Zl. 12-REP-43.00/08 Ht/Er

 Ht/Er

 

HAUPTVERBAND DER ÖSTERREICHISCHEN SOZIALVERSICHERUNGSTRÄGER

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                                                                                                            Wien, 7. Mai 2008

An das                                                                                                                   Per E-Mail
Bundeskanzleramt
Ballhausplatz 2
1014 Wien

An das                                                                                                                   Per E-Mail
Präsidium des Nationalrates

 

An das                                                                                                                   Per E-Mail
Bundesministerium
für Gesundheit, Familie und Jugend

Betr.:     Entwurf eines Bundesverfassungsgesetzes, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz geändert und ein Zweites Bundesverfassungsrechtsbereinigungsgesetz erlassen wird

Bezug:  Ihr E-Mail vom 12. März 2008;
GZ: BKA-603.363/0004-V/1/2008

Sehr geehrte Damen und Herren!

Der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger nimmt wie folgt Stellung:

Zu Art. 10 Abs. 1 Z 6 bzw. Art. 12 Abs. 1 Z 2

Die Kompetenz „öffentliche Aufträge“ sollte der ersten Säule des Entwurfs (Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache) und nicht der dritten zugeordnet werden.

Dafür sprechen folgende Gründe:

1.  Die Regelung der öffentlichen Auftragsvergabe wird maßgeblich durch europarechtliche Richtlinien bestimmt. Abweichende nationale Regelungen sind nicht möglich. Wenn auch diese Richtlinien formal nur für den so genannten Oberschwellenbereich gelten, so müssen gemäß ständiger Rechtsprechung des VfGH wegen des Gleichheitsgrundsatzes für den - nicht immer nur geringwertigen - Unterschwellenbereich weitestgehend gleichartige nationale Regelungen getroffen werden.
Letztlich ist der Bund gegenüber der EU für die vollständige und richtige Umsetzung der Richtlinien in nationales Recht verantwortlich und wird auch im Vertragsverletzungsverfahren vor dem EuGH belangt, auch wenn ihm innerstaatlich dafür keine Rechtssetzungsbefugnis zukommt. Etwaige Rechtsschutzdefizite im Bereich der Länder (und Gemeinden) können sich damit sogar auf das Bundesbudget auswirken (Verhängung von Bußgeldern).

2.  Das (bisher geltende) Zustimmungsrecht aller Länder für Änderungen im materiellen Teil des BVergG hatte zur Folge, dass Veröffentlichungen des Gesetzes in Umsetzung der EG-Richtlinien manchmal immer erst im letzten Moment - manchmal sogar nur wenige Stunden vor dem Inkrafttreten der Richtlinien - erfolgen konnten. Die damit verbundene lange Rechtsunsicherheit ist unzweckmäßig und stellt für alle Parteien eine zusätzliche Belastung dar.

3.  Wenn - was schon der Fall war - sich wegen verfassungsrechtlich unterschiedlicher Kompetenzen ein Landes- und ein Bundestribunal nicht über die Zuständigkeit für einen konkreten Fall einigen, besteht ein Kompetenzkonflikt, der erst (nach längerer Zeit) durch einen Spruch des VfGH gelöst werden kann. Auch ist die wirkliche Zuständigkeit den Verfahrensparteien nicht immer offensichtlich. Bei einer einheitlichen Bundeskompetenz wäre eine solche Rechtsunsicherheit nicht gegeben.

4.  Die Existenz von zehn Tribunalen (Rechtsschutzbehörden) auf gleicher Ebene begünstigt eine Tendenz zu unterschiedlicher Spruchpraxis, die nur durch rechtzeitige Einschaltung des VwGH behoben werden kann. Auch dies bewirkt eine lange Verzögerung und damit Rechtsunsicherheit für die Parteien.

5.  Wegen des so genannten „Lerneffekts“ hängt die Entscheidungsqualität in nicht unerheblichem Ausmaß auch von der Anzahl der entschiedenen Fälle ab. Auf Bundesebene fallen jährlich etwa 150 Fälle an, in jedem Bundesland nur ca. fünf bis zehn. Daher findet bei Ländern die Auseinandersetzung mit der doch sehr komplexen Rechtsmaterie relativ selten statt. Das Bundesvergabeamt hat aber dadurch, dass 98 % seiner Entscheidungen im Rechtsbestand verbleiben, einen deutlichen Qualitätsmaßstab gesetzt.

