An das

BUNDESKANZLERAMT

vERFASSUNGSDIENST

Ballhausplatz 2

1014 Wien

            


21 04 2008

 

 

 

 


Birgit.Dadatschek@bmlfuw.gv.at

LE 4.2.1 I 1/2008

00431 711 00 6648

21 04 2008

 

Vom BKA-VD mit Schreiben vom 11 04 2008 im Rahmen des Begutachtungsverfahrens zum Entwurf betreffend ein

 

Bundesgesetz, mit dem das Datenschutzgesetz 2000 geändert wird (DSG-Novelle 2008)

 

zur Stellungnahme eingeladen, teilt das Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (im Folgenden BMLFUW) mit:

 

1.      GENERELLE ÜBERLEGUNGEN

 

1.1.          Dieser Entwurf enthält auch neue Regelungen (§ 8 Abs 3 Z 2 bzw. § 9 Z 4 DSG) betreffend die Übermittlung von Daten an den Nationalrat im Zusammenhang mit der Ausübung der parlamentarischen Kontrolltätigkeit nach Art 52 bis 53 B-VG.

 

1.2.          Aufgrund der derzeit aktuell diskutierten Frage, in welchem Umfang von einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss das Recht auf Datenschutz zu wahren ist bzw. von der ersuchten Behörde bei einer Aktenübermittlung auf dieses Rücksicht zu nehmen ist, erlaubt sich das BMLFUW, im Begutachtungsverfahren dazu eine erste Stellungnahme abzugeben.

 

1.3.          Das BMLFUW behält sich darüber hinaus die Abgabe einer weiteren Stellungnahme zum vorgelegten Entwurf vor.


 

2.      Allgemein

 

2.1.    § 1 Abs 1 DSG normiert, dass jedermann, insbesondere auch im Hinblick auf die Achtung seines Privat- und Familienlebens, Anspruch auf Geheimhaltung der ihn betreffenden personenbezogenen Daten hat, soweit ein schutzwürdiges Interesse daran besteht.

 

2.1.1. Gemäß der Verfassungsbestimmung des § 1 Abs 2 DSG dürfen Eingriffe einer staatlichen Behörde nur auf Grund von Gesetzen, die aus den in Art 8 Abs 2 der EMRK genannten Gründen notwendig sind, erfolgen.

 

2.1.2. Derartige Gesetze dürfen die Verwendung von Daten, die ihrer Art nach besonders schutzwürdig sind (sog. „sensible Daten“), nur zur Wahrung wichtiger öffentlicher Interessen vorsehen und müssen gleichzeitig angemessene Garantien für den Schutz der Geheimhaltungsinteressen der Betroffenen festlegen. Auch im Fall zulässiger Beschränkungen darf der Eingriff in das Grundrecht jeweils nur in der gelindesten, zum Ziel führenden Art vorgenommen werden.

 

2.1.3. Die in § 1 Abs 2 DSG 2000 angeordnete Interessenabwägung erfordert für die Zulässigkeit behördlicher Eingriffe in das Datenschutzrecht jedenfalls eine ausdrückliche gesetzliche Regelung, die den Anforderungen des Art 8 EMRK genügt.

 

2.1.4.  Unter Behörden sind im Sinne des DSG hoheitlich handelnde staatliche Organe zu verstehen, sohin primär Verwaltungsbehörden und Gerichte.

Dem öffentlichen Bereich sind weiters aber auch Handlungen von Organen der Gesetzgebung (einschließlich parlamentarischer Hilfsorgane) zuzurechnen.

Verbinden sich damit Eingriffe in den Datenschutz, werden die für behördliche Grundrechtsbeschränkungen maßgeblichen Kriterien des § 1 Abs 2 DSG heranzuziehen sein (vgl. Duschanek in Korinek/Holoubek, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, § 1 DSG Rz 52 ff).

 

2.2.          Mit der Bezugnahme auf die Eingriffsziele des Art 8 Abs 2 EMRK wird die Befugnis des Gesetzgebers, das Grundrecht Beschränkungen zu unterwerfen, inhaltlichen Schranken unterworfen.

Es handelt sich also um einen materiellen Gesetzesvorbehalt mit einer taxativen Aufzählung zulässiger Eingriffsgründe. Grundrechtseingriffe durch staatliche Behörden, die sich auf keinen der in Art 8 Abs 2 EMRK genannten Gründe berufen können oder damit in Widerspruch stehen, wären demnach verfassungswidrig, selbst wenn sie eine einfachgesetzliche Grundlage aufweisen.

 


2.3.          Das Gesetzesvorhaben lässt eine derartige Abwägung bzw. Begründung im Sinne des Art 8 EMRK gänzlich vermissen.

