank! Die Baukultur ist anscheinend doch nicht unbedingt das Herzens­anliegen von Frau Minister Schmied und auch nicht von Herrn Minister Bartenstein, wie wir ja schon wissen. Aber der Bogen der Baukultur umspannt ja sehr viel – Frau Kollegin Muttonen hat es ja bereits angerissen –: das ganze Leben. Die Überleitung von der Pflegedebatte zur Baukultur liegt deshalb auf der Hand: Hätten wir eine Bau­kultur, die von vornherein beachtet, dass Menschen im Laufe ihres Lebens unter-


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schiedliche Anforderungen an die Mobilität haben, dann würde es auch im Pflege­bereich anders ausschauen. (Beifall bei den Grünen.)

Dann hätten wir Wohnungen, dann hätten wir Häuser, die Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen sehr wohl bessere Rahmenbedingungen, bessere Pflegemöglich­keiten bieten würden. – Punkt eins, die Überleitung.

Punkt zwei, zum Thema selbst: Das große Problem bei der Qualität dieses Baukultur­berichtes ist die Tatsache, dass er so viel umspannt und dass, Frau Ministerin, Frau Kollegin Muttonen, der gemeinsame Entschließungsantrag wieder im allgemeinen Plädoyer für Maßnahmen, für allgemeine Konzepte und so weiter, für Beiräte, für weitere Berichte stecken bleibt. Und das ist das, worunter ich persönlich seit Jahren in diesem Parlament am meisten leide, dass konkrete Vorhaben, ganz konkrete Maß­nahmen, die wir baukulturmäßig schon längst hätten setzen können, jetzt wieder auf der Strecke bleiben, dass wir einen gemeinsamen Antrag haben, der einen Beirat und weitere Berichte vorsieht, dass wir aber keinen gemeinsamen Antrag haben, der zum Beispiel lauten könnte: technische Vereinheitlichung der Bauordnung. Wäre ja ganz einfach möglich. Oder einen gemeinsamen Antrag, wie ich ihn jetzt einbringe und wie er zur Verteilung kommt: Konsequenzen aus dem Österreichischen Baukultur­re­port 2006 in den Bereichen Bauordnung und Raumordnung.

Sie wissen ja ganz genau, meine Damen und Herren, vor allem die Herren Bürger­meister, die Frau Bürgermeister von der ÖVP, dass wir in vielen Bereichen prinzipiell darunter leiden, dass in Österreich die Raumordnung de facto Landessache ist, de jure zum Teil auch beim Land und der Gemeinde liegt – Flächenwidmungsplan, Bebau­ungs­pläne (Zwischenruf des Abg. Rädler) –, aber dass es insgesamt von der Infra­struktur her das große Problem gibt, dass Infrastrukturvorhaben österreichweit schwer durchgesetzt werden können, weil die Kompetenz nicht auf Bundesebene ist.

Im Baukulturreport wurde zum Beispiel diese Rahmenbedingung eingefordert, und deshalb unser Antrag als erster Schritt zu dem, was Sie immer wieder als Maßnahmen, die diesem Baukulturreport folgen werden, in den Raum gestellt haben. Wir setzen konkrete Schritte, gehen Sie mit!

Ich bringe hiermit formell meinen Entschließungsantrag zu diesem Thema ein, der ja ausgeteilt wird und der ganz konkret vorsieht: „Umsetzung der Zielsetzungen zum Spannungsfeld Raumordnung-Siedlungsentwicklung-Verkehr, zu denen sich Öster­reich unter anderem in der Nachhaltigkeitsstrategie, der Klimastrategie und der Alpen­konvention verpflichtet hat. Das sollten wir beschließen. Daher plädiere ich: Bitte, stimmen Sie diesem Antrag zu!

Es gäbe ja eine weitere, relativ einfache Maßnahme: die technische Vereinheitlichung der Bauordnungen. – Antrag von mir, wie ich meine, schon in der dritten Fassung. Ich glaube, ich habe das schon drei Legislaturperioden hindurch immer wieder beantragt. Herr Minister Bartenstein lehnt sich jedes Mal in seinen mehr oder weniger gepols­terten Sessel zurück und sagt: Wir haben den Föderalismus!, legt die Hände in den Schoß, und so geht es weiter.

Das darf nicht sein, denn wozu machen wir denn einen Baukulturreport, wenn in diesem sozusagen die Finger genau in die Wunden gelegt werden, Sie aber wieder nichts unternehmen und alles beim Alten bleibt.

Deshalb mein Plädoyer dafür, nicht nur Maßnahmen in den Raum zu stellen. Auf Gemeindeebene – da stimme ich dem Herrn Kollegen Sonnberger sehr zu – unter­stützen die Gestaltungsbeiräte, die Institution von Architekturqualität, et cetera. Das sollte man so machen, aber das ist ein freiwilliges Bekenntnis von verschiedenen Gemeinden oder Städten. Wir brauchen das aber österreichweit.


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Warum kann nicht der Finanzminister via Finanzausgleich ganz klar regeln, dass gewisse Standards sowohl in der Raumordnung als auch in der Architektur österreich­weit einheitlich sein sollen, gewisse Standards, gewisse kulturelle Mindesterforder­nisse, gewisse architektonische Grundprinzipien? Das wäre meines Erachtens auch möglich, und dann würde es nicht nur solch eine Diskussion alle fünf Jahre geben, wenn wir wieder einen neuen Baukulturreport haben, sondern dann gäbe es konkrete Schlussfolgerungen, konkrete Umsetzungen. Dann würde das leben, was die Experten in der Kommission, in der Enquete-Kommission hier im Parlament vorgebracht haben, dann würde das leben, was Architektinnen und Architekten österreichweit schon lang wollen, dann bräuchten wir nicht mühselige Beiräte und mühselige Bekenntnisse, Lippenbekenntnisse, sondern dann könnte Österreich endlich international nicht nur mit Einzelprojekten reüssieren, sondern mit einem gesamten Baukomplex, der das Land sozusagen in moderner Hinsicht einheitlich und auch vielfältig in einem, aber kulturell hochwertig umfasst. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen.)

17.42


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Ich gebe bekannt, dass der soeben in seinen Kernpunkten erläuterte Entschließungsantrag von Frau Abgeordneter Dr. Moser, Kolle­ginnen und Kollegen betreffend Konsequenzen aus dem Österreichischen Baukulturre­port 2006 in den Bereichen Bauordnung und Raumordnung auch schriftlich überreicht wurde und genügend unterstützt ist. Er steht daher mit in Verhandlung.

Im Hinblick auf den Umfang des Antrages lasse ich ihn gemäß § 53 Abs. 4 der Geschäftsordnung vervielfältigen und verteilen. Im Übrigen wird dieser Antrag auch dem Stenographischen Protokoll beigedruckt.

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Gabriela Moser, Kolleginnen und Kollegen betreffend Konse­quenzen aus dem Österreichischen Baukulturreport 2006 in den Bereichen Bauord­nung und Raumordnung; eingebracht im Zuge der Debatte über den Bericht des Kulturausschusses über den Österreichischen Baukulturreport 2006 (III-56 d.B.), vorgelegt von der Bundesministerin für Unterricht, Kunst und Kultur sowie dem Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit

Baukultur findet – wie der Österr. Baukulturreport  2006 richtig festhält – ihren Aus­druck nicht zuletzt im verantwortungsvollen und ressourcenschonenden Einsatz von Grund und Boden sowie von Ressourcen und Energie.

In diesem Sinn tut eine zügige Weiterentwicklung der Harmonisierung und Ökolo­gisierung der Bauordnungen ebenso Not wie eine bessere Harmonisierung von Kulturlandschafts- und Kulturdenkmalschutz sowie eine grundsätzliche Reform der Raumordnung in Österreich.

Der Österreichische Baukulturreport 2006 weist in diesem Zusammenhang richtiger­weise darauf hin,

dass die Siedlungsentwicklung in Österreich in den vergangenen Jahrzehnten alles andere als nachhaltig und effizient verlaufen ist, ob nun aus raumplanerischer, verkehrswissenschaftlicher, ökologischer oder auch volkswirtschaftlicher Perspektive, und dass dies einerseits hohe Folgekosten für die Allgemeinheit hat (150 Mio Euro Mehrkosten pro Jahr alleine für Straßen sowie Wasserver- und -entsorgung; 11- bis 23-mal so hohe Ausgaben für Kindergarten- und Schülertransporte sowie soziale Dienste) und andererseits auch nicht mit regierungsseitigen Vorgaben in Deckung zu


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bringen ist, wie etwa mit der in der Österreichischen Nachhaltigkeitsstrategie gefor­derten drastischen Senkung des Flächenverbrauchs von derzeit über 20 ha pro Tag;

dass dies nicht „gottgegeben“ so ist und so bleiben muss, sondern dass „viele Probleme wie Zersiedelung, Suburbanisierung, Verkehrsbelastung sowie die Krise der Kernstädte und des ländlichen Raums durch bestehende Strukturen, Gesetze, Steuern und Förderungen verursacht oder zumindest verschärft“ werden;

dass angesichts dessen im Rahmen der Verbesserung dieser insbesondere recht­lichen Rahmenbedingungen „verstärktes Engagement des Bundes zur Durchsetzung bundesweiter Raumordnungsziele“ sowie „eine Erweiterung der Bundeskompetenz bei Fragen der Raumordnung“ erforderlich ist.

Letzteres wird dahingehend weiter präzisiert, dass angesichts des Unvermögens von Gemeinden und Ländern, die Fehlsteuerungen im Alleingang zu korrigieren, siedlungs- und raumordnungspolitisches Engagement des Bundes notwendig ist. Dies steht mit föderalen Grundstrukturen des Staates in keinster Weise in Konflikt, wie die Beispiele der Schweiz und Deutschlands nachdrücklich belegen. Im Sinne eines bundes­einheitlichen Rahmens der Raumordnung ist daher die ernsthafte Prüfung eines Bundesraumordnungs(rahmen)gesetzes, eines periodisch zu überarbeitenden, bindenden Bundesraumordnungsprogramms und einer politischen Aufwertung der Österreichischen Raumordnungskonferenz erforderlich.

Damit werden Themen angesprochen, die die Grünen seit vielen Jahren im Rahmen ihrer Programmatik entsprechend aufbereitet als auch auf politischer Ebene einge­bracht und unterstützt haben, so etwa im Rahmen des Österreich-Konvents.

Weiters ist im Sinne so verstandener, umfassender Baukultur eine Reformierung der Wohnbauförderung im Sinne einer Kopplung an baukulturelle Kriterien (und damit nicht zuletzt auch an Kriterien des Klimaschutzes, der Energieeffizienz und des Verkehrs­sparens) unumgänglich. Schließlich ist die Frage des Planwertausgleichs als Gegenmittel zur Zersiedlung mit ihren hohen individuellen und gesellschaftlichen Folgekosten zu prüfen.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

Die Bundesregierung wird aufgefordert, zur Stärkung der ökologischen, ökonomischen und sozialen Nachhaltigkeit sowie zur Verankerung eines umfassend verstandenen Prinzips Baukultur auf allen politischen und administrativen Ebenen folgende Maß­nahmen in den Bereichen Bauordnung und Raumordnung mit Nachdruck voranzu­treiben:

Ernsthafte Prüfung einer Bundes-Rahmenkompetenz im Bereich der Raum­pla­nung/Raumordnung nach dem Vorbild anderer föderal organisierter Staaten wie der Schweiz oder Deutschlands und gegebenenfalls Vorlage einer entsprechenden Geset­zesentwurfs;

ernsthafte Prüfung eines Bundesraumordnungs(rahmen)gesetzes und gegebenenfalls Vorlage eines entsprechenden Gesetzesentwurfs;

ernsthafte Prüfung eines periodisch zu überarbeitenden, rechtlich bindenden Bundes­raumordnungsprogramms als nötige Ergänzung zu den bestehenden wichtigen, in der konkreten Steuerungswirkung aber unzureichenden prozess- und leitbildorientierten Instrumenten wie zB dem Österreichischen Raumentwicklungkonzept;


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ernsthafte Prüfung einer substanziellen politischen Aufwertung der Österreichischen Raumordnungskonferenz;

Verknüpfung von Förderungsmaßnahmen des Bundes – insbesondere einer ab sofort ökologisierten Wohnbauförderung – mit raumordnerischen, verkehrs- und ressourcen­sparenden Kriterien;

Ernsthafte Prüfung des Planwertausgleichs als Gegenmittel zur Zersiedlung und ihren Folgekosten;

Fortsetzung der Ökologisierung und Harmonisierung der Bauordnungen über die auf Normungsebene mittlerweile erreichten Ergebnisse hinaus und zügige Finalisierung durch rasches Inkrafttreten einer auch für die Normunterworfenen verständlichen Vereinbarung zwischen Bund und Ländern nach §15a B-VG;

Umsetzung der Zielsetzungen zum Spannungsfeld Raumordnung-Siedlungsent­wick­lung-Verkehr, zu denen sich Österreich unter anderem in der Nachhaltigkeitsstrategie, der Klimastrategie und der Alpenkonvention verpflichtet hat.

Die Bundesregierung wird weiters aufgefordert, dem Nationalrat jährlich über die erzielten Fortschritte in diesen Fragen Bericht zu erstatten.

*****

 


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Abgeord­neter Dr. Kurzmann. 3 Minuten freiwillige Redezeitbeschränkung. – Bitte, Sie sind am Wort.

 


17.42.47

Abgeordneter Dr. Gerhard Kurzmann (FPÖ): Herr Präsident! Frau Staatssekretärin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir diskutieren heute wieder einmal einen Bericht, der nicht mehr ganz aktuell ist. Dieser Bericht ist im Oktober vergangenen Jahres druckfrisch vorgelegen, ist im heurigen Sommer im Juli von der Frau Bundesministerin der Öffentlichkeit vorgestellt worden, und heute, im November dieses Jahres, diskutieren wir ihn im Nationalrat.

Es ist aber trotzdem schon ein kleiner Fortschritt zu bemerken: dass dieser Bau­kulturreport heute hier diskutiert wird, denn, ich erinnere daran, nicht alle Berichte, die wir im Kulturausschuss immer wieder vorliegen haben, erreichen dann das Plenum. Ich erinnere daran, dass der Kunstbericht des Jahres 2006 und auch der Kultur­bericht 2006 vor einigen Wochen im Kulturausschuss enderledigt worden sind. Dabei wäre es sicher auch eine Möglichkeit gewesen, über Förderungen, Subventionen und andere interessante Dinge, die da dringestanden sind, in der Öffentlichkeit, nämlich hier im Plenum zu diskutieren.

Dass im Bereich der Baukultur Handlungsbedarf besteht, ist unbestritten. Dass hier die Ministerien ressortübergreifend zusammenarbeiten sollten und tätig zu werden haben, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Und es wundert mich einigermaßen, dass der Anstoß dazu von außen kommen muss.

Wenn man sich die Empfehlungen der ARGE Baukultur anschaut – auch das haben wir genauer getan –, sieht man, es gibt da sicher eine Reihe von Forderungen, von Vorstellungen, die man unterstützen kann, etwa die Einrichtung einer interimistischen Koordinationsstelle für Baukultur.

Wir Freiheitlichen sagen, Koordination ja, Zentralisation nein. Die Stelle, wo die Koordi­nation anzusiedeln wäre, wäre sinnvollerweise natürlich das Bundeskanzleramt. Ich


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habe größtes Verständnis dafür, dass die Frau Bundesministerin gesagt hat, dass sie diese Koordinationsaufgabe in ihrem Ministerium nicht wahrnehmen kann.

Eine weitere Forderung, die man unterstützen kann, ist die Bildung eines unab­hängigen Fachbeirates für Baukultur. Auch dazu können wir Freiheitlichen ja sagen, wenn damit keine neue bürokratische Struktur, keine Parallelstruktur verbunden ist.

Womit wir aber größere Probleme haben, das sage ich ganz offen, ist etwa die For­derung nach Erweiterung der Bundeskompetenz in Raumordnungsfragen. Wir haben in Österreich nun einmal so etwas wie gewachsene föderalistische Strukturen, und wir wollen diese Dinge nicht zentralisieren. Wir haben heute zu Mittag eine Diskussion über die neue EU-Verfassung gehabt. Und so, wie wir nicht wollen, dass der Zen­tralismus von Brüssel auf Österreich übergreift, wollen wir auch hier keine zentralen Strukturen aufbauen. – Danke. (Beifall bei der FPÖ sowie des Abg. Jakob Auer.)

17.46


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Von der Regierungsbank aus hat sich Frau Staatssekretärin Marek zu Wort gemeldet. – Bitte, Frau Staatssekretärin.

 


17.46.09

Staatssekretärin im Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit Christine Marek: Herr Präsident! Meine Damen und Herren des Hohen Hauses! Ich möchte mich zu Beginn gerne bei Herrn Abgeordnetem Morak bedanken, der dieses wichtige Thema in seiner Funktion als Kulturstaatssekretär aufgegriffen und auch weiter verfolgt hat. (Abg. Mandak: Nein, das war ein Parlamentsantrag!) Auf sein Engagement ist es zurückzuführen, dass wir heute diesen umfangreichen Bericht ... (Abg. Mandak: Warum? – Weil ein Antrag des Parlaments vorgelegen ist!)

Herr Abgeordneter Morak hat das Thema aufgegriffen, Frau Abgeordnete, und daher haben wir heute einen sehr umfangreichen Bericht, der zahlreiche Expertisen be­inhaltet und das Thema auch sehr umfassend angeht. Und ich glaube, das ist das wirklich Erfolgreiche an dieser Initiative, die erstmals übergreifend über die Ausschüsse des Parlaments hier zustande gekommen ist.

Unser Ministerium, das Ministerium für Wirtschaft und Arbeit, ist darin in mehrfacher Weise angesprochen beziehungsweise mit mehreren vorgeschlagenen Maßnahmen konkret angesprochen. Selbstverständlich nimmt unser Ministerium das auch als Ver­antwortung wahr, und das schon seit langer Zeit. (Abg. Dr. Moser: Na geh, bitte, das stimmt ja überhaupt nicht!)

Um Ihnen hier zu sagen, um welche Bereiche es da geht, Frau Abgeordnete Moser (Abg. Dr. Moser: Sie waren ja noch gar nicht im Parlament ...!): Im operativen Bereich hat der Bund die Bundesimmobiliengesellschaft beauftragt. Auch Herr Abgeordneter Sonnberger hat das in seinem Redebeitrag bereits gesagt: Bei großen Bauvorhaben werden Architekturwettbewerbe mit ausgezeichneten Ergebnissen durchgeführt. (Beifall bei der ÖVP.)

Und es gibt in der Bundesimmobiliengesellschaft auch ein hauseigenes Architekten-Beratergremium.

Die Frau Bundesministerin hat in ihren Ausführungen schon angesprochen, dass es diese Zusammenarbeit mit der Bundesimmobiliengesellschaft natürlich weiterhin geben soll beziehungsweise in dieser Art und Weise die Zusammenarbeit forciert werden sollte.

Die Burghauptmannschaft Österreich, die zum Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit gehört, kümmert sich um die Erhaltung und die Pflege der historischen Ge­bäude, des historischen Bauerbes in Österreich, und arbeitet hier bei allen Arbeiten


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natürlich auch engstens mit dem Denkmalschutz zusammen. Außerdem wird hier bei jeder Möglichkeit die Zusammenarbeit mit Architektinnen und Architekten gesucht und durchgeführt.

Aber auch der wichtige Bereich des Tourismus in Österreich – für Österreich ein wich­tiger Wirtschaftsfaktor – gehört in unser Ministerium. Und da gibt es mehrere Ansätze zu Kooperationen. Einerseits gibt es den bereits etablierten Staatspreis für Architektur, der alle zwei Jahre für drei verschiedene Themenbereiche vergeben wird, unter ande­rem Architektur und Tourismus.

