Sehr geehrte Damen und Herren,

 

Ich übermittle als Mitglied des ehemaligen Konvents Ihnen gern eine kurze, persönliche Stellungnahme und bedanke mich, dafür Gelegenheit erhalten zu haben. Wunschgemäß maile ich diese Stellungnahme hiemit auch an das Präsidium des Nationalrats.

 

ZUR GENESIS UND ZUM VERFAHREN:

 

Grundsätzlich ist das vorliegende, zweifellos sehr durchdacht erarbeitete Teilergebnis der Expertengruppe sehr zu begrüßen, auch wenn einige Vorschläge darin gespalten sind. Allerdings ist daran zu erinnern, dass zu Beginn des Konvents an der Spitze der Aufgaben für Verfassungsänderungen (ich selbst habe immer an der Verwirklichbarkeit einer neuen Gesamtverfassung gezweifelt) stand: "...grundlegende Staats- und Verwaltungsreform..., die auch Voraussetzungen für eine effiziente Verwaltung schaffen soll. Die künftige Verfassung soll eine zukunftsorientierte, kostengünstige, transparente und bürgernahe Erfüllung der Staatsaufgaben ermöglichen...".

 

Gegen Ende des Konvents, im Sonderausschuss des Nationalrats und dann in der Expertengruppe hat sich die Unterschiedlichkeit der Wünsche verschiedener politischer Gruppierungen immer mehr so ausgewirkt, dass die meisten Felder kaum noch verfolgt wurden, sondern nur die kleinen gemeinsamen Nenner. Insbesondere erscheint das zentrale Ziel der effizienteren Staatsstruktur und -verwaltung fast völlig aus den Augen verloren und macht Bemühungen um einen Kompromiss zwischen aktuellen politischen Gruppenwünschen Platz (Ausnahme ist nur die Rechtsbereinigung gemäß der "ersten Tranche" der Expertenkommission). Dabei ist die Qualität der Verfassung als Grundlage für die Staatsstruktur und nicht (tages-) politischer Gruppenwünsche in erster Linie an einer aktualisierenden Verbesserung dieser Struktur zu messen, wie es für den Standortwettbewerb und für Vertrauensaufbau in der Bevölkerung dringend erforderlich erscheint.

 

Die Bundesregierung hat im Regierungsprogramm vom Februar 2007 und mit dem Auftrag an die Expertengruppe Vorgaben gemacht, die von den ursprünglichen gemeinsamen (zentralen) Reformabsichten abgehen, ja ihnen zum Teil zuwider laufen und andere Themen beinhalten. So etwa "eine Stärkung der Länderautonomie und der Rechtsstellung der Gemeinden" und "Verbesserungen im Wahlrecht". Nebenbei bemerkt: Gerade das Wahlrecht etwa müsste, angesichts des allgemeinen Wunsches nach "schlankerer Verfassung", überhaupt kein Thema der Verfassung sein. 

 

Die Expertengruppe hat sich sichtlich auch für die jetzt vorliegende "zweite Tranche" an die Regierungsvorgaben gehalten. Inzwischen schon laut gewordene Rufe mit Ablehnung der Vorschläge lassen befürchten - und das wäre doch zu vermeiden! -, dass der Inhalt der Regierungsvorgaben wieder missachtet  und in der Folge die Arbeit der Expertenkommission erstickt wird. So befremdet es, dass sich die Bundesländer schon wieder mit neuen Wünschen gemeldet haben, obwohl doch in der Expertengruppe absichtlich auch die Bundesländer prominent vertreten waren (wer eigentlich für die Bundesinteressen?).

 

MEINE POSITIONEN ZUM VORLIEGENDEN ENTWURF SELBST:

 

1. KOMPETENZVERTEILUNG:

Als Knackpunkt für eine funktionierende Verwaltung ohne die seit langem kritisierten teuren Leerläufe, Mehrfachkompetenzen, fehlenden Kompetenzen und dem Instanzenwirrwarr und  ihrer Überladung ist die Kompetenzenregelung anzusehen. Die Einschränkung auf weniger und größere Kompetenzfelder ist zu begrüßen, wobei deren Wirksamkeit freilich stark davon abhängt, dass die Änderung von den Verwaltungsorganen voll "gelebt" wird. Sicher vorteilhaft und notwendig ist auch eine gewisse Konzentration in den Bundeskompetenzen hinsichtlich Wirtschaftsrecht, Normenwesen, Verkehrswesen, bei freien Berufen u. a. m. 

 

Dem gegenüber erscheint die politisch bedauerlicher Weise so umstrittene Zersplitterung im Schulwesen und im Gesundheits- mit Spitalwesen nicht ernstlich angegangen -  im Hinblick auf die für das Budget so entscheidende Größenordnung höchst bedauerlich. Gerade nur die vorgesehen Vereinheitlichung durch Auflösung der Landes- und Bezirksschulräte erscheint positiv.

 

Die Umweltproblematik kann, wie weltweit erkannt wird, kaum EU-weit allein sinnvoll behandelt werden, geschweige denn von einem kleinen Staat. Grotesk erscheint, daher, dass in Österreich noch immer die Aufsplitterung in 9 + 1 Zuständigkeiten gilt.

