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Jugendwohlfahrtsgesetz-Novelle 2008; Stellungnahme

Geschäftszahl

Innsbruck,

Präs.II-493/538
23.10.2007

 

 

Zu Zl. BMGFJ-421600/0016-II/2/2007 vom 13.09.2007

 

Zum angeführten Gesetzentwurf wird folgende Stellungnahme abgegeben:

 

Allgemeines:

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes haben sich Grundsatzgesetze auf die Aufstellung von Grundsätzen zu beschränken und dürfen über diese im Art. 12 B-VG gezogene Grenze hinaus nicht Einzelregelungen treffen (Verbot der Überdeterminierung, vgl. z.B. VfSlg. 16.058/2000). Diesen Anforderungen werden die im Entwurf vorgesehenen Grundsatzbestimmungen nur teilweise gerecht. Dies gilt insbesondere für die Bestimmung des Art. I Z. 1 (§ 7a).

Zu Art. I Z. 1 (§ 7a):

Während im Abs. 1 hinsichtlich der „Verwendung“ von Daten (zur Begrifflichkeit siehe gleich im Folgenden) detaillierte Regelungen getroffen werden, werden im Abs. 2 und (teilweise) im Abs. 3 die näheren Regelungen über die Übermittlung und Aufbewahrung von Daten dem Ausführungsgesetzgeber überlassen. Es ist kein Grund erkennbar, warum die Länder als Ausführungsgesetzgeber gerade (nur) die Übermittlung und Aufbewahrung von Daten näher regeln können sollen, nicht aber allgemein deren Verarbeitung.

Allgemein wird angeregt, in den Datenschutzbestimmungen nicht die Datenfelder, sondern die einzelnen Datenarten (z.B. Identifikationsdaten, Adressdaten) zu bezeichnen. Durch die Verwendung systematischer Überbegriffe für inhaltlich zusammenhängende Datenfelder würde insbesondere auch dem Umstand Rechnung getragen, dass das Jugendwohlfahrtsrecht als dynamisches Rechtsgebiet einem stetigen Wandel unterliegt. Demgegenüber könnte die im Entwurf vorgesehene Regelungstechnik wiederholte Novellierungen der Datenschutzbestimmungen (und in der Folge auch der jeweiligen Bestimmungen in den Ausführungsgesetzen) erforderlich machen, wenn künftig ein Bedarf nach der Verwendung dort (noch) nicht genannter Daten entsteht, was im Hinblick auf den zunehmenden EDV-Einsatz in der Verwaltung wahrscheinlich ist. Zudem würde eine Bezeichnung von Datenarten dem Charakter des § 7a als einer Grundsatzbestimmung besser gerecht werden.

Zu den einzelnen im § 7a vorgesehenen Bestimmungen wird Folgendes angemerkt:

-       § 7a Abs. 1 sieht vor, dass der Jugendwohlfahrtsträger ermächtigt ist, bestimmte Daten „zu verwenden“ (Gleiches gilt für § 37a Abs. 1). Unter dem Überbegriff der Verwendung von Daten versteht man sowohl ihre Verarbeitung als auch ihre Übermittlung. Gesetzesbestimmungen haben daher üblicherweise die  Überschrift „Verwendung personenbezogener Daten“ oder wie gegenständlich „Datenverwendung“ und unterscheiden in der Folge strukturell zwischen der Verarbeitung und der Übermittlung von Daten. Es wird daher – auch im Hinblick auf § 7a Abs. 2 und § 37a Abs. 2, die jeweils die „Übertragung“ bestimmter Daten regeln – angeregt, im § 7a Abs. 1 (und § 37a Abs. 1) die Formulierung „zu verwenden" jeweils durch die Formulierung „zu verarbeiten“ zu ersetzen. Dies würde auch der gebräuchlichen und vom Bundesgesetzgeber im DSG 2000 vorgesehenen Systematik entsprechen.

