Vereinigung Österreichischer

Staatsanwältinnen und Staatsanwälte

 

www.staatsanwaelte.at

 

 

 

An das

Präsidium des Nationalrates

 

Parlament

 

Dr. Karl Renner Ring 3

1010 Wien

 

 

 

 

 

Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem die Strafprozessordnung 1975, das Strafgesetzbuch und das Jugendgerichtsgesetz 1988 geändert werden

( Strafprozessreformbegleitgesetz I )

BMJ – L590.004/0001-II 3/2007

 

Begutachtungsverfahren

 

 

 

Die Vereinigung Österreichischer Staatsanwältinnen und Staatsanwälte bedauert zunächst, dass ungeachtet der beinahe vierjährigen Legisvakanz des Strafprozessreformgesetzes für den ersten Teil der Begleitgesetzgebung eine lediglich einmonatige, in der Haupturlaubszeit gelegene  Begutachtungsfrist gewählt wurde, die ein Zusammentreten der Gremien der Standesvertretung und damit eine profunde Stellungnahme außerordentlich erschwert. Es kann daher nur zu den aus der Sicht der Staatsanwältinnen und Staatsanwälte zentralen Themen Stellung bezogen werden.

 

§ 28 StPO:

 

Die im Abs. 2 vorgeschlagene obligatorische Abtretung des Verfahrens gegen ein im eigenen OStA Sprengel tätiges Justizorgan erscheint überzogen. Auch Bagatelldelikte, wie etwa Anzeigen wegen fahrlässiger Körperverletzung im Zuge eines Verkehrsunfalls werden von dieser Bestimmung erfasst von der nach §36 Abs. 6 auch das Hauptverfahren ex lege betroffen ist. Gerade in solchen Fällen wäre dann ein Ortsaugenschein in einem weit vom Tatort gelegenen Sprengel den Beteiligten nur schwer zuzumuten. Es erscheint ausreichend, der Oberstaatsanwaltschaft einen Ermessensspielraum einzuräumen, ob eine Abtretung nach Lage des Falles erforderlich ist und – sollte dies nicht der Fall sein - von welcher der ihr nachgeordneten  Staatsanwaltschaften, der Fall weiter zu bearbeiten ist.

 

 

§ 282 StPO:

 

Es ist durchaus zuzugestehen, dass im reformierten Strafprozess die im 4. Hauptstück normierten Opferrechte nur dann Wirkung entfalten können, wenn sie auch durchsetzbar sind.

Diesem Gedanken folgend bietet im gesamten Ermittlungsverfahren der auch dem Opfer zustehende Einspruch wegen Rechtsverletzung (§ 106 StPO) umfassende Garantien.

 

Der Vorschlag des Entwurfes, darüber hinaus das Opfer im Falle eines Freispruches unter bestimmten Voraussetzungen auch zur Erhebung einer Nichtigkeitsbeschwerde aus dem Grunde des § 281 Abs. 1 Z 4 StPO zu legitimieren ist aber zur Ereichung des angestrebten Zweckes ungeeignet.

 

Zunächst können im Wege einer Nichtigkeitsbeschwerde nur schuldrelevante Umstände geltend gemacht werden. Eine rechtswidrige Missachtung anderer oft als besonders wichtig empfundener Opferrechte – etwa des Anspruches auf schonende Vernehmung -  ist dem Nichtigkeitsverfahren von vornherein weitestgehend entzogen. Der vorgeschlagene Schutzmechanismus greift daher zu kurz.

 

Andererseits muss auch ein überschießender Gebrauch einer Nichtigkeitsbeschwerde durch das  -    regelmäßig emotional stark betroffene – Opfer ins Kalkül gezogen werden. Schließlich sah sich der Gesetzgeber des StrPRG 2004 ausdrücklich veranlasst den „Einspruch gegen die Anklageschrift“ als Rechtbehelf gegen unbegründete Anklagen der zur strikten Objektivität verpflichten Staatsanwaltschaft beizubehalten, um den Angeklagten vor spekulativen oder voreiligen Anklagen zu schützen. Argumentiert wurde damit, dass allein die Anhängigkeit eines Strafverfahrens weitreichende, oft existenzbedrohende  Folgen für den von der Anklage Betroffenen mit sich bringt.

