GZ.:

IX/26330

Fristvermerk:

 

Anschrift:

An das
Bundeskanzleramt
Expertengruppe Staats- und Verwaltungsreform
Ballhausplatz 2
1014 Wien

 

Per E-mail v@bka.gv.at

 

 

An das
Präsidium des Nationalrates
Dr. Karl Renner Ring 3
1017 Wien

 

Per E-mail begutachtungsverfahren@parlament.gv.at

Singerstraße 17-19, 1011 Wien

Sachbearbeiter:
RiAA Mag. Marcus Böhm
Tel.: +43-1-514 39/184
Fax: +43-1-514 39/509
www.finanzprokuratur.at

Wien, am 2. Mai 2008

Betreff:

Von der Expertengruppe Staats- und Verwaltungsreform erstellter Entwurf
eines Bundesverfassungsgesetzes, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz
geändert und ein Zweites Bundesverfassungsrechtsbereinigungsgesetz
erlassen wird/Aussendung zur Begutachtung,
zu Staatsreform/Allgemeines/Vorlage 27

Beilagen:

 

 Anrede

Sehr geehrte Damen und Herren!

Texteingabe:

Zu dem ausgesendeten Entwurf der Expertengruppe Staats- und Verwaltungsreform darf die Finanzprokuratur wie folgt Stellung nehmen:

 

I. Zu Art 1 Z 1 des Entwurfes (vorgesehene Änderung des Art 10 B-VG):

1. Stiftungsrecht:

Während das bisher in Art 10 Abs 1 Z 6 angeführte "Privatstiftungswesen" im vorgeschlagenen Art 10 Abs 1 Z 6 zwar als eigener Kompetenztatbestand entfallen soll, als zum Bereich "Zivilrecht" gehörig jedoch nach wie vor in Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache bleiben soll, ist der ersatzlose Entfall des bisher in Art 10 Abs 1 Z 13 geregelten Kompetenztatbestandes "Stiftungs- und Fondswesen, soweit es sich um Stiftungen und Fonds handelt, die nach ihren Zwecken über den Interessenbereich eines Landes hinausgehen und nicht schon bisher von den Ländern autonom verwaltet wurden" in dieser Form nicht nachvollziehbar. Der in den Erläuterungen zu Art 10 Abs 1 Z 13 enthaltene kursorische Hinweis "öffentlich-rechtliche Stiftungen und Fonds folgen als Annexmaterie der jeweiligen Sachmaterie", mag zwar für öffentlich-rechtliche Stiftungen und Fonds im engeren Sinn, also solche, deren Errichtung durch den Bundes- oder Landesgesetzgeber mittels Hoheitsakt (meist durch Gesetz oder Verordnung) erfolgt, zutreffen, lässt aber Stiftungen und Fonds, die aufgrund einer privaten Willenserklärung des Stifters bzw. Fondsgründers unter nachfolgender Genehmigung der Behörde ins Leben gerufen werden und die nach herrschender Ansicht der Kategorie der privatrechtlichen Stiftungen und Fonds zuzuordnen sind, unberücksichtigt. Auch abgesehen von dem systematisch unvollständigen Bereinigungsversuch bleibt unklar, welcher Sachmaterie bisher unter dem Regime des Bundes-Stiftungs- und Fondsgesetzes stehende gemeinnützige Stiftungen und Fonds als Annexmaterie folgen sollen. Eine letztwillig errichtete gemeinnützige Stiftung zur Unterstützung bedürftiger österreichischer Studenten etwa wird wohl auch in Zukunft nicht unter dem Regime eines beliebigen Landes-Stiftungs- und Fondsgesetzes stehen können, auch wenn sie ihren Sitz nur in einem bestimmten Bundesland haben kann. Darüber hinaus zeigt die praktische Handhabung des Stiftungs- und Fondsrechtes der vergangenen Jahrzehnte, dass sehr wohl ein Bedürfnis nach einer bundeseinheitlichen Regelung besteht; zu denken ist dabei insbesondere an Verfahrensfragen, eine bundesweit einheitliche ausreichende Dotierung von Stiftungen an Fonds etc.

Die Prokuratur regt daher an, entweder den bisherigen Kompetenztatbestand des Stiftungs­- und Fondswesens in Art 10 Abs 1 Z 13 unverändert zu belassen oder aber ihn ebenso wie das "Privatstiftungswesen" durch einen entsprechenden Hinweis in den Erläuterungen dem Kompetenzbereich "Zivilrecht" anzugliedern.

 

2. Verkehrsrecht:

Die Zusammenfassung der bisherigen Kompetenztatbestände "Eisenbahnen", "Luftfahrt", "Kraftfahrwesen", "Schifffahrt" sowie "Straßen-, Strom- und Schifffahrtspolizei" unter dem neuen Kompetenztatbestand "Verkehrsrecht" in Art 10 Abs 1 Z 9 bedeutet insbesondere, dass durch die Zuordnung der Vollziehung von Angelegenheiten der Straßenpolizei zum Bund dieser nunmehr anstelle der Länder funktioneller Rechtsträger im Sinn des § 1 AmtshaftungsG wird. Da die Anzahl der aus fehlerhafter Vollziehung der Straßenverkehrsordnung österreichweit resultierenden Amtshaftungsfalle insgesamt deutlich höher ist als etwa jene aus fehlerhafter Vollziehung des Kraftfahrgesetzes, dessen Vollziehung auch bisher schon dem Bund zukam, muss auf die den Bund durch die geplante Regelung treffende zusätzliche budgetäre Belastung ausdrücklich hingewiesen werden.

