Kriminalpolitische Initiative:

Mehr Sicherheit durch weniger Haft!

 

 

Stellungnahme zum Bundesgesetz, mit dem das Strafgesetzbuch, die Strafprozessordnung 1975 , das Strafvollzugsgesetz, das Bewährungshilfegesetz und das Jugendgerichtsgesetz

1988 geändert werden (Haftentlastungspaket Teil I)

 

Die Stellungnahme ist von den Mitgliedern der Kriminalpolitischen Initiative verfasst:

Univ.Prof. Christian Grafl, Universität Wien, Institut für Strafrecht und Kriminologie

Univ.Prof. Dr. Wolfgang Gratz, Strafvollzugsakademie

Univ.Prof. Dr. Frank Höpfel, Universität Wien, Institut für Strafrecht und Kriminologie,                        Richter am Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien

DSA Christine Hovorka, Sozialarbeiterin

Univ.Doz. Dr. Arno Pilgram, Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie

Hon.Prof. Dr. Hans Valentin Schroll, Richter des Obersten Gerichtshofs

Univ.Prof. Dr. Richard Soyer, Rechtsanwalt.

 

 

Die kriminalpolitische Initiative begrüßt insbesondere die Neuregelungen der bedingten Entlassung, der Erbringung gemeinnütziger Leistungen und des Vorläufigen Absehens vom Vollzug wegen Aufenthaltsverbotes. Unsere diesbezügliche positive Haltung ist in unseren Publikationen näher ausgeführt (Grafl, u.a.: Kriminalpolitische Initiative: Mehr Sicherheit durch weniger Haft!, in: Journal für Rechtspolitik 2004, S. 61 ff, Grafl, u.a.: Kriminalpolitische Initiative: Mehr Sicherheit durch weniger Haft – Follow up, in: Juridikum 2/2005 S. 66 ff):

 

Zu folgenden Bestimmungen schlagen wir Veränderungen des vorliegenden Entwurfes vor:

 

§ 46 Abs.2 StGB

Es ist zwar ein begrüßenswerter Fortschritt, dass generalpräventive Erwägungen im vorliegenden Entwurf nur mehr ausnahmsweise bei Entscheidungen über eine bedingte Entlassung Eingang finden sollen. Auch nach Lektüre der Erläuterungen ist jedoch überhaupt nicht einsichtig, warum bei langjährigen unbedingten Freiheitsstrafen generalpräventive Überlegungen eine Rolle spielen sollen. Wenn in den Erläuterungen ausgeführt wird, dass „ein langer Vollzug ohnehin schon die Effekte der Generalprävention in genügendem Ausmaß mit sich bringt“, dann ist bei Verbüßung der Hälfte einer mindestens fünfjährigen unbedingten Freiheitsstrafe wohl dem Erfordernis eines „langen Vollzugs“ Genüge getan.

Aus diesen Überlegungen sollte Absatz 2 ersatzlos gestrichen werden.

 

§ 46 Abs.4 StGB

Es erscheint problematisch, bei der Entscheidung über bedingte Entlassungen als Kriterium eine Änderung der für die Bemessung der Strafe erheblichen Verhältnisse einzuführen. Eine bedingte Entlassung soll keine nachträgliche Veränderung der Strafbemessung darstellen, sondern eine spezialpräventiv orientierte Effektivierung des Vollzuges der ausgesprochenen Freiheitsstrafe leisten.

Auf Maßnahmen gem. §§ 50 bis 52 weist bereits der Abs. 1 hin.

Aus diesen Überlegungen sollte Abs. 4 entfallen.

 

§ 4a Abs.3 StVG

Praktische Erfahrungen zeigen, dass es mehrere Staaten gibt, in denen ein Vollzug im Heimatstaat regelmäßig nicht realisierbar ist, obwohl mit ihnen zwischenstaatliche Vereinbarungen über die Übernahme der Vollstreckung bestehen. Es sollte daher in der 1. Hälfte der Strafverbüßung bei in Frage kommenden Strafgefangenen überprüft werden, ob eine Vollstreckung im Heimatstaat möglich ist. Wenn diese nicht realisierbar ist, sollte in der 2. Hälfte der Strafverbüßung bei Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen von § 4a Abs.1 Gebrauch gemacht werden. Demzufolge sollte der  Abs. 3. letzter Satzteil  ergänzt werden um: „und ein Vollzug im Heimatstaat auch tatsächlich möglich ist“.

 

§ 4a Abs.4 StVG

Die Erfahrungen zeigen, dass einzelne Fremdenpolizeibehörden sehr lange Verfahrenszeiten aufweisen. Unabhängig von Bemühungen, die Kooperation zu verbessern, sollte daher von Seiten der Vollzugsbehörden zu einem möglichst frühen Zeitpunkt das Einleiten fremdenpolizeilicher Maßnahmen veranlasst werden. Hieraus ergibt sich folgender Alternativvorschlag:

„Der Anstaltsleiter hat bei Verurteilten, die für eine Entscheidung gem. § 4a Abs.1 StVG in Betracht kommen, hierüber die Fremdenpolizeibehörde zu verständigen, wenn noch keine Entscheidung bezüglich eines Aufenthaltsverbotes vorliegt. Er hat Verurteilte, über die ein Aufenthaltsverbot verhängt wurde, innerhalb des nächsten Halbjahres … (weitere Formulierung wie im Entwurf)

 

§ 152 Abs. 2 StVG

Die „Begutachtungs- und Evaluationsstelle für Gewalt- und Sexualstraftäter für den Strafvollzug“ (BEST) wird durch die Äußerungen zu Vollzugslockerungen (§ 99, 99a, 126, 147 StVG) einen großen neuen Aufgabenbereich bekommen, der sicherlich Kapazitätsfragen aufwerfen wird. Sie ist zudem derzeit ausschließlich für Strafgefangene zuständig. Die Entlassungsentscheidungen  bei untergebrachten Sexualstraftätern (§§ 21/1 oder 21/2 StGB) ist ohnehin grundsätzlich von gerichtlich beeideten SV begleitet. Eine Äußerung auch in diesen Fällen ist daher nicht sinnvoll und würde die dzt. Kapazitäten der BEST bei weitem übersteigen.

Hieraus ergibt sich folgender Formulierungsvorschlag:

„Vor jeder Entscheidung über die bedingte Entlassung eines wegen einer strafbaren Handlung gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung Verurteilten aus der Strafhaft ist eine Äußerung der Begutachtungs- und Evaluationsstelle für Gewalt- und Sexualstraftäter einzuholen.“

 

Wir sind weiterhin der Auffassung, dass  -- wie in unseren Publikationen ausgeführt -- eine Reihe von Gründen für Entlassungssenate sprechen, die in 1. und 2. Instanz aus einem Berufs- und zwei fachkundigen Laienrichtern zusammengesetzt sind.

Jedenfalls sollte auch in der 2. Instanz zumindest ein fachkundiger Laienrichter Senatsmitglied sein.

 

 

Wien, am 19.10.2007