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1. Verhältnis des Vertrages zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über Amts- und Rechtshilfe in Verwaltungssachen, BGBl. Nr. 526/1990, zum Rahmenbeschluss 2005/214/JI; Stellungnahme

2. Entwurf eines EU-Verwaltungsstrafvollstreckungsgesetzes – EU-VStVG; Begutachtung; Stellungnahme

Geschäftszahl

Innsbruck,

Präs.II-1637/4
01.03.2007

 

 

Zu GZn. BKA-670.037/0003-V/A/1/2007 vom 31.01.2007 sowie
              BKA-670.502/0002-V/A/1/2007 vom 22.01.2007

Zu den beiden im Betreff angeführten Angelegenheiten wird folgende Stellungnahme abgegeben:

1. Zum Verhältnis des Rechtshilfevertrages zwischen Österreich und Deutschland (im Folgenden: Rechts­hilfevertrag) zum Rahmenbeschluss 2005/214/JI (im Folgenden: Rahmenbeschluss):

·     Nach Art. 18 des Rahmenbeschlusses schließt dieser die Anwendung der bilateralen oder multilatera­len Übereinkünfte oder Vereinbarungen zwischen Mitgliedstaaten nicht aus, sofern sie die Möglichkeit bieten, über die Bestimmungen dieses Rahmenbeschlusses hinauszugehen und zu einer weiteren Ver­einfachung oder Erleichterung der Verfahren zur Vollstreckung von Geldstrafen oder Geldbußen beizu­tragen.

Diese Voraussetzungen scheinen in Ansehung des Rechtshilfevertrages gegeben zu sein. Nach Art. 9 des Rechtshilfevertrages sind Geldstrafen bereits ab (umgerechnet) ca. 25,- Euro zu vollstrecken, wo­gegen der Mindeststrafbetrag nach Art. 7 Abs. 2 lit. h des Rahmenbeschlusses 70,- Euro beträgt. Inso­fern gehen die Möglichkeiten der Vollstreckung nach dem Rechtshilfevertrag über jene nach dem Rah­menbeschluss hinaus. Dazu kommt, dass Vollstreckungsersuchen nach Art. 9 des Rechtshilfevertrages formfrei gestellt werden können. An Unterlagen ist nach dem Abs. 3 dieser Vertragsbestimmung nur eine mit der Rechtskraft- bzw. Vollstreckbarkeitsklausel versehene Ausfertigung des Exekutions- bzw. Vollstreckbarkeitstitels bzw. des zu vollstreckenden Bescheides erforderlich. Dagegen erfordert ein Vollstreckungsersuchen nach dem Rahmenbeschluss die Ausfüllung und Übersendung eines mehr­seitigen vorgegebenen Formblattes, in dem eine Vielzahl von Angaben verlangt wird. Auch erübrigt sich nach dem Rechtshilfevertrag die Prüfung einer Reihe nach dem Rahmenbeschluss verschiedentlich relevanter Rechtsfragen (gegenseitige Strafbarkeit nach Art. 5 Abs. 3, Versagungsgründe nach Art. 7, Verringerung des zu vollstreckenden Betrages nach Art. 8). Insofern ist die Durchführung der Voll­streckung auf der Grundlage des Rechtshilfevertrages auch im Interesse der Verfahrensvereinfachung und –erleichterung gelegen.

Der Vollständigkeit halber ist zu erwähnen, dass der Anwendungsbereich des Rechtshilfevertrages anders als jener nach dem Rahmenbeschluss nicht auf die gegenseitige Vollstreckung beschränkt ist, sondern auch andere Fälle der wechselseitigen Rechtshilfe mit umfasst (Anhörungen, Auskünfte und Beweise nach dem II. Abschnitt, Zustellungen nach dem IV. Abschnitt und Rechtshilfe im Bereich des Kraftfahrwesens nach dem V. Abschnitt). Insoweit ist aufgrund des Rahmenbeschlusses ohnehin keine Änderung der Voraussetzungen eingetreten.

Nach Ansicht der Tiroler Landesregierung sollte bei den mit der deutschen Seite in Aussicht genom­menen Gesprächen auf der Grundlage des Art. 18 des Rahmenbeschlusses eine Einigung dahin­gehend versucht werden, dass im bilateralen Verhältnis zwischen beiden Staaten auf dem Gebiet der Vollstreckung der Rechtshilfevertrag im Rahmen seines Anwendungsbereiches dem Rahmenbeschluss vorgeht. Eine Vollstreckung auf der Grundlage des Rahmenbeschlusses käme dann nur in den vom Rechtshilfevertrag nach Art. 1 Abs. 2 ausgenommenen Angelegenheiten in Betracht. In der Praxis dürfte diesen Angelegenheiten, was die Häufigkeit und Anzahl möglicher Vollstreckungsfälle anbelangt, insgesamt gesehen aber nur eine geringe Bedeutung zukommen.

Die weitere Anwendung des Rechtshilfevertrages dürfte auch in finanzieller Hinsicht der österreichi­schen Interessenlage besser gerecht werden, weil aufgrund der Einwohnerzahlen und Verkehrsströme anders als nach dem Vorblatt zu den Erläuterungen zum Entwurf eines EU-Verwaltungsstrafvoll­streckungsgesetzes nicht von einem ausgeglichenen Ergebnis beim Erlös aus der Vollstreckung von Geldstrafen und Geldbußen auszugehen sein dürfte. Vielmehr ist (weiterhin) mit einer größeren Zahl von auf Ersuchen österreichischer Behörden in Deutschland durchgeführten Vollstreckungsverfahren als umgekehrt von auf Ersuchen deutscher Behörden in Österreich durchgeführten Vollstreckungsver­fahren zu rechnen. Da der Erlös aus der Vollstreckung nach Art. 13 des Rahmenbeschlusses - anders als nach Art. 9 Abs. 8 des Rechtshilfevertrages – nicht der ersuchenden Behörde zu überweisen ist, sondern außer im Fall einer gegenteiligen bilateralen Vereinbarung dem Vollstreckungsstaat verbleibt, ist mit einem nicht unerheblichen Einnahmenausfall zu rechnen. Regional wirkt sich dies besonders zum Nachteil von Ländern aus, die wie Tirol an stark frequentierten Verkehrsachsen liegen (A 12-Inn­talautobahn, A 13-Brennerautobahn, B 179-Fernpassstraße insbes.).

