An das

Bundesministerium für Justiz

Museumstrasse 7

1070 Wien

Innsbruck, 25.09.2007

 

 

 

Ministerialentwurf betreffend ein Bundesgesetz, mit dem die Rechtsanwaltsordnung, die Notariatsordnung, das Berufsprüfungs-Anrechnungsgesetz, das Disziplinarstatut für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter, das EuRAG, das Gerichtskommissärsgesetz, das Gerichtskommissionstarifgesetz, das Gerichtsorganisationsgesetz, das Notariatsaktsgesetz, das Notariatsprüfungsgesetz, das Rechtsanwaltsprüfungsgesetz, das Rechtsanwaltstarifgesetz, das Gebührenanspruchsgesetz 1975, das SDG und das Außerstreitgesetz geändert werden (Berufsrechts-Änderungsgesetz 2008 - BRÄG 2008)

 

 

Sehr geehrte Damen und Herren!

 

Die Österreichische Gesellschaft für Gerichtliche Medizin (ÖGGM) erstattet nach Diskussion im Vorstand, dem Vertreter aller österreichischen gerichtsmedizinischen Institute und der niedergelassenen gerichtsmedizinischen Sachverständigen angehören zum oben angeführten Ministerialentwurf (BRÄG 2008) folgende

 

 

 

Stellungnahme

 

 

 

Einleitende Bemerkungen

 

In den Artikeln VIII und IX des BRÄG 2008 werden Änderungen des Gebührenanspruchsgesetzes 1975 und des Sachverständigen- und Dolmetschergesetzes vorgeschlagen, die auch die medizinische und besonders gerichtsmedizinische Sachverständigentätigkeit betreffen.

Leider wird dabei die Chance für eine dringend notwendige Gesamtreform des Gebührenanspruchsrechts nicht genützt. Nach wie vor besteht eine Ungleichbehandlung medizinischer Sachverständiger, indem an der veralteten und die tatsächlichen Gegebenheiten nicht berücksichtigenden Aufzählung pauschalierter Leistungen für ärztliche und besonders gerichtsmedizinische Tätigkeiten fest gehalten wird.

 

Zur Beantwortung ein und derselben Fragestellung eines Gutachtens-auftrags sind die gerichtsmedizinisch notwendigen Aufwendungen höchst unterschiedlich, so dass die Abrechnung über pauschalierte Tarife den meisten Fällen nicht gerecht werden kann.

Es ist jedem bewusst, dass der Tarifsatz nach § 43 (1) Z 1b)

„Die Gebühr für Mühewaltung (…) für die Untersuchung samt Befund und Gutachten bei einer einfachen körperlichen Untersuchung mit eingehender Begründung des Gutachtens oder Einbeziehung eines oder mehrerer Nebengutachten oder bei einer besonders zeitaufwändigen körperlichen Untersuchung oder bei einer neurologischen oder psychiatrischen Untersuchung“

mit Euro 39,70 (seit 01.07.2007) nicht kostendeckend sein kann, wenn darunter z.B. die diffizile Untersuchung und Begutachtung eines Vergewaltigungsopfers oder eines komplex verletzten Fahrzeuginsassen mit der Fragestellung der Klärung der Sitzposition zum Unfallzeitpunkt verstanden wird.

 

Die Problematik beginnt bereits beim Aktenstudium, das nicht mathematisch über das Zählen von Seiten, Zeilen oder Buchstaben und Leerzeichen berechnet werden kann. Der Informationsgehalt ein und derselben Aktenseite liegt – abhängig von der Fragestellung – zwischen „nicht relevant“ und „höchst bedeutsam“. Nur ein zeitabhängiger Tarif kann den jeweiligen fallspezifischen Aufwand vernünftig abbilden.

 

Ein anderes evidentes Beispiel sind die Tarifsätze für Leichen-öffnungen. Fallabhängig ist der notwendige Aufwand zur Klärung unklarer Todesfälle extrem unterschiedlich. Auch im einfachsten Fall ist der Tarifsatz nach § 43(1) Z 2b in Höhe von Euro 130,90 für die Leichenöffnung einschließlich einer „eingehenden Begründung des Gutachtens“ keinesfalls der Mühewaltung des Sachverständigen entsprechend. Der durchschnittliche Zeitaufwand für eine Obduktion nach der StPO liegt zwischen zwei und drei Stunden.

