Generalprokuratur

beim Obersten Gerichtshof


Schmerlingplatz 10-11

A-1016 Wien

 

Briefanschrift

A-1016 Wien, Schmerlingplatz 10-11

 

Telefon 

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E-Mail

generalprokuratur@justiz.gv.at

 

Sachbearbeiter GAin Dr. Aicher

 

Klappe              (DW)

GZ:  Jv 634 -1/07

 

An das

Bundesministerium für Justiz

in Wien

 

 

 

 

 

 

 

 

zur GZ BMJ-L590.005/0001-II 3/2007

 

 

Betrifft:     Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem das

                Auslieferungs- und Rechtshilfegesetz u.a.

                geändert werden

                (Strafprozessreformbegleitgesetz II)

 

 

 

        Die Generalprokuratur beehrt sich, zum oben genannten Gesetzesentwurf folgende

 

S t e l l u n g n a h m e

 

zu erstatten, die in 25-facher Ausfertigung auch dem Präsidium des Nationalrates zugemittelt wird:

 

Soweit der vorliegende Gesetzesentwurf Bestimmungen des ARHG u.a. Gesetze mit der durch das Strafprozessreformgesetz, BGBl I Nr. 19/2004, geschaffenen Rechtslage harmonisieren soll, wird dies seitens der Generalprokuratur – sofern im Nachfolgenden keine besonderen Einwände erhoben werden – befürwortet.

 

Zu Artikel I (Änderung des ARHG):

 

Z 2: Entgegen den EB erfolgt insofern keine durchgehende Anpassung an die Begrifflichkeit des StPRG, als trotz der klarstellenden Bestimmung des § 1 StPO der in § 9 Abs 3 ARHG verwendete Begriff „strafbare Handlungen“ (rechtliche Kategorie) nicht in „Straftaten“ (historische Geschehen) abgeändert wurde. Wollte man durchgehend anpassen, wäre diese Änderung auch in anderen Bestimmungen des ARHG vorzunehmen (zB § 11 u.a.).

 

Zu Artikel II (Änderung des EU-JZG):

 

Soweit ersichtlich bleibt auch in diesem Gesetz der Begriff der „strafbaren Handlung“ weiterhin unberührt, obgleich „Straftat(en)“ indiziert wäre.

 

Zu Artikel III (Änderung des MedienG):

 

        Z 2: Bei der Gegenüberstellung der Bestimmungen ist § 8a Abs 2 in einer – entgegen den EB – geänderten Fassung abgedruckt.

        Z 14: Nachdem in lit a § 41 Abs 2 für den Bereich der offiziosen Strafsachen dahingehend angepasst wird, dass er lautet „für das Ermittlungsverfahren ist die Staatsanwaltschaft ... zuständig“, wird gemäß lit d der Abs 5 dahingehend geändert, dass der erste Satz lautet: „Ein Ermittlungsverfahren findet im Verfahren auf Grund einer Privatanklage und im selbständigen Verfahren (§§ 8a, 33 Abs. 2, 34 Abs. 3) nicht statt.“ Bislang war lediglich die Durchführung einer Voruntersuchung ausgeschlossen, Vorerhebungen durch den Untersuchungsrichter waren jedoch möglich. Eine Ausforschung des Täters eines Medieninhaltsdeliktes im Privatanklagebereich wird nach der neuen Rechtslage sohin generell unmöglich gemacht. Dies bedeutet ein Rechtschutzdefizit für das Opfer eines Privatanklagedelikts.

 

Zu Artikel XI (Änderung des StAG):

       

Z 8 lit c: Eine teilweise Revisionsfreistellung bereits nach einer einjährigen Tätigkeit als Richter oder Staatsanwalt – anstelle des bisherigen Erfordernisses von 10 Jahren – läuft nicht nur dem „Vieraugenprinzip“ zuwider, sondern lässt auch Anforderungen einer profunden aufsichtsbezogenen Ausbildung außer Acht. Eine Zentralisierung der Entscheidungen bzw deren Überprüfung durch den Revisor wäre auch unter den Aspekten einer gleichmäßigen Rechtsanwendung erstrebenswert, die bei der geplanten Verkürzung nicht gewährleistet werden kann.

 

Z 8 lit d: Durch die Verwendung des Begriffes einer „strafbaren Handlung“ anstatt „Straftat“ erfolgt keine durchgehende Anpassung an die Terminologie des StPRG (§ 1 StPO).

Z 12:  Soweit § 8 Abs 2 StAG – ohne dass in den EB darauf Bezug genommen wird – die Berichtspflicht an den/die Bundesminister(in) für Justiz bzw die Möglichkeit der Anforderung von Berichten durch diese(n) entfällt, erscheint dies unverständlich und sachlich nicht gerechtfertigt. Unter dem Gesichtspunkt der obersten Verantwortlichkeit, des Rechtsschutzes und der einheitlichen Rechtsanwendung (zB Anregung der Erhebung einer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes - § 33 Abs 1 StPO) bedarf es einer zentralen Informationsmöglichkeit. Eine Einschränkung der Aufsichts- und Weisungsbefugnisse wird nicht befürwortet.

