Landesagrarsenat beim

AMT DER STEIERMÄRKISCHEN LANDESREGIERUNG

 

 

Fachabteilung 10A

     

 

è Agrarrecht und Ländliche Entwicklung

                                                                   

     

Bearbeiter:
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GZ:

FA10A-LAS10Bo1/2008-83

Bezug:

     

Graz, am 7. Mai 2008

 

Ggst.:

Entwurf der Expertengruppe Staats- und Verwaltungsreform im Bundeskanzleramt, Stand 11. März 2008; Stellungnahme

 


 

Die Einladung des Bundeskanzleramtes Expertengruppe Staats- und Verwaltungsreform zum Entwurf eines Bundesverfassungsgesetzes, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz geändert und ein Zweites Bundesverfassungsrechtsbereinigungsgesetz erlassen wird, Stellung zu nehmen erging an eine große Anzahl österreichischer Institutionen, nicht jedoch an die im Art 12 Abs 2 erster Satz B-VG festgelegten Landesagrarsenate. Der Landesagrarsenat beim Amt der Steiermärkischen Landesregierung erlaubt sich trotzdem aufgrund des ihm im Wege des Amtes der Landesregierung zugegangenen Entwurfs wie folgt Stellung zu nehmen:

 

Nach der vorgeschlagenen Aufteilung der Gesetzgebungs- und Vollziehungskompetenzen zwischen Bund und den Ländern nach dem vorgeschlagenen Art 12 des Entwurfs fallen alle nicht ausdrücklich zugewiesenen Materien letztlich in die Bundeskompetenz. Dadurch scheint nach Ansicht des Landesagrarsenates das bundesstaatliche Prinzip berührt. Wesentliche Elemente des bundesstaatlichen Prinzips sind eine Verteilung der staatlichen Funktionen zwischen Bund und Ländern sowie die Möglichkeit einer Mitwirkung der Länder an der Bundesgesetzgebung. Die Autonomie der Länder wird dabei vorausgesetzt (Öhlinger, Verfassungsrecht4, Rz 70). Kennzeichen des Bundesstaates ist die Selbstbeschränkung der Gesetzgebung des Gesamtstaates im Rahmen der Kompetenzkompetenz auf alle Fragen von Einheit und Bestand des Ganzen. Ein weiteres wesentliches Element des bundesstaatlichen Prinzips ist der verfassungsrechtliche Schutz der Kompetenzen der Länder, somit der Schutz der Kompetenz der Länder zur Regelung aller übrigen Materien (vgl Öhlinger, Verfassungsrecht4, Rz 71). Die Fiktion einer ursprünglich vollen Staatlichkeit der Länder nach dem bisherigen Art 15 Abs 1 B-VG wird durch den vorgeschlagenen Art 12 Abs 1 Z 9 jedenfalls zur Gänze beseitigt.

            Der vorgeschlagene Art 11 Z 6 verweist die Angelegenheiten der Bodenreform in Gesetzgebung und Vollziehung in die Landeskompetenz. Als Angelegenheiten der Bodenreform sind nach Ansicht des VfGH alle jene Aktionen auf dem Gebiet der Landeskultur zu verstehen, die die gegebenen Bodenbesitz, Benützungs- oder Bewirtschaftungsverhältnisse den geänderten sozialen oder wirtschaftlichen Anschauungen oder Bedürfnissen entsprechend, einer planmäßigen Neuordnung oder –regelung unterziehen wollen (VfGH 21.3.1931, K I 1/31). Der Kompetenztatbestand bisher erstreckte sich auch auf zivilrechtliche Fragen iZm der Bodenreform (VfGH 29.6.1990, B1249/89). Nach Art 12 Abs 1 Z 3 B-VG war in Angelegenheiten der Bodenreform die Gesetzgebung über die Grundsätze Bundessache, Landessache die Erlassung von Ausführungsgesetzen. Die Vollziehung wurde bisher von nach Art 12 Abs 2 B-VG eingerichteten Verwaltungsbehörden besorgt.

Ziel aller Maßnahmen auf dem Gebiet der Bodenreform ist die Schaffung und Erhaltung einer leistungsfähigen Landwirtschaft (VwGH 14.9.1993, 92/07/0036; 26.4.2001, 97/07/0075). Die Maßnahmen dienen dabei auch dem volkswirtschaftlichen öffentlichen Interesse an der Förderung der Sicherung einer leistungsfähigen Land- und Forstwirtschaft. Das Ergebnis der Verfahren ist bestimmend für Rechte und Verpflichtungen privatrechtlichen Charakters (EGMR 23.4.1987, 16/1986/114/162 Erkner und Hofauer; mwN). Bodenreformrecht beinhaltet daher materielles Zivilrecht nach Art 6 EMRK. Im Instanzenzug sind deswegen in der gegenwärtigen Ausgestaltung Tribunale nach der EMRK, nämlich die Landesagrarsenate und der Oberste Agrarsenat nach Art 12 Abs 2 B-VG zur Entscheidung berufen (VwGH 21.2.2008, 2006/07/0005 mwN).