 

2.3.1. Inwiefern die parlamentarische Kontrolltätigkeit, die von Verfassungs wegen auf die Geschäftstätigkeit der Bundesregierung beschränkt ist, auf personenbezogene bzw. darüber hinaus auf private sensible Daten von Rechtsunterworfenen ausgedehnt werden soll, lässt sich weder dem Gesetz noch den Erläuternden Bemerkungen entnehmen.

 

2.3.2. § 1 Abs 2 1. Satz DSG fordert explizit eine gesetzliche Regelung als Eingriffsgrundlage, die den Anforderungen des Art 8 EMRK voll entspricht.

 

2.3.3.   Hinzuweisen ist ferner darauf, dass an den Determinierungsgrad der Eingriffsnormen strenge Anforderungen zu stellen sind. In der Rechtsprechung des VfGH wird gerade bei Grundrechtseingriffen eine „spezifische Determinierungspflicht“ und „Regelungsdichte“ verlangt; solcherart gesteigerte Bestimmtheitserfordernisse gehen über die allgemeinen Anforderungen des Art 18 B-VG hinaus (vgl. Berka, Das „eingriffsnahe Gesetz“ und die grundrechtliche Interessenabwägung, FS Walter, 1991, 37 ff).

Demgemäß hat der VfGH in seinen Entscheidungen VfSlg 12.166/1989 (Aktenvorlage an den VfGH einschließlich Namensliste der Demonstranten), 16.467/2002 (Übermittlung von Behandlungsdaten der Gebietskrankenkassen an die Ärztekammern), etc. die Notwendigkeit ausreichender Determinierung für gesetzliche Eingriffsermächtigungen gemäß § 1 Abs 2 DSG stets betont.

 

3.      Geforderte Gleichstellung mit Amtshilfe

 

3.1.    § 8 Abs 3 Z 2 bzw. § 9 Z 4 DSG normieren, dass die Verwendung personenbezogener bzw. sensibler Daten das Recht auf Geheimhaltung nicht verletzt, wenn die Verwendung der Daten durch Auftraggeber des öffentlichen Bereiches in Erfüllung der Verpflichtung zur Amtshilfe geschieht.

 

3.1.1.   Mit der geplanten Novelle zum DSG 2000 vermeint man, allein durch Einfügung der zusätzlichen Ausnahme „zur Amtshilfe oder zur Unterstützung des Nationalrates, des Bundesrates oder eines Landtages bei der Ausübung parlamentarischer Kontrolltätigkeit nach Art 52 bis 53 B‑VG oder entsprechenden landesverfassungsrechtlichen Bestimmungen“ eine Vorlage personenbezogener und sogar darüberhinaus „sensibler Daten“ ohne weitergehende Determinierung vorsehen zu können.

Dies ist rechtlich in dieser Form nicht zulässig.

 


Dabei wird nämlich ganz offensichtlich übersehen, dass ein Amtshilfeersuchen nur von einer Behörde gestellt werden kann, die ihrerseits an die Bestimmungen des Datenschutzgesetzes gebunden ist und diese bei ihrer Tätigkeit zu beachten hat.

Jede staatliche Behörde bedarf allerdings für einen Eingriff in den grundrechtlich gewährleisteten Datenschutz eine den Anforderungen des Art 8 EMRK entsprechende gesetzliche Grundlage. Erst auf Basis einer derartigen Grundlage kann ein Amtshilfeersuchen überhaupt erst gestellt werden. Die vermeintliche Ausnahmebestimmung der „Amtshilfe“ führt sohin keinesfalls zu einem Entfall der wesentlichen Voraussetzung einer gesetzlichen Eingriffsnorm.

 

3.1.2. Auch die Amtshilfe, insbesondere wenn sie in Form von „Informationshilfe, also durch Datenübermittlung zwischen Rechtsträgern des öffentlichen Bereiches geleistet wird“, als behördlicher Eingriff in den grundrechtlichen Geheimhaltungsanspruch verstanden werden muss, hat den Anforderungen der Verfassungsbestimmung des § 1 Abs 2 DSG zu entsprechen (vgl. Duschanek in Korinek/Holoubek, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, § 1 DSG Rz 57).