6.  Bei Vergabe öffentlicher Aufträge sind nicht nur die Entscheidungsqualität und Rechtssicherheit, sondern auch die Verfahrensdauer ein wichtiges Kriterium, weil der Auftraggeber in dieser Zeit blockiert ist und somit wesentliche Impulse für die Wirtschaft „auf Eis“ liegen. Das Bundesvergabeamt hat die gesetzlichen Entscheidungsfristen (eine Woche für die Einstweilige Verfügung, sechs Wochen für die Endentscheidung) in über 95 % aller Fälle eingehalten.

Überhaupt erheben sich gegen die dritte Säule des Entwurfs (Bundessache und Landessache in Gesetzgebung und Vollziehung) massive grundsätzliche Bedenken:

Hier soll nämlich der Bund (im Einzelfall) mit Zustimmung der Länder eine bundesgesetzliche Regelung treffen und auch eine solche zurücknehmen können. Er soll auch von einer Regelung Abstand nehmen und sie damit den Ländern überlassen können. Gleiches soll für die mittelbare und unmittelbare Bundesvollziehung einerseits und die Landesvollziehung andererseits gelten.

All diese Zuständigkeiten sollen zwischen Bund und Ländern lediglich auf Grundlage der jeweiligen politischen Einigung verschoben werden können, ohne dass es dafür einer verfassungsgesetzlichen Sonderregelung bedarf und ohne dass derartige Regelungen der Kontrolle durch den VfGH unterliegen. Damit ist nicht nur ein negativer (legislativer) Kompetenzkonflikt geradezu vorprogrammiert, es erscheint auch mit den „Baugesetzen“ der österreichischen Bundesverfassung (rechtsstaatliches Prinzip, bundesstaatliches Prinzip) nicht vereinbar, wenn wesentliche Gesetzgebungs- und Vollziehungskompetenzen quasi tagespolitisch ausgemacht und noch dazu einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung entzogen werden.

Zu Art. 10 Abs. 1 Z 8

Den Erläuternden Bemerkungen zur Folge soll der Kompetenztatbestand „Energierecht“ auch die „Normalisierung und Typisierung elektrischer Anlagen und Einrichtungen, Sicherheitsmaßnahmen auf diesem Gebiet“ mit umfassen.

Diese Tatbestände müssen nach unserer Auffassung jedenfalls und ohne Wahlmöglichkeit in der alleinigen Gesetzgebungskompetenz des Bundes belassen werden. Eine auch nur ansatzweise oder denkmögliche (Teil-)Regelung von elektrotechnischen oder sicherheitsbezogenen Anforderungen durch Landesrecht – und sei es, weil der Bund zur Möglichkeit der Gesetzgebung (noch) nicht Gebrauch gemacht hat (Art. 12 Abs. 2) – erscheint in der Sache kontraproduktiv und muss daher abgelehnt werden.

Zu Art. 10 Abs. 1 Z 10

Die Ausweitung des Kompetenztatbestandes der Bundesgesetzgebung „Dampfkessel und Kraftmaschinen“ auf die Regelung der Abwehr von Gefahren, die von Maschinen ausgehen können, wird befürwortet.

Eine Ausweitung auf die Regelung der Abwehr von Gefahren, die allgemein von Technologien ausgehen können, erscheint in dieser Formulierung jedoch als unscharf, da die Abwehr möglicher Gefahren etwa der Nanotechnologie in das Chemikalienrecht und die Abwehr möglicher Gefahren der Gentechnologie insbesondere in das Gesundheitsrecht und in den Umweltschutz – oder aber in die Kompetenz Landwirtschaft – fallen.

Zu Art. 10 Abs. 1 Z 11

Die Zuständigkeit des Bundes für die Gesetzgebung am Gebiet des Arbeitsrechts der ArbeitnehmerInnen der land- und forstwirtschaftlichen Betriebe wird begrüßt. Damit kann eine schon vor mehr als hundert Jahren als anachronistisch erkannte und als rechtspolitisch nicht begründbar charakterisierte Divergenz endlich beendet und in die Richtung eines einheitlichen Arbeitsrechts zumindest der ArbeitnehmerInnen des „Privatsektors“ gelenkt werden. Ergänzend ist hervorzuheben, dass mit der Gesetzgebungskompetenz des Bundes im Landarbeitsrecht eine langjährige, prominente Quelle für Vertragsverletzungsverfahren wegen verabsäumter Umsetzung von EG-Richtlinien beseitigt werden kann.

