UNIVERSITÄT INNSBRUCK

RECHTSWISSENSCHAFTLICHE FAKULTÄT

INSTITUT FÜR STRAFRECHT, STRAFPROZESSRECHT UND

KRIMINOLOGIE

A-6020 Innsbruck, Innrain 52

o. Univ.Prof. Dr. Christian Bertel

o. Univ.-Prof. Dr. Klaus Schwaighofer

ao. Univ.-Prof. Dr. Andreas Venier

 

Innsbruck, am 16.10.2007

 

 

Stellungnahme zum

Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem das StGB usw geändert werden (Reform der bedingten Entlassung)

(BMJ-L318.026/0001-II 1/2007)

 

 

1) § 46 Abs 1 und 3 StGB sind sehr zu begrüßen. Sie setzen die Zeit, die der Verurteilte vor einer bedingten Entlassung in der Justizanstalt verbringen muss, auf zwei Monate, für Taten junger Erwachsener auf einen Monat herab. Und sie lassen die bedingte Entlassung auch für den unbedingten Teil einer teilbedingten Strafe zu. Das letztere ist gerade für das Jugendstrafrecht wichtig, weil die Gerichte die bedingte Verurteilung nach § 13 JGG mehr und mehr durch die bedingte und teilbedingte Strafnachsicht ersetzen.

 

2) § 46 Abs 2 StGB ist viel zu verschwommen und kaum verständlich. Danach soll es auf die Generalprävention nur bei der bedingten Entlassung nach Verbüßung der Strafhälfte und vor Ablauf von zwei Dritteln der Strafe, und auch hier nur bei der bedingten Entlassung aus Freiheitsstrafen von mehr als 5 Jahren ankommen. Bei der bedingten Entlassung nach Verbüßung von zwei Dritteln der verhängten Strafe hat die Generalprävention also keine Rolle zu spielen. Diese Neuerungen sind erfreulich, aber man kann sie nur aus Umkehrschlüssen aus Abs 2 gewinnen. Das ist angesichts einer seit Jahrzehnten fest eingefahrenen gegenteiligen Praxis nicht deutlich genug. Die Gerichte könnten mit Analogie-  und Größenschlüssen zu anderen Ergebnissen kommen.

Die Gerichte berufen sich bei der Verweigerung der bedingten Entlassung nicht immer auf die Generalprävention. Verweigert wird die bedingte Entlassung häufig (auch) mit dem Hinweis auf die Schwere der Tat und die Vorstrafen des Verurteilten. Abs 2 sagt dazu gar nichts.  Die Schwere der Tat könnte das Gericht auch in der neuen Fassung des Abs 1 StGB dazu verwenden, die bedingte Entlassung zu verweigern. Aus der Schwere der Tat kann das Gericht auf einen besonders „schlechten“ Charakter des Täters und daraus wieder auf eine besondere Neigung zur Begehung von Delikten schließen. Bei der Verhängung der Untersuchungshaft ist dieses Verfahren nicht ungewöhnlich. Das Gesetz sollte ausdrücklich sagen, dass die Schwere der Tat kein Grund sein kann, die bedingte Entlassung zu verweigern. Sie hat schon zur Verhängung einer höheren Strafe geführt, sie darf nicht noch einmal bei der Entscheidung über die bedingte Entlassung zum Nachteil des Verurteilten verwendet werden.

Tätern bestimmter Delikte, zB von Drogendelikten, wird die bedingte Entlassung zum Teil mit generalpräventiven Gründen, zum Teil deshalb verweigert, weil bei ihnen typischerweise eine besonders hohe Rückfallsgefahr bestehe. Der Entwurf sollte deutlich sagen, dass die bedingte Entlassung für Täter aller Deliktsgruppen in gleicher Weise in Frage kommt.

 

3) § 46 Abs 4 StGB ist verfehlt. Die bedingte Entlassung setzt keine neue Strafzumessung voraus, sondern sollte den normalen Abschluss des Vollzuges bilden, um den Verurteilten in ein selbstverantwortliches Leben zurückzuführen. Darum kann es für die bedingte Entlassung auch nicht auf eine „Änderung der für die Bemessung der Strafe erheblichen Verhältnisse“ ankommen. Abs 4 sollte lediglich sagen, dass bei der Entscheidung nach Abs 1 auch eine während des Vollzuges begonnene Behandlung zu berücksichtigen ist.