Es geht darum, dass herausragende, hervorragende architektonische Projekte vor den Vorhang gebeten werden und so beispielgebend sind. Es ist auch ganz bewusst das Ziel, mit diesem Preis best practice mit Bezug auf umweltgerechte Vorbildwirkung in Gestaltung und Funktionalität zu fördern und hier vielleicht auch andere Organi­sationen, Initiativen zu forcieren und zu fördern.

Die Grundlagenstudie „Architektur macht Gäste“ wurde in unserem Auftrag durch­geführt und in Vorarlberg Mitte Oktober dieses Jahres vorgestellt, und zwar geht es hier um die Darstellung des Zusammenhangs zwischen Architektur und Wirtschaftlich­keit im Tourismus. Darin wird aufgezeigt, dass es ein unglaublich großes Potenzial von Baukultur im touristischen Umfeld gibt, nämlich ein wirtschaftlich zu nutzendes Potenzial, das auch noch abzuholen ist, möchte ich sagen.

Zeitgenössische Architektur, meine Damen und Herren, kann als innovatives Potenzial genutzt werden und zur Identitätsbildung eines Tourismusunternehmens beitragen. Ich glaube, dass es eine wichtige Botschaft und ein gutes Ergebnis mit Signalwirkung war, dass der Großteil der Menschen, die an der Studie teilgenommen hatten, gesagt haben, diese Investition in herausragende Architektur habe sich in wirtschaftlicher Hinsicht rentiert. Das brachte natürlich auch eine erhöhte Attraktivität für durchaus neue Gästeschichten.

Ich glaube, dass es eine wichtige Botschaft ist, bei der man entsprechend Anreize setzen kann, indem man zeigt, dass gerade der wirtschaftliche Aspekt – der Renta­bilitätsaspekt – bei architektonischen Projekten entsprechend zu berücksichtigen ist. Es zahlt sich wirtschaftlich aus, und das ist wohl das wichtigste Argument für ein Unternehmen, wenn es darum geht, sich zu engagieren.

Im Rahmen der Österreichischen Hotel- und Tourismusbank, die hier Förderungen für Bauvorhaben macht, sind die Architekten- und Planungskosten in den neuen Richt­linien von 2007 bis 2013 – für die neue Förderperiode – vorgesehen, und zwar für die TOP-Tourismus-Förderungen, die auch einen Bestandteil der förderbaren Inves­titionen darstellen beziehungsweise in vollem Umfang als solche anerkannt werden.

Soweit zu den Möglichkeiten, die wir im Rahmen unseres Ministeriums, im Rahmen unserer Kompetenzen haben, nutzen und wahrnehmen. Die Bauordnungen – das wurde in mehreren Redebeiträgen vor mir schon gesagt – fallen nicht in den Zuständig­keitsbereich des BMWA, sondern in den der Länder und werden auf kommunaler Ebene vollzogen. Was wir hier einmal mehr gesehen haben, ist die kompetenz­recht­liche Zersplitterung des Themas „Baukultur“ – einerseits zwischen den unter­schied­lichen Bundesministerien, andererseits zwischen Bund, Ländern und Gemein­den. Es stellt sich die Frage, inwieweit dieses System nicht trotzdem sinnvoll ist, weil hier durch die Länderkompetenzen die topographischen, länderspezifischen Unter­schiede stärker zur Berücksichtigung kommen.

Besonders erstaunlich fand ich die Ausführungen des Herrn Abgeordneten Kurzmann, der hier vor mir genau das Gegenteil von dem gesagt hat, was sein Kollege im Ausschuss gesagt hat. Ihr Kollege, Herr Abgeordneter, hat nämlich die Bundes-


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kompetenz eingefordert, und Sie haben genau das Gegenteil gesagt, was ich etwas spannend und erstaunlich gefunden habe.

Ich begrüße und unterstütze den eingebrachten Entschließungsantrag, weil es hier darum geht, den Austausch von Information und Wissen zu forcieren, was meiner Meinung zur besseren Koordination beitragen wird. Es sollen bei der Koordination aber auch vorhandene Organisationen und Institutionen einbezogen werden, nämlich Architekturstiftungen, Häuser der Architektur oder existierende Architekturzentren in den Ländern.

Es hat sich in den Diskussionen ja gezeigt, dass vor allem der Wissensaustausch mit beziehungsweise die Informationsweitergabe an die Gemeinden, die hier eine ganz wesentliche Funktion haben, sehr wichtig ist. Ich glaube, dass es darum geht, nicht einfach neue, zusätzliche Institutionen und Einrichtungen zu schaffen, sondern Syner­gien zu nutzen und zu erkennen und außerdem das Wissen – das auf verschiedensten Ebenen vorhanden ist – zu nutzen, zu bündeln und gemeinsam Synergien zu setzen.

Der vorgeschlagene Beirat, meine Damen und Herren, macht durchaus Sinn. Er kann die kompetenzmäßig zersplitterte horizontale und vertikale Querschnittsmaterie viel­leicht ein wenig einfangen – nämlich die Mitglieder Bund, Länder und Gemeinden sowie Architektinnen und Architekten, die ja eine koordinierende Funktion haben, was Raumordnung, Verkehrspolitik und so weiter betrifft – und in einer Plattform gemein­sam nutzen.

Ich denke, dass regelmäßige Baukulturberichte zu begrüßen sind. Wir haben hier einen sehr umfassenden Status quo, und es ist wichtig, zu wissen, wo wir stehen und welche Lösungsvorschläge es gibt. Wir haben ausgezeichnete umfassende Analysen und Ist-Stand-Darstellungen. Das schreit nahezu nach einer Fortsetzungsarbeit und regelmäßigen Betrachtungen, um Maßnahmen, die wir setzen, entsprechend verfolgen zu können. Selbstverständlich ist das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit sehr gerne bereit, an diesem Beirat teilzunehmen und mitzuarbeiten.

Gestatten Sie mir aber abschließend, mich – wie es andere Vorredner schon getan haben – bei den Verfasserinnen und Verfassern des Reports zu bedanken, die mit ihren Darstellungen und Empfehlungen ausgezeichnete Arbeit geleistet haben. Ich glaube, wir haben eine ausgezeichnete Ausgangsposition für die Steigerung der Akzeptanz des Themas „Baukultur“. Dieses Thema ist ja für jeden von uns relevant, weil es im Bereich Lebensqualität insgesamt ein großes Thema ist – es ist also aus breiter Notwendigkeit auch breit zu sehen.

Herr Abgeordneter Morak hat es in seinem Redebeitrag hervorgehoben: Das Beson­dere am Entstehen dieses Reports ist, dass der Bautenausschuss und der Kulturaus­schuss in dieser Querschnittsmaterie zusammengearbeitet haben. Vielleicht kann es ja eine Anregung sein, auch in anderen Bereichen, wo es um Querschnittsmaterien geht, ausschussübergreifend Synergien zu nutzen, um zu einem gemeinsamen Bild zu kommen. – Ich danke Ihnen vielmals. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Abgeordneten der SPÖ.)

17.56


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Steier. 3 Minuten freiwillige Redezeitbeschränkung. – Bitte.

 


17.56.18

Abgeordneter Gerhard Steier (SPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Bundes­ministerin! Frau Staatssekretärin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Geschätzte Gäste auf der Galerie! Im Speziellen schöne Grüße an die BurgenländerInnen! Ein wichtiger Teilbereich im Baukulturreport 2006 ist dem Thema „Nachhaltigkeit“ gewid-


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met. Speziell unter diesem Titel diskutieren wir einen ganz wesentlichen Kernbereich der Fragen, die schon angesprochen wurden. Die Bereiche Raumordnung, Siedlungs­entwicklung und -politik, Finanzausgleich, Wohnbauförderung und unterschiedlicher Bauordnungen fallen ebenso darunter wie Probleme mit wachsendem Flächenver­brauch, Zersiedelung sowie steigendem Verkehrs- und Energieaufkommen.

Aus ökonomischer Sicht bilden Investitionen in Bauen und Wohnen den mit Abstand größten Brocken der Lebenskosten der ÖsterreicherInnen. Allein der öffentliche Bau­sektor umfasst ein Volumen von 30 Milliarden €, das sind 11,7 Prozent der Gesamt­wirtschaft.

Die Lebenserwartung eines Gebäudes ist mit rund 60 bis 80 Jahren relativ hoch, daher lohnen sich Investitionen in eine energieeffiziente Gebäudegestaltung. Denn sowohl der Bau als auch der Betrieb von Gebäuden verbrauchen viel Energie. 75 Prozent des Raumwärmebedarfs in Österreich fallen in Wohngebäuden an, 35 Prozent der einge­setzten Energie werden für Heizung und Warmwasser verwendet.

Meine geschätzten Damen und Herren, gerade im Bereich Energiebedarf und Energie­effizienz von Gebäuden wären beachtliche Erfolge zu erzielen, im Speziellen deshalb, weil die Bevölkerung angesichts der Debatte um den Klimawandel mittlerweile sehr sensibel darauf reagiert. Fast alle Haushalte spüren die exorbitant gestiegenen Energiekosten. Viele sind mit der Aussicht auf geringe Energiekosten daher durchaus bereit, mit Ressourcen schonender umzugehen oder energiesparende Sanierungs­investitionen zu tätigen.

Ich glaube, wir sind uns alle darin einig, dass die Wohnbauförderung in diesem Bereich eines der wichtigsten Instrumente darstellt, wenn es darum geht, die thermisch-ener­getische Qualität von Gebäuden und deren Energiebedarf nachhaltig zu beeinflussen. Ergänzend dazu werden wir uns aber auch mit strukturellen Maßnahmen zur Senkung der Energienachfrage im Zusammenhang mit Raumordnungs- und Flächen­widmungs­fragen auseinandersetzen müssen.

In diesem Sinne sehe ich den Baukulturreport – wie meine VorrednerInnen – als wichtige Handlungsanleitung für die Politik, um die darin formulierten Empfehlungen auf ihre alltagstaugliche Umsetzung zu prüfen und zu diskutieren, denn – das hat die Frau Staatssekretärin angesprochen – die Inhalte handeln von unser aller Lebens­qualität. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten der ÖVP.)

17.59


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Abgeord­neter Kainz. 4 Minuten freiwillige Redezeitbeschränkung. – Bitte, Herr Kollege.

 


17.59.20

Abgeordneter Christoph Kainz (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Bundes­ministerin! Hohes Haus! Ich möchte, bevor ich zum Baukulturreport direkt Stellung nehme, noch kurz auf die Ausführungen von Frau Abgeordneter Moser eingehen. Sie meinte, die Gemeinden seien bei der Flächenwidmung überfordert und sie wünsche sich ein zentralistisches System, bei dem der Bund die Flächenwidmung machen sollte.

Als Bürgermeister möchte ich das entschieden zurückweisen. Ich glaube, die Gemein­den machen hervorragende Flächenwidmungs- und Raumordnungspolitik. Wenn man sich ein bisschen bei dem System auskennt, weiß man, dass es die Gemeinden nicht alleine, sondern immer in Zusammenarbeit mit dem Land machen.

Meine Damen und Herren, ich möchte hier eine Lanze für alle Bürgermeister und alle Gemeinden in ganz Österreich brechen, denn ich glaube, dass auch durch die Veran­kerung der Selbständigkeit der Gemeinden im Österreich-Konvent zukünftig zweifellos


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besser kooperiert werden kann, aber ich möchte mich entschieden dagegen verwah­ren, dass wir ein zentralistisches Raumordnungssystem in ganz Österreich haben. Ich glaube, die Gemeinden machen das ganz hervorragend. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

Im Zuge dieser Debatte über den Baukulturreport möchte auch ich wie einige meiner Vorredner darauf hinweisen, dass dieses Thema erstmals im Rahmen einer Enquete hier in diesem Hohen Haus diskutiert wurde und dass ein Entschließungsantrag, ein Allparteienantrag im Jahr 2005 die Grundlage für die Erstellung dieses Baukultur­reportes war. Hauptverantwortung dafür getragen haben Staatssekretär Morak und Bundesminister Bartenstein. Da der Baukulturreport erst heute diskutiert wird – ich bin froh darüber, dass er diskutiert wird –, muss man sagen, da ist zweifellos ein bisschen Zeit verstrichen. Aber ich glaube, diese Zeit wurde gut genutzt.

Der Entschließungsantrag ist eine Weichenstellung in die richtige Richtung, und ich bin davon überzeugt, dass als Ergebnis dieses Baukulturreportes auch eines ganz klar herauskommt: dass hier eine Querschnittsmaterie angesprochen wird; auch das wurde schon von einigen Vorrednern andiskutiert. Eine wesentliche Grundlage dafür ist die Raumordnung. Ich denke, dass die Gemeinden und Länder ihren Auftrag sehr ernst nehmen, denn ein Grundstück ist die Grundlage für ein Gebäude, und ein Gebäude ist die Grundlage dafür, dass sich Menschen wohlfühlen; dafür gibt es natürlich individuelle Anforderungsprofile.

Natürlich gibt es auch einige Lenkungsinstrumente. Ein Lenkungsinstrument ist die Wohn­bauförderung. Ich möchte aus niederösterreichischer Sicht ein Beispiel dafür bringen, weil die Wohnbauförderung natürlich ein wichtiges soziales und nachhaltiges Förderinstrument ist. Aber auch starke ökologische Förderkriterien wurden bei der niederösterreichischen Wohnbauförderung, jetzt auch bei der neuen Wohnbau­förde­rung, angelegt. So gibt es nicht nur einen Energieausweis, der auch im Privat­bereich gefordert wird, sondern für verdichteten Wohnbau ist vorgeschrieben, dass bei acht Wohneinheiten die Förderprojekte durch den Gestaltungsbeirat gehen, und bei 30 Wohneinheiten ist auch ein Architekturwettbewerb verbindlich Voraussetzung.

Das halte ich für einen richtigen Weg! Das ist der niederösterreichische Weg, das ist niederösterreichische Handschrift. Ich glaube, das ist einerseits modern, andererseits wird man damit sowohl der Ökologie als auch der Architektur zweifellos gerecht.

Aber ich denke, Baukultur ist auch Motivation. Wir müssten Leute auf diesen Weg mit­nehmen. – Auch dazu ein Beispiel aus niederösterreichischer Sicht: Die Aktion „Niederösterreich schön erhalten – schöner gestalten“, die schon seit 20 Jahren sehr gut funktioniert, wurde seinerzeit noch von Herrn Landeshauptmannstellvertreter Erwin Pröll ins Leben gerufen, um Häuselbauer zu motivieren und auch wirklich gute Beispiele vorzuzeigen. Ich denke, es ist wichtig zu motivieren, um Baukultur auch erlebbar zu machen.

Zum Abschluss, meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich noch kurz auf den Bereich „Baukultur und Tourismus“ eingehen; auch das ist im Baukulturreport enthalten. Ich bin Bürgermeister einer Weinbaugemeinde, und ich muss sagen, es gibt auch hervorragende Beispiele im Bereich der neuen Kellertechnik, so zum Beispiel in meiner Nachbargemeinde das Weingut Aumann: ein zweckmäßiges und sehr funk­tionelles und architektonisch schönes Projekt.

Ich denke, das sind gute Beispiele, und wir sollten mit dem Baukulturreport diesen Weg weitergehen. (Beifall bei der ÖVP.)

18.03


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Mag. Lapp. 3 Minuten freiwillige Redezeitbeschränkung. – Bitte, Sie sind am Wort.

 



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18.04.02

Abgeordnete Mag. Christine Lapp (SPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Galerie! Vor allem die jüngeren ZuschauerInnen, denke ich, wird das ganz besonders betreffen, was wir heute hier diskutieren. Im Baukulturreport wird ja sehr umfassend dargestellt, dass die Gebäude die „dritte Hülle“ der Menschen sind. Ebenfalls sehr umfassend dargestellt wurden die Möglichkeiten des Bauens, dessen kulturelle Bedeutung und – was vor allem uns alle betrifft – dessen Wirkung auf unsere Lebenssituation, auf unsere Lebensqualität. Sie kennen sicherlich Gebäude, in denen Sie sich wohler fühlen, und andere Gebäude, in denen Sie sich nicht so wohl fühlen.

Der Baukulturreport ist das Resultat einer sehr breiten Initiative von allen Parlaments­parteien und hat gezeigt, dass wir hier in umfassendem Gleichklang miteinander ein sehr breites Kompendium geschaffen haben. Ein breiter Fokus wurde darauf gelegt, was alles in Österreich möglich ist, was noch notwendig ist und in welche Richtung es gehen kann.

Ich möchte ein Beispiel hervorheben: „Design for all“, also Gestalten und Bauen für alle Menschen, für alle Bedürfnisgruppen. Das ist nicht nur ein fachspezifischer Bereich, wo es vor allem um barrierefreies Bauen geht, sondern „Design for all“ geht viele Schritte weiter – natürlich barrierefrei – in die Richtung, dass Bauen und Gestalten unserer Umwelt für alle Menschen, für alle Bedürfnisse, egal, ob im Rollstuhl, mit Gipsfuß oder mit Kinderwagen unterwegs, egal, ob langsam oder schneller unterwegs, in unsere Gesellschaft Einzug halten.

Dieses Denken in Verschiedenheit ist mir sehr wichtig, und ich glaube, dass es diesbezüglich einen weiteren Diskurs in unserer Gesellschaft geben muss, auch in den Kreisen von Architektinnen und Architekten, Baumeisterinnen und Baumeistern, dass man eben bei der Gestaltung unserer Lebensumwelt verschiedene Bedürfnisse bedenkt und sich so in einem Wechselspiel befindet und eine Gesellschaft gestalten kann, die dem 21. Jahrhundert entspricht.

Frau Ministerin Claudia Schmied hat in einem sehr ambitionierten Acht-Punkte-Pro­gramm gerade auch für junge Menschen an Schulen, an Universitäten verschiedene Initiativen gesetzt, um zu ermöglichen, dass dieser Baukulturreport in unsere Gesell­schaft hineingetragen wird. Ich denke, gerade bei der jüngeren Generation haben wir eine sehr gute Basis, ein sehr gutes Fundament, sodass die einzelnen Gesellschafts­schichten sich weiter gestalten können.

Das Weiterbeschäftigen mit dem Thema Bauen – Alltag – Kultur – Leben, wie auch der Drei-Parteien-Entschließungsantrag zeigt, ist sehr wichtig und geht auch in Richtung einer Gesellschaft für alle. Ich denke, diese gesellschaftliche Teilhabe aller Bevölke­rungsgruppen ist ein sehr guter Schritt in die richtige Richtung. (Beifall bei der SPÖ, bei Abgeordneten der ÖVP sowie des Abg. Dr. Zinggl.)

18.07


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Hörl. 2 Minuten freiwillige Redezeitbeschränkung. – Bitte, Herr Kollege.

 


18.07.23

Abgeordneter Franz Hörl (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Bundesminister! Hohes Haus! Der österreichische Baukulturreport 2006 liegt vor, und ich danke allen Mitgliedern der ARGE Baukultur, der Plattform für Architekten, also allen Experten und Architekten, die daran mitgearbeitet haben, und ganz besonders natürlich unserem Abgeordneten Franz Morak, der in der sehr erfolgreichen Regierung Schüssel dieses wunderbare Werk für uns durchgesetzt hat. (Beifall und Bravorufe bei der ÖVP. – Abg.


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Mag. Gaßner: Ja, genau, das gehört einmal gesagt! – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.) Warum die Aufregung, meine Damen und Herren?

Mit dem Baukulturreport 2006 sollte erstmals eine breite, umfassende Darstellung baukultureller Rahmenbedingungen in Österreich erfolgen. Er soll auch ein Leitfaden für alle Verantwortlichen im Politischen und auch im Fachlichen sein. Dieser Bau­kulturbericht kann natürlich für die Ausbildung genutzt werden und kann auch Leitfaden für Bürgermeister und für alle auf Landes- und Bundesebene Tätigen sein. Jedoch sollte er nach meiner Meinung nicht dazu beitragen, einen Vorwand zu liefern, eine neue Behörde oder eine neue Verwaltung zu schaffen. Der Staat hat genug Mög­lichkeiten, über die BIG oder über Schulen oder über Verkehrsbauten, Einfluss zu nehmen.

