Österreichische
Arbeitsgemeinschaft für
Rehabilitation (ÖAR)
Dachorganisation der
Behindertenverbände Österreichs

Dr. Christina Meierschitz · DW 119

E-Mail: meierschitz.recht@oear.or.at

 

 

 

 

 

Stellungnahme der

Österreichischen Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (ÖAR), Dachorganisation der Behindertenverbände Österreichs,

zum Entwurf eines Bundesgesetzes mit dem das Schulunterrichtsgesetz geändert wird.

BMUKK-12.940/1-III/2/2008

 

 

 

Die ÖAR erlaubt sich, zu oben angeführtem Entwurf folgende Stellungnahme abzugeben:

Die ÖAR steht der Einführung von Bildungsstandards und den damit verbundenen grundsätzlichen Standards positiv gegenüber, jedoch müssen die dafür notwendigen Rahmenbedingungen auch für SchülerInnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf gesetzlich festgeschrieben werden. Die Grundsätze der Inklusiven Bildung und der damit verbundenen Barrierefreiheit sind in jedem Fall zu berücksichtigen. Dies gilt sowohl für die Aufnahme als auch den Unterricht an der nächsten wohnnahen Schule für alle SchülerInnen.

Das Erreichen von Bildungsstandards bzw. Standards in allen Bereichen, die die Schule zu erfüllen hat, bedarf jedenfalls ausreichender Ressourcen, sowohl in finanzieller als auch personeller Hinsicht.

Die Lebenshilfe Österreich fordert, dass sich die Bildungsstandards generell, d.h. für SchülerInnen mit und ohne sonderpädagogischem Förderbedarf, an einem Kompetenz-Portfolio orientieren müssen, welches neben dem Erwerb von Fachwissen vor allem auch den Erwerb lebenspraktischer, sozialer, kommunikativer, kreativer und anderer nicht-kognitiver Fertigkeiten miteinbezieht. Bei der Ausarbeitung dieser Bildungsstandards müssen Menschen mit Behinderung selbst, deren Angehörige bzw. Interessenvertretungen maßgeblich beteiligt werden. Konzeption und Handhabung der Bildungsstandards müssen dergestalt sein, dass ausreichend Raum für individuelle Lehrpläne und Fördermethoden verbleibt.

Vom Österreichischen Gehörlosenbund (ÖGLB) werden folgende Kritikpunkte und Forderungen eingebracht:

Bildungsstandards, so die Definition, legen konkrete, von SchülerInnen erwartete Leistungen fest.

Da aber nicht alle SchülerInnen gleiche Voraussetzungen und Möglichkeiten in Bezug auf das Aneignen eines Lehrstoffs und dessen Wiedergabe haben, müssen diese unterschiedlichen Fähigkeiten in der Prüfungsmethode und im Prüfungsstoff berücksichtigt werden.

In Deutsch und Englisch sollen folgende Leistungen überprüft werden:

Deutsch: Zuhören und Sprechen, Lesen, Schreiben, Sprachbewusstsein

Englisch: Hören, Lesen, an Gesprächen teilnehmen, Zusammenhängend sprechen, Schreiben.

Hier weist der ÖGLB darauf hin, dass es bei gehörlosen SchülerInnen keinen Sinn macht, Hören und Sprechen zu überprüfen. Daher sollte eher auf Schriftsprachkompetenz geachtet und diese entsprechend gewichtet werden. Voraussetzung dafür ist aber, dass gehörlose SchülerInnen überhaupt die Chance bekommen, diese Kompetenz zu erwerben – indem sie in bilingualen Klassen (in ÖGS[1] und Deutsch; mit zwei sprachkompetenten Lehrpersonen) entsprechend ihren Bedürfnissen und Fähigkeiten unterrichtet werden.

Sprachbewusstsein bedeutet bei gehörlosen SchülerInnen auch Bewusstsein in ÖGS – dies kann wieder nur unter der Bedingung, dass die SchülerInnen von ÖGS-kompetenten Personen unterrichtet werden, überprüft werden.

Auch in Englisch muss die Prüfungsmethode den Bedürfnissen gehörloser SchülerInnen angepasst werden.

Für die Österreichische Autistenhilfe ist es wichtig, den Pflichtschulbereich (im Fachhochschulbereich längst gängig) mit einem Expertenboard dahingehend zu zertifizieren, dass grundlegende Standards, wie barrierefreier Besuch der Schulen (nicht nur auf körperliche Einschränkungen bezogen) und die Gleichstellung berücksichtigt werden. Es soll ein Qualitätsmanagement mit der Zielsetzung der Inklusion geschaffen werden, was in weiterer Folge bewirkt, dass es alle Menschen betrifft und somit dem Bundes- Behindertengleichstellungsgesetz entspricht, individuell auf den Schüler angepasste Förderung garantiert und zu einer wesentlichen Kostenreduktion führt.

Zuständigkeitsbereiche der Schuldirektion müssen sein:

Geschäftsführung & Personalleitung

Ø  Zusammenstellung der Lehrerteams

Ø  Anstellung und Kündigung der LehrerInnen

Ø  Prüfung der sozialen Kompetenz, Anstellung und Kündigung von SonderpädagogInnen

Ø  Aufnahme der Schüler

Folgende Problembereiche, die nicht Anspruch auf Vollständigkeit erheben, führen zu großen Ungleichbehandlungen im Vergleich mit nichtbehinderten Kindern:

 

1.    Aufnahmekriterien für „Integrations-“ Förderschüler gelten momentan nicht.

2.    Kosten des persönlichen Assistenzbetriebes im Pflichtschulbereich werden kaum von staatlicher Seite getragen. Erwiesen ist, dass Kinder mit Lernschwierigkeiten im Regelschulwesen unterrichtet werden müssen, da das „normale“ Umfeld für die Entwicklung der sozialen Kompetenz von größter Wichtigkeit ist.

3.    Kosten des persönlichen Assistenzbetriebes werden im SPZ von staatlicher Seite kaum getragen.

4.    Für Menschen mit Lernschwierigkeiten stehen trotz „vorhandener persönlicher Assistenz“ österreichweit keine AHS und keine weiterbildenden Schulen zur Verfügung.

5.    Vorhandene Lehrerteams sind nicht homogen, da die Aufnahme der LehrerInnen nicht durch den Schulleiter erfolgt.

6.    Keine Nachmittagsbetreuung im „integrativen“ Förder-Bereich - im sonderpädagogischen Bereich werden die Kinder bis ca. 16 Uhr begleitet.

7.    Wenn nachweislich ein/e Lehrer/in nicht mehr den pädagogischen Ansprüchen und/oder der Teamarbeit gerecht wird, so besteht keine Möglichkeit, sich von diesem Mitarbeiter zu trennen, es kann nur eine Versetzung erfolgen.

Alle jungen Menschen sollen jedenfalls bis zu jenem Zeitpunkt das Recht auf Bildung haben, ab dem ihr Einstieg in den Arbeitsmarkt erfolgen kann. Menschen mit Lernschwierigkeiten haben derzeit nur das Recht, bis zur 12. Schulstufe im Schulsystem gefördert zu werden, anschließend werden teure Maßnahmen ergriffen, um noch nicht berufsreife Jugendliche zu integrieren.

 

Die ÖAR ersucht die dargelegten Anregungen zu berücksichtigen, um Menschen mit Behinderungen in Österreich einen chancengleichen Schulbesuch zu ermöglichen.

 

Wien, am 13.5.2008



[1] Österreichische Gebärdensprache; seit 2005 verfassungsrechtlich als eigene Sprache anerkannt