-       Der erste Satz des § 7a Abs. 1 ist insgesamt schwer verständlich und hinsichtlich des genauen Regelungsinhaltes unklar. Zum einen werden drei Gruppen von Betroffenen, und zwar

a)     Personen, die Leistungen im Rahmen sozialer Dienste und der Gewährung von Unterstützung der Erziehung oder voller Erziehung erbringen,

b)     Pflegeltern, Pflegepersonen, Tagesmütter, Tagesväter, Tagesbetreuungseinrichtungen, Jugenderholungsheime, und

c)     Angehörige der Bewilligungswerber

bezeichnet, zum anderen zwei – inhaltlich zum Teil überlappende – Gruppen von Verarbeitungszwecken beschrieben. Es bleibt allerdings zum Teil unklar, für welche der genannten Personengruppen welche Verarbeitungszwecke gelten sollen. Während sich die durch die Bindestriche abgegrenzten Verarbeitungszwecke offensichtlich nur auf die unter c) genannte Personengruppe beziehen dürften, würde die Systematik des ersten Satzes dies auch für die am Satzende stehenden Verarbeitungszwecke vermuten lassen. Von diesen dürften aber die Verarbeitungszwecke der Planung, Forschung, Leistungserbringung und Leistungsabrechnung für Angehörige von Bewilligungswerbern (Personengruppe c) gar nicht relevant sein, sodass daraus zu schließen ist, dass man diese (zumindest auch) auf die unter a) und b) genannten Personengruppen beziehen muss. Es wird daher angeregt, den ersten Satz des § 7a Abs. 1 dahingehend zu überarbeiten, dass aus der Bestimmung sprachlich und systematisch eine klare Zuordnung der einzelnen Verarbeitungszwecke zu den betroffenen Personengruppen erschließbar ist.

Darüber hinaus heißt es im ersten Teil des § 7a Abs. 1 zunächst: „Der Jugendwohlfahrtsträger ist ermächtigt, folgende Daten....“ [zu verwenden]. Etwas weiter im Text folgt der Passus „die Daten von Angehörigen...“ [zu verwenden], wobei hier das  Adjektiv „folgende“ fehlt. Es bleibt daher unklar, welche Daten der Jugendwohlfahrtsträger bezüglich des Personenkreises der Angehörigen von Bewilligungswerbern verarbeiten darf. Sollten die in den nachstehenden Ziffern bezeichneten Daten gemeint sein, so wird angeregt, dies durch die Formulierung „folgende Daten von Angehörigen....“ klarzustellen.

-       Für den Fall, dass trotz des Charakters des § 7a als Grundsatzbestimmung (siehe oben) die Detailregelungen des Abs. 1 beibehalten werden, wird weiters angeregt, in der Aufzählung der Datenarten im § 7a Abs. 1 Z. 1 bis 4 sicherzustellen, dass auch alle mit dem Beschäftigungsverhältnis in unmittelbarem Zusammenhang stehenden personenbezogenen Daten von Mitarbeitern in Einrichtungen der privaten Jugendwohlfahrt verarbeitet werden dürfen. Weiters fehlt in der Aufzählung die ZVR-Zahl, obwohl die Erläuterungen ausdrücklich darauf Bezug nehmen. Sollte die Absicht bestehen, im § 7a Abs. 1 den Jugendwohlfahrtsträger auch zur Verarbeitung der ZVR-Zahl zu ermächtigen, so wäre der Gesetzestext entsprechen zu ergänzen.

-       Es wird angeregt, im zweiten Satz des § 7a Abs. 2 in Übereinstimmung mit der Terminologie des Datenschutzgesetzes 2000 statt „Übertragung“ den Begriff „Überlassung“ zu verwenden.

Zu Art. I Z. 5 (§ 9):

