An das

GZ ● BKA-603.893/0007-V/5/2007

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bearbeiterin Frau Dr Angela JULCHER

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Ihr Zeichen BMWA-462.201/0004-III/9a/2007

 

Bundesministerium für

 

Wirtschaft und Arbeit

 

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Antwort bitte unter Anführung der GZ an die Abteilungsmail

 

 

 

BetrifftEntwurf eines Bundesgesetzes, mit dem das Betriebliche Mitarbeitervorsorgegesetz, das Einkommensteuergesetz 1988, das Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetz und das ORF-Gesetz geändert werden;

Begutachtung; Stellungnahme

 

 

Zum mit der do. oz. Note übermittelten Gesetzesentwurf samt Beilagen nimmt das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst wie folgt Stellung:

I. Zum Gesetzesentwurf:

Zu Art. 1 Z 5 bis 7 (3. Teil BMSVG):

Aus systematischen Gründen sollte unbedingt der gesamte 3. Teil (und nicht nur § 46 Abs. 5 bis 10) an den Schluss des Gesetzes gestellt werden. Demnach wären die beiden neuen Teile als 3. und 4. Teil einzufügen, der bisherige 3. Teil wäre als 5. Teil anzufügen.

Die Formulierung des § 49 Z 7 („der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit und der Bundesminister für Finanzen“) lässt offen, ob beide Bundesminister einvernehmlich zur Vollziehung berufen sind (dies wäre durch die Wortfolge „im Einvernehmen mit“ auszudrücken) oder ob sich die Zuständigkeit zur Vollziehung nach der Zuordnung der jeweiligen Bestimmung zum allgemeinen Wirkungsbereich des einen oder des anderen Bundesministeriums nach dem BMG richtet (was wohl zu Auslegungsschwierigkeiten führen würde und daher vermieden werden sollte; stattdessen sollte die Zuständigkeit zur Vollziehung der einzelnen Bestimmungen ausdrücklich geregelt werden).

Zu Art. 1 Z 8 (4. und 5. Teil BMSVG):

Zur Gesetzessystematik:

Es sollte überlegt werden, ob es nicht systematischer und übersichtlicher wäre, den gesamten Anwendungsbereich des BMSVG bzw. seiner einzelnen Teile und die entsprechenden Maßgaben – also auch den Inhalt der §§ 50 Abs. 2, 51 und 64 – am Beginn des Gesetzes (in § 1, allenfalls in einem neu einzufügenden § 1a) zu regeln. Auch die Kompetenzdeckungsklausel (§ 50 Abs. 1 BMSVG) könnte vorangestellt werden.

Zu den Verfassungsbestimmungen:

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Formulierung von Verfassungsbestimmungen eine Zuständigkeit des Bundeskanzleramtes-Verfassungsdienst ist, mit dem daher grundsätzlich vor Einleitung des Begutachtungsverfahrens Kontakt aufzunehmen gewesen wäre.

Warum § 50 Abs. 2 und § 64 Abs. 1 im Verfassungsrang erlassen werden sollen, ist unklar. Die Erläuterungen begründen dies nur sehr kursorisch („im Hinblick auf die Verpflichtung zur Beitragsleistung für diese Personengruppe“ [zu § 50 Abs. 2] bzw. „im Hinblick auf die Möglichkeit eines Opting-Ins bezüglich der Beitragsleistung für diese Personengruppe in Abweichung vom 4. Teil“ [zu § 64 Abs. 1]).