 

4) § 46 Abs 6 StGB, der auf die Generalprävention bei der bedingten Entlassung aus einer lebenslangen Freiheitsstrafe keinen Wert mehr legt, ist zu begrüßen. Aber auch hier sollte das Gesetz ausdrücklich sagen, dass die Schwere der Tat, die hier ja notwendig gegeben ist, kein Grund sein kann, die bedingte Entlassung zu verweigern (siehe 2).

 

5) § 50 Abs 2 Z 1 StGB (obligatorische Bewährungshilfe bei bedingter Entlassung nach Verbüßung der Strafhälfte) ist wenig sinnvoll. Der Entwurf scheint davon auszugehen, dass die Rückfallsgefahr abnehme, je länger der Verurteilte in der Justizanstalt bleibt. Jeder Fachmann weiß, dass das Gegenteil zutrifft. Und die wenigen entlassungsfreudigeren Gerichte pflegen nach Verbüßung der Strafhälfte gerade Verurteilte mit kurzen Strafen und sehr guter Prognose bedingt zu entlassen. Hier wird die Bewährungshilfe (vgl Abs 2 Satz 2) kaum je nötig sein.

 

6) § 16 Abs 1 StVG ist unzureichend. Dass den Senaten, die über die bedingte Entlassung entscheiden, ein Sozialarbeiter als fachkundiger Laienrichter beigezogen wird, ist zwar zu begrüßen, aber zwei Berufsrichtern gegenüber wird der eine Laienrichter nicht viel ausrichten können. Dem Schöffengericht gehören zwei Berufs- und zwei Laienrichter an. Die Besetzung eines Senates mit zwei Berufs- und einem Laienrichter ist in Strafsachen ganz ungewöhnlich.

Vor nicht allzu langer Zeit hat das Ministerium vorgeschlagen, einen Berufsrichter im Schöffengericht einzusparen, sodass das Schöffengericht mit einem Berufs- und zwei Laienrichtern besetzt gewesen wäre. Dieser Vorschlag wurde, soviel uns bekannt ist, von der Richterschaft wohlwollend aufgenommen. Warum die Richter gerade bei der Entscheidung über die bedingte Entlassung auf Senaten bestehen, die mit zwei Berufs- und einem Laienrichter besetzt sind, ist unbegreiflich. Die Laienrichter sollten auch hier nicht in der Minderzahl sein.

Auch sollte die Zuständigkeit der Senate auf bedingte Entlassungen aus allen Strafen von mehr als drei Jahren erweitert werden. Da die bedingte Entlassung nichts mit einer neuen Strafzumessung zu tun hat, kann es nicht darauf ankommen, wer die Strafe in erster Instanz verhängt hat. Ein beträchtlicher Teil der Strafen liegt unter fünf Jahren. Dass bei bedingten Entlassungen aus kürzeren Strafen alles beim Alten bleibt, aber die bedingten Entlassungen aus höheren Strafen etwas zunehmen – wenn die Beteiligung des einen Laienrichters überhaupt etwas bewirken sollte -, wäre nicht sinnvoll.

In der Schweiz zB entscheiden über die bedingte Entlassung nicht die Gerichte, sondern Vollzugskommissionen. Dort werden über 90% der Gefangenen jedenfalls nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe bedingt entlassen (Vortrag Vogt, 1. Universitäre Strafvollzugstage 7./8.5.2007 in Linz).

 

7) Die §§ 152, 152a StVG sind unzureichend. Mehr bedingte Entlassungen kann es nur geben, wenn sich die Gerichte die Verweigerung der bedingten Entlassungen gründlicher überlegen. Das StVG sollte vorsehen, dass das Gericht, wenn der Verurteilte 2/3 der verhängten Strafe verbüßt hat, alle sechs Monate auf Antrag oder von Amts wegen über die bedingte Entlassung entscheiden und den Verurteilten jedes Jahr wenigstens einmal vor einer solchen Entscheidung anhören muss. Um zu verhindern, dass Gerichte durch solche Verhandlungen allzu sehr belastet werden, sollte das Gesetz vorsehen, dass die Bewilligung der bedingten Entlassung ohne Anhörung des Verurteilten und ohne Befassung des Senates durch den Vorsitzenden allein beschlossen werden kann. Und wenn die Gerichte, wie zu hoffen, den neu gefassten § 46 StGB ernst nehmen, wird die Zahl der bedingten Entlassungen ohnehin zunehmen, die Fälle, in denen nach Verbüßung von 2/3 der verhängten Strafe öfter verhandelt werden muss, werden dann ohnehin nicht sehr zahlreich sein.