Auch der in den Erläuterungen zum BRÄG2008 angeführte Hinweis „Sollte die Gebühr für Mühewaltung in einem Tarif keine hinreichende Deckung für bestimmte Fixkosten mehr bieten können, so wäre dies im Begutachtungsverfahren aufzuzeigen und an Hand geeigneter Rechnungsunterlagen nachzuweisen, …“

vermag diese Problematik nicht befriedigend und gerecht zu lösen.

Die Kosten, die im Zusammenhang mit einer Obduktion entstehen, sind einzelfallabhängig unterschiedlich und gliedern sich in

-         die eigentliche Mühewaltung der Sachverständigen, die auf Basis der autonomen Honorarrichtlinien der Österreichischen Ärztekammer abgegolten werden sollte (Stundensatz derzeit Euro 245,--, alternativ der Tarifsatz für ein komplexes Gutachten mit Euro 750,-- ohne Berücksichtigung eines durchaus zu diskutierenden allgemeinen Abschlags für die Strafrechtspflege analog zu § 34. (2)),

-         variable Kosten für Räume und Geräte (Benützung von Leichenhalle, Kühlzelle und Seziersaal, Histologie, Toxikologie, Spurenlabor, Instandhaltung der notwendigen Werkzeuge, ...),

-         Verbrauchsgüter (Wäsche, Desinfektionsmittel, Reagenzien, Lichtbilder, Büromaterial, Fotokopien, …) und

-         notwendiges Hilfspersonal.

 

Die fachlich geforderten Anforderungen an eine zeitgemäße Obduktions-räumlichkeit sind einzelfallabhängig höchst unterschiedlich und reichen von einfachen geheizten Räumen mit fließendem (Kalt)Wasser bis zu modern ausgestatteten Spezialräumlichkeiten mit der Möglichkeit von High-Tech-Untersuchungen (Operationsmikroskop, Mikroskop, post-mortales Röntgen,  Computertomographie- oder Kernspintomographie). Allein die Benützung eines Seziersaals für 2 bis 3 Stunden kann deshalb zwischen Euro 50 und Euro 500 ausmachen. Wollte man den Aufwand, der in anderen Paragrafen des GebAG keine direkte Deckung findet, in die Mühewaltungsgebühr integrieren, dann wären im Fall einer Obduktion zumindest Sätze zwischen Euro 350 und Euro 800 zur Mühewaltung des SV zu addieren.

 

 

Zu einzelnen Paragrafen

 

ad §1

Seitens der ÖGGM wird ausdrücklich begrüßt, dass durch die Formulierung „natürliche Personen“ unmissverständlich klar gestellt wird, dass eine Universitätseinheit für Gerichtliche Medizin nicht als Sachverständige infrage kommen und keinen Gebührenanspruch haben kann.

 

ad §25

Bei vielen Beauftragungen gerichtsmedizinischer Sachverständiger ist von vorne herein klar, dass die im Vorentwurf genannten Limits überschritten werden (z.B. Leichenöffnung, spurenkundliche Untersuchungen). In dringenden Fällen würde es durch die Ausfertigung und Übermittlung von Warnungen zu einer fachlich nicht vertretbaren Verzögerung bei der Aufnahme der Tätigkeiten kommen (typisches Beispiel: Tatort-besichtigung mit Todeszeitschätzung). Gerade im Strafverfahren darf die Wahrheitsfindung nicht von Höchstbeträgen abhängen, so dass diese Warnpflicht allenfalls für das Zivilrechtsverfahren gelten sollte. Alternativ könnte auch ergänzt werden: „sofern nicht für den Auftraggeber erfahrungsgemäß aufgrund wiederholter gleichartiger Aufträge evident ist, dass diese Limits überschritten werden“.