Dieser Baukulturbericht toppt – und das ist auch festzuhalten – selbst die bisherigen Bemühungen des zuständigen Wirtschaftsministers, Architektur und Wettbewerbe, schönes Bauen durch Preise auszuzeichnen und damit in den Blickpunkt der Öffentlichkeit zu rücken. Es ist nicht richtig, Herr Dr. Zinggl und auch Kollege Veit Schalle, dass es bisher keine Bemühungen um Baukultur gab. Unser Wirtschafts­minister hat schon vor über zehn Jahren Staatspreise für Architektur und so weiter geschaffen. Ich bin ganz besonders stolz darauf, dass gerade Tiroler Bauten immer wieder führend waren; so etwa die Schanze am Berg Isel und auch das neue Nordketten-Projekt, das uns im nächsten Jahr erfreuen wird und ebenfalls ein Beispiel für gelungene Architektur sein wird.

Zum Thema Verwaltung und Handel haben fast 50 MPREIS-Filialen in Tirol einen Preis gewonnen, und das Verwaltungsgebäude von Travel Europe – der Eigner, Toni Gschwentner, ist ein Schulfreund von mir – ist auch ein gutes Beispiel für Bauen und Tourismus.

Wünschenswert wäre es, aus diesem umfangreichen Werk eine Kurzfassung zu erstellen, die unsere Bauamtsleiter und Bürgermeister als Leitfaden nehmen könnten. Ich glaube, dass die Bürgermeister ihre Verantwortung sicher wahrnehmen werden. Ein Bürgermeister steht vor Ort in ständigem Kontakt mit seiner Bevölkerung, zum Bau­herrn, und der Bürgermeister – und da wirst du mir vielleicht recht geben, Herr Abgeordneter Reheis – ist derjenige, der auch für eine schöne Gestaltung des Dorfes verantwortlich ist, und ich meine, dass er mit diesem Leitfaden auch die entsprechen­den Möglichkeiten dafür hat.

Die Tiroler Bauordnung ist ein gutes Beispiel dafür, sie überträgt diese hohe Verant­wortung an die Bürgermeister, die wir auch wahrnehmen.

Eine nationale Bauvorschrift gibt es künftig durch die Artikel 15a-Vereinbarung; zwei Bundesländer müssen diese noch unterschreiben. Ich glaube, das reicht. Wir brauchen nicht auch noch eine nationale Bauordnung, denn diese hilft uns weder bei der Orts­kerngestaltung noch für schönere Gebäude. Vielfalt und guter Wille helfen da viel und sind bei den Bürgermeistern, Architekten und Planenden in besten Händen. – Danke. (Beifall bei der ÖVP sowie bei Abgeordneten der SPÖ.)

18.10


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Zu einer tatsächlichen Berichtigung hat sich Frau Abgeordnete Dr. Moser zu Wort gemeldet. Ich mache auf die Bestimmungen des § 58 aufmerksam. – Bitte, Frau Kollegin.

 


18.10.39

Abgeordnete Dr. Gabriela Moser (Grüne): Herr Präsident! Mein Vorredner hat behauptet, dass Herr Kollege Morak das – ist gleich Baukulturreport – durchgesetzt hat.


Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 194

Das entspricht nicht den Tatsachen! (Abg. Kainz: Oja!)

Richtig ist: Es war ein Parlamentsbeschluss, der zu diesem Baukulturreport geführt hat. (Abg. Kainz: Das stimmt nicht! Das habe ich nicht gesagt!) Eine Heiligsprechung von Herrn Kollegem Morak kann gerne stattfinden, aber nicht hier im Parlament. – Danke. (Beifall bei den Grünen.)

18.11


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Mag. Schieder. 3 Minuten freiwillige Redezeitbeschränkung. – Bitte.

 


18.11.18

Abgeordneter Mag. Andreas Schieder (SPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Hohes Haus! Ich möchte vor allem Folgendes betonen: Was ich sehr, sehr gut finde, ist, dass jetzt endlich Bewegung in die Architektur-Debatte auf österreichischer Ebene, auf Bundesebene gekommen ist. Diese Bewe­gung hat begonnen, als auch die Abgeordnete Muttonen die Initiative aufgegriffen und eine Enquete hier im Haus veranstaltet hat.

Ich kann mich selbst noch erinnern, wie sehr ich mich in meiner damaligen Rolle als Vorsitzender des Architektur- und Planungsausschusses des Landes Wien und wie sehr sich auch viele Architekturschaffende gefreut haben, dass endlich etwas in Bewe­gung gekommen ist. Ich freue mich besonders, dass wir heute auch im Plenum den Baukulturreport diskutieren können, der die in Papier gedruckte Version dieser Diskussion ist, und dass auch das Hohe Haus, das Parlament und das Plenum des Parlaments sich einmal mit Architekturfragen auf dieser Ebene so stark auseinander­setzen.

Ich freue mich auch, dass Frau Ministerin Schmied nicht nur den Report ermöglicht hat, sondern auch schon angekündigt hat, dass es ein Weitergehen in diesem Bereich geben wird, nämlich dass eine Publikation über Architektur und zur Belebung der Diskussion fünfjährig sein soll, und dass heute auch ein Entschließungsantrag eingebracht wurde, einen Beirat einzurichten, und damit auch die Möglichkeit geschaf­fen wird, eine Diskussion anzuzünden, die vielleicht auch einmal eine Architek­turdeklaration ermöglicht. Ich kann auch hier aus eigenem erzählen, dass wir im Land Wien damals eine Architekturdeklaration erarbeitet haben, dass das komplett ungefähr­lich ist, aber andererseits die Diskussion extrem belebt und stimuliert, was auch notwendig ist.

Ich freue mich auch, dass angekündigt wurde, im Bereich der Vermittlung und im Bereich des Erziehungswesens besondere Akzente zu setzen. Auch das ist ein entscheidender Punkt, auch in Vernetzung mit den Architekturzentren und Architek­turmuseen, weil es auch darum geht, die Diskussion am Leben zu erhalten. Ich glaube nicht, dass es darum geht, Schönheitsgestaltungs- oder Geschmacksparameter zu setzen, sondern eben eine Diskussionskultur zu etablieren.

Da das Lamperl hier beim Rednerpult schon leuchtet, fasse ich mich kurz. Ich glaube, dass es um die bauliche Qualität geht und nicht nur um die Architektur. Ich hoffe auch, dass wir dadurch eine spannende und kontroversielle Diskussion über Architektur und bauliche Qualität in Österreich haben werden – ganz im Sinne des Ausspruchs der berühmten österreichischen Architekten Coop-Himmelblau, die gesagt haben: Architek­tur muss brennen. In diesem Sinn muss auch Architektur-Diskussion brennen. (Beifall bei der SPÖ.)

18.14


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Sieber. 2 Minuten freiwillige Redezeitbeschränkung. – Bitte, Herr Kollege.

 



Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 195

18.14.05

Abgeordneter Norbert Sieber (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Ministerin! Hohes Haus! Wenn Baukultur in Österreich oder auch in Europa diskutiert wird, fällt sehr oft Vorarlberg als positives Beispiel auf. (Beifall und Bravorufe bei der ÖVP.) Ausgehend von der Auer Zunft, die um 1615 gegründet wurde, bestimmten ab diesem Zeitpunkt zahlreiche Baumeisterfamilien vor allem aus dem Bregenzer Wald die sakrale Architektur des Bodenseeraumes und seiner Umgebung.

Der heutige Stellenwert der Architektur in Vorarlberg liegt zu einem überwiegenden Teil in den Leistungen von Einzelpersonen begründet. Hier sind sicherlich die Architekten Untertrifaller, Baumschlager, Eberle oder auch der bekannte Hermann Kaufmann zu erwähnen.

Die Entwicklung in den letzten 40 Jahren hat eine unübersehbare Dichte hervor­ragender Alltagsbauten mit sich gebracht. Auf der anderen Seite schaffte es gerade die Baukultur, Gäste anzulocken, was das Gemeinschaftsprojekt „Architektur macht Gäste“ von Wirtschaftsministerium, Vorarlberg Tourismus und anderen zeigt. So sind laut Vorarlberg Tourismus Büro zirka 20 000 Nächtigungen auf Architekturreisende im Ländle zurückzuführen.

Seit den neunziger Jahren wird dem Ländle in der europäischen Fachwelt viel Auf­merk­samkeit zuteil. Ein Beispiel: In Frankreich hat die Ausstellung „Konstruktive Provokation – Neues Bauen in Vorarlberg“ einen großen Ansturm ausgelöst. Über 40 000 Personen allein in Frankreich haben die Ausstellung des französischen und des Vorarlberger Architekturinstituts besucht. Viele wollten sich im Anschluss daran ihr eigenes Bild von der Region machen, um der Frage nach dem Wie und Warum vor Ort nachzugehen.

Neben weiteren Stationen in Österreich, Deutschland, Luxemburg, Norwegen und Dänemark wird die Ausstellung nun auch in Spanien zu sehen sein. Architektur als Marke wird zum Exportartikel. Was ist das Erfolgsrezept? – Ich bin der Meinung, es liegt zu einem großen Teil an der Vorarlberger und im Besonderen der Bregenzer­wälder Mentalität. Dies umschrieb der Schriftsteller und Fotograf Gebhard Wölfle Ende des 19. Jahrhunderts mit dem Sinnspruch:

„Meor ehrod das Ault, und grüssed das Nü, und blibot üs sealb und dr Hoamat trü.“ (Abg. Dr. Brinek: Was heißt das? Bitte um Übersetzung!)

Was für die Nicht-Alemannen im Saal übersetzt bedeutet: Wir ehren das Alte und begrüßen das Neue, wir halten uns selbst und der Heimat die Treue.

Ein weiterer Erfolgsfaktor war die frühe Zuwendung zum Thema Nachhaltigkeit in der Baukultur. Der sparsame Umgang mit den Ressourcen in der Vorarlberger Baukunst hängt auch stark mit der Holzbaukunst zusammen. Einfache, konstruktiv gedachte Grundrisse und Materialisierungen zeichnen die zeitgenössischen Bauten aus. Sie bilden aber auch das Bindeglied zur Tradition, denn dieser bewusste Umgang mit vorhandenen Mitteln ist schon im traditionellen Bregenzerwälder-Haus ablesbar und besticht noch heute. (Abg. Dr. Haimbuchner: Gibt’s die Broschüre zu kaufen?)

Bei den Empfehlungen des Baukulturreports, sosehr dieses Werk auch zu schätzen ist, kommen die Wörter „verbindlich“, „zwingend“, „verbindende“ und „verpflichtende“ viel zu oft vor. Es sind nicht steuerliche Anreize, Auflagen bei Vergabeverfahren, sondern der Wille auf beiden Seiten – bei den Architekten und den Baumeistern auf der einen Seite und bei den Bauherren auf der anderen Seite. Viele Bauherren in Vorarlberg haben das Gefühl, dass es mit Architekten besser und schneller geht.


Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 196

Die Herausforderungen für die Zukunft sehe ich darin, dass wir die Bildung und vor allem die Forschung vorantreiben müssen. Doch das alles sollte gepaart sein mit einer gesunden Portion Hausverstand. (Beifall bei der ÖVP.)

18.17

 


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Stauber. 3 Minuten freiwillige Redezeitbeschränkung. – Bitte, Herr Kollege.

 


18.17.38

Abgeordneter Peter Stauber (SPÖ): Herr Präsident! Geschätzte Frau Bundes­ministerin! Meine geschätzten Kolleginnen und Kollegen im Hohen Haus! Gleich vor­weg möchte auch ich mich wie schon viele meiner Vorredner bei den Verfas­serinnen und Verfassern des Reports für diese exzellente Arbeit bedanken.

Die in diesem Report thematisierten Bereiche der österreichischen Baukultur sind äußerst vielfältig und bilden eine hervorragende Grundlage für weitere Diskussionen auf diesem Gebiet. Wie wir schön öfters gehört haben, ist Baukultur ja keine Elite­materie, die nur einige architektonische Superprojekte betrifft, sondern sie betrifft jeden einzelnen Häuselbauer, Wohnungsinhaber oder Wohnungsmieter.

Als Bürgermeister und somit erste Bauinstanz in der Gemeinde steht man fast täglich im Spannungsfeld zwischen den gesetzlichen Vorgaben und der Lebensqualität in Form von Wünschen, Ängsten und Sorgen unserer Mitmenschen.

Beim Studium des Baukulturreports sind mir vor allem zwei Empfehlungen ins Auge gestochen, die ich als Bürgermeister nur voll und ganz unterstützen und befürworten kann. Das eine ist die geforderte radikale Vereinfachung der das Bauen betreffenden Verordnungen, Gesetze und Normen.

Die Frau Staatssekretärin hat vorhin davon gesprochen, dass eine Unterstützung für die Gemeinden wünschenswert wäre. Ich kann das nur unterstützen und denke auch, dass wir in den Gemeinden sehr oft die Sachverständigen und die übergeordneten Stellen im Land Kärnten brauchen würden, um gemeinsam schneller Verfahren abwickeln zu können. Es kann nicht sein, dass man oft wochen- und monatelang auf Sachverständige vom Amt der Kärntner Landesregierung oder der Landesregierungen warten muss, um ein Bauverfahren schnell und für die Bürgerinnen und Bürger relevant abwickeln zu können. (Beifall bei der SPÖ.)

Der zweite und für mich in Wirklichkeit noch viel wichtigere Bereich in diesem Bau­kulturreport, der uns Kommunalpolitikern unter den Fingernägeln brennt, ist jener der Wohnbauförderungen. Da gibt es massiven Handlungsbedarf, denn langsam aber sicher wird Wohnen für viele Menschen in unserem Land einfach nicht mehr leistbar. Da sind wir aufgefordert, dem gemeinsam entgegenzuwirken und soziale Korrekturen anzubringen, wo es notwendig ist. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich möchte auch in erster Linie von hier aus unseren Herrn Finanzminister Molterer auffordern, die Mittel für die Wohnbauförderung in Zukunft wirklich drastisch zu erhöhen, denn dieses Geld hilft nicht nur unseren sozial Schwächeren, sondern kommt auch der Wirtschaft zugute.

Eine Erhöhung der Mittel für den Wohnbau macht aber nur dann Sinn, wenn diese Mittel auch für den Wohnbau gebunden werden. Eine Zweckbindung ist – auch wenn das sicherlich der eine oder andere Landesfinanzreferent nicht gerne hören wird – ein Gebot der Stunde. Daher nochmals meine Aufforderung: Diskutieren wir nicht zu lange und endlos über diesen Baukulturreport, sondern machen wir kurzfristig rasche, ver­nünftige und unbürokratische Entscheidungen im Sinne unserer Bürgerinnen und Bürger. – Danke. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten der ÖVP.)

18.20



Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 197

Präsident Dr. Michael Spindelegger: Zum Wort ist dazu niemand mehr gemeldet. Die Debatte ist geschlossen.

Wünscht die Frau Berichterstatterin ein Schlusswort? – Das ist nicht der Fall.

Wir kommen zur Abstimmung, über den Antrag des Kulturausschusses, den vorlie­genden Bericht III-56 der Beilagen zur Kenntnis zu nehmen.

Ich bitte jene Damen und Herren, die für dessen Kenntnisnahme eintreten, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist einstimmig angenommen.

Wir gelangen nunmehr zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abge­ordneten Mag. Muttonen, Morak, Dr. Zinggl, Kolleginnen und Kollegen betreffend weiterführende Maßnahmen zur Förderung der Baukultur in Österreich.

Ich bitte jene Damen und Herren, die für den Entschließungsantrag sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist die Mehrheit und daher angenommen. (E 42.)

Wir gelangen nunmehr zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abge­ordneten Dipl.-Ing. Klement, Kolleginnen und Kollegen betreffend Koordination des österreichischen Bundeskanzlers in Sachen Baukultur.

Ich bitte jene Damen und Herren, die für den Entschließungsantrag sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist die Minderheit und daher abgelehnt.

Schließlich gelangen wir zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abge­ordneten Dr. Moser, Kolleginnen und Kollegen betreffend Konsequenzen aus dem Österreichischen Baukulturreport 2006 in den Bereichen Bauordnung und Raum­ordnung.

Ich bitte jene Damen und Herren, die für den Entschließungsantrag sind, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist die Minderheit und daher abgelehnt.

18.22.253. Punkt

Regierungsvorlage: Schlussdokument der Sitzung der Regierungsvertreter betreffend die Verlängerung der Erklärung über die Produktionsphase der Ariane-Träger bis Ende 2008 (199 d.B.) (gemäß § 28a GOG keine Ausschuss­vorberatung)

 


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Wir gelangen nun zum 3. Punkt der Tages­ordnung.

Von der Vorberatung in einem Ausschuss wurde gemäß § 28a der Geschäftsordnung Abstand genommen.

Wir gehen in die Debatte ein.

Als Erster zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Zweytick. 2 Minuten freiwillige Redezeitbeschränkung. – Bitte.

 


18.22.54

Abgeordneter Johannes Zweytick (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzter Herr Staatssekretär! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hohes Haus! Nach der sehr interessanten Debatte um den Baukulturreport gehen wir jetzt ein bisschen in höhere Sphären: Es geht um die Ariane-Träger. Wir haben schon seit 1980 mit allen damaligen ESA-Mitgliedstaaten als Bestandteil der europäischen Raumfahrtspolitik und der Wettbewerbsfähigkeit eine multilaterale und zwischenstaatliche Vereinbarung geschlossen, die die Beziehungen zwischen den Teilnehmern am Ariane-Entwick­lungs­programm der ESA und der französischen privatrechtlichen Aktiengesellschaft


Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 198

Arianespace regelt. Dieser Gesellschaft sind die Produktion, Vermarktung und Ab­wicklung von Starttätigkeiten der von der ESA entwickelten Trägerrakete Ariane übertragen.

Eine Verlängerung der Erklärung über die Produktionsphase der Ariane-Träger bis Ende 2008 durch Österreich erscheint deshalb geboten, weil auf diesem Wege eine Interimslösung ermöglicht wird, die es den Teilnehmerstaaten erlaubt, ein neues längerfristiges Übereinkommen über die Einsatzphase der Träger Ariane, Vega und Soyuz vom Raumfahrtszentrum Guyana auszuhandeln. Österreich erwachsen dadurch keine zusätzlichen Kosten, da die Beiträge zum Raumfahrtszentrum Guyana dem Haushalt der ESA angegliedert sind.

Das österreichische Interesse an der Verlängerung bis 2008 besteht darin, bei der weltweiten Vermarktung der in Europa entwickelten Trägerrakete durch die privat­rechtliche Firma Arianespace weiter mitzuwirken, wobei diese österreichischen Firmen als Zulieferer Aufträge erteilt.

Es gibt gerade im Forschungszentrum Seibersdorf sehr große Erfolge und gute Erfah­rungen aus der Vergangenheit. Die Entwicklung dort bestätigt auch die hohen Aufträge, die um ein Vielfaches mehr an Einnahmen ausmachen, als unser Anteil im Budget dieses Projektes der ESA von etwa 1,3 Prozent, die Österreich zur Verfügung stellt, ist. Dieses Projekt bietet ein wesentliches Mehr an Einnahmen durch Aufträge. Ich bitte Sie um die Zustimmung zu diesem Antrag. (Beifall bei der ÖVP sowie der Abg. Pfeffer.)

18.25


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Ing. Gartlehner. 5 Minuten freiwillige Redezeitbeschränkung. – Bitte, Herr Kollege.

