Bundeskanzleramt

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1014 Wien

E-Mail: v@bka.gv.at

 

 

 

ZAHL

DATUM

CHIEMSEEHOF

2001-BG-1/258-2008

14.5.2008

* POSTFACH 527, 5010 SALZBURG

 

 

landeslegistik@salzburg.gv.at

 

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2164

TEL  (0662) 8042 -

2290

 

 

Herr Mag. Feichtenschlager

 

 

Herr Dr. Sieberer

BETREFF

Bundesverfassungsgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz geändert und ein Zweites Bundesverfassungsrechtsbereinigungsgesetz erlassen wird – Entwurf der Expertengruppe Staats- und Verwaltungsreform im Bundeskanzleramt; Stellungnahme

                                                                      

 

Sehr geehrte Damen und Herren!

 

Zu dem im Gegenstand bezeichneten Expertenentwurf gibt das Amt der Salzburger Landesregierung folgende, die von der Landeshauptleute-Konferenz am 28. April 2008 beschlossene gemeinsame Länderposition zur Staats- und Verwaltungsreform ergänzende  Stellungnahme bekannt:

 

A. Allgemeines:

1. Das Regierungsprogramm für die XXIII. Gesetzgebungsperiode sieht im Kapitel „Staats- und Verwaltungsreform“ als zentrales Vorhaben eine neue Aufgabenverteilung zwischen dem Bund und den Ländern vor: Die Kompetenzen zwischen dem Bund und den Ländern sollen nach einem Drei-Säulen-Modell ge­staltet werden. Die erste und zweite Säule umfasst die einander ausschließenden Kompetenzbereiche des Bundes und der Länder, die dritte Säule umfasst dagegen jene Kompetenzbereiche, in denen dem Bund und den Ländern die Gesetzgebung „gemeinsam“ zukommt.


2. Die Straffung der Kompetenzverteilung dahingehend, dass jeweils mehrere Tatbestände zu neuen, „abgerundeten“ Kompetenzfeldern zusammengefasst werden, kann für sich allein noch positiv gesehen werden. Die Neuformulierung der Kompetenzbereiche und deren Zusammenfassung zu Kompetenzfeldern führen aber zu umfangreichen Kompetenzverschiebungen zwischen dem Bund und den Ländern. Ein Vergleich der geltenden Art 10 bis 15 B-VG mit den geplanten Art 10, 11 und 12 zeigt deutlich, dass diese Kompetenzverschiebungen in hohem Maß zu Lasten der Länder gehen. Eine Bewertung der Auswirkungen dieses zentralen Vorhabens auf die Länder hängt auch davon ab, in welchem Maß und in welcher Weise die mit der neuen Kompetenzverteilung verbundene Schwächung der Stellung der Länder kompensiert wird (Näheres dazu Abschnitt B, Pkt 4).

3. Im Hinblick auf die geplante Zusammenfassung einzelner Kompetenzbereiche zu Kompetenzfeldern und auf das Fehlen einer dem geltenden Art 15 Abs 1 B-VG vergleichbaren Generalklausel zu Gunsten der Länder stellt sich auch die Frage der Interpretation der einzelnen Kompetenzfelder neu. Die Versteinerungstheorie allein wird (unabhängig von der Frage, welcher Zeitpunkt denn im Fall einer Realisierung des Vorhabens als Versteinerungszeitpunkt anzunehmen ist) nicht mehr geeignet sein, in jedem Fall eine zufriedenstellende Begründung für die Zuordnung der Gesetzgebungskompetenz in einer bestimmten Angelegenheit zum Bund oder zu den Ländern zu liefern und versagt jedenfalls überall dort, wo die Länder bisher in unterschiedlicher Weise von ihrer Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht haben. Zur Verdeutlichung: Wird etwa die Umsetzung der Richtlinie 2004/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über die Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden („Umwelthaftungsrichtlinie“) als eine Angelegenheit des Naturschutzes (Art 11 Z 11 B-VG neu) versteinert, wenn diese Richtlinie zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der geplanten Art 10 bis 12 B-VG auch im Rahmen der jeweiligen (Landes-)Naturschutz-gesetze umgesetzt wurde? Welchem Kompetenzfeld – Umweltschutz (Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG neu) oder Naturschutz (Art 11 Z 11 B-VG neu) – wäre die Umsetzung dieser Richtlinie dann zuzuordnen, wenn diese nur von einigen Ländern in ihren jeweiligen Naturschutzgesetzen, von anderen Ländern dagegen in einem anderen Regelungszusammenhang umgesetzt worden ist? Ein vergleichbares Abgrenzungsproblem stellt sich auch im Zusammenhang mit dem Kompetenzfeld „Baurecht“ (Art 12 Abs 1 Z 2 B-VG neu): Die Erläuterungen enthalten keine Aussage darüber, was unter dem Begriff des „Baurechts“ konkret zu verstehen ist. Das Fehlen einer diesbezüglichen Aussage ist wohl vor dem Hintergrund der geltenden Art 10, 11, 12 und 15 Abs 1 B-VG zu sehen, die eine exakte Abgrenzung des „Baurechts“ von anderen, damit in einem engen Zusammenhang stehenden Materien, wie dem Raumordnungsrecht, dem Ortsbild- oder Landschaftsschutz oder der Stadterneuerung entbehrlich machen. Die Einordnung der Kompetenzfelder Raumordnung, Natur- und Landschaftsschutz und Stadterneuerung in die „zweite Säule“ (Art 11 Z 11 und Z 15 B-VG neu) erfordert jedoch im Fall einer Realisierung des geplanten Vorhabens eine klare Trennung dieser Kompetenzfelder vom Kompetenzfeld „Baurecht“. Auch hier kann die Versteinerungstheorie allein im Hinblick auf die Vielzahl der Berührungspunkte zwischen diesen Materien und der länderweise unterschiedlichen Regelungszusammenhänge eine überzeugende Begründung für die Zuordnung einer bestimmten Angelegenheit zu einem dieser Kompetenzfelder nicht liefern.