Dazu ist zunächst festzuhalten, dass die gesetzliche Verpflichtung zu Beitragsleistungen von Selbständigen an eine MV-Kasse einen Eingriff in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit des Eigentums darstellt (Art. 5 StGG, Art. 1 1. ZPMRK). Um verfassungsrechtlich zulässig zu sein, müsste dieser Eingriff im öffentlichen Interesse gelegen und verhältnismäßig sein. Ein öffentliches Interesse könnte möglicherweise darin gesehen werden, dass die Vorsorge, etwa für das Alter, aber auch für Zeiten der Beschäftigungslosigkeit, auch im Bereich der selbständig Erwerbstätigen auf eine weitere „Säule“ gestellt werden soll (wobei die in den §§ 56 Abs. 1 und 69 Abs. 1 als Anspruchsvoraussetzung vorgesehene Zwei-Jahres-Frist nach Ende der Berufsausübung mit dem Ziel der Vorsorge für Zeiten der Beschäftigungslosigkeit wohl zumindest in einem Spannungsverhältnis stünde). Fraglich ist vor allem, ob die gesetzlich verpflichtende Beitragsleistung an eine private MV-Kasse auch verhältnismäßig ist. Anders als die Mitarbeitervorsorge für Arbeitnehmer, die bekanntlich die Abfertigung „alt“ ersetzt hat und sich arbeitsrechtlich als Entgeltleistung durch den Arbeitgeber deuten lässt (vgl. zB Schrank, Heikle Rechtsfragen des Beitragssystems der „Abfertigung Neu“, ZAS 2003/3), würde die vorgeschlagene Selbständigenvorsorge ein verpflichtendes Ansparmodell für die eigene Vorsorge darstellen; verfassungsrechtlich zulässig wäre eine solche Verpflichtung dann, wenn sie zur Zielerreichung geeignet und notwendig ist und der Eingriff im Hinblick auf das zu erreichende Ziel auch angemessen (also verhältnismäßig im engeren Sinn) ist, was in erster Linie vom do. Bundesministerium darzulegen wäre. Ähnliche Erwägungen gelten für die Notwendigkeit einer Rechtfertigung der Regelung im Hinblick auf das aus dem verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz abzuleitende Sachlichkeitsgebot.

Soll der Verfassungsrang des § 50 Abs. 2 dazu dienen, einen in diesem Sinne nicht zu rechtfertigenden Grundrechtseingriff verfassungsrechtlich abzusichern, so wäre dies zwar nicht prinzipiell unzulässig, weil Verfassungsbestimmungen zumindest punktuelle Grundrechtsbeschränkungen vorsehen können (vgl. zu der Frage, wann die Grenze einer Gesamtänderung der Bundesverfassung erreicht ist, etwa VfSlg. 11.829/1988 und VfSlg. 15.373/1998, jeweils mwN). Es ist aber auf die verfassungspolitischen Bestrebungen zu verweisen, die Verfassung möglichst „schlank“ zu halten und kein fugitives Verfassungsrecht zu schaffen (vgl. etwa Pkt. 17 des Regierungsprogramms der Bundesregierung für die XXIII. Gesetzgebungsperiode sowie den am 23. Juli 2007 zur Begutachtung versendeten Entwurf der Expertengruppe Staats- und Verwaltungsreform). Im Übrigen erscheint zweifelhaft, ob die vorgeschlagene Verfassungsbestimmung tatsächlich geeignet wäre, die verfassungsrechtliche Absicherung der „Selbständigenvorsorge“ zu gewährleisten, weil sie nur den persönlichen Geltungsbereich betrifft und sich weder aus ihrem Wortlaut noch aus den Erläuterungen ergibt, dass bestimmte inhaltliche Durchbrechungen geltenden Verfassungsrechts zugelassen werden sollen. Jedenfalls wären von der so formulierten verfassungsrechtlichen Absicherung nur die aktuell geltenden Bestimmungen erfasst, sodass bei jeder inhaltlichen Änderung der verwiesenen Bestimmungen auch die verweisende Verfassungsbestimmung geändert werden müsste. Was die völkerrechtlichen Verpflichtungen betrifft, die sich aus Art. 1 1. ZPMRK ergeben, so blieben sie von einer Verfassungsbestimmung jedenfalls unberührt.

Soll der Verfassungsrang des § 50 Abs. 2 und des § 64 Abs. 1 hingegen dazu dienen, etwaigen gleichheitsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf die Abgrenzung der jeweils erfassten Berufsgruppen zu begegnen, so ist darauf hinzuweisen, dass eine an die Zugehörigkeit der jeweiligen Berufsgruppen zu unterschiedlichen Sozialversicherungssystemen anknüpfende Zuordnung zu unterschiedlichen Systemen der „Selbständigenvorsorge“ sachlich gerechtfertigt sein dürfte, ohne dass es dazu einer eigenen verfassungsrechtlichen Absicherung bedürfte. Um jedes Risiko einer Gleichheitswidrigkeit des Anwendungsbereichs auszuschließen, wären die vorgeschlagenen Verfassungsbestimmungen aber durchaus geeignet.

