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Verfassungsdienst

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GZ: BMSK-10202/0002-I/A/4/2008

Wien, 08.05.2008

 

 

 

Betreff: Entwurf eines Bundesverfassungsgesetzes, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz geändert und ein Zweites Bundesverfassungsrechtsbereinigungsgesetz erlassen wird

 

Sehr geehrte Damen und Herren!

Das Bundesministerium für Soziales und Konsumentenschutz nimmt mit Bezug auf das Schreiben vom 12. März 2008 zum Entwurf eines Bundesverfassungsgesetzes, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz geändert und ein Zweites Bundesverfassungsrechtsbereinigungsgesetz erlassen wird, wie folgt Stellung:

Allgemeines:

Der geplante Mechanismus in Angelegenheiten der dritte Säule (Art. 12 B-VG) würde dazu führen, dass jede Gesetzesnovelle im Bereich des Bundespflegegeldgesetzes (BPGG), des Verbrechensopfergesetzes (VOG) und des Bundesbehindertengesetzes (BBG) - egal welchen Umfangs - vom Bundesrat entweder komplett blockiert werden könnte (absolutes Veto - Variante 1) oder ein Beharrungsbeschluss im Nationalrat mit 2/3 Mehrheit gefasst werden müsste (Variante 2). Dies würde jedenfalls für gesetzliche Änderungen eine gravierende Erschwerung gegenüber der bisherigen Situation darstellen.

Im Übrigen wird angemerkt, dass der geplante Art. 12 B-VG auch zu Unklarheiten betreffend die Zuständigkeit für neue Gesetzesinitiativen führen könnte (Bund oder Land). Fraglich erscheint auch, wie der Art. 12 B-VG in der Praxis gehandhabt werden würde (z.B. die immer wiederkehrende Forderung an den Bund nach Vorschriften über barrierefreies Bauen, derzeit in Länderkompetenz).

In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass für die dritte Säule nach Art. 151 Abs. 41 Z 3 B-VG zwar eine Übergangsregelung für die Zuständigkeit in der Gesetzgebung besteht, es aber nicht ausreichend klar erscheint, ob bzw. wie weit diese Übergangsbestimmung auch hinsichtlich der Zuständigkeit für die Vollziehung bzw. den Behördenvollzug anzuwenden ist.

Bereich Pflegevorsorge:

Zu Art. 1 Z 2 (Art. 12 Abs. 1 B-VG):

Im Zuge der im Rahmen dieses Gesetzesentwurfes geplanten Neuordnung der Kom­petenzverteilung zwischen Bund und Ländern soll in Art. 12 Abs. 1 Z 5 B-VG der Kompetenztatbestand „Krankenanstalten und Pflege“ verankert werden.

Dazu wäre anzumerken, dass es bei der Normierung eines Kompetenztatbestandes „Pflege“ insbesondere auch im Konnex mit dem Terminus „Krankenanstalten“ zu
Unklarheiten kommen könnte (mögliche verfehlte Bezugnahme auf Krankenpflege), welche Zuständigkeiten unter diesen Tatbestand zu subsumieren wären.

Es wird daher angeregt, die „Pflegevorsorge“ - insbesondere unter dem Aspekt, dass dieser Terminus im allgemeinen Sprachgebrauch durchaus gebräuchlich ist und sich bereits etabliert hat, sowie um allfällige Unklarheiten schon vorweg hintan zu halten - als selbständigen Tatbestand und somit als eigene Ziffer in Art. 12 Abs. 1 B‑VG zu verankern.

Bereich Behindertenpolitik:

Zu Art. 1 Z 1 (Art. 10 Z 11 B-VG), Z 27 (Art. 102 Abs. 2 B-VG) und Art. 2 § 2 Abs. 1 Z 10 sowie § 2 Abs. 2 Z 3 2. BVBRG:

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 10 2. BVBRG soll Art. I Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 27. September 1988, mit dem das Invalideneinstellungsgesetz 1969 geändert wird, BGBl. Nr. 721, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 313/1992, aufgehoben werden. Diese Bestimmung stellt die geltende verfassungsrechtliche Grundlage für die Erlassung, Änderung und Aufhebung von Vorschriften im Bereich des Behinderteneinstellungsgesetzes (BEinstG) dar. Den erläuternden Bemerkungen zu § 2 Abs. 1 Z 10 BVBRG ist zu entnehmen, dass die Vorschriften, auf die in den genannten Bestimmungen Bezug genommen wird, dem Kompetenztatbestand Arbeitsrecht (Art. 10 Z 11 B-VG) zuzuordnen seien.

