MÄNNERBERATUNG

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Wien, am 09.06.2008

 

An das

Bundesministerium für Justiz

Museumsstraße 7

1070 Wien

 

 

Stellungnahme zum Entwurf eines 2. Gewaltschutzgesetzes
(BMJ-B12.101/0002-I 5/2008)

 

 

Die Männerberatung Wien nimmt zum vorgeschlagenen Gesetzesentwurf wie folgt Stellung:

 

Die Männerberatung Wien begrüßt viele der vorgeschlagenen gesetzlichen Adaptionen, da sie auf eine Verhinderung weiterer Gewalttaten abzielen. Grundsätzlich weisen die vorgeschlagenen Änderungen in die Richtung eines verstärkten Schutzes von Opfern von physischer, psychischer und sexueller Gewalt. Gleichzeitig wird auch der Gedanke, präventiv den Schutz von Opfern zu gewährleisten, verfolgt.

 

Im Besonderen ist die Männerberatung Wien in drei ihrer Arbeitsbereiche mit den geplanten Gesetzesänderungen konfrontiert: In der Anti-Gewaltarbeit (Trainingsprogramm gegen Gewalt von Männern in Partnerschaften), in der forensisch therapeutischen Gruppen- und Einzelarbeit mit Sexualstraftätern (WSPS), die in Justizanstalten und ambulant durchgeführt wird und in der Prozessbegleitung für männliche Opfer von Gewalt (Informationsstelle für Männer).

 

Es ist zu begrüßen, dass Menschen Schutz vor Gewalt in ihrer Wohnung, an ihrem Arbeitsplatz oder dem Schulort ihrer Kinder genießen (§382b und e EO).

Die Erweiterung der Prozessbegleitung auf das Zivilverfahren und der darin enthaltenen Regelung der abgesonderten Vernehmung nach § 73a ZPO ist als prinzipiell positiv zu erachten. Fraglich ist freilich, ob die vorgesehene pauschale Vergütung ausreicht, die Bereitschaft der juristischen Prozessbegleiter zur Bestellung zur/m Verfahrenshilfeanwältin/ Verfahrenshilfeanwalt herzustellen. Eine Ernennung der juristischen ProzessbegleiterIn  zur/m  Verfahrenshilfeanwältin/ Verfahrenshilfeanwalt ist in vielen Fällen wünschenswert.

 

Die Möglichkeit, nach § 75a ZPO von der Angabe des Wohnorts abzusehen, wenn ein schutzwürdiges Geheimhaltungsinteresse besteht (das bei Opfern häufig gegeben ist) ist grundsätzlich positiv zu sehen. Diese Bestimmung bleibt aber inkonsequent, da die Adresse über das Zentrale Melderegister bei Angabe des Namens und Geburtsdatums leicht zugänglich ist. Offen ist, wer Zugang zum Zentralen Melderegister hat und weiterhin haben wird.

 

Es ist generell zu begrüßen, dass auch im Zivilprozess Opferrechte verstärkt wahrgenommen werden ((§289a und b ZPO). Auch die Änderungen im Außerstreitgesetz (Prozessbegleitung nach § 7), die Bestimmungen über die Geheimhaltung der Wohnanschrift (§10 a) hier aufzunehmen und die Ergänzungen in § 35 sind positiv zu sehen.

 

Aus unserer Sicht zeigt sich in der täglichen Arbeit mit den Opfern immer wieder, dass die vom Strafgericht erlangten Zusprüche in der Folge nicht einbringlich gemacht werden können. Erfahrungsgemäß sprechen die Strafgerichte ohnehin relativ geringe Beträge zu. Die meisten Opfer sind auch bereit, sich mit diesen oft ohnehin als symbolisch zu bezeichnenden Zusprüchen zufrieden zu geben. Es wäre daher wünschenswert, wenn die Bestimmungen des § 373a StPOeiner Neuregelung unterzogen würde, dies in der Form, dass Vorschussleistungen in der Praxis möglich werden. Die dafür zu veranschlagenden Budgetmittel können aus unserer Sicht als minimal bezeichnet werden.

 

Der neue Straftatbestand der beharrlichen Gewaltausübung (§107b StGB) wird von zahlreichen Opfern als solche beschrieben und entspricht demnach den Erfahrungen vieler Opferschutzeinrichtungen und Institutionen, die mit Gewalttätern arbeiten. Gewalt in nahen Beziehungen wird in der Regel nicht nur einmal – etwa infolge eines Konflikts – ausgeübt, sondern wiederholt, mit steigender Häufigkeit und wachsendem Schweregrad, sowohl in der aktuellen Beziehung, wie auch in weiteren Beziehungen. Die Voraussetzungen des § 107b (2) treffen für die überwiegende Anzahl der Klienten des von der Männerberatung und Interventionsstelle Wien durchgeführten „Trainingsprogramm für Männer zur Beendigung von gewalttätigem Verhalten in Paarbeziehungen“ zu. Im Sinne eines erweiterten Opferschutzes wird die Schaffung des neuen Tatbestandes begrüßt, gleichzeitig empfiehlt sich hier im besonderen Falle eine umfassende Information über den neuen Straftatbestand, zumal dieser noch immer den Einstellungen und der Lebenswirklichkeit von Teilen der Bevölkerung entgegensteht. Diese Information sollte in deutscher Sprache wie auch in Sprachen der häufigsten MigrantInnengruppen erfolgen.