Gegen die „optionale“ Selbständigenvorsorge nach dem vorgeschlagenen 5. Teil bestehen allerdings kompetenzrechtliche Bedenken: Laut Erläuterungen stützt sich dieser Teil auf den Kompetenztatbestand „Geld- und Bankwesen“ (Art. 10 Abs. 1 Z 5 B‑VG); es ist aber fraglich, ob auf Grund des Kompetenztatbestandes „Bankwesen“ („Geldwesen“ scheidet wohl von vornherein aus) oder des ebenfalls in Betracht kommende Kompetenztatbestandes „Zivilrechtswesen“ (Art. 10 Abs. 1 Z 6 B‑VG) auch Bestimmungen erlassen werden können, nach denen ein einmal abgeschlossener Beitrittsvertrag für die gesamte Dauer der Pflichtversicherung bzw. der Berufsausübung zur Vorsorge verpflichtet (vgl. den vorgeschlagenen § 66 Abs. 2). Es sollte daher – sofern die Regelung in dieser Form beibehalten wird – auch hinsichtlich des vorgeschlagenen 5. Teils eine Kompetenzdeckungsklausel erwogen werden.

Zu § 51:

Es fragt sich, ob nicht auch eine Maßgabe geboten wäre, wonach die Gruppe der Selbständigen ebenfalls in den Aufsichtsräten der MV-Kassen (§ 21 Abs. 1 BMVG) vertreten zu sein hat.

Außerdem wäre eine Maßgabe für den in einigen der für anwendbar erklärten Bestimmungen des 2. Teils vorkommenden Begriff „Arbeitgeber“ vorzusehen.

Zu § 53:

Die Verweisung der „Einziehung“ der Beiträge in den übertragenen Wirkungsbereich der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft bedeutet letztlich, dass der Staat diese Aufgabe übernimmt. Es fragt sich, ob für ein – wenn auch gesetzlich verpflichtendes – privates Ansparmodell nicht eine privatrechtliche Berechtigung und Verpflichtung des Sozialversicherungsträgers zur Beitragseinhebung adäquater wäre (vgl. auch die von Schrank, aaO, vorsichtig gegen § 6 Abs. 2 BMVG geäußerten Bedenken). Im Hinblick auf Art. 6 EMRK erscheint außerdem bedenklich, dass durch die Anwendbarerklärung der sozialversicherungsrechtlichen Verfahrensvorschriften in Verwaltungssachen im Streitfall über die Beitragspflicht kein Tribunal entscheidet, obwohl die Rechte und Pflichten aus dem Vertrag mit der MV-Kasse wohl unbestreitbar zivilrechtlicher Natur iSd. Art. 6 EMRK sind.

Zu § 56:

Es fragt sich, ob es sachlich ist, dass Beitragszeiten nach dem 5. Teil nur unter der – vom Anwartschaftsberechtigten nicht zu beeinflussenden – Voraussetzung anrechenbar sein sollen, dass die Beitragseinhebung durch die im § 66 Abs. 4 oder 5 genannten Einrichtungen erfolgt.

Die Bedeutung der Wortfolge „sofern der Anwartschaftsberechtigte die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 oder 2 erfüllt“ in Abs. 2 ist unklar. Es würde keinen Sinn machen, müsste der Anwartschaftsberechtigte, der die Voraussetzungen des Abs. 2 Z 1 oder 2 erfüllt, zusätzlich auch sämtliche Voraussetzungen des Abs. 1 erfüllen; daher sollte präzisiert werden, welche der Voraussetzungen des Abs. 1 Z 1 oder 2 gemeint ist.

Außerdem sollte zumindest in den Erläuterungen präzisiert werden, was unter „gleichartigen Rechtsvorschriften des Europäischen Wirtschaftsraumes“ zu verstehen ist.