Die bisherige Gestaltung des Kompetenztatbestandes Bodenreform ermöglichte den Bund durch Grundsatzgesetzgebung einerseits auf eine Kernkompetenz eines Gesamtstaates nämlich dem Zivilrechtswesen Einfluss zu nehmen andererseits die möglichst günstige Bewirtschaftung des Produktionsfaktors Boden im Staatsgebiet und damit für den Gesamtstaat bedeutsamer volkswirtschaftlicher Interessen zu ermöglichen. Durch die Ausführungsgesetzgebungskompetenz der einzelnen Gliedstaaten konnten diese auf regionale Anforderungen Bezug nehmen, womit dem definierten Ziel der Bodenreform ausgewogen Rechnung getragen werden konnte.

Durch eine Verweisung dieses Kompetenztatbestandes in Gesetzgebung und Vollziehung in alleinige Landessache könnte diese Ausgewogenheit gestört werden. Die Landtage könnten eigene möglicherweise den notwendigen gesamtstaatlichen Interessen sogar zuwider laufende Regelungen erlassen. Die in Österreich eintretende Rechtszersplitterung würde die Umsetzung von Entscheidungen europäischer Instanzen erschweren; die Rechtssicherheit des einzelnen in dem Sinne, als sie damit rechnen können in gleich gelagerten Fällen in einer für den Gesamtstaat bedeutsamen Maßnahme ebenso behandelt zu werden, wie andere Rechtssubjekte, würde leiden. Die Rechtssetzung und die Verwaltung würden aufwändiger werden. Die sog Kompetenzkonzentration, die vielfach essentiell für die Durchführung der Verfahren ist und jedenfalls wesentlich zur Verfahrenökonomie beiträgt, erscheint nur durch Hinzutreten einer Vereinbarung nach Art 15a B-VG beibehalten werden zu können, weil die Bodenreformbehörden als Landesbehörden dabei auch Angelegenheiten des Wirkungsbereichs des Bundes wahrzunehmen haben.
Die Entscheidungen der GHöffR für die einzelnen Bundesländer würden nicht mehr vergleichbar sein.

Die Motive für die vorgeschlagene Neuregelung aber auch die erwarteten Änderungen (Verbesserungen) gegenüber der bisherigen Rechtslage können aus den Materialien nicht erschlossen werden. Gerade der Entwurf einer Expertengruppe könnte aus Sicht des Landesagrarsenates beim Amt der Steiermärkischen Landesregierung in dieser Beziehung ausführlicher sein.

Im Ergebnis ist daher die Verweisung der Angelegenheiten der Bodenreform in Gesetzgebung und Vollziehung als Landessache nach dem vorgeschlagenen Expertenentwurf aus gesamtstaatlichen Interessen abzulehnen, sondern wäre dieser Kompetenztatbestand zwingend dem Artikel 12 Abs 4 erster Satz des Entwurfs zu unterwerfen.