Die im § 9 Abs. 1 vorgesehene Neuregelung der Verschwiegenheitspflicht begegnet im Hinblick auf die Regelung der Amtsverschwiegenheit im Art. 20 Abs. 3 B-VG (dieser gilt aufgrund des dortigen funktionellen Organbegriffs für alle mit Aufgaben der öffentlichen Jugendwohlfahrt betrauten Personen) grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Einerseits dürfte es nämlich nicht ohne Weiteres zulässig sein, bei der näheren gesetzlichen Ausgestaltung der Amtsverschwiegenheit von der im Art. 20 Abs. 3 B-VG vorgesehenen Interessenabwägung abzuweichen bzw. eine gänzlich andere Form der Interessenabwägung vorzusehen. Während nämlich nach Art. 20 Abs. 3 B-VG die Verpflichtung zur Amtsverschwiegenheit besteht, soweit bestimmte Geheimhaltungsinteressen vorliegen, soll eine Verschwiegenheitspflicht nach § 9 Abs. 1 des Entwurfs gegeben sein, „sofern die Offenbarung nicht im Interesse des Minderjährigen liegt“. Insbesondere berechtigte Interessen dritter Personen wären danach im Rahmen der Interessenabwägung überhaupt nicht zu berücksichtigen. Auch ist nach § 9 Abs. 1 nicht – wie verfassungsrechtlich vorgegeben – primär danach zu fragen, ob eine Geheimhaltung aufgrund bestimmter Interessen erforderlich ist, sondern vielmehr, ob eine Offenbarung von Tatsachen im Interesse der Minderjährigen liegt. Soweit ausgehend davon eine Offenbarung auch ungeachtet bestehender Geheimhaltungsinteressen (z.B. dritter Personen) zulässig wäre, steht § 9 Abs. 1 in einem Spannungsverhältnis zu Art. 20 Abs. 3 B-VG.
Andererseits darf nach ständiger Rechtsprechung des VfGH der Gesetzgeber die Amtsverschwiegenheit lediglich einschränken, nicht aber ausdehnen (z.B. VfSlg. 6288, 9657). Dadurch aber, dass § 9 Abs. 1 die (Un-) Zulässigkeit einer Offenbarung von Tatsachen allein vom Vorliegen eines aus der Sicht der Minderjährigen zu beurteilenden Offenbarungsinteresses abhängig macht, könnte genau dies bewirkt werden. Es sind nämlich durchaus Konstellationen denkbar, in denen zwar keine Geheimhaltungsinteressen zur Verschwiegenheit verpflichten, aber dennoch eine Offenbarung nicht im Interesse der Minderjährigen liegt. Auch die Erläuterungen zu Art. I Z. 5 legen den Schluss nahe, dass mit § 9 Abs. 1 eine Ausdehnung der Verschwiegenheitspflicht über den verfassungsrechtlich vorgezeichneten Rahmen intendiert ist, wird dort zur Begründung der Erforderlichkeit der Neuregelung doch ausgeführt, dass die Bestimmungen der Amtsverschwiegenheit für Zwecke der Sicherstellung des erforderlichen Vertraulichkeitsschutzes nicht ausreichend sind. Auch in dieser Hinsicht dürfte § 9 Abs. 1 im Widerspruch zu Art. 20 Abs. 3 B-VG stehen.
Es wird daher angeregt, auf eine Neuregelung der Verschwiegenheitspflicht in der vorgesehenen Form zu verzichten.

Im Übrigen wird zu § 9 Folgendes angemerkt:

-       Da Hilfen der Jugendwohlfahrt nach Erreichung der Volljährigkeit mit Zustimmung des Jugendlichen bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres fortgesetzt werden können, wird angeregt, im § 9 Abs. 1 die Wortfolge „die Minderjährige ... betreffen“ durch den Passus „die Minderjährige und junge Erwachsene ... betreffen“ zu ersetzen.

-       Weiters wird angeregt, ausdrücklich vorzusehen, dass sich mit Aufgaben der öffentlichen Jugendwohlfahrt betraute Einrichtungen der privaten Jugendwohlfahrt gegenüber dem gesetzlichen Vertreter des Minderjährigen dann nicht auf die Verschwiegenheitspflicht berufen können, wenn es sich beim gesetzlichen Vertreter um den Jugendwohlfahrtsträger handelt.

-       Im § 9 Abs. 2 sollte im Einklang mit Abs. 1, der alle beim bzw. für den Jugendwohlfahrtsträger „Tätigen“ zur Verschwiegenheit verpflichtet, die Wortfolge „nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses“ durch die Wortfolge „nach Beendigung der Tätigkeit“ ersetzt werden.

Zu Art. I Z. 7 (§ 12):

