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Stellungnahme zum Entwurf eines „Haftentlastungspakets (Teil 1)“

 

(Bundesgesetz, mit dem das Strafgesetzbuch, die Strafprozessordnung 1975, das Strafvollzugsgesetz, das Bewährungshilfegesetz und das Jugendgerichtsgesetz 1988 geändert werden)

 

Aus der Perspektive eines sozialwissenschaftlichen Instituts, das sich wiederholt mit der Entwicklung der Haftzahlen1, ihren Hintergründen in einer veränderten Täterpopulation – insbesondere im wachsen­den Anteil fremder Staatsbürger2 –, mit der Praxis der bedingten Haftentlassung3 und mit Haftalternati­ven, darunter der Elektronischen Aufsicht4, befasst hat, ist der Gesetzesentwurf sehr begrüßenwert.

Dennoch sind auch einige kritische Anmerkungen und weitergehende Vorschläge angebracht:

 

Ad § 46 und 48 StGB: Von der Neuformulierung des § 46 StGB könnte eine ähnlich deutliche Auswirkung auf die Praxis der bedingten Entlassung zu erwarten sein wie vom StRÄG 1987. Aus einer Untersuchung des IRKS5 geht hervor, dass die bedingte Entlassung in Gerichts­spengeln im Osten des Bundesgebietes zurückhaltender Anwendung findet, wo zugleich relativ häufig teilunbe­dingte Freiheitsstrafen verhängt werden. Diese treffen häufig Erstbestrafte, die auch für eine bedingte Entlassung prädestiniert erscheinen. Die Ausdehnung der bedingten Entlassung auf Strafen nach § 43a (Abs 3 und 4) eröffnet hier neue Möglichkeiten. Andererseits wird in Sprengeln, in denen die bedingte Entlassung zögernd angewendet wird, relativ öfter vom Gnadenrecht Gebrauch gemacht. Dessen nicht unproblematische subsidiäre Anwendung könnte aufgrund geförderter gerichtlicher bedingter Entlas­sungen an Bedeutung verlieren. Ein Teil des Haftentlastungseffektes könnte dadurch wieder konsu­miert werden.

Ein entscheidender Grund für geringe Raten bedingter Entlassungen in vielen Gerichtssprengeln liegt aber in der generalpräventiven Klausel des bisherigen § 46 (3) StGB, wonach bei jeder Entscheidung über vorzeitige Entlassungen zu prüfen ist, ob es der Strafrestvollstreckung bedarf, um andere von Straftaten abzuhalten. Auch wenn dieser Bedarf besonders begründet werden muss, schrecken Vollzugsgerichte aus Sorge um die Generalprävention davor zurück, Urteile erkennender Gerichte zu relativieren. Sie halten (um ein US-amerikanisches Schlagwort zu verwenden) „truth in sentencing“ für wichtiger als die Nachbetreuungs- und Rehabilitationschancen im Zusammenhang mit einer bedingten Entlassung mit Weisungen oder Bewährungshilfe.

Der Entwurf anerkennt generalpräventive Entscheidungskalküle nunmehr nur noch bei Strafen von mehr als fünf Jahren. Gerade bei Strafen dieser Länge scheint uns aber durch das Urteil selbst der Generalprävention Genüge getan. Daher spielen in den europäischen Rechtsordnungen bei der bedingten Entlassung in aller Regel nur noch die spezialpräventive Prognose und Chancenoptimie­rung eine Rolle. Hier versucht der Entwurf folgerichtig, die Instrumente der Bewährungshilfe (Maßnahmen der §§ 50-52 StGB) konsequenter zu nutzen.

Auf § 46 (2) StGB sollte ersatzlos verzichtet werden.

Hinzuweisen ist hier aber auch darauf, dass die Vermehrung bedingter Entlassungen und die obliga­torische Anordnung von Bewährungshilfe bei Entlassung aus einer mehr als fünfjährigen Freiheits­strafe mehr Ressourcen für die Bewährungshilfe erfordern werden. Sie könnten zum Teil durch eine Verkürzung der Betreuungszeiten und eine regelmäßige Überprüfung des Betreuungsbe­darfs gewon­nen werden. Maximale Probezeiten von zwei Jahren, bei längeren bedingt erlassenen Strafresten Probezeiten, welche die Reststrafe nicht übersteigen, und eine fünfjährige Probezeit bei aus einer lebenslanger Strafe Entlassenen würden dem Prinzip der Heranfühung an ein autonomes rechtskonfor­mes Leben eher entsprechen als überlange Kontrollperioden. Anstatt die begründete Verkürzung bei Entlassung festgelegter langer Probezeiten zu ermöglichen, sollte man die Verlängerungen reduzierter maxi­maler gesetzlicher Probezeiten in begründeten Fällen vorsehen.  

 

Ad § 4a StVG: In Anbetracht des Umstandes, dass der Zuwachs an Gefangenen in den letzten Jahren fast ausschließlich auf Fremdstaatsangehörige aus Ländern außerhalb der EU zurückgeht, kommt dieser Bestimmung besondere Bedeutung zu. Die Vollzugsverwaltung besitzt zwar keine Daten und Statistiken über den Aufenthaltsstatus Inhaftierter (eben weil er bei Haftantritt und während der Haft oft unklar und unentschieden ist), doch geht aus den Polizeilichen Kriminalstatistiken hervor, dass der Großteil dieser Personen keinen verfestigten Aufenthalt aufweist, sondern einen prekären (irregulären, ungeklärten, provisorischen) Aufenthaltsstatus hat. Offene Asylverfahren spielen hier eine große Rolle.6

Die Klärung des Aufenthaltsstatus, die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes und die Abklärung von Vollstreckungshindernissen werden zum einen von der Arbeitsweise der Fremdenpolizeibehörde bestimmt, zum anderen von Erwartungen und Befürchtungen sowie der Bereitschaft des Gefangenen, bei dieser Statusklärung kooperativ mitzuwirken. Allzu oft wird die Klärung der Situation und der Kooperationsbereitschaft auf die Zeit einer Schubhaft im Anschluss an die justizielle Haft verschoben – mit hohen Kosten für alle Seiten. In Hinblick auf einen möglichst raschen und unbehinderten Vollzug des § 4a StVG erscheint eine bessere Abstimmung zwischen Strafvollzug und fremdenpolizeilichen Maßnahmen dringend geboten.