 

3.2.    Selbst der Verfassungsrang des Art 22 B-VG ändert nichts an den, aus § 1 DSG hervorgehenden, grundrechtlichen Schranken der Verwendung von Daten. Art 22 B-VG besitzt nämlich nur „internen Charakter“ und kann somit, selbst in Verbindung mit den zitierten einfachgesetzlichen Bestimmungen des DSG nicht als „Befugnisnorm“ herangezogen werden, um Beschränkungen des grundrechtlichen Geheimhaltungsanspruches zu rechtfertigen (vgl.
Adamovich/Funk/Holzinger, Österreichisches Staatsrecht, Bd 2, 1998, Rz 27.077; Wiederin, Art 22 B-VG, Rz 51). Weder das allgemeine Amtshilfegebot des Art 22 B‑VG noch die oben zitierten Bestimmungen des DSG können sicherstellen, dass Informationshilfe im konkreten Fall zur Wahrung überwiegender Interessen eines anderen notwendig ist (siehe Duschanek in Korinek/Holoubek, Österreichisches Bundesverfassungs­recht, § 1 DSG Rz 57).

 

3.3.    Bei verfassungskonformer Auslegung hat das ersuchte Organ somit bei jedem Amtshilfefall nicht nur die Rechtmäßigkeit der gewünschten Datenverwendung durch das ersuchende Organ zu prüfen, sondern auch das Bestehen einer spezifischen gesetzlichen Ermächtigung iSd § 1 Abs 2 DSG iVm Art 8 Abs 2 EMRK als Grundlage der erwünschten Informationshilfe; erforderlichenfalls sind die erhöhten Anforderungen für die Verwendung sensibler Daten zu beachten (vgl. Duschanek in Korinek/Holoubek, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, § 1 DSG Rz 57; Wiederin, Art 22 B-VG, Rz 46, 51, DSK 19.5.1993, 120.402).

 

Gesetzliche Verwendungsermächtigungen für sensible Daten gemäß § 1 Abs 2 2. Satz DSG müssen nämlich darüber hinaus auch angemessene Geheimhaltungsgarantien vorsehen, die ebenfalls von Art 8 Abs 4 Datenschutzrichtlinie verlangt werden. In Betracht kommen etwa spezifische Verwendungsbeschränkungen, auch Löschungsfristen oder Datensicherheits-vorkehrungen.

 

3.4.    Es ist sohin nochmals ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass jeder Eingriff einer staatlichen Behörde in den grundrechtlichen Geheimhaltungsanspruch einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage bedarf. Allein ein Anknüpfen an die Amtshilfe reicht aus den ausführlich dargelegten Gründen jedenfalls nicht aus, um die in der Novelle zum DSG beabsichtigte Vorlage von personenbezogenen, ja sogar „sensiblen Daten“ zu erwirken.

 

Die geplante DSG-Novelle ist somit nicht geeignet, die beabsichtigte Vorlage in verfassungskonformer Weise zu ermöglichen.

 

4.      Art 52 bis 53 B-VG als gesetzliche Grundlage iSd § 1 Abs 2 DSG?

 

4.1.    In diesem Zusammenhang ist auch zu prüfen, ob die Art 52 bis 53 B-VG allenfalls ausreichende gesetzliche Grundlagen bzw. Eingriffsnormen im Sinne der Verfassungsbestimmung des § 1 Abs 2 DSG darstellen.

 

Dies ist aus nachstehenden Gründen jedenfalls zu verneinen:

 

4.1.1.  Art 52 B-VG räumt dem Nationalrat und dem Bundesrat die Befugnis ein, die Geschäftsführung der Bundesregierung zu überprüfen, deren Mitglieder über alle Gegenstände der Vollziehung zu befragen und alle einschlägigen Auskünfte zu verlangen sowie ihren Wünschen über die Ausübung der Vollziehung in Entschließungen Ausdruck zu geben.

Dieses Kontrollrecht beschränkt sich eindeutig auf die Geschäftstätigkeit der Bundesregierung und definitiv nicht auf die Verwendung von personenbezogenen oder gar sensiblen Daten.

Von einer Eingriffsnorm, die den Anforderungen des Art 8 EMRK entspricht, kann sohin jedenfalls nicht ausgegangen werden. Darüberhinaus trifft die allgemeine Kontrollbestimmung des Art 52 B-VG keinerlei angemessene Garantien für den Schutz der Geheimhaltungsinteressen der Betroffenen.

 

4.1.2. Art 53 B-VG ermöglicht dem Nationalrat die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, legt jedoch in seinem Absatz 2 explizit fest, dass die näheren Verfahrensbestimmungen durch das Bundesgesetz über die Geschäftsordnung des Nationalrates getroffen werden.

 

§ 33 GOG-NR verweist seinerseits wiederum auf die Verfahrensordnung für parlamentarische Untersuchungsausschüsse, sodass weder in Art 53 B-VG noch in § 33 GOG-NR die notwendige gesetzliche Grundlage erkannt werden kann.

