ÖAGG

 

Österreichischer Arbeitskreis für Gruppentherapie und Gruppendynamik

A-1080 Wien, Lenaugasse 3/8; Tel.: +43-1-405 39 93, Fax: DW 20

Vorstand: Maria Majce- Egger

E-mail: generalsekretariat@oeagg.at

ZVR-Zahl: 662792666

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An die

Parlamentsdirektion

Parlament
Dr. Karl-Renner-Ring 1
A-1017 Wien

 

                                                                                              15. April 2008

 

Betreff: Begutachtung MuthG

 

 

Sehr geehrte Damen und Herren!

 

Im Folgenden finden Sie die Stellungnahme des ÖAGG zu dem Entwurf eines Musiktherapiegesetzes MuthG.

 

Zum ÖAGG: wir sind ein gemeinnütziger Verein, der seit 50 Jahren besteht und seither eine zentrale Rolle bei der Ausbildung und kollegialen Vernetzung von PsychotherapeutInnen in Österreich spielt. In unserem Verein werden Ausbildungen in 5 psychotherapeutischen Fachspezifika angeboten: Gruppenpsychoanalyse, Dynamische Gruppenpsychotherapie, Psychodrama, Integrative Gestalttherapie und Systemische Familientherapie.

 

Im Rahmen der GdG hat unser Kollege und Lehrtherapeut Dr. Heiner Bartuska eine Stellungnahme zum Musiktherapiegesetz formuliert, die auch die Stellungnahme des ÖAGG vollinhaltlich zum Ausdruck bringt.

 

Unsere Stellungnahme zum MuthG:

 

 

Zu Dokumentationspflicht § 30 (1)

1. Musiktherapeutisch relevanter Zustand der Person bei Übernahme der Behandlung, insbesondere Vorgeschichte der Problematik und allfällige Erkrankungen sowie bisheriger Krankheitsverlauf,

2. Diagnose,

 

 

 

 

 

 

In den Erläuterungen heißt es zu § 30:

§ 30 normiert eine umfassende Dokumentationspflicht samt berufsrechtlicher Verankerung des Einsichtsrechts für Patienten (Patientinnen) und stellt den Dokumentationsinhalt für Musiktherapeuten (Musiktherapeutinnen) von Beginn an außer Streit. Dieser Bestimmung kommt zugleich Vorbildwirkung für die Dokumentation durch Angehörige anderer Gesundheitsberufe, insbesondere Psychotherapeuten (Psychotherapeutinnen) dar.

 

Stellungnahme:

Musiktherapie ist genauso wie die Psychotherapie keine der medizinischen Prioritätenabfolge unterliegenden Methode.

Wo für die medizinische Prioritätenreihe gilt: 1. Exploration, 2. Anamnese. 3. Diagnose, 4. Behandlung,

gilt für die Psychotherapie (wie in der Diagnostikleitlinie für Psychotherapie im BMGFJ 2005 festgelegt und im Buch: „Psychotherapeutische Diagnostik“, BARTUSKA et al, 2006, Springer-Verlag Wien, New York ausreichend dargelegt):

1. Aufnahme und Entwicklung der psychotherapeutischen Beziehung,

2. Auf der Basis der sich entwickelnden psychotherapeutischen Beziehung Anregungen zur Selbstexploration und Selbstanamnese,

3. Dabei entsteht eine vorläufige diagnostische Einschätzung des Psychotherapeuten, die jedoch mit Behandlungsfortschritt präzisiert, vertieft und verändert wird, mit dem Ziel bei erfolgreichem Abschluss der Psychotherapie eine Klarheit über die zugrunde liegende Störung gewonnen zu haben.

 

Daher ist klar, dass sowohl die Vorgeschichte als auch allfällige Erkrankungen sowie der bisherige Krankheitsverlauf zwar eine Rolle spielen, aber nicht die selbe, wie in der Medizin.

 

Anders als in der Medizin, wo spezifische Behandlungen jeweils spezifische Indikationen und sowohl viele als auch häufigen Kontraindikationen haben, ist die musiktherapeutische Behandlung als auch die psychotherapeutische Behandlung grundsätzlich jedem Menschen, sowohl solchen mit krankheitswertigen Störungen als auch solchen die keine krankheitswertigen Störungen mitbringen, gleichermaßen von Beginn an anbietbar. Dabei ist das therapeutische Beziehungsangebot des Therapeuten zunächst das Gleiche, entwickelt sich aber sehr rasch mit den Beiträgen des Patienten (der Patientin) in eine individuelle Richtung. Etwaige, selten anzutreffende Kontraindikationen stellen sich meist bei Beginn der Behandlung heraus (und sind in der Diagnostik – Leitlinie für PsychotherapeutInnen taxativ aufgelistet), wobei dem Patienten (der Patientin) durch den psychotherapeutischen Behandlungsversuch kein erkennbarer Schaden erwächst, und bis heute keinerlei Schadensfolgen nachgewiesen wurden.

 

Medizinische Behandlungen bedürfen auch deswegen einer besonderen Sorgfalt und Dokumentation, weil sie fast immer mit mechanischer und/oder chemischer Gewalt (Spritzen, Operationen, Bestrahlungen, Medikamente etc.) einhergehen, die nur alleinverantwortlich von dem Arzt, wegen seiner alleinigen Fachkenntnis angewendet werden  kann.