4. Die finanziellen Auswirkungen einer Realisierung der neuen Aufgabenverteilung zwischen dem Bund und den Ländern sind nur vage abzuschätzen, im Besonderen lässt sich eine klare Zuordnung von Einsparungen und Mehraufwendungen nicht treffen. Besonders augenscheinlich wird das Fehlen von entsprechenden Aussagen im Zusammenhang mit der geplanten Neuorganisation der Schulverwaltung: Die Aussage, dass die „Beseitigung bestehender Parallelstrukturen im Bereich der Schulverwaltung (Auflösung der Bezirks- und Landesschulräte) jedenfalls zu Einsparungen führt“, mag mit der Einschränkung zutreffend sein, dass das nur für den Bund gilt; die Länder wären dagegen mit einem massiven Mehraufwand konfrontiert. Gerade im Zusammenhang mit den geplanten Änderungen im Bereich des Schulwesens ist unabdingbare Voraussetzung, dass die den Ländern entstehenden Mehrkosten nachhaltig und fair ausgeglichen werden.

Unabhängig von der bereits in der gemeinsamen Länderposition enthaltenen Feststellung, nach der „die intendierten Neuerungen massive Folgewirkungen auch auf das neue Finanzausgleichsgefüge auslösen, so dass eine allfällige Umsetzung auch eine Neupositionierung in der Verteilung der Steuereinnahmen nach sich ziehen muss, um diese Kostenverlagerungen im Sinne des Grundsatzes der Konnexität als zentralem Gebot der Finanzverfassung auszugleichen“, wird seitens des Landes Salzburg erwartet, dass im Fall einer weiteren Realisierung des Vorhabens der Erstbefassung mit dem Expertenentwurf ein der Vereinbarung zwischen dem Bund, den Ländern und den Gemeinden über einen Konsultationsmechanismus und einen künftigen Stabilitätspakt der Gebietskörperschaften entsprechendes Begutachtungsverfahren folgt.   

 

B. Die neue Aufgabenverteilung zwischen dem Bund und den Ländern:

 

1. Zur „ersten Säule“:

1.1. Die geplante Kompetenzverteilung auf dem Gebiet der Gesetzgebung in der „ersten Säule“:

Gemäß dem geplanten Art 10 Abs 1 B-VG steht dem Bund die Gesetzgebung auch in folgenden, bisher nicht im Art 10 Abs 1 B-VG enthaltenen Angelegenheiten zu (Kompetenzverschiebungen in die „erste Säule“ zu Gunsten des Bundes):

1.1.1. „Wirtschaftslenkung“ (Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG neu): Der Inhalt dieses Kompetenztatbestandes ist unklar, dürfte jedoch in einem umfassenden Sinn zu verstehen sein. Die Erläuterungen zum geplanten Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG führen diesbezüglich aus, dass „die in den vorgeschlagenen Art 11 und 12 vereinzelt vorgesehenen Sonderwirtschaftskompetenzen [Tanz- und Schischulen, Berg- und Schiführer, Camping, Privatzimmervermietung] unberührt bleiben“. Der Inhalt dieses Kompetenztatbestandes ist daher durch eine Subtraktion der einzelnen Sonderwirtschaftskompetenzen zu ermitteln und geht daher über die dem Bund im geltenden Art 10 Abs 1 B-VG eingeräumten Kompetenzen weit hinaus.

1.1.2. Die Kompetenz der Länder hinsichtlich des Arbeiterrechts sowie des Arbeiter- und Angestelltenschutzes, soweit es sich um land- und forstwirtschaftliche Arbeiter und Angestellte handelt (Art 12 Abs 1 Z 6 B-VG) geht in dem im geplanten Art 10 Abs 1 Z 11 angeführten Kompetenttatbestand „Arbeitsrecht“ auf. Lediglich die Gesetzgebungskompetenz hinsichtlich der beruflichen Vertretungen auf dem Gebiet der Land- und Forstwirtschaft bzw hinsichtlich der Kammern für Arbeiter und Angestellte auf land- und forstwirtschaftlichem Gebiet verbleibt bei den Ländern (Art 10 Abs 1 Z 8  und 11 B-VG bzw Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG neu).

1.1.3. „Umweltschutz“ (Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG neu): Den Erläuterungen folgend ist dieser Kompetenztatbestand „um die umweltrelevanten Tatbestände in den vorgeschlagenen Art 11 („Boden-, Natur- und Landschaftsschutz“ in der Z 11) und 12 (insbesondere „Umweltverträglichkeitsprüfung“ im Abs 1 Z 3) reduziert zu lesen. Dieser neue Kompetenztatbestand umfasst jedenfalls (aber nicht nur) die im geltenden Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG enthaltenen Kompetenztatbestände „Maßnahmen zur Abwehr von gefährlichen Belastungen der Umwelt, die durch Überschreitung von Immissionsgrenzwerten entstehen“ und „Luftreinhaltung, unbeschadet der Zuständigkeit der Länder für Heizungsanlagen“. Trotz der durch die B-VG-Novellen BGBl Nr 175/1983 und Nr 685/1988 vorgenommenen Verbundlichung der Umweltschutzkompetenzen sind den Ländern im Bereich des allgemeinen Umweltschutzes und im Bereich der Luftreinhaltung Mitwirkungsmöglichkeiten und Restkompetenzen verblieben:

Gemäß Art II der B-VG-Novelle BGBl Nr 175/1983 kann ein auf Art 10 Abs 1 Z 12 B‑VG gestütztes Bundesgesetz betreffend Maßnahmen zur Abwehr von gefährlichen Belastungen der Umwelt, die durch Überschreitung von Immissionsgrenzwerten entstehen, erst nach dem Inkrafttreten einer Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern über die Festlegung von Immissionsgrenzwerten erlassen werden. Der Abschluss einer solchen Vereinbarung ist die Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Bundeskompetenz, ihr Inhalt bildet aber auch die Schranke für die Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Die Länder können daher über diese Vereinbarung auf den Inhalt eines auf Grund des Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG erlassenen Bundesgesetzes Einfluss nehmen. Maßnahmen zur Abwehr von Belastungen der Umwelt, die durch Immissionen hervorgerufen werden, für die keine Grenzwerte durch Vereinbarung festgesetzt sind (vgl dazu Anhang 1 und 2 der im BGBl unter Nr 443/1987 kundgemachten Vereinbarung), können von den Ländern im Rahmen ihrer sonstigen Kompetenzen getroffen werden. Art II der B-VG-Novelle BGBl Nr 175/1983 entfällt (vgl dazu § 1 Abs 1 Z 7 des im Art 2 geplanten Zweiten Bundesverfassungsrechtsbereinigungsgesetzes). Der Bund kann das auf der Kompetenz gemäß Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG erlassene Gesetz künftig ohne Bindung an eine Bund-Länder-Vereinbarung ändern bzw den Gegenstand neu regeln.

