31/PET XXIII. GP

Eingebracht am 05.03.2008
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Petition

 


Frau

Präsidentin des Nationalrates

Mag. Barbara Prammer

im Hause

Wien, am 5. März 2008

Sehr geehrte Frau Präsidentin!

In der Anlage wird die Parlamentarische Petition betreffend VOLKSABSTIMMUNG ÜBER DEN VERTRAG VON LISSABON UND DEN EU-BEITRITT DER TÜRKEI“ gemäß § 100 Abs. 1 Z 1 GOG mit dem Ersuchen um geschäftsordnungsmäßige Behandlung übermittelt.

Hochachtungsvoll

Heinz-Christian Strache Klubobmann


PARLAMENTARISCHE PETITION betreffend

VOLKSABSTIMMUNG ÜBER DEN VERTRAG VON LISSABON UND

DEN EU-BEITRITT DER TÜRKEI“

Der unterfertigte Abgeordnete fordert, daß der Nationalrat und die Bundesregierung alle in Frage kommenden Maßnahmen ergreifen, um die Ratifizierung des Vertrages von Lissabon, sowie einen möglichen Beitritt der Türkei zur Europäischen Union, von einer verbindlichen Volksabstimmung in Österreich abhängig zu machen.

B E G R Ü N D U N G

Im Laufe der nächsten Monate soll der Vertrag zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union und des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, kurz Vertrag von Lissabon genannt, von der Republik Österreich ratifiziert werden.

Dieser EU-Reformvertrag entspricht allerdings ganz und gar nicht den Interessen der europäischen Bürger, im besonderen der Österreicher. Zum einen wird dieser Vertrag die Verfassung der Europäischen Union nicht nur, wie seine Technik es erscheinen läßt, weiterentwickeln, sondern grundlegend ändern. In der Substanz unterscheidet sich dieser Vertrag nicht von dem in Frankreich, den Niederlanden und Deutschland gescheiterten Vertrag über eine Verfassung für Europa vom 29. Oktober 2004. Insbesondere geht dieser Vertrag (endgültig) den Schritt zum Bundesstaat Europäische Union. Zum anderen gibt es weitere zentrale Kritikpunkte, die von verschiedenen Verfassungsexperten geübt werden. Nicht nur, daß es eine Volksabstimmung über die Ratifizierung des Vertrages auf nationaler, österreichischer Ebene geben müßte, weil der Vertrag eine grundlegende Änderung der österreichischen Bundesverfassung bewirken würde, nein, die Kritik beispielsweise von Prof. Karl Albrecht Schachtschneider geht so weit, daß dieser EU-Reformvertrag überhaupt unvereinbar mit den Grundprinzipien der österreichischen Bundesverfassung ist, zumal bedenkenswert ist, ob durch politische Staatsverträge eine Gesamtänderung der Bundesverfassung überhaupt zulässig ist. Diese Bedenken äußert der renommierte Experte für öffentliches Recht Prof. Schachtschneider auch in einem von der FPÖ in Auftrag gegebenen Gutachten, welches   in   sechs   Punkten  darlegt,   warum  eine  Volksabstimmung   über  den Reformvertrag in Österreich erforderlich ist und eine grundlegende Kritik am Vertrag darlegt:


