Amt der Steiermärkischen Landesregierung

 

 

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GZ:

FA1F-12.39-1/2004-50

Bezug:

BMJ-B12.101/0002-I 5/2008

Graz, am 11. Juni 2008

 

Ggst.:

Entwurf für ein 2. Gewaltschutzgesetz, Begutachtung;
Stellungnahme des Landes Steiermark

 


 

 

Sehr geehrte Damen und Herren!

 

Zu dem mit do. Schreiben vom 30. April 2008, obige Zahl, übermittelten Entwurf für ein 2. Gewaltschutzgesetz wird seitens des Landes Steiermark folgende Stellungnahme abgegeben:


 

Zu Artikel II, Änderung der Zivilprozessordnung und Artikel III, Änderung des Außerstreitgesetzes:

 

Zu Z. 5 (§§ 289a, 289b ZPO) iVm Z. 3 (§ 35 AußerStrG):

Die vorgesehene schonende Einvernahme minderjähriger Personen im Zivilverfahren und im Außerstreitverfahren, wenn diese Verfahren in sachlichem Zusammenhang mit einem Strafverfahren stehen, wird grundsätzlich begrüßt. § 289a Abs. 2 und § 289b Abs. 2 ZPO sowie § 35 AußerStrG sehen in diesem Zusammenhang vor, dass über gerichtliche Anordnung Minderjährige u.a. auch durch einen „geeigneten“ Sachverständigen einvernommen werden können. Die erläuternden Bemerkungen geben keinen Aufschluss, welche Sachverständigen hier gemeint sind. Lediglich aus den Erläuterungen zu § 289b ergibt sich, dass diese Bestimmung generell an das Kriterium des Kindeswohles anknüpft Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass die Gerichte daraus einen Konnex zum Jugendwohlfahrtsträger ableiten und diesen im Bedarfsfall für diese Tätigkeit als „geeignet“ heranziehen.

 

Es wird daher ausdrücklich festgehalten, dass eine Heranziehung des Jugendwohlfahrtsträgers für Einvernahmen von Minderjährigen abgelehnt wird. Derartige Tätigkeiten gehören nicht zu den Aufgaben der Jugendwohlfahrt und dies sollte zumindest in den Erläuterungen entsprechend klar gestellt werden. Abgesehen davon würden die Heranziehung zusätzliches Personal erfordern und somit auch Kosten auf Seiten des Landes verursachen.

 

Zu Artikel V,  Änderung des Strafgesetzbuches:

 

Zu Z. 5 (§ 52a):

Der Schutz vor Sexualstraftätern und sexuell motivierten Gewalttätern ist zu begrüßen. Die vorgeschlagene Möglichkeit, in „geeigneten Fällen“ die Jugendwohlfahrt im Rahmen der gerichtlichen Aufsicht mit der Überwachung des Verhaltens bedingt entlassener Rechtsbrecher und der Erfüllung der ihnen erteilten Weisungen zu betrauen, wird allerdings entschieden abgelehnt. Die Überwachung von Rechtsbrechern (auch nicht im Falle ihrer Minderjährigkeit) steht in keinem Zusammenhang mit den Aufgaben der Jugendwohlfahrtsträger. Es handelt sich hier um strafgerichtliche, allenfalls noch sicherheitsbehördliche Aufgaben, die ausschließlich von den Strafvollzugsgerichten oder allenfalls von den Sicherheitsbehörden wahrzunehmen sind.

 

Abgesehen davon legen weder das Gesetz noch die Erläuterungen fest, unter welchen Voraussetzungen das Gericht den Jugendwohlfahrtsträger mit der Aufsicht über die angeordneten Maßnahmen betrauen kann. Den Erläuterungen ist lediglich zu entnehmen, dass die Rolle der Strafvollzugsgerichte gestärkt werden soll, wozu eine engere und intensivere Kontrolle durch die Bewährungshilfe sowie die Anordnung von Weisungen (insbesondere solche nach § 51 Abs. 3 StGB) dienen soll. Um eine intensivere Überwachung und Kontrolle gewährleisten zu können, soll das Gericht zur Unterstützung zukünftig in „geeigneten Fällen“ neben der Jugendgerichtshilfe und den Sicherheitsbehörden auch die Jugendwohlfahrt mit derartigen gerichtlichen Überwachungsaufgaben betrauen können. Es ist zu befürchten, dass mangels Bestimmtheit der geplanten Regelung in allen Fällen, in denen Kinder bzw. Minderjährige betroffen sind, von der Möglichkeit, den Jugendwohlfahrtsträger mit der Aufsicht zu betrauen, Gebrauch gemacht wird. Dies würde zu einer enormen personellen und damit finanziellen Mehrbelastung der Jugendwohlfahrtsträger führen. Die Erläuterungen enthalten über diese Mehrbelastung allerdings keinerlei Ausführungen. Es werden lediglich für den Bund diesbezügliche finanziellen Mehrausgaben von rund zwei Millionen Euro angeführt.