Durch die vorgeschlagene Rechtmittellegitimation kann nun aber ein nach einem umfangreichen Verfahren ergangenes und auch vom Staatsanwalt als Hüter des staatlichen Strafanspruches pflichtgemäß akzeptiertes freisprechendes Urteil selbst im Fall einer mit wenig Aussicht auf Erfolg behafteten Nichtigkeitsbeschwerde des Opfers – mit allen sich daraus ergebenden negativen Auswirkungen und Kostenfolgen für den nach wie vor als unschuldig geltenden und von Gericht und Anklagebehörde für nicht überführt erachteten Angeklagten – über Monate nicht in Rechtskraft erwachsen. Selbst ein Mensch, dessen Unschuld sich im Verfahren eindeutig herausgestellt hat befände sich in einer Abhängigkeit vom Rechtmittelverhalten des Opfers, dem – bei aller Anerkennung seiner über den bloßen Ersatz des materiellen Schadens hinausgehenden Bedürfnisse – aus rechtsstaatlichen Erwägungen eine Disposition über den staatlichen Strafanspruch jedenfalls nicht zukommen sollte.

 

Ein Spannungsverhältnis zum Anklagegrundsatz, namentlich aber zum Beschleunigungsgebot ist unübersehbar.

 

Durch den sehr weiten Opferbegriff im reformierten Strafprozess wird der zur Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen legitimierte Personenkreis deutlich vergrößert, sodass mit einer signifikanten Zunahme erhobener Rechtsmittel zu rechnen ist. Dass eine solche Ausweitung der Rechtsmittelbefugnis einen zusätzlichen personellen Mehrbedarf bei den Rechtsmittelinstanzen und den dortigen staatsanwaltschaftlichen Behörden bedeutet (die Stellenpläne 2008 konnten nur die Strukturänderungen des StPRG berücksichtigen, nicht aber die mit dem nunmehrigen Begleitgesetz bewirkte Zunahme der Nichtigkeitsbeschwerden und -berufungen), liegt auf der Hand. Die in den Erläuterungen angesprochene Kostenneutralität kann daher nicht erreicht werden.

 

Die vorgeschlagene Regelung sollte daher noch eingehend überdacht und die Lösung der ohnedies anstehenden Reform des Hauptverfahrens vorbehalten werden. Dadurch könnten auch zwischenzeitig gewonnene Erfahrungen über die Effektivität des Einspruch wegen Rechtsverletzung in die Diskussion einfließen und als (weitreichendere) Alternative ein Ausbau dieses Instrumentes für das Opfer auch im Hauptverfahren überlegt werden.

 

 

 

 

Zu § 53 Abs. 1 StPO:

 

Die seit der Verabschiedung des Strafprozessreformgesetzes durchgeführten Schulungsmaßnahmen brachten verschiedentlich Unbehagen mit der Regelung der Akteneinsicht zutage. Zwar wird die Zweckmäßigkeit der Akteneinsicht bei der Kriminalpolizei solange noch keine Berichterstattung an die Staatsanwaltschaft erfolgte durchwegs anerkannt, Probleme bereitet es allerdings, wenn nach Berichterstattung weitere Erhebungen durchgeführt wurden von deren Ergebnis die Anklagebehörde noch keine Kenntnis hat, obwohl ihre Leitungsbefugnis bereits aktiviert wurde. Die durch die Gewährung der Akteneinsicht bedingte Verantwortlichkeit für einen ungleichen Informationsstand mit dem Beschuldigten oder dessen Verteidiger wird namentlich bei kleineren Polizeidienststellen oft zu Unsicherheiten und damit- aus Vorsichtsgründen - zur Verweigerung der Akteneinsicht führen. Ein berechtigtes Begehren muss daher erst im Wege eines Einspruches wegen Rechtsverletzung nach dem § 106 StPO durchgesetzt werden. Dieser beschwerliche Umweg könnte durch eine Änderung des § 53 Abs.1 vermieden werden, indem die Wortfolge „des Abschlussberichts (§ 100 Abs.2 Z 4)“ durch „eines Berichts (§ 100 Abs.2) ersetzt wird