Wie dringend ein Ende der fortschreitenden Zersplitterung des Landarbeitsrechts geboten ist, illustriert die Tatsache, dass seit den späten 1990er Jahren im Gebiet des Landarbeitsrechts österreichweit mehr als 60 Novellen zu Landesgesetzen, 90 Durchführungsverordnungen sowie mehr als 10 Verordnungsnovellen zu erlassen waren. Für all diese landesrechtlichen Bestimmungen gilt die Aussage, die der österreichische Nationalökonom Hugo Morgenstern bereits 1905 (!) im Rahmen der Analyse der 24 Dienstbotenordnungen der Monarchie – den Vorgängerbestimmungen des Landarbeitsrechts – machte: „Miteinander verglichen leiden [sie] an einer Hypertrophie kleiner Abweichungen, die durch die lokale Natur des Landes, für welches sie erlassen sind, gar nicht begründet ist.“ (H.M., Dienstbotenrecht; Österr. Staatswörterbuch, 2. Auflage, Band 1, 1905.)

Allerdings lässt die vorgesehene schrankenlose und nicht an enge Bedingungen geknüpfte Möglichkeit, dass die Bundesgesetze nach Art. 10 Abs. 1 die Landesgesetzgebung zur Erlassung von Ausführungsbestimmungen ermächtigen können (Art. 10 Abs. 2), befürchten, dass weiterhin sachlich nicht gerechtfertigte Uneinheitlichkeiten insbesondere im ArbeitnehmerInnenschutzrecht Vorschub geleistet wird.

Sofern die Ermächtigung zu Ausführungsbestimmungen der Länder überhaupt für notwendig erachtet wird, sollte das B-VG diese bundesgesetzliche Möglichkeit daher zwingend auf jene Fälle beschränken, in denen allfällige abweichende Regelungen auf Grund sachlicher Besonderheiten unbedingt erforderlich sind.

Zu Art. 10 Abs. 2

Gemäß Art. 10 Abs. 2 B-VG kann in den nach Abs. 1 ergehenden Bundesgesetzen die Landesgesetzgebung zur Erlassung von Ausführungsbestimmungen ermächtigt werden. Diese Möglichkeit erstreckt sich im Gegensatz zum derzeit geltenden Art. 10 Abs. 2 B-VG, der diese Ermächtigung nur für einzelne Tatbestände vorsieht (z. B. Berg- und Forstwesen), auf sämtliche Materien des geplanten Abs. 1 und somit auch auf das „So­zialversicherungsrecht“.

Wenngleich sich die Ausführungsbestimmungen in dem durch die Bundesgesetzge­bung festgesetzten Rahmen bewegen müssen und die Vollzie­hung ebenfalls Bundes­sache bleibt, ist es dennoch denkbar, dass in neun Bundeslän­dern unterschiedliche Ausführungsgesetze auch im Bereich der Sozialversicherung erlassen werden. Was das für ein Unternehmen bedeuten kann, das Filialen, Baustellen usw. in mehreren Ländern hat, muss nicht weiter ausgeführt werden. Die durch Art. 10 Abs. 2 B-VG eingeräumte Flexibilität führt zu einer zuneh­menden Rechtsunsicherheit. Insbesondere sollte in jenen Bereichen der sozialen Si­cherheit, in denen Interessen von Versicherten und Anspruchsberechtigten im Vor­dergrund stehen, eine größtmögliche Einheitlichkeit in Gesetzgebung und Vollziehung durch den Bundesgesetzgeber wie im bisherigen Art. 10 B-VG bestehen bleiben.

Der Hauptverband spricht sich daher mit Nachdruck gegen eine Neu­fassung des Art. 10 Abs. 2 B-VG in der geplanten Form aus.

