Bundesministerium für Unterricht,

Kunst und Kultur

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Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem das Schulorganisations-

gesetz geändert wird, Ressortstellungnahme

 

 

 

Das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung nimmt zu dem mit dem unten angeführten Schreiben vom 4. September 2007 zur Begutachtung ausgesandten Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem das Schulorganisationsgesetz geändert wird, wie folgt Stellung:

 

 

Aus Sicht des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung steht bei jeglicher Schulreform die Sicherstellung der Studierfähigkeit der Maturantinnen und Maturanten im Vordergrund. Die derzeit hohen Raten von Studienwechslerinnen und Studienwechslern bzw. Studienabbrecherinnen und Studienabbrechern zeigen, dass es notwendig ist, die Unterstützung bei der Studienwahl und beim Studienbeginn zu verbessern.

 

Im vorliegenden Entwurf geht es offenbar um die gesetzliche Schaffung eines neuen Schultyps -neben Hauptschule und Gymnasium – nämlich um die Errichtung einer sogenannten „Neuen Mittelschule“. Das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung weist darauf hin, dass in der Tradition der österreichischen Schulentwicklung derartig gravierende Änderungen wie der vorliegende Begutachtungsentwurf immer durch meistens langjährige Schulversuche erprobt und vorbereitet wurden. Es ist zwar richtig, dass quantitativ auf Grund der derzeitigen Rechtslage kein Platz mehr für einen Schulversuch dieser Größenordnung gegeben wäre, der Gesetzgeber könnte aber die diesbezüglichen einengenden Bestimmungen für dieses Vorhaben im §7 SchOG durchaus ändern und hätte damit die Möglichkeit, das Vorhaben tatsächlich als Schulversuch zu erproben, parallel dazu wissenschaftlich zu begleiten und eine Berichtspflicht an den Nationalrat vorsehen. Notwendig wäre es dazu allerdings, von Seiten des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur konkrete Vorgaben über die Inhalte des im Begutachtungsentwurf lediglich skizzierten neuen Schultyps vorzulegen, da der genannte Entwurf lediglich die Organisationshülle für ein Modell vorschlägt, alle weiteren wichtigen Kriterien jedoch unerwähnt


und ungeregelt bleiben: Für Inhalte, Personalplanung, Ressourcenzuteilung oder ähnliches gibt es keine konkreten Vorgaben und damit keine Indikationen, ob und was sich qualitativ in der Schulausbildung der 10 -14jährigen verbessern soll. Weiters sind keine Evaluierungen der Ergebnisse vorgesehen, die wissenschaftlichen Kriterien entsprechen.

 

Mit der derzeit vom Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur gewählten Vorgangsweise sind große Bedenken verbunden:

 

1.    Schulpartnerschaft muss als wichtige Säule der österreichischen Schullandschaft     gestärkt werden:

       Partizipation und subsidiäre Mitbestimmung sind tragende Elemente im österreichischen      Bildungswesen. Weiterentwicklungen wurden damit immer mit den Betroffenen vor Ort auf             eine möglichst breite Basis gestellt. Der vorliegende Entwurf geht jedoch von einer Antrag-           stellung durch die Landesschulräte aus und verweist auf die Kollegien - deren Abschaffung         bei den Diskussionen um die Staatsreform gefordert wurde -, die bekanntlich nach den        Stärkeverhältnissen der politischen Parteien im Landtag zusammengesetzt sind. Eltern- und          Lehrer/innenvertreter/innen sind lediglich in verschwindender Anzahl, Schü-       ler/innenvertreter/innen nur ohne Stimm recht teilnahmeberechtigt an diesen Sitzungen. Hier             entscheiden politische Funktionäre über Modellregionen, aber nicht die Betroffenen. Initiati- ven sollten aber unbedingt aus der Region sowie aus der Schule selbst kommen. Durch die           Einbeziehung mehrerer Standorte (Modellregionen) wird Eltern vermutlich auch jede alter-   native Wahlmöglichkeit genommen. Darüber hinaus ist im gegenständlichen Begutach-         tungsentwurf nur von einer in einer „zumutbaren Entfernung“ liegenden Hauptschule die   Rede. Über AHS-Unterstufen-Standorte ist also gar keine Regelung getroffen, der Begriff      „zumutbare Entfernung“ ist überdies höchst dehnbar und muss genauer definiert werden.    Aus Sicht des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung sind diese Textstellen             ebenfalls ein Indiz dafür, dass die Wahlfreiheit für die Eltern in betroffenen Modellregionen     nicht gewährleistet werden kann.