Dieser Problematik könnte natürlich auch auf der Grundlage einer nach Art. 13 des Rahmenbe­schlusses zulässigen abweichenden bilateralen Vereinbarung begegnet werden.

·     Die anstehenden Gespräche mit Deutschland könnten auch zum Anlass genommen werden, die bisher restriktive Handhabung von österreichischen Vollstreckungsersuchen durch deutsche Behörden neuer­lich zur Sprache zu bringen. Bekanntlich verweigern die deutschen Behörden unter Hinweis auf ihre Auslegung von Art. 6 EMRK grundsätzlich die Vollstreckung österreichischer Strafbescheide in den Fällen der Bestrafung wegen der Verweigerung der Lenkerauskunft nach § 103 Abs. 2 KFG. Darüber hinaus wird die Vollstreckung häufig aber auch in jenen Fällen von Kennzeichenanzeigen verweigert, in denen zwar eine Bestrafung nach der zugrunde liegenden Übertretung erfolgt, der Fahrzeughalter je­doch (in Übereinstimmung mit der Judikatur des österreichischen Verwaltungsgerichtshofes) als Lenker angenommen wird.

Hier könnte vor allem das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 24.03.2005 (RIEG gegen Österreich, Appl. 63207/00; ÖJZ 2006, 342; newsletter 2004, 85) ins Treffen geführt wer­den, in dem der Gerichtshof § 103 Abs. 2 KFG als nicht im Widerspruch zu Art. 6 EMRK stehend beur­teilt hat.

 

2. Zum Entwurf eines EU-Verwaltungsstrafvollstreckungsgesetzes – EU-VStVG:

Gegen diesen Gesetzentwurf besteht aus der Sicht der Interessen des Landes grundsätzlich kein Ein­wand.

In datenschutzrechtlicher Hinsicht hinterfragt werden sollte jedoch die verpflichtende Anführung der Sozialversicherungsnummer unter Punkt f.1 des Formblattes in Anlage 2 (Angaben im Fall einer natür­lichen Person).

Nach der Verfassungsbestimmung des § 1 Abs. 2 des Datenschutzgesetzes 2000 (DSG 2000), BGBl. I Nr. 165/1999, zuletzt geändert durch das Gesetz BGBl. I Nr. 13/2005, sind Beschränkungen des Anspruchs auf Geheimhaltung unter anderem nur zur Wahrung überwiegender berechtigter Interessen eines anderen zulässig, und zwar bei Eingriffen einer staatlichen Behörde nur aufgrund von Gesetzen, die aus den im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Gründen notwendig sind. Nach § 1 Abs. 2 letzter Satz DSG 2000 darf ein Eingriff in das Grundrecht auf Datenschutz auch im Fall zulässiger Beschränkungen jeweils nur in der ge­lindesten zum Ziel führenden Art vorgenommen werden.

Die dem Art. 8 EMRK entsprechende Notwendigkeit ergibt sich hinsichtlich der am Formblatt anzuführen­den Daten zweifelsfrei aus dem der Rechtspflege und –sicherheit dienenden Erfordernis der Rechtshilfe zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Die Verhältnismäßigkeitsabwägung findet sich jedenfalls im Wesentlichen in der Beschaffenheit des Formblattes verwirklicht. Demnach sind etwa die unter Punkt f.1.a und b sowie unter Punkt f. 2.a und b anzugebenden Informationen optional und somit auf den jeweiligen Zweck der Entscheidungsübermittlung abgestimmt.

Demgegenüber ist aber nicht ersichtlich, weshalb unter Punkt f.1 (sofern bekannt) in jedem Fall die Sozialversicherungsnummer desjenigen angeführt werden muss, gegen den die Geldstrafe oder Geld­buße verhängt wurde. Sofern die übrigen unter diesem Punkt verlangten Angaben vorliegen, sollte dies im Regelfall zur eindeutigen Identifizierung der betreffenden Person ausreichend sein, weshalb ein „Mehr“ an Informationsübermittlung zur Erreichung des Zweckes nicht mehr notwendig sein dürfte. Um die Verhält­nismäßigkeit der Informationsweitergabe zu gewährleisten, sollte auch die Angabe der Sozialversiche­rungsnummer in eindeutiger Weise als optional bezeichnet werden, etwa zur Ergänzung der anderweitig zur Identitätsfeststellung unvollständigen bzw. ungeeigneten personenbezogenen Daten.

Im Übrigen wird die Bezeichnung „Mädchenname“ unter demselben Punkt den bestehenden namensrecht­lichen Gegebenheiten nicht mehr gerecht. Statt dessen sollte es „Geburtsname“ lauten.

 

25 Ausfertigungen sowie eine elektronische Fassung dieser Stellungnahme werden unter einem der Parlamentsdirektion zugeleitet.

 

 

Mit freundlichen Grüßen
Für die Landesregierung:

 

Dr. Liener
Landesamtsdirektor