Zu Art. 12

Gemäß Art. 12 Abs. 2 B-VG ist die Gesetzgebung in den in Abs. 1 genannten Angele­genheiten Landessache, „solange und soweit der Bund von der Zuständigkeit zur Ge­setzgebung nicht Gebrauch gemacht hat“. Nach den Erläuterungen zum Entwurf be­zweckt die so genannte „Dritte Säule“ eine fle­xible Handhabung sowohl der Gesetz­gebungs- als auch der Vollziehungskompetenz zwischen Bund und Ländern. Die in Art. 12 Abs. 1 B-VG genannten Kompetenzen können sohin zwischen Bund und Län­dern verschoben werden, ohne dass es dafür einer verfassungsrechtlichen Sonderre­gelung bedarf.

Dabei ist zu befürchten, dass die in den Erläuterungen mehrfach angeführten größeren Meinungsunterschiede zwischen Bundes- und Ländervertretern im Gesetzgebungsprozess ihre Fortsetzung finden werden.

Die geplante „flexible Handhabung“ der Gesetzgebungs- und Vollziehungskompetenzen zwischen Bund und Ländern in diesem Bereich würde eine weitere Schwächung des Parlamentarismus zur Folge haben. Denn die erforderliche politische Einigung über die konkrete Zuordnung der Regelungszuständigkeiten (wie unter Punkt 1.1. in den Erläuterungen zu den Hauptgesichtspunkten des Entwurfes vorausgesetzt) würde im Vorfeld der eigentlichen Wahrnehmung der Kompetenzen erfolgen (müssen), in Bund-Länder-Konferenzen oder ähnlichen außerparlamentarischen (ad hoc-)Gremien. Dass bei diesen Verhandlungen am Runden Tisch dann auch konkrete inhaltliche Vorgaben gesetzt würden, ist absehbar und würde den – verfassungsmäßig eigentlich unbeschränkten – legislativen Aktionsradius der „freien“ Mandatarinnen und Mandatare im Wesentlichen auf die legistische Ausführung oder gar nur Abstimmung über ein überreichtes „Gesetzespaket“ begrenzen.

Durch die Unentschiedenheit der Verfassung verlagert sich die Entscheidungsmacht über die Gesetzgebungsbefugnis im Einzelfall (bei einem „auftretenden Bedürfnis nach einer Verschiebung von Regelungszuständigkeiten“, siehe Punkt 1.6. der Hauptgesichtspunkte des Entwurfes) allerdings zwangsläufig auf die Vollziehungsorgane des Bundes und der Länder. Zwischen den Regierungsspitzen muss dann eine Einigung erzielt werden.

Wenn unter Punkt 1.1. in den Erläuterungen zu den Hauptgesichtspunkten des Entwurfes angemerkt wird, dass Zuständigkeiten innerhalb der dritten Säule zwischen Bund und Ländern „auf Grund von Zweckmäßigkeitserwägungen oder politischen Überlegungen“ verschoben werden können, dann sollte man sich als Verfassungsgesetzgeber nicht darauf verlassen, dass erstere (also die Zweckmäßigkeitserwägungen) immer überwiegen werden. Klaren, festen Verfassungsnormen, die zeitweiligen – aus welchen Gründen immer entstehenden – „Aktionismus“ möglichst verhindern, ist aus diesen Gründen bei der Frage der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern der Vorzug zu geben.

Der Entwurf sieht eine verfassungsrechtlich und demokratiepolitisch bedenkli­che Aufweichung dahingehend vor, dass Kompetenzen zwischen Bund und Ländern nunmehr auf Grundlage einer politischen Einigung und ohne Überprüfung durch den Verfassungsgerichtshof (Art. 138 Abs. 1 lit. c B-VG, Zuständigkeit für Kompetenzkon­flikte) verändert werden können. Eine Aufweichung der Kompetenzregelungen schafft eine zunehmende Rechtsun­sicherheit und erschwert eine Vorhersehbarkeit der jewei­ligen Zuständigkeit (z. B. im Krankenanstaltenwesen gemäß Art. 12 Abs. 1 Z 5 B-VG).

Als kleiner Exkurs sei hier angemerkt, dass sich die Spitzen der Bundes- und Landesregierung vor einer Änderung der Kompetenzlage nicht nur darüber einigen müssen, wer zuständig wird. Der Bund kann auch „lediglich Teilbereiche eines Kompetenztatbestands“ regeln, wobei es dann in den übrigen Teilen „zunächst stets zu prüfen [gilt], ob der Bund die jeweilige Materie abschließend geregelt hat“ (Erläuterungen zu Art. 12 Abs. 2).