 

 

 

 

Bei der Musiktherapie, der Psychotherapie und wahrscheinlich auch bei der Ergotherapie finden jedenfalls keinerlei Zwangs- oder Gewaltbestandteile statt, und nahezu keine allein verantwortliche Handlungen der Therapeuten. Es wird immer im  Konsens und in Zusammenarbeit eine Kooperation des Willens und der Eigenverantwortung des Patienten mit dem Willen und der Verantwortung des Therapeuten behandelt. Ziel dieser Behandlungen ist die Entwicklung und Stärkung des eigenen Willens des Patienten, der Erweiterung seines Handlungsspielraumes und seiner Eigenkompetenz. Daher geschieht dies streng nach partnerschaftlichen Vorgehensweisen. Wobei jedes Überreden, Ausfragen, Zwingen oder Verhör (also alle Formen der autoritären oder psychischen Gewaltanwendung) als methodisch kontraproduktiv sorgfältig vermieden wird. Exploratorische Fragen sind nur unter der Vorraussetzung einer gut laufenden therapeutischen Beziehung zulässig. Auch gilt für diese Therapien, dass im „Hier und Jetzt“ gearbeitet wird, wobei die Ressourcen des Patienten (der Patientin), seine Gegenwart und seine zukünftigen Entwicklungsmöglichkeiten viel stärker im Vordergrund stehen, als die Krankengeschichten, die auch nur teilweise über Ursachen der Erkrankungen Auskunft geben können, insbesondere dann nicht, wenn es sich um Wechselwirkungen verschiedener Kräfte handelt, die erst im Prozess der Therapie analysiert und verändert werden können.

 

Das Behandlungsergebnis der Musiktherapie ist genauso wie in der Psychotherapie von der partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen einem Patienten (einer Patientin) und einem Therapeuten (einer Therapeutin) abhängig.

 

Der Musiktherapeut schuldet also genauso wie der Psychotherapeut aus eindeutigen und methodischen Gründen ein Bemühen um einen Erfolg, jedoch nicht den Erfolg selbst.

Daher ist auch die Erhebung der Vorgeschichte der Problematik und allfälliger Erkrankungen sowie der bisherige Krankheitsverlauf abhängig von der partnerschaftlichen Zusammenarbeit und keine Bringschuld des Musiktherapeuten sowie keine des Psychotherapeuten.

Musiktherapeuten sowie Psychotherapeuten können daher keine voll verantwortliche Exploration und Anamnese professionell durchführen und daher auch nicht alleinverantwortlich dokumentieren. Allenfalls in verschiedenen Anteilen, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben können.

 

Es ist daher weder methodisch sinnvoll noch zumutbar, dem Musiktherapeuten genauso wenig wie dem Psychotherapeuten, die professionellen Regeln der Medizin übernehmen zu müssen (damit quasi „Medizinerabbildungen“ werden zu müssen) und dabei ihre wissenschaftlich entwickelten Behandlungsmethoden in den ersten 3 – 5 Stunden aufgeben zu müssen, nur um „ärzteähnlich“ dokumentieren zu können. Dazu kommt noch das der überaus wichtige Beginn einer therapeutischen Behandlung durch die aufgezwungene medizinähnliche Vorgangsweise die therapeutische Beziehung auf Dauer schädigen würde, weil bei dem Patienten (der Patientin) ein Autoritätsbild  erzeugt wird, das für die therapeutische Beziehung falsch ist (eben weil es kein Kooperationsbild ist), und wenn überhaupt in stundenlangen Arbeiten mühsam korrigiert werden müsste. Für den Patienten (die Patientin) wird das in vielen Fällen eine solche zusätzliche Belastung darstellen, dass die Therapieabbrüche viel häufiger werden.

 

Es wäre ja auch völlig absurd, wenn aufgrund der methodischen Begrenzungen der medizinischen Behandlungen durch die med. wissenschaftlichen Standards entstandenen ergänzenden Methoden wie Psychotherapie und Musiktherapie mit anderen wiss. Standards, über die ausschließlich juristische Analogie mit den Gerichtsurteilen über Medizin und Pflege, jetzt die entwickelten methodisch wissenschaftlichen Standards der Musiktherapie und der Psychotherapie zerstört und unterworfen werden sollen.   

 

Die Aufrechterhaltung der oben zitierten Formulierungen stellt also eine anscheinend normale aber in Wirklichkeit subtile Unterminierung und aufgezwungene massive Störung der Musiktherapie und wegen der Vorbildwirkung auch der Psychotherapie zumindest in den ersten 3 – 5 Therapiestunden und wahrscheinlich noch viele Stunden länger dar, und damit den sowohl sensiblen als auch heiklen und sehr differenziert zu betrachtenden Beginn einer Behandlung.

 

Dem Musiktherapeuten und dem Psychotherapeuten würde in diesem Konfliktfall nichts anderes übrig bleiben als entweder bei seinen gelernten wissenschaftlichen Methoden zu bleiben und die Belastung durch das Gesetz zu ignorieren oder wissentlich, aber gesetzestreu, eine wesentlich schlechtere Behandlungsmethode anwenden.

 

Das juristische und wissenschaftliche Methoden zerstörende Aufzwingen von artfremden Verpflichtungen muss daher unterbleiben und durch methoden-entsprechende Formulierungen ersetzt werden.

 

Es sollte daher lauten:

Zu Dokumentationspflicht § 30 (1)

1. Musiktherapeutisch relevanter Zustand der Person bei Übernahme der Behandlung, insbesondere Vorfälle, die die therapeutische Behandlung überschreiten und in die Alleinverantwortung des Therapeuten (der Therapeutin) fällt.

 

 

Wir unterstützen daher zwar das Musiktherapiegesetz im Grundsatz, ersuchen jedoch dringend um eine entsprechende Änderung des § 30 (1) 1.

 

 

Mit freundlichen Grüßen

 

 

 

 

Maria Majce-Egger

Generalsekretärin des ÖAGG