Kinderschutzzentrum WIGWAM

Leopold Werndl Straße 36

4400 Steyr

 

 

An das Bundesministerium für Justiz

An das Präsidium des Nationalrats

 

 

Per E-mail

                                                                                                          Steyr, am 10.6.2008

 

 

 

Entwurf für ein 2. Gewaltschutzgesetz

Begutachtungsverfahren

Stellungnahme zu geplanten §§ 78 Abs 3 und 78a STPO

                                                (Anzeigepflicht)

 

 

 

Sehr geehrte Damen und Herren!

 

 

Als spezialisierte Beratungs- und Therapieeinrichtung bei familiärer und sexueller Gewalt an Minderjährigen und seit 2002 vom BMJ beauftragter Prozessbegleitungsanbieter für Kinder und Jugendliche, die Opfer von Gewalt wurden, gibt das Kinderschutzzentrum WIGWAM folgende Stellungnahme zum geplanten  2. Gewaltschutzgesetz ab:

 

 

Der Zusatz, dass eine Behörde  neben den Maßnahmen zum Schutz des Opfers neuerdings in jedem Fall Anzeige zu erstatten hat bzw. die Neueinführung einer Anzeigepflicht für alle Personen, denen die Sorge und Erziehung von Kindern obliegt,  - also die Einführung einer uneingeschränkten Anzeigepflicht - ist aus unserer Erfahrung dem Opferschutz nicht dienlich:

 

Sobald die Jugendwohlfahrt von Gewalt und drohender Gewalt an Minderjährigen in Kenntnis gesetzt wird, besteht auch schon derzeit akuter Handlungsbedarf. Oftmals kann durch geeignete Maßnahmen der Jugendwohlfahrt der Schutz der Kinder gewährleistet werden. Nur wenn zwingende Gründe vorliegen, die folgern lassen, dass Wiederholungsgefahr besteht und die Maßnahmen nicht ausreichen würden, scheint Anzeige (Untersuchungshaft) der einzig gangbare Weg zu sein.

 

Soweit der Schutz der Opfer durch geeignete Hilfsmaßnahmen der Jugendwohlfahrt gewährleistet werden kann, müssen die Bedürfnisse der Opfer im Mittelpunkt der Überlegungen stehen. Eventuelle Anzeigen müssen behutsam geplant und für die Opfer transparent besprochen und intensiv begeleitet werden.  Die Erfahrung der Prozessbegleitung zeigt, dass die Wahrscheinlichkeit einer Einstellung von Verfahren bei überstürzten Anzeigen ungleich höher ist als bei wohlgeplanten, die auch die Dynamik der Eskalierung im Anzeigefall miteinbezieht.

 

Weiters zeigt die Erfahrung, dass nur in wenigen Fällen tatsächlich Untersuchungshaft ausgesprochen wird und dies eine weitere Gefährdung der Opfer darstellt. Zudem sind wir der Meinung, dass dies eher dem Interesse des Täters dienlich ist, welcher nunmehr rascher rechtliche Schritte setzen und den Vorwurf von sich weisen wird. Immerhin handelt es sich um die Situation Aussage gegen Aussage (im Regelfall: Erwachsener gegen Kind). Weiters wird der Druck der Täter auf die Opfer verstärkt und das von der Anzeige überraschte Kind mit der Situation heillos überfordert und belastet.

 

Analog zu den geschilderten Einwendungen bezüglich Anzeigepflicht der Jugendwohlfahrt, verhält es sich bei der Anzeigepflicht der Personen, denen Erziehung oder Sorge der Kinder obliegt (geplanter § 78 a STPO).

Hier greifen die gleichen Argumente gegen die uneingeschränkte Anzeige wie oben geschildert.

 

 

Regelungswürdig ist unseres Erachtens aber jedenfalls die

 

·  derzeitige Meldepflicht (an die Jugendwohlfahrt) Eine Vereinheitlichung und Ausweitung der Meldepflicht auf alle Berufsgruppen, die pädagogisch, beratend oder betreuend mit Kindern und Familien arbeiten, wäre begrüßenswert. Diese Meldepflicht müsste schließlich in einer breiten Kampagne allen Professionen zur Kenntnis gebracht werden. (Im Rahmen der Helferberatung wird immer wieder große (Rechts-) Unsicherheit festgestellt.)

 

·  Das Kinderschutzzentrum sieht nach wie vor die Jugendwohlfahrt als geeignete Behörde für den Schutz der Kinder. Die schockierenden Ereignisse in den letzten Jahren schreien aber förmlich nach einer Ausweitung der Ressourcen der Jugendwohlfahrt, wie auch der Beratungseinrichtungen. Noch viel mehr, wenn die Meldepflichten ausgeweitet werden.

 

Eine uneingeschränkte Verlagerung der Aufdeckung und dem Setzen von Schutzmaßnahmen zu Polizei und Staatsanwaltschaft wäre unseres Erachtens ein Rückschritt der Entwicklung  beim Opferschutz in den letzten Jahren.

 

Jedenfalls möchten wir festhalten, dass sich das Kinderschutzzentrum nicht allgemein gegen eine Anzeige von Gewalttaten gegen Kinder und Jugendliche ausspricht, sondern dem Prinzip Hilfe statt Strafe – der Prämisse, dass Gewalt in Familien nur durch geeignete Hilfsmaßnahmen beendet und nachhaltig verhindert werde kann – Ausdruck verleihen möchte.

 

 

Mit der Bitte, die Bedürfnisse von Opfern bei den Überlegungen zum 2. Gewaltschutzgesetz einzubeziehen!

 

 

Die MitarbeiterInnnen des

Kinderschutzzentrum WIGWAM