UNIVERSITÄT INNSBRUCK

RECHTSWISSENSCHAFTLICHE FAKULTÄT

INSTITUT FÜR STRAFRECHT, STRAFPROZESSRECHT UND

KRIMINOLOGIE

A-6020 Innsbruck, Innrain 52

o. Univ.Prof. Dr. Christian Bertel

o. Univ.-Prof. Dr. Klaus Schwaighofer

ao. Univ.-Prof. Dr. Andreas Venier

 

Innsbruck, am 04.10.2007

 

 

Stellungnahme zum

Entwurf einer SMG-Novelle 2007

(BMJ-L703.040/0007-II 2/2007)

 

 

I. § 24a ist in dieser Fassung abzulehnen. Wirkliche und potentielle Drogentäter (§ 24a) und nun auch Substitutionspatienten (§ 24b) werden in Österreich überwacht wie Staatsverbrecher in der ehemaligen DDR. Besonders bedauerlich ist, dass in das Suchtmittelregister auch Anzeigen eingetragen werden, die dem Staatsanwalt zur Erhebung einer Anklage nicht genügen (§ 24 Abs 1 Z 1 – 3). Da die Gerichte Zugriff auf das Suchtmittelregister haben (§ 26 Abs 1), werden dem Angeklagten in der Hauptverhandlung Anzeigen vorgehalten, die bis zu 5 Jahre zurückliegen können (§ 25 Abs 6). Wenn er sich dazu nicht befriedigend äußern kann oder will, macht das auf das Gericht einen miserablen Eindruck. Der Angeklagte muss wohl damit rechnen, diesmal verurteilt zu werden.

 

II. § 24b ist abzulehnen. Substitutionspatienten begeben sich idR freiwillig oder auf Veranlassung eines Angehörigen in die Behandlung. Nun will sie das Gesundheitsministerium wie Drogentäter in einem besonderen Register registrieren. Angeblich will das Ministerium verhindern, dass sich Patienten von mehreren Ärzten behandeln und Substitutionsmittel verschreiben lassen. Darauf hat bisher der Amtsarzt bei der Vidierung der Rezepte geachtet. Wie viele Fälle bisher entdeckt wurden, in denen die Kontrolle durch den Amtsarzt nicht ausreichte, sagen die Erläuterungen nicht. Anscheinend handelt es sich um eine bloße Befürchtung des Ministeriums, es könnte solche Fälle geben.

Erstaunlich ist, was das Gesundheitsministerium alles wissen will. Nicht nur der Name des Patienten, Geburtsdatum und Geburtsort müssen gemeldet und registriert werden, sondern auch akademischer Grad, Titel, Beruf, Wohnsitz und Details der Behandlung (zB § 24b Abs 1 Z 1, 4 – 7). Das alles soll notwendig sein, um Doppelbehandlungen zu verhindern? Auch die Stasi sammelte Daten, die für den vorgeblichen Zweck nicht nötig waren.

 

III. Die §§ 27, 28 und 28a bieten einige erfreuliche Ansätze. Erfreulich ist, dass der neue § 27 den Erwerb und Besitz von Suchtgift zum eigenen Gebrauch von anderen, strafwürdigeren Verhaltensweisen unterscheiden will; erfreulich ist, dass die neuen §§ 28 und 28a ohne den fragwürdigen Begriff der Gewerbsmäßigkeit  auskommen; und erfreulich ist auch der Entfall des unbestimmten Artikels „ein“ in § 28, womit die verwegene These von Ratz, es handle sich dabei um ein Zahlwort, vom Tisch ist (siehe Schwaighofer, AnwBl 2003, 597, Schmoller, Burgstaller-FS 133).