Die Frage stellt sich, wer diese Prüfung vornehmen soll. Dem Verfassungsgerichtshof soll ja bei diesen Kompetenzverschiebungen keine Kontrollbefugnis zukommen (Punkt 1.1. in den Erläuterungen zu den Hauptgesichtspunkten des Entwurfes, erster Absatz letzter Satz), wenngleich der Art. 138 B-VG (Kompetenzgerichtsbarkeit) dem vorliegenden Entwurf zufolge nicht geändert werden soll. Wohlgemerkt, es handelt sich hier nicht um die Unterscheidung Grund­satz­ge­setz­ge­bung/Aus­füh­rungs­ge­setz­gebung, die es weiterhin geben soll, sondern um die kompetenzmäßige Zersplitterung einer Rechtsmaterie.

Diese Vorgangsweise wird die Gefahr entstehen lassen, dass Rechtsmaterien noch unübersichtlicher werden, der Zugang zum Recht behindert wird und zusätzliche Vollziehungsschwierigkeiten entstehen.

Dass ein Konsens über die Verschiebung der Regelungszuständigkeiten nicht ohne Blick auf den von der Gegenseite beabsichtigten Inhalt der verschobenen Materie zu erzielen sein und dass damit de facto eine gewisse Bindung der Nationalratsabgeordneten einhergehen würde, wurde bereits erwähnt. Überdies soll in Variante 1 (des Mechanismus in der dritten Säule) der von Landeshauptleuten dominierte Bundesrat ein absolutes Vetorecht erhalten. Bei der derzeit geltenden Kompetenz des Bundes zur Grundsatzgesetzgebung in den vom neuen Art. 12 zu erfassenden Angelegenheiten und in der Variante 2 des Entwurfs stünde dem Bundesrat lediglich ein suspensives Vetorecht zu.

Für den Bundesstaat ist es von entscheidender Bedeutung, welcher von mehreren Rechtsträgern zur Verteilung der Kompetenzen ermächtigt ist (d. h. wer die Kompe­tenz-Kompetenz hat) und weiters in welcher Form diese Kompetenz-Kompetenz aus­zuüben ist. Nach den derzeit geltenden Regelungen hat der Bund-(es-Verfassungsgesetzgeber) die Kompetenzen zwischen Bund und Ländern zu verteilen (vgl. Art. 10 Abs. 1 Z 1 B-VG). Wenngleich im derzeit geltenden Art. 15 Abs. 1 B-VG eine Generalklausel zu Gunsten der Länder eingerichtet ist, sind doch jene in Art. 10 bis 12 B-VG aufgezählten Kompetenzen in Gesetz­gebung und Vollziehung dem Bund und/oder den Ländern eindeutig zugeordnet.

Die verfassungsmäßige Verankerung dieser – systemimmanenten – Beeinträchtigung des gewaltentrennenden Prinzips, die mit der Schaffung dieses beweglichen Systems der Kompetenzlage einhergeht, ist aus unserer Sicht der äußerst bedenklich.

Zu Art. 12 Abs. 1 Z 5

Der für die Sozialversicherung relevante Regelungsbereich des Kranken- und Kuranstaltenwesens soll in die dritte Säule aufgenommen und somit im Bereich der gemeinsamen Kompetenz angesiedelt werden. Dazu ist Folgendes vorgesehen:

·          Bestehende Regelungen bleiben in Kraft.

·          Solange der Bund keine Regelungen erlässt, bleibt die Kompetenz bei den Ländern.

·          Die Vollziehung ist grundsätzlich Landessache, kann aber Bundesbehörden übertragen werden. Jedenfalls hat der Bund ein Aufsichtsrecht für die Vollziehung von Bundesgesetzen.

·          Es besteht wie bisher die Möglichkeit, dass sich der Bund auf die Erlassung von Grundsatzgesetzen beschränkt.

·          Sonderregelungen bestehen für die Umsetzung von Gemeinschaftsrecht.

Zur Klärung der Frage, welcher der Partner seine Kompetenz in welchen Umfang ausübt, bedarf es jeweils politischer Vereinbarungen.