Auch der gesamte Bereich der Luftreinhaltung wird „verbundlicht“; die den Ländern im geltenden Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG vorbehaltene „Zuständigkeit für Heizungsanlagen“ wächst dem Bund zu.

Gegen die geplante umfassende Zuordnung des Kompetenzfeldes „Umweltschutz“ in die „erste Säule“ bestehen Bedenken.

1.1.4. Der bisher im Art 12 Abs 1 Z 4 B-VG enthaltene Kompetenztatbestand „Schutz der Pflanzen gegen Krankheiten und Schädlinge“ wird in Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache (Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG neu).

1.1.5. Der Kompetenztatbestand „Erwachsenenbildung“ ist im geplanten Art 10 Abs 1 Z 13 B-VG aufgenommen (bisher: paktierte Gesetzgebung gemäß Art VIII Abs 1 der B-VG-Novelle BGBl Nr 215/1962).

Dazu wird vorgeschlagen, den Kompetenttatbestand der „Erwachsenenbildung“ in einen inhaltlich weiteren Zusammenhang mit dem öffentlichen Bibliothekswesen zu stellen und den Kompetenztatbestand „Erwachsenenbildung einschließlich des Öffentlichen Bibliothekswesens“ nicht wie geplant in die „erste Säule“, sondern in die „dritte Säule“ aufzunehmen, um es den Ländern zu ermöglichen, ihrer regionalen Bildungsverantwortung gerecht zu werden.

1.1.6. Das Kompetenzfeld „Schulwesen“ (Art 10 Abs 1 Z 13 B-VG neu) umfasst auch die auf dem Gebiet des land- und forstwirtschaftlichen Schulwesens bisher den Ländern zustehenden Kompetenzen. Die Zusammenfassung der Kompetenzen auf dem Gebiet des allgemeinen Schulwesens und des land- und forstwirtschaftlichen Schulwesens in einem abgerundeten Kompetenzfeld wird aus dem Blickwinkel des „allgemeinen Schulwesens„ positiv gesehen; die für das land- und forstwirtschaftliche Schulwesen zuständige Abteilung (4) des Amtes der Salzburger Landesregierung hat dagegen auf die Eigenart und die besonderen Strukturen der land- und forstwirtschaftlichen Ausbildung hingewiesen und vorgeschlagen, die Eigenständigkeit dieses Teilbereichs des Schulwesens durch dessen Zuordnung zur „zweiten Säule“ zu wahren.

 Im Zusammenhang mit dem geplanten umfassenden Kompetenzfeld „Schulwesen“ und der Aufhebung der geltenden Art 81a und 81b B-VG ist auch die im Art 106 Abs 4 B-VG geplante Einrichtung einer Landesbildungsdirektion zu sehen: Die Einrichtung einer Landesbildungsdirektion wird vor dem Hintergrund der den Ländern zukommenden Organisationskompetenz im Bereich der mittelbaren Bundesverwaltung als Eingriff in diese Kompetenz abgelehnt. Es sollte den Ländern freigestellt bleiben zu entscheiden, welche Strukturen es zur Vollziehung dieser Angelegenheiten einrichtet.

1.1.7. Den Erläuterungen folgend konnte in der Expertengruppe keine Einigung über die Einordnung der folgenden Kompetenztatbestände in die erste oder dritte Säule erzielt werden:

a) „Öffentliche Aufträge“ (Art 14b B-VG): Im Fall einer Realisierung der von der Expertengruppe angedachten Einordnung dieses Kompetenztatbestandes im geplanten Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG kommt auch die bisher den Ländern gemäß Art 14b Abs 3 B‑VG zustehende Kompetenz zur Gesetzgebung in Angelegenheiten der Nachprüfung der Vergabe bestimmter öffentlicher Aufträge dem Bund zu. Das den Ländern im Art 14b Abs 4 B-VG eingeräumte Mitwirkungsrecht an der Gesetzgebung des Bundes entfällt.

b)        „Elektrizitätswesen, soweit es nicht unter Art 10 fällt“ (Art 12 Abs 1 Z 5 B-VG): Dieser Kompetenztatbestand soll im geplanten Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG („Energierecht“) aufgehen. Die auf dem Gebiet des Energierechts bestehenden Zentralisierungstendenzen werden dadurch weiter verstärkt. Gerade in diesem wirtschaftlich wichtigen Bereich, in dem es auch um die Nutzung der im Land vorhandenen natürliches Ressourcen geht, müssen den Ländern ausreichende Gestaltungsmöglichkeiten verbleiben.

Aus der Sicht des Landes Salzburg bestehen gegen die geplante Zuordnung dieser beiden Kompetenztatbestände in die „erste Säule“ Bedenken.

1.1.8. Den in Pkt 1.1.1 bis 1.1.7 dargestellten Kompetenzverlusten der Länder steht die im geplanten Art 10 Abs 2 enthaltene Ermächtigung des Bundesgesetzgebers gegenüber, sich bei der Regelung einer Angelegenheit der „ersten Säule“ auf der Erlassung von Grundsätzen zu beschränken und die Länder zur Erlassung von Ausführungsbestimmungen zu ermächtigen. Diese künftig allgemeine Ermächtigung vermag natürlich die Kompetenzverluste der Länder nicht auszugleichen.