 

       Die Schwerpunktsetzung in der Schulentwicklung hat die Schulautonomie und die Profil-       entwicklung bis hin zur Entwicklung von Schwerpunktschulen gefördert. Viele Hauptschulen    haben sich zu erfolgreichen und gefragten „Sonderformen“ ausdifferenziert. Die im Entwurf            geplante Vorgangsweise missachtet diese Entwicklung, weil er gegen eine demokratische      Mitbestimmung der betroffenen Schulpartner ist.

 

2.    Innere Differenzierung – innere Organisation:

       Die im Begutachtungsentwurf enthaltenen Vorstellungen zur Leistungsdifferenzierung se-     hen durch die Abschaffung der Leistungsgruppen einen Eingriff in die pädagogische Freiheit            und Vielfalt vor. In definierten Bereichen haben Leistungsgruppen mit äußerer Differenzie-    rung ihre Berechtigung. Wesentlich ist jedoch, Leistungsgruppen als die Förderinstrumente       zu begreifen, die sie sind: Geschaffen, um durch intensive Förderung und das Erreichen      von Erfolgen Schüler/innen die Möglichkeit zu geben, alsbald in eine höhere Leistungsgrup-       pe aufzusteigen. Die Erfahrungen mit HS-Versuchen und der Schulintegration (siehe etwa    auch ZSE-Report Nr. 60) belegen ausreichend, dass es unsinnig ist, verschiedene Schü-      ler/innen krampfhaft gleich zu behandeln: Signifikante Unterschiede zeigen sich weder im        Leistungsniveau, noch in der Zufriedenheit der betroffenen Schüler/innen.

 

 

 

       Zudem gibt das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung zu bedenken, dass die            Wortfolge des § 129a Abs.1 „je nach Interesse, Neigung, Begabung und Fähigkeit“ bei di-      rekter Umsetzung des Gesetzestextes wohl zu einer „Schule der Beliebigkeit“ führen würde,            was nicht im Interesse des Gesetzgebers sowie des Bundesministeriums für Unterricht,         Kunst und Kultur liegen kann. Ohne sich mit der umfassenden Einführung von Standards    auseinanderzusetzen, an denen gemessen die Erreichung des Lehrzieles zu beurteilen sein        wird, macht eine solche Regelung keinen Sinn. Das gleiche gilt für die analoge Regelung im             § 129b Abs.1. Auch der in den genannten Paragraphen verwendete Begriff „Orientierungs-           rahmen“ im Zusammenhang mit dem anzuwendenden Lehrplan ergibt nur im Zusammen- halt mit Standards, deren Implementierung sowie Neuschaffung noch immer ausständig ist,          einen Sinn.

 

3.    Zeitorganisation:

       Hier greift der Entwurf zu kurz. Aus fachlicher und rechtlicher Sicht besteht kein Grund, eine             weitergehende Selbstständigkeit in der Zeitorganisation von Unterricht, der auch Blockun-  terricht, Teilungen in eine Vortrags- und einen Übungsteil u.ä. ermöglicht, nicht in das Re-           gelschulwesen einzuführen. Gerade für die Vorbereitung auf einen selbstorganisierte            Lernprozess mit unterschiedlichen Zeitperioden, wie er im Rahmen von Studien erforderlich          ist, wären flexiblere Gestaltungsmöglichkeiten als Vorbereitung auf die weiteren Bildungs- wege zweckmäßig. Sinnvoll wäre es aus Sicht des Bundesministeriums für Wissenschaft           und Forschung, die Entscheidung über die Zeitorganisation in die Autonomie der Schule   und der Schulpartner zu übertragen.

 

4.    Verfassungskonformität:

       Aus Sicht des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung ist zu überprüfen, ob   die vorgesehenen Regelungen über die Modellregion verfassungskonform sind. Bedenklich    erscheint, ob die vorgesehene Regelung dem verfassungsrechtlichen Auftrag einer „ange-     messenen Differenzierung“ entspricht (Art. 14 Abs 6a B-VG); siehe auch „Das österreichi-  sche Schulrecht“, Jonak-Kövesi, Art. 14 Abs 10, FN 7).