 

Zu Artikel XII (Änderung des GRBG):

 

Die Grundrechtsbeschwerde auf einen umfassenderen Grundrechtsschutz durch den Obersten Gerichtshof zu erweitern, findet die Zustimmung der Generalprokuratur. Von ihrem Konzept her soll die Grundrechtsbeschwerde sicherstellen, dass sich die Grundlagen eines Strafverfahrens auf menschenrechtskonforme Verfahrensabläufe stützen können. In Konsequenz dessen ist die Erweiterung des Grundrechtsbeschwerdegesetzes auf die Erfassung von Grundrechtsverstößen im Ermittlungsverfahren systemgerecht. Die Ausrichtung des Gesetzes auf den Verfahrensabschnitt des Ermittlungsverfahrens ist daher zu begrüßen, der Katalog der im § 1 genannten Grundrechte gibt keinen Interpretationsspielraum und gewährt somit Rechtssicherheit. Mangels eines erschöpfenden Grundrechtskataloges gäbe es ohne Anführung der jeweiligen verletzungsgeeigneten Verfahrenshandlungen bereits zur Frage der Anwendbarkeit des Gesetzes interpretatorische Einstiegsschwierigkeiten.

Will man eine Urteilsbeschwerde an den Obersten Gerichtshof in Grundrechtsfragen gesetzlich vorsehen, dem Obersten Gerichtshof also die Rolle des obersten innerstaatlichen Grundrechtswahrers im Wege einer drittinstanzlichen Urteilskontrolle und quasi des Vorfilters für Menschenrechtsbeschwerden an den EGMR zuweisen, dann sollte diese außerordentliche Rechtsmittelmöglichkeit systemgerecht im Abschnitt der StPO, der das Rechtsmittelverfahren regelt, vorgesehen werden.

Grundrechtskonforme Urteile in allen Instanzen sicherzustellen ist ein Bestreben, dem nichts entgegenzusetzen ist. Um allerdings den argumentativ immer wieder in den Vordergrund gerückten Effekt zu erzielen, den wiederholten Anrufungen des EGMR den Boden zu entziehen und der Anwendung des § 363a StPO zuvorzukommen, müsste damit wohl eine 100%ige Anpassung des Obersten Gerichtshofes an die Judikatur des EGMR – welche aber wegen ihrer Einzelfallbezogenheit schwankend ist und nicht immer eine klare Linie erkennen lässt – Hand in Hand gehen und von der Gesetzgebung intendiert werden.

Es sei klarstellend angemerkt, dass die österreichische Rechtssprechung der EMRK als Verfassungsnorm jene Reichweite einzuräumen hat, die ihr als internationalem Instrument zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten zukommt. Bei ihrer Auslegung ist der Rechtsprechung des EGMR als dem zur Auslegung der Konvention zunächst berufenen Organ ein ganz besonderer Stellenwert zuzubilligen, allerdings auch nicht außer Betracht zu lassen, dass es sich bei dieser Judikatur um fallbezogene Feststellungsurteile handelt, die allein den betroffenen Staat binden können und sich der EGMR selbst für künftige Fälle nicht an eine von ihm gefundene Auslegung gebunden sieht, wie dies in einer evolutionären Interpretation der Grundrechte, aber auch in schlichter Änderung der Spruchpraxis (vgl Franz Fischer gegen Österreich, ÖJZ 2001, 657, wo zur Auslegung des Art 4 7. ZPMRK angemerkt wird, dass der in einem Präzendezfall vom Gerichtshof gewählte Auslegungsansatz „etwas widersprüchlich“ gewesen sein könnte) zum Ausdruck kommt.

Ob das Prinzip der eigenständigen Rechtsfindung gerade in sensiblen Wertungsfragen wie etwa im Bereich der Einschätzung und Gewichtung von Interessen diesen rationellen Überlegungen untergeordnet werden oder ob nicht der Preis der fallweisen Verurteilung durch den EGMR in Kauf genommen werden sollte, wenn der Oberste Gerichtshof mit argumentativen Gegenpositionen Weichen für eine Judikaturfortbildung des EGMR zu stellen versucht, wäre hier mitzuüberlegen.

Das weitere Ziel, die ausschließliche Prüfungsmöglichkeit von Grundrechtsverletzungen im Strafverfahren innerstaatlich dem Obersten Gerichtshof gesetzlich zu überantworten, wird wohl nur mit einer Verfassungsbestimmung zu erreichen sein.

Um eine Missinterpretation des gesetzgeberischen Willens, der Oberste Gerichtshof sei im Grundrechtsbeschwerdeverfahren nunmehr Tatsacheninstanz, zu vermeiden, sollte § 6 Abs 3 ersatzlos entfallen. Mit dem Hinweis auf die Anwendbarkeit des Verfahrens bei Nichtigkeitsbeschwerden in § 10 ist der § 285 f StPO ins Grundrechtsverfahren rezipiert, womit Aufklärungen über Verfahrensmängel zu erreichen sind.

 

In Anbetracht des § 22 StPO müsste es in § 6 Abs 1 GRBG anstelle „des Generalprokurators“ richtigerweise „der Generalprokuratur“ lauten.

Mit der deutlich erweiterten Fassung des Grundrechtsbeschwerdegesetzes ist jedenfalls ein personeller Mehrbedarf im Bereich des Obersten Gerichtshofes und der Generalprokuratur zu prognostizieren, noch dazu wenn man den Umstand miteinbezieht, dass mit dem Inkrafttreten des Strafprozessreformgesetzes vermehrt rechtliche Klarstellungen durch den Obersten Gerichtshof über Initiative der Generalprokuratur zu erfolgen haben werden.

 

Wien, am 17. Oktober 2007
Der Leiter der Generalprokuratur:

Dr. Werner Pürstl eh.

 

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