Nach § 12 Z. 3 sollen als soziale Dienste u.a. auch „präventive und kurative Hilfen für Eltern, Erziehungsberechtigte und Minderjährige“ angeboten werden.
Dabei bleibt jedoch unklar, was unter „präventiven Hilfen“ konkret zu verstehen ist. Es wird daher eine entsprechende Konkretisierung angeregt. Dabei wäre auf die bisherige Praxis Bedacht zu nehmen, wonach die Prävention in der Tätigkeit der öffentlichen Jugendwohlfahrt primär Maßnahmen der tertiären Prävention, allenfalls auch der sekundären Prävention umfasste. Aufgaben der Primär-, aber auch der Sekundärprävention können nämlich nicht ausschließlich von der Jugendwohlfahrt wahrgenommen werden. Sie wurden daher immer als wesentlicher Teil der Aufgaben anderer Verwaltungsträger, etwa in den Bereichen Gesundheit, Schule, Bildung, Familie, Frauen, Jugend, Kultur und Sport, gesehen.
Beim Wort „kurativ“ handelt es sich um einen medizinischen Fachausdruck, der therapeutische Maßnahmen bezeichnet, die auf die Heilung einer Erkrankung ausgerichtet sind. Da jedoch die Erbringung von medizinischen (und vor allem auch psychotherapeutischen) Diensten nicht zu den Aufgaben der öffentlichen Jugendwohlfahrt gehört, wird angeregt, die Wortfolge „und kurative“ zu streichen.

Zu Art. II Z. 1 (§ 37a):

Hinsichtlich der Bezeichnung der zu verarbeitenden Daten und der Terminologie wird auf die entsprechenden Ausführungen zu Art. I Z. 1 (§ 7a) verwiesen. Im Übrigen wird zu § 37a angemerkt:

-       Auch bei den Trägern der freien (künftig: privaten) Jugendwohlfahrt kann sich im Zusammenhang mit der Mitwirkung an Aufgaben der öffentlichen Jugendwohlfahrt der Bedarf nach einer Datenverarbeitung ergeben, wie sie § 37a ermöglichen soll. Aus diesem Grund wird angeregt, die im § 37a Abs. 1 normierte Ermächtigung zur Datenverarbeitung auch auf die Einrichtungen der privaten Jugendwohlfahrt zu erstrecken.

-       § 37a Abs. 1 erster Satzteil bezieht sich auf personenbezogene Daten von Minderjährigen und jungen Erwachsenen. Ausgehend davon müsste es im Abs. 1 am Ende und im § 37a Abs. 4 ebenfalls jeweils „soweit dies im Interesse der Minderjährigen oder der jungen Erwachsenen erforderlich ist“ heißen.

-       Es wird angeregt, die Aufzählung der Daten im § 37a Abs. 1 um „Daten über die sexuelle Orientierung“ und „Entwicklungs- und Betreuungsberichte“ zu ergänzen.

-       Im § 37a Abs. 2 wird im dritten Satz angeordnet, dass sensible Daten im Sinn des § 4 Z. 2 DSG 2000 nur verschlüsselt übermittelt werden dürfen. Eine derartige Anordnung scheint jedoch, da ohnehin sämtliche potenzielle Empfänger übermittelter Daten zur Verschwiegenheit verpflichtet sind, nicht unbedingt erforderlich. Zudem ist sie aus folgenden Gründen nicht praxisgerecht:
Einerseits wäre eine verschlüsselte Übermittlung der betreffenden Daten in der Praxis nur dann problemlos zu bewerkstelligen, wenn ein Informationsverbundsystem (mit entsprechenden Verschlüsselungs- und Entschlüsselungstechniken) existieren würde, in dem einerseits die Jugendwohlfahrtsträger und andererseits sämtliche potenziellen Empfänger der Daten eingebunden wären. Ein solches System existiert aber nicht. Zudem verfügen nicht einmal alle Kooperationspartner über einen Internetzugang, sodass in der Praxis häufig Daten - auch heute noch - im Postweg übermittelt werden müssen.
Andererseits müssten bei der Übermittlung von Akten an andere Jugendwohlfahrtsträger (z.B. bei einem Wechsel in der Zuständigkeit) oder an Kooperationspartner Daten im Sinn des § 4 Z. 2 DSG 2000 unleserlich gemacht werden, um „verschlüsselt“ übermittelt werden zu können. Das würde nicht nur zu einem erheblichen Verwaltungsaufwand, sondern auch zu einem die Vollziehung des Jugendwohlfahrtsrechts erschwerenden Datensplitting führen. Ausgehend davon scheint grundsätzlich unklar, wie eine „verschlüsselte“ Übermittlung manueller Daten überhaupt erfolgen soll.
Es wird daher angeregt, den dritten Satz im § 37 Abs. 2 zu streichen.

 

Eine Ausfertigung dieser Stellungnahme wird unter einem auch dem Präsidium des Nationalrates übermittelt.

 

 

Für die Landesregierung:

 

 

Dr. Liener
Landesamtsdirektor