Gleichzeitig wird darauf hingewiesen, dass die Einrichtung eines Verwaltungsgerichtes ohne die planende Eigenschaft der Agrarbehörden in allen reformatorisch entscheidenden Instanzen ausreichend zu berücksichtigen, aus folgenden Gründen eine krasse Verschlechterung des Rechtsschutzes erwarten lässt:
Mit den Mitteln der Bodenreform soll eine zweckmäßige, ja bestmögliche Bewirtschaftung des Bundesgebietes durch behördliche Maßnahmen erreicht werden, damit diesem Ziel abträgliche Strukturen, die aus der Privatautonomie heraus entstehen, nicht fortbestehen bleiben. Die Zusammensetzung der Landesagrarsenate mit rechtskundigen Verwaltungsbeamten, Richtern und sachverständigen Personen auf ihrem Gebiet, ist beispielsweise für eine Grundzusammenlegung nötig, die Fragen großer Komplexität nicht nur für die direkt betroffenen Grundeigentümer, sondern auch für die Öffentlichkeit aufwirft (vgl EGMR 23.4.1987, 12/1985/98/146 Ettl und andere; vgl EGMR 24.2.2005, 14206/02 Kern gegen Österreich).
Für die Durchführung der Agrarverfahren sind die Kenntnisse der Fachmitglieder nicht nur wünschenswert, sondern für die Entscheidungsfindung für die zu lösenden Sachfragen notwendig.
Nur durch diese Zusammensetzung können die Senate zu ausgewogenen Lösungen gelangen und die verschiedenen Interessen berücksichtigen (vgl EGMR 23.4.1987, 12/1985/98/146 Ettl und andere). Auf Grund der Sachkunde der Mitglieder der Landesagrarsenate muss eine Beiziehung von Sachverständigen nur ausnahmsweise erfolgen. Gerade in dieser Zusammensetzung wurden die Agrarsenate als Tribunal nach Art 6 EMRK anerkannt (vgl EGMR 23.4.1987, 12/1985/98/146 Ettl und andere; VfGH 7.12.1987, G145/87; VwGH 20.9.2001, 98/07/0033).
Die Landesagrarsenate sind jedoch nicht nur Spruchkörper im zweitinstanzlichen Verfahren, sondern im Verhältnis zu den Agrarbezirksbehörden, auch die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde iSd AVG, eine Funktion, die das Verwaltungsgericht nach der Begriffsbestimmung nicht wahrnehmen kann. Mit dieser Funktion wären daher in Bodenreformangelegenheiten unerfahrene Personen zu betrauen.
Nicht zu übersehen ist, dass die Geschäftsstelle des Landesagrarsenates auch an der Legistik im Bodenreformrecht mitwirkt und damit eher dem Zweck des Bodenreformrechts förderliche Textierungen gefunden werden.
Als Vorbild für die Einrichtung reformatorisch in Bodenreformangelegenheiten entscheidender Behörden könnten die gesetzlichen Regelungen der Bundesrepublik Deutschland zur Einrichtung der Flurbereinigungsgerichte dienen.
Dabei hätte ein Verwaltungsgericht ausnahmsweise in Schadenersatzangelegenheiten gem § 10 Abs 5 bis 7 FVGG, BGBl 1951/103 idF BGBl I 2005/87 in erster Instanz tätig zu werden. Eine Ermessenskontrolle wäre einzuräumen, die sich auf den Abwägungsvorgang und auf das Abwägungsergebnis der Planung bzw Neuordnung bezieht, um sachbezogen den Rechtsschutz für die betroffenen und die durch das Verfahren berührten öffentlichen Interessen wie bisher wahren zu können.
Im Ergebnis darf vorgeschlagen werden die verfassungsgesetzlichen Voraussetzungen zu schaffen, den Landesagrarsenat ohne Schmälerung der Kompetenzen bloß organisatorisch den geplanten Landesverwaltungsgerichten einzuordnen.

Der Umstand, dass laut Verteiler des Begleitschreibens zwar den Unabhängigen Verwaltungssenaten und anderen außerhalb der Ämter der Landesregierungen stehende Behörden nicht jedoch den in Art 12 Abs 2 B-VG genannten Agrarsenaten Gelegenheit zur Stellungnahme zu den Entwürfen gegeben wurde, könnte so gedeutet werden, dass die Expertengruppe der Bodenreform, wenn überhaupt, bloß eine geringe Bedeutung für den Staat beimisst. Die Bedeutung der Landwirtschaft in der öffentlichen Meinung scheint tatsächlich deswegen zu sinken, da der Anteil der Bevölkerung in der Land- und Forstwirtschaft seit Errichtung der Zweiten Republik insgesamt stark rückläufig war. Dabei hat sich das der Land- und Forstwirtschaft unterworfene Bundesgebiet und damit der volkswirtschaftliche Produktionsfaktor Boden in seinem Ausmaß seit Einführung des B-VG kaum verändert. Nach dem „Grünen Bericht 2007“, Tabelle 3.1.1, reduzierte sich die Kulturfläche seit dem Jahr 1951 bis zum Jahr 2005 nur um rund 6,42 Prozent, wogegen die Anzahl der Betriebe um rund 56,2 Prozent zurückging.
Selbst wenn die Verwirklichung des Ziels der Bodenreform ohne größere öffentliche Aufmerksamkeit vonstatten geht, sind die Ergebnisse für eine erfolgreiche Landbewirtschaftung, eine erwünschte Gestaltung der Kulturlandschaft und den bestmöglichen Einsatz des Produktionsfaktors Boden in Österreich im öffentlichen Interesse unabdingbar. Einheitliche Regelungsgrundsätze bundesweit gewährleisten Rechtssicherheit und Gleichheit des einzelnen in zivilrechtlichen Angelegenheiten besser (vgl Antoniolli/Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht3, 227).

Für den Landesagrarsenat:
Der Vorsitzende:

 

 

(Dr. Roland GÜNTHER)

 

 

Ergeht an:

1.       Bundeskanzleramt, Expertengruppe für Staats- und Verwaltungsreform, Ballhausplatz 2, 1014 Wien, eMail: v@bka.gv.at

2.       Präsidium des Nationalrates, eMail: begutachtungsverfahren@parlament.gv.at

3.       Dr. Karl Pfeil, Vorsitzender des Landesagrarsenates in Oberösterreich, eMail: karl.pfeil@ooe.gv.at zur Kenntnis