Weiters soll gemäß § 2 Abs. 2 Z 3 2. BVBRG der § 19a Abs. 1 des BEinstG zu einer einfachen bundesgesetzlichen Bestimmung werden. Diese Bestimmung ist nach den erläuternden Bemerkungen ebenfalls dem Kompetenztatbestand „Arbeitsrecht“ zuzuordnen, der gemäß dem vorgeschlagenen Art. 10 Abs. 1 Z 11 dem Bund zugewiesen würde und gemäß dem vorgeschlagenen Art. 102 Abs. 2 eine Vollziehung in unmittelbarer Bundesverwaltung ermöglichen würde.

Es erscheint jedoch fraglich, ob sämtliche Inhalte des derzeit in Geltung stehenden BEinstG unter den Kompetenztatbestand „Arbeitsrecht“ subsumiert werden können. Beispielsweise könnte der besondere Kündigungsschutz (§ 8 BEinstG) für Landes- und Gemeindebedienstete als eine Annexmaterie zum Dienstrecht der Länder qualifiziert werden, die nur durch eine Verfassungsbestimmung in die Bundeskompetenz übertragen werden könnte. Arbeitsrecht wird in der Lehre klassisch als Arbeitsvertragsrecht plus kollektives Arbeitsrecht, jedenfalls aber Teil des Vertragsrechts mit der Maßgabe verstanden, dass Dienstverträge mit Gebietskörperschaften dem jeweiligen Dienstrecht zuzuordnen sind.

Es wird daher angeregt, zum Zwecke einer klaren Gesetzgebungs- und Vollzugs­kompetenz des Bundes einen eigenen Kompetenztatbestand „Behindertenein­stellungsrecht“ in den Art. 10 B-VG aufzunehmen. Da Art. 102 Abs. 2 B-VG die Vollziehung von Angelegenheiten des Art. 10 B-VG in unmittelbarer Bundesverwal­tung ermöglicht, wäre dieser Kompetenztatbestand „Behinderteneinstellungsrecht“ auch in den Art. 102 Abs. 2 B-VG aufzunehmen.

Angeregt wird auch die Erwähnung der „Behindertenangelegenheiten“ in einer eigenen Ziffer in Art. 12. Die Behindertenangelegenheiten sind - so wie die Pflege­vorsorge - im Bundesministeriengesetz als Agende des Bundesministeriums für Soziales und Konsumentenschutz angeführt (Anlage 2I zu § 2 Bundesministeriengesetz 1986).

Bereich Soziales Entschädigungsrecht:

Der vorliegende Entwurf läuft den in den letzten Jahren vom Bundesministerium für Soziales und Konsumentenschutz in die Wege geleiteten legistischen Maßnahmen zur Vereinheitlichung der Kompetenzregelungen zuwider, erschwert den Vollzug und bewirkt teilweise Rechtsunsicherheit.

Verbrechensopfergesetz (VOG):

Zu Art. 1 Z 2 (Art. 12 Abs. 1 Z 9 B-VG) und Art. 2 § 2 Abs. 1 Z 5 2. BVBRG:

Mit BGBl. I Nr. 48/2005 wurde, nachdem das VOG jahrzehntelang im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung abgewickelt wurde, eine Verfassungsbestimmung erlas­sen, die einerseits die Gesetzgebung und Vollziehung zur Bundessache erklärte und andererseits einen unmittelbaren Vollzug durch Bundesbehörden ermöglichte.

Mit dem vorliegenden Entwurf wird die Verbrechensopferentschädigung im Gegen­satz zu dieser erst vor drei Jahren verfassungsrechtlich getroffenen Umstellung dem Art. 12 B-VG - der so genannten dritten Säule - zugeordnet.

Dies würde angesichts der Übergangsbestimmung des Art. 151 Abs. 41 Z 3 B-VG zwar bedeuten, dass das VOG als in Anwendung des Art. 12 B-VG erlassen gilt, bei künftigen Novellierungen wäre jedoch das Verfahren der gemeinsamen Gesetzgebung (nach Variante 1 oder 2) einzuhalten. Da dieses Verfahren gegenüber der geltenden Verfassungslage deutliche Nachteile für den Bund hätte bzw. davon auszugehen ist, dass eine Umsetzung von Projekten dadurch zumindest erschwert und verzögert werden könnte, spricht sich das Bundesministerium für Soziales und Konsumentenschutz gegen eine Zuordnung zu Art. 12 B-VG aus.