 

       Weiters stellt sich die Frage, ob eine so weitgehende Verordnungsermächtigung, die prak-   tisch alle Entscheidungen über die örtliche Ausdehnung der Region, die Inhalte der Modelle       in den Regionen, die Zuteilung von Lehrkräften usw. in die Hand der Verwaltung legt, noch             den Erfordernissen des Art. 18 B-VG entspricht, wonach eine Verordnung durch die gesetz-   liche Grundlage hinreichend bestimmt oder zumindest bestimmbar sein muss.

 

       Dies ist insbesondere für die Validität der Zeugnisse und die Rechtsgültigkeit der damit er-    worbenen oder eben möglicherweise nicht erworbenen Zugangsberechtigungen zu weite- ren Bildungseinrichtungen von Bedeutung. Durch den vorliegenden Entwurf besteht die Ge-         fahr, dass er, für den Fall, dass er verfassungswidrig ist, dies erst im Zuge der Klärung von      Aufnahmen von Schüler/innen in weiterführende Schulen oder auch bei der Aufnahme in    Fachhochschulen oder Universitäten rechtlich endgültig geklärt wird. Damit wäre eine Klä-       rung der Rechtslage durch Entscheidungen der Höchstgerichte unter Umständen erst          Jahre nachdem die ersten Schüler/innen Schulen der Modellregion besucht haben, zu er-        warten. Sollte sich dabei ergeben, dass die Regelung verfassungswidrig ist, so ergäbe         sich daraus für die Schüler/innen ein nicht wieder gut zu machender Nachteil in ihrem Bil- dungs- und Lebensweg.

 

 

       Zudem erscheint eine Umsetzung von Modellregionen problematisch dahingehend, dass      mit Ausnahme gewisser Ballungszentren in der Praxis „öffentliche Hauptschulen in erforder-        licher Anzahl und zumutbarer Entfernung zur Modellregion“ nicht vorhanden sein werden.             Eine Regelung über die Möglichkeit zum Besuch einer gymnasialen Unterstufe fehlt gänz-       lich. Eine Modellregion muss definitionsgemäß sicher einen bestimmt abgegrenzten geo-      graphischen Bereich umfassen, in dem dann nur die Neue Mittelschule angeboten wird –        man braucht sich nur die geographische Situation, die Verkehrsverhältnisse und die Stand-  ortverteilung der Hauptschulen und der AHS-Unterstufen in weiten Teilen Österreichs vor-   zustellen, um die Schwierigkeit einer rechtskonformen Einrichtung von Modellregionen zu            erkennen. Ebenso erhebt sich wie oben angeführt die Frage, ob nicht in gleicher Weise in   zumutbarer Entfernung zur Modellregion auch eine AHS-Unterstufe derzeitiger Prägung          vorhanden sein muss, denn ein Fehlen wäre genauso verfassungswidrig wie das Fehlen             einer Hauptschule.

 

Conclusio:

Das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung erhebt zahlreiche Einwände gegen den gegenständlichen Gesetzesentwurf. Das vorgelegte Modell ist in seiner Gesamtheit weder ausreichend inhaltlich bestimmt, noch liegen Evaluierungsergebnisse bisheriger Schulversuche auf der Sekundarstufe I vor, die eine gesetzliche Implementierung eines neuen Schultyps „Neue Mittelschule“ nahe legen. Für die Kinder und ihre Eltern wird eine nicht zumutbare Rechtsunsicherheit geschaffen. Daher wird vorgeschlagen, an Stelle des vorliegenden Begutachtungsentwurfes die im Regierungsübereinkommen festgelegte Evaluierung der bisherigen Schulversuche dringend vorzunehmen und die Ergebnisse abzuwarten sowie die ebenfalls vorgesehene Expertenkommission mit der Frage inhaltlicher Modelle zu befassen. Währenddessen sollten Beratungen über eine Abänderung des § 7 SchOG aufgenommen werden, um auch in der Zwischenzeit von den Schulen eingebrachte Modellentwürfe erproben zu können.

 

 

Ein Exemplar dieser Stellungnahme wird dem Präsidium des Nationalrates in elektronischer Form zur Verfügung gestellt.

 

 

Wien, 9. Oktober 2007

Für den Bundesminister:

Dr. Iris Hornig

 

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