Vereinigung Österreichischer
Staatsanwältinnen und Staatsanwälte
www.staatsanwaelte.at
An das
Präsidium des Nationalrates
Parlament
Dr. Karl Renner
Ring 3
1010 Wien
Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem die Exekutionsordnung, die Zivilprozessordnung, das Außerstreitgesetz, das Gerichtliche Einbringungsgesetz 1962, das Strafgesetzbuch, die Strafprozessordnung 1975 und das Tilgungsgesetz 1972 geändert werden (2. Gewaltschutzgesetz – 2.GeSchG)
193/ ME (XXIII.GP)
Begutachtungsverfahren
Die Vereinigung Österreichischer Staatsanwältinnen und Staatsanwälte nimmt zu den vorgeschlagenen Änderungen wie folgt Stellung:
Zu § 197a StPO: Die vorgeschlagene Möglichkeit, das Verfahren im Opferinteresse für die Dauer von längstens 6 Monaten abzubrechen steht in einem unlösbaren Spannungsverhältnis zum Beschleunigungsgebot des § 9 StPO, Art. 6 Abs.1 EMRK und ist in der Praxis entbehrlich.
Auch die formelle Abbrechung des Verfahrens gegen Abwesende oder unbekannte Täter aufgrund faktischer Unmöglichkeit weiterer Verfolgung nach § 197 StPO hat in Bezug auf die Fortsetzung des Verfahrens keine rechtlichen Konsequenzen (Fabrizy, StPO10, § 197, RZ 1). Während aber hier wegen des unbestimmten, oft jahrelang währenden Zeitraumes der Verfolgungsunmöglichkeit - nicht zuletzt aus registertechnischen Gründen – Bedarf an der Dokumentation der vorübergehenden Beendigung des Verfahrens besteht, fehlt dieser Regelungszweck der vorgeschlagenen Bestimmung gänzlich.
Dabei wird keineswegs verkannt, dass gerade Opfern von Sexualdelikten unter Umständen eine förmliche (schonende) Vernehmung erst mit Fortschreiten des Verfahrens und der ihnen zuerkannten Prozessbegleitung zugemutet werden kann. In solchen Fällen greift aber ohnedies das allgemeine Verhältnismäßigkeitsgebot des § 5 Abs.2 StPO, wonach unter mehreren zielführenden Ermittlungshandlungen (zunächst) jene zu ergreifen sind, welche die Rechte der Betroffenen am wenigsten beeinträchtigen.
Zu § 107b StGB: Die Erweiterung des strafrechtlichen Schutzes durch die vorgeschlagene Bestimmung erscheint gering, erschöpft sie sich doch in (beharrlicher) nichtöffentlicher Gewaltausübung ohne Verletzungsfolgen und ohne Nötigungsziel. Solche, von den §§ 83ff, 105f oder 115 nicht erfassten Fälle sind in der Praxis nur selten erweislich, sodass ein dringender Regelungsbedarf nicht ersichtlich ist.
Da eine Gewaltausübung nach Abs. 2 auch in der fortgesetzten Begehung vorsätzlicher strafbarer Handlungen gegen Leib und Leben oder gegen die Freiheit einer Person – also etwa durch gefährliche Drohung- bestehen kann, harmonisiert diese Definition nicht mit dem Gewaltbegriff des StGB, namentlich mit jenem der §§ 105 Abs.1, 84 Abs.3, 201 Abs.1, 202 Abs.1. Darüber hinaus verwendet die konzipierte Regelung sowohl im Grundtatbestand als auch in den Qualifikationen – ähnlich § 107a – eine Reihe unbestimmter Begriffe („längere Zeit hindurch fortgesetzt“ „beharrlich“„umfassende Kontrolle des Verhaltens“, „erhebliche Einschränkung der autonomen Lebensführung“), die an ihrer Verfassungskonformität Zweifel aufkommen lassen.
Wien, am 5.6.2008