Aber der Entw setzt die positiven Ansätze in unzweckmäßiger und widersprüchlicher Weise um (vgl die Bemerkungen zu § 27). Vor allem aber macht der Entw einen schweren Fehler: Der Rahmenbeschluss (RB) verlangt für Drogendelikte strenge Strafen (Art 4); so setzt der Entw die Strafsätze des SMG hinauf. Aber der RB nimmt Drogendelikte, welche die Täter „ausschließlich für ihren persönlichen Konsum im Sinn des nationalen Rechts“ begehen, vom Anwendungsbereich dieser strengen Strafsätze aus (Art 2 Abs 2). Dahinter steht die Überzeugung, dass strenge Strafen insbesondere für Drogenabhängige, die zur Deckung des Eigenbedarfs mit Drogen handeln, nicht sinnvoll sind. Diesen Gedanken setzt der Entw nicht um. Er setzt die Strafsätze für Drogenabhängige zwar etwas herab, aber der neue § 28a wird doch zur Folge haben, dass die Rechtsprechung Drogenabhängige so gut wie immer mit Freiheitsstrafe bis zu 3, idR sogar bis zu 5 Jahren bestrafen wird (vgl die Bemerkungen zu den §§ 28, 28a). Diese Strafen sind viel zu hoch. Man sollte bedenken, dass die Mängel des Suchtmittelstrafrechts einer der Hauptgründe für die Überfüllung der österreichischen Justizanstalten sind.

 

1.    § 27 ist in der vorliegenden Fassung denkbar unzweckmäßig. Die Verhaltensweisen des Abs 1 und die des Abs 2 lassen sich praktisch nicht trennen. Suchtgift kann man kaum erwerben und besitzen, ohne es nicht auch zu befördern. Wer am Bahnhof Suchtgift kauft und dann mit der Straßenbahn nach Hause fährt oder nach Hause geht, „befördert“ Suchtgift und ist damit nach Abs 2 strafbar. Um Suchtgift nur  zu erwerben und zu besitzen, müsste es der Täter dort, wo er es erworben hat, gleich auch konsumieren. Abs 1 wird in der vorliegenden Fassung nur sehr selten angewendet werden.

Überdies enthält der vorgeschlagene § 27 Wertungswidersprüche. Warum soll der Erwerb und Besitz von Haschisch zum eigenen Gebrauch mit Freiheitsstrafe bis zu 6 Monaten, die Aufzucht einer Cannabisstaude zum selben Zweck aber mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bestraft werden?

Es wird nicht verkannt, dass der RB für den Anbau von Cannabis eine Mindesthöchststrafe von einem Jahr verlangt. Aber besser wäre es, den Abs 2 in einen Abs 1 zu verwandeln und in einem Abs 2 vorzusehen, dass die Täter unter einen geringeren Strafsatz fallen, wenn sie die Verhaltensweisen des Abs 1 nur für ihren persönlichen Konsum begehen. Wichtig ist der Plural „die Täter“. Die Teilnahme an einer gemeinsamen Haschischparty, bei der mehrere Täter zum gemeinsamen Konsum beitragen, sollte unter die Privilegierung fallen. Art 2 Abs 2 RB legt diese Lösung nahe.

 

2.    Der Entw widerspricht sich selbst, wenn er in den §§ 28, 28a den fragwürdigen Begriff der Gewerbsmäßigkeit bewusst und mit Recht vermeidet, ihn im § 27 Abs 3 dann aber doch verwendet. § 27 Abs 3 ist außerdem ganz entbehrlich. Die meisten Täter des Abs 3 sind an Suchtmittel gewöhnt und fallen dann nach Abs 5 doch wieder nur unter den milderen Strafsatz des Abs 2.

 

3.    Die §§ 28 und 28a sind in der vorliegenden Fassung abzulehnen. Auszugehen ist von der Erfahrung, dass der durchschnittliche Tagesbedarf eines Heroinabhängigen 1,5 g beträgt und dass der Großteil der Heroinabhängigen mit Heroin handelt und fast alle Drogenhändler süchtig sind.