 


3. Wildbachverbauung:

Die in Art 10 Abs 1 Z 10 vorgesehene Eliminierung des Kompetenztatbestandes „Wildbachverbauung“ wird nicht befürwortet. In den Erläuterungen des Gesetzesentwurfes wird ausgeführt, dass der Begriff „Wildbachverbauung“ im Begriff „Wasserbau“ aufgehe. Demgegenüber ist darauf hingewiesen, dass dem forsttechnischen Dienst für Wildbach- und Lawinenverbauung eine Vielzahl von Kompetenzen zukommt, die sich keineswegs auf den „Wasserbau“ beschränken. Die Aufgaben des forttechnischen Dienstes für Wildbach- und Lawinenverbauung sind in § 102 Abs 5 ForstG (demonstrativ) aufgezählt. Hiezu gehören beispielsweise die Projektierung und Durchführung von Maßnahmen, einschließlich solcher zum Schutze und zur Hebung der oberen  Waldgrenze, gemäß dem VII. Abschnitt (Schutz vor Wildbächen und Lawinen) des ForstG und des Wildbachverbauungsgesetzes sowie jener nach § 9 Abs 1 des Wasserbautenförderungsgesetzes 1985 (§ 102 Abs 5 lit a ForstG), die Ausarbeitung von Gefahrenzonenplänen gemäß § 11 ForstG (§ 102 Abs 5 lit e ForstG) ua. Die Streichung des Kompetenztatbestandes „Wildbachverbauung“ würde daher eine Unsicherheit bei der Zuordnung der zahlreichen Aufgabenbereiche des forsttechnischen Dienstes für Wildbach- und Lawinenverbauung zu einem konkreten Kompetenztatbestand im B-VG mit sich bringen, weil sich eben eine derartige Zuordnung nicht in der Subsumption unter den Tatbestand „Wasserbau“ erschöpfen kann.

 

II. Zu Art 1 Z 2 des Entwurfs (vorgesehene Änderung des Art 11 B-VG):

Die in Z 6 geschaffene und in den Zuständigkeitsbereich der Länder verwiesene Kompetenz „Land- und Forstwirtschaft“ ist begrifflich viel zu wenig konkretisiert. Vor allem sind auch keine Kriterien für eine Abgrenzung gegenüber den Kompetenztatbeständen des vorgesehenen Art 10 Z 10 („Bergrecht; Forstrecht; Wasserrecht und Wasserbau“ usw.) und des vorgesehenen Art 10 Z 8 („agrarischer Marktordnung“) erkennbar. Wo wäre beispielsweise die Trennlinie zwischen „Forstrecht“ (Art 10 Z 10) einerseits und „Forstwirtschaft“ (Art 11 Z 6) andererseits oder zwischen „agrarischer Marktordnung“ (Art 10 Z 8) einerseits und „Landwirtschaft“ (Art 11 Z 6) andererseits zu ziehen?

 

III. Zu Art 1 Z 27 des Entwurfs (vorgesehene Änderung des Art 102 Abs 2 B-VG):

Auch hier wird angeregt, den Kompetenztatbestand „Wildbachverbauung“ beizubehalten, und zwar aus den oben unter Punkt I. 3. angeführten Gründen.

 

IV. Zu Art 1 Z 46 des Entwurfs (vorgesehene Änderung des Art 132 Abs 1 B-VG):

Bei der Wortfolge „Art 132 Abs 1 Z 2“ handelt es sich wohl um ein Redaktionsversehen und müsste es stattdessen richtigerweise „Art 131 Abs 1 Z 2“ lauten.

Auch in der Textgegenüberstellung findet sich dieses Versehen.

 

V. Zu Art 2 erster Abschnitt § 2 Z 13 des Entwurfs:

Die Aufhebung des § 1 AMA-Gesetzes wäre insofern nicht zu empfehlen, als die genannte Bestimmung nicht nur vorsieht, dass die Erlassung und Aufhebung von Vorschriften, wie sie im AMA-Gesetz enthalten sind, sowie deren Vollziehung Bundessache sind, sondern auch bestimmt, dass „soweit durch Bundesgesetz oder durch Verordnungen, die auf Grund von Bundesgesetzen erlassen werden, Aufgaben an die Agrarmarkt Austria (AMA) übertragen werden, diese Angelegenheiten von der AMA unmittelbar als Bundesbehörde versehen werden“ können.

Wenngleich nur in § 3 AMA-Gesetz der Aufgabenkreis der AMA in einen übertragenen und in einen eigenen Wirkungsbereich aufgeteilt und jeweils näher umschrieben wird, wäre mit der Aufhebung des § 1 AMA-Gesetz nun nicht mehr klar, ob der Agrarmarkt Austria weiterhin die Rolle einer Bundesbehörde zukommt.

 

Abschließend darf darauf hingewiesen werden, dass eine Ausfertigung dieser Stellungnahme dem Präsidium des Nationalrates übermittelt wird.

Mit vorzüglicher Hochachtung
Im Auftrag:

(Dr. D. Steiner)