 


18.25.27

Abgeordneter Ing. Kurt Gartlehner (SPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätz­ter Herr Staatssekretär! Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Ich schließe mich im Wesentlichen den vor mir gemachten Ausführungen des Kollegen Zweytick an. Ich glaube, dass das Ariane-Projekt oder das europäische Raumfahrt­projekt das erste große wirtschaftliche technologieorientierte, forschungsorientierte Projekt Europas in der Geschichte der EU gewesen ist und bisher sehr erfolgreich geführt wurde. Wir wissen, dass die Ariane-Rakete jene Raketengeneration ist, die 70 Prozent Marktanteil bei den Satelliten-Transporten in den Weltraum auf sich vereinen kann. Es ist also auch eine wirklich respektable Erfolgsstory, einfach weil die Kosten für diese Ariane-Raketentechnologie geringer sind, als die amerikanischen Raketenkosten sind.

Österreichische Firmen partizipieren davon. Ich kann mich noch sehr gut erinnern, als junger Techniker durfte ich an einem Projekt mitentwickeln, da ist es um die Zellstoff- oder die Wasserstoff-Treibstofftank-Technologie gegangen, die Auspufftechnologie dieses Segments im Wesentlichen – damals noch Steyr-Daimler-Puch, heute Magna. Magna partizipiert auch hier sehr von hochtechnologischem Know-how, das man über diese Forschungs- und Entwicklungsarbeiten bei Ariane generieren kann.

Es gibt inzwischen mehrere europäische erfolgreiche Projekte. Ich erinnere nur an die GSM-Technologie, die ein Welterfolg wurde und die auch ein europäisches Kind ist. Ich erwähne noch EADS durchaus als Erfolgsstory, Airbus, Eurocopter. Eurofighter könnte man auch anders diskutieren, wenn man will. Aber insgesamt: Die Flugzeug­technologie in der Europäischen Union ist auch von großem Erfolg geprägt, kann man sagen. Es ist gelungen, Europa hier wieder eine eigene Marke zu geben.


Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 199

Ein großes Projekt, das derzeit zur Finanzierung noch ansteht, das Galileo-Projekt, das mehr oder weniger die amerikanische GPS-Technologie ersetzen soll, ist strategisch, wirtschaftspolitisch, verteidigungspolitisch eine wichtige Angelegenheit und natürlich auch technologiepolitisch von großer Bedeutung.

Mit einem Wort: Wir als Sozialdemokraten unterstützen diese Politik und stimmen diesem Antrag zu. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten der ÖVP.)

18.28


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Sburny. 5 Minuten freiwillige Redezeitbeschränkung. – Bitte. (Abg. Sburny – auf dem Weg zum Rednerpult –: 3 Minuten!) – 3 Minuten, Frau Kollegin.

 


18.28.15

Abgeordnete Michaela Sburny (Grüne): Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Sehr geehrte Damen und Herren! Kollege Gartlehner hätte es mit seinem Lob auf die Eurofighter fast noch geschafft, dass wir diesem Antrag doch noch eine Ablehnung geben, aber wir sind ja weitsichtig und nicht so kleinlich.

Faktum ist, dass dieses Ariane-Projekt tatsächlich nicht nur ein wirtschaftlicher Erfolg ist, sondern für Österreich auch noch den so genannten Nebeneffekt hat, dass wir damit eine gewisse Unabhängigkeit erlangen, sowohl von den USA als auch von Russland, was den Satellitentransport ins All betrifft. Das wiederum halten wir nicht für unerheblich, weil es da um unsere Kommunikation via Rundfunk, Fernsehen geht. Da unabhängig zu sein, das macht sicher auch einen Vorteil. Wir erwerben mit diesem Vertrag auch Mitspracherechte beim Bau der Rakete.

Was mich ein bisschen – wie soll ich sagen? – erstaunt, ist, wie diese Anträge hier im Parlament eintreffen. Soviel mir bekannt ist, war der Zeitpunkt des Ablaufs ja Ende 2006. Wir haben jetzt bald Ende 2007. Es scheint, dass die MitarbeiterInnen des BMVIT einfach auch zu wenig Ressourcen haben, um die Anträge rechtzeitig zu bearbeiten. Vielleicht sollte man sich auch überlegen, ob man da eine Unterstützung, mehr an Ressourcen dorthin bringt, damit wir diese Sachen ordentlich abwickeln können.

Abgesehen davon werden wir dem Antrag unsere Zustimmung geben. – Danke. (Bei­fall bei den Grünen.)

18.29


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dipl.-Ing. Klement. 3 Minuten freiwillige Redezeitbeschränkung. – Bitte.

 


18.30.01

Abgeordneter Dipl.-Ing. Karlheinz Klement, MAS (FPÖ): Sehr geehrter Herr Präsi­dent! Herr Staatssekretär! Werte Kollegen! Es gibt also doch auch Themen, die uns fraktionsübergreifend zu Einmütigkeit bewegen können. Eines davon ist sicher das Thema Ariane, das heute Gegenstand der Debatte ist. Es ist schon vieles dazu gesagt worden. Es geht de facto bei dieser Regierungsvorlage nur um eine Verlängerung eines bestehenden Vertrages, um in dieser Zeit einen neuen, besseren auszuhandeln. Und ich glaube, das ist es schon, was dahintersteckt.

Die Ideen seien kurz beleuchtet: Es ging ja bei der Gründung der ESA darum, eine Unabhängigkeit von den Supermächten und, wie Kollegin Sburny es gesagt hat, auch eine Unabhängigkeit in der modernen Kommunikation – Satellitentransport und so weiter – zu erreichen. Das ist gut, das ist absolut zu befürworten. Die Frage ist: Welche Rolle spielt Österreich dabei?


Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 200

Wir wissen, dass die ESA ungefähr ein Budget von 2,9 Milliarden € hat und dass der Beitrag Österreichs mit 1,3 Prozent relativ dürftig ist. Wenn man sieht, welche Erfolge aber die österreichische Wissenschaft damit einbringen konnte und welche Beiträge Österreich bereits zur ESA und auch zur Ariane liefern konnte, dann können wir stolz sein. Ich denke etwa daran, dass der Sonnenschild bei dieser Infrarot-Weltraum­teleskop-Vorarbeit aus Österreich kam. Ich denke daran, dass das Magnetometer aus dem Grazer Institut für Weltraumforschung bei der Cluster-Mission einen maßgeb­lichen Beitrag geliefert hat. Ich denke daran, dass diese Wasserstoff-Treibstofftanks, die bei der Ariane eine ganz zentrale Rolle spielen, bei Magna Steyr gebaut worden sind. Und ich denke auch an die Zukunft in diesen Bereichen. Und da geht es darum, dass wir aus Österreich die digitale Elektronik einbringen können, dass wir Software-Entwicklung einbringen können und vor allem im Bereich der Erdbeobachtung sicher eine Vorreiterrolle spielen können.

Schlussendlich denke ich natürlich auch, weil es schon vom Kollegen angesprochen wurde, Richtung GALILEO und GMES – das heißt, alles Bereiche, die uns wirklich in dieser Hochtechnologie vorwärts bringen und unseren Ruf als Technologieland verstärken können.

Daher meine Aufforderung auch an Sie beziehungsweise an Herrn Minister Faymann, diese Chance zu nützen und noch stärker in diese Forschungsthematik einzusteigen und auch die Chancen für Österreich, die wir im Bereich Entwicklung zurückbe­kommen, stärker wahrzunehmen. Und vielleicht sollten wir uns auch überlegen, in diese Gemeinschaft der Ariane-Städte einzutreten. Es gibt in diesen teilnehmenden Ländern viele Städte, die sich sozusagen zu einer Gemeinschaft zusammen­geschlos­sen haben, und warum soll nicht Wien auch dieser Gemeinschaft beitreten, um im Bereich Forschung eine Vorreiterrolle auszubauen?

Daher von meiner Seite noch einmal der Appell, diesen Anteil von 1,3 Prozent zu erhöhen, möglicherweise die 33 Millionen, die Österreich derzeit in Summe beiträgt, auf 50, 60 Millionen zu erhöhen, weil ja diese Gelder, die wir in die ESA, in die Forschung zur Ariane einbringen, auch eins zu eins zurückkommen.

Aus diesem Grunde natürlich eine hundertprozentige Unterstützung seitens der frei­heitlichen Fraktion und die Hoffnung, dass wir in diesem Bereich tatsächlich auch den Unis und der Wirtschaft gute Impulse geben können. (Beifall bei der FPÖ. – Abg. Dr. Brinek – zu dem auf seinen Sitzplatz zurückkehrenden Abg. Dipl.-Ing. Klement –: Dieser Beitrag ist ungemein teuer! ...!)

18.33


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Pfeffer. 3 Minuten freiwillige Redezeitbeschränkung. – Bitte.

 


18.33.11

Abgeordnete Katharina Pfeffer (SPÖ): Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Liebe Gäste (in Richtung Galerie) aus dem Burgenland! Herr Bürgermeister Zapfl aus Nickelsdorf ist mit seinen Freunden hier auf Besuch. Herzlich willkommen! (Beifall bei der SPÖ.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Österreich ist Vollmitglied der Weltraum­organisation ESA und hat die Erklärung europäischer Regierungen über die Pro­duktionsphase von Ariane-Trägern am 21. Mai 1992 angenommen. Diese Erklärung regelt die kommerzielle Vermarktung der Ariane-Trägerraketen. Außerdem ist Öster­reich auch Teilnehmer am Entwicklungsprogramm der Ariane 5. Die Teilnehmerstaaten haben aber auch am 5. Dezember 2005 einer unveränderten Verlängerung dieser


Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 201

Vereinbarung um zwei Jahre bis zum Ende des Jahres 2008 zugestimmt, und während­dessen soll ein neuer, längerfristiger Vertrag ausgehandelt werden.

Außerdem besteht das österreichische Interesse auch darin, bei der weltweiten Ver­marktung der in Europa entwickelten Trägerrakete durch die privatrechtliche Firma Arianespace weiter mitzuwirken, wobei diese Firma an österreichische Zulieferfirmen Aufträge erteilen wird. Dies ist nicht nur ein wirtschaftliches Plus, es schafft und erhält auch Arbeitsplätze, meine Damen und Herren.

Nun, was ist das für ein Gerät, die Ariane V? – „Ariane“ ist der Name für eine Serie europäischer Trägerraketen, die im Auftrag der ESA entwickelt wurden. Im März 1980 wurde die Firma Arianespace gegründet, die seither die Finanzierung, die Produktion, den Verkauf und den Start der Ariane-Raketen übernimmt. Eigentümer dieser Firma sind verschiedene europäische Raumfahrtsunternehmen. Frankreich war führend an der Entwicklung der unteren Raketenstufen beteiligt, Deutschland an jener der oberen.

Durch diese Trägerrakete ist der ESA ein autonomer Zugang zum All gegeben, das heißt, hier können unabhängig von den Großmächten Satelliten in Umlauf gebracht werden – ein interessantes Projekt, an dem wir beteiligt sind. Ich selbst, meine Damen und Herren, hatte 2003 die Chance, im Zuge der NATO-Konferenz in Florida die Raketenbasis Cape Canaveral zu besuchen. (Abg. Scheibner: Oh! Die NATO? – Welch ein Unding! Die NATO!) Dort waren natürlich größere Kaliber, nämlich die Apollo-Raketen und andere, zu besichtigen. Gabi Moser war auch mit dabei. (Abg. Scheibner: Bei der NATO? Bei der NATO war sie dabei?)

Das war ein eindrucksvolles Erlebnis, das ich so schnell nicht vergessen werde, Herr Abgeordneter Scheibner. Und dort, meine Damen und Herren, wurde mir so richtig bewusst, was die Menschen auf diesem Gebiet zu leisten vermögen.

Wir können daher auf unser europäisches Projekt sehr stolz sein. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ, bei Abgeordneten der ÖVP sowie der Abg. Dr. Moser.)

18.36


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Scheib­ner. Ebenfalls 3 Minuten freiwillige Redezeitbeschränkung. – Bitte.

 


18.36.10

Abgeordneter Herbert Scheibner (BZÖ): Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Meine Damen und Herren! Bei solchen Debatten lernt man von Frau Kollegin Pfeffer noch alles Mögliche dazu: erstens einmal, dass das Burgenland gut vertreten ist. – Auch von mir (in Richtung Galerie) ein Grüß Gott! Haben Sie einen Rotwein vielleicht auch mitgebracht, nicht nur für die Frau Abgeordnete Pfeffer? – Wir werden ihn dann bei ihr verkosten!

Zweitens, dass NATO-Konferenzen anscheinend auch für SPÖ und Grüne von großer Bedeutung und faszinierend sind. Auch das zu hören war entsprechend interessant. Zumindest bei solchen Debatten wird das auch zugegeben – sonst höre ich ja von der NATO immer nur als einem „Hort des Bösen“, um den man möglichst einen großen Bogen macht. (Abg. Parnigoni: Wissen muss man schon, was dort passiert!)

Interessant war auch – Frau Kollegin Sburny hat es ja kritisiert –, dass der Abgeord­nete Gartlehner den Eurofighter, na ja, zwar nicht gelobt hat, aber doch richtigerweise darauf hingewiesen hat, dass man mit solchen Projekten auch in Hochtech­nologie­bereiche für die jeweilige Wirtschaft, und damit für die österreichische Wirtschaft, hineinkommt. Und genau das ist es! (Beifall beim BZÖ.)

Das gilt ja hier jetzt auch beim Ariane-Projekt: Wenn man von solchen Bereichen auch technologisch und wirtschaftlich einen Nutzen ziehen möchte, dann muss man dabei


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sein, dann muss man sich an dem Projekt beteiligen, dann muss man vielleicht auch einmal etwas investieren, damit diese Investments dann doppelt, dreifach, vielleicht auch zehnfach (Abg. Öllinger: Das ist ein Unterschied!) und auf Dauer, Herr Kollege Öllinger, auch wieder zurückkommen. (Abg. Öllinger: Das ist ein Unterschied!) – Ich weiß, es ist ein Unterschied: Das eine sind Flugzeuge, das andere sind Raketen. Aber ansonsten ist das Prinzip das gleiche. (Abg. Öllinger: ... ein ziviles Projekt!)

Na ja, darüber könnte man auch wieder diskutieren, wie weit die Weltraumtechnik in dem einen oder in dem anderen Bereich verwendet wird – Sie könnten vielleicht auch sagen: missbraucht wird. Trotzdem ist vieles, was im militärischen Bereich entwickelt wurde, dann hinübergekommen in den zivilen Bereich und letztlich auch wichtig gewesen für den Fortschritt und die Entwicklung in diesem Bereich.

Deshalb von uns natürlich eine hundertprozentige Zustimmung zur Verlängerung dieser Erklärung. Wir sollten nur – das ist jetzt nicht Ihre Aufgabe, Herr Staatssekretär Winkler, sondern fällt vielleicht eher in den Bereich der Wirtschaft oder der For­schung – auch hier in Österreich der Wirtschaft mehr Möglichkeiten, auch mehr Basis geben, sich in diesen Bereichen zu engagieren. Wir haben leider oft viel zu wenige Betriebe, die sich hier entsprechend engagieren könnten, die dann profitieren könnten von den Aufträgen, die man etwa im Bereich der ESA, aber auch in anderen Bereichen in der Hochtechnologie erreichen könnte. Hier kann man also durchaus auch noch Schwerpunkte setzen. Aber ein wichtiges Prinzip: dabei sein, investieren und dann auch den Gewinn davon bekommen – das gilt überall, Herr Kollege Öllinger, und im Bereich der Hochtechnologie auf jeden Fall. (Beifall beim BZÖ sowie bei Abgeordneten der ÖVP.)

18.39


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Zum Wort ist dazu niemand mehr gemeldet. Die Debatte ist geschlossen.

Gemäß § 65 der Geschäftsordnung gelangen wir nunmehr zur Abstimmung, und ich bitte alle Damen und Herren, Platz zu nehmen.

Gegenstand ist die Genehmigung des Staatsvertrages: Schlussdokument der Sitzung der Regierungsvertreter betreffend die Verlängerung der Erklärung über die Produk­tionsphase der Ariane-Träger bis Ende 2008, in 199 der Beilagen.

Ich bitte jene Damen und Herren, die hiezu ihre Zustimmung geben, um ein ent­sprechendes Zeichen. – Das ist einstimmig angenommen.

18.39.584. Punkt

Erste Lesung: Antrag der Abgeordneten Josef Bucher, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz geändert wird (375/A)

 


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Wir gelangen zum 4. Punkt der Tagesordnung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Das Wort erhält zunächst der Antragsteller, Herr Abgeordneter Bucher. 3 Minuten frei­willige Redezeitbeschränkung. – Bitte.

 


18.40.13

Abgeordneter Josef Bucher (BZÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehr­ten Kolleginnen und Kollegen! Liebe Burgenländerinnen und Burgenländer! Die nächsten fünf Tagesordnungspunkte behandeln ausschließlich Anregungen, Themen­kom­plexe, die aus dem Umfeld des Rechnungshofes kommen und die schon bei


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Symposien, bei Enquete-Veranstaltungen behandelt wurden, Anregungen, die die Prüfungskompetenz des hervorragend arbeitenden Rechnungshofes ausweiten sollen.

Ein Punkt, der im Rahmen dieser Tagesordnung behandelt werden soll, ist unsere Anregung, dass diese Prüfungskompetenz des Rechnungshofes auch auf gemein­nützige Wohnbaugenossenschaften ausgeweitet werden soll, also jene Wohnbauge­nossenschaften, die aufgrund ihrer Gemeinnützigkeit keine Ertragssteuern zu leisten haben.

Wir sind der Überzeugung, dass der Bundesrechnungshof hier eine sehr präventive Wirkung ausüben könnte und durch diese Prävention auch die einzelnen Wohnbau­träger, Wohnbaugenossenschaften eine noch effizientere und wirtschaftlichere Geba­rung halten könnten, weil wir auch wissen, dass es in der Vergangenheit immer wieder Unregelmäßigkeiten gegeben hat, dass es auch immer wieder dazu gekommen ist, dass da oder dort Rücklagen gebildet wurden, auch wo kein Wohnraumbeschaffungs­bedarf mehr vorhanden war.

Es ist sehr sinnvoll, wenn sich der Rechnungshof hier mit seiner Kompetenz – nicht nur mit seiner Prüfkompetenz, sondern auch mit seiner Beratungskompetenz – einschaltet, diesen Wohnbaugenossenschaften Hilfe anbietet, sie berät und dadurch auch im Sinne der Wohnungseigentümer zu mehr Effizienz veranlasst.

Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss. – Danke. (Beifall beim BZÖ.)

18.42


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Mag. Becher. 2 Minuten freiwillige Redezeitbeschränkung. – Bitte, Frau Kollegin.

 


18.42.33

Abgeordnete Mag. Ruth Becher (SPÖ): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Dieser Antrag wurde ja bereits im November 2005 fast wortidentisch einge­bracht. Er wurde damals in einem Unterausschuss des Justizausschusses behandelt, gemeinsam mit Experten, und es wurde dabei festgestellt, dass es massive verfas­sungsrechtliche Bedenken gibt. Und ich frage jetzt, was sich in diesen zwei Jahren geändert hat, wenn damals festgestellt wurde, dass es hier verfassungsrechtliche Bedenken gibt! – Man wird bei dem jetzt vorliegenden Antrag zu demselben Ergebnis kommen.

Ich glaube auch, dass die Intention dieses Bundesverfassungsgesetzes, allein diesen einzigen genossenschaftlichen Unternehmenszweck einer Rechnungshofprüfung zu unterziehen, bedenklich wäre, denn das müsste meiner Meinung nach nicht in § 30 WGG geändert werden, sondern so eine Regelung müsste im Genossenschafts­revisionsgesetz geändert werden, dem alle Genossenschaften unterliegen.

