Generalprokuratur

beim Obersten Gerichtshof


Schmerlingplatz 10-11

A-1016 Wien

 

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E-Mail

generalprokuratur@justiz.gv.at

 

Sachbearbeiter GAin Dr. Aicher

 

Klappe              (DW)

GZ:  Jv 479 -1/07

 

An das

Bundesministerium für Justiz

in Wien

 

 

 

 

 

 

 

zur GZ BMJ-L318.025/0001-II 1/2007

 

Betrifft:     Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem das

Strafgesetzbuch geändert und eine

Staatsanwaltschaft zur Korruptionsbekämpfung

errichtet wird (Strafrechtsänderungsgesetz 2008)

 

 

        Die Generalprokuratur beehrt sich, zum oben genannten Gesetzesentwurf folgende

 

S t e l l u n g n a h m e

 

zu erstatten, die in 25-facher Ausfertigung auch dem Präsidium des Nationalrates zugemittelt wird:

 

Der vorliegende Gesetzesentwurf, der weitgehend zur Umsetzung internationaler Vorgaben bzw. Verpflichtungen im Bereich der Korruptionsbekämpfung dient, wird seitens der Generalprokuratur in seinem Artikel I (Änderungen des Strafgesetzbuches) befürwortet.

Zu Artikel II (Bundesgesetz über die Einrichtung einer Staatsanwaltschaft zur Korruptionsbekämpfung)

 

§ 1: Auch in Anbetracht des Umstandes der von Österreich zu erfüllenden internationalen Vorgabe der Sicherstellung der Korruptionsbekämpfung durch eine „unabhängige Stelle bei entsprechender Spezialisierung“ wird der Errichtung einer bundesweit zuständigen, auf Ebene einer Oberstaatsanwaltschaft angesiedelten zentralen Staatsanwaltschaft entgegengetreten und angeregt, in Weiterführung der in den EB angeführten Alternative einer Sonderzuständigkeit bei größeren Staatsanwaltschaften mit dem Schwerpunkt Korruptionsbekämpfung der Einrichtung von Sondergruppen in Schwerpunktstaatsanwaltschaften bei den Landesgerichten am örtlichen Sitz der vier Oberlandesgerichte den Vorzug zu geben.

Das Übereinkommen (BGBl III Nr. 47/2006) sieht in seinem Art. 36 vor, dass „dieser Stelle beziehungsweise diesen Stellen oder Personen in Übereinstimmung mit den wesentlichen  Grundsätzen der Rechtsordnung des Vertragsstaats die nötige Unabhängigkeit zu gewähren (ist), damit sie ihre Aufgaben wirksam und ohne unzulässige Einflussnahme wahrnehmen können.“ („Such body or bodies or persons shall be granted the necessary independence, in accordance with the fundamental principles of the legal system of the State Party, to be able to carry out their functions effectively and without any undue influence.“) Somit gilt es keineswegs die Installierung eines  weisungsungebundenen Organs sondern dessen Unbeeinflussbarkeit sicher zu stellen. Gerade das kann nicht durch die Ausschaltung der  Oberstaatsanwaltschaften geschehen, indem man die neue Behörde auf deren Ebene ansiedelt. Damit verliert das StAG, das zufolge der Zwischenschaltung mehrerer jeweils sachlich prüfender Einzelpersonen einerseits die umfassende fachgerechte  Kontrolle gewährleistet, andererseits das Risiko einer unsachlichen Einflussnahme auf ein individuelles Strafverfahren geradezu ausschließt, seine Garantiefunktion für ein der strengen Sachlichkeit verpflichtetes Strafverfahren. Die hierarchische Struktur der staatsanwaltschaftlichen Behörden stellt ein grundlegendes Prinzip des österreichischen Rechtsgefüges dar, ein Systembruch sollte nicht riskiert werden. Dieses Modell der StAK kann Beeinflussungsversuche nicht verhindern, lässt es aber auch nicht zu, unkontrollierbare Willkür in die Schranken zu weisen. Eine Zwischenkontrollinstanz auszuschalten und das Bundesministerium für Justiz auf die einseitige Rolle der Strafverfolgung einzuschränken (§ 5 Abs 5) entkleidet es seiner umfassenden Rechtsschutzfunktion.

Letztlich müssen Vorbehalte dagegen angemeldet werden, das dem BMI  unmittelbar unterstellte Büro für interne Angelegenheiten als für die Organisationsstruktur der Staatsanwaltschaft beispielgebenden Maßstab für die Effizienz weisungsfreier Aufklärungsarbeit heranzuziehen.

 