Zu § 66:

Abs. 4 überträgt die „Beitragseinhebung“ den jeweiligen Sozialversicherungsanstalten und erklärt für die Einziehung der Beiträge, die Weiterleitung an die MV-Kassen sowie die Meldepflichten des Anwartschaftsberechtigten die „jeweiligen sozialversicherungsrechtlichen Regelungen des GSVG, FSVG, BSVG oder NVG“ für anwendbar. Ist damit eine Verweisung in den übertragenen Wirkungsbereich der betreffenden Versicherungsträger gemeint, so gilt die Anmerkung zu § 53. Jedenfalls wäre zu präzisieren, welche der „sozialversicherungsrechtlichen Regelungen“ anwendbar sein sollen.

Hinzu kommt noch, dass Rechtsanwälte und Ziviltechniker hier offenbar grundsätzlich anders behandelt werden sollen, weil ihre Beiträge entweder direkt an die MV-Kasse abzuführen sind oder von der jeweiligen gesetzlichen beruflichen Interessenvertretung auf Grund einer privatrechtlichen Vereinbarung mit der MV-Kasse eingehoben werden. Diese völlig unterschiedliche Gestaltung des Beitragsverfahrens – einmal (offenbar) strukturell öffentlich-rechtlich ohne Zugang zu den ordentlichen Gerichten, einmal zivilrechtlich – müsste sachlich gerechtfertigt werden.

Zu § 69:

Auf das Schreibversehen im Schlussteil des Abs. 1 („nach dem 4. Teiles“) wird hingewiesen.

Zu Art. 1 Z 9 (§ 74 BMSVG):

Das Inkrafttreten der Verfassungsbestimmungen müsste ebenfalls durch Verfassungsbestimmung angeordnet werden.

Zu Art. 4 Z 1 (§ 32 Abs. 8 ORF-G):

Es sollte die neue Abkürzung „BMSVG“ verwendet werden.

II. Zu Vorblatt, Erläuterungen und Textgegenüberstellung:

1. Zum Vorblatt und zum Allgemeinen Teil der Erläuterungen:

Der Hinweis auf Besonderheiten des Normerzeugungsverfahrens (vgl. das Rundschreiben des Bundeskanzleramtes-Verfassungs­dienst vom 13. November 1998, GZ 600.824/8-V/2/98) hätte wie folgt zu lauten:

„Zweidrittelmehrheit im Nationalrat im Hinblick auf vorgesehene Verfassungsbestimmungen und Zustimmung des Bundesrates mit Zweidrittelmehrheit gemäß Art. 44 Abs. 2 B-VG.“

Im Allgemeinen Teil der Erläuterungen wäre dies näher auszuführen, etwa wie folgt:

„§ 50 und § 64 Abs. 1 BMSVG sind Verfassungsbestimmungen und können gemäß Art. 44 Abs. 1 B-VG vom Nationalrat nur in Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder und mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen beschlossen werden. Da durch § 50 Abs. 1 BMSVG überdies die Zuständigkeit der Länder in der Gesetzgebung und Vollziehung eingeschränkt wird, ist gemäß Art. 44 Abs. 2 B-VG auch die in Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder und mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen zu erteilende Zustimmung des Bundesrates erforderlich.“

Der Kompetenztatbestand des Art. 10 Abs. 1 Z 5 B‑VG, auf den sich der Entwurf teilweise stützt, lautet „Geld-, Kredit-, Börse- und Bankwesen“, wobei für den vorliegenden Fall aber wohl nur das „Bankwesen“ einschlägig ist. Daneben wäre auch Art. 10 Abs. 1 Z 6 B‑VG („Zivilrechtswesen“) als Kompetenzgrundlage anzuführen.

2. Zur Textgegenüberstellung:

Die Regierungsvorlage sollte – so wie bereits ein Begutachtungsentwurf! – eine Textgegenüberstellung enthalten (Pkt. 91 der Legistischen Richtlinien 1979).


Diese Stellungnahme wird im Sinne der Entschließung des Nationalrates vom 6. Juli 1961 u.e. auch dem Präsidium des Nationalrats zur Kenntnis gebracht.

 

18. Oktober 2007

Für den Bundeskanzler:

Georg LIENBACHER

 

 

 

 

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