Wir haben heute sehr lange den Baukulturreport diskutiert. Die Autoren dieses Reports haben sich auch zur Kontrolle geäußert, und sie sagen:

„Das komplexe System von Anreizen und Kontrollen hat zu einer weitgehenden Missbrauchsresistenz des Sektors geführt. Nachdem die Immobilie international zu den am stärksten von Korruption und Misswirtschaft gefährdeten Wirtschaftssektoren zählt, ist dies keine Selbstverständlichkeit.“

Also eine ausgezeichnete Beurteilung des gemeinnützigen Wohnbausektors! Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen, außer dass es offensichtlich ist, was der Antrag wirklich beabsichtigt: Es ist eine parteipolitisch motivierte Breitseite gegen jene Bauvereinigun­gen, die in den letzten Jahren wirklich kostengünstigen Wohnraum für die Menschen zur Verfügung gestellt haben. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ.)

18.44



Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 204

Präsident Dr. Michael Spindelegger: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Sonnberger. Ebenfalls 2 Minuten freiwillige Redezeitbeschränkung. – Bitte.

 


18.44.47

Abgeordneter Dr. Peter Sonnberger (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Hohes Haus! Die gemeinnützigen Bauvereinigungen werden schon durch den Revisions­verband sehr, sehr wirksam geprüft, und das Prüfergebnis kommt dann den jeweiligen Landesaufsichtsbehörden zu. Man kann vielleicht noch reden über eine Nachjustierung der aufsichtsbehördlichen Steuerungsinstrumente – das wäre sicher ein Schritt in die richtige Richtung, und das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit hat hier bereits gemeinsam mit den Landesregierungen Schritte eingeleitet. Aber bei gemeinnützigen Bauvereinigungen kommen bereits mannigfaltige Kontrollmechanismen zum Tragen, die vor allem folgende Bereiche betreffen: Den Bereich der Genossenschaftsrevision im Allgemeinen, die Aufsicht und Prüfung durch die Landesregierung, die Kontrolle des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit der von den Landesregierungen getroffenen Maßnahmen und, und, und. Also es gibt schon sehr, sehr viele Kontrollmöglichkeiten.

Wir haben ein modernes Genossenschaftsrevisionsgesetz 1997 und auch ein Ab­schlussprüfungs-Qualitätssicherungsgesetz, und ich glaube, dass derzeit der Prüfungs­umfang ausreicht und dass die gemeinnützigen Bauvereinigungen, die im Übrigen in den letzten Jahrzehnten hervorragende Arbeit geleistet haben, ausreichend überprüft werden. (Beifall bei der ÖVP.)

18.46


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Als Nächste steht Frau Abgeordnete Dr. Moser auf der Rednerliste. 4 Minuten freiwillige Redezeitbeschränkung. – Bitte.

 


18.46.21

Abgeordnete Dr. Gabriela Moser (Grüne): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Prüfungsagenden des Rechnungshofes erstrecken sich über zahlreiche Materien. Jetzt ist natürlich die Frage: Wie weit ist der Rechnungshof jetzt rein operativ, rein personell noch in der Lage, Bereiche zusätzlich zu überprüfen, die bereits drei Prüfinstanzen durchlaufen haben?

Hier stellt sich für mich die Effizienzfrage! – Ich diskutiere gerne Ihren Antrag im nächs­ten Ausschuss. Wir hatten ja bereits eine ausgiebige Diskussion in der letzten Legislaturperiode im Unterausschuss des Justizausschusses unter Beiziehung des Herrn Präsidenten des Rechnungshofes, der hier durchaus eine ambivalente Einschät­zung darlegte und der uns vor allem in einer Hinsicht das Auge schärfte – Kollege Sonnberger hat es auch schon erwähnt –: Da der Revisionsverband ja bereits die gemeinnützigen Wohnbaugesellschaften überprüft, besteht in erster Linie ein Hand­lungsbedarf auf Landesebene, nämlich dann durch die jeweiligen Landesbehörden die Berichte noch konziser zusammenzufassen beziehungsweise dort noch mehr Augen­merk darauf zu legen und vielleicht von Landesebene noch deutlichere und eindeu­tigere und umfassendere Berichte dann an das Wirtschaftsministerium beziehungs­weise an das Parlament zu liefern.

Ich sehe momentan, nach dem jetzigen Stand der Diskussion, keine Notwendigkeit, den Rechnungshof in seinen Agenden noch in diese Richtung auszuweiten. Es gibt viel dringendere Prüfverfahren – ich erinnere nur etwa an die Überprüfung von Gemeinden mit unter 20 000 Einwohnern. Ich würde daher dieses Anliegen jetzt einmal hintan­reihen und zuerst die anderen, dringenderen neuen Agenden für den Rechnungshof vorziehen (Abg. Mag. Gaßner: Die Gemeinden werden genauso viel geprüft wie die Gemeinnützigen!) und dann noch einmal eine Diskussionsrunde über diese Materie einziehen, weil ich momentan in diesem Bereich nicht den dringendsten Handlungs­bedarf im Hinblick auf Rechnungshofprüfungen sehe.


Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 205

Ich glaube, auch die verfassungsrechtliche Schwierigkeit, die Kollegin Becher ange­sprochen hat, deutet in die Richtung, dass wir uns das noch einmal gründlich und grundsätzlich überlegen und andere Dinge prioritär reihen. – Danke. (Beifall bei den Grünen.)

18.48


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Zum Wort ist dazu niemand mehr gemeldet. Die Debatte ist geschlossen.

Ich weise den Antrag 375/A dem Rechnungshofausschuss zu.

18.48.455. Punkt

Erste Lesung: Antrag der Abgeordneten Josef Bucher, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz und das Rechnungshofgesetz geändert werden (376/A)

 


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Wir gelangen nun zum 5. Punkt der Tages­ordnung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Das Wort erhält zunächst der Antragsteller, Herr Abgeordneter Bucher. 3 Minuten freiwillige Redezeitbeschränkung. – Bitte, Herr Kollege.

 


18.49.07

Abgeordneter Josef Bucher (BZÖ): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr (in Richtung Galerie) Ex-Abgeordneter Neudeck, herzlich willkommen! – Ich habe das natürlich erwartet, dass ich keine Zustimmung erhalte, was die Prüfung der Wohn­baugenossenschaften betrifft, denn mit Verlaub, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von Rot und Schwarz: Wer hätte schon gedacht, dass Sie sich in Ihre eigenen Wohnbaugenossenschaften hineinblicken lassen?

Aber was diesen Tagesordnungspunkt anlangt, glaube ich, geht es um einen sehr guten Vorschlag, der letztendlich auch vom Rechnungshof selbst gekommen ist, näm­lich um die Prüfung der Gemeinden, und zwar nicht so, wie wir das wollen, nämlich jener mit unter 20 000 Einwohnern, sondern jener ab einem Gebarungsvolumen von 10 Millionen €.

Wir kennen die Situation der Gemeinden, wir wissen auch, dass die Gemeinden sehr sorgsam geprüft werden – Gemeindeaufsicht et cetera –, aber ich glaube, dass es immer kompliziertere Finanzierungsvarianten gibt, die auch den Gemeinden das Gefühl geben, dass der Rechnungshof sie nicht nur prüft, sondern sie auch berät. Unter diesem Blickwinkel möchte ich das hier sehen, weil wir den Rechnungshof immer loben in unseren Stellungnahmen, und zwar nicht nur für seine sehr hoch geschätzte und kompetente Art und Weise, was die Prüfung anlangt, sondern auch für seine Beratung, die er durchführt.

Ich glaube, dass die Bevölkerung hier ein besseres Gefühl hätte, was die Finanz­gebarung der Gemeinden anlangt, würde der Rechnungshof auch die Prüfungen in den Gemeinden durchführen. Bisher konnte er nur 1 Prozent der Gemeinden prüfen, gerade einmal 24 von über 2 300 Gemeinden, die immerhin über 240 000 Transfer­zahlungen pro Jahr über ihre Kassen abhandeln.

Ich hoffe, dass das Einsehen – zumindest von der FPÖ und von den Grünen – gegeben ist, um diese Maßnahme umzusetzen. (Beifall beim BZÖ.)

18.51



Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 206

Präsident Dr. Michael Spindelegger: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Reheis. 2 Minuten freiwillige Redezeitbeschränkung. – Bitte, Herr Kollege.

 


18.51.25

Abgeordneter Gerhard Reheis (SPÖ): Herr Präsident! Hohes Haus! Als Bürger­meister einer betroffenen Gemeinde, die mit der Schließung von Kontrolllücken durch eine externe Finanzkontrolle des Rechnungshofes betroffen wäre, und als Mitglied des Rechnungshofausschusses weiß ich, dass Rechnungshofprüfungen nicht etwas sind, vor dem man sich fürchten müsste. Im Gegenteil: Aus Erfahrungen aus dem Rech­nungshofausschuss kann ich bestätigen, dass der Rechnungshof ausgezeichnet arbeitet und dort ausgezeichnete Fachleute tätig sind, die nach korrekten und unbeeinflussten Kontrollen mit Vorschlägen für allfällige Verbesserungen nur positiv und konstruktiv für die kontrollierten Einrichtungen wirken.

Derzeit unterliegt meine Gemeinde unter den Voraussetzungen, die momentan gültig sind, der Kontrolle der Gemeindeaufsicht des Landes Tirol. Ich habe bisher Kontrollen immer als sinnvoll angesehen, und ich habe auch zukünftig nichts dagegen, wenn der Rechnungshof diesbezügliche Kontrollen durchführt, aber nur entweder/oder. Kontrolliert die Kontrollore!, das ist sicherlich nicht sinnvoll, wie auch eine ständige Kontrolltätigkeit die Gemeinden behindern könnte.

Allerdings sollte man im Zuge der Verwaltungsreform nicht nur die Möglichkeit der Gemeindekontrollen erörtern, sondern zum Beispiel die Kontrollen von Körperschaften öffentlichen Rechts, wie zum Beispiel die Agrargemeinschaften, durch den Rechnungs­hof ermöglichen. Derzeit besteht ja keine Möglichkeit, derartige Einrichtungen seitens des Rechnungshofes zu überprüfen, obwohl dies ebenfalls sinnvoll und notwendig wäre.

Eine weitere notwendige Schließung einer Kontrolllücke des Rechnungshofes betrifft ausgegliederte Unternehmungen von Gemeinden, die derzeit aufgrund geltender Rechts­lage weder von der Gemeindeaufsicht noch von einem Rechnungshof geprüft werden können.

Eine Finanzkontrolle der Gemeinden und Körperschaften öffentlichen Rechts ist auch zum Nutzen der überprüften Stellen, und die dadurch ermöglichte Transparenz ist gut für die politischen Entscheidungsträger, für die überprüften Einrichtungen und grund­sätzlich sinnvoll. – Danke. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

18.53


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Lentsch. 2 Minuten freiwillige Redezeitbeschränkung. – Bitte, Frau Kollegin.

 


18.54.01

Abgeordnete Edeltraud Lentsch (ÖVP): Herr Präsident! Geschätzte Damen und Herren! Hohes Haus! Sehr geehrter Herr Kollege Bucher, ich denke, das föderale System hat sich in Österreich sehr, sehr gut bewährt, auch im Bereich der Kontrolle, und ich sehe eigentlich keinen aktuellen Anlass, warum jetzt plötzlich der Bundes-Rechnungshof auch die kleineren Gemeinden mit unter 20 000 Einwohnern prüfen soll. Dafür haben wir in erster Linie die Gemeindeaufsichtsbehörde – das haben wir vorhin schon angesprochen –, und irgendwelche andere Fälle können natürlich auch von den Landes-Rechnungshöfen geprüft werden; diese gibt es ja in den Bundesländern.

Man sollte da sehr, sehr vorsichtig sein und mit dem Rechnungshof nicht Politik betreiben, denn mehr Prüfung kommt allemal gut an draußen – das ist eine Tatsache, die uns allen bewusst ist –, aber wie wir im Fall der BAWAG gesehen haben, bedeutet mehr Prüfer nicht unbedingt bessere Prüfungen. Und dass kleinere Gemeinden oft


Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 207

höher verschuldet sind als große Gemeinden, ist kein Beweis für Misswirtschaft. Das hat mit einem höheren Aufwand in diesen Gemeinden zu tun.

Daher denke ich, dass wir diese Gemeinden nicht mehr prüfen sollten, sondern dass wir diesen Gemeinden finanzielle Zuwendungen geben sollten. Mit dem neu zu be­schließenden Finanzausgleich werden wir das auch tun, und das ist gut so. Ich bin davon überzeugt, dass wir diesen Antrag im Rechnungshofausschuss auch sehr ausführlich diskutieren werden, nachdem dieser Antrag ja dem Ausschuss zugewiesen werden wird. (Beifall bei der ÖVP.)

18.55


Präsident Dr. Michael Spindelegger: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Mag. Rossmann. 3 Minuten freiwillige Redezeitbeschränkung. – Bitte, Herr Kollege.

 


18.56.06

Abgeordneter Mag. Bruno Rossmann (Grüne): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! – Ja, Frau Kollegin Lentsch, mehr Prüfung kommt gut an. Das ist schon richtig, aber es kommt immer darauf an, was man mit dem Prüfergebnissen macht. (Abg. Lentsch steht mit dem Rücken zum Rednerpult und spricht mit Abge­ordneten der ÖVP.) – Vielleicht können Sie mir da auch zuhören, denn Sie haben die BAWAG angesprochen. Der OeNB-Bericht ist ja durchaus dagewesen, aber man hat im Finanzministerium und in der Finanzmarktaufsicht nichts daraus gemacht. Das ist das Problem gewesen! Der kritische Prüfbericht seitens der OeNB ist jedenfalls vor­handen gewesen.

Herr Kollege Bucher, Sie haben mich direkt angesprochen und gemeint, unsere Unter­stützung wäre Ihnen sicher. – Im Prinzip ja, denn mit diesem Antrag wird eine zentrale Kontrolllücke angesprochen, nämlich auch Gemeinden mit unter 20 000 Einwohnern zu prüfen. Aber der Vorschlag, den Sie hier gemacht haben, geht mir nicht weit genug, denn Sie schränken ja Ihren Prüfauftrag selbst wiederum ein, indem Sie sagen, Sie wollen nicht alle Gemeinden mit unter 20 000 Einwohnern in die Prüfung mit einbe­ziehen, sondern nur jene, die ein Gesamtbudgetvolumen von 10 Millionen € haben.

Schauen wir uns einmal an, welche Gemeinden das sind! Sie haben gesagt: Okay, jetzt werden 24 Gemeinden geprüft! Das ist richtig. Wenn man die 10-Millionen-Grenze hernimmt, sind es ungefähr 220 oder so etwa in dieser Größenordnung. Das ist immer noch weniger als 10 Prozent, und das heißt, 90 Prozent aller Gemeinden fallen noch immer nicht in die Prüftätigkeit des Rechnungshofes. Das erscheint mir zu wenig. Wenn ich das auf die Gemeindegrößen umlege, heißt das in etwa – mehr oder weniger, die Finanzmittelausstattung ist natürlich unterschiedlich, je nachdem, um welche Gemeinde es sich handelt –, dass praktisch Gemeinden mit unter 5 000 Ein­wohnern dann noch immer nicht unter die Prüfung des Rechnungshofes fallen, und das wäre aus meiner Sicht eigentlich ein unbefriedigendes Ergebnis. (Abg. Zweytick: Nein, kann man nicht sagen!) Unbefriedigend, selbstverständlich! Ich kann Ihnen das jetzt gerne erläutern, und das werde ich jetzt auch tun.

Unbefriedigend ist das deshalb, weil es eine Reihe von Studien gibt, die Folgendes zeigen: Wenn man die Gemeinden nach Gemeindegrößenklassen aufschlüsselt und man schaut sich die ganz kleinen Gemeinden und die ganz großen Gemeinden an, so kann man feststellen – von den Ausgaben her –, dass es da einen J- bis U-förmigen Verlauf gibt. Das heißt, die kleinen Gemeinden sind Gemeinden, die tendenziell hohe Ausgaben haben, und dann wieder die großen, und das lässt auch vermuten, dass zumindest auch bei den kleinen Gemeinden Inneffizienzen verborgen sind.

Ich glaube daher, dass es auch berechtigt ist, kleine und kleinste Gemeinden zu prüfen, auch wenn ich weiß, dass der Rechnungshof es natürlich nicht schaffen wird,


Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 208

alle Gemeinden zu prüfen. Aber selbst das Damoklesschwert der Ankündigung einer Prüfung könnte hier schon sehr heilsam sein in Richtung einer verstärkten Prüfung. (Präsidentin Dr. Glawischnig-Piesczek übernimmt den Vorsitz.)

Eine verstärkte Prüfung ist auch deshalb angezeigt, weil, wie Sie, Herr Kollege Bucher, ja selbst gesagt haben, die vielen Transfers zwischen den Gemeinden es ja geradezu notwendig machen, dass da der Rechnungshof prüft. Wir haben ja, wie schon betont, die Gemeindeaufsicht, aber das alleine scheint mir zu kurz zu greifen. Daher: Prüfung aller Gemeinden mit unter 20 000 Einwohnern und keine Beschränkung auf jene mit 10 Millionen-Budgetvolumengröße. – Danke sehr. (Beifall bei den Grünen.)

18.59


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Mag. Hauser. 3 Minuten freiwillige Redezeitbeschränkung. – Bitte, Herr Abgeordneter.

 


18.59.49

Abgeordneter Mag. Gerald Hauser (FPÖ): Frau Präsidentin! Geschätzte Kollegen! Die Vorschläge, die wir heute diskutieren, sind ja überwiegend Vorschläge des Rech­nungshofes, die von diesem in bewährter Manier präsentiert wurden.

Überhaupt denke ich, dass das Klima im Rechnungshofausschuss als sehr positiv zu bezeichnen ist. Und: Der Rechnungshof glänzt durch sehr viele profunde Berichte, die hervorragend erläutert werden. Gerade vom Rechnungshof gehen ja sehr viele positive Vorschläge aus, Vorschläge, die aber dann leider zu wenig umgesetzt werden, jedoch in letzter Konsequenz sehr wohl zum Nachdenken anregen.

In diesem Zusammenhang darf ich etwa auf den Vorschlag des Rechnungshofes hin­weisen, sämtliche Gemeinden prüfbar zu machen. Derzeit ist es ja so, dass von den 2 359 Gemeinden insgesamt lediglich 24 Gemeinden geprüft werden, weil diese eben über 20 000 Einwohner haben. 2 300 Gemeinden jedoch, die derzeit nicht geprüft werden, haben immerhin ein Budgetvolumen von mehr als 10 Milliarden €; das sind auch öffentliche Mittel. Deshalb hat ja der Rechnungshof den Vorschlag gemacht, auch kleine Gemeinden zu prüfen.

Ein möglicher Konsens, den wir von der Freiheitlichen Partei hiezu vorschlagen, könnte auch darin bestehen, dass der Bundes-Rechnungshof – so wie bisher – sämtliche Gemein­den mit bis 20 000 Einwohnern überprüft und die Landes-Rechnungshöfe sämtliche Gemeinden überprüfen, die weniger als 20 000 Einwohner haben, und zwar mit einer Berichtspflicht an den Bundes-Rechnungshof, der damit natürlich eine entsprechende Übersicht hätte. (Abg. Reheis: Das tun sie ja bisher schon!)

Ich glaube, das ist ein sinnvoller Vorschlag, ein Vorschlag, der vielleicht sogar kon­sens­fähig sein könnte und in letzter Konsequenz sicherlich dazu führen würde, dass bereits eine „Prüfungsandrohung“ dazu führt, dass man in dem einen oder anderen Fall mit öffentlichen Mitteln doch eine Spur genauer und konsequenter umgeht.

Der Bundes-Rechnungshof hat immer wieder unter Beweis gestellt, dass alleine die „Androhung“ einer Überprüfung dazu führt, dass die Verwaltung korrekter und genauer mit öffentlichen Mitteln umgeht, was letztendlich auch heißt, dass öffentliche Mittel eingespart werden können.