 

ad § 31

Die vorgeschlagene Formulierung mit der Einschränkung auf taxativ aufgezählte variable Kosten ist problematisch. In Abhängigkeit von der Entwicklung eines Spezialfachs können sich die fachlich international geforderten und mit einer Begutachtung verbundenen variablen Kosten rasch ändern. Grundsätzlich sind dem Sachverständigen alle Kosten, die ihm bei der Erfüllung seines Gutachtensauftrags entstehen, zu ersetzen, sodass folgende Formulierung vorgeschlagen werden darf:

§ 31 (1) Dem Sachverständigen sind alle mit der Erfüllung des jeweiligen Gutachtensauftrags notwendigerweise verbundenen variablen Kosten, nicht aber Fixkosten zu ersetzen. Dazu zählen beispielsweise: …

 

ad § 31 (1)

Ziffer 2: In diese Aufzählung sollten auch Wartungskosten (z.B. für Instrumente) aufgenommen werden.

 

Ziffer 3: die im Vorentwurf genannten Beträge sind nicht mehr aktuell (lt. aktuellem Zuschlag sind diese Gebühren seit 01.07.2007 im Allgemeinen 2,00 Euro und für jede Seite einer Durchschrift 0,60 Euro. Marktübliche Gebühren von Schreibbüros werden mit diesen Sätzen ohnehin weit unterschritten.

 

Ziffer 5: Bei der Aufzählung in der Klammer gehört nach „Kosten für Großräumlichkeiten“ aus Sicht der ÖGGM ergänzt: „ausgestattete Obduktionsräumlichkeit“. Diese Ergänzung ist notwendig, weil ein Obduktionsraum nicht unbedingt als Großräumlichkeit aufgefasst werden muss und dessen gebührenpflichtige Benützung ansonsten nicht ersatzfähig wäre. Kein in Österreich tätiger Sachverständiger für Gerichtliche Medizin besitzt analog zu einer Ordinationsräumlichkeit einen Seziersaal. Mit dem Adjektiv „ausgestattet“ bei Sektionssaal wären auch im Einzelfall notwendige Gerätschaften wie Operationsmikroskop, Stereolupe, Mikroskop oder Röntgengerät mit umfasst.

 


ad § 43

Im Sinne der Beachtung des verfassungsmäßigen Gleichheits-grundsatzes, der auch für Sachverständige verschiedener Fachrichtungen gelten muss, sollten die Tarife nach § 43 (1) Z 1 bis 4 idealerweise ersatzlos entfallen und durch eine zeitabhängige Entlohnung des Sachverständigen ersetzt werden, wie sie nach § 34 (3) für die meisten nicht-medizinischen Sachverständigen vorgesehen ist.

Grundsätzlich besteht Einvernehmen darüber, dass standardisierbare Leistungen auch mit festen Tarifsätzen abgegolten werden können. Diese müssten regelmäßig valorisiert werden. Als geeignetes Beispiel dafür sind etwa die histologischen Untersuchungen (§ 43 (1) Z 5b) anzuführen.

 

Die Frage der Pauschalleistungstarife wurde zuletzt auch von Krammer („Der Sachverständige“ Heft 1, 2007) diskutiert, der sich Pauschal-leistungstarife für Ärzte, die in Sozialrechtssachen tätig sind und für gerichtsmedizinische Leistungen vorstellen kann. Dem letzten Punkt muss aus fachlicher Sicht seitens der ÖGGM entschieden entgegen getreten werden: gerade gerichtsmedizinische ärztliche Leistungen können mit pauschalen Tarifen nicht gerecht abgegolten werden, weil der mit einer Begutachtung verbundene Aufwand auch bei identischer Fragestellung höchst unterschiedlich ist. Die einzige Möglichkeit einer gerechten Entlohnung besteht in einem Zeittarif auf Basis der autonomen Honorarrichtlinien der Österreichischen Ärzte-kammer unter allfälliger Berücksichtigung eines Abschlags für die Rechtspflege.

 

In gleicher Weise sollten auch Aktengutachten nach dem zeitlichen Aufwand honoriert werden.

 

 

Mit der Bitte um Berücksichtigung in Ihrem Prozess zur Entscheidungsfindung und mit freundlichen Grüßen

 

 

A.Univ.Prof. Dr. Walter Rabl

Präsident der ÖGGM

Institut für Gerichtliche Medizin

Medizinische Universität Innsbruck

Müllerstrasse 44

A-6020 Innsbruck