 

Das schon im Konvent sehr umstrittene "Drei-Säulen-Modell" wurde von den Bundesländern forciert, und es war Vorgabe für die Expertengruppe. Es widerspricht diametral dem Optimum klarer Zuständigkeitsregeln und lässt zweifellos neue Doppelgleisigkeiten und Kompetenzkonflikte zu. Es ist kein gutes Argument zu behaupten, dass auch jetzt schon viele gemischte Kompetenzen bestehen: Dagegen und nicht dafür soll ja was getan werden! Aus praktischen Gründen - und wenn unbürokratisch gehandhabt - kann eine "dritte Säule" gerade noch angehen, wenn sie auf sehr wenige Kompetenzen beschränkt bliebe - was im vorstehenden Entwurf absolut nicht der Fall ist. Insbesondere wären natürlich Staatsbürgerschaft, Umwelt und Abfall, Kranken- und Kuranstalten und Schulorganisation wesentlich sinnvoller und wohl auch kostengünstiger als Verantwortung des Bundes zu lenken und wahrzunehmen - in einer Zeit, in der ein kleiner Staat Umwelt-, Energie- und Wirtschaftspolitik kaum national sinnvoll betreiben kann.

 

Die konkrete Zuordnung der Regelungskompetenzen mit vielen Varianten für Gesetzgebung/Grundsatzgesetzgebung/Vollziehung durch Bund/Länder bedarf - wie vorgesehen - einer jeweiligen Übereinkunft  zwischen Bund und Ländern. Das fordert Verhandlungen, Konflikte, Verzögerungen und "Kuhhandel" geradezu heraus und ist in dieser Form strikt  abzulehnen! Die Uneinigkeit schon in der Expertengruppe zeigt, dass sie sich sehr wohl dieses Problems bewusst war, das natürlich die Divergenz der Wünsche Bund/Länder widerspiegelt, aber einer Verfassungreform für mehr Effizienz geradezu Hohn spricht.

 

2. BUNDESRAT:

Die Problematik der "dritten Säule" wird noch verschärft durch ein Vetorecht eines neuen Bundesrats nach Version I bzw. Erfordernis der Zweidrittelmehrheit im Nationalrat nach Version II. Die vorgeschlagenen Neuregelungen für den Bundesrat sind unter dem Gesichtspunkt zu prüfen, dass die Praxis seit Jahrzehnten fast ausschließlich Entscheidungen nach Parteigrenzen und nicht nach föderalen Gesichtspunkten kennt; eine Änderung ist nicht zu sehen, so dass sich die Frage stellt, ob der Aufwand für den Bundesrat gerechtfertigt ist, nur um sich eine Art Aufzeigeorgan für die Bundesgesetzgebung im seltenen Fall unterschiedlicher Parteimehrheitsverhältnisse zu halten. Tatsächlich hat der Bundesrat ein Schattendasein; will man ihn aber wirklich "wachküssen" und sich damit enorm viele neue Schwierigkeiten in der Staatsführung einhandeln, von denen einige andere Staaten ein gequältes Lied singen können?

 

Von den zwei vorgeschlagenen Versionen wäre die Version I noch die bessere, weil rationeller, trotz der rechtspolitisch unschönen, aber praxisnahen Berührung Legislative/Exekutive. Auch die mühsamere Entscheidungsfindung mit doppelter Mehrheit in "Drittsäulen"-Angelegenheiten bei der Version II spricht gegen diese.

Geradezu katastrophal könnte sich bei der Version II die Zweidrittelmehrheit auswirken, weil damit die Länder Entscheidungen, die doch dem Bund zustehen, an sich ziehen könnten, und praktisch eine Entscheidungslähmung eintreten könnte.

 

Eine einfache Lösung, die nach absehbarer politischer Situation auch keine anderen Ergebnisse als der Bundesrat bringen würde, wäre der Ersatz des Bundesrats durch eine aufs Offizielle aufgewertete Landeshauptleutekonferenz (oder Verschmelzung mit dem Bundesrat), in der nur jeder Landeshauptmann (oder der Landtagspräsident, um besser im Legislativen zu bleiben) eine Stimme hat, und die Mehrheit entscheidet. Damit wäre in der Zusammensetzung, wenn auch nicht in der Kompetenz, eine echte zweite Kammer - wie in vielen Staaten - geschaffen.

 

3. EU-RECHT-UMSETZUNG:

Seit Jahren ist die Umsetzung von EU-Richtlinien bei unterschiedlicher innerösterreichischer Zuständigkeit Bund/Länder problematisch und nur holprig und langsam; da der Bund für die Umsetzung gerade zu stehen hat, müsste er voll die Kraft = Kompetenz dazu haben. Der Entwurf sieht dies nicht allgemein vor, aber hinsichtlich der "dritten Säule" doch (letzter Satz im Art. 12 Abs. (6), was positiv ist, aber nur eine halbherzige Lösung.

 

ZUSAMMENFASSUNG:

Die anderen Teile des vorliegenden Entwurfs erscheinen mir nicht so entscheidend. Insgesamt sehe ich ihn als kleinen Schritt per Saldo positiv mit der Einschränkung, dass die angeführten Themen, zumindest die zwei Punkte "Dritte Säule" und "Bundesrat" noch überarbeitet werden. - Außerdem möchte ich noch hinweisen: Der "Entrümpelung der Verfassung" (mit konsentierten Vorschlägen des Ausschusses 2 des Konvents) und der Forderung nach Lesbarkeit, Verkürzung und Übersichtlichkeit

wurde bis jetzt, auch mit dem neuen Teilvorschlag, nur sehr rudimentär entsprochen - obwohl es dazu von keiner Seite Ablehnung gab. Auf solche, nämlich im Wesentlichen konsentierte, Prioritäten, sollten in der weiteren Diskussion nicht vergessen werden!

 

Wien, 3. Mai 2008

 

Dr. Günter Voith

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