1.2. Die geplante Kompetenzverteilung auf dem Gebiet der Vollziehung in der „ersten Säule“:

Gemäß dem geplanten Art 10 Abs 1 B-VG steht dem Bund die Vollziehung neben den im Pkt 1.1 angeführten Angelegenheiten auch in folgenden, bisher nicht im Art 10 Abs 1 B-VG enthaltenen Angelegenheiten zu (Kompetenzverschiebungen in die „erste Säule“ zu Gunsten des Bundes):

1.2.1. „Straßenpolizei“ (Art 10 Abs 1 Z 9 B-VG; bisher Art 11 Abs 1 Z 4 B-VG) und „Binnenschifffahrt hinsichtlich der Schifffahrtskonzessionen, Schifffahrtsanlagen und Zwangsrechte an solchen Anlagen, Strom- und Schifffahrtspolizei auf Binnengewässern“ (Art 10 Abs 1 Z 9 B-VG; bisher Art 11 Abs 1 Z 6):

Die Kompetenz der Länder zur Vollziehung dieser Angelegenheiten geht in der allgemeinen Kompetenz des Bundes zur Vollziehung des „Verkehrsrechts“ (Art 10 Abs 1 Z 9 neu) auf. Damit ist ein wesentlicher Verlust von Gestaltungs- und Einflussmöglichkeiten der Länder verbunden; die gerade auf dem Gebiet des Verkehrs notwendige Bedachtnahme auf landesspezifische Besonderheiten und Gegebenheiten ist im Fall einer Vollziehung dieser Angelegenheiten durch den Bund nicht mehr sichergestellt, sondern es besteht die Gefahr, dass Bundesinteressen im Weisungsweg gegenüber Landesinteressen zum Durchbruch verholfen wird. Diese Befürchtung wird noch dadurch verstärkt, dass gemäß dem geplanten Art 102 Abs 2 B-VG der gesamte Bereich des Verkehrsrechts auch in unmittelbarer Bundesverwaltung vollzogen werden kann.

Nachvollziehbare Gründe, die für eine umfassende Einordnung des Kompetenzfeldes „Verkehrsrecht“ in die „erste Säule“ und in den geplanten Art 102 Abs 2 B-VG und gegen eine Einordnung von Teilbereichen dieses Kompetenzfeldes in die eine (Beibehaltung der) Vollziehung durch Landesbehörden ermöglichende „dritte Säule“ sprechen, sind aus den Erläuterungen nicht ersichtlich.

1.2.2. „Berufliche Vertretungen, soweit sie nicht unter Art 10 fallen“ (Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG; bisher Art 11 Abs 1 Z 2 B-VG) und „Tierschutz“ (Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG; bisher Art 11 Abs 1 Z 8 B-VG).

1.3. Zu Art 102 B-VG:

Die im geplanten Art 10 Abs 1 B-VG vorgenommene Neuformulierung der Kompetenzbereiche und deren Zusammenfassung zu Kompetenzfeldern wird im geplanten Art 102 Abs 2 B-VG nachvollzogen. Die folgenden, bisher nicht im geltenden Art 102 Abs 2 B-VG angeführten Materien können unmittelbar von Bundesbehörden vollzogen werden (Kompetenzverschiebungen zu Gunsten einer Vollziehung durch unmittelbare Bundesbehörden); im Ergebnis bewirken diese Kompetenzverschiebungen zu Gunsten einer Vollziehung durch unmittelbare Bundesbehörden eine Schwächung der Länderposition, da in diesen Angelegenheiten eine Zustimmung der Länder zu einer allfälligen Betrauung von Bundesbehörden entfällt.

1.3.1. „Wirtschaftslenkung“: Im Hinblick auf den umfassenden Inhalt dieses Kompetenztatbestandes (siehe dazu Pkt 1.1.1) geht der geplante Art 102 Abs 2 auch über die im geltenden Art 102 Abs 2 B-VG enthaltene Aufzählung von einzelnen Angelegenheiten der Wirtschaft weit hinaus.

1.3.2. „Wasserrecht und Wasserbau“: Gemäß dem geltenden Art 102 Abs 2 B-VG können nur die folgenden einschlägigen Angelegenheiten unmittelbar von Bundesbehörden vollzogen werden:

- Regulierung und Instandhaltung der Donau

- Wildbachverbauung

- Bau- und Instandhaltung von Wasserstraßen.

Die Gründe, die für die geplante Aufnahme des (gesamten Bereichs des) Wasserrechts in den Art 102 Abs 2 B-VG neu ins Treffen geführt werden können, sind unklar – die Erläuterungen enthalten keine diesbezüglichen weiteren Ausführungen. Andererseits verlieren die Länder im Fall einer Vollziehung des Wasserrechts in unmittelbarer Bundesverwaltung erhebliche Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten, um die Ressource Wasser auch für künftige Generationen zu sichern.  

 

2. Zur „zweiten Säule“:

2.1. Allgemeines:

Bereits die Zusammenfassung der bisher im Art 10 aufgezählten Angelegenheiten zu größeren Kompetenzfeldern führt durch eine extensive Interpretation der einzelnen Kompetenzfelder zu einer Kompetenzverschiebung zu Lasten der Länder. Die Schwächung der Länder wird auch noch dadurch verstärkt, dass im geplanten Art 11 B-VG – im Gegensatz zum geltenden Art 15 Abs 1 B-VG – die Angelegenheiten, in denen den Ländern die Kompetenz zur Gesetzgebung und Vollziehung zukommt, taxativ aufgezählt werden. Da sich die dem Art 15 Abs 1 B-VG vergleichbare Generalklausel nunmehr in der „dritten Säule“ (Art 12 B-VG neu) befindet, können auch die den Ländern verbliebenen Kompetenzen „versteinern“ und nur mehr intrasystematisch weiterentwickelt werden. Über den Umweg der „dritten Säule“ kann der Bund dagegen auch auf bisher den Ländern zustehende Kompetenzen zur Gesetzgebung (wie auf dem Bereich des Sammlungswesens oder der örtlichen Sittlichkeitspolizei [Bordellbewilligungen]) zugreifen (vgl Art 12 Abs 2 B-VG neu).

2.2. Zur geplanten Kompetenzverteilung auf dem Gebiet der Gesetzgebung in der „zweiten Säule“:

Gemäß dem geplanten Art 11 B-VG steht den Ländern die Gesetzgebung auch in folgenden, bisher dem Bund (zumindest hinsichtlich der Erlassung von Grundsätzen) vorbehaltenen Angelegenheiten zu (Kompetenzverschiebungen in die „zweite Säule“ zu Gunsten der Länder).

2.2.1. „Bodenreform“ (Art 11 Z 6 B-VG neu; bisher Art 12 Abs 1 Z 3 B-VG): Die Agrarbehörde Salzburg weist darauf hin, dass die gute Abstimmung des Bundesrechts (vor allem des Grundbuchsrechts, des Liegenschaftsteilungsrechts, des Vermessungsgesetzes sowie des Steuer- und Gebührenrechts) mit den Regelungen der Bodenreform in der Grundsatzgesetzgebungskompetenz des Bundes begründet ist, und spricht sich (auch) vor dem Hintergrund des zivilrechtlichen Schwerpunkts, der durch die Neuordnung der Eigentums- und Besitzverhältnisse in Agrarverfahren gegeben ist, für eine Einordnung der Angelegenheiten der Bodenreform in die „dritte Säule“ aus.

2.2.2. Der Kompetenztatbestand „Wohnbauförderung“ (Art 11 Z 15 B-VG neu) ist den Erläuterungen zum § 2 Abs 1 Z 1 des geplanten Artikels 2 folgend weit zu verstehen und umfasst auch die im geltenden Bundesgesetz über die Einhebung eines Wohnbauförderungsbeitrages – das im Fall einer Realisierung des geplanten Vorhabens in allen Ländern als Landesgesetz weiter gilt (Art 151Abs 41 Z 2) – geregelten Angelegenheiten. Der Übergang der Gesetzgebungskompetenz in diesem Bereich auf die Länder hat vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussionen zur Senkung der Lohnnebenkosten weitreichende finanzielle und auch soziale Konsequenzen: Verzichten einzelne Länder zur Senkung der Lohnnebenkosten auf die Einhebung eines Wohnbauförderungsbeitrages, führt das nicht nur zu unterschiedlich hohen Lohnnebenkosten in den Ländern, sondern auch zu einem Ausfall an Wohnbauförderungsmitteln in der Höhe von bis zu 700 Millionen Euro. Das geplante diesbezügliche Vorhaben ist daher entschieden abzulehnen.

2.2.3. „Stadterneuerung“ (Art 11 Z 15 B-VG neu; bisher Art 11 Abs 1 Z 5 B-VG) und „Öffentliche Einrichtungen zur außergerichtlichen Vermittlung von Streitigkeiten“ (Art 11 Z 4 B-VG neu; bisher Art 12 Abs 1 Z 2 B-VG).

2.2.4. Den Kompetenzverschiebungen in die „zweite Säule“ zu Gunsten der Länder stehen jedoch erhebliche Kompetenzverluste zu Gunsten der „dritten Säule“ gegenüber (siehe dazu Pkt 3). Die Stellung der Länder wird zudem auch noch dadurch geschwächt, dass der geplante Art 12 Abs 6 dem Bundesgesetzgeber generell – dh nicht beschränkt auf die im geplanten Art 12 Abs 1 aufgezählten Materien – eine subjektive Bedarfsgesetzgebungskompetenz bei der Umsetzung von EU-Recht sowie für die „integrierte Genehmigung von Vorhaben“ einräumt. Damit wird dem Bund ein aus Ländersicht überaus „gefährliches“ Instrumentarium zur Aushöhlung der nach Art 11 ausschließlichen Landeskompetenzen an die Hand gegeben; dies vor allem vor dem Hintergrund, dass es einerseits immer weniger Rechtsbereiche geben wird, in denen kein EU-Recht umzusetzen sein wird, und andererseits auch der Begriff „integrierte Genehmigung von Vorhaben“ nach den Erläuterungen umfassend (wohl im Sinn des gesamten Anlagenrechts) zu verstehen ist.


2.3. Zur geplanten Kompetenzverteilung auf dem Gebiet der Vollziehung in der „zweiten Säule“:

Zu den Kompetenzverlusten der Länder auf dem Gebiet der Vollziehung siehe Pkt 1.2, 1.3 und 3.3.

 

3. Zur „Dritten Säule“:

3.1. Allgemeines:

Der geplanten „dritten Säule“ liegt die Überlegung zu Grunde, dass die darin vorgesehenen „gemeinsamen Zuständigkeiten eine flexible Handhabung sowohl der Gesetzgebungs- als auch der Vollziehungskompetenzen zwischen Bund und Ländern“ ermöglichen. Die konkrete Zuordnung der Zuständigkeiten im Einzelfall soll „auf der Grundlage einer politischen Einigung zwischen Bund und Ländern“ – also im außerrechtlichen Bereich – erfolgen. Nur vor diesem Hintergrund ist es wohl zu erklären, dass der Expertenentwurf auf die Festlegung von Voraussetzungen, unter denen der Bund von einer Regelungskompetenz Gebrauch machen kann, oder von inhaltlichen, den Bundesgesetzgeber bindenden Kriterien verzichtet.

Für sich alleine betrachtet lässt der geplante Art 12 B-VG ein deutliches Übergewicht des Bundes erkennen: Gemäß dem geplanten Art 12 Abs 2 B-VG ist in den im Abs 1 angeführten Angelegenheiten die Gesetzgebung nur soweit und solange Landessache, als der Bund von seiner Kompetenz zur Gesetzgebung keinen Gebrauch gemacht hat oder macht. Die Regelung einer Angelegenheit durch den Bund entfaltet daher eine Sperrwirkung gegenüber den Ländern; umgekehrt vernichtet die nachträgliche Inanspruchnahme einer Regelungskompetenz durch den Bund eine ursprünglich von den Ländern in Anspruch genommene Regelungskompetenz. Vor diesem Hintergrund ist auch die Aufzählung der Angelegenheiten im geplanten Art 12 B-VG zu sehen: Jene Angelegenheiten, die auch bisher bereits vom Bund geregelt wurden (Staatsbürgerschaft, Umweltverträglichkeitsprüfung, Abfallwirtschaft, Denkmalschutz) sind von vorneherein der Regelungskompetenz der Länder entzogen, auf der anderen Seite kann der Bund auch auf die Gesetzgebungskompetenz in solchen Angelegenheiten zugreifen, die bisher von den Ländern autonom geregelt werden konnten und auch geregelt wurden (Baurecht).

Um einer überschießenden Rechtssetzungstätigkeit des Bundes in Angelegenheiten der „dritten Säule“ vorzubeugen, muss den Ländern im Gegenzug auch eine effektive Mitwirkungsmöglichkeit gesichert werden. Diese effektive Mitwirkungsmöglichkeit der Länder ist auch vor dem Hintergrund der finanziellen Auswirkungen einer Inanspruchnahme der Kompetenzen des Art 12 durch den Bund dringend geboten: Der geplante Art 12 eröffnet dem Bund derart weitreichende Gestaltungsmöglichkeiten, die es ihm letztlich auch erlauben, das geltende Finanzausgleichsgefüge, vor allem in den Bereichen Gesundheitswesen, Sozialversicherungswesen, Mindestsicherung, 24-Stunden-Pflege (zu seinen Gunsten) zu verändern.   

3.2. Die geplante Kompetenzverteilung auf dem Gebiet der Gesetzgebung in der „dritten Säule“:

3.2.1. Folgende Angelegenheiten, in denen bisher der Bund zur Gesetzgebung kompetent ist, sind nach Maßgabe des Art 12 Abs 2 in Gesetzgebung Bundes- oder Landessache:

a)  „Staatsbürgerschaft“ (bisher Art 11 Abs 1 Z 1 B-VG);

b) „Volkswohnungswesen“ (bisher Art 11 Abs 1 Z 3 B-VG): Eine nachvollziehbare Begründung für die geplante Einordnung des „Volkswohnungswesen“ in die „dritte Säule“ fehlt. Dieser Kompetenztatbestand bildet insbesondere die Grundlage für das Wohnungsgemeinnützigkeitsrecht. Während noch vor einigen Jahren heftige Diskussionen darüber geführt wurden, ob das Institut der Wohnungsgemeinnützigkeit in Österreich weiterbestehen soll oder nicht – gerade in diesem Bereich stehen sich vielfältige Interessen, wie die der gewerblichen und gemeinnützigen Bauwirtschaft sowie Liberalisierungstendenzen und Konsumentenschutzüberlegungen gegenüber –, herrscht  nunmehr Konsens darüber, dass das Institut der Wohnungsgemeinnützigkeit weiter bestehen bleiben soll. Abgesehen von der Wohnungsgemeinnützigkeit, wäre für das Volkswohnungswesen eine Kompetenz in der „zweiten Säule“ zu begründen, um auszuschließen, dass der Bund entsprechende Planungen der Länder unterläuft.

c)  Umweltverträglichkeitsprüfung (bisher Art 10 Abs 1 Z 9 B-VG hinsichtlich Bundesstraßen und Eisenbahn-Hochleistungsstrecken, bei denen mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist, und Art 11 Abs 1 Z 7 hinsichtlich Vorhaben, bei denen mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist);

d) „Denkmalschutz“ (bisher Art 10 Abs 1 Z 13 B-VG);

e)  „Abfallwirtschaft hinsichtlich gefährlicher Abfälle sowie anderer Abfälle, soweit ein Bedürfnis nach Erlassung einheitlicher Vorschriften bestanden hat“ (bisher Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG):

f)  „Äußere Organisation von („Bundes-“)Schulen“ (bisher Art 14 Abs 1 („Schulwesen“) und Abs 3 lit b („äußere Organisation der Pflichtschulen“) B-VG) sowie „Schülerheime“ (bisher Art 14 Abs 1 B-VG; der damit korrespondierende Tatbestand „Studentenheime“ ist im geplanten Art 10 Abs 1 Z 13 B-VG enthalten);

g) „Datenschutz“ (bisher ist gemäß § 2 des Datenschutzgesetzes 2000 die Gesetzgebung in Angelegenheiten des Schutzes personenbezogener Daten im automationsunterstützten Datenverkehr Bundessache);

3.2.2. Folgende Angelegenheiten des geltenden Art 12 B-VG sind nach Maßgabe des geplanten Art 12 Abs 2 in Gesetzgebung Bundes- oder Landessache:

a)  „Armenwesen, Mutterschafts-, Säuglings- und Jugendfürsorge“ (bisher Art 12 Abs 1 Z 1 B-VG);

b) „Volkspflegestätten, Heil- und Pflegeanstalten, natürliche Heilvorkommen“ (bisher Art 12 Abs 1 Z 1 B-VG).

3.2.3. Folgende Angelegenheiten aus dem Kompetenzbereich der Länder (Art 15 Abs 1 B-VG) sind nach Maßgabe des geplanten Art 12 Abs 2 in Gesetzgebung Bundes- oder Landessache:

a)  „Baurecht“: Die Erläuterungen lassen keinen Grund erkennen, der eine umfassende Zuordnung des „Baurechts“ zur „dritten Säule“ rechtfertigen könnte. Gerade in den Bereichen, in denen eine bundeseinheitliche Regelung vorteilhaft erscheint, haben die Länder von sich aus bereits die notwendigen Harmonisierungsschritte – ohne Dazwischentreten des Bundes – gesetzt (vgl dazu etwa die Vereinbarung gemäß Art 15a B-VG über die Regelung der Verwendbarkeit von Bauprodukten). Für andere Bereiche des „Baurechts“, etwa für den Bereich der Anliegerleistungen, wird ein Bedürfnis nach einer bundeseinheitlichen Regelung (zumindest in den Grundsätzen) nicht gesehen. Die geplante, umfassende Zuordnung des „Baurechts“ in die „dritte Säule“ wird strikte abgelehnt; dieses Kompetenzfeld ist in den geplanten Art 11 aufzunehmen. Damit werden auch die zu erwartenden subtilen Abgrenzungsfragen (vgl dazu Abschnitt A, Pkt 3) obsolet.

b) „Jugendschutz“;

c)  „Katastrophenhilfe“;

d) „Abfallwirtschaft“: Bereits in der Vergangenheit hat der Bund von seiner Bedarfskompetenz im Bereich der Abfallwirtschaft extensiv Gebrauch gemacht. Die Einordnung der gesamten „Abfallwirtschaft“ in die geplante „dritte Säule“ entbindet den Bund von seiner Verpflichtung, im Fall einer Regelung hinsichtlich nicht gefährlicher Abfälle das Vorhandensein eines „Bedürfnisses nach Erlassung einheitlicher Vorschriften“ nachzuweisen. In diesem Zusammenhang ist konkret zu befürchten, dass der Bund seine Regelungskompetenz auch in Bezug auf die in der Landeskompetenz verbliebenen Abfälle in Anspruch nimmt und die Zuständigkeiten der Länder und Gemeinden in diesem Bereich stark einschränkt oder überhaupt vernichtet.

Seitens der Wirtschaft laufen seit Jahren intensive Bestrebungen, den Begriff des Hausabfalls möglichst eng zu definieren und Gewerbebetriebe aus der Hausmüllabfuhr auszunehmen. Dies hätte gravierende negative Auswirkungen auf die Gebührensituation der Gemeinden und der einzelnen Haushalte, wenn durch den Entfall des Gebührenaufkommens der Betriebe, Anstalten und sonstige Arbeitsstätten die Kosten nicht mehr auf eine breite Basis verteilt werden können.

Dem Entfall der im geltenden Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG enthaltenen Einschränkung der Gesetzgebungskompetenz des Bundes hinsichtlich der nicht gefährlichen Abfälle kann daher nicht zugestimmt werden.

3.3. Zur geplanten Kompetenzverteilung auf dem Gebiet der Vollziehung in der „dritten Säule“:

Die Vollziehung von in Angelegenheiten des Art 12 erlassenen Regelungen kommt den Ländern zu, soweit der nach Art 12 tätig werdende Bundesgesetzgeber nicht Bundesbehörden im Rahmen der unmittelbaren Bundesverwaltung oder Landesbehörden im Rahmen der mittelbaren Bundesverwaltung betraut.

Damit wird dem Bund in den Angelegenheiten der „dritten Säule“ ermöglicht, jegliche Einflussnahme der Länder auf die Vollziehung auszuschließen. Gegen die Möglichkeit, mit der Vollziehung von in Angelegenheiten des geplanten Art 12 B-VG erlassene Regelungen auch Bundesbehörden zu betrauen, bestehen erheblichste Bedenken. Ebenso gegen die Möglichkeit, durch die Zuordnung der Vollziehung zur (mittelbaren) Bundesverwaltung oder zur Landesvollziehung auf die Kostentragungspflicht entscheidend Einfluss nehmen zu können.

 

4. Die Mitwirkung der Länder an der Gesetzgebung im Rahmen der „zweiten Säule“ (Art 12 Abs 6 B-VG neu) und der „dritten Säule“:

4.1. Entscheidend dafür, wie die neue Form der Kompetenzverteilung aus Ländersicht gesamthaft betrachtet zu bewerten ist, ist die Ausgestaltung des Bundesgesetzgebungsverfahrens in der zweiten und dritten Säule. Nur dann, wenn den Ländern maßgebender Einfluss beim Zustandekommen eines derartigen Bundesgesetzes eingeräumt wird, kann sichergestellt werden, dass der Bund nicht entgegen den Interessen der Länder die in den geplanten Art 11 und 12 angeführten Angelegenheiten regelt und somit eine Landeskompetenz ausschließt.

Je stärker das Mitwirkungsrecht der Länder ausgestaltet wird, umso mehr hat eine neue Kompetenzverteilung eine Chance.

4.2. Was die Mitwirkung der Länder beim Zustandekommen eines Bundesgesetzes im Rahmen der zweiten und dritten Säule betrifft, so soll diese vom Bundesrat wahrgenommen werden, wobei im Entwurf zwei Alternativvarianten (Alternative 1: völlig neue Zusammensetzung des Bundesrates durch Landeshauptmann, Landtagspräsidenten und ein drittes vom Landtag zu wählendes Mitglied; jedem Land kommt eine Stimme zu, wobei über die Stimme des Landes die unbedingte Mehrheit der Vertreter dieses Landes entscheidet; absolutes Vetorecht gegen Gesetzesbeschlüsse des Nationalrates im Rahmen der dritten Säule; Alternative 2: unveränderte Organisation des Bundesrates, Beharrungsbeschlüsse des Nationalrates, gebunden allerdings an die Verfassungsmehrheit) vorgeschlagen werden.

4.3. Die Änderung der Organisation des Bundesrates gemäß der Alternative 1 wird nicht unterstützt. Dem gegenüber ist bei unveränderter Zusammensetzung des Bundesrates eine stärkere Rückkoppelung der Mitglieder des Bundesrates an das jeweilige Land zu bewerkstelligen bis hin zu einer vorzeitigen Abberufungsmöglichkeit durch das entsendende Landesorgan.

Die Alternative 2, wonach sich der Nationalrat im Wesentlichen wie bisher mit einem Beharrungsbeschluss über den Einspruch des Bundesrates hinwegsetzen kann, ist vor dem Hintergrund der umfangreichen Kompetenzverschiebungen zu Lasten der Länder nicht akzeptabel. Bei Inanspruchnahme der Kompetenz nach dem neuen Art 12 hat dem Bundesrat zur Wahrung der Interessen des Landes ein absolutes Veto zuzukommen.

4.4. Hat der Bund im Rahmen der „dritten Säule“ einmal eine Regelungskompetenz für sich in Anspruch genommen, steht den Ländern kein wirksames Instrumentarium mehr zur Verfügung, den Bund zu einer „Zurücknahme“ (vgl dazu auch Pkt 1.1 im allgemeinen Teil der Erläuterungen) seiner Regelungen und damit zur Begründung einer dem entsprechenden Regelungskompetenz der Länder zu bewegen. Wollen die Länder eine ursprünglich vom Bund geregelte Angelegenheit des Art 12 künftig selbst regeln, soll der Bundesrat Entsprechendes verbindlich anordnen können (etwa die nachträgliche Befristung der Regelung des Bundes).

4.5. Art 12 Abs 6 wird mit aller Entschiedenheit abgelehnt. Diese Bestimmung ermöglicht es, dass vom Bund im Bereich der nach Art 11 ausschließlichen Landeskompetenzen ohne Zustimmung aller Länder Gesetze erlassen werden können. Politisch würde dies den Anfang vom Ende der Landesgesetzgebung, rechtsdogmatisch möglicherweise eine volksabstimmungspflichtige Gesamtänderung der Bundesverfassung bedeuten!

 

C. Stärkung der Autonomie der Länder:

1. Vorbehaltlos begrüßt wird die Abschaffung des Verfahrens nach Art 98 B-VG. Dadurch wird eine wesentliche Beschleunigung des Landesgesetzgebungsverfahrens möglich.

2. Ebenso begrüßt wird die Aufhebung des Bundesverfassungsgesetzes über die Ämter der Landesregierung und die Beschränkung der bundesverfassungsrechtlichen Vorgaben für die Landesorganisation auf Grundsätzliches in den Art 106 f, ohne dass weiterhin Zustimmungsrechte der Bundesregierung (etwa betreffend Bestellung des Landesamtsdirektors und dessen Stellvertreters, Erlassung von Geschäfteinteilung und Geschäftsordnung des Amtes bzgl mittelbare Bundesverwaltung) vorgesehen wären.

3. Das Zustimmungsrecht der Bundesregierung gemäß dem geltenden Art 97 Abs 2 B‑VG bleibt unverändert bestehen (Art 97 Abs 2 B-VG neu). Im Hinblick auf die der Gemeinde im geplanten Art 118 Abs 4 B-VG eingeräumte Ermächtigung, in den von ihr erlassenen (gesetzesergänzenden) Verordnungen auch die Mitwirkung von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes oder der öffentlichen Aufsicht ohne weiteres Zustimmungserfordernis vorzusehen, ist aber auch den Landesgesetzgebern eine gleiche Befugnis einzuräumen und auch Art 97 Abs 2 B-VG ersatzlos aufzuheben.

 

D. Gemeindeorganisation:

Die das Gemeindeorganisationsrecht betreffenden Vorschläge (Ausweitung des gesetzesergänzenden Verordnungsrechts inklusive Mitwirkung von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes an deren Vollziehung, Möglichkeit zu Ländergrenzen überschneidenden Gemeindeverbänden, keine Beschränkung von Gemeindeverbänden auf einzelne Angelegenheiten bzw auf solche des eigenen Wirkungsbereichs bei Gründung durch Vereinbarung) werden begrüßt.

Im Zusammenhang mit der im geplanten Art 118 Abs 4 B-VG enthaltenen Ermächtigung der Gemeinden, gesetzesergänzende Verordnungen zu erlassen, könnte der Entfall der im geltenden Art 119a Abs 6 B-VG enthaltenen Befugnis der Aufsichtsbehörde, gesetzwidrige Verordnungen der Gemeinden aufzuheben, überlegt werden.

 

E. Sonstiges:

 

Zu Art 11 Z 14:

Das Kompetenzfeld „Dienstrecht und Personalvertretungsrecht der Landes- und Gemeindebediensteten“ ist der „zweiten Säule“ zugeordnet. Es wird einschließlich der Kompetenz in Bezug auf die in Betrieben beschäftigten Bediensteten eines Landes verstanden (Art 21 Abs 2 B-VG), was klargestellt werden sollte.

 

Zu Art 11 Z 16:

Der Begriff „Fremdenverkehr“ sollte durch den Begriff „Tourismus“ ersetzt werden.

 


Zu Art 102 Abs 5:

Es wird davon ausgegangen, dass die im Art 102 Abs 5 B-VG neu geplanten umfassende Anordnungsbefugnis des Landeshauptmannes im Katastrophenfall auch gegenüber Bundesorganen (im organisatorischen Sinn) besteht. Dies sollte klargestellt werden.

 

Gleichschriften dieser Stellungnahme ergehen ue an die Verbindungsstelle der Bundesländer, an die übrigen Ämter der Landesregierungen, an das Präsidium des Nationalrates und an das Präsidium des Bundesrates.

 

 

Mit freundlichen Grüßen

Für die Landesregierung:

Dr. Heinrich Christian Marckhgott

Landesamtsdirektor

 

 

Ergeht nachrichtlich an:

1.        E-Mail an: Landeshauptmann-Stellvertreter Dr. Wilfried Haslauer

2. – 9. E-Mail an: Alle Ämter der Landesregierungen

10.      E-Mail an: Verbindungsstelle der Bundesländer vst@vst.gv.at

11.      E-Mail an: Präsidium des Nationalrates begutachtungsverfahren@parlinkom.gv.at

12.      E-Mail an: Präsidium des Bundesrates peter.michels@parlament.gv.at

13.      E-Mail an: Bundeskanzleramt vpost@bka.gv.at

14.      E-Mail an: Institut für Föderalismus institut@foederalismus.at

15.       E-Mail an: Abteilung 1 zu do Zl 20113-1040/334-2008

16.       E-Mail an: Abteilung 2 zu do Zl 202-164/41-2008

17.       E-Mail an: Abteilung 4 zu do Zl 20401-BEG/81/11-2008

18.       E-Mail an: Abteilung 5 zu do Zl 205-G0/43-1598-2008

19.       E-Mail an: Abteilung 8 zu do Zl 20801-46.265/61-2008

20.       E-Mail an: Abteilung 10 zu do Zl 21001-100/47532/519-2008

21.       E-Mail an: Abteilung 14 zu do Zl 214-M/120/153-2008

22.       E-Mail an: Abteilung 16 zu do Zl 216-01/659/10-2008

23.       E-Mail an: Bezirkshauptmannschaft Hallein zu do Zl 302-1002/424/2-2008

zur gefl Kenntnis.