Auch ich bin der Meinung, meine Damen und Herren, dass Agrargemeinschaften zu prüfen sind; diesbezüglich unterstütze ich voll und ganz die Ansicht des Kollegen Reheis. Gerade wir in Tirol haben ja das Problem, dass Agrargemeinschaften nicht nur über viele Rücklagen verfügen, sondern auch Gemeindeeigentum übereignet bekom­men haben, wobei man dazu sagen muss: in vielen Fällen ohne gültige Gemeinde­ratsbeschlüsse.


Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 209

Deshalb ist da eine Prüfung durch den Bundes-Rechnungshof schon längst überfällig, denn es ist nicht einzusehen, dass Gemeindeeigentum ohne gültige Gemeinde­rats­beschlüsse einer Gemeinschaft übertragen wird – und später die Gemeinden von diesen Agrargemeinschaften zum Beispiel Grund und Boden um teures Geld zurück­erwerben müssen, wenn sie Investitionen tätigen möchten. (Zwischenrufe bei der ÖVP.) Das ist wirklich ein großes Problem, und daher wäre mir da eine Regelung ein wichtiges Anliegen.

Etwas aber, was nicht ganz stimmt, Kollege Reheis, ist, wie du gesagt hast, dass der Landes-Rechnungshof in Tirol überhaupt keine ausgegliederten Gemeinden prüfen könne. – Die Wahrheit ist, dass selbstverständlich auch ausgegliederte Unternehmen geprüft werden könnten, wenn die öffentliche Hand einen Prüfungsvorbehalt machen würde; was aber leider auch nicht geschieht.

Das heißt, es müsste so sein: Immer dann, wenn in einem Bundesland zum Beispiel mehr als 50 000 € an öffentlichen Mitteln in eine ausgegliederte Unternehmung fließen, müsste automatisch ein Prüfungsvorbehalt gemacht werden, sodass dieses Unter­nehmen damit automatisch prüfbar wäre.

Meine Damen und Herren, Vorschläge gibt es also viele, und ich denke, wir sind gut beraten, wenn wir die vielen konstruktiven Vorschläge des Rechnungshofes um­setzen. – Ich danke. (Beifall bei der FPÖ.)

19.04


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Zu Wort ist dazu niemand mehr gemel­det.

Die Debatte ist geschlossen.

Ich weise den Antrag 376/A dem Rechnungshofausschuss zu.

19.04.116. Punkt

Erste Lesung: Antrag der Abgeordneten Josef Bucher, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz und das Rechnungshofgesetz geändert werden (377/A)

 


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Wir gelangen nun zum 6. Punkt der Tagesordnung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Das Wort erhält zunächst der Antragsteller, Herr Abgeordneter Bucher, mit einer Rede­zeit von 3 Minuten. – Bitte, Herr Abgeordneter.

 


19.04.30

Abgeordneter Josef Bucher (BZÖ): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich wollte zum vorhergehenden Tagesordnungspunkt betreffend Prüfung der Gemeinden durch den RH anfügen, dass es eine erste Annäherung wäre, sozu­sagen als Optimalvariante alle Gemeinden in Österreich einer Prüfung durch den Rechnungshof zu unterziehen, wobei natürlich klar ist, dass die personellen Res­sourcen des Rechnungshofes hiefür derzeit nicht vorhanden sind, da ja angenommen wird, dass die Gemeinden von den Landes-Rechnungshöfen geprüft werden sollten.

Wenn wir das durch den Bundes-Rechnungshof haben wollen, dann ist aber auch eine entsprechende Mittelausstattung des Rechnungshofes erforderlich. Das heißt also: ein Bundes-Rechnungshof mit neun Außenstellen, wobei da der Rechnungshof insgesamt einer Reform unterzogen werden müsste. Ich würde das jedenfalls grundsätzlich für


Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 210

vernünftig halten, anstatt eben das jetzige System aufrechtzuerhalten. Das ist über­legenswert; wir haben das ja schon einmal mit dem Herrn Rechnungshofpräsidenten Moser diskutiert.

Aber nun zum jetzt in Verhandlung stehenden Tagesordnungspunkt, der darauf abzielt, auch die staatsanteiligen Gesellschaften einer Prüfung des Rechungshofes zu unter­ziehen, ausgehend von 25 Prozent plus einer Aktie.

Ich halte das deshalb auch für sehr sinnvoll, weil ja bereits zwei Bundesländer diese Maßnahme vollziehen, nämlich die Steiermark und das Burgenland. Es gibt ja eine Reihe von Beispielen, gerade auch aus der unmittelbaren Gegenwart, die uns vor Augen geführt haben, dass wir etwas in diese Richtung unternehmen sollten.

Als Beispiel: Das mögliche Zusammengehen von OMV und Verbund hätte bewirkt, dass dort der Rechnungshof keine Prüfungskompetenz mehr gehabt hätte. Daher wäre es sinnvoll, wenn wir zukünftig den Rechnungshof auch Unternehmen prüfen lassen, wo Staatsanteile von 25 Prozent vorhanden sind. Das würde ja auch den Anleger­interessen entgegenkommen.

Ein zusätzliches Beispiel – das war ja auch in den Zeitungen zu lesen –: Als der Rechnungshofbericht der AUA in den Zeitungen veröffentlicht war, ist der Aktienkurs der AUA gestiegen.

Das heißt also, auch auf diese Weise würde Präventivwirkung zur Anwendung kom­men und somit auch den Anlegerinteressen Rechnung getragen werden. – Danke schön. (Beifall beim BZÖ.)

19.06


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Dr. Kräuter mit einer Redezeit von 2 Minuten. – Bitte, Herr Abgeordneter.

 


19.07.05

Abgeordneter Dr. Günther Kräuter (SPÖ): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Hohes Haus! Herr Kollege Bucher, eine Totalreform des Rechnungshofes, das ist wohl Ihre Einzelmeinung. Ich kenne mich da ein bisschen aus und kann daher sagen: Ich kenne niemanden –  wirklich niemanden außer Ihnen –, der eine Totalreform des Rechnungs­hofes beabsichtigt, und ich glaube, es ist das auch nicht notwendig, denn im Großen und Ganzen ist die Zufriedenheit mit dem Rechnungshof sehr, sehr groß. Alle hier loben ja immer die Erkenntnisse und die Berichte des Rechnungshofes – und genau deswegen sollten wir sehr ernst nehmen, was der Rechnungshof an Reformen vor­schlägt. Das sollte sozusagen die Richtschnur sein, denn letztendlich weiß doch der Rechnungshof selbst am besten, welche Ressourcen er zur Verfügung hat und wo es wichtig ist, Kontrolle zu ergänzen.

Zum Thema „Überprüfung der Gemeinden“ sei in diesem Zusammenhang gesagt, dass das eben genau so ein Punkt ist. Und der Rechnungshof grenzt das ja selbst ein, weil er natürlich genau weiß, dass er nicht alle kleinen Gemeinden kontrollieren kann. Das ist doch völlig unmöglich, schon von den Ressourcen her. Daher ist ja das Vernünftige daran die Finanzgrenze, die eben der Rechnungshof selbst vorschlägt.

Zum zweiten Vorschlag: Direktförderung der EU. Das ist auch so ein Punkt. – Aber jetzt zu diesem Tagesordnungspunkt, wobei ich gleich dazusage, dass ich das für sinnvoll halte: Das ist ja auch ein Vorschlag des Rechnungshofes, nämlich, dass man öffentliche Unternehmungen mit einem staatsanteiligen Ausmaß von 25 Prozent der öffentlichen Kontrolle unterwirft.

Es geht da um Daseinsvorsorge, es geht um ganz wichtige Dinge, um Dinge, die die Bevöl­kerung betreffen, nämlich: Energie, Verkehr und so weiter.


Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 211

Da und dort gibt es Befürchtungen in Konzernen, in großen Unternehmungen, die sagen: Um Gottes Willen, jetzt werden wir dann geprüft, das ist schrecklich, und dann bekommen wir keine Financiers mehr von außen! – So kann es ja wohl nicht sein, ganz im Gegenteil: In Wirklichkeit ist es doch ein Prädikat, wenn der Rechnungshof etwas überprüft und beurteilt.

Daher meine ich: Diese Sache sollte man sehr ernsthaft verfolgen. (Beifall bei der SPÖ.)

19.08


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Praßl. 2 Minuten Redezeit. – Bitte, Herr Abgeordneter.

 


19.08.56

Abgeordneter Michael Praßl (ÖVP): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Bund ist zurzeit an ungefähr 64 Kapitalgesellschaften beteiligt und diese Beteiligungen unterliegen natürlich der Prüfungskompetenz des Rechnungshofes. Aus diesem Grund hat der vorliegende Antrag auch keinerlei große Auswirkungen.

Meines Erachtens müsste man in diesem Zusammenhang aber noch einige Themen diskutieren, und ich hoffe und meine, dass im Rechnungshofausschuss ausreichend Zeit hiefür sein wird.

Ich möchte jetzt nur noch dazu sagen: Dass da wirklich ein großes Einsparungs­potential zu erwarten ist, glaube ich weniger. Jedenfalls müsste man sich für die Zukunft genauestens anschauen, ob da wirklich eine Kosten-Nutzen-Analyse sinnvoll ist.

In diesem Sinne, meine Damen und Herren, glaube ich, dass im Rechnungs­hofaus­schuss ausreichend Zeit sein wird, um diesen Antrag sehr genau zu diskutieren. – Danke schön. (Beifall bei der ÖVP.)

19.09


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Mag. Rossmann. 3 Minuten freiwillige Redezeitbeschränkung. – Bitte, Herr Abgeord­neter.

 


19.10.12

Abgeordneter Mag. Bruno Rossmann (Grüne): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Kräuter, wenn Sie davon gesprochen haben, dass niemand hier in diesem Hause außer dem Herrn Kollegen Bucher eine Totalreform des Rechnungshofes will, so muss ich sagen: Das ist vielleicht ein Irrtum, denn die Frage ist natürlich immer: Was versteht man unter einer Totalreform des Rechnungshofes?

Das, was Herr Kollege Bucher angedeutet hat, war ja zunächst einmal nur, dass, wenn man wirklich die Gemeinden mit unter 20 000 Einwohnern prüfen wolle und diese 10-Millionen-Grenze fallen lassen würde, das ohne Aufstockung des Personals nicht gehen würde. – No na! Man kann ja dem Rechnungshof nicht eine zusätzliche Aufgabe aufbürden und von ihm erwarten, dass er das dann mit gleich großer Mann- und Frauschaft leisten kann.

Wenn Sie der Freigrenze hier noch einmal das Wort reden, so würde ich trotzdem glauben, dass alleine schon – auch wenn nicht alle Gemeinden geprüft werden kön­nen, das ist schon klar – die Androhung, dass eine Gemeinde geprüft werden könnte, einiges bewirkt. Das zeigt sich doch immer wieder. – Punkt eins. (Abg. Mag. Gaßner: Ja, bitte, wo sind wir denn? Wollen Sie die Gemeinden bedrohen, oder was?)


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Punkt zwei, noch einmal zu einer Totalreform: Wenn ich mir vor Augen halte, dass wir heute im Prinzip immer noch zu wenige Querschnittsprüfungen haben, zum anderen aber in wenigen Wochen eine Haushaltsrechtsreform hier in diesem Hohen Haus beschließen werden, die wirklich fundamentale Änderungen mit sich bringen wird, so muss ich sagen: Das wird auch nicht ohne Auswirkungen auf den Rechnungshof bleiben! Wir werden übergehen von der sogenannten inputorientierten zur outputorien­tierten Budgetsteuerung, und da wird man natürlich auch neue Maßstäbe an die Prüftätigkeit des Rechnungshofes anlegen müssen.

In diesem Sinne werden wir uns sehr wohl überlegen müssen, was aus der Haus­haltsrechtsreform, die ja in diesem zweiten Schritt noch umgesetzt werden muss, an Konsequenzen für den Rechnungshof zu ziehen sein wird.

Nun aber zum eigentlichen Antrag des Kollegen Bucher, nämlich zur Absenkung der Beteiligungsgrenze für Prüfungen von öffentlichen Unternehmungen auf 25 Prozent – ebenfalls ein Vorschlag zur Schließung einer Kontrolllücke, der vom Rechnungshof­präsidenten gekommen ist. In diesem Fall, Herr Kollege Bucher, haben Sie unsere volle Unterstützung. – Danke sehr. (Beifall bei den Grünen.)

19.12


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Abgeordneter Zweytick. 2 Minuten freiwillige Redezeitbeschränkung. – Bitte.

 


19.12.41

Abgeordneter Johannes Zweytick (ÖVP): Frau Präsidentin! Hohes Haus! Der Rechnungshof ist laut Gesetz dazu verpflichtet, die Gebarung von Unternehmungen, an denen der Bund allein oder gemeinsam mit anderen der Zuständigkeit des Rech­nungshofes unterliegenden Rechtsträgern mit mindestens 50 Prozent des Stamm-, des Grund- oder Eigenkapitals beteiligt ist, zu prüfen. Hinsichtlich der von einzelnen Län­dern gehaltenen Beteiligungen an Kapitalgesellschaften bestehen gleiche Bestimmun­gen, ähnlich wie auch bei Gemeinden mit mindestens 20 000 Einwohnern.

Jetzt weiß ich nicht, wenn man mit aller Gewalt hier von einer Seite hört, dass man alle Gemeinden vom Bundes-Rechnungshof prüfen lassen soll, bis hin zu den kleinsten ... (Abg. Mag. Rossmann: Potenziell alle! Wollen Sie das nicht verstehen? Das Potenzial sollen alle sein!) – Ich verstehe schon, was Sie damit meinen, das Potenzial hat aber auch seine Grenzen.

Ich erinnere an den Finanzausgleich, wo man geschaut hat, dass man gerade den vielen kleinen Gemeinden besser oder gerechter unter die Arme greift, weil das in der Vergangenheit einfach nicht so geschah, wie es notwendig gewesen wäre. Das macht man nicht, weil die Gemeinden hier vielleicht irgendetwas verschleiern oder mit ihrer Kompetenz einfach nicht fähig sind, wirtschaftlich umzugehen.

Die Menschen haben in den kleinen Gemeinden, wo es schlechtere Strukturen gibt, die gleichen Rechte oder Ansprüche wie die Menschen in großen Gemeinden, aber die Finanzzuweisungen, die Finanzmittel sprechen eine ganz andere Sprache. Dass man auch in den kleinen Gemeinden öffentliche Infrastruktureinrichtungen benötigt wie in großen, das, glaube ich, wird man doch nicht absprechen können. Und hier stehen die kleinen Gemeinden oft mit dem Rücken zur Wand, aber keine Sorge, Sie brauchen nicht zu glauben, dass hier irgendwo öffentliche Mittel verschleiert werden.

Ich sehe das als etwas überzogen, und die Kontrolle – um auf den Antrag des Herrn Kollegen Bucher zurückzukommen – eines Unternehmens durch den Rechnungshof macht aber nur dann Sinn, wenn der Staat auf allfällige Beanstandungen entsprechend


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reagieren kann. Dies ist aber freilich nur dann der Fall, wenn er wesentlichen Einfluss auf die Unternehmensführung nehmen kann. – Danke. (Beifall bei der ÖVP.)

19.14


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Zu Wort ist dazu niemand mehr gemel­det. Die Debatte ist geschlossen.

Ich weise den Antrag 377/A dem Rechnungshofausschuss zu.

19.15.047. Punkt

Erste Lesung: Antrag der Abgeordneten Dr. Robert Aspöck, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesverfassungsgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930, geändert wird (389/A)

 


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Wir gelangen nun zum 7. Punkt der Tagesordnung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Das Wort erhält zunächst der Antragsteller, Herr Abgeordneter Dr. Aspöck, für 3 Minu­ten. – Bitte.

 


19.15.21

Abgeordneter Dr. Robert Aspöck (FPÖ): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Der Ansicht der Kollegin Lentsch, dass hier die Gefahr bestünde, dass in Österreich zu viel geprüft werde, kann ich in Anbetracht dessen, was wir in den letzten Monaten und Jahren den Medien entnehmen konnten, wirklich nicht folgen. Ich glaube, man kann heute guten Gewissens nicht mehr sagen, dass in Österreich zu viel geprüft wird. Im Gegenteil: Offensichtlich wurde in vielen Jahren viel zu wenig geprüft.

Ich darf nunmehr zum gegenständlichen Antrag kommen, der dem Verfassungs­aus­schuss zugewiesen wird. Dieser sieht Änderungen im Bundes-Verfassungsgesetz hinsichtlich des Rechnungshofes vor, und es geht um die drei Punkte, die im Großen und Ganzen bereits in der bisherigen Debatte besprochen wurden.

Der erste Punkt ist die Herabsenkung von 50 von 100 auf 25 von 100, wobei es mich freut, dass Sie, Kollege Rossmann, da auch mit dabei sind und sagen, es wäre gut, wenn 25 Prozent Beteiligung genügen würden.

Ein weiterer wesentlicher Punkt – und wir glauben, das wäre die Lösung – hinsichtlich kleinerer Gemeinden ist, dass man sagt, die Landes-Rechnungshöfe sollten Gemein­den mit unter 20 000 Einwohnern prüfen, allerdings mit einer Berichtspflicht an den Bundesrechnungshof, sodass diesem ein Gesamtüberblick möglich ist. Und wir würden diese Landes-Rechnungshöfe auch in die Verfassung aufnehmen.

Das dritte Ansinnen wurde ebenfalls schon besprochen. Das ist mir ziemlich klar, und es ist auch ganz leicht und einfach, pragmatisch zu beantworten: Nachdem es in Österreich nur rote und schwarze Wohnbaugenossenschaften gibt, werden wahr­scheinlich die verfassungsrechtlichen Bedenken bereits im Ausschuss eine Mehrheit finden. Daher ist die Hoffnung, dass die Prüfung gemeinnütziger Wohnbau­vereinigun­gen durch den Rechnungshof erfolgt, aus meiner Sicht sehr gering. (Beifall bei der FPÖ.)

19.17


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Abgeordneter Ing. Kaipel. 2 Minuten freiwillige Redezeitbeschränkung. – Bitte.

 



Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 214

19.17.51

Abgeordneter Ing. Erwin Kaipel (SPÖ): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der in Behandlung stehende Antrag sieht die Aufwertung des Rechnungshofes vor, der mehr Kontrollmöglichkeiten bekommen soll, nämlich auch die Kontrolle der Gemeinden mit unter 20 000 Einwohnern beziehungsweise der Unternehmungen mit zumindest 25-prozentiger Beteiligung durch Bund, Land und Gemeinden und der Gemeinnützigen Genossenschaften.

Mehr Kontrolle, denke ich, wird sich niemand verschließen, dafür haben wir auch Verständnis, wenn es sinnvoll und transparent ist. Das ist für eine Demokratie etwas ganz Wichtiges. Aber man darf nicht so tun, als ob es bis jetzt in diesen Bereichen keine Kontrolle gegeben hätte, und ich denke, die Tatsache, dass es in der Vergan­genheit weder bei den Gemeinnützigen noch bei den Gemeinden besondere Probleme gegeben hat, ist wohl die Bestätigung dafür, dass die Kontrolle schon bisher funk­tioniert hat.

Betreffend die Gemeinnützigen wird Kollege Gaßner noch Ausführungen tätigen.

Was die Gemeinden betrifft, möchte ich nur festhalten, dass es da eine ganz wichtige Kontrolle gibt: die politische interne Kontrolle. Es gibt interne Kontrolleinrichtungen, es prüft die Finanz, die Krankenkasse. Es gibt die Gemeindeaufsichtsbehörde, die regel­mäßig prüft und die auch laufend über die Finanzen informiert wird, die, nebenbei bemerkt, auch eine ganz wichtige Serviceeinrichtung ist.

Ich denke also, eine zusätzliche Kontrolle wird wahrscheinlich nicht notwendig sein, und momentan würde ich mich nicht entscheiden können, für welche derzeitige Kontrolle der Rechnungshof der bessere Ersatz wäre. Also ich meine, es wird nicht unbedingt eine weitere Kontrollinstanz notwendig sein.