Die Verbrechensopferentschädigung sollte weiterhin in Gesetzgebung und Vollziehung (unmittelbare) Bundessache sein; das Bundesministerium für Soziales und Konsumentenschutz und regt daher eine Aufnahme des VOG in den Art. 10 B-VG und Art. 102 Abs. 2 B-VG oder den Erhalt der Verfassungsbestimmung an.

Kriegsopferversorgungsgesetz (KOVG)

Zu Art. 1 Z 1 (Art. 10 Abs. 1 Z 15 B-VG):

Das KOVG soll nach dem Entwurf als Art. 10-Materie (Art. 10 Abs. 1 Z 15 B-VG) erhalten bleiben. Für das Kriegsopferversorgungsgesetz, das bislang den „Angelegenheiten der Fürsorge für Kriegsteilnehmer und deren Hinterbliebene“ zugeordnet war, kommt von den im Art. 10 Abs. 1 Z 15 B-VG enthaltenen drei Kompetenztatbeständen wohl nur „Kriegsfolgen“ in Betracht. In diesem Sinne wäre daher eine präzisiere Formulierung in den Erläuterungen, Besonderer Teil zu Art. 10 Abs. 1 Z 15 B‑VG wünschenswert.

Problematisch erscheint auch, dass Art. 102 Abs. 2 B-VG des Entwurfes weder - wie bisher - „Fürsorge für Kriegsteilnehmer und deren Hinterbliebene“ noch - wie im Entwurf des Art. 10 Abs. 1 Z 15 B-VG - „Kriegsfolgen“ umfasst. Man könnte daher die Ansicht vertreten, dass nach dem Inkrafttreten der in Aussicht genommenen B-VG Novelle eine (weitere) Betrauung des Bundessozialamtes nicht verfassungskonform wäre bzw. eine Zustimmung der Länder nach Art. 102 Abs. 4 B-VG erfordern würde. Dieses Ergebnis wäre jedoch abzulehnen, weshalb eine Anführung in Art. 102 Abs. 2 B-VG oder eine entsprechende Übergangsbestimmung im Art. 151 Abs. 41 B-VG erforderlich erscheint.

Opferfürsorgegesetz (OFG)

Zu Art. 1 Z 1 (Art. 10 Abs. 1 Z 15 B-VG) und Art. 2 § 2 Abs. 1 Z 2 2. BVBRG:

Grundsätzlich besteht keinen Einwand gegen eine Art. 10 B-VG Zuständigkeit; die Zuordnung zu „Kriegsfolgen“ (siehe Erläuterungen Besonderer Teil zu § 2 Abs. 1 Z 2 B-VG des Art. 2, 1. Abschnitt) wird jedoch als verfehlt abgelehnt, da das OFG einerseits kriegsunabhängige Verfolgungstatbestände normiert und diese andererseits auch die Zeit vor dem 2. Weltkrieg (ab dem 6. März 1933!) betreffen. Aus diesem Grund wurde auch 1957 die heute geltende Verfassungsbestimmung rückwirkend erlassen.

Dem Anliegen könnte jedoch durch Ausdehnung der Kompetenztatbestände des Art. 10 Abs. 1 Z 15 B-VG Rechnung getragen werden. Alternativ wäre die Verfassungsbestimmung beizubehalten.

Zu Art. 1 Z 2 (Art. 12 Abs. 6 B-VG):

Die Bedarfskompetenz des Bundes bei der Umsetzung von Gemeinschaftsrecht wird durch das Bundesministerium für Soziales und Konsumentenschutz begrüßt.

Zu Art. 1 Z 31 (Art. 116 Abs. 2 zweiter Satz B-VG):

Leistungen der Daseinsvorsorge werden nicht nur von den Gemeinden, sondern auch von Bund und Ländern erbracht. Bei der Formulierung der Erläuterungen wäre darauf zu achten, dass diesbezüglich kein falscher Eindruck entsteht.

Eine Ausfertigung dieser Stellungnahme wird unter einem dem Präsidium des Nationalrates übermittelt.

 

 

Mit freundlichen Grüßen

Für den Bundesminister:

Dr. Helmut Walla

 

 

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