§ 4a (Abs. 4) sieht zwar eine Informationspflicht der Anstaltsleitung gegenüber den Gefangenen und ein Ersuchen an die Fremdenpolizeibehörde vor, eine institutionalisierte Rückkehrberatung im Straf­voll­zug ist jedoch ebenso wenig vorgesehen wie eine Verpflichtung der Fremdenpolizei, Verfah­ren in Haftfällen prioritär zu behandeln und zu entscheiden.

Die Rückkehrberatung sollte sich nicht darauf beschränken, das Angebot des § 4a StVG bzw. die volle Strafverbüßung als Druckmittel einzusetzen. Es geht darum, vor allem im Fall der Schutzbedürftigkeit über rechtliche Möglichkeiten aufzuklären, ansonsten „Realismus“ zu vermitteln, die Organisation der Heimreise und nach Möglichkeit die soziale Reintegration im Heimatland zu unterstützen. Das gesetzliche Vollzugsziel der Resozialisierung und ihrer aktiven Förderung gilt schließlich für alle Strafentlassenen, unbeschadet ihrer nationalen Herkunft. 

In Anbetracht der großen Zahl betroffener Gefangener und der absehbaren Bedeutung entsprechender Dienste auch in Zukunft sollten solche Rückkehrberatungen im StVG – vorzugsweise im Sechsten Abschnitt „Soziale Fürsorge“ – ausdrücklich vorgesehen werden.

 

Ad § 99, 99a und 126 StVG: Im Zusammenhang mit Unterbrechungen der Freiheitsstrafe, Ausgang und gelockertem Vollzug sieht der Entwurf Sicherungen gegen Missbrauch in Form „elektronischer Aufsicht“ vor.

Die wichtigsten Sicherungen gegen Lockerungsmissbrauch liegen in der professionellen Klärung (im Assessment) von Risken aus der Person und Situation des Gefangenen, in einer transparenten Voll­zugs­planung, in Vereinbarungen mit dem Gefangenen und in dessen sozialen Betreuung. Die elektronische Kontrolle kann diese Vorkehrungen nicht ersetzen, bringt aber die Gefahr mit sich, sich auf Technik zu verlassen, die an die Stelle persönlicher Kommunikation über die und mit den Gefangenen tritt.

Das Potenzial der elektronischen Aufsicht besteht nicht in erster Linie darin, zeitlich eng limitierte Haftunterbrechung, Ausgang und Freigang, den gelockerten Vollzug insgesamt sicherheitstechnisch zu flankieren. Hier ist einerseits auf die insgesamt geringe Zahl der Missbräuche von Vollzugslockerungen hinzuweisen und andererseits auf die eingeschränkte Möglichkeit der elektronischen Aufsicht, solche gänzlich zu verhindern. Das Potenzial liegt in der Ermöglichung einer Vollzugsform, die noch lebensnäher bleibt als bisherige Formen des gelockerten Vollzugs und die die Haftanstalten tatsächlich entlastet: in der Ermöglichung des „überwachten Hausarrests“. Durch einen solchen wird das selbständige Arbeiten und Wohnen eines Verurteilten nicht unterbrochen, sondern nur dessen Freiheitsspielraum (unter Aufsicht des Strafvollzugs und auf elektronische Weise kontrolliert) in einem bestimmten Rahmen einge­schränkt. 

Die derzeit vorgeschlagene Regelung verspricht zwar eine gewisse Ausweitung der Vollzugslockerun­gen, könnte aber vor allem „zur Vorsicht“ zu den bereits praktizierten Lockerungen hinzu gefügt werden und dadurch deren Wert als Autonomie- und Bewährungsprüfung mindern sowie die Voll­zugs­kos­ten erhöhen. Eine innovative Regelung wäre die explizite Einführung des elektronisch und/ oder sozialarbeiterisch intensiv „Überwachten Hausarrests“ als eigene Vollzugsform.

 



1 Pilgram Arno (2004): Die Entwicklung der Haftzahlen in Österreich – Darstellung und Analyse der Ursachen. In: BMI/BMJ /Hrsg.): Sicherheitsbericht 2003 (Anhang), Wien 2004

2 Pilgram Arno (2007): Migration und Innere Sicherheit. In: Fassmann Heinz (Hrsg.): 2. Österreichischer Migrations- und Integrationsbericht. Wien (im Erscheinen)

3 Pilgram Arno (2004): Die Praxis der (bedingten) Strafentlassung im regionalen Vergleich. In: BMJ (Hrsg.): Moderner Strafvollzug – Sicherheit und Resozialisierung. Wien, S. 160-172

4 Krucsay Brita / Hammerschick Walter / Pilgram Arno (2006): Bedarfserhebung im Rahmen der 1. Phase des Modellversuchs „Elektronische Aufsicht“ (EA) bei bedingte Entlassenen. Wien (Forschungsbericht des IRKS)

5 Vgl. FN 3

6 Vgl. FN 2