 

Damit staatliche Maßnahmen gegen Gewalt (in nahen Beziehungen) präventiv wirksam(er) werden, bedarf es nicht nur einer normativ aufgeladenen Reaktion gegen häusliche Gewalt, sondern entsprechende Strategien auf allen Ebenen (Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention). Die Statistiken zeigen hohe Rückfallszahlen selbst bei Verurteilung und Inhaftierung. Exemplarisch sei hier die standardisierte Konfrontation des Täters im Zuge einer Wegweisung wie auch der österreichweite Ausbau von Trainingsprogrammen, deren Wirksamkeit in vielen Studien beschrieben wird, genannt.

 

In einigen Belangen jedoch sehen wir die geplanten Änderungen kritisch:

So entsteht etwa durch die Verlängerung der Tilgungsfristen und durch einen Arbeitsmarkt, der verstärkt unbescholtene Arbeitnehmer sucht, der Umstand, dass entlassene Täter vermehrt in der Arbeitslosigkeit enden und aufgrund ihres sinnentleerten Alltags ein Deliktverhalten wahrscheinlicher wird.

Grundsätzlich zu begrüßen sind im Sinne verstärkter Möglichkeiten der Kontrolle von Sexualstraftätern die Änderungen nach § 4a und die Einführung des Abs. 8 in § 6, wonach auch die mit den Aufgaben der Jugendwohlfahrt betrauten Personen oder öffentliche Dienststellen Strafregisterauskunft erhalten.

 

Als besonders problematisch sehen wir jedoch die Verschärfung der Anzeigepflicht nach den §§ 78 und 78a, die gerade bei Menschen, deren Problem es ist, dass ihr Vertrauen durch nahe Personen massiv verletzt wurde, und sich nun anderen Menschen anvertrauen, dazu führt, dass  ihre Aussagen unvermittelt zu Anzeigen führen. Unter Umständen kann der beabsichtigte Schutz des Opfers damit konterkariert werden, indem der Druck auf die Opfer verlagert wird . Dies trifft insbesondere laufende Abklärungen bei darauf spezialisierten Einrichtungen bzw. der dabei involvierten Berufsgruppen nach einem Verdacht, dass ein Minderjähriger Opfer einer im § 65 Z 1 lit. A bezeichneten Tat geworden sein könnte. Wenn unter Berücksichtigung der Psychodynamik des Opfers eine für die Strafverfolgung notwendige Aussagebereitschaft (noch) nicht gegeben ist, kann eine verpflichtete unverzügliche Anzeige auch negative Folgen für das Opfer oder weitere potentielle Opfer haben. Das trifft insbesondere dann zu, wenn durch eine vorschnelle Anzeige die tatverdächtige(n) Person(en) gewarnt werden und dadurch der Druck auf mögliche Zeugen ausgeübt wird, bevor diese in Obhut einer spezialisierten Einrichtung oder einer Fachperson gelangen. Unserer Meinung nach sollten Anzeigen erst dann erfolgen, wenn die Opfer und deren betroffenen Angehörigen hinreichend geschützt sind und die Aussagen der betroffenen Personen abgeklärt sind, um nicht Tätern die Möglichkeit zu bieten, die Zeugen massiv unter Druck zu setzen. Vielmehr  sollten eher im ersten Schritt Behörden ermutigt werden, in einer Familie eine Wegweisung vorzuschlagen oder eine einstweilige Verfügung zu erwirken, bevor etwa Kinder fremduntergebracht werden müssen.

Außerdem gefährdet die verschärfte Anzeigepflicht die für die Arbeit von spezialisierten Einrichtungen und spezialisierten Personen notwendige Vertrauensbasis zum Opfer.

Auch wirkt der neue Vorschlag  zumindest klärungsbedürftig, da nicht genau festzustellen ist, wer nun anzeigen soll: Nehmen wir den Fall eines Missbrauchs in der Familie durch den älteren Bruder : Wer hat die Anzeigeverpflichtung? Die Eltern? Die Lehrer? Das Jugendamt? Betreuungseinrichtungen, an die sich das missbrauchte Opfer wendet? Auch solche, an die sich der Täter wendet? Wenn ein Psychotherapeut von dieser Situation erfährt, hat er die Behandlung mit dem Opfer oder dem Täter abzubrechen, indem er eine Anzeige macht oder gilt er als Seelsorger?