1.  Vereinfachtes Änderungsverfahren

Die Einrichtung des vereinfachten Änderungsverfahrens" durch Art. 33 Abs. 6 des Vertrages über die Europäische Union (EUV) ist eine Gesamtänderung der Bundesverfassung" im Sinne des Art. 44 Abs. 3 B-VG, die einer Abstimmung des gesamten Bundesvolkes zu unterziehen" ist. Nach Art. 33 Abs. 6 EUV kann der Europäische Rat durch Beschluß nach Anhörung des Europäischen Parlamentes und der Kommission sowie, bei institutionellen Änderungen im Währungsbereich der Europäischen Zentralbank, auf Initiative der Regierung jedes Mitgliedstaates, des Europäischen Parlaments und der Kommission einstimmig die Änderung aller oder eines Teils der Bestimmungen des Dritten Teiles des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union" beschließen. Dieser Dritte Teil umfaßt alle wichtigen Politiken der Union außer der Außen- und Sicherheitspolitik. Der Beschluß tritt zwar nach Unterabs. 2 S. 3 des Art. 33 Abs. 6 EUV erst nach Zustimmung der Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften in Kraft", aber der Beschluß ist kein politischer Staatsvertrag" im Sinne des Art. 50 B-VG, welcher der Zustimmung des Nationalrates und gegebenenfalls des Bundesrates und der Ratifikation durch den Bundespräsidenten (Art. 65 Abs. 1 B-VG) bedarf. Die Gesetzgebungsorgane Österreichs müssen somit an dem Verfahren nicht beteiligt werden. An diesen Änderungen wirkt für Österreich, wie dargelegt, maßgeblich nur der Bundeskanzler mit, weil der Europäische Rat einstimmig entscheiden muß. Das vereinfachte Änderungsverfahren ist der Sache nach eine Diktaturverfassung, die kaum noch einen demokratischen Rest aufweist.

2.  Generalermächtigung zur Mittelbeschaffung

Der Reformvertrag hat trotz des Maastricht-Urteils, das der großen Generalklausel, der Kompetenz-Kompetenz des Art. F Abs. 3 EUV (Art. 6 Abs. 4 EUV bisherige Fassung) die rechtliche Verbindlichkeit (zur Rettung des Maastricht-Vertrages) abgesprochen hat (BVerfGE 89, 155 (196 f.)), in Art. 269 Abs. 1 im Vertrag über die Arbeitsweise der Union (VAU) eine fast gleichlautende Bestimmung beibehalten, diese allerdings in den Titel II des Fünften Teils, der die Finanzen der Union regelt, gestellt, also auf Mittel zur Finanzierung des Haushaltes der Union begrenzt. Jetzt aber wird ein Verfahren für die Umsetzung dieser Generalermächtigung eingeführt, das an der rechtlichen Verbindlichkeit der Ermächtigung nicht mehr zu zweifeln erlaubt. Nach Absatz 3 Unterabsatz 1 nämlich erläßt der Rat einen Beschluß, den er einstimmig nach einem besonderen Gesetzgebungsverfahren und nach Anhörung des Europäischen Parlaments faßt, mit dem die Bestimmungen über das System der Eigenmittel der Union festgelegt werden. Dieser Beschluß kann neue Kategorien von Eigenmitteln einführen, aber auch bestehende Kategorien abschaffen. Die neuen Kategorien von Eigenmitteln können und werden auch europäische Steuern sein.

3. Flexibilitätsklausel

Die Flexibilitätsklausel des Art. 308 Abs. 1 VAU ermöglicht es der Union, zur Verwirklichung der überaus weit gesteckten Ziele der Verträge durch Vorschriften des Rates auf Vorschlag der Kommission und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments im Rahmen der in den Verträgen festgelegten Politikbereiche" tätig zu werden, auch wenn die Verträge die dafür erforderlichen Befugnisse nicht vorsehen. Auf dieser Grundlage kann sich die Union so gut wie jede Befugnis verschaffen, ohne daß die Mitgliedstaaten dem zustimmen müssen. Letztere können lediglich ihre (kläglichen) Einwendungen aus dem Subsidiaritätsprinzip zur Geltung bringen (Absatz 2). Diese Kompetenz-Kompetenz geht deutlich über die bisherige Generalklausel des Art. 308 im Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) hinaus, welche auf die Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes beschränkt war. Lediglich Harmonisierungsverbote dürfen durch die Vorschriften nicht überspielt werden (Absatz 3) und die Verwirklichung von Zielen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik darf nicht auf diesen Artikel gestützt werden (Absatz 4).