Die gegenwärtige Grenzmenge (vgl § 28b) für Heroin von 3 g ist lächerlich gering, gerade der doppelte Tagesbedarf. Der Heroinabhängige, der 3 Tagesrationen kauft und in der Tasche nach Hause trägt, befördert Suchtgift in einer die Grenzmenge übersteigenden Menge (§ 28a Abs 1) und ist in Anbetracht seiner Abhängigkeit nach § 28a Abs 3 mit Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren zu bestrafen. Das ist nicht viel besser als das geltende Recht und überdies Unsinn. Kein Heroinabhängiger lässt sich durch die Androhung strenger Strafen vom Kleinhandel mit Heroin abhalten. Der RB macht das nicht notwendig. Er verlangt die Ausweitung der Ausführungshandlung auf das Befördern, nimmt aber das Befördern zum persönlichen Konsum von seinem Anwendungsgebiet aus (Art 2 Abs 2) und überlässt die Bestimmung der „großen Menge“ den einzelnen Staaten. Der übermäßig hohe Strafsatz des § 28a Abs 3 kann und sollte kräftig herabgesetzt werden.

 

4.    Die große Menge des § 28a Abs 2 ist das 15-fache der Grenzmenge, also der Monatsbedarf eines Heroinabhängigen. Wer eine solche Menge einem anderen bei ein und derselben Gelegenheit überlässt usw, verdient sicher eine empfindliche Strafe, selbst wenn er selbst abhängig ist. Dass aber Heroinabhängige, denen es gelingt, einige Zeit unentdeckt zu bleiben, nach und nach mehr als einen Monatsbedarf  verhandeln, ist eine normale Begleiterscheinung ihrer Abhängigkeit. Es ist kriminalpolitisch weder notwendig noch sinnvoll und durch den RB nicht geboten, Heroinabhängige in diesen alltäglichen Fällen mit Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren zu bedrohen (Abs 3). Der Entw muss Farbe bekennen: Ist die „große Menge“ eine durch ein und dieselbe Tat beförderte usw Menge, wie es das Schrifttum schon lange verlangt (siehe EB)? Oder befördert usw der Täter auch dann eine große Menge, wenn er im Verlauf von Monaten oder Jahren immer wieder kleine Mengen befördert usw, die insgesamt irgendwann einmal eine große Menge ergeben, wie die Rechtsprechung meint? Die Novelle sollte sich klar und deutlich gegen die Zusammenrechnung aussprechen. Wenn der Entw den dafür notwendigen Mut nicht aufbringt, wird sich an den Missständen in der Praxis nicht viel ändern.

Dieselben Bedenken ergeben sich im Übrigen auch für § 28. Auch dort sollte sich der Entw entschieden gegen die Zusammenrechnung aussprechen.

 

IV. Im Entw fehlt für den Staatsanwalt die Möglichkeit, das Verfahren wegen Geringfügigkeit einzustellen. Nach § 191 StPRefG kann der Staatsanwalt ein Strafverfahren wegen Geringfügigkeit einstellen. Man sollte endlich zur Einsicht kommen, dass es auch im Anwendungsbereich des SMG Fälle gibt, in denen eine staatliche Reaktion, auch wenn sie nur in einem „vorläufigen Rücktritt von der Verfolgung“ (§ 35 SMG) besteht, überzogen ist. Der soziale Störwert eines Ladendiebstahls ist sicher größer als der eines einmaligen Haschischkonsums.

Der Staatsanwalt sollte in den Fällen des § 35 Abs 4 das Verfahren ohne weitere Reaktion (ohne Probezeit, ohne gesundheitsbezogene Maßnahme usw) wegen Geringfügigkeit einstellen, wenn der Täter sozial integriert ist und innerhalb der letzten 12 Monate kein Strafverfahren wegen einer nach den §§ 27-31a strafbaren Handlung gegen ihn geführt wurde. Die Frist von 5 Jahren im gegenwärtigen § 35 Abs 4 ist übermäßig lang. Der Konsum von Haschisch durch einen sozial integrierten Täter ist geringfügig, auch wenn er vor 2 oder 3 Jahren schon einmal Haschisch konsumiert hat.

 

 

         o. Univ.-Prof. Dr. Christian Bertel eh.

         o. Univ.-Prof. Dr. Klaus Schwaighofer eh.

         ao. Univ.-Prof. Dr. Andreas Venier eh.