 

 

Zu § 128 StPO:

 

Aus Gründen der Qualitätssicherung sind Einschränkungen in der Auswahl der Sachverständigen grundsätzlich abzulehnen. Aufgabe des Strafprozessrechtes ist es für einen aus rechtsstaatlicher Sicht bestmöglichen Verfahrensablauf zu sorgen. Die StPO ist daher nicht der geeignete Ort zur Lösung eines vom Rechnungshof aufgezeigten dienstrechtlichen Konfliktes.

 

 

 

Zu § 178 Abs.1 Z 2 StPO:

 

§ 38 Abs 1 FinStrG sieht in der seit dem 1.1.2006 geltenden Fassung für das Finanzvergehen (§1 Abs.1FinStrG) der Abgabenhehlerei bei Vorliegen erschwerender Umstände neben der Geldstrafe auch eine Freiheitsstrafe bis zu 7 Jahren vor. Den nach dieser Gesetzesstelle zu ahndenden strafbaren Handlungen liegen in der Regel komplexe Sachverhalte zugrunde, die ein Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft über  sechs Monate hinaus unvermeidbar machen können(§ 178 Abs. 2 StPO)  § 178 Abs.1 Z 2 sieht diese Möglichkeit aber nur bei Verbrechen vor. Eine Anpassung dieser Bestimmung an den novellierten § 38 Abs. 1 FinStrG wäre daher notwendig.

 

 

 

In § 222 Abs. 3 StPO wäre der Begriff „Ankläger“  dem Ausdruck „Gegner“ vorzuziehen.

 

§ 191, § 352 Abs.1 Z 2 und § 358 Abs. 2 StPO sind sprachlich missglückt.

 

Zu § 429 Abs.2 Z3 StPO

 

Die kostenaufwändige verpflichtende Beiziehung eines Sachverständigen zu jeder Vernehmung des Betroffenen ist überschießend und praxisfremd. Namentlich in den außerhalb der Dienstzeit im Journaldienst anfallenden Strafsachen werden psychiatrische Sachverständige oft kurzfristig nicht zur Verfügung stehen, sodass mit erheblichen Verzögerungen gerechnet werden muss.

 

 

Zu § 58 Abs.3 Z 3 StGB

 

bestimmt, dass die Zeit zwischen der  erstmaligen Vernehmung als Beschuldigter (§§ 164, 165 StPO) oder der erstmaliger Androhung oder Ausübung von Zwang gegen den Täter wegen der Tat bis zur rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens in die Verjährungsfrist nicht eingerechnet wird.

Damit werden aber jene Fälle nicht erfasst, in denen dem Täter vor seiner Vernehmung die Flucht gelingt. Die Anordnung von Zwangsmaßnahmen (§ 102 Abs.1 StPO) gegen einen abwesenden Beschuldigten kann wohl ebenso wenig als „Androhung oder Ausübung vom Zwang gegen den Täter“ gesehen werden wie gegen ihn veranlasste Fahndungsmaßnahmen. Der Begriff ist mit Blick auf § 93 („Zwangsgewalt“) oder § 105 („Zwangsmittel“) unklar.

Im übrigen harmonisiert der Entwurf nicht mit dem bei der Anpassung des Finanzstrafgesetzes eingeschlagenen Weg. § 31 Abs. 4 lit b FinStrG nimmt – wenngleich ebenfalls unscharf – auf die Zeit, während der wegen der Tat gegen den Täter ein Strafverfahren bei der Staatsanwaltschaft, bei Gericht oder bei einer Finanzstrafbehörde geführt wird  Bezug. Eine einheitliche Regelung wäre zu begrüßen. 

 

 

Wien am 20.8.2007