 

Das Argument, dass durch die verstärkte Einführung von Prozessbegleitung Opfer ohnedies ausreichend vor den negativen Auswirkungen der Strafverfolgung geschützt seien und eine Allgemeine Anzeigepflicht daher nicht weiter bedenklich sei, wird von uns nicht mitgetragen. Bedenklich ist es für uns vor allem dadurch, dass Kinder und Jugendliche in ihrer Eigenschaft als Opfer in Strafverfahren hineingedrängt werden und kaum noch Raum bleibt, vorab zu klären, ob nicht andere Wege des Kinderschutzes sinnvoller, weil schonender, Erfolg versprechender und nachhaltiger sind.

Die Strafverfolgung des Täters als vordergründigste Maßnahme zum Schutz von Kindern zu definieren, sehen wir als sehr problematisch an. Eine sinnvolle Alternative ist für uns die bereits bestehende Meldepflicht nach dem Jugendwohlfahrtsgesetz. Die dort definierten Sanktionen bei Missachtung derselben sollten aber verstärkt angewandt werden.

Die Männerberatung Wien spricht sich daher klar gegen die generelle Anzeigepflicht aus.

 

Bei Weisungen für Straftäter begrüßen wir sämtliche Maßnahmen, die geeignet erscheinen, die Rückfallsgefahr zu bannen (§ 48, 50, 52 und 52a StGB): Es sind dies derzeit Bewährungshilfe, forensisch psychotherapeutische Maßnahmen und Trainingsprogramme in Männerberatungsstellen und forensischen Zentren, medikamentöse Behandlungen, Wohnbetreuungen, aber auch gezielte Einschränkungen in ihrer Berufswahl, im Ausüben ehrenamtlicher Jugendarbeit und das Meiden bestimmter Orte.

 

 

Dies ist aber nur der halbe Schritt auf dem richtigen Weg:Die vorgeschlagenen Weisungen werden bereits jetzt für Menschen angeordnet, die sich in ihrer Strafhaft – teilweise sehr intensiv – mit ihrem Deliktverhalten auseinandersetzen, sämtliche Bedingungen der Anstalten akzeptieren, zu Kooperation mit Jugendämtern und Opferschutzeinrichtungen bereit sind und einige Monate vor Haftende bedingt entlassen werden, um eine nunmehr 5jährige Probezeit in Kauf zu nehmen. Die Ausweitung der Probezeit nach § 48 auf fünf Jahre bei bedingter Entlassung wegen einer strafbaren Handlung gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung ist im Sinne von mehr Kontrolle über entlassene Sexualstraftäter zwar als positiv zu sehen, birgt jedoch die Gefahr, dass mancher Verurteilter die Reststrafe lieber aussitzt, anstatt die bedingte Entlassung in Anspruch zu nehmen.

Wenn der Strafgefangene nämlich keine Weisung trotz schwerwiegender Delikte möchte, verweigert er in der Regel auch Therapie während des Vollzugs und ist einige Monate später als der bedingt Entlassene mit Haftende in Freiheit, bestenfalls unverändert. Eine Weisung trotz verbüßter Haftstrafe sollte deshalb gerade bei schweren Sexualstraftaten und Gewalttaten angedacht werden, da die Weisung aufgrund von festgestellter Gefährlichkeit und befürchteter Rückfallsgefahr angeordnet werden sollte und nicht nach Gutdünken und Laune des Häftlings.

 

Aus spezialpräventiver Sicht zeigt sich in der täglichen Arbeit die Wichtigkeit der Anordnung von Bewährungshilfe, vielmehr aber noch die Täter einer geeigneten Therapieform zuzuführen. Dies findet unseres Erachtens in der vorgeschlagenen Neufassung der § 50, 52a StGB nur ungenügend Berücksichtigung, als es ein Einfaches wäre im Rahmen der Neuformulierung, etwa des § 50 Abs 2 Z 2a leg cit ganz klar festzuschreiben, dass sich die Täter über Weisung des Gerichts jedenfalls einer Therapie zu unterziehen haben.

 

Durch die verstärkte Weisungspraxis in einigen Landesgerichten ist auch die Kostenfrage für die Therapie und andere Maßnahmen mittelfristig zu klären, für alle Weisungen für bedingt Entlassene, gerade aber auch für bedingt Verurteilte oder diversionelle Maßnahmen. Der Täter sollte unserer Auffassung je nach Einkommen für einen Teil seiner Betreuungskosten selbst aufkommen, den Rest der Kosten gilt es zwischen Bund, Ländern und Sozialversicherungen zu klären.

 

Das 2. Gewaltschutzgesetz  legt in vielen Punkten mehr Augenmerk als bisher auf den Schutz der Opfer und die Kontrolle der Täter und ist deshalb positiv zu werten, das Augenmaß, die Sensibilität und Unterscheidung bleibt weiterhin eine Sache der ermittelnden Jugend- und Exektutiv-BeamtInnen, RichterInnen, StaatsanwältInnen und der mit der Gewalt betrauten Hilfseinrichtungen.