§ 3: Die mangelnde Praktikabilität einer bundesweit tätigen Behörde wird durch die generelle Zuständigkeit für nicht überwiegend mit Korruption im Zusammenhang stehende allgemeine Straftatbestände wie § 302 StGB, insbesondere auch § 153 StGB deutlich. Auch ohne statistisches Material ist anzumerken, dass allein die Vielzahl der angefochtenen, dem Obersten Gerichtshof und somit der Generalprokuratur zur Kenntnis gelangenden Schuldsprüche (somit unter Außerachtlassung nicht angefochtener Entscheidungen sowie der Einstellungen) wegen dieser strafbarer Handlungen von einer Staatsanwaltschaft mit drei – bzw unter Einbeziehung des Leiters sowie dessen Stellvertreters fünf – Personen der österreichweite Anfall nicht (inhaltlich umfassend) bewältigbar  erscheint. Demzufolge dürfte eine Abgabemöglichkeit vor Anklageerhebung nicht bloß auf bezirksgerichtliche Fälle beschränkt werden (Abs 4). Zu ressourcenverschwendender Doppelgleisigkeit führt jedoch die Abgabe nach Anklageerhebung (Abs 5), weil Einführungsvortrag bzw Plädoyer und Anträge des Staatsanwaltes im Erkenntnisverfahren, aber auch die Befragung des Angeklagten oder der Zeugen ein genaues Aktenstudium voraussetzen. Die alternativ vorgeschlagene Sondergruppenregelung ließe demgegenüber eine flexiblere Handhabung innerhalb der vier Schwerpunktstaatsanwaltschaften und eine direkte Anklagevertretung vor den jeweils räumlich näher gelegenen Gerichtshöfen erster Instanz zu.

Letztlich ist anzumerken, dass durch die in § 3 Abs 1 gewählte Begriffswahl der „strafbaren Handlung“ als Bezugspunkt für die Zuständigkeit im Bereich der Z 1 („Strafbare Verletzungen der Amtspflicht und verwandten strafbaren Handlungen gemäß dem 22. Abschnitt des Strafgesetzbuches“) entgegen den EB grundsätzlich nicht die Zuständigkeit für „Misshandlungsvorwürfe gegen Beamte“ bewirken kann. Die in diesem Zusammenhang angeführte Bestimmung des § 313 StGB ist – entgegen der für die Normqualität unbeachtlichen Überschrift „Strafbare Handlungen unter Ausnützung einer Amtsstellung“ – kein Straftatbestand (und somit keine „strafbare Handlung“), sondern eine bloß fakultativ anzuwendende Strafzumessungsvorschrift (Fabrizy, StPO9 § 313 Rz 2), sodass eine diesbezügliche Klarstellung erfolgen müsste („einschließlich uneigentlicher Amtsdelikte iSd § 313 StGB“)

 

§ 4: Die umfassende Kronzeugenregelung, die ein gebundenes Müssen des Rücktritts von der Verfolgung (Abs 1)  oder einer diversionellen Erledigung (Abs 2) in den bezeichneten, sehr weit formulierten Fällen (Abs 1 Z 1 – „Förderung der Aufklärung“) vorsieht,  ist abzulehnen. Es ist auch unter dem Aspekt einer effektiveren Korruptionsbekämpfung keineswegs angebracht, in systemwidriger Weise die Ausweitung der derzeit geltenden verwandten Regelung (§ 41a StGB „kleine Kronzeugenregelung“) in einem Organisationsgesetz – sohin als lex fugitiva – anzusiedeln und noch dazu ausschließlich an eine Staatsanwaltschaft zu binden.

Dieser Bereich ist im europäischen Rechtskreis als äußerst sensibel anzusehen: auf den derzeit in Deutschland vorliegenden Gesetzesentwurf einer neuen Kronzeugen-regelung kann hingewiesen werden, in welchem lediglich eine Strafminderung – die in Deutschland allerdings bis zum Entfall der Strafe führen kann – vorgesehen ist. Der mit jeder Kronzeugenregelung verbundenen Problematik einer verstärkten Falschbezichtigung wurde vorbeugend dadurch Rechnung getragen, dass die Strafdrohungen für das Vortäuschen einer Straftat oder für falsche Verdächtigung erhöht wurde (siehe http://www.bmj.de/files/-/2101/RegE%20 Kronzeugenregelung.pdf).

 

Der vorliegenden Entwurf sieht darüber hinausgehend vor (Abs 3), dass die StAK auf Antrag des Beschuldigten ein Vorgehen nach Abs 1 oder Abs 2 zuzusichern hat, „soweit die zur Verfügung gestellten Unterlagen und Informationen einen wesentlichen Beitrag für einen Ermittlungserfolg im Sinne von § 4 Abs 1 liefern“. Damit wird Abs 1 zu einem Strafausschließungsgrund erhoben, den das – im Fall einer dennoch erhobenen Anklage entscheidende – Gericht bei Nichteinhaltung dieser „Zusicherung“ – wenn die „Wesentlichkeit“ des Beitrages von der StAK verneint wird – wohl zu beachten hätte. Letztlich wird bei Unwesentlichkeit des Beitrages ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der der StAK erteilten Informationen statuiert, welches unter Nichtigkeitssanktion steht. Die Auswirkungen dieser Kronzeugenregelung auf das gerichtliche Verfahren sind – abgesehen von der mangelnden sachliche Rechtfertigung einer völligen Straflosigkeit des Kronzeugen – erheblich und unpraktikabel. Durch eine um die Korruptionsdelikte angereicherte Ausweitung des § 41a StGB können kooperative Angeklagte ausreichend honoriert werden.

 

§ 5:  Der Abs 5 ist mit der im Verfassungsrang stehenden Bestimmung der Weisungsfreiheit (§ 1 Abs 1 letzter Satz) unvereinbar. Aufträge zur sachlichen Erledigung erfolgen im Rahmen der Fachaufsicht und haben unzweifelhaft den Charakter einer Weisung im Sinne des Abschnitts V des StAG. Sachweisungen unterfallen nicht dem Bereich der Dienstaufsicht (Abschnitt VII des StAG).

 

Wien, am 30. August 2007
Der Leiter der Generalprokuratur:

Dr. Werner Pürstl eh.