Was die Gemeinden aber brauchen, ist eine Entlastung, und das, denke ich, wäre ein interessantes Betätigungsfeld für den Rechnungshof.

Wir werden im Rahmen der zweiten Lesung Gelegenheit haben, über dieses Thema ausführlich zu diskutieren. Für vernünftige Verbesserungen sind wir zweifellos offen. Wenn es aber darum geht, mehr Bürokratie zu schaffen, die Kosten zu erhöhen oder Gleichheitsgrundsätze zu verletzen, dann werden wir nicht dabei sein. Ich freue mich auf eine gute Diskussion in der zweiten Lesung. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

19.19


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Abgeordneter Wöginger. 2 Minuten Redezeit. – Bitte.

 


19.20.18

Abgeordneter August Wöginger (ÖVP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Hohes Haus! Prüfen und kontrollieren ist wichtig und notwendig, aber man kann es auch übertreiben. Diese Anträge gehen unserer Meinung nach etwas zu weit.

Was zum Ersten die Beteiligung des Bundes an den Kapitalgesellschaften betrifft: Der Bund ist insgesamt an 24 solcher Gesellschaften beteiligt, und die Verwaltung der Anteilsrechte des Bundes obliegt den jeweiligen sachlichen Zuständigkeiten von neun Ressorts. Die Beteiligungen des Bundes unterliegen bereits auf Grund der gegen­wärtigen Rechtslage praktisch durchwegs der Prüfungskompetenz des Rechnungs­hofes. Aus diesem Grund hat der vorliegende Antrag betreffend eine Prüfungskom­petenz des Rechnungshofes bereits ab einer 25-prozentigen Beteiligung hinsichtlich der vom Bund verwalteten Unternehmungen eigentlich keinerlei Auswirkungen.

Zum Zweiten, was die Prüfungen der Gemeinden mit unter 20 000 Einwohnern anbe­langt, mit oder ohne 10-Millionen-Grenze: Ich bin seit zehn Jahren Gemeinderat, der-


Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 215

zeit in einer Gemeinde mit rund 800 Einwohnern, und wir haben ein Budget von rund 1 100 000 €. Der Landes-Rechnungshof hat ohnehin die Möglichkeit zu prüfen, was er auch tut. Die Gemeindeaufsicht gibt es, die Prüfberichte der Bezirkshauptmannschaft, und jede Gemeinde hat einen eigenen Prüfungsausschuss.

Jetzt hat so eine Gemeinde wie die unsrige zwei Verwaltungsmitarbeiter: einen Amtsleiter und eine MitarbeiterIn. Jetzt würde ich von den Herren, die diesen Antrag stellen, gerne wissen: Wie soll denn das noch bewerkstelligt werden? – Man beschäf­tigt sich ja dann nur noch mit Prüfberichten und mit Dingen, die das Land vorschreibt und dann auf Gemeindeebene umzusetzen sind, und hat eigentlich nicht mehr die Möglichkeit, der eigentlichen Aufgabe als Gemeinde nachzukommen und wirklich im Sinne der Bevölkerung die Maßnahmen umzusetzen, die notwendig sind.

Daher findet das nicht unsere Zustimmung. Wir wollen keinen weiteren Bürokratie­aufwand, speziell für die kleinen Gemeinden nicht. Die sollten arbeiten können, und das sollten wir ihnen ermöglichen – und nicht eine zusätzliche Prüf- und Kontroll­schiene einziehen, die auf diesem Gebiet überhaupt nicht notwendig ist. (Beifall und Bravoruf bei der ÖVP.)

19.22


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Abgeordneter Mag. Rossmann. 3 Minuten Redezeit. – Bitte.

 


19.22.32

Abgeordneter Mag. Bruno Rossmann (Grüne): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich merke schon, mehr Prüftätigkeit schmeckt der ÖVP nicht. (Zwischenrufe bei der ÖVP.) Wenn hier gerade mein Vorredner betont hat, dass man in den kleinen Gemeinden arbeiten und nicht geprüft werden will, wenn hier Kollege Zweytick gemeint hat, dass die kleinen Gemeinden gut verwaltet sind, dann frage ich mich: Wovor fürchten sich dann die kleinen Gemeinden? (Abg. Wöginger: Wir werden eh geprüft – Weiterer Ruf bei der ÖVP: Vor den Kosten!) Warum sollten sie dann nicht auch potenziell zum Kreis der zu prüfenden Gemeinden in diesem Land gehören? (Beifall bei den Grünen.) Ich verstehe das nicht, das müssen Sie mir erst einmal erklären.

Es geht ja nur um eines, Kollege Zweytick: Wenn Sie sagen, es werde gut verwaltet, dann wird man doch nachschauen dürfen, ob sie wirklich gut verwaltet sind. Ich stelle mir vor – und das führt mich auch ein bisschen zu diesem Antrag –, dass das nicht die Landes-Rechnungshöfe mit einer Berichtspflicht machen. Was soll denn eine Berichtspflicht? Wenn der Landes-Rechnungshof etwas prüft, dann gehe ich davon aus, dass das wohl öffentlich zugänglich ist, daher auch dem Rechnungshof des Bundes zugänglich. Was soll da eine Berichtspflicht?

Ich stelle mir vor, dass durch den Rechnungshof beispielsweise bestimmte Gemeinde­typen bestimmter Größenordnungen geprüft werden können, sodass man untereinan­der gut vergleichen kann, wie effizient solche Gemeindetypen verwaltet werden. Es gibt ja Gemeindetypen verschiedenster Art: Agrargemeinden, Gemeinden mit oder ohne Fremdenverkehr. Es gibt reine Fremdenverkehrsgemeinden. Dann gibt es die größeren Gemeinden mit den zentralen Orten und so weiter und so fort.

Das, denke ich, müsste der Gegenstand der Prüfung sein – und nicht nur einge­schränkt auf ein Land, sondern ausgeweitet auf mehrere Länder, das heißt länderübergreifend. Das ist ja genau die Begründung, warum das der Bund machen sollte und warum das nicht die Landesämter machen sollen. Das ist die wesentliche Begründung dafür, dass das der Bund machen soll. (Demonstrativer Beifall beim BZÖ.)


Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 216

Und wer nichts zu verstecken hat, der muss sich auch vor einer Prüfung überhaupt nicht fürchten. (Abg. Mag. Gaßner: Braucht aber auch nicht bedroht werden von einer Prüfung!)

Wenn die Möglichkeit einer Prüfung schon eine Bedrohung für Sie darstellt, dann schaut es aber traurig aus, muss ich ganz ehrlich sagen. Also dann schaut es wirklich traurig aus! (Abg. Mag. Gaßner: Sie haben es ja gesagt! Sie haben es in Ihrer vorigen Wortmeldung gesagt!)

Erlauben Sie mir noch ein Wort zu dem Antrag im Hinblick auf die Gemeinnützigen Bauvereinigungen. Da gibt es ja den Revisionsverband, der dieselben bereits heute schon prüft. Aber wir wissen über die Prüfergebnisse nichts, das ist das Problem. Das heißt, wir haben in Österreich ein nicht funktionierendes Berichtswesen auf der Lan­desebene. Und das kommt mir sehr bekannt vor, weil wir auch auf der Bundesebene ein nicht funktionierendes Berichtswesen haben. Und dort liegen die Probleme!

Daher bin ich der Meinung, dass, bevor man hier irgendetwas ändert, man zunächst einmal diese Prüfergebnisse offenlegt und schaut, ob es da noch zusätzlichen Hand­lungsbedarf gibt, nämlich einen Handlungsbedarf, wo der Rechnungshof tätig werden sollte. – Danke sehr. (Beifall bei den Grünen.)

19.26


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Als Nächster gelangt Herr Abgeordneter Bucher zu Wort. Redezeit: 1 Minute. – Bitte. (Abg. Dr. Brinek: Nicht schon wieder! Das ist heute ein Rede-Abo, gell?)

 


19.26.02

Abgeordneter Josef Bucher (BZÖ): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur einen Satz zu meinem Vorredner von der ÖVP sagen. Herr Abgeordneter, Ihr Name ist mir jetzt nicht geläufig (Ruf bei der ÖVP: Wöginger!), aber Sie sind mir bekannt, weil Sie bei der Abstimmung über die Pensionsreform etwas Besseres zu tun gehabt haben.

Ich glaube, dass das in erster Linie eine Präventivwirkung hat, wenn wir den Gemein­den den Rechnungshof sozusagen etwas begleitend zur Seite stellen. Sie dürfen ja nicht glauben, dass jede Gemeinde jährlich geprüft wird. Das ist ja allein schon administrativ undenkbar und unmöglich. Da bin ich schon eher bei den Ausführungen vom Kollegen Rossmann, der sagt, das sollte auf Bundesebene gemacht werden, weil die Vergleichbarkeit von Gemeinden in Kärnten und im Burgenland, von Gemeinden in Vorarlberg und in Niederösterreich auch interessant sein kann.

Also so gesehen haben diese Punkte, die wir jetzt auch unter den vorhergehenden Tagesordnungspunkten besprochen haben, unsere Sympathie, und ich hoffe, dass wir da auch Ihr Einsehen gewinnen – wenn nicht in allen Bereichen, dann zumindest, wie es durchgeklungen ist, bei der Prüfung von Gesellschaften, an denen der Staat mit zumindest 25 Prozent beteiligt ist. (Beifall beim BZÖ.)

19.27


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Zum Wort ist dazu niemand mehr gemeldet.

Die Debatte ist geschlossen.

Ich weise den Antrag 389/A dem Verfassungsausschuss zu.


Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 217

19.27.318. Punkt

Erste Lesung: Antrag der Abgeordneten Dr. Robert Aspöck, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz vom 16. Juni 1948 über den Rechnungshof (Rechnungshofgesetz (R.H.G.) 1948), BGBl. Nr. 144/1948, geändert wird (390/A)

 


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Wir gelangen zum 8. Punkt der Tages­ordnung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Das Wort erhält zunächst der Antragsteller, Herr Abgeordneter Dr. Aspöck, mit 3 Minuten Redezeit. – Bitte.

 


19.27.54

Abgeordneter Dr. Robert Aspöck (FPÖ): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich verzichte bei diesem Tagesordnungspunkt auf Eintragung in die Strich­liste gehaltener Reden, verweise auf meine Ausführungen zu Tagesordnungs­punkt 7 und überlasse die restliche Redezeit meinen Kollegen Eugen Bösch und Werner Neubauer. – Danke. (Beifall des Abg. Dr. Haimbuchner.)

19.28


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Mag. Gaßner. 2 Minuten Redezeit. – Bitte.

 


19.28.00

Abgeordneter Mag. Kurt Gaßner (SPÖ): Frau Präsidentin! Herr Kollege Aspöck, sobald Sie hier heraußen stehen, können Sie nicht mehr auf das Stricherl verzichten!

Ich habe jetzt eine Frage an meine Vorredner, es geht zum einen um die Gemeinden und deren Prüfung und zum anderen um die Gemeinnützigen und deren Prüfung. In beiden Fällen gibt es ein mehrfaches Prüfverfahren: bei den Gemeinden ein drei- bis vierfaches Verfahren, bei den Gemeinnützigen auch. Es hat kein Einziger derer, die das hier kritisiert haben, gesagt, was denn schlecht wäre am bisherigen Prüfverfahren.

Ich muss schon eines sagen: Jetzt haben wir überall drei oder vier Verfahren zur Prüfung, und jetzt wollen Sie den Bundesrechnungshof dazunehmen. Ist das eine Vereinfachung? Was wollen Sie denn eigentlich von den Gemeinden? – Um bei dieser Frage zu bleiben.

Da geistert der Landesrechnungshof herum, da wird gesagt, der Bericht wäre nicht öffentlich. Natürlich ist er öffentlich, weil er im Gemeinderat sogar wortwörtlich verlesen werden muss, und dann ist er öffentlich. Allerdings bei den Gemeinnützigen sind die Revisionsberichte nicht öffentlich. Da könnte man ansetzen und etwas verändern.

Ich freue mich schon auf die Diskussion im Ausschuss, bin aber ein bisschen traurig darüber, dass jetzt alle auf die Gemeindeprüfung losgehen.

Nennen Sie mir eine einzige Gemeinde, wo wirklich Geld verwirkt wird, wo in den letzten Jahren Geld nicht rechtmäßig verwendet worden ist! Es gäbe viele andere Beispiele! – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Steibl: Es gibt ein paar SPÖ-Gemeinden bei uns in der Steiermark!)

19.30


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Freund. 2 Minuten Redezeit. – Bitte.

 



Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 218

19.30.14

Abgeordneter Karl Freund (ÖVP): Geschätzte Frau Präsidentin! Meine sehr ge­schätz­ten Damen und Herren! Der vorliegende Antrag zielt darauf ab, gemeinnützige Bauvereinigungen durch den Rechnungshof stärker kontrollieren zu lassen. In der Begründung beanstanden die Abgeordneten der Freiheitlichen Partei, dass die Wohn­bauvereinigungen Milliarden Euro an öffentlichen Förderungen erhalten, die von allen Ertragssteuern befreit sind.

Ich muss dazu sagen: Mit dieser Art des Wohnbaus sollen schließlich Menschen unterstützt werden, die über geringe finanzielle Mittel verfügen.

Meine sehr geschätzten Damen und Herren! Die Branche der gemeinnützigen Wohn­bauträger wird meiner Meinung nach ausreichend überprüft. Alle gemeinnützigen Bauvereinigungen werden jährlich einer gründlichen Abschluss- und Gebarungs­prüfung durch den Revisionsverband unterzogen. Das Ergebnis dieser Prüfung wird den jeweiligen Landes- und Aufsichtsbehörden übergeben.

Damit aber nicht genug! Überprüft wird derzeit durch die Genossenschaftsrevision, die Landesregierungen, das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit, die Landesregie­rungen als Wohnbauförderungsstellen, die Landesrechnungshöfe und schließlich durch den Rechnungshof. Es wird sogar an einer weiteren Verbesserung bei der Prüfungs­verfolgung gearbeitet.

Sehr geschätzte Damen und Herren! Sie sehen, rund um die gemeinnützige Woh­nungs­wirtschaft ist ein überaus dichtes Netz von Aufsichts- und Kontrollsystemen geknüpft. Und ich halte es für nicht sinnvoll, gemeinnützige Wohnbauträger auch unter einer 50-prozentigen Beteiligung durch die öffentliche Hand durch den Rechnungshof überprüfen zu lassen.

Nicht zu vergessen ist natürlich auch die dadurch entstehende finanzielle und per­sonelle Mehraufwendung im Rechnungshof. Der Ausschuss wird darüber ausreichend zu diskutieren haben. – Danke schön. (Beifall bei der ÖVP.)

19.32


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Nächster auf der Rednerliste ist Herr Abgeordneter Mag. Rossmann. 3 Minuten Redezeit. – Bitte.

 


19.32.12

Abgeordneter Mag. Bruno Rossmann (Grüne): Frau Präsidentin! Meine sehr geehr­ten Damen und Herren! Wenn mein Vorredner hier gesagt hat, dass die Gemein­nützigen ausreichend geprüft worden sind, dann frage ich mich: Worauf bezieht er sich denn da? Verfügt er über die Unterlagen der Revisionsverbände in den Ländern oder nicht? Wir Grünen jedenfalls verfügen über diese Berichte der Revisionsverbände nicht. Daher besteht die Notwendigkeit, diese Berichte vorzulegen, bevor man in dieser Hinsicht irgendetwas sagen kann. Ich kann a priori nicht sagen, dass da ein aus­reichendes Prüfverhalten vorliegt, so lange wir nicht ein funktionierendes Berichts­wesen darüber in den Ländern haben.

Herr Kollege Gaßner, Sie haben gesagt, zeigen Sie mir eine einzige Gemeinde, die ihr Geld, ihre Ausgaben nicht rechtmäßig verwendet. – Darum geht es ja nicht, sondern es geht um die effiziente Verwendung von Geldern! Bei der Rechtmäßigkeit liegt nicht das Problem, das glaube ich Ihnen schon. Aber wenn Ihr Kollege Kaipel, einer Ihrer Vorredner, gesagt hat, die Gemeinden wollen Entlastung, so kann ich nur sagen: Da wäre die Effizienzsteigerung sehr wohl ein Beitrag zur möglichen Entlastung von Klein- bis hin zu Großgemeinden.

Wenn Kollege Bucher gemeint hat, dass der Rechnungshof einer ist, der nicht nur prüft, sondern Gemeinden auch berät, so kann ich wiederum nur sagen: Das wäre


Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 219

durchaus etwas, was im Sinne der Gemeinden sein müsste! Gemeinden haben sich zum Beispiel dagegen gewehrt, sich von der Bundesfinanzierungsagentur bei Fragen ihrer Verschuldung beraten zu lassen. Warum nehmen sie das denn nicht in Anspruch?

Auf der anderen Seite heißt es dann immer nur: Ja, wir wollen Geld haben und haben jetzt durch den Finanzausgleich Geld gekriegt, wiederum 100 Millionen € mehr für Gemeinden unter 20 000 Einwohnern! Aber was mich interessiert, und zwar nicht nur als Politiker, sondern auch als Staatsbürger, ist die Frage: Wie gehen Gemeinden mit diesem Geld um, einerseits im Sinne der Effizienz und andererseits im Sinne der Effektivität (Ruf bei der ÖVP: Hervorragend!), das heißt mit der Zielerreichung, die sich einer Gemeindepolitik stellt? – Danke sehr. (Beifall bei den Grünen.)

19.34


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Nächster auf der Rednerliste ist Herr Abgeordneter Bucher. Redezeit: 1 Minute. – Bitte.

 


19.34.36

Abgeordneter Josef Bucher (BZÖ): Frau Präsident! Es gibt einen Spruch, der besagt: Wer vor einem Prüfer Angst hat, der macht sich schon verdächtig! – So ist es auch bei den Gemeinden.

Kollege Gaßner hat mich herausgefordert, indem er gesagt hat: Zeigen Sie mir eine Gemeinde, wo es mit dem Haushalt nicht so geklappt hat? – Es sind Gemeinden zwar nicht in Konkurs gegangen, aber schon Pleite gegangen und haben einen Kurator zur Seite gestellt bekommen, wie zum Beispiel im Jahr 1981, glaube ich, Kötschach-Mauthen in Kärnten. – Da gab es einen SPÖ-Bürgermeister, den ich sehr geschätzt habe, der aber leider schon verstorben ist.

Immerhin ist es möglich, dass eine Gemeinde Pleite geht und die Schulden von den Steuerzahlern aufgefangen werden müssen, die diese Schulden nicht verursacht haben. Daher bin ich ganz für die Vorschläge, die wir vorhin diskutiert haben, und sage: Eine angedrohte Prüfung führt schon zu einer sorgsameren Haushaltsführung und zu einem besseren Gewissen, und zwar auch der Gemeinderäte. Dass man nicht dieser Meinung ist, kann ich überhaupt nicht verstehen. Denn: Ein Gemeinderat fühlt sich doch besser, wenn er weiß, dass die Finanzgebarung der Gemeinde der Rech­nungshofkontrolle unterliegt. (Beifall beim BZÖ.)

19.36


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Zu Wort ist dazu niemand mehr gemel­det. Die Debatte ist geschlossen.

Ich weise den Antrag 390/A dem Verfassungsausschuss zu.

19.36.279. Punkt

Erste Lesung: Antrag der Abgeordneten Dr. Reinhard Eugen Bösch, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesverfassungsgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 geändert wird (394/A)

 


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Wir gelangen nun zum 9. Punkt der Tagesordnung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Das Wort erhält als Erster der Antragsteller, Herr Abgeordneter Dr. Bösch. 3 Minuten Redezeit. – Bitte.