Es wird daher gefordert, in § 52a StGB das Wort „Jugendwohlfahrt“ zu streichen.

 

Zu Artikel VI,  Änderung der Strafprozessordnung 1975:

 

Zu Z. 3 und 4 (§ 78 Abs. 3 und § 78a):

Der in § 78 neu eingefügte Abs. 3 sieht eine verschärfte Anzeigepflicht für Behörden und öffentliche Dienststellen vor. § 78 Abs. 2 wird jedoch nicht geändert, sodass unklar ist, ob für Behörden und öffentliche Dienststellen immer eine Anzeigepflicht besteht oder auch Fälle denkbar sind, in denen eine Beeinträchtigung des Vertrauensverhältnisses der Anzeigepflicht vorgeht. Auch die erläuternden Bemerkungen dazu sind nicht aufschlussreich. Es ist daher zu befürchten, dass durch die vorgeschlagene Regelung des Abs. 3 nunmehr auch in den Fällen des Abs. 2 Z. 1 eine unbedingte Anzeigepflicht normiert werden soll.

 

Mit dem neuen § 78a wird für alle (Privat-)Personen, denen Pflege und Erziehung oder sonst die Sorge für die körperliche oder seelische Integrität Minderjähriger obliegt, eine Verpflichtung zur unverzüglichen Anzeige bei Verdacht, dass ein Minderjähriger Opfer einer im § 65 Z. 1 lit. a. bezeichneten Tat geworden sein könnte, normiert. Ausgenommen von der Anzeige nach Abs. 2 dieser Bestimmung sind nur Personen, die sich oder einen Angehörigen der Gefahr der strafrechtlichen Verfolgung aussetzen würden und Seelsorger im Rahmen des Schutzes des Beichtgeheimnisses.

Nach den Erläuterungen werden beispielhaft jene Personen aufgezählt, die künftig in Pflicht genommen werden, d.s. Eltern, Pflegeeltern, KindergärtnerInnen, Kinder- und SchulärztInnen und ErzieherInnen. Auch wenn der Jugendwohlfahrtsträger nicht explizit erwähnt wird, muss davon ausgegangen werden, dass § 78a auch ihn betrifft und zwar hinsichtlich jener Tätigkeiten, die er im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung erbringt, was auf die meisten seiner Tätigkeiten zutrifft. Ausnahmen von der Anzeigepflicht, etwa um ein Vertrauensverhältnis nicht zu beeinträchtigen, sieht § 78a nicht vor.

 

Besonders bedenklich erscheint auch, dass die Anzeige immer „unverzüglich“ zu erstatten ist. Gerade in den Fällen, in denen letztlich Anzeige (auch bisher) erstattet wird, ist auf Grund der oft bestehenden Abhängigkeitssituation im familiären Gefüge die Fremdunterbringung des Kindes durch den Jugendwohlfahrtsträger vorrangig, um es einerseits zu schützen und andererseits vor Druckausübung und Beeinflussung durch Angehörige des Täters zu bewahren. Dies bedarf einer entsprechenden (auch zeitlichen) Vorbereitung, die bei einer unverzüglichen Anzeige nicht mehr ausreichend sichergestellt werden könnte. Die Praxis zeigt besonders in diesen hochproblematischen Fällen, dass im Zusammenhang mit dem geltenden § 173 Abs. 1 und 5 StPO weder das Betretungsverbot noch ein Gelöbnis ein wirksamer Schutz für das Opfer ist. Wiederholungs- und Verdunkelungsgefahr kann gerade in diesen Fällen damit nicht vermieden werden.

 

§ 78a wird auch für MitarbeiterInnen der freien Jugendwohlfahrt, von Krisenzentren und Notschlafstellen und Frauenschutzeinrichtungen gelten. Es muss daher auch insbesondere im Zusammenhang mit der seit 1. April 2005 landesgesetzlich eingeführten Hilfe in Frauenhäusern nach dem Stmk. Gewaltschutzeinrichtungsgesetz befürchtet werden, dass von Gewalt bedrohte Frauen (mit ihren Kindern) dieses Schutzangebot nicht mehr annehmen, wenn sie befürchten müssen, dass  Anzeige zu erstatten ist.