4. Bundesstaatliche Zuständigkeit

Obwohl der Reformvertrag nicht mehr wie der gescheiterte Vertrag über eine Verfassung für Europa von Verfassung" spricht, um nicht deutlich werden zu lassen, daß mit dem Integrationsschritt des Reformvertrages ein Staat verfaßt wird, macht der Reformvertrag doch den Schritt vom Staatenverbund zum Bundesstaat, zum europäischen Unionsstaat. Das erweist (abgesehen von den staatsmäßigen weiten Aufgaben und Befugnissen der Union) die neue Zuständigkeitsordnung der Artikel 2 bis 6 VAU.

5. Vorrang der Unionsrechts

Zum Reformvertrag gehören die Erklärungen der Regierungskonferenz, die Bestandteil des Reformvertrages werden und die Verbindlichkeit dieses Vertrages entfalten. Diese Erklärungen sind (je nach ihrem Inhalt) authentische Klärungen der Rechtslage der Europäischen Union. Die 27. Erklärung befaßt sich mit dem Vorrang des Unionsrechts vor dem Recht der Mitgliedstaaten. Sie lautet:

 

Die Konferenz weist darauf hin, dass die Verträge und das von der Union auf der Grundlage der Verträge gesetzte Recht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der EU unter den in dieser Rechtsprechung festgelegten Bedingungen Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten haben."


6. Verlust der immerwährenden Neutralität"

Der Reformvertrag entwickelt die Sicherheits- und Verteidigungsunion deutlich weiter. Zum einen schafft der Reformvertrag, wie unter Punkt 4 dargelegt, einen Bundesstaat. Dieser Bundesstaat beendet die immerwährende Neutralität Österreichs.

Darüber hinaus haben auch namhafte österreichische Experten, wie der Doyen des österreichischen Verfassungsrechts, Univ.-Prof. Dr. Hans Klecatsky, seines Zeichens Justizminister a.D., und der Vorsitzende des parlamentarischen Grundrechtekonvents, Univ.-Prof. Dr. Adrian Hollaender in verschiedensten Stellungnahmen auf die Notwendigkeit einer Volksabstimmung über den Vertrag von Lissabon aufmerksam. So meinte etwa Dr. Klecatsky am 19 Dezember 2007: ,,Aus dem Verfassungsverbund" zweier Verfassungen" (Pernthaler, Pernice, Öhlinger, RdZI. 160) wird durch die Anerkennung der Rechtspersönlichkeit" der EU die Republik Österreich mit ihrer Bundesverfassung zu einem Sub(Teil)-Rechtsubjekt des Rechtssubjekts EU" degradiert. An die Stelle der Koordinierung der beiden Verfassungen tritt endgültig die Subjugation (Unterwerfung) der österreichischen und somit die Auflösung der Republik in eine EU. Die Volksabstimmung vom 12. Juni 1994 deckt nur das osmotische Vertragsverhältnis zur EU, nicht die Anerkennung einer Oberherrschaft einer "Rechtsperson EU" über das österreichische Staatsvolk als Träger der Verfassungs- und Rechtsetzungshoheit... Finis Austriae!"

Bezüglich der Volksabstimmung über den Beitritt der Türkei zu Europäischen Union sei zu sagen, daß es eine grundlegende Entscheidung über die Zukunft Europas ist, ob die Türkei der EU beitritt oder nicht. Über diese grundlegende Weichenstellung muß auch der österreichische Bürger das Recht haben, mitzuentscheiden.

Über hunderttausend Bürgerinnen und Bürger unterstützen mit ihrer Unterschrift die Forderung nach einer Volksabstimmung über die Zustimmung zum Vertrag von Lissabon und über den Beitritt der Türkei zur Europäischen Union. (Beilage)

Heinz-Christian Strache
Klubobmann                                                                                                 Wien, 5. März 2008