 



Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 220

19.36.28

Abgeordneter Dr. Reinhard Eugen Bösch (FPÖ): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir Freiheitlichen beantragen, einen neuen Artikel 43a in die Bundesver­fassung einzuführen, der lautet:

„Einer Volksabstimmung ist jede Zustimmung der Republik Österreich zu einem Abschluß eines völkerrechtlichen Staatsvertrags zu unterziehen, der eine Gesamt­ände­rung der österreichischen Bundes-Verfassung bewirkt.“

Sie werden vielleicht wissen, dass Artikel 43 B-VG die Abhaltung von Volksabstim­mun­gen über Gesetzesbeschlüsse, die der Nationalrat beschlossen hat, vorsieht. Dieser neue Artikel 43a soll bekräftigen, dass wir der Ansicht sind – und dass eigentlich alle Volksvertreter hier der Ansicht sein sollten –, dass auch völkerrechtliche Staatsver­träge, die zu einer Änderung wesentlicher Elemente der österreichischen Bundes­verfas­sung führen, zwingend einer Volksabstimmung zu unterziehen sind.

Wir haben dieses Thema heute in der Debatte über den neuen Reformvertrag schon anklingen lassen. Einige Punkte wurden von uns schon angeführt, warum wir der Ansicht sind, dass auch dieser Reformvertrag zwingend einer Volksabstimmung zu unterziehen ist, und zwar das vereinfachte Änderungsverfahren, die Generalermäch­tigung zur Mittelbeschaffung, die Flexibilitätsklausel, die bundesstaatliche Zuständigkeit der Union, der Vorrang des Unionsrechtes und der Verlust der immerwährenden Neutralität.

Allein wenn wir den Vorrang des Unionsrechtes hernehmen, meine Damen und Herren, müssen wir sagen: Es wird in diesem Reformvertrag darauf hingewiesen, dass der Vorrang des Unionsrechtes nicht mehr explizit im Verfassungsvertrag enthalten sein wird, aber dass die Tatsache, dass der Grundsatz dieses Vorrangs nicht in den künftigen Vertrag aufgenommen wird, nichts an seiner Existenz und an der beste­henden Rechtsprechung des Gerichtshofes ändert.

Dieser eine Punkt sollte als wichtiges Argument von unserer Seite anerkannt werden, dass wir diesen Reformvertrag einer Volksabstimmung unterziehen sollen.

Die Regelung, lieber Herbert Scheibner, dass nur ein Gesetz, das wir hier mit der ausreichenden Mehrheit beschließen, einer Volksabstimmung unterzogen werden kann, ist eine Selbstverständlichkeit. So war auch der freiheitliche Antrag heute Vor­mittag formuliert. Dieser Zusatz, den wir mit dem Artikel 43a haben wollen, soll dieses Verlangen bekräftigen. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Abg. Scheibner: Der Klubob­mann hat etwas anderes gesagt!)

19.38


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Nächster auf der Rednerliste ist Herr Abgeordneter Dr. Wittmann mit 2 Minuten Redezeit. – Bitte.

 


19.39.07

Abgeordneter Dr. Peter Wittmann (SPÖ): Frau Präsidentin! Hohes Haus! Um kurz auf die Ausführungen meines Vorredners einzugehen: Herr Abgeordneter Bösch, ich glaube, dass das Vorrecht des europäischen Rechts vor dem nationalen Recht bereits mit der Volksabstimmung des Jahres 1994 beziehungsweise mit dem Beitritt Öster­reichs zur Europäischen Union beschlossen wurde und jetzt auch genauso gehandhabt wird, wie damals beim EU-Beitritt Österreichs verabschiedet.

Ich glaube, dass dieser vorliegende Antrag in wesentlichen Punkten ins Leere geht, aus folgendem Grund: Wir haben die Möglichkeit einer Volksabstimmung über ein Gesetz, wie es Ihnen Herr Abgeordneter Scheibner heute schon erklärt hat, und dieses Gesetz ist im Normalfall das Ermächtigungsgesetz, mit dem die Bundesregierung ermächtigt wird, etwas zu unterschreiben. Dann hat man die Möglichkeit, zwischen


Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 221

diesem Ermächtigungsgesetz und der Unterschrift, nämlich bevor man die Unterschrift macht, eine Volksabstimmung abzuhalten, um ein Votum des Volkes zu haben, das man bei der Unterschrift für ein Ja oder Nein zu berücksichtigen hat.

Nach Ihrem Antrag würde das folgendermaßen ablaufen: Man würde den Vertrag unterfertigen. Damit hätte man einen gültigen völkerrechtlichen Vertrag. Und danach würde man eine Volksabstimmung darüber abhalten, ob dieser Vertrag überhaupt gültig ist. Das heißt, die Bundesregierung würde sich verpflichten – und danach hätte man die Volksabstimmung! Ich glaube, die Blamage nach außen wäre unverhältnis­mäßig größer.

Den Weg, den wir jetzt wählen, nämlich Ermächtigungsgesetz und, wenn notwendig, dazwischen eine Volksabstimmung, um die Unterschrift dann entsprechend der Volks­abstimmung zu leisten, halte ich für wesentlich vernünftiger und auch demokratischer. (Beifall bei der SPÖ.)

19.41


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Dr. Schelling mit 2 Minuten Redezeit. – Bitte.

 


19.41.07

Abgeordneter Dr. Johann Georg Schelling (ÖVP): Frau Präsidentin! Hohes Haus! Herr Abgeordneter Bösch will mit dem vorliegenden Antrag und einer Änderung der Bundesverfassung den Reformvertrag von Lissabon einer Volksabstimmung unter­ziehen. Unter anderem wird in der Begründung ausgeführt, dass er davon ausgeht, dass er die selbst mitbestimmte Ratifizierung des bisherigen EU-Verfassungsvertrages nach Meinung namhafter Experten jetzt für möglicherweise nicht verfassungskonform erklärt.

Herr Kollege Bösch, wenn Sie am Sonntag aufmerksam dem obersten Verfassungs­hüter Korinek zugehört haben, dann werden Sie mitgenommen haben, dass es keines­wegs notwendig ist, eine Volksabstimmung durchzuführen, und dass auch die Ratifizie­rung der EU-Verfassung durch dieses Hohe Haus völlig verfassungskonform war.

Ich sage: Gott sei Dank haben wir diesen Reformvertrag, der die EU demokratischer macht! Gott sei Dank haben wir diesen Reformvertrag, der die EU handlungsfähiger macht! Und Gott sei Dank sind wir als österreichisches Parlament in der Lage, diesem Vertrag durch das Parlament zuzustimmen!

Wir hatten ein überwältigendes Votum der Bevölkerung zum EU-Beitritt Österreichs, und alle anschließenden Vertragswerke, wie der Vertrag von Amsterdam und von Nizza, sind durch dieses Hohe Haus abgesegnet worden, und zwar immer mit über­zeugender Mehrheit. Es gibt also kein Argument, den nun weniger weit reichenden Reformvertrag einer Volksabstimmung zu unterziehen.

Wir von der ÖVP haben den Mut, uns diesem Vertrag als Parlamentarier zu stellen und diese Verantwortung als gewählte Volksvertreter auch gegenüber dem Souverän zu vertreten.

Es wird allerdings unsere Aufgabe und auch die Aufgabe der Bundesregierung sein, das mit einer entsprechenden Informationskampagne objektiv zu begleiten und die Bevölkerung über den Inhalt dieses Reformvertrages aufzuklären.

Wenn es um eine Volksabstimmung geht, dann bleiben wir bei der Linie der ÖVP: Ja zu einer Volksabstimmung, wenn sie europaweit ist und – ich ergänze – wenn sie einheitlich und gleichzeitig ist! (Beifall bei der ÖVP.)

19.43



Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 222

Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Als Nächste zu Wort gelangt Frau Abge­ordnete Mag. Lunacek. 5 Minuten Redezeit. – Bitte.

 


19.43.13

Abgeordnete Mag. Ulrike Lunacek (Grüne): Frau Präsidentin! Als Kollege Bösch hier dafür eingetreten ist, eine Verfassungsänderung vorzunehmen, mit der eine Volks­abstimmung in der Form abzuhalten wäre, dass zuerst die Regierung unterschreibt und es dann eine Volksabstimmung gibt, habe ich mir gedacht: Seltsam, heute Vormittag war Kollege Bösch von den Freiheitlichen nicht am Wort! Und ich habe mich dann daran erinnert, dass er auch Mitglied des Konvents war, und aus dieser Zeit, nämlich vom August 2004, gibt es ein Zitat von ihm aus der Parlamentskorrespondenz, wo es heißt: Abgeordneter Reinhard Eugen Bösch äußerte sich ebenfalls positiv zur neuen Europäischen Verfassung. – Diese Verfassung enthielt mehr als dieser Reformvertrag. Und: Er sprach sich dennoch für eine Volksabstimmung darüber aus. Und da heißt es: Wünschenswert wäre seiner Meinung nach eine europäische Volksabstimmung.

Am 11. Mai 2005 gab es einen Antrag hier im Parlament von der Koalition ÖVP/frei­heitlicher Klub – damals war es noch nicht klar, wie das genau ist, wer da BZÖ und wer FPÖ ist –, und zwar einen Antrag der Abgeordneten Scheibner, Bösch, Molterer und Fasslabend betreffend europaweite Volksabstimmung.

Auch die damals noch freiheitliche Abgeordnete Bleckmann äußerte sich am 11. Mai 2005 dazu und meinte: Ja zu einer europäischen Volksabstimmung! (Abg. Dr. Bösch: Das schließt eine nationale nicht aus!)

Ich weiß, die Freiheitlichen haben in der neuen Formation, wie sie jetzt hier sind, ihre Meinung grundlegend geändert – anscheinend auch Sie, Herr Kollege Bösch. Sie meinen, es hat jetzt alles nur mehr auf nationaler Ebene zu erfolgen, und sind auch der Auffassung: Eine nationale Volksabstimmung muss her!

Ich glaube, Sie haben die Punkte, die Sie hier genannt haben, völlig übersehen, etwa den Vorrang des europäischen Rechts. Es gab 1994 schon eine Volksabstimmung, und die ging aus – ich weiß nicht, wie Sie damals abgestimmt haben – für den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union. Damals war klar, dass Österreich, um in der Europäischen Union mit dabei zu sein und mitgestalten zu können, auch einen Teil seiner Souveränität aufgibt. Das hat sich seit damals nicht geändert. Das wird jetzt nicht durch den Reformvertrag neu eingebracht.

Zu Ihrem Argument des Verlusts der immerwährenden Neutralität, das Sie hier vor­bringen: Herr Kollege Bösch, glauben Sie das wirklich? – Das stimmt nicht. Österreich wird die Neutralität weiterhin behalten, kann sich auch weiterhin darauf berufen. Wir haben dieses Recht und diese Möglichkeit auch mit dem neuen Reformvertrag. – Das zu den inhaltlichen Punkten. (Beifall bei den Grünen.)

Wenn Sie jetzt eine nationale Volksabstimmung über den neuen Reformvertrag wollen, dann muss ich sagen: Wir haben einfach Erfahrungen damit, was nationale Volks­abstimmungen zu Themen bedeuten, wo eigentlich das europäische Volk befragt werden sollte.

Herr Kollege Bösch, Sie haben heute Vormittag heftigst dagegen protestiert, dass es so etwas wie ein europäisches Volk gibt. (Abg. Rosenkranz: Nein, das gibt es nicht!) Na klar gibt es das! Wir alle sind Europäer und Europäerinnen, sonst hätten wir auch die europäische Fahne hier nicht hängen, was heißt, dass wir als Österreicherinnen und Österreicher Teil von Europa sind. Wenn Sie das nicht sein wollen, dann tut es mir leid. Wir sind es! (Abg. Dr. Bösch: Das eine schließt das andere nicht aus!)

Von uns Grünen gibt es keine Zustimmung zu einer nationalen Volksabstimmung über den Reformvertrag, weil diese nur von Leuten wie Ihnen, die rein nationalistischen


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Populismus betreiben wollen, missbraucht wird. (Abg. Rosenkranz: Das stimmt nicht!) Das können und wollen wir der österreichischen Bevölkerung nicht antun. (Abg. Dr. Bösch: Sie haben Angst vor einer Abstimmung!)

Wir wollen – aber das wird sich leider nicht mehr ausgehen – eine europaweite Volksabstimmung oder zumindest eine europaweite Volksbefragung in allen Teilen Europas – und keine Volksabstimmung, die nationalistische Tendenzen fördert. Dazu ist mir und uns Europa zu wichtig und zu wertvoll! (Beifall bei den Grünen sowie der Abg. Csörgits.)

19.46


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Abgeordneter Scheibner mit 3 Minuten Redezeit. – Bitte.

 


19.47.00

Abgeordneter Herbert Scheibner (BZÖ): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Eines fand ich schon interessant in der Rede des Kollegen Wittmann, und zwar hat er gesagt, dass es schon die Zustimmung der österreichischen Bevölkerung zu einer Gesamt­änderung der Bundesverfassung im Jahre 1994 gab.

Herr Kollege Schüssel schüttelt den Kopf, aber ich muss schon sagen: Das war ein­deutig eine Offenlegung, aber leider um zwölf Jahre zu spät! – Genau das haben wir damals kritisiert, Herr Kollege Wittmann, nämlich dass man der Bevölkerung damals nicht reinen Wein eingeschenkt hat!

Sie haben damals der Bevölkerung erklärt, dass der EU-Beitritt Österreichs auf unsere Souveränität und auf unsere Verfassung fast keinen Einfluss hätte und dass wir selbstverständlich weiterhin so tun werden, als wäre nichts passiert, und dass die einzige Änderung der Ederer-Tausender wäre, der auf uns alle sozusagen herunter­fallen wird, und deshalb könnten wir alle beruhigt dem EU-Beitritt Österreichs zustim­men.

Herr Kollege Wittmann, das war damals die Problematik! Heute geben Sie etwas zu, was Sie damals nicht zugeben wollten, weil Sie befürchtet haben, dass dann die Volksabstimmung anders ausgehen würde.

Selbstverständlich haben Sie recht – und das hat die Bevölkerung damals nicht gewusst –, wenn Sie sagen, dass die österreichischen Bürger damals mit ihrem Ja zum Beitritt Österreichs zur Europäischen Union in Wirklichkeit sozusagen eine Frei­karte für alle Souveränitätsbeschränkungen in der Zukunft gegeben haben. Das kann man jetzt ablehnen oder dem zustimmen, aber es war so, doch Sie haben das damals verschleiert.

Ob das jetzt eine Gesamtänderung unserer Verfassung ist oder nicht, dazu würde ich sagen, dass diese Generalermächtigung von damals natürlich weiterwirkt und auch der Vertrag von Nizza entsprechende Änderungen zur Folge hatte, denn jeder dieser Ver­träge bringt eine Veränderung im Gefüge der Europäischen Union mit sich. Trotzdem kann man aber, wenn man will, eine Volksabstimmung über diese Punkte durchführen, ohne sich den Kopf darüber zerbrechen zu müssen, ob das jetzt wirklich – da sind sich die Verfassungsexperten auch uneinig – eine Gesamtänderung unserer Verfassung ist.

Wir haben heute schon darüber diskutiert. Und ich habe, Kollege Bösch, deinen Klub­obmann extra gefragt, worüber er abstimmen möchte. Er hat gesagt: über den Reform­vertrag! Aber das geht ganz einfach nicht. (Zwischenruf des Abg. Mag. Hauser.) – Jetzt werden Sie wieder munter.

Bei Ihnen ist die Problematik die: Ein bisschen sollte man schon auch bei der Formu­lierung aufpassen, denn wenn hier steht, einer Volksabstimmung ist jede Zustimmung


Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 224

der Republik Österreich zu unterziehen, dann frage ich euch: Was ist eine solche Zustimmung? (Zwischenrufe bei der FPÖ.) Was ist die Zustimmung der Republik Österreich? Welcher Terminus technicus ist das? Wie funktioniert das?

Aber das ist erst die erste Lesung, wir werden das dann im Ausschuss schon noch erfahren. Klar ist aber eines: Bei einer Gesamtänderung der Verfassung ist auch jetzt schon vorgesehen, dass dieses Gesetz einer Volksabstimmung zu unterziehen ist.

Auf Folgendes möchte ich jetzt noch hinweisen: den Verlust der Neutralität. – Kollege Bösch, ich weiß von dir, du musst das sagen, ich weiß, dass du das anders siehst, denn du bist ein Experte im Bereich der Sicherheitspolitik. Aber dass sich jetzt auch die SPÖ so als Verfechterin der Neutralität aufspielt, das ist ja wirklich merkwürdig. Auch von der ÖVP habe ich heute gehört – auch von euren Rednern –: Der Erhalt der Neutralität ist wichtig. – Geben Sie doch endlich zu, dass mit der Verfas­sungs­ände­rung 1998 – da steht es ja auch drinnen –, mit dem Artikel 23f B-VG, der die Voraus­setzung für die Teilnahme Österreichs an der Europäischen Sicherheits- und Verteidi­gungspolitik ermöglicht hat, wirklich ein Persilschein bis hin zu einer gemein­samen europäischen Verteidigung gegeben worden ist. Lesen Sie Artikel 23f B-VG durch! Da steht alles drinnen – einschließlich Kampfeinsätze zur Friedensschaffung ohne UNO-Mandat.

Meine Damen und Herren! Das ist Verfassungslage der Republik Österreich. Und kommen Sie hier nicht damit, dass das irgendwo noch mit einem Kern der Idee einer immerwährenden Neutralität zu vereinbaren ist! Die immerwährende Neutralität, so wie das ihre Schöpfer verstanden haben, heißt nicht, keine Teilnahme an Kriegen, keine Bündnismitgliedschaften und keine dauernden Truppenstationierungen. Das kann man alles definieren, das ist der Bündnisfreie. Aber der immerwährend Neutrale muss auch in Friedenszeiten immer zur Kenntnis bringen, dass er sich auf keinen Fall in irgendeinen militärischen Konflikt verstricken lassen möchte, also auf keinen Fall an einem militärischen Konflikt teilnehmen wird – ob das jetzt ein Krieg ist oder nicht, ist nicht relevant. Auf keinen Fall!

Artikel 23f B-VG sagt ganz klar und deutlich, dass wir das können, dass wir das machen wollen, wenn der Fall einmal eintritt. Natürlich entscheidet das noch immer die Republik im Einzelfall. Das ist aber auch kein Faktor für die Neutralität, denn selbst ein NATO-Mitgliedsland entscheidet für sich selbst, ob es an einem Out-of-Area-Einsatz teilnimmt oder nicht.

Also geben Sie doch endlich einmal zu – ob man das jetzt will oder nicht –, dass Sie mit dieser Verfassungsänderung von 1998 die Neutralität, die immerwährende Neu­tralität, so wie das immer völkerrechtlich entwickelt worden ist, zu Grabe getragen haben! (Beifall beim BZÖ.)

All das, was Sie hier jetzt diskutieren, ist Makulatur und zeigt nur, dass Ihnen in der Außenpolitik und in der Sicherheitspolitik seit 20 Jahren nichts Neues eingefallen ist. (Beifall beim BZÖ.)

19.52


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Zu Wort ist niemand mehr gemeldet. Die Debatte ist geschlossen.

Ich weise den Antrag 394/A dem Verfassungsausschuss zu.

Die Tagesordnung ist erschöpft.


Nationalrat, XXIII.GPStenographisches Protokoll38. Sitzung / Seite 225

19.52.39Einlauf

 


Präsidentin Dr. Eva Glawischnig-Piesczek: Ich gebe noch bekannt, dass in der heutigen Sitzung die Selbständigen Anträge 464/A bis 487/A(E) eingebracht wurden.

Ferner sind die Anfragen 1906/J bis 1935/J eingelangt.

*****

Die nächste Sitzung des Nationalrates, die geschäftsordnungsmäßige Mitteilungen und Zuweisungen betreffen wird, berufe ich für 19.54 Uhr ein; das ist gleich im Anschluss an diese Sitzung.

Diese Sitzung ist geschlossen.

19.53.08Schluss der Sitzung: 19.53 Uhr

 

 

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