 

Unter „Gewalt“ im Sinne des § 65 Z. 1 lit. a. StPO fallen auch körperliche Misshandlungen (vgl. den neuen § 107b StGB). Es wird daher auch immer dann Anzeige zu erstatten sein, wenn konkret der Verdacht besteht, dass in einer Familie immer wieder auch solche körperliche Misshandlungen gegen Kinder (zB auch „Ohrfeigen“) eingesetzt werden. Ohne die auch nach § 146a ABGB gegebene Rechtswidrigkeit solcher nicht tolerierbarer Verhaltensweisen gegen Kinder in irgend einer Weise in Frage stellen zu wollen, sollte dennoch bedacht werden, dass in den weniger gravierenden Fällen der Schutz der Kinder und das Kindeswohl wirkungsvoller durch den Aufbau eines Vertrauensverhältnisses zur Familie, durch Überzeugungsarbeit, Hilfsangebote und die Arbeit mit dem Misshandelnden gewährleistet werden können. Die Pflicht zur Anzeige würde das hingegen in vielen Fällen verunmöglichen.

 

Durch die vorgesehene Verschärfung der Anzeigepflicht, insbesondere durch § 78a, würde darüber hinaus ganz grundsätzlich das bestehende System der Meldepflicht solcher Verdachtsfälle für alle relevanten Berufsgruppen an den Jugendwohlfahrtsträger gemäß § 37 JWG 1989 obsolet. Nach der geltenden Rechtslage ist derzeit der Jugendwohlfahrtsträger Drehscheibe und Schnittstelle im Zusammenhang mit Angelegenheiten des Kinderschutzes. Dies ist auch sinnvoll, da bei derartigen Meldungen aus Sicht der Jugendwohlfahrt zuerst eine Abklärung erforderlich ist, um feststellen zu können, ob die vermutete Misshandlung auf einem Gefährdungspotential beruht oder nicht. Die Jugendwohlfahrt hat die Zusammenhänge und die verursachenden Probleme zu erkennen, um das Gefährdungsrisiko einzuschätzen und die im Interesse des Kindeswohles richtigen (Ab-)Hilfen anzubieten. Gerade in diesen Situationen sind jedoch eine Gesprächsbasis und ein Mindestmaß an Kommunikation mit dem familiären Umfeld erforderlich. Die Schaffung einer zwingenden Anzeigepflicht würde aber die erforderliche Kommunikationsbereitschaft verhindern und damit die notwendige Abklärung der Situation in der Familie, eine der Hauptaufgaben der Jugendwohlfahrt unmöglich machen.

Ausschlaggebend für eine Anzeige und somit Strafverfolgung muss daher weiterhin das Wohl des Kindes/Jugendlichen im Zusammenhang mit seiner speziellen Lebenssituation sein. Aus Sicht der Jugendwohlfahrt geht es um das Schutz- und Vertrauensbedürfnis des Kindes/Jugerednlichen, das es in vielfältigen und komplexen familiären Kontexten zu beachten gilt. Gerade, weil das Zusammenleben zwischen Täter und Opfer häufig auch zukünftig gegeben ist, wird dem strafrechtlichen Aspekt weniger Lösungskompetenz als der psychosozialen Hilfeleistung konstatiert.

 

Die wesentlichsten fachlichen Gründe gegen die Ausweitung und Verschärfung der Anzeigepflichten sollen anhand der nachfolgenden Argumentation, die auch vom Steiermärkischen Jugendwohlfahrtsbeirat vertreten wird, noch verdeutlicht werden:

 

Die Ausweitung der Anzeigeverpflichtung garantiert nicht den Kinderschutz

Das Ziel, Gewalt an Kindern „aus dem Dunkelfeld herauszuholen“ und damit Kindern das grundsätzliche Recht auf Schutz vor Gewalt zu sichern, kann durch eine Ausweitung der Anzeigepflicht auf alle mit Kindern befassten Professionen nicht gewährleistet werden. Auch wenn in der Obhut von behördlichen oder privaten Einrichtungen klare Hinweise auf Gewalt an Kindern auftreten, bedarf es, um Maßnahmen zum Schutz des Kindes setzen zu können, einer koordinierten Vorgangsweise und Zusammenarbeit mit der Jugendwohlfahrt. Die Möglichkeiten der Justiz wie Untersuchungshaft bzw. gelindere Mittel, diversionelle Weisungen oder auch einstweilige Verfügungen greifen hier zu kurz.