Unter Punkt 1.6. in den Erläuterungen zu den Hauptgesichtspunkten des Entwurfes wird festgehalten, dass die strikte Zuordnung des Bereichs „Krankenanstalten“ zu Bund oder Ländern „unzweckmäßig erschien“ und deshalb die gemeinsame Zuständigkeit vorgeschlagen wird. In den Erläuterungen zu Art. 12 Abs. 1 Z 4 und 5 findet sich der Hinweis, dass sich einige Mitglieder „für eine Zuordnung des Tatbestandes ‚Krankenanstalten’ zum Tatbestand ‚Gesundheitsrecht’ in Art. 10 Abs. 1 Z 12 ausgesprochen“ haben. Letzterem kann sich die Sozialversicherung anschließen. Die Überführung dieses für das Gesundheitswesen überaus wichtigen Bereiches in die ausschließliche Bundeskompetenz wäre ausdrücklich zu begrüßen.

Auch die vorliegenden Erfahrungen sprechen für eine Einordnung der Kompetenz „Krankenanstalten“ in den Art. 10, um eine wünschenswerte Vereinheitlichung des Krankenanstaltenrechts zu forcieren und bisherige zeitliche Verzögerungen und Inkohärenzen auszuschalten. Der Artikel 10 bietet die Möglichkeit, dort einzelne Aspekte der Landesgesetzgebung zu überlassen, wo dies sachlich gerechtfertigt ist.

Beim Verbleib in der dritten Säule, ist neben den oben erwähnten grundsätzlichen Bedenken gegen eine solche – recht unsichere – dritte Säule auf Folgendes hinzuweisen:

Die bestehenden Gesetze in Angelegenheiten des vorgeschlagenen Art. 12 sollen als in Anwendung dieses Artikels erlassen gelten und im Falle der Änderung derartiger Gesetze nach Inkrafttreten der vorgeschlagenen Bestimmungen soll das Verfahren für die dritte Säule einzuhalten sein (Erläuterungen zu Art. 12 Abs. 2).

Der derzeit geltende Art. 12 B-VG sieht für das Krankenanstaltenwesen eine Grundsatzgesetzgebung des Bundes vor, wodurch in weiten Bereichen eine bundes­weit einheitliche Regelung dieser Materie gewahrt ist. Hingegen erschwert der vorlie­gende Entwurf dem Anwender mangels ausreichender Festlegung der Kompetenzen den Rechtszugang.

Darüber hinaus möchten wir darauf hinweisen, dass das am 7. April 2008 publizierte Sozialpartnerpapier „Zukunftssicherung für die soziale Krankenversicherung“ in Kapitel 6 als wirkungsvolle Lösung des „wohl größten Problems des österreichischen Gesundheitswesens“, nämlich „die nahezu unkoordinierte Parallelität und Komplexität der Finanzströme“, die Zusammenfassung der Finanzierung aus einer Hand vorschlägt, wobei es „auf der Hand liegt, die soziale Krankenversicherung mit dieser gesamtheitlichen Finanzierungsaufgabe zu betrauen“.

Diesem Reformansatz, der eine maßgebliche Neuordnung des Gesundheitswesens zur Folge hätte, wird der vorliegende Entwurf des B-VG nicht gerecht.

Im Gegenteil: Durch die Zersplitterung des ohnedies nicht einfachen Kompetenzrechts wird mit weiteren unübersichtlichen Regelungen zu rechnen sein.

Es wird noch stärker dazu kommen, dass sich Partikularinteressen durchsetzen: Schon heute ist es z. B. der Sozialversicherung nur schwer möglich, von den Standesämtern Angaben darüber zu erhalten (§ 360 Abs. 5 ASVG), wer überhaupt geboren wurde, obwohl dies eine spürbare Verbesserung der Dienstleistungsqualität bedeuten würde und den Eltern Amtswege usw. ersparen könnte (weil Kinder in der Krankenversicherung mitversichert sind, § 123 ASVG).

Aus diesen Gründen spricht sich der Hauptverband ge­gen die Umsetzung des neuen Art. 12 B-VG (v. a. im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 Z 5 B-VG) in der im Entwurf festgelegten Form aus.