 


4.1.3. Dass weder Art 52, Art 53 B-VG noch § 33 GOG-NR eine ausreichende gesetzliche Grundlage für einen Eingriff in den grundrechtlich gewährleisteten Datenschutz darstellen, wird auch durch die Formulierungen bzw. den Aufbau der Verfahrensordnung für parlamentarische Untersuchungsausschüsse (VO-Untersuchungsausschuss) bestärkt.

 

So sieht etwa § 7 Abs 1 Z 3 VO-UA ausdrücklich vor, dass die Aussage vor dem Untersuchungsausschuss verweigert werden darf in bezug auf Tatsachen, über welche eine Person nicht würde aussagen können, ohne eine gesetzlich anerkannte Pflicht zur Verschwiegenheit zu verletzen, sofern sie von der Pflicht zur Geheimhaltung nicht gültig entbunden wurde
oder sie als öffentlich Bediensteter gemäß § 6 (Amtsverschwiegenheit) zur Aussage verhalten wurde.

 

Die Wendung „sofern sie von der Pflicht zur Geheimhaltung nicht gültig entbunden wurde“ würde jeden Anwendungsbereich verlieren, würde man ernsthaft behaupten, dass bereits Art 52 bis 53 B-VG den Untersuchungsausschuss dazu legitimieren, sämtliche Unterlagen etc. uneingeschränkt einzusehen. Faktum ist vielmehr, dass Art 52 bis 53 B-VG nicht einmal geeignet sind, die Amtsverschwiegenheit in jedem Fall zu durchbrechen.

Jede gegenteilige Auffassung würde zwangsläufig in Erklärungsnot geraten, warum die Dienstbehörde gemäß § 6 VO-UA die Vertraulichkeit von Informationen vor dem Untersuchungsausschuss begehren kann und die Verpflichtung zur Wahrung der Amtsverschwiegenheit diesfalls nur durch einen Zweidrittel-Beschluss des Untersuchungsausschusses aufgehoben werden kann.

Kommt die Zweidrittelmehrheit nicht zustande, würde gemäß § 6 iVm § 7 Abs 1 Z 3 VO-UA die Amtsverschwiegenheit, die sich auf amtliche Wahrnehmungen bezieht, vor dem Untersuchungsausschuss weiterhin gelten, während das Datenschutzgesetz, das private personenbezogene und sensible Daten schützt, sohin Daten, die wohl nicht direkt der Geschäftstätigkeit der Bundesregierung unterliegen, bei Zugrundelegung der hier abgelehnten Auffassung bereits in jedem Fall aufgrund der Art 52 bis 53 B-VG nicht gelten  würde.

 

Ein derartiger Wertungswiderspruch kann dem Gesetzgeber nicht zugesonnen werden.

Diese Auffassung verkennt daher nicht nur die bezughabenden Rechtsgrundlagen, sondern auch deren Zusammenspiel und würde zudem – konsequent zu Ende gedacht - zum Ergebnis führen, dass für eine Entbindung gemäß § 7 VO-UA gar kein Anwendungsspielraum bliebe. Dass der Gesetzgeber Bestimmungen ohne tatsächlichen Anwendungsbereich erlässt, kann wohl nicht ernsthaft behauptet werden.


 

5.      Ergebnis

 

5.1.          Im Ergebnis kann sohin festgehalten werden, dass jeder staatliche Eingriff in das Datenschutzrecht einer gesetzlichen Grundlage bedarf, die den Anforderungen des Art 8 EMRK entspricht.

Selbst die Bestimmung zur Amtshilfe ist nicht geeignet, von einer derartigen gesetzlichen, EMRK-konformen Grundlage abzusehen.

Vielmehr kann die ersuchende Behörde im Rahmen eines Amtshilfeersuchens nur insoweit personenbezogene bzw. sensible Daten anfordern, als sie hiefür eine gesetzliche Grundlage hat. Bereits aus diesem Grund geht ein bloßer Verweis auf die Gleichstellung zur Amtshilfe fehl.

5.2.    Eine gesetzliche Grundlage, die den Anforderungen des Art 8 EMRK entspricht, kann durch das nunmehrige Gesetzesvorhaben jedenfalls nicht verfassungskonform erreicht werden, sodass die angedachten Änderungen zum DSG bzw. vermeintlichen Ausnahmen vom grundrechtlichen Geheimhaltungsanspruch aus Rechtsschutzerwägungen mit Entschiedenheit abgelehnt werden müssen.

 

 

6.      Information

 

Diese Stellungnahme ergeht an folgende vom BKA-VD im Versendungsschreiben angegebene Empfänger:

-                     v@bka.gv.at

-                     begutachtungsverfahren@parlament.gv.at

 

 

für den Bundesminister.

Dadatschek