 

Zu bedenken ist, dass vorschnelles Anzeigen von Verdachtsmomenten ohne entsprechende Abklärung seitens der Jugendwohlfahrt und seiner Helfersysteme auch zu nicht abschätzbaren Gefährdungen für das Kind führen können (Kurzschlusshandlungen), denn nur äußerst wenige Sachverhalte werden zu einer Inhaftierung oder Wegweisung des Aggressors führen. Erfahrungsgemäß verbleiben in den meisten Fällen „Täter“ und „mj. Opfer“ im Familienverband.

 

Die erweiterte Anzeigepflicht löst keine Kooperationsverpflichtung mit der Jugendwohlfahrt aus

Über die derzeit bestehende Meldeverpflichtung nach § 37 JWG ist die Einbeziehung der Jugendwohlfahrt bereits jetzt gewährleistet. Die Meldepflicht verlangt von allen beteiligten Berufsgruppen einen sehr informativen, transparenten und kooperativen Arbeitsstil und Maßnahmenplan. Dieses System der Zentrierung von Hilfsmaßnahmen bei der Jugendwohlfahrt würde mit der geplanten Anzeigepflicht ad absurdum geführt.

 

Die Anzeige der Jugendwohlfahrtsbehörde gestützt durch begleitende Maßnahmen, ist eine der möglichen Handlungsalternativen bei Gewalt gegen Kinder und Jugendliche.

 

Symptome für Gewalt an Kindern sind noch keine Beweise

Gewalt an Kindern (insbesondere sexualisierte oder psychische Gewalt) führt sehr selten zu spezifischen Hinweisen, sondern meist zu Auffälligkeiten bzw. Symptomen, die auch anderen Problemfeldern zugeordnet werden können.

 

Eine „unverzügliche“ Anzeigepflicht erhöht den Druck auf Personen im Nahbereich der Kinder/Jugendlichen, die oft diese ersten Hinweise wahrnehmen. Die Gefahr des vorschnellen Agierens, aber auch die Gefahr des Bagatellisierens aus Angst vor unberechtigten Verdächtigungen und Verleumdungsklagen steigt massiv.

 

Im Sinne der betroffenen Kinder und Jugendlichen ist eine sorgfältige Gefährdungseinschätzung vorzunehmen und ein darauf abgestimmter Interventionsplan mit dem Blick auf das Kindeswohl erstellen. „Handeln im Verdachtsfall“ erfordert besonders qualifiziertes Vorgehen und durchdachte Maßnahmen, um mittels fundierter Abklärung nicht nur eine Anzeige zu erwirken, sondern vorrangig den Schutz des Kindes zu gewährleisten.

 

Die erweiterte Anzeigepflicht ist kein Ersatz für die Gefährdungsabschätzung

Bei Verdacht auf Gewalt gegen Kinder und Jugendliche brauchen Berufsgruppen, die in der Betreuung von „gefährdeten“ Kindern/Jugendlichen tätig sind, die Möglichkeit, mit erfahrenen Fachkräften die getätigten Beobachtungen zu besprechen bzw. zu einer Gefährdungseinschätzung zu kommen, um dann die nächsten Schritte einleiten zu können.

 

Die bestehende Meldepflicht an den Jugendwohlfahrtsträger (§ 37 JWG) gewährleistet, dass die Maßnahmenplanung und Umsetzung durch ExpertInnen aus dem Bereich Gewalt gegen Kinder erfolgt. Dadurch kann bereits vor der Anzeige ein Hilfeplan für das Kind erstellt und Maßnahmen zum Schutz des Kindes gesetzt werden, bevor gerichtlich verordnete Maßnahmen greifen. Durch das mit der Ausweitung der strafrechtlichen Anzeigepflicht de-facto Obsoletwerden der Meldepflicht nach JWG wird diese wichtige Rolle der Jugendwohlfahrt zur Polizei bzw. Staatsanwaltschaft verlagert, die dieser Aufgabe mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln nicht gerecht werden kann.

 

Die erweiterte Anzeigeverpflichtung orientiert sich nicht an den Bedürfnissen des Kindes

Damit Kinder/Jugendliche, die von Gewalt betroffen sind, über ihre Erlebnisse sprechen können, braucht es viel Vertrauen zu ihren Bezugspersonen und vor allem auch viel Zeit.

 

Es ist wichtig, dass Kinder/Jugendliche in dieser sensiblen Phase der Aufdeckung gestärkt, altersadäquat über die geplanten Schritte informiert und auf diese auch vorbereitet werden. Eine „unverzügliche“, verfrühte Anzeige auf Verdacht hin, ohne dass das Kind bereit ist, auch vor Gericht auszusagen, führt häufig zum Rückzug des Kindes, sodass es über das Erlebte nicht mehr spricht, und führt auch zu dem Gefühl, der Erwachsenenwelt hilflos ausgeliefert zu sein. Damit werden Maßnahmen zum Schutz des Kindes/Jugendlichen massiv erschwert bzw. unmöglich gemacht. Gerade die Anzahl der Verfahrenseinstellungen oder auch der Freisprüche bei Gewalt an Kindern zeigt, dass eine Anzeige den Schutz von Kindern keinesfalls besser gewährleistet.