Zu Art. 21

Das Fortbestehen der Rechtszersplitterung am Gebiet des Bedienstetenschutzrechts der Landes- und Gemeindebediensteten, die nicht in Betrieben tätig sind (Artikel 21 B-VG), ist äußerst problematisch.

Es bestehen zehn voneinander in Details abweichende und in der Rechtserzeugung schwerfällige, aufwändige und langwierige Regelungssysteme betreffend den ArbeitnehmerInnenschutz der Landes- und Gemeindebediensteten Das Land Oberösterreich hat sogar getrennte Regime für den Landesbedienstetenschutz und für Gemeindebedienstetenschutz geschaffen. Insgesamt stehen in diesem Bereich weit mehr als 115 – zum Teil bereits oftmals novellierte – Landesgesetze und ‑verordnungen in Geltung.

In der Regel werden auf diesem Gebiet die EG-rechtlichen Umsetzungsfristen um – zumeist viele – Jahre überschritten. In einem Fall (BGBl II Nr. 173/2002) musste sogar die Bundesregierung eine Ersatzvornahme gemäß Art. 23d B-VG treffen, um wegen beharrlicher Untätigkeit eines Landes EG-rechtliche Konsequenzen von der Republik abzuwenden.

Mehr als zwei Drittel der Landesverordnungen für den Landes- bzw. Gemeindebedienstetenschutz verweisen ausschließlich statisch auf ASchG-Verordnungen, d. h. sie ordnen die Anwendung der entsprechenden Bundesverordnungen an, wobei jedoch unregelmäßig geringfügige und sachlich unbegründet erscheinende Abweichungen von diesen normiert werden. Zwei Sammelverordnungen ordnen die Anwendung von zusammen gleich 25 Bundesverordnungen an.

Die meisten der übrigen Landesverordnungen stellen inhaltliche Kopien der Bundesverordnungen – allerdings mit kleinen, sachlich in der Regel nicht nachvollziehbaren Abweichungen – dar. Eine eigenständige inhaltliche Rechtsgestaltung durch die Länder findet faktisch nicht statt.

Das B-VG sollte die Vereinheitlichung insbesondere der Bedienstetenschutzbestimmungen der Länder anstreben. Als erster Schritt könnte in Art. 21 B-VG (nach dem Vorbild des § 95 des Burgenländischen Bedienstetenschutzgesetzes) normiert werden, dass die landesrechtlichen Bedienstetenschutzvorschriften von jenen, die bundesrechtlich für Betriebe gelten, nur insoweit abweichen dürfen, als dies in den Besonderheiten des öffentlichen Dienstes sachlich begründet ist.

Zu Art. 34 bis 42

Nach der vorgeschlagenen Variante 1 der Neukonzeption des Bundesrates soll künftig jedes Land im Bundesrat durch den Landeshauptmann, den Landtagspräsidenten so­wie ein weiteres Mitglied vertreten sein, wobei jedem Land nur eine Stimme zu­kommt.

Dieses neue Modell soll die Landeshauptleute-Konferenz und den Bundesrat in herkömmlicher Form ersetzen. Da die Landeshauptleute für die Vollziehung des Bundesrechts in den Ländern (mittelbare Bundesverwaltung) zuständig sind und nunmehr über die Neukonstruktion des Bundesrates an der Gesetzgebung mitwirken sollen, liegt eine Vermengung der Staats­gewalten, nämlich Vollziehung und Gesetz­gebung vor, die aus unserer Sicht als bedenklicher Eingriff in das Prinzip der Gewal­tentrennung (vgl. dazu auch die Aus­füh­rungen in den Erläuterungen zu Variante 2) zu werten ist. Hinzu kommt, dass dem Bundesrat ein absolutes Veto in Angelegenheiten des Art. 12 B-VG eingeräumt werden soll (§ 42 Abs. 2 B-VG), was den Prozess der Gesetzwerdung erheblich erschweren kann. Diese Konzeption wird daher vom Hauptverband nicht befürwortet.

Zu Art. 52 Abs. 4

Bei der geplanten Abschaffung der politischen Kontrollrechte durch den Bundesrat in Art. 52 ist auch der Verweis in Abs. 4 auf die Geschäftsordnung des Bundesrates zu beseitigen.

Mit freundlichen Grüßen
Für den Hauptverband: