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HGD-417/08

HGR-624/08 - ST 8.3

Hr. Dr. Pfeiffer ( 464

* Thomas.Pfeiffer@auva.at

 

Datum

05.05.2008

 

Betrifft:

Entwurf eines Bundesverfassungsgesetzes, mit dem das Bundes-Verfassungs-gesetz geändert und ein Zweites Bundesverfassungsrechtsbereinigungsgesetz erlassen wird

 

Sehr geehrte Damen und Herren!

Die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt beehrt sich, zum Entwurf eines Bundesverfassungsgesetzes, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz geändert und ein Zweites Bundesverfassungsrechtsbereinigungsgesetz erlassen wird.

 

1. Öffentliche Aufträge (Art. 10 Abs 1 Z 6 od. Art. 12 Abs 1 Z 2)

 

Die Kompetenz "öffentliche Aufträge" sollte der "1. Säule" des Entwurfs (Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache)  und nicht der "3. Säule" zugeordnet werden.

 

Dafür sprechen folgende Gründe:

  1. Die Regelung der öffentlichen Auftragsvergabe wird maßgeblich durch EG-Richt-linien bestimmt. Abweichende nationale Regelungen sind nicht möglich. Wenn auch diese Richtlinien formal nur für den sogenannten Oberschwellenbereich
    gelten, so müssen gemäß ständiger Rechtsprechung des VfGH wegen des Gleichheitsgrundsatzes für den - auch nicht immer gerade nur geringwertigen - Unterschwellenbereich weitestgehend gleichartige nationale Regelungen getroffen
    werden.
    Letztlich ist der Bund gegenüber der EU für die vollständige und richtige Umsetzung der Richtlinien in nationales Recht verantwortlich und wird auch im Vertragsverletzungsverfahren vor dem EuGH belangt, auch wenn ihm innerstaatlich dafür keine Rechtssetzungsbefugnis zukommt. Etwaige Rechtsschutzdefizite im Bereich der Länder (und Gemeinden) können sich damit sogar auf das Bundesbudget auswirken (Verhängung von Bußgeldern).
  2. Das (bisher geltende) Zustimmungsrecht aller Länder für Änderungen im materiellen Teil des BVergG hatte zur Folge, dass Veröffentlichungen des Gesetzes in Umsetzung der EG-Richtlinien manchmal immer erst im letzten Moment - manchmal sogar nur wenige Stunden vor dem Inkrafttreten der Richtlinien - erfolgen konnten. Die damit verbundene lange Rechtsunsicherheit ist unzweckmäßig und stelle für
    alle Parteien eine zusätzliche Belastung dar.
  3. Wenn - was schon mehrmals der Fall war - sich wegen verfassungsrechtlich unterschiedlicher Kompetenzen neun Landes- und ein Bundestribunal nicht über die Zuständigkeit für einen konkreten Fall einigen, kann es zu einem negativen oder positiven Kompetenzkonflikt kommen, der erst (nach längerer Zeit) durch einen Spruch des VfGH gelöst werden kann. Auch ist die wirkliche Zuständigkeit den Verfahrensparteien nicht immer offensichtlich. Bein einer einheitlichen Bundeskompetenz
     wäre eine solche Rechtsunsicherheit nicht gegeben.
  4. Die Existenz von zehn Tribunalen (Rechtsschutzbehörden)  auf gleicher Ebene begünstigt eine Tendenz zu unterschiedlicher Spruchpraxis, die nur durch rechtzeitige Einschaltung des VwGH behoben werden kann. Auch dies bewirkt eine lange Verzögerung und damit Rechtsunsicherheit für die Parteien.
  5. Wegen des sogenannten "Lerneffekts" hängt die Entscheidungsqualität in nicht
    unerheblichem Ausmaß auch von der Anzahl der entschiedenen Fälle ab. Auf Bundesebene fallen jährlich etwa 150 Fälle an, in jedem Bundesland nur ca. fünf bis zehn; daher findet bei Ländern die Auseinandersetzung mit der doch sehr komplexen Rechtsmaterie relativ selten statt. Das Bundesvergabeamt hat aber dadurch, dass 98 % seiner Entscheidungen im Rechtsbestand verbleiben, einen deutlichen Qualitätsmaßstab gesetzt.
  6. Bei Vergabe öffentlicher Aufträge sind aber nicht nur die Entscheidungsqualität und Rechtssicherheit, sondern auch die Verfahrensdauer ein wichtiges Kriterium, weil der Auftraggeber in dieser Zeit blockiert ist und somit wesentliche Impulse für die Wirtschaft "auf Eis" liegen. Das Bundesvergabeamt hat die gesetzlichen Entscheidungsfristen (eine Woche für die Einstweilige Verfügung, sechs Wochen für die Endentscheidung) in über 95 % aller Fälle eingehalten.

 

Überhaupt erheben sich gegen die "3. Säule" des Entwurfs ("Bundessache und Landessache in Gesetzgebung und Vollziehung")  massive grundsätzliche Bedenken:

Hier soll nämlich der Bund (im Einzelfall) mit Zustimmung der Länder eine bundesgesetzliche Regelung treffen und auch eine solche zurücknehmen können; er soll auch von einer Regelung Abstand nehmen und sie damit den Ländern überlassen können. Gleiches soll für die mittelbare und unmittelbare Bundesvollziehung einerseits und die Landesvollziehung andererseits gelten. All diese Zuständigkeiten sollen zwischen Bund und Ländern lediglich auf Grundlage der jeweiligen politischen Einigung verschoben werden können, ohne dass es dafür einer verfassungsgesetzlichen Sonderregelung bedarf und ohne dass derartige Regelungen der Kontrolle durch den VfGH unterliegen. Damit ist nicht nur ein negativer (legislativer) Kompetenzkonflikt geradezu vorprogrammiert, es erscheint auch mit den "Baugesetzen" der österreichischen Bundesverfassung (rechtsstaatliches Prinzip, bundesstaatliches Prinzip) nicht vereinbar, wenn wesentliche Gesetzgebungs- und Vollziehungskompetenzen quasi im "tagespolitischen Freistilringen" ausgemacht und noch dazu einer verfassungsgerichtlichen
Überprüfung entzogen werden. 


2. Arbeitsnehmerschutz, Bedienstetenschutz, Energierecht,

Dampfkessel und Kraftmaschinen

 

Artikel 10:

 

Die Zuständigkeit des Bundes für die Gesetzgebung am Gebiet des Arbeitsrechts der ArbeitnehmerInnen der land- und forstwirtschaftlichen Betriebe wird begrüßt. Damit kann eine schon vor mehr als hundert Jahren als anachronistisch erkannte und als rechtspolitisch nicht begründbar charakterisierte Divergenzentwicklung endlich beendet und in die Richtung eines einheitlichen Arbeitsrechts zumindest der ArbeitnehmerInnen des „Privatsektors“ gelenkt werden. Ergänzend ist hervorzuheben, dass mit der Gesetzgebungskompetenz des Bundes im Landarbeitsrecht eine langjährige, prominente Quelle für Vertragsverletzungsverfahren wegen verabsäumter Umsetzung von EG-Richtlinien beseitigt werden kann.

 

Wie dringend ein Ende der fortschreitenden Zersplitterung des Landarbeitsrechts geboten ist, illustriert die Tatsache, dass seit den späten 1990er Jahren am Gebiet des Landarbeitsrechts österreichweit mehr als 60 Novellen zu Landesgesetzen, 90 Durchführungsverordnungen sowie mehr als 10 Verordnungsnovellen zu erlassen waren. Für all diese landesrechtlichen Bestimmungen gilt die Aussage, die der österr. Nationalökonom Hugo Morgenstern bereits 1905 (!) im Rahmen der Analyse der 24 Dienstbotenordnungen der Monarchie – den Vorgängerbestimmungen des Landarbeitsrechts – machte: „Miteinander verglichen leiden [sie] an einer Hypertrophie kleiner Abweichungen, die durch die lokale Natur des Landes, für welches sie erlassen sind, gar nicht begründet ist.“ (H.M., Dienstbotenrecht; Österr. Staatswörterbuch, 2. Auflage, Band 1, 1905.)

 

Allerdings lässt die vorgesehene schrankenlose und nicht an enge Bedingungen geknüpfte Möglichkeit, dass die Bundesgesetze nach Artikel 10 Abs 1 die Landesgesetzgebung zur Erlassung von Ausführungsbestimmungen ermächtigen können (Artikel 10 Abs 2), befürchten, dass weiterhin sachlich nicht gerechtfertigten Uneinheitlichkeiten insbesondere im ArbeitnehmerInnenschutzrecht Vorschub geleistet wird.

 

Sofern die Ermächtigung zu Ausführungsbestimmungen der Länder überhaupt für notwendig erachtet wird, sollte das B-VG diese bundesgesetzliche Möglichkeit daher zwingend auf jene Fälle beschränken, in denen allfällige abweichende Regelungen auf Grund sachlicher Besonderheiten unbedingt erforderlich sind.

 

 

Artikel 21:

 

Das Fortbestehen der Rechtszersplitterung am Gebiet des Bedienstetenschutzrechts der Landes- und Gemeindebediensteten, die nicht in Betrieben tätig sind, (Artikel 21 B-VG) ist hingegen äußerst problematisch.

 

Es bestehen 10 voneinander in Details abweichende und in der Rechtserzeugung schwerfällige, aufwändige und langwierige Regelungssysteme betreffend den ArbeitnehmerInnenschutz der Landes- und Gemeindebediensteten. (Das Land Oberösterreich hat sogar getrennte Regime für den Landesbedienstetenschutz und für Gemeindebedienstetenschutz geschaffen.) Insgesamt stehen in diesem Bereich weit mehr als 115 – zum Teil bereits oftmals novellierte – Landesgesetze und -verordnungen in Geltung. In der Regel werden auf diesem Gebiet die EG-rechtlichen Umsetzungsfristen um – zumeist viele – Jahre überschritten. In einem Fall (BGBl II Nr 173/2002) musste sogar die Bundesregierung eine Ersatzvornahme gemäß Artikel 23d B-VG treffen, um wegen beharrlicher Untätigkeit eines Landes EG-rechtliche Konsequenzen von der Republik abzuwenden.

 

Mehr als zwei Drittel der Landesverordnungen für den Landes-/Gemeindebediensteten-schutz verweisen ausschließlich statisch auf ASchG-Verordnungen, dh sie ordnen die Anwendung der entsprechenden Bundesverordnungen an, wobei jedoch unregelmäßig geringfügige und sachlich unbegründet erscheinende Abweichungen von diesen normiert werden; zwei Sammelverordnungen ordnen die Anwendung von zusammen gleich 25 Bundesverordnungen an. Die meisten der übrigen Landesverordnungen stellen inhaltliche Kopien der Bundesverordnungen – allerdings mit kleinen, sachlich in der Regel nicht nachvollziehbaren Abweichungen – dar. Eine eigenständige inhaltliche Rechtsgestaltung durch die Länder findet faktisch nicht statt.

 

Das B-VG sollte die Vereinheitlichung insbesondere der Bedienstetenschutzbestimmungen der Länder anstreben. Als erster Schritt könnte in Artikel 21 B-VG (nach dem Vorbild des § 95 des Burgenländischen Bedienstetenschutzgesetzes) normiert werden, dass die landesrechtlichen Bedienstetenschutzvorschriften von jenen, die bundesrechtlich für Betriebe gelten, nur insoweit abweichen dürfen, als dies in den Besonderheiten des öffentlichen Dienstes sachlich begründet ist.

 

 

„Energierecht“ (Artikel 10 Abs 1 Z 8):

 

Den Erl.Bem. zur Folge soll der Kompetenztatbestand „Energierecht“ auch die „Normalisierung und Typisierung elektrischer Anlagen und Einrichtungen, Sicherheitsmaßnahmen auf diesem Gebiet“ mitumfassen.

Diese Tatbestände müssen nach Auffassung der Anstalt jedenfalls und ohne Wahlmöglichkeit in der alleinigen Gesetzgebungskompetenz des Bundes belassen werden. Eine auch nur ansatzweise oder denkmögliche (Teil)Regelung von elektrotechnischen oder sicherheitsbezogenen Anforderungen durch Landesrecht – und sei es, weil der Bund zur Möglichkeit der Gesetzgebung (noch) nicht Gebrauch gemacht hat (Artikel 12 Abs 2) – erscheint in der Sache als hochgradig kontraproduktiv und muss daher abgelehnt werden.

 

 

„Dampfkessel und Kraftmaschinen“ (Artikel 10 Abs 1 Z 10):

 

Die Ausweitung des Kompetenztatbestandes der Bundesgesetzgebung „Dampfkessel und Kraftmaschinen“ auf die Regelung der Abwehr von Gefahren, die von Maschinen ausgehen können, wird befürwortet.

Eine Ausweitung auf die Regelung der Abwehr von Gefahren, die allgemein von Technologien ausgehen können, erscheint in dieser Formulierung jedoch als unscharf, da die Abwehr möglicher Gefahren etwa der Nanotechnologie in das Chemikalienrecht und die Abwehr möglicher Gefahren der Gentechnologie insbesondere in das Gesundheitsrecht und in den Umweltschutz – oder aber in die Kompetenz Landwirtschaft – fallen.

 


3. „Krankenanstalten“ (Artikel 10 Abs 1 Z 12 und Artikel 12 Abs 1 Z 5):

 

Die vorliegenden Erfahrungen sprechen für eine Einordnung der Kompetenz „Krankenanstalten“ in den Artikel 10, um eine wünschenswerte Vereinheitlichung des Krankenanstaltenrechts zu forcieren und bisherige zeitliche Verzögerungen und Inkohärenzen auszuschalten. Der Artikel 10 bietet die Möglichkeit, dort einzelne Aspekte der Landesgesetzgebung zu überlassen, wo dies sachlich gerechtfertigt ist.

 

4. Strafrechtliche Belangbarkeit öffentlicher Dienstgeber:

 

Die völkerrechtliche Ratifizierung wichtiger Internationaler Übereinkommen durch Österreich scheitert oftmals ausschließlich (!) an der fehlenden Möglichkeit, die in Durchführung des Übereinkommens bestehenden oder erlassenen österreichischen Vorschriften auch gegen öffentliche Dienstgeber mit Strafandrohung durchsetzen zu können. Dies betrifft beispielsweise mehrere Übereinkommen der ILO (Internationale Arbeitsorganisation). Die Ratifizierung dieser Übereinkommen wäre jedoch sowohl hinsichtlich der Signalwirkung für die Völkergemeinschaft wie auch für Österreich wichtig.

 

Im B-VG sollte daher Vorsorge dafür geschaffen werden, dass einfachgesetzlich der strafrechtliche Durchgriff auch auf öffentliche Arbeitgeber angeordnet werden kann.

 

 

 

Hochachtungsvoll

Der Generaldirektor:

i.V.