 

Anzeigeplanung führt zu einer Traumareduktion und gewährleistet damit den Kinderschutz

Bei einer geplanten Anzeige ist wichtig, dass Kinder/Jugendliche auf den Ablauf und die Rahmenbedingungen eines Strafverfahrens vorbereitet werden.

 

Erst dadurch wird es möglich, das Strafverfahren für Kinder mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln möglichst schonend zu gestalten und einer weiteren Traumatisierung durch das Strafverfahren vorzubeugen. Um die entsprechenden Unterstützungsmaßnahmen für das Kind und deren Bezugspersonen (Schutzmaßnahmen, Prozessbegleitung, familienentlastende Maßnahmen etc.) gut koordinieren zu können, braucht es wiederum als Drehscheibe die Jugendwohlfahrt.

 

Ebenso wichtig ist es auch, den richtigen Zeitpunkt der Anzeige zu wählen, der die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass Minderjährige bei ihren Äußerungen/Aussagen vor Gericht bleiben und somit u. U. die  Verurteilung des Täters wahrscheinlicher wird.

 

Aus vielen Jahren Erfahrung ist bekannt, dass es zu den schlimmsten Erlebnissen für Kinder gehört und eine weitere massiv traumatisierende Erfahrung ist, wenn ein Täter, der noch dazu häufig aus dem Familienkreis stammt, durch vorschnelle Anzeigen freigesprochen oder das Verfahren mangels an Beweisen eingestellt wird. Aus der Praxis ist bekannt, dass mehr als die Hälfte der angezeigten Missbrauchsdelikte mit einem Freispruch oder überhaupt mit einer Einstellung des Verfahrens enden. Dann hat auch die Jugendwohlfahrt kaum oder keinen Zugang mehr zur Familie. Das Kind bleibt so ungeschützt und erlebt noch dazu, dass Offenheit keine Folgen hat.

 

Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass die vorgesehene Verschärfung der Anzeigepflichten in vielen Fällen zu einer Verschlechterung des Kinderschutzes führen wird. Zudem werden gravierende nachteilige Folgen auch im Zusammenhang mit dem Vollzug des Steiermärkischen Gewaltschutzeinrichtungsgesetzes erwartet. Frauen werden mit ihren Kindern dieses Hilfeangebot kaum mehr in Anspruch nehmen, womit der Schutzzweck dieses Gesetzes ins Leere gehen würde. Die vorgeschlagenen Regelungen über die Verschärfung der Anzeigepflichten, insbesondere der neue § 78a, werden daher aus rechtlichen und fachlichen Gründen entschieden abgelehnt. Es wird dringend gefordert, die bestehenden gesetzlichen Regelungen unverändert zu belassen.

 

 

Abschließend wird festgehalten, dass der geplante Gesetzesentwurf auch zu diesen Bestimmungen keinerlei Ausführungen darüber enthält, mit welchen arbeitsmäßigen und finanziellen Mehrbelastungen seitens der Länder als Jugendwohlfahrtsträger zu rechnen wäre. Wenn die beabsichtigten Regelungen tatsächlich in Kraft treten und dem Jugendwohlfahrtsträger eine unbedingte Anzeigepflicht trifft, würde dies auf Grund der großen Anzahl an Gefährdungsmeldungen, die hinkünftig alle zur Anzeige zu bringen wären, einen enormen zeitlichen und personellen Mehraufwand bedeuten. Darauf geht, wie auch im Zusammenhang mit dem neuen § 52a StGB bereits dargestellt, der Bundesgesetzgeber nicht einmal ansatzweise ein, sodass auch kein den Voraussetzungen des Konsultationsmechanismus entsprechender Gesetzesentwurf vorliegt. Dies bedeutet, dass davon ausgegangen wird, dass die mit diesem Gesetz verbundenen finanziellen Mehrbelastungen vom Bund getragen werden.

 

 


Dem Präsidium des Nationalrates werden unter einem 25 Abdrucke dieser Stellungnahme zugeleitet. Eine weitere Ausfertigung ergeht an die E-Mail Adresse begutachtungsverfahren@parlament.gv.at.

 

 

Für die Steiermärkische Landesregierung

Der Landesamtsdirektor

i.V.

 

 

(Dr. Andrea Ebner-Vogl)